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Achtung: Artikel und Texte aus NS/Hitler-Deutschland 1933-45

Nach der Gleichschaltung der reichsdeutschen Medien direkt nach der Machtübernahme in Februar/März 1933 sind alle Artikel und Texte mit besonderer Aufmerksamkeit zu betrachten. Der anfänglich noch gemäßigte politisch neutrale „Ton" in den technischen Publikationen veränderte sich fließend. Im März 1943 ging Stalingrad verloren und von da an las man zwischen den Zeilen mehr und mehr die Wahrheit über das Ende des 3. Reiches - aber verklausuliert.
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Bau und Einsatz des "Zeitfilmgerätes" bei den Olympischen Spielen 1936

Heft 19 Die Kinotechnik Seite 321 von Dr. E. Rieckmann. Vortrag, gehalten auf der 141. Vortragssitzung der Deutschen Kinotechnischen Gesellschaft am 26. August 1936.
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Zeitmessung und Feststellung der Reihenfolge

Aus den Darlegungen des Herrn Dr. Keil *1) ist ersichtlich, daß für die genaue Zeitmessung und vor allem für die zuverlässige Feststellung der Reihenfolge, insbesondere bei den Wettbewerben der Leichtathletik, die kinematographische Aufnahme des Zieldurchganges in Verbindung mit einer objektiven Methode der Zeitmessung gewählt war.

*1) Vgl. den vorstehenden Aufsatz. - Die Schriftltg.

Es ist einleuchtend, daß zur Feststellung der richtigen Reihenfolge nur die Photographie in Betracht kommen kann, und damit entfielen für die Zeitmessung am Ziel auch alle die Methoden, welche auf der Verwendung elektrischer Kontakte, Photozellen oder dergleichen beruhen.

Die Aufstellung der Aufnahmeapparatur

Ein Blick auf die Skizze der Laufbahn (Abb. 1), in welche der Start und das Ziel eingezeichnet sind, zeigt, daß es nicht immer möglich ist, den Startschuß und den Start selbst mit aufzunehmen. Deshalb war es nötig, eine Verbindung von der Aufnahmeapparatur zur Startpistole zu schaffen, um auf diese Weise den genauen Beginn der Zeitmessung - das ist das Erscheinen der Rauchwolke der Startpistole - auf die Zeitfilmapparatur zu übertragen, wovon später noch im einzelnen die Rede sein wird.

Die Aufnahmeapparatur selbst wurde in der Zielebene aufgestellt, und zwar war bei dieser Aufstellung zu bedenken, daß keine Behinderung der Aufnahme durch die ebenfalls in der Zielebene auf einer Treppe stehenden Kampfrichter oder Zeitnehmer erfolgen kann. Da die Möglichkeit nicht bestand, die Aufnahmen von der Seite der Zuschauertrihünen her zu machen, blieb nur übrig, die gesamte Apparatur transportabel auf einem ebenfalls transportablen Turm (Abb. 2 und 3) auf der Innenseite der Laufbahn anzubringen.

Zwei Aufnahmeobjektive in der Filmkamera

Zur gleichzeitigen Aufnahme der Zeit auf dem Zielbild besitzt die Filmkamera zwei Aufnahmeobjektive, eins für das Zielbild und ein weiteres für die Abbildung der Zeitzählrollen.

Wir haben bei der Konstruktion den größten Wert auf die klare und bequeme Lesbarkeit der Zeitangabe gelegt und benutzen daher zur Anzeige der Zeit sechs unmittelbar nebeneinanderliegende Skalenrollen etwa nach Art von Kilometerzählern.

Die Ziffern auf der schnellsten Rolle bedeuten dabei 1/100 Sekunde, die der nächsten Rolle 1/10 Sekunde usw., die der sechsten Rolle je 1/1000 Sekunde, so daß das Zählwerk also von 1/1000 bis 10.000 Sekunden zählt.

Die Messung

Ein Läufer erreicht in dem Augenblick das Ziel, "wo" (Wirklich peinlich für einen deutschen Akademiker) er die Ziellinie mit der Brust berührt. Wir haben durch die hohe Aufstellung der Aufnahmegeräte es zwar vermieden, daß die Läufer sich gegenseitig verdeckten; es ist jedoch grundsätzlich nicht zu verhindern, daß ein Läufer selbst mit seinem Arm den für die Entscheidung wichtigen Punkt verdeckt.

Es fand daher zur Erleichterung der Beurteilung der Zielbilder und auch aus Sicherheitsgründen das Stereo-Verfahren Anwendung. Man könnte darauf eine photogrammetrische Vermessung der Bilder gründen, doch dürfte es vom sportlichen Standpunkt aus wenig Sinn haben, die Meßgenauigkeit so weit zu steigern, da erstens derartig knappe Entscheidungen äußerst selten sind und dann auch kleine Zufälligkeiten eine unangemessene Rolle spielen würden.
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Beschreibung der Techniik

Die Abb. 4 und 5 zeigen Ansichten der Kamera in der Gestalt, die sie nach einigen Vorversuchen endgültig angenommen hat *2). An dem Zählwerk befindet sich eine Magnetkupplung, die beim Startschuß das Zählwerk in Gang setzt.

*2) Die Herstellung der Kameras und der Zusammenbau erfolgte bei der Zeiss Ikon A.-G., Dresden.

Die Kupplung selbst ist eine Zahnkupplung mit so viel Zähnen, daß in der Sekunde 1000 Zähne aneinander vorbeilaufen. Dadurch ist eine Zeitgenauigkeit von 1/1000 Sekunde beim Einkuppeln sichergestellt. Das Einkuppeln bewirken gespannte Federn, sobald der Magnetstrom unterbrochen wird.

Die Unterbrechung des Stromes erfolgt durch einen Membrankontakt, der auf die (akustische) Knallwelle der Startpistole anspricht. Es wurde also absichtlich vermieden, den Kontakt von dem Mechanismus der Pistole abhängig zu machen.

Neben dem Zählwerk befindet sich, wie aus Abb. 5 ersichtlich, der Synchronmotor zum Antrieb desselben. Zur Messung von Kurzstrecken würde es genügen, diesen Motor aus einem frequenzregulierten Netz zu speisen. Mit Rücksicht auf die Genauigkeit der längeren Zeiten und aus allgemeinen Gründen war es jedoch vorzuziehen, einen unabhängigen zeitgenauen Wechselstrom herzustellen.
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Die Genauigkeit der Mess-Frequenz mit einem Chronometer

Es bereitet keine besonderen Schwierigkeiten, z. B. mit einem Stimmgabelgenerator die gewünschte Frequenz zu erzeugen. Das hätte jedoch zur Folge gehabt, daß man die Genauigkeit der Frequenz ständig hätte nachkontrollieren müssen.

Es erschien zweckentsprechender, die Frequenz direkt von einem Chronometer in einer die Genauigkeit auch sinnfällig machenden Weise herzustellen. Die Apparatur besteht aus dem Chronometer mit einem besonders genauen Kontakt, aus einer Stimmgabel *3), die vom Chronometer aus erregt wird, und aus einigen Einrichtungen, um die Schwingungen der Stimmgabel in Wechselströme umzuwandeln und zu verstärken.

Mit dem so erhaltenen Wechselstrom wird ein Umrichter *4) gesteuert, der die zum Antrieb der Synchronmotoren nötige Leistung abgibt.

Neben dem Zählwerk steht die Aufnahmekamera, in deren Bildebene das Zählwerk mit abgebildet wird. Sie verarbeitet 16mm-Schmalfilme und ist für genau 100 Bilder/Sek. eingerichtet. Diese hohe Bildzahl wird jedoch praktisch kaum benötigt und führt auch zu einem reichlichen Filmverbrauch, der besonders bei lang ausgezogenen Feldern am Ziel den Vorrat von 15m in der Kassette überschreiten kann; deshalb wurde während der Spiele mit 50 Bildern aufgenommen.

Die Punktbelichtungszeit kann selbstverständlich nur sehr kurz sein und beträgt etwa 0,001 Sekunde; so groß ist etwa auch der größte Zeitunterschied der Belichtung.
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Die zweite Kamera neben der "Zählwerkskamera"

Neben der "Zählwerkskamera" ist die zweite, synchronlaufende Kamera angebracht, und zwar ist aus konstruktiven Gründen der Objektivabstand erheblich größer als der Augenabstand; dadurch wird der Stereo-Effekt natürlich größer.

Sie enthält ebenfalls die zweite Abbildungsoptik, die eine die Tageszeit zeigende Uhr auf den Film projiziert. Zum Laden der ersten Kamera kann die andere beiseite geklappt werden. Beide Kammern treibt ein Synchronmotor an.

Die Kamera wurde aus Sicherheitsgründen in doppelter Ausführung gebraucht, und zwar waren die beiden Apparaturen senkrecht übereinander angebracht, so daß die Zielebene durch die Objektivmitten der beiden Einzelkameras ging, die die beiden Zählwerke mitabbildeten.

Der 9m hohe Turm (Abb. 2) *5) zur Aufstellung der Aufnahmegeräte hatte einer Reihe von sich widersprechenden Bedingungen zu genügen. Er sollte leicht sein und doch standfest. Der Rasen auf dem Spielfeld sollte nicht beeinträchtigt werden, und außerdem sollte es möglich sein, die ganze Apparatur in wenigen Minuten auf- und abzubauen.

Die Aufgabe konnte in recht günstiger Weise gelöst werden. Das Aufrichten und Umlegen des Turmes geschah mit einer Winde, der Transport auf einem besonders zu diesem Zweck hergestellten Wagen (Abb. 3).

*5) Die Stimmgabel wurde von den Berliner Physikalischen Werkstätten geliefert.
*4) Hersteller des Umrichters: Siemens Röhrenwerk.
*6) Den Turm baute Hein, Lehmann & Co., Berlin.
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Spezialkassetten mit 15m-Spulen

Zum Transport der Kassetten diente ein Kassettenaufzug.
Die Handhabung der Apparatur bei den Aufnahmen beginnt mit der Beschickung der , die für die eine Kamera mit dem Agfa-Schnellumkehrfilm, für die andere mit Agfa-ISS-Film bewickelt war.

Die Kassetten wurden in einem Koffer zum Turm gebracht, hinaufgezogen und in die vier Einzelkameras eingesetzt. Nach Fertigmachen der Startpistole können beide Zählwerke auf Null gestellt werden; auf dem Film werden Synchronisierungsmarken angebracht und darauf dem Starter die Bereitschaft durch ein grünes Lichtsignal angezeigt.

Die Zählwerksmotoren laufen natürlich dauernd, die Kameramotoren nur nach Bedarf. Beim Startschuß werden die Zählwerke eingekuppelt, und sobald sich die Läufer dem Ziel nähern, werden die Kameramotoren angelassen. Sofort nach der Aufnahme werden, falls nicht mehrere Wettbewerbe auf einen Film genommen werden sollen, die Kassetten schnellstens zur Dunkelkammer gebracht.

Im Laufe von etwa 10 Minuten werden die Schnellumkehrfilme entwickelt und getrocknet und dann in den neben der Dunkelkammer gelegenen Vorführungsraum gegeben. Das normale Filmmaterial war am nächsten Tage entwickelt verfügbar, doch war es in keinem einzigen Falle nötig, darauf zurückzugreifen.

Die Projektion der Stereofilme mit Polarisationsfiltern

Die Stereofilme sollten ursprünglich unter Verwendung des Rot-Grün-Verfahrens vorgeführt werden. Die Wiedergabe konnte jedoch dank der in der letzten Zeit bekanntgewordenen Polarisationsfilter in wesentlich schönerer Weise durchgeführt werden.

Es wurden zwei miteinander gekuppelte Schmalfilmprojektoren benutzt, vor deren Objektive je ein Polarisationsfilter geschaltet wurde. Die Projektion geschah der Raumverhältnisse wegen in Durchsicht auf eine Mattscheibe. Zur Betrachtung mußten Brillen mit entsprechend polarisierenden Filtern aufgesetzt werden.
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Die mit dem Gerät gemachten Erfahrungen

Das Zeitfilmgerät wurde bei den Olympischen Spielen hauptsächlich bei den Laufwettbewerben der Leichtathletik eingesetzt *6). Ferner fand es nach Abschluß der Leichtathletikwoche beim Radrennen auf der Avus Verwendung.

*6) Beispiel eines Stereobildes mit Uhr- und Laufzeitangabe siehe Heft 15 des lfd. Jahrganges dieser Zeitschrift, S. 248.

Die mit dem Gerät gemachten Erfahrungen sind ganz ausgezeichnet; technische Störungen an den Geräten kamen nicht vor, obwohl einige Apparate erst kurz vor den Spielen fertiggestellt wurden und keine Gelegenheit zu längeren Erprobungen gegeben war.

Wenn das Gerät auch in erster Linie den Zweck hatte, die Entscheidung über die Reihenfolge sicherzustellen, so fanden doch auch die Ergebnisse der Zeitmessung stärkste Beachtung und dienten den Zeitnehmern zur Kontrolle ihrer eigenen Messungen mit Stoppuhren. Die auf so verschiedenen Wegen gemessenen Zeiten befanden sich in ausgezeichneter Übereinstimmung, und die Abweichungen gingen nie über die Fehler, wie sie bei Handstoppuhren unvermeidlich sind, hinaus.
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Besonders bemerkenswerte Zielaufnahmen

Unter den gewonnenen Zielbildern ist für uns besonders bemerkenswert die Entscheidung des 80m-Hürdenlaufes für Frauen, "wo" die Läuferinnen in so geringen Abständen durchs Ziel gingen, daß die Kampfrichter die Reihenfolge nicht richtig erkennen konnten.

Auch für einige Ruderwettbewerbe wurden Zielaufnahmen gemacht; hierbei wurde jedoch auf die Messung der Zeit verzichtet und als Aufnahmekamera eine für den vorliegenden Zweck auf eine Bildfrequenz von 30 Bildern/Sekunde umgebaute Schmalfilmkamera benutzt; als Filmmaterial diente jedoch auch hier der Schnellumkehrfilm.
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Ein Artikel geschrieben nach dem Ende der 1936er Olympiade in Berlin
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