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H. von Studnitz schreibt über die Erfahrungen seines Lebens

Eine Ergänzung zum Thema : "Was ist Wahrheit ?" - 1974 hat Hans-Georg von Studnitz (geb. 1907) ein Buch über sein Leben geschrieben, aus dem ich hier wesentliche Absätze zitiere und referenziere. Es kommen eine Menge historischer Informationen vor, die heutzutage in 2018 wieder aktuell sind, zum Beispiel die ungelöste "Katalonien-Frage" aus 1936.

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Mit der Lufthansa einmal rund um die Welt

Meine Lufthansajahre gaben mir noch einmal die Möglichkeit, den Träumen meiner Jugend zu folgen und im großen Stil zu reisen. Mit Ausnahme der Sowjetunion und Chinas erschloß mir das Flugzeug alle Länder der Welt.

Ich verliebte mich in Thailand, in seine sanften Mädchen und schimmernden Seiden, in seine goldenen Pagoden und die venezianischen Szenen im Delta seiner Ströme.

Ich lernte Darryl Berrigan kennen, den amerikanischen Herausgeber der »Bangkok World«, der vom bunten Leben am Mekong nicht mehr loskam, bis er dort 1965 ermordet wurde.

Ich traf Mr. Thompson, einen anderen Yankee, der die siamesische Seidenindustrie zu neuem Ruhm erweckte und nach einem Essen im »Cameroon-Heights«-Hotel in Malaysia auf rätselhafte Weise verschwand.

Ich speiste bei Claude A. Clarac, den die Karriere von seinem Schloß an der Loire in einen tropischen Palast am Mekong verschlagen hatte, in dem er als Botschafter Frankreichs residierte.

Ich besuchte mit Ulli Schweinitz, dem deutschen Botschafter, thailändische Volksfeste. Ich verbrachte so manche Stunde bei Leopold Plessen, der, betreut von chinesischen Dienern, sein Alter in einem Bungalow ohne fließendes Wasser und elektrisches Licht zubrachte.

Ich flog mit Lutz Hartdegen in Gesellschaft von Mönchen und Bauern, Hühnern, Ziegen und Goldfischen in einer alten »DC 3« nach Chiengmai an der Grenze zu China und besuchte die von Hartdegen finanziell mitgetragene, von Dr. Chinda geleitete Leprasiedlung am River Ping. Wir fuhren ins Gebirge, weilten im Kloster Doi Sutep mit seinem von einem vergoldeten Drachen gestützten Treppengeländer und dinierten bei dem Bankier Kraisri zwischen Antiquitäten und jungen Mädchen, von denen eines am Rundfunk ansagte, das andere die Schönheitskönigin von Chiengmai war.

Ich flog auf die Philippinen und tanzte auf einem Ball zu Ehren des Präsidentenpaares mit Frauen, die eine ewige Jugend bewahrten. Fünfzig Jahre alt, Mütter vieler Kinder, verliehen ihnen malaiischer Charme, spanisches Blut und hochkarätiger Schmuck einmalige Schönheit.

Dann viele Wochen in Japan

Ich kam nach Japan, lebte viele Wochen im alten »Imperial-Hotel« von Tokio, einem von Frank Lloyd erbauten, erdbebensicheren Labyrinth, dessen skurriler Grundriß auf den Wunsch des Besitzers zurückging, sich den Nachstellungen seiner eifersüchtigen Frau besser entziehen zu können.

In dem Gewirr von toten Gängen, Zwischenstocks und verlorenen Flügeln kannte sich selbst das Personal nicht aus und stellte mir alle paar Tage fremdes Gepäck aufs Zimmer.

Nur die Zuhälter fanden sich hier zurecht. Sie erschienen schon morgens, während ich noch beim Rasieren war, um mir die Dienste ihrer Damen anzupreisen. Verließ ich das Hotel, so begegnete ich ihnen neuerlich, denn sie hatten den ganzen Bezirk mit einem doppelten Kordon von Spähern umgeben.

Die Amerikaner und die Japanerinnen

Als in San Francisco eine Maschine der »Japan Air Lines« bestieg, lernte ich begreifen, warum so viele amerikanische Besatzer sich in Japanerinnen vernarrten. Am Fuß der Gangway erwarteten uns die fernöstlichen Stewardessen in westlichen Schneiderkostümen, die sie mit Kimonos vertauschten, sobald der Start beendet war.

Die amerikanischen Urlauber, die ihre Ferien zwischen anspruchsvollen Frauen und unerzogenen Kindern, Geschirr spülend und als Babysitter absolviert hatten, wähnten sich in den Himmel versetzt.

Aus dem Halbschlummer erwachend, blickten sie auf weibliche Wesen, die ihnen kniend die derben Soldatenschuhe aus- und japanische Seidenpantoffeln anzogen, die ihre Stirn mit feuchten Tüchern betupften und nach ihren Wünschen fragten.

Die Weisheit der Regel, nach der man europäisch wohnen, chinesisch essen und eine Japanerin zur Frau nehmen soll, senkte sich tief in ihre Landsknechtseelen.

Die Modernisierung ihres Landes, den Aufprall westlicher Zivilisation auf eine uralte fernöstliche Kultur, bestand die Japanerin auf wunderbare Weise. In einem Lande, in dem der Computer den Samurai, die Gummilinse den Holzschnitt, die Hosteß die Geisha verdrängte, in dem der General McArthur den Tenno mattsetzte, verstand sie es, sich zu behaupten.

Noch einige japanische Wahrheiten

Die Emanzipation von einem häuslichen Wesen, dessen Brust weggeschnürt wurde, weil es für eine Schande galt, anders auszusehen als der Mann, zum Aktmodell der Nation hatte sie nicht zerstört.

Der Japaner war immer aggressiv, als Krieger, als Kaufmann, als Photograph. Wenn ich bei Sonnenaufgang in mein Hotel zurückkehrte, sah ich vor den Lanzengittern der Banken und Versicherungspaläste nackte Mädchen vor der Kamera posieren.

Ich wurde in Bars geführt, in denen der Preis für ein Getränk das Aktmodell, das Atelier und die Kamerabenutzung, sowie Film, Entwickeln und Abzüge einschloß. Ich besuchte Lokale, in denen sich die Kellnerinnen als Bräute, Seeleute und Sturmsoldaten verkleiden mußten, und ich war Gast von Industriekonzernen, die sich die letzten Geishas wie Rennpferde hielten.

Ich wurde immer wieder eingeladen, türkisch zu baden, weil der Japaner selbst Sauna und Massagen als Spesen absetzen darf, sofern sie in Gegenwart eines Ausländers genossen werden.

Ich verzehrte Kobe Beef, das zarteste Bruststück von Ochsen, die, mit Bier gemästet, täglich massiert worden waren. Ich bestellte Hemden, die morgens geschneidert, mittags anprobiert und abends getragen werden konnten.

Ich erstand Zuchtperlen, so groß, so edel, so schön, daß meine Frau sie nicht anlegen kann, ohne Juwelendiebe anzulocken. Ich besichtigte Vollblüter, deren zwergenhafte Stallknechte sich mit Stahlhelmen gegen Hufschläge schützten.

Ich benutzte Taxis, die von Kamikazefliegern gefahren wurden. Ich betrat Fabriken, die ihre Arbeiter auf Lebenszeit einstellen, und ich erlebte Erdstöße, die von Straßenpassanten wie ein Regenschauer hingenommen wurden.

Japan mit europäischen Augen gesehen

Ich hielt stundenlang im Kabuki-Theater aus, ohne von den feierlichen Abläufen auf der Bühne ein Wort zu verstehen.

Ich sah Revuen, deren Tänzerinnen sich vor dem Auftritt die Brüste ansaugen ließen, um dem amerikanischen Ideal eines stattlichen Busens besser zu entsprechen.

Ich verplauderte Abende mit jungen Dingern, die, zerbrechlich wie Orchideen, nur hundert Worte Englisch wußten, mit denen sie die gewagtesten Themen anschnitten, ohne jemals obszön zu werden.

Ich erfuhr, was Friedrich Sieburg meinte, der Japan als stählerne Blume beschrieb.

1962 - noch eine Weltreise in die Südsee

1962 umflog ich zum drittenmal die Welt mit der Südsee als Schwerpunkt. In Singapore stieg ein braunhäutiges Mädchen in einem Pariser Abendkleid zu, das aus einem kobaltblauen, von Metallfäden durchwirkten Seidenschal bestand, der sich um den schmalen Körper schlang und über der linken Hüfte zu einer dramatischen Sdiärpe faltete.

Über die nackten Schultern der Trägerin stürzten Kaskaden blauschwarzen Haares. Ihre bronzefarbenen Fesseln umspannten absatzlose goldene Sandalen, aus denen die rotlackierten Fußnägel wie Glühwürmchen lugten.

Das Mädchen war kein Passagier, sondern eine polynesische Stewardeß, das Pariser Abendkleid die Uniform der »Compagnie des Transports Aeriens Intercontinentaux« auf ihren südpazifischen Strecken.

Nach den herben normannischen Edelfräulein, die uns zwischen Paris und Bangkok umsorgten, erschien die Polynesierin wie der Herold einer anderen Welt. Sie kredenzte uns tahitanischen Punsch, den der koloniale Franzose Whisky und Coca Cola vorzieht.

Eindrücke aus Fanzösisch Polynesien

In Papeete schlug uns eine warme, von einem unsagbaren Aroma geschwängerte Welle tropischer Nachtluft entgegen. Eine Insel, die nach »Chanel« und »Rochas«, nach Hibiskus, Frangipani und Bougainvilla duftete. Über der Lagune, in die man die Landepiste eingelassen hat, wölbte sich ein milchiger Mond. Er beglänzte ein Korallenriff, an dem die Dünung der Südsee in langen Brechern zerschellte. Gegen den Baß der Brandung hoben sich die aus dem »Terminal« dringenden Laute wie erste und zweite Geigen ab.

Gestikulierende, schreiende, weinende, lachende Menschen empfingen uns. Unter ihnen Kinder in Muschelkleidern, Blumenmädchen, die uns mit Girlanden aus Tipanieblüten bekränzten, Mandolinenspieler, Zöllner und Paßbeamte. Tahiti umarmte Europa.

An dem süßen Leben auf diesen Inseln gemessen, führt der Süditaliener das Leben einer Arbeitsbiene. Alles wächst hier den Menschen in den Mund. Aber kein Eingeborener käme auf den Gedanken, die von ihm gehaltene Kuh zu melken. Milch und Butter werden aus Australien eingeflogen. Überall blühen Orangenbäume, aber der Zitrussaft in den Hotels fließt aus kalifornischen Konserven.

Allein die fetten kleinen Schweine, die auf dem Markt gehandelt werden, sind hier gemästet worden. Seezungen, Karanguen und Maito, der Lieblingsfisch der Polynesier, werden von einheimischen Fischern angelandet. Mehr tragen die Inseln zu ihrem täglichen Brot nicht bei. Die Preise sind gesalzen, und man fragt sich, woher die Insulaner das Geld nehmen, ihre Kinder so sauber zu kleiden und mit nagelneuen Fahrrädern und Mopeds auszurüsten.

Die Liebe auf Tahiti

Kinder gibt es in jeder Menge, kein Mädchen über siebzehn, das nicht schon Kinder geboren hätte, oft genug von Vätern, die sie nicht heiraten werden. Seit der Meuterei auf der »Bounty« ist die Liebe auf Tahiti immer wieder besungen worden.

Für Frau sagt der Polynesier »Vahine«, ein Wort, das nach Zauberei und Glück, nach Erotik und Mütterlichkeit klingt, ein unergründliches, launenhaftes Wort, das Paul Gauguin in seinen Bildern festhielt, ihn zwölf Jahre hier verweilen und auf den nahen Marquesas-Inseln sterben ließ.

Wer seine Kinder nicht ernähren kann oder nicht hochziehen will, verschenkt sie. Jeder reißt sich darum, Kinder zu adoptieren, am meisten Familien, die selbst kinderreich sind.

Über allen wacht der französische Gouverneur

Der über die Unschuld der Insulaner wachende französische Gouverneur lädt uns in seine Residenz. »Tenue legere« heißt es auf der Einladung. Politische Ruhestörer machen ihm nicht zu schaffen. Überhören sie seine Verwarnung, so läßt er sie nach Paris deportieren, wo sie in einem Milieu untergehen, für das sie nicht geschaffen sind.

Das Problem des Gouverneurs sind die amerikanischen Filmgesellschaften, die hier pausenlos Abenteuerstreifen drehen und aus der Bevölkerung Laiendarsteller zu horrenden Gagen verpflichten. Sein Problem sind die »Mariposa«-Witwen, die alle paar Wochen auf einem Kreuzfahrtschiff dieses Namens aus Kalifornien anreisen, nur mit Bastschürzen bekleidete einheimische Musikanten in eine gut gespielte Ekstase versetzen und Postkarten mit dem Satz beschreiben: »We enjoyed ourselves and did Tahiti in eight hours.« (»Wir haben uns gut unterhalten und Tahiti in acht Stunden geschafft.«)

Wenn sie sich einschiffen, spielt die Kapelle am Kai »Tamarii A Fetia«, eine Weise von den Kindern der Sterne, den Vahinen von Tahiti. Ein Chor fällt ein mit Stimmen, die sich wie die Glocken einer im Meere versunkenen Stadt anhören.
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Eindrücke aus Australien

Die Südseeinsulaner wissen nichts von Haien, die Australier leben mit ihnen wie mit Haustieren. Im Hafen von Sydney sind sie so gegenwärtig wie an den weitläufigen Stränden von Surfers Paradise unweit von Brisbane, das 287 Sonnentage im Jahre und Wassertemperaturen von 71,3 Grad Fahrenheit verzeichnet.

Wir folgen der »Shark Patrol«, einem Sportflugzeug, das die Küste abfliegt, nach Hairudeln späht und durch Wippen der Tragflächen die Badenden warnt, wenn Gefahr im Anzüge ist.

Wir erleben, wie junge Leute einen Achter bemannen, durch die Brandung schieben, auf die Haie losrudern und sie vertreiben. Man erteilt uns den Rat, nicht mit Hunden zu baden, weil die Haie das übelnehmen, und nennt uns Buchten als zum Baden geeignet, weil dort schon sechs Wochen nichts mehr passiert sei.

Wir lesen in der Presse von einer »menschlichen Tragödie«, wie sie sich nur in Australien ereignen kann. Von einem Mann, dem beim Tauchen der rechte Oberschenkel von einem Hai abgerissen wurde und der im Krankenhaus Pläne schmiedete, wie er sich an »seinem« Hai rächen könnte. Von einem Mann, der, kaum daß die Wunde vernarbt ist, wieder hinausschwimmt, um »seinen« Hai zu suchen. Dem es gelingt, die Bestie zu harpunieren und an Land zu bringen, nur um zu entdecken, daß er den »falschen« Hai erwischt hat, und der über dieses Mißgeschick in Tränen ausbricht und von der Presse bemitleidet wird.

Überall jede Menge Schlangen

Wir spielen Golf auf Plätzen, auf denen es von Schlangen wimmelt, von denen es in Australien mehr giftige Arten als in Indien gibt. Wir schlagen unseren Ball in ein »rough«, in dem das vor uns spielende Team gerade dabei ist, mit der »wedge« einer Viper den Kopf abzuschlagen.

Wir verlassen Sydney im Konvoi von Wochenendausflüglern, die auf dem Dach ihrer Volkswagen statt Skiern Surfbretter montiert haben. Wir durchfahren Wälder, deren verkohlte Stämme von Bränden zeugen, die niemals aufhören, Forste, die in ihren gespensterhaften Konturen den zerschossenen, verstümmelten, vergasten Wäldern gleichen, die der Erste Weltkrieg in Ostfrankreich hinterließ.

Wir sehen uns in einem Lande um, das dem England der Königin Viktoria gleicht; in dem Sonntags nicht einmal Fußball gespielt werden darf und die Samstage den Pferderennen vorbehalten sind; in dem der Totalisator Millionen umschlägt und der Wetter (der Wettbegeisterte) in Sydney auf dem Bildschirm audi die Rennen in Melbourne, Adelaide und Perth verfolgen und auf die dort startenden Pferde setzen kann.

Canberra - für Deutsche ist hier Norden eigentlich Süden

Wir reisen in einem Luxuszug, in dem jedes Abteil mit einer Toilette ausgestattet ist, die nachts nicht benutzbar ist, weil sie dem aus der Wand springenden Klappbett als Stütze dient.

Wir beobachten, wie die aus Europa verschwundenen großen Passagierschiffe mit italienischen und maltesischen Einwanderern einlaufen, Neubürgern, die den Australiern beibringen, daß man sich auch mit Gemüse ernähren kann.

Wir wohnen in Canberra in der Botschaft der Bundesrepublik, deren deutsche Erbauer übersahen, daß in Australien Norden Süden ist. Sie legten die Wohnräume auf die Nordseite, um mit dieser Disposition den Fehler zu vermeiden, der ihnen bei der Errichtung der Botschaft in Delhi unterlief, wo sie die Salons auf der im Sommer unbewohnbaren Südseite unterbrachten!

Wir nehmen Abschied von einem Kontinent, der gerade erst entdeckt hat, daß er nicht mehr zu Großbritannien gehört, sich mit den Chinesen arrangieren oder von den Amerikanern verteidigen lassen muß.

  • Anmerkung : "Wir" kommt jetzt recht oft vor. Hier ist Herr von Studnitz vermutlich mit seiner Frau unterwegs gewesen.

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