Ein ganz seltener Einblick in die Anfänge des Fernsehens
von Gert Redlich im Feb. 2015 - Nur noch in ganz wenigen Publikationen wird bildlich anschaulich und wahrgheits- gemäß dargestellt, wie mühsam der Beginn des "Deutschen Fernsehens" nach 1950/51 war. Anfänglich so um 1951 gab es wirklich nur ganz ganz wenige "Fernseher", gemeint sind nicht die interessierten Zuschauer, sondern die damaligen Empfangs- geräte, die Fernseh-Apparate.
Auch war das Programm im Vergleich zu Heute (2014) eine kleine oder mittlere Katastrophe. Doch man muß bei zu vielem Meckern auch die technischen und personellen und küstlerischen Bedingungen kennen, unter denen das ab 1951 alles "gemacht" wurde.
In den "fernseh informationen " des Hans Schaefer und Dr. Kurt Wagenführ von 1951 bis weit nach 1980 ist auf 6 "Regal-Metern" ausführlich und vor allem wöchentlich authentisch und akribisch aufgeschrieben und dargestellt worden, worüber die damaligen "Fernsehmacher" überall gestolpert waren und gegen wen sie kämpfen mußten.
In den historischen Rückblicken der deutschen "Robert Bosch Fernseh GmbH" in Darmstadt finden Sie auch eine Menge an technischen Einblicken, womit damals "Fernsehen" gemacht wurde.
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Eine Beispiel-Seite aus dem Programm des 7. September 1957
Klicken Sie bitte mal auf das nebenstehende Bild, um sich das Verhältnis von Rundfunk und Fernsehen im September 1957 in Berlin anzusehen. Das ist ja nur die eine (rechte) Hälfte der Doppelseite des 7. September (Sonnabend) aus 1957.
Das Tages-Programm im Fernsehen ist noch recht dürftig, obwohl es an diesem Samstag bereits um 13.30 mit einer Live-Sportsendung aus den Niederlanden beginnt. Und nach dem "Hauptfilm" um 20.15 ist es auch schon wieder vorbei.
Für uns hier im südwestlichen Westen der damaligen jungen Republik ist das bei uns so genannte Ostzonen- Programm immer wieder eine Besonderheit. Das kannten wir nun mal gar nicht.
Weiterhin fällt auf, daß, wenn noch Platz war, ganz rechts außen eine Spalte mit Trivial-Storys gefüttert wurde, sowie unten weitere "volkserzieherische" Bilder. Das entsprach dem damaligen Zeitgeist und dieser Zeitgeist hat sich aus den 12 Jahren eines tausendjährigen Reiches zuvor herüber gerettet.
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Das Radioprogramm war für Berlin bereits recht vielfältig
Es gab da auf der Mittelwelle den "RIAS 1" und "RIAS 2" und "Freies Berlin 1" und "Freies Berlin 2" und den "NDR/WDR" und auch schon den NDR auf UKW. Das war etwas Besonderes, denn UKW war ja auch noch recht neu. Von den ostzonalen Sendern wurde der "Berliner Rundfunk" und "Radio DDR" und der Deutschlandsender aufgeführt, auf Mittelwelle und auch schon auf UKW.
Doch wenden wir uns dem Fernsehen zu:
1957 im September - Ein Woche Fernsehen in Berlin
Die kapitalistische West-Insel Berlin wurde überwiegend von den ARD Anstalten über die Dezimeter-Richtfunkstrecke aus der Gegend von Helmstedt gefüttert bzw. versorgt. Diese Richtfunkstrecke war zu der Zeit noch "eingleisig", also entweder nach Berlin oder von Berlin.
Schaun wir uns die 7 Programme mal etwas an:
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Vor den Details ein Blick auf die Kritiken :
Auf einer ganzen Seite finden wir Kommentare und Kritiken zum aktuellen Fernsehprogramm aus Sept. 1957. Da sollten Sie mal schmökern.
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1957 - im September - STIMMEN ZUM FERNSEHEN
Auf den hinteren Seiten habe ich eine ganze Seite mit Kritiken und Leserbriefen gefunden. Die sind sehr informativ für das Anspruchsdenken und den Zeitgeist von 1957.
Unser Kritiker (ein Redakteur der Radio Revue) meint:
Eine Programm-Woche wie die vorliegende läßt sich nicht mehr mit sauren Gurken oder Geldmangel entschuldigen. Der Zuschauer nimmt das nicht mehr ab, der noch zu Werbende blickt verständnislos, sagt man ihm den Ablauf der sieben Tage. Denn hauptsächlich wurden geboten: Wiederholungen, Zaubern, Kleinkunst, Kulturfilm, Trachtentänze und ähnliches.
Zu einem einzigen neuen Fernsehspiel raffte sich das Deutsche Fernsehen auf. Ein Spiel von 35 Minuten Dauer: Bayerischer Rundfunk, das „Abschieds-Souper" von Arthur Schnitzler. Charles Regnier hat die Kleinigkeit mit feiner Hand in Szene gesetzt. Es soupieren zwei Herren, zu denen sich eine Dame gesellt. Nach einigen Gläsern Sekt wird es dem Zuschauer klar, daß die Dame in Liebesdingen diskreter als einer der Herren ist. Worauf sie verschwinden kann und der Einakter sein Ende hat. Die Musikeinblendungen und das Bühnenbild rundeten die Wiener Vorweltkriegsstimmung freundlich chevaleresk ab. Dieses Souper hätte Vorspeise sein können und müssen - für eine Flut guter Programme. Es war aber lediglich Salz in einer Wassersuppe.
Denn was wurde sonst geliefert?
Hamburg kam mit etwas edukation-süchtigen Schölermanns auf den Bildschirm und machte für Worpswede Reklame. Aber nett ist dieser Ausflug der guten Vier sonst gewesen. Ein paar dramaturgische Fehler haben die Auflösung von angedeuteten Handlungskonflikten verhindert. Hinterher wurde Volkstanz getrieben. Hamburg hat an anderem Abend den Film „Lied der Wildbahn" gezeigt und seine ganze Programmzeit mit Rehen, Hirschen und sonstigem Getier gefüllt, zu denen ein tiefempfindender Sprecher einen tiefempfundenen Allerweltstext sprach, wie er solchen Kulturfilmen gewöhnlich anhängt.
Hamburg ist an weiterem Abend mit den drei bewährten Journalisten in Manila und Bangkok gewesen, ohne daß diese allzu tief in die geistige Tasche griffen. Und dann „Maxim auf Reisen". Ob dieser säuerliche Apfelsaft-Cocktail der leichten Muse nun auf Reisen oder zu Hause genossen wird, ändert nichts daran, daß langsam ein Löffel Bullrich notwendig wird.
Aber, der Berliner würde sagen: „immer feste druff".
Man trägt eben noch immer Travemünde. Und so wird dieses Maxim weiterhin den gepflegten deutschen Bildschirm zieren. Noch etwas aus Hamburg: Wiederholung des „Wildschütz" und damit ein kleiner Ersatz für den am vorherigen Wochenende durch Regen ausgefallenen Opernabend. Außer dem Südwestfunk mit der verfrühten und bildlich dämmerlichen Wiederholung des „Schinderhannes" hat sich nur noch Bayern gemeldet.
Der Allroundman aus München, Robert Lembke, mischte unter dem neuartigen Titel „Wunschkonzert" einen Filmauflauf aus Resten. Die Ankündigung besagte, daß der geneigte Zuschauer seinen lieben Erinnerungen wird frönen können. Er erwartete zumindest ein Konglomerat von Streifchen auf der alten deutschen Filmzeit, die ein Stück Filmgeschichte war. Er bekam herausgerissene Zelluloidbänder, die teils sogar schon einmal im Fernsehen liefen, die auf jeden Fall nicht mehr als Bissen waren, die schnell wieder vom Munde weggenommen wurden, ehe sie schmecken konnten, was sonst der Filmindustrie nicht geschmeckt hätte. Alles Ausschnitte von Nachkriegsfilmen mit dem für Ausschnitte typischen Ärger.
Da spielt die Mutter wehmütig Klavier und weiß, daß im selben Hause ihr Sohn verborgen ist. Da hört der Junge Mama. Sie ist erregt, er ist erregt. Am erregtesten ist der Zuschauer, der an Stelle von Mutter und Sohn lediglich wieder Robert Lembke sieht. Solch eine Sendung soll in Fortsetzungen weitergehen! Doch warum nicht?
Patina oder Fortschritt aus München
München geht beispielsweise auch ohne Rücksicht auf Patina oder Fortschritt im raschen Tempo mit seiner Reihe „Was bin ich" weiter. In diesem Fall als Sonnabend-Programm. Hier Lembke ohne Film und die Hand am Hebel. Dafür mit Struppi und die Hand am zu verteilenden Geld. Eigentlich nicht ganz verständlich, wie ein Mann von echtem bayerischen Charme und offensichtlicher Klugheit die Grenzen seiner Sendungen und Kommentare nicht erkennt.
Der Bayerische Rundfunk ließ davor fleißig Tauben aus Zylinderhüten verschwinden und den seit fünf Jahren bekannten Fernseh-Hokuspokus machen. Was neu war, ist der Titel dieser Zauberei: „Dafür wurde man früher verbrannt." Und das ist das Beruhigende: Wenn schon nichts innerhalb der Sendungen ist, dann besticht wenigstens die Überschrift.
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- Anmerkung: Das ist sogar heute nach 55 Jahren noch so, die Überschrift reißerisch, der Inhalt absolut hohl.
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Ein Lichtblick für nächste Woche
Nur gut, daß der Blick auf die kommende Woche wieder ein paar Lichter zeigt. Nur gut, daß der diese Kritiken Unterzeichnende im Grunde mit einigen wenigen guten Darbietungen innerhalb eines Monats zufrieden ist.
Allein, das ist sein Privatvergnügen. Die Aufgabe, mitzuhelfen, daß endlich ein solider und kompakter Fernsehdienst entsteht, gebietet es ihm - soweit wie möglich -, einen vollständigen Abriß des Geschehens auf dem Bildschirm zu geben. Um zu warnen, anzufeuern und zu erhoffen, daß einer zahlenden Zuschauermenge von fast einer Million gegenüber endlich Verantwortlichkeit gezeigt wird.
Matthias Riehl in Berlin im September 1957
Leserkommentare : . . . und was meinen Sie?
Hier äußern unsere Leser ihre Meinung, die nicht unbedingt mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen muß.
• Ihre Kritiker und viele Ihrer Leser bemängeln in ihren Briefen an Sie immer wieder die mangelnde Qualität und das niedere Niveau der Fernsehsendungen. Sie müssen mit ihrer Meinung ziemlich allein stehen, denn was jetzt die Parteien in der ihnen (für mich unverständlicherweise) zur Verfügung gestellten Sendezeit bringen, das ist doch wohl noch weit unter dem Niveau und dem Können der übrigen Fernsehsendungen. Ich schreibe Ihnen dies nur, weil ich weiß, daß die Parteien doch sehr viel Geld dafür ausgeben, den Geschmack der breiten Masse testen zu lassen. Also, wenn sie diese Publikumsanalysen richtig ausgewertet haben, dann muß doch Inhalt und Darstellung ihrer Sendungen dem allgemeinen Geschmack entsprechend sein. Denn die Parteien wollen ja noch Leute gewinnen — vom staatlichen Fernsehen aber hat man nicht immer den Eindruck. P. D., Koblenz
• Hab Dank, liebe RADIO-REVUE, für Deine Seite über Agnes Fink. Wir konnten ja gerade die große Schauspielerin auch wieder im „Schinderhannes" bewundern. Du tust ein gutes Werk daran, diese echten Bühnendarsteller, die ihren Weg zum Fernsehen gefunden haben, einmal groß herauszustellen. Ich würde als nächstes vielleicht einmal Siegfried Lowitz in großen Bildern innerhalb Ihrer Zeitung vorstellen und dann Josef Dahmen. Otto H., Berlin-Grunewald
• Wozu gibt es eigentlich die verschiedenen Sendestationen, wenn doch alle am Abend das gleiche Programm ausstrahlen, selbst wenn es unsinnig ist, wie Wahlsendungen in Berlin. Warum kann man dann nicht (also anstelle dieser Wahlsendungen) für die Berliner Teilnehmer entweder eine kulturelle Reportage einblenden oder einen Kurzfilm zeigen? Wenn diese Wahlsendungen wenigstens noch allgemein interessant wären. Wie sieht das nun aus, wenn dann im nächsten Jahr Berlin wählt? Müssen sich dann die Westdeutschen auch wieder unsere Wahlen und vorher die langweiligen Reden ansehen? K. P., Siemensstadt
• In Deutschland wird also auch jetzt zum erstenmal der Wähler über den Bildschiim angesprochen. Ich finde das gut und auch wirksam. Frage ist nur, ob man mit solchen Wahlsendungen Programmzeit füllen soll, anstatt sie nach Beendigung oder vor das übliche Zweistundenprogramm zu legen. Oder ist dies ein weiterer Versuch, die Fernsehsendungen von Monat zu Monat billiger zu machen, damit mehr Beamte in den Rundfunkstationen ihre Gehälter bekommen können? Gertrud G., München
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