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Tagesaktuelle Gedanken - Aufzeichnungen von 1943 bis 1945

Dieses Kriegs-Tagebuch gibt uns einen sehr nachdenklichen Eindruck von dem, das in den oberen Sphären der Politik und der Diplomatie gedacht wurde und bekannt war. In ganz vielen eupho- rischen Fernseh-Büchern, die bei uns vorliegen, wird das Fernsehen ab 1936 in den Mittelpunkt des Weltinteresses gestellt - und hier kommt es überhaupt nicht vor. Auch das Magnetophon kommt hier nicht vor. Alleine vom Radio wird öfter gesprochen. In den damaligen diplomatischen und höchsten politischen Kreisen hatten ganz andere Tagesthemen Vorrang. Und das kann man hier sehr authentisch nachlesen. Im übrigen ist es sehr ähnlich zu den wöchentlichen Berichten des Dr. Wagenführ in seinen Fernseh Informationen.

Diese Aufzeichnungen hier sind aber 1963 - also 20 Jahre danach - getextet worden und wir wissen nicht, ob einzelne Absätze nicht doch etwas aufgehübscht wurden. Auch wurde das Buch 1963 für die alte (Kriegs-) Generation geschrieben, die das alles noch erlebt hatte.

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Februar 1943 - ein Blick nach Amerika mit Vergleich zu uns

Margret Boveri schreibt in der »Frankfurter Zeitung«, daß in den meisten amerikanischen Haushalten das Radio von morgens bis abends laufe und sich aus diesem Dauerhören ein Dämmerzustand entwickelt habe, dessen letztes Ergebnis die Radiotaubheit des Publikums sei.

In einem ähnlichen Zustand befindet sich heute das deutsche Volk.

Die Nivellierung des geistigen Lebens, die ständige Wiederholung der gleichen Schlagworte haben das Volk abgestumpft. Bis zu welchem Grade, zeigte die Stalingrad-Krise. Obwohl Heeresbericht und Presse den Ernst der Situation hervorhoben und weiter bemüht bleiben, die Lage an der Ostfront realistisch zu schildern, gelingt es ihnen nicht, die Apathie der Massen zu durchstoßen.

Politische Kommentare im Radio und in den Zeitungen gleiten an den Menschen ab wie Regen an einem wasserdichten Überzug.

Seite 27 - deutsche Bürokratie

Heute war Else F. bei uns. Sie lebt getrennt von ihrem Mann in Kitzbühel, wo sie seit 1939 ein Haus gemietet und möbliert hat. Am 2. Februar erhielt sie von dem Bürgermeister von Kitzbühel ein Schreiben, in dem ihr die Aufenthaltserlaubnis am Ort entzogen und sie aufgefordert wurde, ihre Wohnung bis zum 10. Februar zu räumen.

Seitdem ist die Bedauernswerte zwischen Berlin, München, Salzburg und Innsbruck unterwegs, um einen Aufschub dieser Exmittierung zu erhalten. Der Tiroler Gauleiter Hofer, der Staatssekretär für den Fremdenverkehr, Esser, Reichminister Goebbels, die Reichskanzlei und die Gestapo wurden von ihr bemüht, ohne daß es bisher gelungen ist, die Frage der Zuständigkeit zu klären. Niemand weiß, auf wen der Ausweisungsbefehl zurückgeht. Unsere Freundin besitzt ein Haus in München, das sie an einen Major der Luftwaffe vermietet hat und dem sie nun kündigen muß.

Ein Beispiel für die Unordnung, die »kriegsnotwendige« Maßnahmen in Einzelfällen hervorrufen.

Feindpropaganda aus Warschau

Vor einigen Tagen erhielt ich mit der Post aus Warschau ein Flugblatt, in dem ich als Träger eines slawischen Namens aufgefordert werde, Tschechisch oder Polnisch zu lernen. Die Errichtung eines slawischen Großreiches, das von Warschau bis Magdeburg reichen werden, stehe bevor, und es sei die Stunde gekommen, wo sich die Träger eines slawischen Namens in die Front des slawischen Großreiches einreihen. Das Blatt war mit »Heil Slawia« unterschrieben.

Seite 28 - Mittwoch, den 17. Februar 1943 - Das Militär und die Adligen

Richthofen wurde zum vierten Feldmarschall der Luftwaffe ernannt. Andere Feldmarschalle sind: Brauchitsch, Keitel, Rundstedt, Kluge, Bock, Witzleben, Milch, Kesselring, Sperrle, Weichs, Busch, Rommel, Manstein, Kleist, Model und Paulus. Reichenau verstarb, und Blomberg lebt im Ruhestand.

Die Marine besitzt in Raeder und Dönitz zwei Großadmirale. Elf dieser Marschälle entstammen adligen Familien. Seit den napoleonischen Tagen hat der Kontinent nicht so viele Träger des Marschallstabes gesehen. Der populärste von ihnen ist Rommel, wenngleich man lange nichts von ihm gehört hat.

In dieser schnellebigen Zeit sind Namen bald vergessen. Neulich staute sich in der Garderobe des Hotel »Eden« eine kleine Anzahl Neugieriger vor einem dort abgehängten Marschallsmantel. Es wurde darüber dikutiert, wem dieses Uniforrnstück gehören könne. Die Mehrzahl, darunter die Garderobiere, war der Ansicht, der Mantel müsse dem Marschall Mannerberg gehören, den es gar nicht gibt. Schließlich verbesserte man sich auf Mannersheim, auf Manstein kam niemand!
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Einberufung der Jahrgänge 1924, 1925 und 1926 in der Sowjetunion

Die jetzt in der Sowjetunion zur Einberufung gelangenden Jahrgänge 1924, 1925 und 1926 werden auf je 1,4 resp. 1,5 Millionen Rekruten geschätzt.

Die gleichen Jahrgänge bei uns sollen nur 400.000 resp. 420.000 Mann stark sein. Die Russen melden den Fall von Charkow (Anmerkung - in der Ukraine). Nach unseren Informationen wird am Stadtrand noch gekämpft. Bei der Verteidigung Charkows fiel am 27. März vorigen Jahres (1942) mein Bruder Rüdiger.

Über den Umgang mit Kriegsgefangenen

Eine neue Vorschrift verbietet fremden Staatsangehörigen und Staatenlosen den Umgang mit Kriegsgefangenen innerhalb des Reichsgebietes. Diese Verordnung, die sich bisher nur auf Reichsdeutsche erstreckte, hat immer wieder zu Schwierigkeiten geführt.

Auf dem Lande läßt sich ein menschlicher Umgang mit den Kriegsgefangenen gar nicht vermeiden, zumal wenn der Bauer im Feld ist und der Kriegsgefangene ihn als Arbeiter ersetzt. Die Maßnahme rührt aus der Verärgerung des Regimes über den Mangel an Haß gegenüber dem Feind.

Waren die Deutschen früher bessere Hasser? Aus dem ersten Weltkrieg glaube ich mich zu erinnern, daß wir Schulbuben !! die Franzosen, Engländer und Russen haßten. Heute wird man kaum jemanden antreffen, der von diesem Haß erfüllt ist.

Selbst nach Luftangriffen, die der Bevölkerung große Schäden zufügen, vernimmt man kaum Äußerungen gegen den Feind. Soweit die Bevölkerung Antipathien empfindet, sind sie nicht nationalen, sondern sozialen Ursprungs. Die unteren Schichten lassen sich gegen britische »Plutokraten« eher einnehmen als gegen die Russen. Bei dem materiell besser Gestellten ist es umgekehrt.

Es wäre interessant zu wissen, wie dies auf der anderen Seite ist. Soweit sich dies von hier beurteilen läßt, v/erden die Deutschen am meisten von den Norwegern, Holländern und Polen gehaßt, dann von Tschechen und Serben. Am wenigsten hassen uns die Franzosen. In Großbritannien hassen uns wahrscheinlich mehr Leute als in den Vereinigten Staaten.

Freitag, 19. Februar 1943 - Subhas Chandra Bose, der Inder

Subhas Chandra Bose steht im Begriff, seine hiesige Tätigkeit abzuschließen. Er gelangte vor etwa zwei Jahren nach einer abenteuerlichen Reise durch die Sowjetunion nach Berlin, wobei er zunächst unter einem Pseudonym lebte. Dann wurde dieses gelüftet, und Bose sprach allwöchentlich über den Rundfunk nach Indien.

Unter seiner Leitung wurde eine »Zentrale Freies Indien« gegründet, in der sich die in Deutschland und den besetzten Gebieten lebenden Inder sammelten. Bose wurde einmal vom Führer und zweimal oder dreimal vom RAM (Reichs-Außen-Minister Ribbentrop) empfangen.

Ich kam dienstlich und privat häufiger mit ihm zusammen. Von Gandhi, Nehru und anderen indischen Führern unterschied sich Bose durch seine kompromißlose Feindschaft gegen England. Auch als Sozialreformer hatte er wesentlich radikalere Ideen als andere indische Führer. Jahrelang war der Kommunismus sein Vorbild.

In der Behandlung Boses durch deutsche Stellen bestätigten sich Tirpitz' Prophezeiungen, daß wir zur Weltmacht nicht reif sind. Zwar wurde alles getan, um dem exotischen Gast das Leben äußerlich so angenehm wie möglich zu machen. Er bezog eine Villa in der Sophienstraße, die dem letzten amerikanischen Geschäftsträger als Wohnung gedient hatte. Das Haus wurde aus dem Möbellager des Auswärtigen Amtes equipiert (ausgestattet).

Ein fast diplomatischer Status

In der Liechtensteinallee im Tiergarten erhielt der indische Führer ein gediegen eingerichtetes Büro. Man gab ihm ein Auto mit Chauffeur, Dienerschaft und die gleichen Nahrungsmittelrationen wie ausländischen Diplomaten. Mit der Zeit entstand um Bose ein kleiner Hofstaat, der sich aus Indern und Deutschen zusammensetzte. Er hielt Verbindung zu den indischen Kriegsgefangenen, zu den Amtsstellen in Berlin und befaßte sich mit der Herausgabe einer Zeitschrift »Azad Hind«, die zweimonatlich von Professor Bhatta in Deutsch und Englisch herausgegeben und meiner Aufsicht unterstellt wurde.

Großen Einfluß auf Bose nahm Fräulein Schenkel, die er als Student in Wien kennengelernt und später zu seiner Mitarbeiterin gemacht hatte.

Die Betreuung Boses und die Modellierung der deutschen Indienpolitik wechselte mehrmals. Zunächst nahm Unterstaatssekretär Woermann diese Aufgabe wahr. Dann trat Staatssekretär Z.b.V. Keppler, ein alter Nationalsozialist, an seine Stelle. Adam von Trott zu Solz wurde ihm beigegeben. Zum Sonderreferat Indien gehörten Professor Alsdorf, Furtwängler, Dr. Werth, und Dr. Assmann. Nambiar, Hassan und Habibur Rahman bildeten die engere indische Umgebung Boses.

Wie man jemanden am ausgestreckten Arm verhungern läßt

Die Frage, welchen Nutzen Böses Berliner Gastrolle für die deutsche Politik abwarf, ist schwer zu beantworten. Verschiedentlich trat die indische Entwicklung in ein Stadium, in der Boses Anwesenheit einen nicht zu unterschätzenden Trumpf hätte bedeuten können. Diese Gelegenheiten wurden jedoch so gut wie ungenutzt gelassen.

Als Sir Stafford Cripps in Indien weilte, war für die Achsenmächte ein günstiger Augenblick gekommen, ihre Politik gegenüber Indien zu erklären. Obwohl es an Vorschlägen in dieser Richtung nicht fehlte, erfolgte schließlich nichts. In letzter Minute wurden von allen möglichen Stellen immer wieder Bedenken vorgebracht, die alle Pläne zerschlugen. Daß Bose bald an der Ehrlichkeit der deutschen Absichten zu zweifeln begann, war kein Wunder. Zeitweise litt er unter Depressionen, die er während der zweiten Hälfte seines Aufenthaltes durch Reisen nach Rom, Paris, Prag und Wien zu lindern suchte.

Alles in allem dürfte sich bei diesem indischen Führer die Auffassung festgesetzt haben, daß den Deutschen so wenig zu trauen ist wie den Engländern. Der schmeichelhafte äußere Aufwand konnte Boses Verstimmung über unsere schwankende Indienpolitk nicht beheben. Er fühlte sich wie ein Vogel im goldenen Käfig.

Zudem wurde ihm der Kontakt mit führenden Männern der Reichspolitik so schwer wie möglich gemacht. Während indische Politiker in England jede Freiheit genießen und Besprechungen mit allen führenden Leuten pflegen können, wurden Böse und Nambiar kaum beachtet.

Sonntag, den 20. Februar 1943 - KDF = »Kraft durch Furcht«

Die »Times« faßt ihren Kommentar zur vorgestrigen Goebbels-Rede in dem Satz zusammen, daß versucht worden sei, »Kraft durch Furcht« hervorzurufen. Leider ist daran viel Wahres.

Auch hier macht man sich zunehmend Gedanken darüber, ob es zweckmäßig ist, den Leuten solche Angst vor dem Bolschewismus einzujagen, wie das jetzt geschieht. Man fragt sich, ob diese offizielle Panikmache das geeignete Mittel ist, die Kräfte des Volkes zu steigern?

Ebenso wenig angebracht sind die ständigen Drohungen, die Goebbels im Sportpalast und in Artikeln im »Reich« gegen eine kleine Schicht von Drückebergern ausstößt. Warum nennt man diese Leute nicht beim Namen?

Seite 32 - Montag, den 22. Februar 1943 - 30 Stunden bis Rom

Nach einer Reise von dreißig Stunden fand ich im Hotel »Savoy«, einem alten, aber nicht unbequemen Haus in der Via Ludovici, Quartier.

Bis Verona hatte ich einen Abteilgenossen in Gestalt eines deutschen Geschäftsmannes. Kaum hatten wir die Grenze überschritten, so kaufte er fünf Flaschen Bier, zwei Flaschen Marsala und eine Flasche Barolo, die er im Laufe von drei Stunden leerte.

Als ich ihn fragte, wie er das schaffe, erklärte er mir, er habe anderthalb Tage vor der Abfahrt aus Berlin keinen Tropfen mehr getrunken, um nachts nicht den unbequemen Weg aus dem Schlafabteil in die Toilette machen zu müssen. Jetzt hole er das Versäumte nach.

Rom erstrahlte im ersten Frühlingslicht. Die Stadt ist voller Bombenflüchtlinge aus Mailand und anderen oberitalienischen Städten, zu denen sich Familien aus Sizilien gesellen, die die Erklärung Süditaliens zur Kriegszone von dort vertrieb.

Bars und Nachtlokale sind geschlossen.

Die berühmten römischen Backwaren gibt es nicht mehr, auch nicht bei Rosati, dessen Konditorei bis 1941 eine Oase der kuchenbedürftigen Nachmittagswelt war. Guten Tee kann man dort noch bekommen.

In allen Gaststätten gibt es ein vorzügliches gekochtes Einheitsmenü, dessen Preis dreißig bis vierzig Lire beträgt. Die Portionen sind nicht mehr ausreichend, so daß ich eines Abends hintereinander bei Ascensio und Fagiano aß und gerade satt wurde.

Für Reisende werden Brot und Spaghettikarten ausgegeben. Gegen hohen Aufschlag erhält man vieles extra serviert, was offiziell nicht erlaubt ist. Die Auslagen der Läden sind weniger reichhaltig als früher, aber immer noch so, daß sie friedensmäßig anmuten. Der Einkauf für Fremde ist schwierig, da man eine Punktkarte benötigt.

Den Verkauf der berühmten Lederwaren hat man eingestellt, doch werden so hübsche Imitationen angeboten, daß man auf den ersten Blick das Surrogat (die Kopie bzw. der Ersatz) nicht erkennt. Die wärmende Sonne, die Farben der Häuser, die vom zarten Gelb bis zum kräftigen Ocker spielen, die Blumenstände voller Mimosen, Magnolien, Nelken, Tulpen und Pfirsichzweige, die Heiterkeit der Passanten, die ganze südliche Atmosphäre hat der Krieg nicht zerstören können. Rom ist Rom geblieben.

Rom - Dienstag, den 23. Februar 1943

Gestern mittag aß ich bei Hahn, der als Vertreter des deutschen Nachrichtenbüros vordem in Genf, Wien, Budapest, London und Den Haag tätig war.

Abends sah ich Karl Clemm, der in Trastevere, Piazza della Gensola No. 11 den Palast des kürzlich verstorbenen Protokollchefs Geisser-Celesia bewohnt. Clemm und seine schöne Frau Veronika, die Schwester meines Freundes Fritz Globig, wurden nach Rom entsandt, um die dortige deutsche Botschaft gesellschaftlich zu unterstützen.

Nachdem die Fürstin Elisa Colonna den Clemms das gesellschaftliche Placet erteilt hatte, machten sie sich in Rom schnell eine gute Stellung.

Das Haus, das Karl und Veronika gemietet haben, wurde einmal von einem Deutsch-Syrier namens Seyur bewohnt, der als Attache der deutschen Botschaft in Buenos Aires eine um zwanzig Jahre ältere Dame der Bonarenser Gesellschaft geheiratet hatte. Das Paar wurde dann nach Kowno versetzt, wo Mme. Seyur unter den Unbilden des Winters so litt, daß Seyur den Dienst quittierte und nach Rom übersiedelte.

Rückkehr der 200.000 Italiener gefordert

Clemm hatte zwei Wirtschaftsexperten eingeladen, Baron Schmidt-Müller, trotz seines Namens Italiener, der als Sachverständiger bei der italienischen Botschaft in Berlin tätig ist, und den Ministerialrat Freiherr von Süßkind, der mit Clodius zu Verhandlungen in Rom weilte.

Unseren Hauptgesprächsstoff bildete das italienische Anliegen wegen Rückkehr der 200.000 im Reich tätigen italienischen Arbeiter. Die Italiener begründen diesen Wunsch mit Clearingsschwierigkeiten. Ihre Forderung ist jedoch politischen Charakters, was Michi Lanza mir bestätigte.

Die italienische Regierung fürchtet, daß mit der zunehmenden Totalisierung des Krieges Disziplinarmaßnahmen gegen die in Deutschland befindlichen Fremdarbeiter ergriffen werden, und wünscht, daraus entstehende Komplikationen zu vermeiden.

Unser Standpunkt ist, daß Deutschland seine Flakbatterien nach Italien ohne Vorbehalte schickt und Italien mit seinen Arbeitern nicht anders verfahren sollte. Die deutschen Flakdivisionen zum Schutz italienischer Industrieobjekte (mt angelich 22.000 Mann) werden sogar von Deutschland aus verpflegt und mit Munition versorgt, ohne daß dies die Italiener eine Lira kostet. Die Italiener beklagen sich weiter, daß deutscherseits der italienischen Wirtschaft jede Beteiligung an Unternehmungen in den neu gewonnenen Gebieten verweigert werde, was in Rom und Mailand Verärgerung auslöse.

Rom - Mittwoch, den 24. Februar 1943

Mittags bei Erda Doertenbach, deren Mann in der deutschen Botschaft Dienst tut. Die Doertenbachs zählen zum Stuttgarter Patriziat, sind Inhaber einer Privatbank und durch Heirat mit der Textilindustriellenfamilie Benger verwandt. Erda Doertenbach entstammt der schlesischen Adelsfamilie Roedern. Vor ihrer Heirat betätigte sie sich erfolgreich als Journalistin.

Während der Saarabstimmung leistete sie, begünstigt durch ihre Verwandtschaft zu den Saar-Stumms, der deutschen Sache wertvolle Dienste. Doertenbach setzt die schwäbische Tradition im Auswärtigen Amt fort, die durch Namen, wie Kiderlen-Wächter, Marschall, Weizsäcker und Neurath etabliert wurde. Abends traf ich Borch, den früheren Vertreter der »DAZ« in Rom, der jetzt als Gehilfe der beiden Presseattaches Mollier und Leithe-Jaspar eine Verwendung an der Botschaft gefunden hat.

Anschließend sollte ich mit Borch auf einen Empfang gehen, den der Botschafter von Mackensen für die neue italienische Regierung gab. Es verstrich jedoch Stunde um Stunde, ohne daß die angekündigte Einladung des Botschafters eintraf. Mackensen ist berüchtigt für seine Kleinlichkeit in Protokollfragen.

Als ich vor zwei Jahren in Begleitung des Gesandten Schmidt, der als Abteilungsleiter im Range eines Ministerialdirektors steht, mich mehrere Tage in Rom aufhielt, begnügte sich Mackensen damit, Schmidt zum schwarzen Kaffee einzuladen. Mackensen entschuldigte sich später, er habe den Kreis für den Empfang auf neunzig Personen beschränken müssen. Auch der Gesandte Clodius, eine Spitzenpersönlichkeit im Auswärtigen Amt und Leiter der deutschen Außenhandelspolitik, wurde von Mackensen erst nach dem Essen gebeten. Er rächte sich dadurch, daß er um Mitternacht erschien, als die meisten Gäste gegangen waren.

Rom - Donnerstag, den 25. Februar 1943 - Frühstück mit Bismarck

Auf einem Frühstück mit Otto Bismarck im römischen Golfclub traf ich das ganze »Ciano-Set« beisammen. Mit uns aßen die Fürstin Bismarck, die einen Seehundmantel trug, Graf Campello, die Fürstin Ruffo, Graf und Gräfin Manolino Borromeo. Auch Hansi Plessen und Sandro Doernberg waren anwesend, letzterer als Vorläufer Ribbentrops, der für den Abend erwartet wurde.

An den Nebentischen sah man die Clemms, Ciano, Marcelino und Cyprienne del Drago, Anfuso, den Gouverneur von Rom, Paolo Borghese und Don Jaime, den taubstummen zweiten Sohn des Königs von Spanien.

Während des Frühstücks fiel kaum ein Wort Italienisch. Englisch und Deutsch beherrschten die Unterhaltung der römischen Hautevolee, deren Frauen vielfach Amerikanerinnen sind.

Die tonangebende Stellung der Bismarcks und Clemms ist augenfällig. Jeder drängt sich in ihre Nähe. Während in internationalen Zentren die Deutschen meist nur eine geduldige Rolle spielen, ist es hier umgekehrt. Ein Beweis dafür, daß sich die deutschen Auslandsmissionen nicht zu verstecken brauchen, wenn man sie mit den richtigen Leuten besetzt.

Politisch bringen Kontakte mit römischen Gesellschaftskreisen Informationen, die sonst nicht zu bekommen wären. Daran hat sich auch nichts geändert, seidem Ciano gestürzt ist. Er und seine Clique werden weiter eine wichtige Rolle in der römischen Politik spielen.

Durch seine Stellung beim Vatikan hat Ciano zu vielen Dingen Zugang, die für uns wissenswert sind. Vormittags stattete ich in Begleitung von Doertenbach Prunas, dem Direktor der Orientabteilung im Esteri, einen Besuch ab.

Wir sprachen über Bose und die mit der indischen Exilregierung in Berlin zusammenhängenden Fragen. Während des Gesprächs mit diesem klugen Mann drängten sich Vergleiche mit Beamten auf, die im Auswärtigen Amt eine ähnliche Stellung bekleiden. Ich denke an unseren Indien-Ausschuß, in dem Melchers, ein erfahrener Orientkenner, und ich einen schweren Stand gegen den Vorsitzenden, Staatssekretär Keppler und seinen Adlatus, Adam Trott zu Solz haben.

Trott, der es als ehemaliger "Cecil Rhodes Scholar" eigentlich besser wissen müßte, verlangt, daß unsere Indien-Propaganda Gandhi aufs Korn nimmt und den Mahatma den Indern madig macht. Er steht unter dem Einfluß von Bose, der Gandhi haßt.

Melchers und ich wissen, daß sich eine deutsche Indienpolitik, die Gandhi nicht als den stärksten Faktor der indischen Freiheitsbewegung einkalkuliert, jenseits aller Realitäten bewegt. Aber Trott ist nicht zu belehren.

Er wird in seinem Fanatismus durch Keppler unterstützt, der unsere Auseinandersetzungen mit den Worten abzuschließen pflegt: »Meine Herren, ereifern wir uns nicht. Wir haben auch nicht an den Anschluß geglaubt. Wie die österreichische wird der Führer auch die indische Frage zu gegebener Zeit lösen.«

Italienische Diplomaten oft von überdurchschnittlicher Intelligenz

Daß in einem der Ausschüsse des Palazzo Chigi ein solcher Blödsinn verzapft würde, ist unvorstellbar. Leider ist nicht nur das gesellschaftliche, sondern auch das geistige Niveau der italienischen Diplomatie dem der unseren weit überlegen. Trifft man schon unter gewöhnlichen Italienern selten einen Dummkopf, so stößt man unter italienischen Diplomaten immer wieder auf Leute von überdurchschnittlicher Intelligenz. Prunas gehört zu ihnen.

Essen mit Mollier, Doertenbach und Megerle bei Ascensio. Megerle war am Abend vorher mit großer Verspätung im Sonderzug des RAM eingetroffen und wohnt im Hotel »Ambiascatori«. Der Minister und sein Gefolge logieren in der Villa Madame.

Vor Bologna hatte der Sonderzug einen aufregenden Zwischenfall zu bestehen. Der Salonwagen des den deutschen Außenminister begleitenden italienischen Botschafters Alfieri fing aus ungeklärter Ursache Feuer und brannte in wenigen Minuten lichterloh. Die Notbremse wurde gezogen und der Zug zum Stehen gebracht. Das Feuer sprang auf die anderen Wagen über. Den vereinten Anstrengungen, an denen sich auch Ribbentrop beteiligte, gelang es schließlich, die Waggons zu retten.

Eine kritische Situation entstand, weil die durchgeschmorte Oberleitung die Lokomotive ohne Strom ließ und die schweren Salonwagen mit Menschenkraft nicht von der Stelle zu bewegen waren.

Alfieri verlor sein ganzes Gepäck, darunter einen neuen Pelz. Er langte in Rom mit einem Mantel seines Kanzleichefs Nichetti an. Da der Botschafter gewohnt ist, sich mehrmals am Tage umzuziehen, hat ihn der Verlust seiner prächtigen Garderobe schwer getroffen. Auch Doernberg büßte einen Teil seines Gepäcks ein.

25. Februar 1943 - Ribbentrop mit Mussolini

Ribbentrops erste Unterredung mit Mussolini heute früh hat fast vier Stunden gedauert. Anwesend waren nur der Duce, Mackensen und Alfieri sowie als Protokollführer und Dolmetscher der Gesandte Schmidt. Die übrigen warteten im Vorzimmer.

Zu Beginn der Unterhaltung überreichte der RAM dem Duce eine Antwort des Führers auf ein Schreiben des Duce, das Alfieri kürzlich in Berlin übergeben hatte.

Drei Hauptthemen stehen im Vordergrund: Die allgemeine Situation, die militärische Lage in Rußland und im Mittelmeer, Südostprobleme.

Eingeweihte fürchten, daß weder der deutsche noch der italienische Standpunkt beeinflußbar sind. Unsere Führung beharrt darauf, daß die Entscheidung nur im Osten fallen kann, während die Italiener die Lage in Rußland militärisch für aussichtslos halten, England wichtiger nehmen als die Sowjetunion und mit unserer Hilfe die Entscheidung im Mittelmeer suchen möchten.

Die Erkenntnis, daß wir die besseren Soldaten, die Italiener die besseren Diplomaten sind, erleichtert die Meinungsverschiedenheiten nicht.

Die neuen Leute, mit denen sich Mussolini umgeben hat, gelten als Fachminister, die ihre Ressorts in Ordnung bringen wollen. Wenn politische Fragen auftreten, erklären sie sich für nicht zuständig und verweisen auf den Duce. Für unsere Botschaft bedeutet dies eine Erschwerung der Routine.

Ciano war ein Mann, mit dem es sich reden ließ. Die neuen Leute, wie Bastianini, Guariglia und Rosso, stehen im Rufe von kühlen Diplomaten, die die Politik als ein Geschäft betrachten, das ohne Leidenschaft betrieben werden muß.

Über die »Optik des Krieges«

Auch in die römischen Gespräche spielen die »optischen« Dinge hinein. Die Anwendung des Wortes »optisch« auf die Politik ist durch einen Goebbels-Artikel im »Reich« über die »Optik des Krieges« ausgelöst worden. Man versteht darunter Maßnahmen, die getroffen werden, um »ins Auge zu stechen«, wie die Schließung von Bars und Luxusläden.

Gestern besuchte ich Frau von Bergen in der prachtvollen Villa Bonaparte. Die Bergens vertreten das Reich seit vielen Jahren beim Vatikan. Ihr Haus zählt zu den bestgeführten Roms. Dort zu verkehren, gilt als Auszeichnung. Da die »schwarze« päpstliche Gesellschaft Roms vor der »weißen« königlichen rangiert, üben die am Vatikan akkreditierten Botschaften gesellschaftlich eine größere Anziehungskraft aus als die diplomatischen Vertretungen beim Quirinal.

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