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Die Lebensbiografie von Akio Morita (aus 1986), dem berühmten SONY Mitbegründer - Er war "Mister Japan"

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Als mein Freund Blumenthal völlig daneben lag

Als in Hakone am Fuße des Fuji-san vor ein paar Jahren die Japano-amerikanische Unternehmerkonferenz tagte, hatten Finanzminister Mike Blumenthal und ich eines Abends keinen Appetit auf das angebotene Büffet. Wir fingen noch Landwirtschaftsminister Orville Freeman ab, setzten uns mit unseren Frauen in ein Steakhaus und verbrachten den Abend bei angeregter Unterhaltung.

Am nächsten Tag lieferte mein Freund Blumenthal dann über das problematische Wechselkursverhältnis zwischen Dollar und Yen die hirnrissigsten Statements, die mir je zu Ohren kamen.

Er wiederholte die altbekannte und völlig wahrheitswidrige Behauptung, die Japaner manipulierten hinter den Kulissen im Interesse einer bleibenden Unterbewertung des Yen.

Ich nahm mich desselben Themas sehr eindringlich an und widerlegte Blumenthal. Ermittlungen des amerikanischen Finanzministeriums erbrachten später nicht die leiseste Spur eines Beweises japanischer Wechselkursmanipulationen, wie Donald Regan, der damals amtierende Ressortchef, dann auch offiziell eingestand.

Wenn Japaner mal so richtig staunen und sich irren

Meine japanischen Landsleute nahmen Blumenthals böswillige Unterstellung als unverhofften Mißton einer an sich erfreulich harmonischen Tagung zur Kenntnis.

Bei solchen Konferenzen pflegen die Japaner zumeist zuzuhören und sich wenig oder gar nicht zu äußern. Sie sind zwar jederzeit höflich, aber da sie kaum einmal etwas sagen, gewinnen sie auch keine neuen Freunde.

Diese Zurückhaltung ist nach meinem Dafürhalten ein schwerer Fehler. In der Sitzungspause sprachen mich ein paar jüngere Japaner an; ihnen hatte meine Verteidigung des japanischen Standpunkts gefallen.

Ein paar ältere Landsleute warfen mir jedoch kopfschüttelnd vor: »Unsere Gäste haben sich einen so weiten Weg gemacht, um uns aufzusuchen, und Sie waren frech und unverschämt.«
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Noch eine Überraschung für "meine" Japaner

Am Abend dieses bewußten Tages stand meinen Japanern noch eine weitere Überraschung bevor. An Bord eines auf dem Ashi-See kreuzenden Schiffes wurde für die Konferenzteilnehmer und ihre Damen ein Empfang gegeben.

Ein Kamerateam des japanischen Fernsehens bat mich und einen Amerikaner meiner Wahl zu einem Interview über den Tagungsverlauf und die Ergebnisse. Während die Kameraleute ihre Geräte aufbauten, ließ ich Mike Blumenthal von meiner Frau heranholen, und so geschah es, daß wir unsere Meinungsverschiedenheiten bei laufender Kamera noch einmal erörterten.

Ein paar Japaner waren mehr als überrascht, daß wir beide nach dem vorangegangenen Streit unverändert freundschaftlich miteinander verkehrten.

Im Westen streitet man, gerade weil man befreundet ist

Für einen Japaner bedeutet eine Meinungsverschiedenheit nämlich oft das Ende einer Freundschaft. Ich erkläre immer und immer wieder, daß man im Westen sehr oft miteinander streitet, gerade weil man befreundet ist.

Gefährlich wird es erst, wenn man dort die Diskussion für beendet erklärt und jedes weitere Wort verweigert. Wenn sich der Westen und Japan je verstehen sollen, dann müssen die Japaner so unbefangen wie die Amerikaner diskutieren und ihre Ansichten geradeheraus vortragen können.

Aber in Wirtschaft und Politik war solche Freimütigkeit in der Vergangenheit nicht gerade unsere Stärke, und auf diesem Gebiet lernen wir offenbar nicht schnell genug hinzu.
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Newton Minow und das unnütze UHF-Empfangsteil

1962 machte uns die FCC einiges Kopfzerbrechen, denn sie bestand darauf, daß alle Fernsehgeräte neben dem normalen VHF-Bereich auch für den UHF-Empfang ausgelegt sein mußten; dabei sendeten seinerzeit nur sehr wenige Stationen auf UHF-Kanälen.

Wir bauten damals etliche Modelle von Kleingeräten, darunter auch das berühmte >Tummy TV<, ein Batteriegerät mit 10cm-Bildröhre. In ein so winziges Gerät zusätzlich noch einen mechanischen Drehschalter für den UHF-Bereich einzubauen, war eine schwierige Sache.

Außerdem hielt ich den zusätzlichen Geldaufwand für den UHF-Empfangsteil für unrentabel, da er dem Käufer nur begrenzten Nutzen brachte. (Das technische Problem ließ sich später lösen, indem wir die Kanäle beider Frequenzbereiche elektronisch ansteuerbar machten.)

Als diese UHF-Auflage gemacht wurde, war Newton Minow der Kommissionsvorsitzende. Da er sich sehr für Japan interessierte, trat er später der Shimoda-Konferenz bei.
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Newton Minow nahm mir meinen Scherz nicht übel

Als ich ihm aus diesem Anlaß vorgestellt wurde, sagte ich in etwa: »Hören Sie, Herr Minow, ich mag Sie nicht. Sie haben mir schon eine Unmenge Ärger gemacht, als wir uns noch gar nicht kannten.«

Selbstverständlich war das nicht mein voller Ernst. Minow bat mich um eine Erklärung meiner Abneigung. Bis auf den heutigen Tag erinnert er mich gern an meine ersten Worte. Was soll's, wir wurden gute Freunde, und als ich in Washington später den U-Matic- Video-Recorder vorstellte, lud ich Minow zu unserer Party ein. Er fragte, ob er einen Freund mitbringen dürfe; selbstverständlich war es mir recht.
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Und so lernte ich Henry Kissinger kennen

Und so erschien er mit Henry Kissinger, damals einer der politischen Berater des Weißen Hauses. Dieser Kissinger werde in Zukunft noch eine bedeutende Rolle spielen, meinte Minow. Kissinger und ich kamen uns in einem etwa viertelstündigen Gespräch ein wenig näher.
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Ein paar Jahre später - er war inzwischen Außenminister geworden - traf ich ihn in Tokio auf einem Empfang wieder. Es schmeichelte mir sehr, daß er mich sofort wiedererkannte. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet, doch Kissinger begrüßte mich spontan mit einem »Hallo, Herr Morita«.
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Eine Unausgewogenheit aus amerikanischer Sicht

Damals standen amerikanisch-japanische Handelsprobleme im Mittelpunkt des Interesses; von amerikanischer Seite wurde die Unausgewogenheit der bilateralen Beziehungen mit so manchem harschen Wort kommentiert.

Japan wurde unter anderem beschuldigt, dermaßen große Güterströme in die Staaten zu lenken, daß Amerikaner brotlos gemacht würden. Manche Produzenten klagten über mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und rügten, daß der japanische Markt ihren Gütern verschlossen blieb.

Viele Anschuldigungen waren ungerechtfertigt, doch in manchen Punkten hatten die Amerikaner leider recht. Ich selbst machte mir Sorgen, diese Zwistigkeiten würden im Endeffekt unsere bilateralen Beziehungen auf allen Ebenen belasten.

Ich hatte bereits die Sony Trading Corporation gegründet und holte ausländische Güter in nennenswertem Umfang nach Japan herein. Unsere Manager in Übersee wurden angewiesen, nach Produkten Ausschau zu halten, die sich auch in Japan gut verkaufen lassen würden.

Nebenher machte ich unsere Regierung und die Wirtschaftsverbände bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf aufmerksam, wie wichtig eine Importsteigerung und die Öffnung unserer Inlandsmärkte an sich seien.
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Damals - Ein langes Privatgespräch mit Henry Kissinger

Auf bewußtem Tokioter Empfang zog ich mich mit Henry Kissinger in einen stillen Winkel zurück und führte mit ihm ein ausgiebiges Gespräch. Im Verlaufe dieser Unterredung sagte ich ihm etwas, von dem ich fest überzeugt bin:

  • »Wissen Sie, Herr Kissinger, wir Japaner stehen den Vereinigten Staaten sehr nahe, und das schon seit langer, langer Zeit. Eine solch furchtbare Tragödie wie der letzte Krieg sollte sich daher nie wiederholen. Heute sorge ich mich jedoch, daß ihr Amerikaner gelegentlich eure Freunde mit euren Feinden verwechselt. Japan ist nämlich seit mehr als hundert Jahren im Grunde genommen immer ein verläßlicher Freund Amerikas gewesen. Wir haben ein dauerhaftes Verteidigungsbündnis geschlossen; wir gehören unwiderruflich zu den freien Völkern der Welt, und das Vorhandensein eines politisch so stabilen und wirtschaftlich gesunden Landes trägt an sich schon zur Sicherheit des pazifischen und asiatischen Raums bei. Diese Tatsache hat für Amerika entscheidende Bedeutung. Wir wollten zu allen Zeiten ein Teil der freien Welt sein und den Kommunismus von Asien fernhalten. Als Schüler und Student wurde ich angehalten, im Kommunismus und in der Sowjetunion die Hauptbedrohung Japans zu sehen. Die Vereinigten Staaten wurden damals nicht einmal ansatzweise für einen potentiellen Feind gehalten. Ich hoffe, Herr Kissinger, daß Japaner und Amerikaner darauf hinarbeiten, daß jene Fehler, die uns in der Vergangenheit zu Kriegsgegnern machten, sich nicht mehr wiederholen.«


Dabei dachte ich an das amerikanische Gesetz, das japanischer Einwanderung einen Riegel vorschob; an die hohen Schutzzölle, mit denen japanische Waren belegt worden waren, und an die Unterbindung der japanischen Ölzufuhr, um Japan zum Rückzug aus China zu zwingen. Wenn beide Seiten keine Fehler gemacht hätten, dann wäre der Kommunismus in Asien heute vielleicht nicht so weit verbreitet.
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Harmonie sollte unser gemeinsames Ziel sein

Ein paar Wochen später schrieb mir Kissinger, unser Gespräch habe ihn sehr beeindruckt. Auf seinen häufigen Japan-Reisen habe ich ihn seither oftmals getroffen, und ich konnte für ihn manche inoffiziellen Kontakte zu wichtigen Regierungs- und Wirtschaftsvertretern herstellen.

Kissinger läßt sich Japans Zukunft sehr angelegen sein, und vor ein paar Monaten erst gab ich in meinem Hause ein Essen in der Absicht, ihn mit der zweiten Generation der japanischen Wirtschaftsführer bekannt zu machen und ihm Gelegenheit zu geben, sich aus erster Hand über die Auffassungen der künftigen Verantwortlichen zu informieren.

Als besorgter japanischer Staatsbürger und Freund der Vereinigten Staaten versuche ich persönlich deutlich zu machen, daß unsere bilateralen Beziehungen zu wertvoll sind, als daß ihnen von der einen oder anderen Seite her Schaden zugefügt werden dürfte.

Ich kenne andere gegenwärtige oder ehemalige amerikanische Regierungsverantwortliche, zum Beispiel Cyrus Vance, seinerzeit Chef des Auswärtigen Amtes, Harold Brown, Verteidigungsminister a.D.; George Shultz kannte ich schon, bevor er Reagans Außenminister wurde. Ihnen versuche ich dasselbe begreiflich zu machen wie amerikanischen Abgeordneten, Senatoren und den vielen, mir persönlich bekannten amerikanischen Unternehmern: Für unsere beiden Völker steht viel auf dem Spiel, und Harmonie sollte unser gemeinsames Ziel sein.
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Ein elementares Problem - Politiker wollen gewählt werden

Eines der elementaren Probleme unserer Beziehungen liegt nicht zuletzt darin begründet, daß die Politiker auf beiden Seiten des Pazifiks für ihre Ämter kandidieren und auf die Wählerschaft Rücksicht nehmen müssen.

Darin äußert sich eine Stärke der Demokratie, die bisweilen jedoch in Schwäche umschlägt. Wir haben uns auch damit abzufinden und Verständnis dafür aufzubringen.

Wählerstimmen aus bestimmten Industrien sehen in Importen eine Beeinträchtigung ihrer Position und ersuchen um vorbeugende Maßnahmen.

Doch Schutz, einmal gewährt, ist nur mühsam wieder zu entziehen. Wir wissen das; denn vierundvierzig Prozent unserer Amerika-Exporte unterliegen den verschiedensten Begrenzungen, seien sie nun >freiwillig< oder zeigen sie sich in Gestalt von Kontingenten oder Einfuhrzöllen.

Diese Tatsache, ich sagte es bereits, ist den meisten Amerikanern unbekannt. Japan beginnt gerade sich mit den durch seinen Protektionismus verursachten Handels Problemen auseinanderzusetzen und liberalisiert nun sämtliche Wirtschaftsbereiche mit Ausnahme gewisser landwirtschaftlicher Produkte.

Der Agrarmarkt ist freilich in beinahe allen Ländern, auch in den Vereinigten Staaten, strikt reglementiert.
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Bei uns dauerte die Einsicht der Liberalisierung recht lange

Japan fand nur langsam zu der Einsicht, daß eine Liberalisierung der Märkte nicht nur unerläßlich, sondern auch vorteilhaft ist. Unser Sinn für Konservatismus und Sicherheit und das beunruhigende Wissen um unsere Anfälligkeit bewahren uns vor einem Vorpreschen und bremsen manches, was insbesondere auf dem Gebiet der Kapitalfreizügigkeit gefordert wurde, doch ist eine allmähliche Beschleunigung unverkennbar.

Amerikanische und europäische Effektenhändler operieren an der Tokioter Börse, Auslandsbanken sind ins lukrative Kreditgeschäft eingestiegen und lenken einen zunehmenden Teil japanischer Kapitalströme über ihre Konten.

Der japanische Yen wird in immer stärkerem Maße als internationales Zahlungsmittel in Anspruch genommen. Obwohl manche Aspekte dieser Liberalisierung unseren konservativsten Ministerien und Bankiers Kopfzerbrechen bereiten, ist eine zunehmende Freizügigkeit des Kapitalverkehrs konstatierbar.

Natürlich wäre uns Japanern nicht wohl bei einer hemmungslosen Aufhebung von Restriktionen, wie sie in den Vereinigten Staaten zu Beginn des Jahrzehnts stattfand, die Folge waren zahlreiche Bankenzusammenbrüche; der Staat mußte mit Steuergeldern in die Bresche springen. Nicht weniger Sorgen machen uns die übermäßige amerikanische Staatsverschuldung und die großen Haushaltsdefizite der USA.
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Ein weiser Japaner sagte einmal ......

Wenn ein Affe vom Baum fällt, so sagte einmal ein weiser Japaner, dann ist er vielleicht verdutzt oder auch ein bißchen ramponiert, aber er rappelt sich wieder auf, klopft sich den Staub ab - und bleibt ein Affe.

Wenn aber ein großer Politiker eine Wahl verliert, ist er nur noch ein gewöhnlicher Sterblicher. Jedes demokratische System orientiert sich sehr stark an den innenpolitischen Verhältnissen, da ein Politiker, der sich nicht für die Interessen seiner Wähler einsetzt, sehr leicht seinen Job verliert.

Für einen Politiker ist es also verhängnisvoll, »vom Baum zu fallen«.

Daher überrascht es nicht, daß sich amerikanische wie japanische Politiker vornehmlich um ihre Wähler sorgen - ich will gar nicht behaupten, daß sie zuallererst an sich denken.

Unser Wirtschaftssystem gelangte nach dem Krieg viel schneller als erwartet zu "voller Blüte"; meiner Meinung nach ist es eine vollkommen normale Regung, wenn die Japaner die Blüte möglichst lange vor jedem Frost zu schützen versuchen.

Doch Japan löst sich von seiner protektionistischen Haltung, ging ausgerechnet in der Zeit zu einer verstärkten Öffnung seiner Märkte über, als gegen Mitte der achtziger Jahre in Europa und Amerika aufkommendes Gerede über einen neuen Protektionismus mit der inzwischen aufgegebenen Politik Japans begründet wurde.
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Unser Bruttosozialprodukt vervierfachte sich von 1960 bis 1970

Zwischen 1960 und 1970 verzweieinhalbfachte sich das amerikanische Wirtschaftsvolumen, während sich das japanische Bruttosozialprodukt mehr als vervierfachte.

Seither steigt es, trotz massiver Probleme, immer noch langsam, aber zufriedenstellend. Unsere Wirtschaft ist gesund; die Produktivität ist nach wie vor hoch und wächst stärker als in fast allen anderen Ländern.

Auch wir gehen langsam einer Dienstleistungsgesellschaft entgegen, doch unsere Exporte halten mit dreizehn bis fünfzehn Prozent des Bruttosozialprodukts noch etwa denselben Anteil wie ehedem.

Die erforderlichen Schritte, die uns in unsere heutige Lage versetzten, fielen uns nicht leicht. Unser parlamentarisches System vermittelt den Eindruck, als hätte der japanische Ministerpräsident eine große Machtfülle, da er Vorsitzender der Liberal-Demokratischen Partei ist, die, da seit 1955 an der Regierung, dem Lande seither politische Stabilität gegeben hat.

Der Ministerpräsident gibt bei internationalen Begegnungen seine Erklärungen ab, wie man es von jedem guten Regierungschef verlangen kann, und pflegt vielleicht sogar persönliche Kontakte mit anderen Spitzenpolitikern - wie es zum Beispiel Yasuhiro Nakasone mit Ronald Reagan und zahlreichen anderen Staats- und Regierungschefs tut -, doch Versprechungen zu erfüllen ist schwieriger, als es den Anschein hat.
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Ein Blick auf unser Berufsbeamtentum und die Bürokratie

Nachdem Yasuhiro Nakasone Präsident Reagan eine beschleunigte Öffnung der japanischen Märkte zugesagt hatte, waren viele japanische und amerikanische Skeptiker verblüfft, wie schnell die Bürokratie und die betreffenden Regierungsmitglieder ein entsprechendes Programm herausbrachten.

Zu den Maßnahmen gehörten unter anderem Zollsenkungen, Aufhebung anderer Handelshemmnisse sowie Öffnung der Staatsbetriebe für ausländische Zulieferer. Dies alles ist um so bemerkenswerter, als nicht etwa die politische Führung, sondern ausgerechnet die Bürokratie Japan in Schwung hält.

Der größte Teil aller japanischen Gesetzesvorlagen kommt aus den Reihen der Bürokratie; die politischen Führer der LDP sind mit internen Machtkämpfen oftmals viel zu sehr beschäftigt, als daß sie sich in komplizierte Tagesprobleme hineinziehen ließen.

Zum Glück haben wir ein elitär gebildetes, hochbefähigtes Berufsbeamtentum, das sich dieser Probleme annimmt. Dadurch aber entstehen meines Erachtens nur neue Probleme; denn diese Beamten sind hervorragende Technokraten, die außer ihrem Sachgebiet so gut wie nichts verstehen. Da das System seinen Nachwuchs aus den eigenen Reihen rekrutiert, fehlt es an einer Belebung der oberen Etagen durch neue Ideen.

Die Finanzbeamten zum Beispiel

Die Finanzbeamten zum Beispiel können sich zwar ganz hervorragend neue Gesetze und Vorschriften ausdenken und für deren Einhaltung sorgen; vom Wirtschaftsleben aber und davon, wie sich der normale Sterbliche den Lebensunterhalt verdient, haben sie allesamt keine Ahnung.

Ohne hinreichende Kontrolle von ganz oben (was nicht heißen soll, daß die Finanzbeamten nicht von Beamten anderer Ministerien beaufsichtigt würden) läuft alles letztlich darauf hinaus, daß unser Steuersystem die einen überproportional belastet und andere maßlos begünstigt.

Aber eine Steuerreform ist in Japan mindestens ebenso schwer herbeizuführen wie in anderen demokratischen Ländern, denn monetäre Fragen sind für jedermann von existentieller Bedeutung.
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Beispel : Die Nachlaßangelegenheiten meines verstorbenen Vaters

Als ich 1964 nach Japan zurückkehrte, um die Nachlaßangelegenheiten meines verstorbenen Vaters zu regeln, lernte ich ein Lied davon zu singen. Die Finanzbeamten kamen und bewerteten alles und jedes, Antiquitäten und Kunstobjekte sowieso.

Hat man nun einen hübschen japanischen Garten, darinnen vielleicht einen besonders schön gewachsenen Baum oder einen von der Form oder kunstvollen Plazierung her ansprechenden Felsbrocken, werden beide bewertet und besteuert, als ob es ebenfalls teure Kunstwerke wären.

Man stelle sich das vor: ein Findling in der Erde ist erbschaftssteuerpflichtig! Kein Wunder, wenn wir Japaner behaupten, daß die Steuer nach drei Generationen jedes Familienvermögen aufgefressen hat.

Im Bewußtsein ihrer Schwäche haben japanische Regierungschefs - nicht anders als Generaldirektoren ohne unmittelbare Einflußmöglichkeit auf die verschiedenen Betriebsuntergliederungen - sehr oft nur zögernd drastische Veränderungen herbeizuführen versucht.

Kein Ausländer begreift, wie vertrackt es sein kann, bei der japanischen Bürokratie die scheinbar harmlosesten Absichten durchzusetzen. Die von den Ministerpräsidenten zumeist zwecks Besänftigung der einzelnen Gruppierungen in ihrer Partei aus rein politischen Erwägungen heraus ernannten Minister kommen und gehen, die Bürokratie aber versteht sich als tragende Säule des Systems; folglich werden Anweisungen von oben her sehr oft von allen Seiten ventiliert, gründlich analysiert und zu Tode diskutiert, oder sie erledigen sich mit der Ernennung eines neuen Ministers von selbst.
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Die japanische Wirtschaft mußte richtigen Druck ausüben

Der Entschluß zur Öffnung unserer Märkte wurde zu einer Zeit gefaßt, als die japanische Wirtschaft auf Regierung und Bürokratie infolge einer besseren Kenntnis der Weltmeinung und der Auffassungen der internationalen Handelspartner bereits massiven Druck ausgeübt hatte.

Die meisten Beamten kommen nämlich, anders als wir, mit der wirtschaftlichen Realität kaum in Berührung. Japan hatte zwar schon zahlreiche kleine und bedeutsame Schritte in Richtung Marktöffnung unternommen, aber weil wir dem Ziel nur so langsam näher kamen, glaubten viele Amerikaner, es täte sich noch weniger als vorher.

Nakasone, der energischste Ministerpräsident der Nachkriegszeit

Nakasone, der energischste Ministerpräsident der Nachkriegszeit, erklärte 1985, die japanische Beamtenschaft sei zu isoliert und habe hinsichtlich elitärem Traditionsbewußtsein den Engländern und Franzosen zuviel abgeschaut.

Daher habe er gleich nach Übernahme seines hohen Amtes viele seiner Staatssekretäre - die Chefs der Ministerialbürokratie - auf Auslandsreisen geschickt; manche reisten auf diese Weise erstmals außer Landes.

Er bestellte viele von ihnen zum Rapport und erteilte direkte Anweisungen - ein sehr forsches Verhalten für einen japanischen Ministerpräsidenten, von dem man statt unmittelbarer Führung hauptsächlich die Wahrnehmung von Repräsentationspflichten erwartet.

Außerdem empfahl er vielen Ministerien mit Nachdruck, maßgebliche Stellen mit weltoffeneren Beamten zu besetzen. »Ich habe etlichen Staatssekretären tüchtig eingeheizt«, gestand er lächelnd anläßlich einer Rede, in der er gleichzeitig hervorhob, welch intelligente Spezies die japanischen Beamten doch seien.
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Ministerpräsident Nakasone gab ein Versprechen

In diesem Jahre, 1986, wagte er einen mutigen Schritt. Er gab Präsident Reagan sein Wort, nach besten Kräften für die Durchsetzung eines von einer Expertenkommission erarbeiteten Programms sorgen zu wollen.

Die Kommission unter dem Vorsitz des ehemaligen Staatsbankpräsidenten Haruo Maekawa hatte empfohlen, durch weniger Nachdruck beim Export und Hinwendung zu einer mehr am Inlandsbedarf orientierten Wirtschaftsform die Grundlagen der Nationalökonomie und des Selbstverständnisses der Bevölkerung drastisch zu verändern.

Auf diese Weise werde Japan, ohnehin schon ein Gläubigerland, auf den Weltmärkten in viel stärkerem Maße als bisher als Importeur in Erscheinung treten können. Die Kommissionsvorschläge werden, sofern sie überhaupt offiziell angenommen werden sollten, erst nach langer Zeit vollständig verwirklicht sein, doch das Denken der internationalistischen japanischen Wirtschaftskreise orientiert sich schon jetzt mehr und mehr an diesen Leitlinien.
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Fast wie überall - das System widersetzt sich jedem Wandel

Doch ist der Bürokratie nur mit Mühe etwas abzutrotzen; das System widersetzt sich jedem Wandel. Das bekam der Verband der japanischen Elektronik-Industrie, dem ich präsidierte, zum Beispiel 1985 bei der Privatisierung des japanischen Telefonnetzes zu spüren.

NTT, die alte Telefongesellschaft, unterstand dem Ministerium für das Post- und Fernmeldewesen (MPT), von dem sie gewissermaßen aus der Taufe gehoben worden war. Doch über die NTT als Privatunternehmen hat das MPT jetzt nur noch die Dienstaufsicht.

Wenn jetzt neue Technologien ins Spiel kommen und neue Ortsnetze und andere Kommunikationssysteme installiert werden, dann ist das MPT - wie die amerikanische FCC im entsprechenden Fall - insofern unmittelbar berührt, als zum Beispiel Frequenzen vergeben und neue Einrichtungen zugelassen werden müssen.

Deshalb muß sich das MPT über neuentwickelten Technologien auf dem laufenden halten. Aber Technologie ist nun einmal eine Domäne des Ministeriums für Außenhandel und Industrie (MITI). Es liegt auf der Hand, daß Kompetenzüberschneidungen ein gewaltiges Problempotential mit sich bringen.
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Nicht nur für Ausländer nur schwer zu begreifen

Dies ist für Ausländer nur schwer zu begreifen, doch fällt vielen Japanern das Verständnis deswegen nicht leichter.

Bei so manchen langwierigen handelspolitischen Verhandlungen mit den Amerikanern kam es durchaus vor, daß das eine Ministerium eine Übereinkunft bis auf den letztmöglichen Augenblick hinausschob, damit einem anderen Ministerium keine Zeit blieb, durch Intervention das Vereinbarte noch ändern zu können.

Während der langanhaltenden vermeintlichen Untätigkeit haben die ausländischen Unterhändler die Japaner des öfteren der Verzögerungstaktik bezichtigt.

Kenntnis der Hintergründe hätte vielleicht alle Vorwürfe zum Schweigen gebracht, möglicherweise wären in einem anderen Ministerium durch das Ausbleiben von Vorhaltungen aber nur schlafende Hunde geweckt worden.
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Haben wir bessere Rezepte für absterbende Industriezweige

Gelegentlich reden wir uns ein, die Beziehungen zwischen Regierung und Industrie in mancher Hinsicht besser im Griff zu haben als etwa die Amerikaner. Absterbende Industriezweige versucht man bei uns nur so lange zu stützen, bis die Arbeiter umgeschult sind bzw. neue Arbeitsplätze gefunden haben.

Damit ist der Industriezweig dann untergegangen, und die künstliche Beatmung wird, da nicht mehr nötig, eingestellt. Allerdings zieht sich eine solche Hilfsaktion oft sehr in die Länge. Daneben hat Japan noch zahlreiche andere Probleme, zum Beispiel das >featherbedding< bei den Staatsbahnen *), die nach eigenen Angaben fünfundzwanzigtausend >überflüssige< Mitarbeiter beschäftigen (inzwischen ist ein Rationalisierungskonzept in Kraft getreten, so daß ein paar tausend Bedienstete zur Zeit umgeschult und auf Arbeitsplätze in der Industrie vorbereitet werden).

*) Aus der anglo-amerikanischen Gewerkschaftspraxis übernommenes Prinzip der erzwungenen Anstellung oder Weiterbeschäftigung überflüssiger Arbeitskräfte; das beste Beispiel dafür sind die heute noch auf Diesel- und Elektroloks mitreisenden Heizer. (A. d. Ü.)

Außerdem gibt es Unmengen von Verwaltungsstellen und -ausschüssen, die über Ämter und Tätigkeiten - die es längst nicht mehr gibt - wachen und befinden. Protektionismus bei Industriezweigen, die bestenfalls noch im Ausland rentabel sind, wird bei uns jedoch nicht mehr praktiziert (dies gilt, wie gesagt, nicht für die Landwirtschaft).
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Meine Ansicht, die Japaner müßten internationalistischer werden

Bevor der verstorbene Ministerpräsident Massayoshi Ohira zu einem der regelmäßigen Wirtschaftsgipfel fuhr, hatte ich Gelegenheit zu einem Gespräch.

Dabei bat ich ihn eindringlich, die japanische Wirtschaftspolitik offensiv zu verteidigen. »Ich verstehe durchaus, worauf Sie hinauswollen«, sagte Ohira, »aber ich beherrsche das Englische wirklich nur mangelhaft, und deswegen ...« - noch dachte ich, er kokettiere ein wenig - »... kann ich mich nicht so freimütig äußern, wie ich gerne möchte. Also mache ich es halt auf die japanische Art.«

Das heißt also: andeutungsweise, durch die Blume, weitschweifig oder durch höfliche Einwände. Daraufhin erwiderte ich im Scherz: »Na ja, wenn es schon die echt japanische Art sein muß, dann erscheinen Sie dort doch bitte auch im Kimono.«

Daran werde man ihn als Fremden erkennen und ihm deswegen mehr Aufmerksamkeit schenken und sich intensiver um Verständnis bemühen. Damit begab ich mich keineswegs in Widerspruch zu meiner Ansicht, die Japaner müßten internationalistischer werden; im Gegenteil, es war eine deutliche Bekräftigung.

Nur allzu oft versuchen wir uns bedeckt zu halten und meiden jedes unmißverständliche Wort. Doch wenn unsere politische Führung westlich gewandet auf internationalen Konferenzen erscheint und so tut, als begriffe sie alles um sie herum, dann entgeht ihr eine Menge.
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Erkenntnis - die Weltsprache bleibt Englisch

Ministerpräsident Nakasone und Shintaro Abe, der Chef des Auswärtigen Amts, sprechen beide zwar ein hervorragendes Englisch, doch nur wenige unserer älteren Politiker sind dieser Sprache hinreichend mächtig.

Für die ältere Generation der japanischen Unternehmer gilt dasselbe; die jüngeren Wirtschaftsführer fühlen sich auf internationalem Parkett allerdings weitaus eher zu Hause.

Am Beispiel Ohira wollte ich zeigen, daß man zweckmäßigerweise seine Andersartigkeit so lange kenntlich macht, wie man in internationalen Gremien noch nicht recht Fuß gefaßt hat; man wird zur Kenntnis genommen und findet eher aufmerksames Gehör.

Japan bemüht sich ernsthaft um Öffnung seiner Märkte; allerdings ist es schwierig, hinreichend viele ausländische Firmen ins Land zu holen, um sich auf unseren Märkten zu versuchen: vielleicht schrecken zu hohe Anfangsinvestitionen, möglicherweise verspricht man sich mittel- bis langfristig auch keine befriedigende Rentabilität. Deshalb hielt ich eine zusätzliche Ermunterung für angezeigt.
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1972 die "Sony Trading Corporation"

Als ich 1972 die "Sony Trading Corporation" gründete, suchte ich auf dem Wege über Anzeigen in den renommiertesten amerikanischen und europäischen Blättern nach in Japan absetzbaren Gütern; beinahe unverzüglich gingen daraufhin über dreitausend Anfragen bei uns ein.

Unser zweiseitiges Inserat im >Time Magazine< lautete:

  • "Sony möchte amerikanische Erzeugnisse auf den japanischen Markt bringen ... Japan ist für die amerikanische Geschäftswelt Ausland, doch Sony ist dort beheimatet und kennt daher die Märkte und ihre Möglichkeiten".


Heute haben wir eine Kette von über vierzig Sony-Plaza-Kaufhäusern in Japan, in denen alle möglichen ausländischen Erzeugnisse zu haben sind.

Trotzdem sind wir weiterhin um die Erweiterung des Sortiments bemüht. Als der Ministerpräsident 1985 alle Japaner zum forcierten Kauf ausländischer Produkte aufforderte, gaben wir ihm, wie auch zahlreiche andere Unternehmen, die feste Zusage.

Als zusätzliche Geste verschiffen wir seither in San Diego gefertigte Sony-Trinitron-Farbbildröhren nach Japan. Die damit ausgerüsteten Fernsehgeräte werden ausschließlich auf dem Binnenmarkt verkauft.
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Die Drachenwurz, hierzulande auch Teufelszunge genannt

Die Außenhandelspolitik der japanischen Regierung betrachtet Offenhaltung der Märkte als Regel; von interessierten Kreisen ersehnte Importrestriktionen gelten als seltene Ausnahme.

Dabei hofft man natürlich, die Zahl der Ausnahmen so gering wie möglich zu halten. Doch in der Praxis können weder der Ministerpräsident noch andere Spitzenpolitiker, denen wir diese wunderbare Absichtserklärung verdanken, allein davon leben, denn letztlich handelt es sich bei ihnen um von Wahlergebnissen abhängige Demokraten.

Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Obwohl sich Ministerpräsident Nakasone so erfolgreich für eine Öffnung des Inlandsmarktes für fremde Erzeugnisse einsetzte, zählte zu den (sozusagen als Ausnahme von der Regel) weiterhin bewirtschafteten Agrarimporten auch die Drachenwurz, hierzulande auch Teufelszunge geheißen.

Daraus wird >konnyaku< gewonnen, eine für Sukiyaki und andere traditionelle Gerichte unerläßliches Gewürz. Hauptanbaugebiet der Drachenwurz ist der Regierungsbezirk Gumma in Zentraljapan, und Gumma selbst ist rein zufällig der Wahlkreis zweier unserer gewichtigsten Politiker: zum einen des Ministerpräsidenten Nakasone, zum anderen des Ministerpräsidenten a.D. Takeo Fukuda, der in der Parteipolitik der Liberal-Demokraten eine entscheidende Rolle spielt.
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Japaner und Amerikaner sollten ihre Politik koordinieren

Ich halte es für eine Gefahr, wenn sich Amerikaner und Europäer zu Gefühlsaufwallungen hinreißen lassen, statt Probleme rational in Angriff zu nehmen.

Japan, Amerikas bester Handelspartner, kann ohne die Vereinigten Staaten schlechthin nicht existieren: Die USA sind unser größter Absatzmarkt und unser wichtigster Lieferant von Rohstoffen, Nahrungs- und Futtermitteln, Technologien, Ideen und kurzlebiger Modeerscheinungen.

Aber Japan ist auch Amerikas bester überseeischer Kunde und Partner. Wir kooperieren technologisch auf hunderterlei Gebieten, darunter auch auf dem Verteidigungssektor. Unser bilaterales Handelsvolumen - vierundachtzig Mrd. Dollar im Jahre 1984 - steht in der Welt unübertroffen da.

Viele Amerikaner nehmen die große wechselseitige Abhängigkeit unserer Länder gar nicht zur Kenntnis. Der Verlust amerikanischer Arbeitsplätze in der produzierenden Wirtschaft kann natürlich weder Japan noch irgendein anderes Land freuen. Doch schließlich werden auf diesem Sektor auch in Japan zahllose Arbeitsplätze verlorengehen - in der Aluminiumverhüttung und im Schiffbau zum Beispiel ist der Fall längst eingetreten -, doch dafür werden im Dienstleistungsbereich neue geschaffen, und durch ein Wechseln der Betätigungsfelder lassen sich auch in der produzierenden Wirtschaft wieder Arbeitsplätze bereitstellen.

Japaner und Amerikaner sollten ihre Politik zu koordinieren suchen, damit Probleme bereits vor ihrem Entstehen erkennbar und auch vermeidbar werden.

Wenn ein starker Dollar zu Außenhandelsdefiziten führt und die amerikanische Industrie über den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätzen klagen muß, während gleichzeitig die Dollar-Einnahmen anderer Länder (wie etwa Japans) abgesaugt werden, um das Defizit (etwa vierzig Mrd. Dollar allein im Jahre 1984) finanzieren zu können, dann entsteht ein Teufelskreis, aus dem man durch emotionale Überreaktionen nicht herausfindet.
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Die Kennedy-Runde in 1960

Dieser Sachverhalt wurde den großen Industriestaaten 1985 bewußt; folglich versuchte man die Wechselkurse - insbesondere von Yen zu Dollar - unter eine gewisse Kontrolle zu bringen - ich meine, ein gesundes Wechselkursverhältnis sollte heute das Hauptanliegen aller am Welthandel beteiligten Länder sein.

Übereilte Schritte zogen jedoch neue Probleme nach sich. Schon 1960 stand der Welthandel am Scheideweg. Amerika lud die freie Welt zur Kennedy-Runde ein - ein mutiger Schritt, durch den die Aufspaltung des Welthandels in konkurrierende Blöcke vermieden werden konnte.

Die Verhandlungen der GATT-Länder führten zu drastischen Zollsenkungen (von durchschnittlich 35% bei Industrieprodukten), die ein beschleunigtes Wirtschaftswachstum in allen Mitgliedsstaaten nach sich zogen.

Doch viele von uns erkannten damals schon, daß der Welthandel nicht allein durch Zolltarife, sondern gleichzeitig auch durch sogenannte freiwillige Beschränkungen, Sonderabgaben, Importkontingente (und sogar durch inländisches Steuerrecht *) weiterhin beeinträchtigt wurde, so daß auch diese hemmenden Auflagen abzuschaffen seien. In Japan schirmten wir damals ein paar ungemein vitale Unternehmen und politisch sensibles Terrain noch hartnäckig ab.

*) In der Bundesrepublik wurden z.B. alle Exporte vorübergehend mit vier Prozent Ausfuhrsteuer künstlich verteuert, um die Außenhandelsüberschüsse etwas zu reduzieren. (A. d. Ü.)
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Zwei Drittel der Erdbevölkerung - brauchen Hilfe

Damals bewegten sich zwei Drittel der Erdbevölkerung auf wirtschaftlich unterstem Niveau; ich glaubte daher, daß die entwickelten Länder die Verpflichtung wie die Möglichkeit hätten, die Benachteiligten zum Nutzen aller auf eine wirtschaftlich höhere Stufe zu heben.

Letztlich haben die Entwicklungsländer einen legitimen Anspruch auf die Segnungen einer höheren Zivilisation - bessere Nahrung, Kleidung, Bildung und abwechslungsreichere Unterhaltungsmöglichkeiten.

Wir als industrialisierte Welt taten nicht genug zu ihrer Hilfe - ein kurzsichtiges Verhalten, handelt es sich bei den unterentwickelten Ländern doch um unsere künftige Kraftquelle, um spätere Verbündete, Mitproduzenten und Kunden.

Ein alter Witz (oder war es gar keiner ?)

In diesem Zusammenhang fällt mir ein alter Witz ein: Zwei Handlungsreisende in Schuhen kommen in ein unterentwickeltes Land. Während der eine seiner Geschäftsleitung telegrafiert:
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  • »KEINE ABSATZMÖGLICHKEITEN - NIEMAND TRÄGT HIER SCHUHE«

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lautet das Telegramm des anderen:
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  • »BITTE ALLE LAGERBESTÄNDE SOFORT HIERHER SCHICKEN -EINWOHNER LAUFEN BARFUSS - BRAUCHEN DRINGEND SCHUHE«.

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Wir sind dem ersten Vertreter einfach zu ähnlich und haben uns daher nicht gerührt, um dem Mangel in der dritten Welt abzuhelfen. Die japanische Entwicklungshilfe ist trotz inzwischen verstärkter Leistungen noch immer unzulänglich, wie selbst unsere Regierung eingestehen muß. Insgesamt gesehen leisten jedoch weder die freie Welt noch die kommunistischen Länder ausreichend Hilfe.
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1969 - Eine Ladung vor den Unterausschuß für Außenwirtschaft

Im Jahre 1969 wurde ich vor den Unterausschuß für Außenwirtschaft des amerikanischen Kongresses geladen. Kurz zuvor war ich, unseren neuesten Sony-Micro-Color TV in der Hand, auf dem Titelfoto der >Business Week< zu sehen gewesen.

Vermutlich deswegen war ich zur Zielscheibe der Beschwerden über die bilateralen Handelsprobleme geworden. Ich sprach bei dieser Anhörung von der Notwendigkeit, weltweit auch nicht zolltarif-bedingte Handelshemmnisse zu beseitigen und gleichzeitig die unterentwickelten Länder in die Hauptperspektiven des internationalen Wirtschaftslebens mit einzubeziehen.

Bei letzterem dürfe man jedoch nicht in infrastrukturelle Projekte wie Straßenbau, Staudämme, Stahlwerke und staatliche Fluggesellschaften investieren, sondern müsse die verfügbaren Gelder gezielt einsetzen, um die Bildungsvoraussetzungen zu verbessern und in jedem der betroffenen Länder den Wunsch zu wecken, ein zweites Japan werden zu wollen.
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Jedoch einige Abgeordnete hatten noch Fragen

Als ich meine vorbereitete Erklärung verlesen hatte, rechnete ich eigentlich mit sofortiger Entlassung, doch einige Abgeordnete hatten noch Fragen.

In der japanischen Presse stand anschließend zu lesen, aufgebrachte Abgeordnete hätten mir >die Hölle heiß gemacht<. Doch davon kann meines Erachtens keine Rede sein.

Einer der Parlamentarier kam auf die Gründung der Sony AG zu sprechen. Nachdem ich ihm Auskunft gegeben hatte, erkundigte er sich in einem Tonfall, der jedem Staatsanwalt zur Ehre gereicht hätte: »Ich will wissen, ob wir Amerikaner zu der Zeit, als Sie Sony gründeten, in Japan ebenfalls ein Unternehmen hätten gründen können.«
»Nein«, sagte ich, »das wäre nicht möglich gewesen.«
»Aber Sony hat jetzt in Amerika eine Zweigfirma gegründet. Aus welchem Grunde darf Amerika nicht nach Japan hinein?«

Ich gab ihm eine gewundene Antwort, glaube aber, den Kernpunkt nicht verfehlt zu haben. »Gleich nach dem Kriege«, sagte ich, »war Amerika in japanischen Augen, ruiniert wie wir waren, so etwas wie ein Wirtschaftsriese. Die Japaner hatten den Angstkomplex, bei freiem Zugang vom gewaltigen Amerika sofort vom Binnenmarkt verdrängt zu werden. Solange sie diesen wie immer zu begründenden Angstkomplex behalten, werden sie sich jeder Liberalisierung widersetzen. Freihandel ist selbstverständlich ein Ideal, dem auch Japan entgegenstrebt. Doch so wie Amerika bei politischen Absichtserklärungen seine Situation bedenken muß, so findet sich auch die japanische Regierung, die eine durchgreifende Wirtschaftsplanung gutheißt, bisweilen in einer schwierigen Lage wieder. Ich persönlich halte die Liberalisierungsmaßnahmen unserer Regierung für zu zögernd, doch gehe ich davon aus, daß es letztlich zu einer vollständigen Öffnung kommen wird.«

Ich ahnte damals nicht, daß man darauf so lange würde warten müssen.
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Ein Blick zurück in die Geschichte vor dem Krieg

Ich behaupte oft, ein wirtschaftlich starkes Japan sei die beste Waffe gegen den Kommunismus, die dem Westen im pazifischen Raum wie in anderen Gebieten der Welt zu Gebote stehe.

Leider tut unser träger Veränderungswille offenbar dem >Opfer-Bewußtsein< unrecht, das sich in Amerika mit Blick auf Japan gebildet hat. Amerika, ein Land des Humanismus und der Emotionen, favorisiert gern die Unterlegenen.

Will man manchen japanischen Wissenschaftlern Glauben schenken, dann bewirkte die Macht der über die Behandlung des winzigen Kuba seitens des Mutterlandes empörten amerikanischen Presse einen nationalen Konsens, der schließlich zum spanisch-amerikanischen Krieg führte.

Aber amerikanisches Mitleid mit Tschiang Kaischek (verstärkt noch durch dessen reizende, in Amerika erzogene Frau) als dem Unterlegenen des sino-japanischen Krieges schlug in eine allgemeine Grundstimmung um, die für den Ausbruch der japanisch-amerikanischen Feindseligkeiten mitverantwortlich war.
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Werbung mit Understatement - die Nummer zwei

Der alte Werbeslogan >Wir sind die Nummer zwei. Deswegen geben wir uns besondere Mühe< des Autovermieters Avis trägt meines Erachtens dem amerikanischen Humanismus in beispielhaftester Weise Rechnung.

Aber Amerika ist nicht die Nummer zwei - das ist Japan, und das freut uns sehr. Um die zweitstärkste Wirtschaftsmacht der Erde zu werden, mußte Japan einen weiten Weg gehen: vom scheinbar unterlegenen Gegner Rußlands zum Bezwinger Chinas, vom Angriff auf die Vereinigten Staaten zu katastrophaler Niederlage.

Die amerikanische Einstellung zu Japan mußte sich in dieser Zeit mehrfach wandeln. Manche scheint es keineswegs zu beruhigen, daß wir an zweiter Stelle stehen.

Im Capitol in Washington, in welchem ich oft zu Gast war, trifft man Politiker, die sich für keine emotionale Kehrtwendung zu schade sind; sie halten gefühlsbetonte Reden und geben Presseerklärungen ab, wie sie für ihre Wahlkampagnen aktuell gerade dienlich sind.

Mir scheint, solche Rhetorik spielt in der amerikanischen Politik eine zu große Rolle. Fakten allerdings sind dahinter nicht zu erkennen. Es beunruhigt mich, daß die Entwicklung unserer Beziehungen gerade in diese Richtung führt.
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1919 kam in USA die (nutzlose) Prohibition

Im Jahre 1919 ließ sich das amerikanische Parlament dazu hinreißen, mit dem Inkrafttreten des Volstead-Gesetzes die Herstellung und den Verkauf von alkoholischen Getränken unter Strafe zu stellen.

Aus heutiger Sicht eine unsinnige Maßnahme, und sicherlich haben auch seinerzeit Millionen von Amerikanern, darunter wahrscheinlich auch viele Abgeordnete und Senatoren, um die Unvernünftigkeit des neuen Verfassungsartikels gewußt, doch sie hielten daran fest.

Viele, viele Amerikaner, die sonst nie etwas Illegales getan hätten, setzten sich über den Paragraphen hinweg, und 1933 schließlich mußte das Volstead-Gesetz anulliert werden. Ich für meinen Teil entnehme dem, daß die öffentliche Meinung die amerikanische Politik in sehr starkem Maße beeinflußt.

Wenn eine wirklich negative Einstellung zu den Japanern über Amerika hinwegflutet, kann es zu Verdruß und Mißhelligkeiten kommen, die vielleicht von allen bereut werden. Einmal in Fluß geraten, ist ein solcher Trend nur noch äußerst mühsam zu stoppen.

Erschwerend kommt hinzu, daß die Amerikaner sich jederzeit im Recht wähnen. Ein gegen japanische Waren gerichtetes Prohibitionsgesetz wird es in Amerika wahrscheinlich nicht geben, und ebensowenig werden die Amerikaner die Fehler der dreißiger Jahre noch einmal begehen, aber beide Länder sollten sich bewußt sein, welche wirtschaftlichen und politischen Gefahren für unsere bilateralen Beziehungen durch Emotionalität und Engstirnigkeit entstehen können.
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Die Befindlichkeiten der Amerikaner sind vielfältig

Ich habe seit langen Jahren mit Amerikanern zu tun - daher weiß ich, daß sie es grundsätzlich eilig haben. >Keine Zeit, tu's gleich, Zögern wäre gefährlich< ist in Amerika überall und alle Tage zu hören.

Solche Bedenkenlosigkeit hat Amerika in den Vietnamkrieg getrieben; im Interesse des Weltfriedens könne man gar nicht anders, hieß es seinerzeit. Die Amerikaner hatten die Übersicht verloren. Wenn die Amerikaner etwas lieben, dann zu innig, und hassen sie etwas, dann gehen sie in ihrem Haß sehr oft zu weit. Dieser nationale Charakterzug wird von vielen ausländischen Freunden der USA deutlich erkannt.

Sehen wir uns beispielsweise einmal China an. Obwohl dort annähernd eine Milliarde Menschen lebten, nahmen die Vereinigten Staaten China lange Zeit gar nicht zur Kenntnis. Wegen mißliebiger Politik versuchte man das Land zu isolieren.

Und durch Anerkennung der Taiwan-Regierung gedachte Amerika Peking zu strafen, indem es so tat, als ob Kontinentalchina gar nicht existierte.

Wer seinerzeit zum Beispiel aus Hongkong ein in Rotchina hergestelltes Reiseandenken mitbrachte, konnte zu Hause in Amerika in ziemliche Schwierigkeiten geraten.
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Wir taten es den Amerikanern gleich - hatten aber mehr Geduld

Die amerikanische Diplomatie tat, als ob ein Drittel der Weltbevölkerung die Anerkennung gar nicht verdient hätte. Während jener Zeit hatte Japan Rotchina ebenfalls nicht anerkannt, das heißt, wir unterhielten keine offiziellen Beziehungen.

Doch meine Landsleute fuhren oft nach China hinüber. Manche pendelten hin und her und gingen Geschäften nach, knüpften Kontakte und brachten Berichte und Neuigkeiten mit nach Hause.

Und urplötzlich wurde Amerika anderen Sinnes. Ohne jemanden im voraus zu informieren - nicht einmal Japan, Chinas nächster Nachbar, der die amerikanische Politik immer mitgetragen hatte, wurde eingeweiht -, nahm Nixon unverhofft das Vorhandensein einer Milliarde Menschen zur Kenntnis.

Wir Japaner sind noch immer die Erben einer rustikalen Kulturtradition und einer Philosophie, die von der Natur und dem Wechsel der Jahreszeiten beeinflußt ist. Wir haben es vielleicht deswegen nicht so eilig.

Wir haben eine jahrtausendealte Geschichte und Tradition; insofern mögen wir es nicht, wenn wir von einem so jungen - wenngleich großen - Lande wie den Vereinigten Staaten wie die Anfänger behandelt werden.

Nach einem japanischen Sprichwort sieht alles siebzig Tage später schon ganz anders aus; wir halten es daher für empfehlenswert, nicht überstürzt, übermäßig und allzu zügig zu reagieren. Doch sollte es zwischen dem allzu Hastigen und dem allzu Trägen einen Mittelweg geben.
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