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Die Lebensbiografie von Akio Morita (aus 1986), dem berühmten SONY Mitbegründer - Er war "Mister Japan"

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Der Krieg mit den Vereinigten Staaten war eine Tragödie.

Trotz massiver Propaganda, daß sich alle westlichen Länder gegen unser Land zusammengerottet hätten, war der Kriegsausbruch für die meisten Japaner Überraschung und Schock zugleich.

Als Kind nahm ich die politischen Ereignisse der zwanziger und dreißiger Jahre natürlich gar nicht bewußt wahr, aber 1934 bekam ich mit gerade erst dreizehn Jahren schon wöchentlich zwei Stunden soldatische Ausbildung.

Wir wurden über Jahre hinweg dazu erzogen, in der Sowjetunion den potentiellen Feind zu sehen und mit einer kriegerischen Auseinandersetzung zu rechnen. Man lehrte uns, daß der Kommunismus eine Gefahr sei und daß der japanische Einmarsch in die Mandschurei zur Sicherheit der Grenzen und zur Schaffung einer Pufferzone vor den Kommunisten erfolgte.

Hitzköpfige Ultranationalisten, Faschisten und etliche jüngere Offiziere hatten im In- und Ausland verschiedentlich ernste Zwischenfälle provoziert.

Viele, darunter auch mein Vater, sahen mit Besorgnis in die Zukunft.
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1932 wurde der Finanzminister und der Baron Takuma Dan ermordet

Im Jahre 1932 stürzte sich eine Gruppe von Ultranationalisten, unterstützt von zweiundvierzig jungen Offizieren, auf die sogenannten privilegierten Klassen.

Sie ermordeten den Finanzminister und einen führenden Unternehmer, Baron Takuma Dan, den Chef des Mitsui-Konzerns. Am 15. Mai desselben Jahres ermordeten sie den Ministerpräsidenten Tsuyoshi Inukai, gleichzeitig kam es zu Übergriffen auf den Wohnsitz des Lord-Siegelbewahrers (Minister ohne Portefeuille) und auf die Geschäftsräume einiger großer Dachgesellschaften.

Einflußreiche Geldinstitute wie die Nippon-Bank und die Mitsubishi-Bank wurden ebenfalls gestürmt.

Die Angehörigen der Oberschicht wurden von diesen Ereignissen aufgeschreckt. Wenngleich es den Aufrührern um die Etablierung des Faschismus ging, sah es so aus, als ob die Vorfälle Teil einer kommunistischen Verschwörung gegen Konservative waren.

1936 gings mit einem richtigen Aufstand weiter

Am 26. Februar 1936 besetzten meuternde Soldaten den Amtssitz des Ministerpräsidenten und das Kriegsministerium, ermordeten den früheren Ministerpräsidenten Makoto Saito, seinerzeit der Minister ohne Geschäftsbereich, dazu einen für das militärische Ausbildungswesen verantwortlichen General und einen ehemaligen Finanzminister. Der Großkämmerer kam mit Verletzungen davon.

Der aufgebrachte Kaiser ließ den Aufstand mit Waffengewalt niederschlagen; fünfzehn Offiziere und etliche zivile Handlanger wurden später hingerichtet.

Es ließ sich jedoch immer weniger verhehlen, daß die Spitzenpolitiker und maßgeblichen Geschäftsleute von diesen Übergriffen eingeschüchtert waren.

Die wirtschaftliche Lage des Landes war schlecht, und die jungen faschistischen Offiziere, wenngleich irregeleitet, fanden daher bei vielen Leuten eine gewisse Sympathie. Sympathie für alle, die einem Ideal zuliebe - auch wenn es sich um ein verbohrtes Ideal handelt - ohne jede Aussicht auf Erfolg drauflos schlagen, gehört zur japanischen Tradition.

Viele japanische Volkshelden waren Männer, die beim Versuch, das Unmögliche zu schaffen, ihr Leben ließen.
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Mitte der dreißiger Jahre - auf dem Weg in die Diktatur

Seit Mitte der dreißiger Jahre gewannen die Militärs zunehmend Einfluß auf die Politik, und die Faschisten bestimmten die Inhalte und Maßnahmen dieser Politik. In dieser Atmosphäre wagte kaum jemand den Mund aufzumachen.

So fanden auch nur wenige japanische Parlamentarier den Mut, sich offen gegen die Militaristen zu stellen. Wer es dennoch tat, bekam "keine zweite Gelegenheit" zur freien Rede. Und so gewannen die Militaristen schließlich die Oberhand.

So oft mein Vater mit seinen Freunden zusammen kam, war von den drohenden Gefahren die Rede. Sie alle waren Geschäftsleute, mithin weitaus liberaler als die Faschisten, aber auch ihnen blieb nichts anderes übrig, als in der Öffentlichkeit zu schweigen.

Wir erfuhren andeutungsweise von dem Nanking Massaker

Die jungen Leute auf den Schulen und Universitäten wurden nur einseitig informiert. Die Entsendung der japanischen Invasionstruppen nach China wurde verherrlicht.

Manche Leute hörten zwar gerüchteweise von den Angriffen auf chinesische Städte oder erfuhren andeutungsweise, was in Nanking passierte*, und auch mein Vater hörte vermutlich mehr, als er uns erzählte, aber die jüngeren Leute schenkten solchen Geschichten nicht viel Aufmerksamkeit.

Ich selbst wußte zwar, daß sich die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Japan immer mehr verschlechterten, aber ich hätte niemals mit einem Krieg gerechnet.

* Nanking, 1928 von Tschiang Kaischek zur Hauptstadt Chinas gemacht, fiel 1937. Bei der anschließenden Plünderung der Stadt durch japanische Truppen wurden mehr als vierzigtausend Zivilisten umgebracht. (Anmerkung des Übersetzers)
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Der Morgen des 8. Dezember 1941 - Pearl Harbor

Ich hatte mir für mein Radio eine Schaltuhr gebaut, von der ich mich jeden Morgen um sechs Uhr wecken ließ. Ich erinnere mich noch ganz deutlich an den Morgen des 8. Dezember 1941 - in Amerika war es noch der 7.

Kaum hatte sich das Gerät eingeschaltet, da hörte ich die Meldung vom Angriff japanischer Streitkräfte auf Pearl Harbor. Ich war entsetzt.

Alle unsere Hausgenossen waren von der Meldung wie erschlagen. Ich selbst hielt den Krieg mit Amerika sofort für eine überaus gefährliche Sache.
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Der Überfall auf Pearl Harbor war ein schwerer Fehler

Ich war im Glauben an die technologische Überlegenheit des Westens groß geworden. Metall-Elektronenröhren, zum Beispiel, konnte man seinerzeit nur in Amerika kaufen. Für meine Experimente hatte ich mir daher RCA-Röhren beschaffen müssen.

Da ich von amerikanischer Technologie eine klare Vorstellung hatte, befürchtete ich, daß der Überfall auf Pearl Harbor ein schwerer Fehler war.

Aber in den ersten Wochen danach überflutete uns die Presse mit einem ständigen Strom guter Nachrichten und meldete fortwährend neue militärische Erfolge Japans - wir versenkten die >Prince of Wales< und die >Repulse<, zwei britische Schlachtschiffe, die als unbezwingbar galten; ebenfalls noch im Dezember warfen unsere Truppen die Philippinen und Hongkong nieder -, so daß ich Japan schließlich für stärker hielt, als ich zunächst gedacht hatte.

Nachdem der Krieg ausgebrochen war, glaubten meine Eltern mit der breiten Öffentlichkeit, daß es keinen Weg zurück mehr gab und daß alle Kriegsanstrengungen daher gemeinsam getragen werden müßten.

Die Zeitungen waren voll von Meldungen über amerikanischen Druck auf Japan; ständig war etwas über die die Japaner diskriminierenden amerikanischen Einwanderungsgesetze zu lesen, wurde über die amerikanische Forderung geschrieben, wir hätten uns aus China und der Mandschurei zurückzuziehen, die uns doch, wie wir meinten, als Pufferstaat vor dem Kommunismus bewahren sollte.
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Gedankenpolizei und Geheimpolizei durchstreiften das Land

Und wir alle hörten den Aufschrei, die Roten seien eine Gefahr und Bedrohung für Japan, vor der uns nur die Faschisten schützen könnten.
Alle Maßnahmen der vom Militär manipulierten Regierung wurden als im Sinne oder auf Anordnung des Kaisers hingestellt, Schulkinder wie Erwachsene wurden zu den unglaublichsten Dingen gezwungen.

Ein Schuldirektor sühnte einen Versprecher beim Hersagen des Kaiserlichen Erlasses zum Bildungswesen mit Selbstmord. Gedankenpolizei und Geheimpolizei durchstreiften das Land und verhafteten beim leisesten Verdacht auf mangelnde Loyalität, Aufsässigkeit oder nicht hinreichende Ehrerbietung.

Auf Kommando des Schaffners mußten die Fahrgäste der hinter dem Kaiserpalast vorbeiführenden Straßenbahnlinie Front machen und sich verbeugen.

Die Schulkinder verbeugten sich vor dem tragbaren Shinto-Schrein, der die niedergelegten Worte des Kaisers barg. Auf diese Art hielt das Militär das Volk im Griff, und Leute wie meine Eitern und ich ließen es uns gefallen.

Man mochte vielleicht manches mißbilligen - und viele hatten wirklich eine eigene Meinung -, aber es war problematisch und gefährlich, diese Mißbilligung zu äußern. Viele wurden inhaftiert, die große Mehrzahl der Bevölkerung aber lernte, sich anzupassen.

Widerborstige wurden in besonderen Lagern >umerzogen<, und wer sich weiterhin widersetzte, mußte erniedrigendste Arbeiten verrichten. Alle
offenen Anhänger der Linken und Kommunisten wurden inhaftiert.
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Inzwischen wurde ich ein Oberleutnant zur See

Mit Abschluß des viermonatigen Lehrgangs wurde ich zum Oberleutnant zur See befördert und zum "Optischen Labor des Zentralamts" nach Yokosuka zurückversetzt.

Dort wurde ich schnellstens einer Spezialeinheit zugeteilt, die zwecks Entwicklung von thermischen Lenkwaffen und Nachtzielgeräten aufs Land ausgelagert worden war.

Wir residierten in einem großen alten Landhaus mit Blick auf die Sagami-Bucht bei Zushi, einer Kleinstadt südlich von Kamakura. Einheitsführer war ein Kapitän zur See, dem etliche Stabsoffiziere, zwei oder drei Oberleutnants und ein paar Leutnants unterstellt waren.

Ich war der dienstälteste Oberleutnant und mithin Offizier vom Dienst, eine Art Verwaltungs- und Versorgungschef. An Bord wäre ich der Oberdecksoffizier *) gewesen. Ich war für die Gewährleistung des Dienstbetriebes einschließlich der Proviantbeschaffung zuständig.

*) In der Kaiserlichen und frühen Reichsmarine höchster Dienstgrad der Portepee-Unteroffiziere. Morita versucht offenbar eine Dienststellung zu beschreiben, die der des Kompaniefeldwebels als Chef des Innendienstes entspricht. (A. d. Ü.)
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Die wunderschöne Umgebung des Landhauses

Trotz meiner Verpflichtungen blieb mir Zeit, die wunderschöne nähere Umgebung des Landhauses zu genießen. Das Haus mit seiner Stuckfassade war unmittelbar am Strand zu Füßen einer schroffen Klippe im westlichen Baustil errichtet worden.

Hinter dem Gebäude befand sich ein großer Garten, der ebenso wie die Villa oft als Filmkulisse hatte herhalten müssen, wenn vom Drehbuch ein westliches Ambiente verlangt wurde. Ich quartierte mich ganz in der Nähe im ebenfalls requirierten Nagisa-Hotel ein und ging morgens zu Fuß zum Dienst.

Strand und Villa wirkten beschaulich wie in Friedenszeiten; dennoch lagen sie unmittelbar in der Rückflugschneise der B-29, die beinahe jeden Tag vorüberzogen, nachdem sie ihre Brand- und Sprengbomben über Tokio, Kawasaki und Yokohama abgeladen hatten.

Welch ein Widersinn!
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Proviant war bei uns stets knapp.

Obwohl ich noch sehr jung war, verfügte ich von zu Hause her bereits über reichliche Erfahrung im Geschäftlich-Organisatorischen, so daß ich der Verantwortung für meine kleine Einheit durchaus gerecht werden konnte.

Proviant war bei uns stets knapp. Wir brauchten unseren ganzen Einfallsreichtum, um täglich etwas auf den Tisch stellen zu können. Einer meiner Leutnants freundete sich mit einem Fischhändler aus Zushi an, der sich des öfteren an unserem Strand sehen ließ.

Als Marineangehörigen stand uns eine kleine Sake-Ration zu, die wir, da Sake knapp und sehr gefragt war, sofort gegen etwas Frischfisch eintauschten.

Da wir, überwiegend junge Leute mit gesundem Appetit, trotzdem nicht satt wurden, ließ ich mir etwas anderes einfallen. Ich schickte einen Feldpostbrief nach Hause und bat, mir je ein Faß Soja-Sauce und Sojabohnenpaste zuzusenden und die Partie mit >Nur für den Marinegebrauch< zu kennzeichnen.

Die Firma Morita stellte seinerzeit für das Heer dehydrierte Sojabohnenpaste her (Japaner, so genügsam sie auch sind, können auf ihre Sojabohnensuppe nicht verzichten), während die Kriegsmarine mit alkoholischen Produkten beliefert wurde.

Ich glaubte daher, daß eine solche Sendung nicht auffallen würde. Es war natürlich ein sehr nichtswürdiges Vorhaben, das zweifellos eine Verletzung der Dienstvorschriften bedeutete, aber wir lebten damals von unserem Einfallsreichtum.

Ich meine, wenn man mich dafür zur Verantwortung gezogen hätte, wäre ich in der Lage gewesen, mein Verhalten zu rechtfertigen. Jedenfalls versteckten wir die beiden Fässer im Keller und tauschten unsere kostbaren Geheimbestände nach und nach gegen Fisch ein. Auf diese Weise war unsere kleine Truppe, widrigen Umständen zum Trotz, jederzeit relativ wohlgenährt und zufrieden.
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Er hieß Masaru Ibuka .....

Zu unserer Projektgruppe, die sich mit der Entwicklung von thermischen Suchköpfen befaßte, gehörten neben Forschern von Heer und Marine auch ein paar Zivilisten. Wir versuchten, der gestellten Aufgabe mit originellen und kühnen Ideen gerecht zu werden.

Unter den Zivilisten in unserer Gruppe war ein brillanter Elektronik-Ingenieur und selbständiger Unternehmer, der meinen späteren Lebensweg einmal stark beeinflussen sollte.

Er hieß Masaru Ibuka, war dreizehn Jahre älter als ich und sollte später einmal mein engster Freund, Kollege, Partner und Mitbegründer des von uns aufgebauten Unternehmens, der Sony AG, werden.
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Ich war jung und eitel - trotz meiner Vorgesetzten

Ich fand es berauschend, dieser Entwicklungsgruppe mitanzugehören. Ich war jung und eitel, gewöhnte mich aber an das Zusammensein mit Vorgesetzten und Erfahreneren.

Man hatte uns allesamt auf ein Projekt angesetzt, das seiner Zeit weit voraus war. Wir erlebten Tage, an denen wir uns immer besser kennenlernten und näherkamen, ohne uns jedoch unserem Ziel, der Entwicklung des thermischen Suchkopfes, nennenswert zu nähern.

(Auch die amerikanische Sidewinder-Rakete - ein Waffensystem, wie es uns im Grunde genommen schon damals vorschwebte - war erst viele Jahre nach dem Krieg einsatzbereit.)

Auch bei Besprechungen anderer Projekte saß ich, gerade diplomiert, berühmten Professoren und Heeresoffizieren gegenüber, die sich, interessiert vorgebeugt, mit der Frage an mich wandten: »Und wie denkt die Kriegsmarine darüber?«

Worauf ich so ernst wie möglich zu erwidern pflegte: »Nun, meine Herren, nach Auffassung der Kriegsmarine...« In solchen Augenblicken war ich meinem Vater für die frühe Anleitung sehr dankbar.
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Wir konnten bereits feindliche U-Boote aufgespüren

Herr Ibuka leistete bemerkenswerte Forschungsbeiträge. In seiner Firma, der Japanischen Meßgeräte GmbH, hatte er einen leistungsfähigen Verstärker entwickelt, der als U-Boot-Suchgerät Verwendung fand.

Durch Messung der Störungen des erdmagnetischen Feldes konnten bis zu dreißig Meter tief getauchte Boote aufgespürt werden. Ibukas Gerät, von einem Flugzeug ausgebracht, vermochte Frequenzen von 1-2 Hz wahrzunehmen und bis auf etwa 600 Hz zu verstärken.

Ich habe gelesen, daß bei der Erprobung dieses Geräts in den Gewässern um Formosa sechsundzwanzig feindliche U-Boote aufgespürt wurden, aber als das Gerät dann wirklich frontreif war, hatte Japan nicht mehr genug Flugzeuge, um damit auf U-Boot-Jagd zu gehen.

Die Amerikaner beherrschten den Luftraum

Japan hatte die Beherrschung des Luftraums verloren, als sich amerikanische Streitkräfte von Norden her immer näher an die Hauptinseln heranschoben und mit täglichen Luftangriffen unsere Flugzeugwerke zerschlugen.

Die Luftangriffe auf Tokio und die industriellen und militärischen Nutzungsgebiete in und um Kawasaki und Yokohama nahmen allmählich immer mehr zu. Da unser kleiner Zufluchtsort unmittelbar südlich der Zielgebiete lag, gab es auch bei uns regelmäßig Fliegeralarm, wenngleich niemals eine Bombe fiel.

Da unser Landhaus unmittelbar am Fuß einer Klippe lag, hielt ich einen Bombentreffer ohnehin für kaum plazierbar. Außerdem - wieso sollte man überhaupt uns bombardieren? Wir gehörten nicht zur kämpfenden Truppe, und ich war sicher, daß die Amerikaner von unserer Existenz gar nichts wußten.

Das war zwar nicht militärisch, dafür aber logisch gedacht. Ich glaubte, daß wir bestenfalls per Zufall von einer Bombe getroffen werden könnten. Daher rief ich meine Kameraden zusammen, um ihnen meine Überlegungen vorzutragen.
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Bei Alarm Uniform anlegen und die Feuerspritzen bemannen

Ich faßte mich so kurz und einleuchtend wie möglich. »Nach der Marinedienstvorschrift müssen wir bei jedem Alarm Uniform anlegen und die Feuerspritzen bemannen. Da wir hier aber beinahe unmöglich getroffen werden können, habe ich nicht vor, Sie bei jedem Fliegeralarm aus dem Bett zu holen.« Meine Worte schienen allen zuzusagen.

»Andererseits aber ist es doch so«, gab ich warnend zu bedenken, »fällt hier eine Bombe, können wir auch nichts dagegen tun. Das wäre dann sowieso das Ende.« Meine Kollegen nahmen meine Überlegungen mit Erleichterung zur Kenntnis.

Um ihnen zu zeigen, daß meine Worte ernstgemeint waren, zog ich aus dem Hotelzimmer aus und verstaute meine Siebensachen ganz demonstrativ in einem Zimmer im Obergeschoß der Villa.

Viel Mut gehörte nicht dazu, denn mir war völlig klar, daß die Amerikaner ein einzeln stehendes Haus für kein lohnendes Bombenziel halten würden. Obwohl wir keine wirklich bedeutende Forschungsarbeit leisteten, schien es mir jedoch wichtiger, die Nächte durchzuschlafen als bei jedem Alarm aufzuspringen und aus Schlafmangel am nächsten Tage mit der Arbeit nicht voranzukommen.
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August 1945 - die amerikanischen Bomber kamen täglich

Im Juli und August 1945 wurde der Großraum Tokio-Yokohama beinahe jeden Tag und jede Nacht von amerikanischen Bombern angegriffen. Sobald die großen silbernen B-29 nach Abwurf ihrer Bombenlast über uns hinwegzogen, eröffnete eine benachbarte Flakbatterie das Feuer.

Gelegentlich sahen wir eine getroffene Maschine ins Meer stürzen. Während die Leuchtspurgeschosse durch den Nachthimmel zuckten, häuften sich in der Feuerstellung die leeren Hülsen.

Die Bombeneinschläge ließen die Erde erbeben, aber schließlich haben wir viele solcher Nachtangriffe einfach verschlafen. Vielleicht sollte ich das nicht zugeben, aber alles liegt schon so lange zurück, daß ein solches Dienstvergehen inzwischen verjährt sein dürfte.
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Unsere Halbinsel Miura im August 1945

Damals, im August 1945, sorgte ich mich indes viel mehr, daß die Militärs in ihrem Fanatismus trotz unglücklichsten Kriegsverlaufs die Feindseligkeiten nicht einstellen und die Halbinsel Miura, auf der wir stationiert waren, zum blutigen Schlachtfeld und zum japanischen Bataan *) machen würden.

*) Auf der Halbinsel Bataan im Südwesten der Philippineninsel Luzon unterlagen Anfang April 1942 die amerikanischen und philippinischen Streitkräfte, die sich nach dem Fall der Hauptstadt Manila dorthin zurückgezogen hatten, nach monatelangen schwersten Kämpfen den japanischen Invasionstruppen. (A. d. Ü.)

Wir wußten, daß es einen Invasionsplan mit Namen >Olympic< gab, der ein Landungsunternehmen auf unserer südlichsten Hauptinsel, Kyushu, vorsah. In unserem Raum waren jedoch zu viele wichtige militärische Ziele konzentriert, die nicht links liegenbleiben konnten, so daß wir befürchteten, die Amerikaner müßten sich den Vorstoß auf Tokio schwer erkämpfen.
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Noch bevor die Atombombe fiel ......

Als die Atombombe fiel, wußte ich schon, daß wir der Krise entgegeneilten. Zu jener Zeit machten viele Militärpersonen > Dienstreisen<, um ihre Familien zu besuchen.

Obwohl die Lage immer unerfreulicher und unübersichtlicher wurde, war ich als Offizier vom Dienst nicht abkömmlich. Als ich jedoch eines Tages dienstlich nach Nagoya mußte, bat ich um einen Tag Urlaub, um meine Eltern zu besuchen. Mein Antrag wurde genehmigt.

Vor der Abreise erklärte ich meinen Offizierskameraden, es sei nicht ausgeschlossen, daß der Krieg noch während meiner Abwesenheit zu Ende gehe.
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Nach wie vor war ein Massenselbstmord im Gespräch

In dem Falle könne niemand vorhersagen, was aus unserer Forschungsstation würde - durchaus möglich, daß die Marine von uns den Massenselbstmord verlange.

Sollte das eintreten, so sagte ich, würde ich nicht zurückkehren, um diesem letzten Befehl mit den übrigen Folge zu leisten. Mir war damit ziemlich ernst.

Wahrscheinlich hätte ein Offizier der Kaiserlich Japanischen Marine seinen Vorgesetzten gegenüber solche Worte gar nicht führen dürfen, aber ich konnte nicht anders. Einer der Oberleutnants wurde furchtbar wütend und schrie: »Oberleutnant Morita, was reden Sie da? Wenn Sie nicht wiederkommen, werden Sie wegen Fahnenflucht und Feigheit vor dem Feind vor ein Kriegsgericht gestellt!« Eine schlimmere Drohung fiel ihm nicht ein.

Ich wandte mich an ihn und meinte gelassen: »Wenn dieser Krieg zu Ende ist, Herr Oberleutnant, dann sind die Straftatbestände der Fahnenflucht und Feigheit vor dem Feind nicht mehr gegeben.«
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Meine Familie hatte in Kosugaya Zuflucht gesucht

Sobald meine dienstlichen Obliegenheiten in Nagoya erledigt waren, eilte ich in unser Heimatdorf Kosugaya, wo meine Familie Zuflucht gesucht hatte.

Nagoya und der größte Teil des Regierungsbezirks Aichi zählten wegen der dort ansässigen Industrien, darunter Flugzeugwerke - der berühmte Jagdeinsitzer Mitsubishi A6M >Zero< wurde in Nagoya gebaut - und Geschützgießereien, zu den ausgewählten Bombenzielen der amerikanischen Luftwaffe.

Im Juli 1945 war die Hälfte aller Fabrikgebäude Nagoyas zerstört oder zumindest schwer beschädigt. Etwas später veröffentlichten Statistiken war zu entnehmen, daß zweiunddreißig Prozent der Einwohner durch Brandbombenabwürfe obdachlos geworden waren.

Man war in den Städten seines Lebens nicht mehr sicher, und wer, wie meine Eltern, dort nicht unbedingt ausharren mußte, machte sich davon.

Aus Furcht vor den Bomben flüchteten Millionen von Menschen aus den Städten. An und für sich war Nagoya vom Bombenkrieg längst nicht so schwer betroffen wie Yokohama, Kobe oder Tokio, wo 69, 58 beziehungsweise 46 Prozent der Bevölkerung ihr Obdach verloren. Die Unterbringung der Ausgebombten stellte viele kleinere Kommunen vor große Probleme.
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Am 14. August 1945 - ich kam Nachhause

Am Abend des 14. August traf ich zu Hause ein. Wir feierten ein fröhliches Wiedersehen, mein Vater aber machte ein besorgtes Gesicht. Ihn beschäftigte das absehbare Kriegsende.

Da er, wie alle Japaner, nicht wußte, wie es weitergehen würde, überlegte er, ob sich die Familie nicht tiefer ins Landesinnere zurückziehen sollte. Ich sah die Notwendigkeit nicht ein, denn soweit ich es beurteilen konnte, waren meine Angehörigen in Kosugaya ebenso sicher wie andernorts, falls bei den ungewissen Zukunftsaussichten von Sicherheit überhaupt die Rede sein konnte.

Niemand wußte, was von den Amerikanern zu erwarten war. Ich erklärte meinem Vater, daß der Krieg nicht mehr lange dauern könne. Auch er sah ihn für Japan als verloren an, aber keiner von uns beiden ahnte, wie er wirklich zu Ende ging. Wir unterhielten uns bis lange nach Mitternacht, ehe ich erschöpft einschlief.
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Kaiser Hirohito werde im Radio eine Ansprache halten

Als Mutter mich sehr früh morgens weckte, glaubte ich zunächst kaum geschlafen zu haben. Meine Mutter war ganz aufgeregt. Kaiser Hirohito werde mittags im Radio eine Ansprache halten, erklärte sie mir.

Es war der 15. August. Verblüffend war allein schon die Ankündigung, daß der Kaiser zum Volk sprechen werde. Etwas Außergewöhnliches mußte bevorstehen.

Die japanische Bevölkerung hatte noch nie die Stimme des Kaisers gehört; der gewöhnliche Sterbliche durfte ihn nicht einmal ansehen, und wenn der Kaiser mit dem Auto oder mit der Eisenbahn unterwegs war, hatten die Schaulustigen am Straßenrand Befehl, das Gesicht abzuwenden.

Wir alle wußten daher, daß uns historische Augenblicke bevorstanden.
Da ich schließlich Marineoffizier war, legte ich volle Uniform mitsamt Schwert an und verfolgte die Ansprache in Habtachtstellung.

Trotz vieler atmosphärischer Störungen und Geräusche kam die hohe dünne Stimme Seiner Majestät durch. Wir alle wußten, daß er es sein mußte, aber wir verstanden seine Worte nicht allzu gut; denn der Kaiser bediente sich der affektierten, altmodischen Hofsprache.

Obwohl wir den Worten nicht gänzlich folgen konnten, erfaßten wir die Aussage selbst mit Furcht und Erleichterung zugleich. Der Krieg war aus.
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