Das Buch "German crisis" - "Deutschland so oder so" aus 1932
Dieses Buch aus dem Frühjahr 1932 !!! enthält ganz viele Gedanken und Wahrheiten aus der Zeit vor der Machtübernahme Adolf Hitlers im März 1933. Der amerikanische Autor bereiste bereits während seines Studiums viele Orte in Deutschland und Europa und beschrieb sehr viele teils unbekannte Zustände der damaligen Gesellschaft. Und er belegt seine Schlussfolgerungen mit fundierten Daten. - Solllten Sie hier direkt eingelandet sein, beginnen Sie besser auf dieser einführenden Seite. Ganz viele zusammengesuchte Erklärungen und Ergänzungen haben wir auf dieser Erklärungs-Seite eingebracht, Informationen, die das Buch selbst nicht bietet, die aber zum Verstehen der einzelnen Kapitel wichtig sind.
.
Siebentes Kapitel - BRAUNSCHWEIG
.
BRAUNSCHWEIG (- Der erste Nationalsozialist am Ruder)
Ein Nationalsozialist ist heute im deutschen Staat am Ruder. Morgen mögen es schon viele sein, aber heute ist Herr Dietrich Klagges, Minister für Inneres und Erziehungswesen im Staate Braunschweig, jedenfalls der einzige Nationalsozialist, der eine Regierungsstelle inne hat; was er heute, in dem ersten Interview, das er einem ausländischen Korrespondenten gewährte, äußerte, ist ein recht interessanter Beitrag zur Beantwortung der Fragen, die in der übrigen Welt hinsichtlich Deutschlands am häufigsten gestellt werden.
Amerika mit seinen gewaltigen Geldinteressen im Reich
Amerika mit seinen gewaltigen Geldinteressen im Reich und alle Nachbaren Deutschlands haben das größte Interesse daran, zu erfahren, was geschehen wird und wie die Nationalsozialisten sich verhalten werden, wenn sie im Reich zur Herrschaft gelangen, und was für Menschen denn schließlich die radau- und kampflustigen fanatischen Anhänger Adolf Hitlers sind.
Es ist unmöglich, diese Frage für alle Nationalsozialisten zu beantworten. Auf Grund eines einzigen Beispiels zu verallgemeinern, wäre unvorsichtig.
Trotzdem: der einzige Nationalsozialist, der bereits an der Macht ist, sprach heute mehr als eine Stunde lang mit mir und erwies sich als eine ausgeglichene und humorvolle Persönlichkeit mit überraschend gemäßigtem politischem Standpunkt, deren Hauptneigung nur schwer mit dem Ruf der Nationalsozialisten, blutdürstig und brutal zu sein, in Einklang zu bringen ist. Diese Neigung galt seinen "fünf Kindern".
.
Blutdürstig, brutal, Bürgerkrieg, Blutvergießen und Anarchie
Die Prophezeiungen ..... Bürgerkrieg, Blutvergießen und Anarchie: das ist es, was viele unter den Gegnern der Nationalsozialisten dem Deutsehen Reich für den Fall prophezeien, daß Hitler ans Ruder kommt.
Umsturz der internationalen Vereinbarungen, wirre Verhältnisse auf dem Kontinent, vielleicht ein Revanchekrieg: das steht nach der Meinung der Hitlerfeinde Europa bevor, wenn er die Regierung übernimmt.
Gewaltsame Entfernung der fremden Kapitalien aus Deutschland, Zunichtemachung der ausländischen Beteiligungen an deutschen Konzernen: das ist, wie die Vertreter des hitlerfeindlichen Lagers erklären, das mindeste, was wir Amerikaner von einer Hitlerregierung erwarten dürfen.
.
Diese Behauptungen verdienen Beachtung, weil .....
.... aber man darf nicht vergessen, daß sie von feindlicher Seite kommen, und das Ausland, das an der Frage, wer in Deutschland zur Herrschaft gelangt, nur so weit interessiert ist, wie seine, des Auslandes, Interessen davon betroffen werden, muß sorgfältig auf das achten, was die Nationalsozialisten selbst für sich zu sagen haben.
Was dieser Nationalsozialist, der einzige aus seiner Partei, der in einer verantwortlichen Stellung ist, zu sagen hatte, war schon an sich interessant, wurde aber durch die Art, in der er es sagte, noch bemerkenswerter.
.
Die ausländische Meinung über die "Hitlerianer"
Die meisten Hitlerianer tragen angeblich Schlagringe. Dieser hier hatte einen Ehering an der Hand. Die meisten Hitlerianer sind angeblich überaus brutal. Dieser hier sieht dem liberalen und menschenfreundlichen Herausgeber der „New Republik", Mr. Bruce Bliven, so ähnlich, daß er sein Zwillingsbruder sein könnte.
Das einzige an seinem breiten Schullehrergesicht, was ihn als Hitler-Anhänger kennzeichnete, war der kurz gestutzte Schnurrbart, der von Hitler kultiviert wird und bei seiner Gefolgschaft so beliebt ist, wie vor dem Krieg in ganz Deutschland der hochgezwirbelte stolze Schnurrbart Kaiser Wilhelms.
.
Es paßt nicht recht zu den Eigenschaften der Nationalsozialisten
Die randlose Brille, die er wie viele seiner Berufsgenossen trägt - Herr Klagges war, bevor er Politiker wurde, Naturkundelehrer - paßt gar nicht recht zu der den Nationalsozialisten zugeschriebenen Eigenschaft, ständig in der Bereitschaft zu blutigen Schlägereien zu leben.
In dem Jugendkalender der Nazis steht, in dicken schwarzen Lettern gedruckt, Adolf Hitlers Wahlspruch: „Ein Mann bittet nicht um sein Recht, er kämpft darum".
„Ich glaube", erklärte dieser Hitlerianer in verantwortlicher Position, der 41 Jahre alt ist, „daß die Zeit der Gewaltmethoden in internationalen Angelegenheiten vorüber ist. Würde Frankreich mit Waffengewalt gegen uns vorgehen, wenn wir uns weigerten, weitere Tributzahlungen zu leisten? Ich denke, das würde davon abhängen, welche Haltung die übrige Welt einnimmt, aber mein Eindruck geht jedenfalls dahin, daß die Tage militärischer Invasionen zur Geldeintreibung der Vergangenheit angehören."
.
Was wird, wenn Hitler die Regierung ergreift
Wir saßen in einem Zimmer im Ministerium und sahen auf die Dächer der 11oo Jahre alten Stadt Braunschweig hinaus. Ganz in der Nähe stand die vor mehr als 1ooo Jahren vom Grafen Dankward erbaute Burg, nicht weit davon der berühmte, im Jahre 1166 von Heinrich dem Löwen aufgestellte, bronzene Braunschweiger Löwe, der, ein Symbol der Germanenkämpfe zur Eindämmung der Slawenflut, nach Osten blickt.
Hitler nimmt für sich in Anspruch, Europas Bollwerk gegen die Bolschewisten zu sein. Herrn Klagges als Minister des Innern und des Erziehungswesens unterstehen nicht nur die Schulen, sondern auch die Polizei.
Ich fragte den Minister, was mit den deutschen Kommunisten geschehen würde, wenn Hitler die Regierung ergreift.
„Wir würden sie unterdrücken", erklärte er. „Aber das soll nicht heißen, daß es zu einem Racheregime käme."
.
Eine Frage zu den Befürchtungen der Ausländer in Berlin
Ich erzählte ihm, daß mich ein in Berlin lebender Ausländer gefragt hatte, ob es nicht ratsam wäre, wenn er seine Familie aus Deutschland fortschickte. Die Frage gründete sich auf die Annahme, daß eine Unterdrückung der kommunistischen Partei durch eine Hitler-Regierung Gewalttätigkeiten, Aufstände, vielleicht den Bürgerkrieg mit sich bringen würde.
„Wenn wir zur Macht gelangen, woran nicht zu zweifeln ist", sagte Herr Klagges auf das nachdrücklichste, „wird das nur auf legalem Wege geschehen. Auf legalem Wege zur Macht gelangt, werden wir die Regierungsgeschäfte legal führen. Nur illegaler Widerstand gegen die Regierung könnte eine Situation herbeiführen, die zur Anwendung von Gewalt zwingt."
Was würden die Kommunisten und Republikaner tun wenn .....
Ich fragte den Minister, was die Gegner des Nationalsozialismus seiner Meinung nach unternehmen würden, wenn Hitler entweder unmittelbar davor stünde, legal zur Herrschaft zu gelangen, oder bereits dazu gelangt wäre. Würden die republikanischen, antifaschistischen Parteien Anstrengungen machen, um Hitler mit Gewalt daran zu verhindern?
„Die Erfahrungen in meinem Amt haben mich gelehrt", gab er zur Antwort, „daß unsere Gegner nicht die Leute sind, bewaffneten Widerstand mit den Massen gegen eine legale Regierung der Nationalsozialisten zu erheben. Es ist für Demokraten nicht möglich, die Auswirkungen des demokratischen Systems mit Gewalt zu hintertreiben oder auch nur einen Versuch in dieser Richtung zu unternehmen, und dabei Demokraten zu bleiben.
Die ganze Ideologie der republikanischen Gegner der Nationalsozialisten ist so geartet, daß sie den Mechanismus der Volksregierung, den sie selbst ins Leben gerufen haben, weiter selbst dann funktionieren lassen müssen, wenn das Resultat darin besteht, daß eine Partei, die sie verabscheuen, ans Ruder gelangt.
Unsere Gegner", fuhr der Minister fort, ,»lassen es sich nicht nehmen, die Ansicht zu verbreiten, vor allem unter Ausländern, daß eine nationalsozialistische Regierung Blutvergießen und Gewalt mit sich bringen würde. Das könnte sie nur mit sich bringen, wenn die Gegner der nationalsozialistischen Regierung den Wunsch haben, ihre Opposition mit illegalen Mitteln unter Blutvergießen und Gewalt fortzusetzen.
Mit ebenso großem Eifer propagieren sie die Ansicht, daß das Kommen des Nationalsozialismus in Deutschland einen Konflikt mit Frankreich nach sich ziehen muß. Das ist Unsinn, denn es gibt keinen Menschen in unserer Partei, übrigens auch keinen Menschen in ganz Deutschland, der Angriffsgedanken gegen Frankreich hegt."
.
Was passiert mit dem ausländischen Kapital in Deutschland
Draußen fiel der Schnee und legte sich weiß in das Schnitzwerk der Giebel auf den mittelalterlichen Häusern Braunschweigs.
Die Stadt ist ein beliebtes Reiseziel für Amerikaner und Engländer, die seine Schätze und Kunstwerke aus den Zeiten des Herzogtums kennen.
Ich befragte Herrn Klagges über die nationalsozialistische Haltung gegenüber Ausländern und sprach davon, daß ein Nationalsozialist von Bedeutung einem Bericht zufolge in Berlin erklärt habe, daß man, sobald Hitler die Regierung ergriffen habe, das gesamte fremde Kapital, das jetzt in deutschen Konzernen arbeite, darunter natürlich auch das amerikanische, nicht im Lande dulden werde.
„Unter unserer Regierung", erwiderte der Minister, „werden die Fremden den vollen Schutz der Gesetze genießen. Viele Deutsche haben Besitz im Ausland und stehen in den Ländern, in denen sie ihr Kapital angelegt haben, unter dem Schutz der Gesetze. Wenn wir erwarten, daß ihnen dieser Schutz erhalten bleibt, müssen wir alles tun, um in Deutschland den Ausländern die gleichen Rechte zu erhalten.
Abgesehen von allen anderen Überlegungen kann es nur in unserem eigenen Interesse liegen, dafür zu sorgen, daß die Fremden so behandelt werden, wie es ihnen gebührt."
- Anmerkung : Gerade der letzte Satz ist dermaßen "Wischiwaschi", daß Herr Knickerbocker gleich nach Hitlers Machtantritt Deutschland verlassen hatte.
.
Die brennende Frage der französisch-deutschen Beziehungen
Wir kamen wieder auf die brennende Frage der französisch-deutschen Beziehungen und der nationalsozialistischen Haltung zur Reparationszahlung, hinsichtlich derer Frankreich zu erkennen gegeben hat, daß es eine vorübergehende Einstellung dulden, aber niemals eine prinzipielle Weigerung anerkennen könne. Ich fragte Herrn Klagges, ob er der Meinung sei, daß Deutschland in Zukunft Reparationen zahlen könne.
„Nein", erklärte er in ruhigem Ton, „Deutschland wird niemals wieder Reparationen zahlen können. Es war niemals dazu in der Lage und wird es auch nie sein. Die Gelder, die wir bis jetzt als Tribut abgeführt haben, sind nie aus unserer Tasche bezahlt worden. Wir mußten uns das Geld im Ausland von Privatpersonen borgen und es zur Bezahlung dieser sogenannten Schulden verwenden. Was für ein Durcheinander diese Methode des Zahlens in der Welt angerichtet hat, sehen Sie. Es hätte gar keinen Sinn, das zu wiederholen."
„Aber", erinnerte ich ihn, „es ist ja möglich, daß Frankreich Ihren Standpunkt, daß Deutschland niemals imstande sein wird, Reparationen zu zahlen, vielleicht doch nicht anerkennt. Wenn Sie auch in diesem Fall dabei bleiben, daß Sie nicht zahlen können, was dann?"
„Unsere Zahlungsunfähigkeit ist bereits erwiesen worden", antwortete der Minister. „Wenn Frankreich versuchen sollte, daraufhin zu Gewaltmaßnahmen zu greifen, könnten wir, glaube ich, darauf bauen, daß England und Italien gegen ein derartiges Vorgehen auf das schärfste protestieren."
„Aber als Deutschland im Jahre 1923 erklärte, es könne nicht zahlen, und Frankreich die Absicht äußerte, die Zahlung zu erzwingen, protestierte England auch auf das schärfste gegen die Ruhrbesetzung."
„Ja, aber 1932 ist nicht 1923. Es hat sich sehr viel Neues ereignet, und ich wiederhole Ihnen, ich glaube nicht, daß die Welt einen neuen Einmarsch nach Deutschland dulden würde. Auf jeden Fall", fügte er in einer nachträglichen Überlegung hinzu, der vielleicht mehr Bedeutung zukam als seinem Hauptargument, „würde Frankreich höchstens einen kleinen Teil Deutschlands besetzen - und was könnte es davon schon haben?
Es wäre mir lieb", sprach er, die Hände ineinanderlegend und mir durch seine Brille offen ins Gesicht sehend, weiter, „wenn Sie betonen würden, daß man sich trotz dem furchtbaren Elend in Deutschland, und obwohl große Mengen des Volkes in Verhältnissen leben, welche die meisten Nationen bereits zur Verzweiflung getrieben hätten, auf das höchste darüber wundern muß, wie ruhig die Deutschen ihre Leiden ertragen.
Es ist zu keinen Aufständen gekommen, zu keinem Versuch, mit ungesetzlichen Mitteln eine Änderung herbeizuführen. Bei all unserer Armut und unserem Elend sind wir entschlossen, als Volksganzes unsere Rettung durch ord-nungs- und gesetzmäßige Mittel zu erreichen."
.
Meine Gedanken und Erinnerungen an den Juli 1931
Ich muß gestehen, wie der nationalsozialistische Minister da saß und sich in seiner gelassenen Art über die Ordentlichkeit des deutschen Volkes verbreitete, verschwand hinter dem Bild, das er von der wirklich erstaunlichen Disziplin dieses Volkes heraufbeschwor, die Erinnerung daran, daß die Nationalsozialisten, und zwar - das muß ausgesprochen werden - mit Recht, in dem Ruf stehen, eine Erreichung ihrer Ziele mit Gewaltmitteln anzustreben.
Ich dachte an den Juli 1931; damals waren alle Banken Deutschlands geschlossen, und wochenlang konnten die Konteninhaber nur einen Bruchteil ihrer Einlagen, ja nicht einmal genug Geld zur Befriedigung ihres täglichen Bedarfes abheben.
Am Tage vor der Wiederöffnung der Banken prophezeite mir ein amerikanischer Bankier, es werde am nächsten Tage zu einem furchtbaren Run auf alle Banken kommen, man werde sein Geld in solchen Mengen fordern, daß der ganze Bankenapparat Deutschlands zusammenbrechen müsse. Als die Schalter jedoch wieder geöffnet wurden, zahlten die Deutschen mehr Geld ein, als sie abhoben.
Ich dachte an die letzten aufgeregten Tage der Inflation im Jahre 1923, als die deutsche Währung in ungeahnte Tiefen stürzte und der Dollar 3 Milliarden Papiermark wert war. Nicht nur, daß nichts passierte, daß es zu keiner Revolution, nicht einmal zu einem ernsthaften Versuch dazu kam - kaum war die Mark auf der Dollar-Basis von 4,2 Billionen stabilisiert, da begann das deutsche Volk augenblicklich wieder zu sparen; im Jahre 1927 hatte es bereits eine Milliarde Dollar in einem Geld gespart, das noch vor vier Jahren zu überflüssigem Papier geworden war, während es in den Sparkassen lag.
.
Waren die NAZIs wirklich so lammfromm ?
Die zahllosen kritischen, doch ohne Blutvergießen vorüber gegangenen Tage, welche Deutschland seit dem Kriegsende, das dem Volk das Grauen der unerwarteten Niederlage brachte, heimgesucht haben; die vielen Anlässe, bei denen selbst so gut informierte Beobachter wie die diplomatischen Vertreter des Auslandes in Berlin heftige Revolten erwarteten, zu denen es dann nie kam.
Lord D'Abernons Tagebuchaufzeichnung, er habe nie recht den Mut aufbringen können, seine Kunstschätze nach Berlin kommen zu lassen, aus Furcht vor dem Mob, der jedoch den Frieden seiner Gesandtschaft während seines ganzen vierjährigen Aufenthaltes in der deutschen Hauptstadt niemals störte: diese Erinnerungen wurden wieder in mir lebendig, als der nationalsozialistische Minister mit einem Ernst, der beruhigend wirkte, den ordentlichen Charakter der Deutschen auf das nachdrücklichste betonte.
Der Minister lachte auf, als ich ihm erzählte, daß wir auf die Suche nach einem Nazi gegangen wären, der kein Messer hätte. Eine Erinnerung ließ sich dennoch nicht auslöschen: ein blutbeflecktes Messer aus der Lade eines Führers einer republikanischen Organisation geholt und mir mit den Worten „Das haben wir einem Nazi abgenommen, der einen totgeschlagen hat" vor die Augen gehalten.
.
Wie beurteilt der Minister die Roten in Braunschweig ?
Ich fragte den Minister nach der Tätigkeit der Roten in Braunschweig. Er gab mir zur Antwort, daß die Kommunisten Plünderungen in Nahrungsmittelgeschäften der Stadt versucht, aber keinen Anklang damit gefunden hätten.
An diesem Morgen hatte sich vor unserem Hotelfenster eine Menschenmenge angesammelt. Die Leute starrten zu der winzigen Gestalt eines Mannes empor, der auf den Turm des alten, im Jahre 1178 von Heinrich dem Löwen erbauten Braunschweiger Domes kletterte. Der Mann war schon so hoch, daß er so klein aussah wie ein Püppchen.
Er reckte und streckte sich und holte schließlich ein kleines Stoffstück vom Wetterhahn des Turmes herunter. Es war sehr weit weg, aber man konnte trotzdem sehen, daß der Stoff rot war. Ein Kommunist war in der verschneiten Winternacht auf den Turm gestiegen und hatte als Zeichen des Protestes gegen die Arbeitslosigkeit die rote Fahne oben festgemacht.
.
Die Lösung des Arbeitslosenproblems war herausragend wichtig
Ich stellte dem Minister die Frage, was eine Hitlerregierung zur Lösung des Arbeitslosenproblems unternehmen würde, ob die Unterstützungen abgeschafft werden sollten.
„Das", erklärte er, „wäre ein Ding der Unmöglichkeit. So etwas ließe sich in Deutschland im Augenblick nicht machen."
Worin die Lösung jedoch bestehen würde, wollte mir der Minister nicht verraten. Er blieb dabei, daß die Nationalsozialisten sich alle Erfolgsmöglichkeiten verderben würden, wenn sie ihre Pläne zur Linderung der Wirtschaftskrise bekannt gäben.
„Unsere Lösung", so sagte er, „setzt Vertrauen voraus und ist überdies an ein Überraschungselement gebunden. Je weniger man vorher von der Lösung weiß, desto wirksamer wird sie sein."
Diese Antwort klang mir vertraut. Ein anderer Vertreter der Partei hatte das gleiche ein wenig direkter ausgedrückt, indem er sagte:
„Wenn wir unsere Methode zur Behebung der Wirtschaftskrise preisgeben, werden unsere Feinde sie aufgreifen, sich ihrer bedienen und die Ehre dafür in Anspruch nehmen."
Dieses merkwürdige Verhalten der Nationalsozialisten hat einige unfreundliche Leute zu der Behauptung veranlaßt, die Nazis hätten gar keine Lösung. Minister Klagges lehnte es lediglich ab, ein taktisches Geheimnis zu diskutieren.
.
Oberstes Ziel - allein zur Herrschaft in Deutschland
Die berühmt gewordene, aber noch unbekannte Lösung der Wirtschaftskrise kann natürlich erst dann zur Anwendung kommen, wenn die Nationalsozialisten allein zur Herrschaft gelangt sind.
Minister Klagges betonte, daß seine eigene Tätigkeit in Braunschweig durch die Abhängigkeit der deutschen Staaten vom Reich behindert sei.
„Meine Partei", erklärte er, „hat von mir nicht erwartet, daß ich imstande sein werde, mein Amt durchwegs in Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Politik zu verwalten. Das ist unmöglich, so lange wir noch keine nationalsozialistische Regierung im Reich haben."
„Ist es aber nicht auch richtig", fragte ich, „daß die Nationalsozialisten, wenn sie im Reich eine Koalitionsregierung, sagen wir zum Beispiel mit dem Zentrum, bilden, auch nicht imstande sein werden, ihre politischen Prinzipien wirksamer durchzuführen, als es Ihnen in Braunschweig möglich war?"
„Das könnte wohl nur für den Anfang stimmen", gab er mir zur Antwort. „Nur so lange wie wir auf eine Koalition angewiesen sind. Aber ich rechne zuversichtlich damit, daß wir 1932 die absolute Majorität im Reich gewinnen und ohne alle Einschränkungen und Behinderungen zur Macht gelangen."
.
Minister Klagges hatte in Braunschweig auch Gegner
Die Gegner des Ministers Klagges in Braunschweig, die mir ihre Ansichten offenbarten, ohne sich irgendwelche Reserven aufzuerlegen, nannten tatsächlich als ernsthaftesten Einwand gegen ihn, daß er die Verordnungen des Kanzlers Brüning noch etwas radikaler ausgeführt habe als die eigene Partei Brünings und ihre Koalitionsfreunde in anderen Ländern des Reiches.
Der einzige nationalsozialistische Minister, der jetzt in einem deutschen Staat amtiert, hat sich weder gegen das Reich aufgelehnt noch die Verfassung verletzt, er ist seinen Gegnern vor allem unangenehm geworden durch den übermäßigen Eifer, mit dem er sich daran gemacht hat, in Übereinstimmung mit dem Erlaß des Kanzlers Brüning, den die Nazis aus ihren Reihen zu ersetzen vorhaben, die Beamtengehälter herabzusetzen.
.
Der Aufmarsch der 100.000 Mann im Oktober 1931
Aus der Zeit der nationalsozialistischen Regierung in Braunschweig, die im September 1930 begann, ist vor allem der Aufmarsch der 100.000 Mann Nazi-Sturmabteilungen im Oktober 1931 zu erwähnen.
Sie hielten Paraden ab, hörten Reden an, demonstrierten, sangen, lauschten der Musik ihrer Kapellen und stießen am Abend mit den kommunistischen und sozialistischen Arbeitern der Stadt zusammen.
Am nächsten Morgen waren zwei Arbeiter tot, eine Anzahl der Kampfteilnehmer verwundet, und eingeschlagene Fenster und Türen im Arbeiterviertel der Stadt bekundeten die traditionelle Gesetzesfürchtigkeit und Ordnungsliebe des deutschen Volkes.
Die Versicherungen, die Minister Klagges über den friedfertigen und gesetzesfürchtigen Charakter der Deutschen abgab, waren sehr eindrucksvoll und verdienen wirklich Beachtung. Aber das gleiche gilt für den Aufmarsch der Sturmabteilungen.
.
Ein Blick auf den Braunschweiger Landtag von 1931
Im gegenwärtigen Braunschweiger Landtag sitzen 17 Sozialdemokraten, 2 Kommunisten, 1 Mitglied der Staatspartei, 9 Nationalsozialisten und 11 Abgeordnete vom Bürgerblock, der sich heute in einer Koalition mit den Nazis in die Macht teilt, obwohl die Koalition im Augenblick nicht mehr als genau 50% der Stimmen im Landtag hat.
Der erste Minister für Inneres und Erziehungswesen der Nazis war Anton Franzen, der im Juni 1931 zurücktrat, angeblich weil seine Partei mit seinem gemäßigten Regime nicht zufrieden war.
Ihm folgte Klagges, der mit dem einzigen anderen Minister, einem Deutschnationalen, Dr. Küchental, jetzt die ganze Regierung Braunschweigs bildet. In der Stadt wird heute prophezeit, daß die Nazis es in einer neuen Landtagswahl von ihren 9 auf 15 Sitze bringen und zusammen mit dem konservativen Block eine absolute Majorität bilden würden.
.
Wenn wir von Braunschweig auf die Reichsregierung schließen
Wenn man von den Zuständen in einem Staat unter dem Parteiregime eines Hitleranhängers auf die Aussichten für eine Reichsregierung Hitler schließen kann, muß man hier - wie in Weimar - zu der Ansicht kommen, daß die Zukunft keine Katastrophen birgt.
Es gibt Unterschiede, welche diesen Vergleich nicht ganz zuverlässig erscheinen lassen, und auf einige dieser Unterschiede wies Minister Klagges selbst hin, doch es bleibt Tatsache, daß selbst die politischen Feinde der Nazis aus dem Lager der republikanischen Linken über die Milde der Naziregierung in Braunschvveig erstaunt sind.
Keiner von ihnen wagt, das in seiner Parteipresse auszusprechen, aber privat im Gespräch sagen sie es. Von allem, was der Besuch bei dem nationalsozialistischen Minister Braunschweigs gelehrt hat, hat den größten Wert für das Ausland vielleicht die Tatsache, daß Hitler sich gerade einen Mann wie Herrn Klagges als Repräsentanten gewählt hat.
Wenn Hiller damit zum Ausdruck bringen wollte, daß er sein Berliner Kabinett mit Männern gleich gemäßigter Haltung besetzen wird, dann könnte sich vielleicht herausstellen, daß die Befürchtungen, die man an ein Regime Hitler knüpft, übertrieben sind.
Man könnte einwerfen, daß Herr Klagges mit einem auswärtigen Korrespondenten gesprochen und sein Verhalten danach eingerichtet habe. Aber selbst dann ist es von größtem Interesse für das Ausland, daß der nationalsozialistische Minister es für angebracht hielt, das Parteiprogramm so zu interpretieren, daß es auf das Ausland eine mehr oder weniger beruhigende Wirkung ausübt.
.
Ein Photo-Besuch im Hause Klagges
Unser Photograph, James Abbe, bat Minister Klagges um die Erlaubnis, ihn mit seiner Familie photographieren zu dürfen.
Der Minister ist Mitglied des deutschen „Verbandes kinderreicher Familien". Herr Klagges überlegte ... Er ist zwar Nationalsozialist und vertritt den Standpunkt „Herr im Hause ist der Mann", aber schließlich sagte er: „Ich werde meine Frau fragen müssen."
Er telephonierte. „Aber liebes Kind**, rief er lachend, „in Amerika glaubt man, daß die Nationalsozialisten Kinder fressen. Wir können ihnen fünf zeigen, die noch nicht aufgefressen sind."
Der Besuch in der Wohnung des Herrn Klagges hatte eine ebenso beruhigende Wirkung wie die Unterredung mit ihm. Vater Dietrich, Frau Mali und die fünf kleinen Germanen mit den ganz germanischen Namen Ingrun, Hugdietrich, Irmhild, Reinar und Altraut - das älteste war 11 Jahre, das jüngste 18 Monate alt - boten ein Bild des Familienglücks, das unmöglich mit den Vorstellungen in Einklang zu bringen ist, die man sich nach den Karikaturen gemeinhin vom Nazi macht.
Jetzt noch ein junger französischer Kellner in unserem Hotel
Der interessanteste Mensch in Braunschweig, nächst Minister Klagges, war ein junger französischer Kellner in unserem Hotel. Er stammte aus Nizza und war durch das internationale Kellneraustauschsystem hierhergekommen.
Er mußte ein Jahr hier bleiben, um deutsch zu lernen, während ein deutscher Kellner gleichzeitig ein Jahr in Nizza verbrachte, um französisch zu lernen. Dieses System dürfte wohl ein Schritt näher zu dem fernen Ziel der Annäherung zwischen den beiden Ländern sein, deren gegenseitige Jahrhunderte alte Feindschaft noch immer lebendig ist.
Der junge Franzose, der sich sehr darüber freute, daß er Gelegenheit hatte, seine Muttersprache zu reden, sprach sich aus.
- Anmerkung : Demnach spach der Amerikaner Knickerbocker neben Deutsch auch Französisch.
„Im Hotel", rief er, „behandeln mich meine Kollegen gut. Wenn ich aus dem Hotel herauskomme, werde ich wie ein Feind behandelt. Ich kann diese Leute nicht verstehen. Sie haben von Frankreich schablonenhafte Vorstellungen. Und gestern hat mir ein Hitlermann gesagt, in drei Jahren wird Frankreich gar nicht mehr existieren - nur ein Haufen Departements - Frankreich wird in lauter kleine Teile zerstückelt werden."
Er lachte, dann wurde er wieder ernst. „Ich bin erst vor kurzem mit meinem Militärdienst fertig geworden", sagte er. „Es war durchaus kein Vergnügen. Aber ich glaube, jetzt würde ich ganz gern wieder zum Militär zurück gehen."
.
.
Damit keine Mißverständnisse aufkommen, dieses Buch wurde von einem studierten Journalisten Anfang 1932 geschrieben.
Auch wenn viele Voraussagen und Prophezeihungen des Amerikaners Knickerbocker erstaunlich dicht an den späteren Ereignissen schrammen, das Buch ist ca. 1 Jahr vor dem März 1933 geschrieben worden, als Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde.