Das Buch "German crisis" - "Deutschland so oder so" aus 1932
Dieses Buch aus dem Frühjahr 1932 !!! enthält ganz viele Gedanken und Wahrheiten aus der Zeit vor der Machtübernahme Adolf Hitlers im März 1933. Der amerikanische Autor bereiste bereits während seines Studiums viele Orte in Deutschland und Europa und beschrieb sehr viele teils unbekannte Zustände der damaligen Gesellschaft. Und er belegt seine Schlussfolgerungen mit fundierten Daten. - Solllten Sie hier direkt eingelandet sein, beginnen Sie besser auf dieser einführenden Seite. Ganz viele zusammengesuchte Erklärungen und Ergänzungen haben wir auf dieser Erklärungs-Seite eingebracht, Informationen, die das Buch selbst nicht bietet, die aber zum Verstehen der einzelnen Kapitel wichtig sind.
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Drittes Kapitel - JENA
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JENA (oder besser : die "Karl-Zeiß-Werke")
Das Deutschland des Jahres 1932 birgt vielerlei Welten. Aus der Welt des Hungers, aus Falkenstein, kamen wir nach einer Fahrt durch das wintrige Niemandsland des „sächsischen Sibirien", dessen Dörfer so still da lagen, als wären sie verlassen, in eine größere Stadt.
Das Licht unserer Scheinwerfer, das uns den ganzen Weg über außer vereinzelten Gruppen der für die ländlichen Gegenden Deutschlands charakteristischen Vagabunden nichts Lebendiges gezeigt hatte, verblaßte mit einemmal in der Helligkeit strahlend erleuchteter Fenster.
Die hohen, breiten Glaswände einer Fabrik, die mehrere Blocks einnahm, waren uns mit ihrem Lichterglanz eine Verheißung, daß es in Deutschland Orte gibt, die einen erfreulicheren Anblick bieten als die Dörfer erwerbsloser Textilarbeiter.
Und diese Verheißung ging auch in Erfüllung. Die Karl-Zeiß-Werke in Jena heben sich von dem düsteren Hintergrund der allgemeinen Depression im Reich in ebenso scharfem Kontrast ab wie ihre hellstrahlenden Fenster vom Nachthimmel.
Dürfte man Deutschlands Wirtschaftslage nach der der Zeiß-Werke beurteilen, so würde man zu dem Schluß kommen, das Land sei gesund, es habe eine gesicherte Zukunft, und seiner Bevölkerung gehe es gut.
Verglichen mit Falkenstein - eine ganz andere Welt
Verglichen mit dem nur wenige Stunden entfernten trostlosen Gebiet stillgelegter Fabriken und jammervollen Elends, war das hier buchstäblich eine ganz andere Welt. Eine Welt, die das wirkliche Deutschland zu sein schien - das Deutschland der Ordnung und des Fleißes, der Sauberkeit und des Behagens, der Produktivität und Tüchtigkeit.
Eine Welt überdies, deren Namen man in allen Ländern des Erdballs kennt. Es gibt kaum eine größere Maschinenfabrik in Amerika, die nicht von Zeiß hergestellte Instrumente hätte, und nur wenige Universitäten, Laboratorien und Sternwarten, deren Apparatur nicht mindestens zum Teil aus den Jenaer Werken stammt.
Gebiete mit der größten Arbeitslosigkeit und dem bittersten Elend
Ein einseitiges Bild von Deutschland zu entwerfen, wäre kein Kunststück. Da ist vor allem das Nachtleben am Berliner Kurfürstendamm - schon dieser Eindruck allein muß in einem Lande, das im Ruf steht, bankrott zu sein, den Fremden auf das äußerste verblüffen.
Es wäre durchaus möglich, die größten Städte im Reich zu bereisen und dann von dem allgemeinen Tanzen, dem Wein- und Biergenuß, dem üppigen Leben inmitten der Not zu berichten.
Auf der anderen Seite gibt es die Gebiete mit der größten Arbeitslosigkeit und dem bittersten Elend. Es würde keine Schwierigkeit bereiten, so viele Beispiele für das Hungern in Deutschland zu finden, daß man die Welt davon überzeugen könnte, dieses Land stehe vor einem Verhungern en masse.
Schwer ist es nur, den Durchschnitt zu treffen. Der Zeiß-Konzern bildet ein gutes Gegengewicht gegen die Schattenseiten des Reiches in der Krise.
Der Jenenser Konzern ist eine Stiftung (in 1932)
Er ist jedoch gleichfalls nicht ganz typisch. Textilien kann jeder fabrizieren. Die optischen und physikalischen Instrumente aber, die von den Zeiß-Werken, und die Spezialgläser, welche von dem angeschlossenen Unternehmen, den Schott-Glas-Werken, geliefert werden, können nicht viele Fabriken in der Welt erzeugen.
Der Jenenser Konzern ist auch etwas ganz anderes als eine normale Einheit im Wirtschaftsmechanismus Deutschlands. Er ist nicht eine Gesellschaft, sondern eine Stiftung (Anmerkung : wir sind im Jahr 1932) ; seine Organisation und sein Aufbau sind etwas Einzigartiges.
Aber die Tüchtigkeit und Geschicklichkeit, die Erfindungsgabe und der wissenschaftliche Geist, mit deren Hilfe der Konzern sein jetziges Niveau erreicht und es während der bösesten Wirtschaftskrise der Welt in geradezu unvergleichlicher Weise gehalten hat, sind Eigenschaften, die typisch für den Deutschen sind, und denen weder der Krieg noch die Leiden der Nachkriegszeit etwas anhaben konnten. Die Zeiß-Werke liefern für eine Beurteilung der Zukunft Deutschlands wertvolles Material.
Die Zeiss-Arbeiter - gut angezogen und gut gestimmt
Aus den geräumigen Fabriktoren strömten Arbeiter. So wohlhabend aussehende Arbeiter hatte ich in Deutschland noch nicht gesehen. Sie waren gut angezogen, sie schienen gut gestimmt zu sein, und es waren nicht etwa wenige, sie zählten nach Tausenden.
Sie hatten auch allen Grund, gut gestimmt zu sein. Noch vor sechs Monaten merkten die Arbeiter dieser Fabrik kaum, daß in der Welt etwas von Belang nicht in Ordnung sei.
Heute, inmitten des „schwersten Winters", arbeitet das Werk mit 85% seiner vollen Belegschaft 42 Stunden in der Woche. Seit der Zeit der besten Konjunktur in der Nachkriegsperiode, seit dem Jahre 1929, in dem der Konzern 5.9oo Menschen beschäftigte, ist die Belegschaft um nicht mehr als 85o Mann, also 15%, auf 5.050 reduziert worden, während der Prozentsatz der Erwerbslosigkeit unter den Industriearbeitern im ganzen Reich 40% beträgt.
Hier in Jena war alles anders
Noch mehr jedoch als die Arbeiter, die die Fabrik verließen, unterschieden sich die, die wir im Betrieb sahen, von ihren Kollegen in den ärmeren Distrikten Deutschlands.
Die Gesichter hier waren unbekümmert, intelligent, charaktervoll. Mit weißen Schürzen bekleidete Männer saßen reihenweise vor breiten Fenstern und setzten auf sauberen weißen Tüchern Mikroskope zusammen.
Andere waren eifrig damit beschäftigt, einen wunderbaren, unglaublich komplizierten Apparat zu prüfen, der verzerrte Flugaufnahmen in topographische Karten umwandelt. Reihe um Reihe saßen Männer und Frauen da, aufmerksam über Linsen gebeugt, und polierten sie, bis ein geradezu phantastischer Grad von Genauigkeit erreicht war.
Ganze Reihen von Poliermaschinen bewegten sich vor und zurück wie exerzierende Kompanien. In den Fenstern standen Topfpflanzen. Eine Atmosphäre des Behagens und des Vertrauens herrschte hier.
Das Zeiss-Werk - zwei ganze Gebäudeblocks
Es war natürlich unmöglich, mehr als einen Bruchteil der zwei ganze Gebäudeblocks einnehmenden Werke zu besichtigen, in deren zahllosen Abteilungen tatsächlich alles erzeugt wird, was mit Optik und Feinmechanik zu tun hat, von Brillen und Automobilscheinwerfern bis zu astronomischen Teleskopen und der kompliziertesten Maschine, die hier hergestellt wird: dem Planetarium.
In der astronomischen Abteilung hielten wir uns auf, um uns das für das Planetarium in Los Angeles bestimmte 30-Zentimeter- Teleskop, das eine Brennweite von 5 Metern und 833fache Vergrößerung hat, genauer anzusehen.
Die Geschäfte sind zurückgegangen, aber von Depression kann an einer Arbeitsstätte nicht die Rede sein, in der der Arbeiter im Akkordlohn bei 42 stündiger Arbeit heute noch 1,25 Mark in der Stunde verdient - im Jahre 1930 betrug das Stundeneinkommen bei 48 stündiger Arbeit 1,35 Mark.
Wir besuchten einen Arbeiter der Zeiß-Schmiede
Welch ein Abgrund in Deutschland die bestsituierten Arbeiter von den schlechtest gestellten trennt, war an den Wohnungen der Zeiß-Arbeiter ausgezeichnet zu konstatieren. Wir besuchten einen Arbeiter der Zeiß-Schmiede.
Er hatte mit Frau und Kind eine Drei-Zimmer-Wohnung mit Küche und Bad, die nicht weniger komfortabel und ebenso eingerichtet war wie eine Wohnung der New Yorker Mittelschicht.
In dem schönen weißen Herd in der gekachelten Küche brannte ein lustiges Feuer, und Schüsseln mit frischgebackenen Keks bewiesen; daß man hier gut lebte. Im Kellergeschoß stand den Hausbewohnern eine elektrische Waschmaschine zur Verfügung; es war eines der neuen von der Zeiß-Bau-Gesellschaft für die Arbeiter errichteten Reihenhäuser.
Dieser Arbeiter war seit 22 Jahren bei Zeiß, verdiente 5o Mark wöchentlich und hatte Anspruch auf eine lebenslängliche Pension, die ihm ein Auskommen im Alter sicherte.
Insgesamt leben etwa 600 Arbeiter von Zeiß-Pensionen. Einen von diesen, einen alten Zimmermann, suchte ich auf. Er war nach 28 jähriger Arbeitszeit in den Ruhestand getreten. Da er nur seine Frau zu erhalten hatte, konnte er mit seiner Pension von 80 Mark im Monat recht gut auskommen.
Hier gibt es keine Unterstützung vom Staat
Die Zeiß-Arbeiter sind die einzigen im Reich, die keine Unterstützung vom Staat beziehen, wenn sie ihre Stellung verlieren. Sie bekommen vom Zeiß-Konzern eine Pension oder eine Pauschalabfindung, die so beträchtlich ist, daß die Regierung die Zeiß-Werke von dem sonst für das ganze Reich obligatorischen System der Arbeitslosenversicherung ausgenommen hat.
Das Zeißsche Unternehmen steht nämlich in mehr als einer Hinsicht einzig da. Es hat ein System, das sich für andere Industrien vielleicht nicht eignen mag, aber daß es den Erfolg gehabt hat, den Arbeitern des Werkes ihre Beschäftigung zu sichern, ist etwas so Außerordentliches, daß es in einem Augenblick, da die Erwerbslosigkeit zum Hauptproblem der ganzen Welt geworden ist, besondere Beachtung verdient.
Zeiss - Jena - das war Ernst Abbes Werk
Das System stammt von Ernst Abbe (Anmerkung : 23. Januar 1840 - 14. Januar 1905), der jedoch zu bescheiden war, ihm seinen Namen zu geben. Carl Zeiß selbst, Universitätsmechaniker in Jena, hatte im Jahre 1846 mit zwei Gehilfen eine kleine Werkstatt zur Herstellung optischer Instrumente aufgemacht. Ernst Abbe assoziierte sich mit Zeiß, stellte die Produktion auf eine wissenschaftliche Basis, und als Zeiß im Jahre 1888 starb, zählte der Konzern bereits 3oo Angestellte.
- Anmerkung : In dem kleinen Buch "Made in Germany" wird die Entwicklung der Firma Zeiss ausführlich aber romanartig beschrieben.
Abbe wurde Alleineigentümer; das Ungewöhnlichste an seiner ohnedies ungewöhnlichen Leitung war, daß er vor seinem Tode sein Unternehmen in eine „Stiftung" umwandelte und dann noch vierzehn Jahre lang als angestellter Beamter gegen ein Gehalt arbeitete, welches nach den für alle Beamten gültigen Vorschriften der Stiftungssatzung festgesetzt war.
Zu den gleichen Bedingungen traten die Jenenser Glaswerke Dr. Otto Schotts, eines Freundes von Abbe, im Jahre 1919 der Stiftung bei.
Der Zeiß-Konzern - ein kapitalistisches Unternehmen
Diese Bedingungen schufen eine ganz neue Methode der Entlohnung innerhalb des kapitalistischen Systems. Der Zeiß-Konzern ist nämlich ein kapitalistisches Unternehmen in dem Sinne geblieben, daß er, ebenso wie die Sowjet-Unternehmen innerhalb des jetzt herrschenden staatskapitalistischen Systems, um des Profites willen arbeitet.
Der Profit des Zeiß-Konzerns geht jedoch weder wie bei gewöhnlichen Gesellschaften an Aktienbesitzer noch wie bei den Sowjet-Fabriken an den Staat; er kommt in einen Fond, der auf dreierlei Weise geteilt werden kann:
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- für die Vergrößerung und Verbesserung der Werke,
- für die Arbeiter selbst und
- für Zwecke der öffentlichen Wohlfahrt, vor allem für die Universität Jena.
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Das Konzept der Zeiss-Stiftung
Zum Ende des Jahres wird ein Teil des Überschusses nach einem bestimmten einheitlichen Prozentsatz ihres Jahresverdienstes an die Arbeiter ausgeschüttet. So bekamen die Arbeiter z. B. im Jahre 1928 einen Bonus in Höhe von 8% ihres Verdienstes, und im Jahre 1929 ergab die Teilung des Überschusses 9%, was ungefähr einem Monatslohn entsprach.
Nur eine Schicht von Arbeitern im Konzern ist von der Teilnahme an den Profiten ausgeschlossen. Es ist diejenige Schicht, die an allen anderen in den Traditionen des Privatkapitalismus geführten Unternehmungen sich mit den Aktienbesitzern praktisch den ganzen Gewinn teilen: die Direktoren und Geschäftsführer.
Die Direktoren und Geschäftsführer der Zeiß-Werke dürfen gemäß den Stiftungsstatuten jährlich nicht mehr verdienen als das Zehnfache vom Durchschnittsjahreslohn eines vierundzwanzig jährigen gelernten Arbeiters, der eine mindestens dreijährige Dienstzeit in den Zeiß-Betrieben hinter sich hat.
Das heißt, daß die Männer, die an der Spitze der größten optischen Fabrik der Welt stehen, ein Maximalgehalt von rund 20.000 Mark jährlich beziehen, und daß sie keinen Anteil am Überschuß haben.
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Das Entgelt der Direktoren ist gedeckelt
Gegen dieses System ließe sich ein einziger, und zwar ausgesprochen theoretischer Einwand machen: daß die Direktoren nämlich, wenn sie in den üblichen hohen Gehältern, Tantiemen und Dividendenausschüttungen einen Ansporn gehabt hätten, dem Konzern zu größeren Erfolgen hätten verhelfen können.
Die Tatsachen sprechen jedoch gegen dieses Argument: die Zeiß-Werke haben im Verlauf der dreißig Jahre, die seit der Festsetzung der Stiftungsstatuten vergangen sind, einen solchen Aufschwung genommen, daß es ihresgleichen an Größe, Vielfalt der Produktion und Qualität der Fabrikate nicht gibt.
Das Unternehmen hat seit dem Jahre 1904 an seine Arbeiter jährlich Tantiemen in einer Höhe von 2 1/2 bis 5 Wochenlöhnen verteilt; es hat für die Universität Jena Institute für Physik und Chemie, für Mineralogie, Hygiene, Anatomie, pathologische Anatomie, Botanik, Zoologie und Pharmakologie gebaut, bzw. umgebaut, hat der Universität gratis optische und wissenschaftliche Instrumente geliefert, zahlreiche Lehrstühle finanziell unterstützt, ein neues Hauptgebäude und eine Bibliothek errichtet, Sport-und Spielplätze angelegt.
Es hat die schönste Institution Jenas, das „Volkshaus", ein Zentrum der Volksbildung, ferner einen öffentlichen Lesesaal und eine Bibliothek, wie kein zweites Gemeinwesen dieser Größe sie hat, ein öffentliches Schwimm- und Wannenbad, ein Kinderkrankenhaus und noch viele andere der allgemeinen Wohlfahrt dienende Institutionen erbaut und der Stadt zum Geschenk gemacht.
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Carl Zeiss lieferte für die meisten Heere und Flotten der Welt
Diese Leistungen wurden in einer Periode wirtschaftlicher Erschütterungen erreicht, die in der modernen Geschichte Deutschlands ohne Parallelen ist.
Die Fabrik war vor dem Krieg (Anmerkung - dem 1. Weltkrieg) hauptsächlich mit der Erzeugung von Ausrüstungsgegenständen für die meisten Heere und Flotten der Welt beschäftigt. Während des Krieges oblag ihr fast ausschließlich die Fabrikation derartiger Ausrüstungsgegenstände für die Zentralmächte; ihre Belegschaft erreichte eine Stärke von 10.700 Mann.
Nach dem Kriege wurde es den deutschen Herstellungsfirmen durch den Versailler Vertrag untersagt, militärische Ausrüstungsgegenstände zu exportieren. Die Zeiß-Werke in Jena sahen sich gezwungen, abgesehen von den Lieferungen für den stark reduzierten Heeres- und Marinebedarf Deutschlands die Erzeugung militärischer Instrumente aufzugeben, aber sie trafen, so wie die Junkers-Werke, mit ausländischen Firmen Abkommen, welche die Verwertung ihrer Patente und Lizenzen ermöglichten.
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Die Ziele der Stiftung : Arbeit, Wissenschaft und das Gemeinwesen
Es ist ersichtlich, daß der Hauptgedanke des Gründers dahin abzielte, alle Kräfte, die direkt oder indirekt am Aufbau des Konzerns mitarbeiten, zu hegen und zu pflegen, zu unterstützen und zu belohnen: Arbeit, Wissenschaft und das Gemeinwesen als Ganzes.
Nur in einer Hinsicht verließ er sich auf den Idealismus: bei den Direktoren, von denen er erwartete, daß sie gegen eine bedeutend geringere Entlohnung, als sie in anderen Betrieben erhalten könnten, ihr Bestes tun würden. Erfindungen jedoch, die innerhalb der Werke gemacht werden, bringen so viel ein, daß manche Zeiß-Erfinder reich geworden sind.
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Bei Zeiss eingeführt: der Acht-Stunden-Tag bereits 1900
Bemerkenswert ist noch folgendes: in den Zeiß-Werken wurde der Acht-Stunden-Tag bereits 1900, 18 Jahre, bevor er in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben wurde, eingeführt; alle offiziellen Feiertage, die auf Wochentage fallen, werden wie reguläre Arbeitstage bezahlt, und die Arbeiter bekommen bezahlten Urlaub bis zu drei Wochen im Jahr.
Der Kernpunkt des Zeiß-Systems liegt jedoch darin, daß jeder Arbeiter, der sechs Monate oder länger beschäftigt ist, nicht; entlassen werden kann, ohne daß ihm eine Entschädigung ausgezahlt wird, die sich nach der Länge seiner Dienstzeit richtet, daß ferner alle Arbeiter, die mindestens drei Jahre im Betrieb angestellt waren, pensionsberechtigt sind, und daß die einmal aufgestellte Lohnbasis nicht herabgesetzt werden kann.
Der Arbeiter darf nicht bloß eine Ware sein.
Diese Einrichtungen bieten erstens eine Gewähr für das, was Abbe vor allem erstrebt hat: daß der Arbeiter das beruhigende Gefühl hat, ein bleibender Teil des Konzerns, und nicht bloß eine Ware zu sein.
Zweitens haben sie zur Folge, daß man Vergrößerungen der Belegschaft nur mit äußerster Vorsicht vornimmt, um nicht in einer Periode andauernder Expansion eine Zahl zu erreichen, die sich dann nicht mehr halten läßt; darin liegt eine Sicherung gegen die Überexpansion, die bei der Entstehung der jetzigen Weltkrise eine Rolle gespielt hat.
Drittens führen sie dazu, daß man sich in Perioden der Depression eine gewisse Beschränkung bei Arbeiterentlassungen auferlegt; darin liegt wiederum ein wertvolles Regulativ, welches gegen ein jähes Anwachsen der Erwerbslosigkeit und die daraus folgende Verringerung der allgemeinen Kaufkraft schützt, auf die zu einem guten Teil das Fortdauern der Depression zurückgeführt wird.
Von allen Leistungen - ständige Überlegenheit auf dem eigenen Gebiet, Wohlfahrtsinstitutionen, zwei- bis dreihundert fundamentale Erfindungen - ist im Augenblick die interessanteste, daß die Zeiß-Stiftung es zuwege gebracht hat, in ihren Werken einen prozentual höheren Beschäftigungsgrad zu erhalten als alle anderen einigermaßen gleich wichtigen Industriekonzerne in einem Deutschland, das wie noch nie zuvor unter Arbeitslosigkeit leidet.
Die Statuten der Zeiß-Stiftung haben Gesetzeskraft
Die von der Regierung anerkannten Statuten der Zeiß-Stiftung haben Gesetzeskraft. Sie übertragen die Verantwortung dafür, daß die Statuten vom Verwaltungsausschuß und der Werksleitung auf das strengste innegehalten werden, einem Staatsbeamten, dem thüringischen Kultusminister.
Sie geben dem Staat jedoch kein Recht auf eine Beeinflussung der Verwaltung; er hat lediglich darüber zu wachen, daß sie den Statuten gemäß erfolgt.
Wenn geschäftliche oder andere Bedingungen dazu zwingen sollten, die Statuten zu verletzen, sehen diese selbst vor, daß nichts anderes übrigbleibt als die Auflösung des Konzerns.
Der Vergleich mit den Fabriken in Sowjet-Rußland
Es ist etwas Sonderbares daran, daß das Zeiß-System, obwohl es von einem Manne begründet ist, der jeden Versuch, seine Anschauungen mit kommunistischen Ideen zu identifizieren, weit von sich gewiesen hätte, und obwohl es heute von Männern vertreten wird, die den Kommunismus mit gleicher Entschiedenheit ablehnen, in seinen Grundzügen trotzdem große Ähnlichkeit mit den Prinzipien hat, nach denen auf der gegenwärtigen Entwicklungsstufe die Fabriken in Sowjet-Rußland geleitet werden.
Die Direktoren einer Sowjet-Fabrik würden mit dem gleichen Nachdruck erklären, daß ihr System nichts mit Kommunismus zu tun habe.
Dennoch ist in beiden Fällen der Grundgedanke derselbe: um eines Überschusses willen arbeiten und den Überschuß nicht an Privatbesitzer verteilen, sondern anderen Zwecken zuführen.
In beiden Fällen gibt es keinen persönlichen Unternehmer, der für sein Risiko zu entlohnen ist, und keinen Eigentümer, der in den Genuß des „Wertzuwachses" tritt. Die Tatsache jedoch, daß ein Überschuß angestrebt wird, und die Tatsache ungleicher Bezahlung verschiedener Arbeitsklassen betonen den kapitalistischen Charakter beider Systeme, gleichgültig wie der Überschuß schließlich verteilt wird.
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Ein Blick auf Theorie und Praxis - vor allem in Russland
Identisch ist in beiden Systemen das Ziel, die Arbeiter, die unmittelbar im Werk beschäftigt sind, in den Genuß eines Teils des Profites treten zu lassen. Identisch in beiden Systemen ist die Beschränkung des Einkommens der Direktoren - in der Sowjet-Union durch ein absolutes, niedrig gehaltenes Maximum der Gehälter derjenigen Direktoren, die der kommunistischen Partei als Mitglieder angehören, was bei den meisten der Fall ist.
Identisch in beiden Systemen ist ferner der Umstand, daß die Arbeiter am Überschuß, aber nicht an der Leitung beteiligt sind. Dieser fundamentale Zug unterscheidet die Zeiß-Organisation auf das schärfste von einem reinen Genossenschaftssystem.
Theoretisch nehmen in der Sowjet-Union die Arbeiter an der Leitung teil, in der Praxis ist jedoch seit dem zweiten Jahre des Fünf-Jahres-Plans ihr Anteil an der Leitung zugunsten der wirksameren Führung von oben ausgeschaltet worden.
Ein gewisser Unterschied liegt darin, daß in beiden Systemen wohl keine Gewinne an Eigentümer ausgeschüttet werden, das Zeiß-System jedoch seinen Überschuß Gemeindezwecken zuführt, während der Sowjet-Staat die Gewinne seiner Fabriken akkumuliert und für Staatszwecke aufteilt.
Wenn für beide Systeme ein gemeinsamer Name gefunden werden müßte, könnte man von „Kommunal-Kapitalismus" sprechen.
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14 Jahre Terror und Blutvergießen - bei den Bolschewisten
Ernst Abbe wurde 3o Jahre vor Lenin geboren. Seine Karl-Zeiß-Stiftung gründete er 26 Jahre vor der bolschewistischen Revolution.
Es ist natürlich möglich, daß die Sowjet-Union im Verlauf ihrer Entwicklung sehr weit von der augenblicklichen Ähnlichkeit mit dem Zeiß-System abkommt, aber immerhin bleibt die Tatsache bestehen, daß die Bolschewisten 14 Jahre des Terrors und des Blutvergießens brauchten, um ihr System auf den Punkt zu bringen, den Abbe für seine eigene Fabrik ohne Opfer erreichen konnte, indem er seine persönlichen Besitzansprüche für dauernden Ruhm in Jena eintauschte.
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Und trotzdem gibt es 1.4oo Kommunisten im Betrieb
Angesichts dieser deutlichen Parallele zwischen dem System Zeiß und dem Sowjet-System, vor allem angesichts der Tatsache, daß die Zeiß-Arbeiter nicht nur besser gestellt sind als alle Arbeiter der Sowjet-Union, sondern auch besser als die Mehrzahl ihrer Kollegen in Deutschland, ist es nicht leicht verständlich, weshalb die Zeiß-Arbeiter in der Zeit von 1920 bis 1924 eine kommunistische Mehrheit in den Betriebsrat entsandten, und weshalb heute von den 5o5o Angestellten der Betriebe 14oo Kommunisten sind.
Es ist unmöglich, dieses Wahlresultat für konsequent und vernünftig zu halten, wenn man nicht den unwahrscheinlichen Satz gelten lassen will, die Zeiß-Arbeiter hätten den Wunsch, daß ein Teil der Gewinne, die jetzt ihnen zufließen, an ihre Kollegen in ganz Deutschland abgegeben wird.
Würde nämlich das Sowjet-System in ganz Deutschland eingeführt, dann müßte die Verteilung des Einkommens aus dem Überschuß rentabler Unternehmen wie der Zeiß-Werke, vermehrt um den Überschuß bzw. vermindert um die Verluste weniger rentabler Unternehmen, dazu führen, daß die Zeiß-Arbeiter einen geringeren Teil der Gewinne beziehen, als sie es heute tun.
Ein weiteres kommunistisches Argument
Ein weiteres kommunistisches Argument könnte sein: wenn ganz Deutschland kommunistisch wäre, würde das Reich nicht unter einer Depression leiden, und die Zeiß-Gewinne könnten noch größer werden.
Das hieße aber den Umstand außer acht lassen, daß ein kommunistisches Deutschland, wenn nicht die ganze Welt gleichzeitig kommunistisch wird, unter der Depression in den kapitalistischen Ländern ebenso leiden würde wie heute die Sowjet-Union.
Mehr als die Hälfte der Zeiß-Produktion wird exportiert, und daß die Zeiß-Stiftung sich genötigt gesehen hat, die Belegschaft um 15% zu vermindern und die Arbeitswoche um sechs Stunden zu verkürzen, ist vor allem auf die Abnahme der Ausfuhr zurückzuführen.
Warum wählts Du kommunistisch ?
Ich fragte einen kommunistischen Arbeiter, warum er kommunistisch wähle. Er antwortete: erstens, weil die Stiftung seit 1929 keine Gewinne an die Arbeiter ausgeschüttet, aber der Universität Jena und anderen öffentlichen Zwecken weiterhin Gelder zugeführt habe; zweitens, weil das Arbeitstempo beschleunigt worden sei; drittens, weil die Arbeitszeit verkürzt worden und die Extrabezahlung in dem System: feste Löhne plus Zeitzulagen, geringer geworden sei.
Auf den Einwurf, daß alles dies vernünftigerweise auch so sein könnte, wenn Deutschland kommunistisch werden sollte, hatte der Kommunist keine Antwort.
In Wirklichkeit eher Stimmen gegen die Arbeitslosigkeit
Die Tatsache, daß von Arbeitern, die so gut gestellt sind wie die der Zeiß-Betriebe, eine derartige Anzahl kommunistischer Stimmen abgegeben wird, läßt sich in der Hauptsache wohl als Folge der allgemeinen Erwerbslosigkeit in Deutschland erklären.
Gleichzeitig liefert sie ein Einzelbeispiel zu dem Erfahrungssatz, daß die kommunistische Stimmenzahl im Reich immer der Gesamtzahl der Arbeitslosen voraus war; bei den Reichstagswahlen von 1930 betrug die Gesamtzahl der radikalen Stimmen, der kommunistischen und der nationalsozialistischen, 24o% der Erwerbslosenzahl.
Je stärker die Arbeitslosigkeit wächst, desto größer wird auch für die noch beschäftigten Arbeiter die Notwendigkeit, gegen sie zu protestieren, und die Stimmen, die angeblich gegen „das System" abgegeben werden, sind in Wirklichkeit eher Stimmen gegen die Arbeitslosigkeit als alles andere.
Einige der gut situierten Zeiß-Arbeiter und die armen erwerbslosen und noch immer frommen Arbeiter Falkensteins wählen in gemeinsamem Protest kommunistisch, aber die Argumente gut gestellter oder frommer Kommunisten gestatten einige Zweifel daran, daß sie im Grunde wirklich ein Sowjet-Deutschland herbeiwünschen.
Der Geschäftsverlauf des Zeiß-Konzerns ab 1927
Der Zeiß-Konzern hat trotz seiner überlegenen Situation unter der Krise gelitten. Das Geschäft ist flau; die Leitung führte aus, daß die Verkäufe, wenn 1927/28 mit 100% zugrundegelegt wird, 1928/29 auf 110% gestiegen, 1929/30 auf 100% zurückgegangen, 193o/31 auf 80% gesunken sind und 1931/32 sich ungefähr zwischen 60% und 64% bewegen dürften.
Ein großer Teil der jetzt fertiggestellten Produktion muß auf die ohnedies überfüllten Lager gehen und auf bessere Zeiten warten.
Das mit dem amerikanischen Zoll gab es bereits 1930
Der neue sechzigprozentige Zoll Amerikas auf optische Waren, der fünfzigprozentige Englands, der französische, der italienische und andere Zölle, vor allem jedoch die Kredit- und Geldkrise, die in den letzten Monaten die ganze Welt ergriffen hat - das sind die Hauptgründe für den Rückgang der Geschäfte.
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- Anmerkung : Und schon haben wir einen Blick auf unser Jahr 2025, als der amerikanische chaotische Präsident Trump die ganze Weltwirtschft mit Zöllen aller Art bedrohte.
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Der Blick auf die Sowjet-Union von 1931
Vor dem Krieg gehörte Rußland zu den stärksten Abnehmern der Zeiß-Erzeugnisse. Die Sowjet-Union kauft wohl noch immer beträchtliche Mengen optischer Waren, aber wie aus den interessanten Mitteilungen der Geschäftsführung der Zeiß-Werke hervorgeht, ist infolge der Leistungen des Fünf-Jahres-Plans in Rußland die Inlandsproduktion an optischen Waren und Präzisionsinstrumenten bereits so groß, daß der Auslandsbedarf der Sowjet-Regierung um ein beträchtliches zurückgegangen ist.
Die relativ gute Lage der Zeiß-Werke zeigt, was die deutsche Industrie alles getan hat, um die Kriegsverluste wett zu machen. Etwas anderes kann das größte Weinlokal Jenas lehren, das hauptsächlich von nationalsozialistischen Studenten - diese bilden jetzt eine überwältigende Majorität an der Universität - besucht wird.
In dem Teil des Lokals, in welchem die Studenten bei den Klängen einer Jazzkapelle sitzen, sind die Wände mit Bildern geschmückt, welche die großen Augenblicke im Leben der Universität schildern.
Das hervorragendste darunter ist ein Wandgemälde, das einen Korpsstudenten darstellt, der einer erregten Schar begeisterter Kommilitonen eine Verlautbarung vorliest; es trägt die Inschrift:
„Am 1. August 1914 vor der Universität*'.
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Damit keine Mißverständnisse aufkommen, dieses Buch wurde von einem studierten Journalisten Anfang 1932 geschrieben.
Auch wenn viele Voraussagen und Prophezeihungen des Amerikaners Knickerbocker erstaunlich dicht an den späteren Ereignissen schrammen, das Buch ist ca. 1 Jahr vor dem März 1933 geschrieben worden, als Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde.