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Das Buch "German crisis" - "Deutschland so oder so" aus 1932

Dieses Buch aus dem Frühjahr 1932 !!! enthält ganz viele Gedanken und Wahrheiten aus der Zeit vor der Machtübernahme Adolf Hitlers im März 1933. Der amerikanische Autor bereiste bereits während seines Studiums viele Orte in Deutschland und Europa und beschrieb sehr viele teils unbekannte Zustände der damaligen Gesellschaft. Und er belegt seine Schlussfolgerungen mit fundierten Daten. - Solllten Sie hier direkt eingelandet sein, beginnen Sie besser auf dieser einführenden Seite. Ganz viele zusammengesuchte Erklärungen und Ergänzungen haben wir auf dieser Erklärungs-Seite eingebracht, Informationen, die das Buch selbst nicht bietet, die aber zum Verstehen der einzelnen Kapitel wichtig sind.

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Neuntes Kapitel - MAGDEBURG

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MAGDEBURG (Im Banne des "Reichsbanners")

Das Reichsbanner orakelt: Hitler wird nicht im Reich zur Macht kommen. Hitler wird nicht in Preußen zur Macht kommen. Er wird überhaupt nicht zur Macht kommen, und wenn er es versucht, wird es einen Augenblick des Bürgerkriegs geben, ein Intervall der Unruhen, aber daraus wird die Republik stärker denn je hervorgehen.

So lautet die Voraussage, das ist der feste Entschluß des von Kampfgeist beseelten Reichsbanners, dessen Hauptquartier für das Reich in Magdeburg liegt; in dieser Stadt zeigt sich zum ersten Male in glaubhafter Weise, daß der deutschen Republik endlich bewußt geworden ist, welche Gefahren der Faschismus birgt, und daß die Republik Vorbereitungen dazu trifft, sich gegen die Gewalt mit Gewalt zu verteidigen.

Für den Kampf zur Erhaltung der Demokratie bereit

Der Bund kriegerischer Republikaner im ganzen Reich, das Reichsbanner, ist die einzige Organisation in Deutschland, die für einen Kampf zur Erhaltung der Demokratie vorgesehen, ausgerüstet und auch bereit dazu ist.

Bis heute hatte das Reichsbanner im Gefühl seiner Sicherheit, vielleicht allzu sehr auf seine Stärke vertrauend, Hitler und seine Faschistenbünde nicht ernst genug genommen.

Bis heute sah es so aus, als wollte die Republik dem Kommen des Faschismus resigniert und kampflos zusehen. Heute sind die republikanischen Krieger zu neuem Leben erwacht, sie haben sich reorganisiert und planen, ihre Kräfte gewaltig zu vermehren; die wichtigste Kunde aus Deutschland für Amerika ist die Tatsache, daß die Führer des Reichsbanners hier in ihrem Generalstabs- hauptquartier mit überzeugender Kraft den Schwur getan haben, Hitler werde in Deutschland niemals zur Herrschaft gelangen, und daß sie alles getan haben, um die Faschisten an der Ausführung ihrer Umsturzabsichten zu verhindern.

Das Reichsbanner marschiert in grünen Hemden

Es war ein kalter Tag, es regnete in Strömen, der Schmutz im Reichsbanner-Sportstadion, das vor den Toren Magdeburgs liegt, reichte bis zu den Knöcheln. In Schmutz und Regen wurde ein Regiment von Männern, die die grünen Hemden der republikanischen Garde trugen, von ihrem neuen Führer Karl Höltermann inspiziert.

Wir marschierten mit den Leuten. Wir sahen, wie sie das schwarz-rot-goldene Banner der Republik salutierten, das ihr Insignum ist und der Organisation den Namen gegeben hat.

Wir hörten ihre Hurras für die Republik, die zu vernichten Hitler versprochen hat. Es waren 1.5oo von den 1.500.000 Männern im Reich, die geschworen haben, die Republik mit ihrem Leben zu verteidigen.

Ihre Führer erzählten mir, daß die Kräfte des Reichsbanners im nächsten Monat um eine weitere Million vermehrt würden. Ich sah Hitlers Chancen, die Republik zu stürzen, in einem neuen Licht.

Für Amerika mit seinem großen wirtschaftlichen Interesse an der Zukunft des Reichs gibt es einen klaren Punkt in dem Gewirr der Ereignisse in Deutschland. Das ist die Republik.

Es geht dabei überwiegend um das Geld Amerikas

Wenn man auf eine Anzahl notwendiger Einschränkungen verzichtet, kann man sagen, daß das Geld Amerikas und des übrigen Auslandes in Deutschland so lange sicher ist, wie die Republik besteht.

Dieses Geld ist jetzt in den „Stillhalte" Abkommen festgehalten. Es ist eingefroren. Bis zu diesem Grade ist es in dem gleichen Sinne unsicher wie eingefrorene Kredite überall in der Welt.

  • Anmerkung : Später im Jahr 1932 gab es die  Konferenz von Lausanne im Juli 1932, bei der die Reparationszahlugen teilweise ausgesetzt wurden, im Dezember 1932 wurde dies jedoch vom US-Kongress abgelehnt.

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weiter im Text :

Doch soweit der Einfluß einer Regierung auf die Sicherheit des Kapitals reicht, lehrt die Vergangenheit, daß keine Regierung zum Schutz der ausländischen Privatanlagen in Deutschland mehr unternehmen kann, als es die republikanische Regierung getan hat.

Es läßt sich vorstellen, daß eine andere Regierung, eine Hitlerregierung, ein faschistisches Regime, die Kapitalanlagen des Auslandes mit gleicher Sorgfalt schützen würde, aber es gibt einerseits keine Erfahrungen, die das beweisen, und andererseits sehr vieles, was dafür spricht, daß in den Reihen, der Hitleranhänger Bestrebungen existieren, die dem ausländischen Kapital alles andere als freundlich gesonnen sind.

Die in der letzten Zeit häufig erfolgten Erklärungen Hitlers, sowohl das inländische wie das ausländische Kapital sei ungefährdet, mögen ganz aufrichtig gemeint sein; trotzdem läßt sich nicht leugnen, daß viele seiner Anhänger, und nicht nur solche in untergeordneten Stellungen, hoffen und erwarten, daß eine nationalsozialistische Regierung die augenblickliche Basis des Kapitalismus in Deutschland radikal ändern werde.
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Die deutschen Befürchtungen hinsichtlich der Machtergreifung Hitlers

Hitler, der diese radikalen Ansichten seiner sogenannten Aktivisten anfangs genährt hat, jetzt aber fürchtet, wird vielleicht imstande sein, sie in Schach zu halten, aber die deutschen Befürchtungen hinsichtlich seiner Machtergreifung gründen sich zu einem guten Teil auf die Ansicht, daß ihm das schwer fallen wird.

Das Kapital ist offensichtlich ängstlich, und es ist gar keine Frage, daß das fremde Kapital wenn es die Möglichkeit hätte, Deutschland zu verlassen, sobald die Regierung für Hitler in greifbare Nähe rückt, ebenso fliehen würde wie im Jahre 1931, als Hitler seinen ersten Wahlsieg errang.

Über die Kampfstärke der politischen Parteien Deutschlands

In der Zeit dieser Krise, die sowohl politischer wie wirtschaftlicher Natur ist, in einem Augenblick, in dem der Bürgerkrieg in Deutschland auch von den nüchternsten Beobachtern für möglich gehalten wird, ist es notwendig, sich nicht nur über die Wahl, sondern auch über die Kampfstärke der einzelnen politischen Parteien Deutschlands Rechenschaft abzulegen.

Das Reich ist umfassender und auch intensiver für innere Konflikte organisiert als alle anderen Länder der Erde. Es gleicht einem Dorf mit vier Trupps, die bereit sind, auf ein gegebenes Zeichen hin loszustürzen und einander zu erschlagen. Es gleicht keinem anderen Land der Welt.

Die vier Kampforganisationen sind


  1. das republikanische Reichsbanner,
  2. die nationalsozialistischen Sturmabteilungen,
  3. der konservative Stahlhelm und
  4. der kommunistische Rotfrontbund.

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Reichsbanner und Stahlhelm "residieren" in Magdeburg

In Magdeburg sind sie am besten zu studieren, denn dort liegt das Reichshauptquartier des Reichsbanners sowohl wie des Stahlhelms. Magdeburg, das am Knie der Elbe, des Hauptflusses in Norddeutschland, liegt, ist strategisch von solcher Bedeutung, daß sowohl die Linke wie die Rechte sich veranlaßt gesehen hat, die Stadt zu ihrer OperationsbasLs zu machen.

Es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß die Millionen kampflustiger junger Leute, aus denen diese vier Organisationen bestehen, schon längst sich und die Bevölkerung Deutschlands auf wirklichen Schlachtfeldern dezimiert hätten, gäbe es nicht zwei Hemmnisse.

Das eine ist der Versailler Vertrag, der es jeder deutschen Kampforganisation erschwert, sich mit wirksamen Waffen auszurüsten; das andere ist die deutsche Republik, die seit den Tagen der schwarzen Reichswehr, sowohl um die Republik zu erhalten wie auch um den Versailler Vertrag zu erfüllen, konsequent alles dazu getan hat, eine Bewaffnung der Zivilbevölkerung zu verhindern.
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Ein Blick auf die Verlustziffern der Straßenkämpfe

Die bereits erwähnten Verlustziffern der Straßenkämpfe mit einer Summe von 182 Toten und 15.ooo Verwundeten im Laufe eines Jahres beweisen nachdrücklich genug, was die vier Organisationen einander trotz allen Hemmnissen antun konnten.

Die Verlustliste zeigt, daß unter den Toten und Verwundeten fast ausschließlich Kommunisten und Nationalsozialisten und nur sehr wenige Stahlhelm- und Reichsbannerleute waren.

Aus alledem kann man sich eine richtige Vorstellung davon machen, mit welcher Feindseligkeit die vier Organisationen einander gegenüberstehen. Aber es wäre ein Fehler, daraus auch auf den Wert der einzelnen Organisationen im Falle eines Bürgerkriegs schließen zu wollen.
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Numerisch und politisch geordnet sind die vier Kampfverbände folgendermaßen aufzuzählen :

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Die Nationalsozialisten

Die Nationalsozialisten mit 700.000 bis 1 Million eingetragenen Parteimitgliedern geben als Stärke ihrer Sturmabteilungen 200.000 Mann an. Sie haben das Ziel, für Hitlers Drittes Reich, ein faschistisches Reich, zu kämpfen. Hitler selbst ist der Oberbefehlshaber der Sturmabteilungen. Sein Stabschef ist Hauptmann Ernst Roehm. Das Hauptquartier liegt in München.

Der Stahlhelm

Der Stahlhelm gibt als Mitgliedszahl 1 Million an. Er ist zwar keine politische Partei, sondern eine Kriegsteilnehmerorganisation, rekrutiert sich aber hauptsächlich aus den Anhängern der deutschnationalen Partei. Bei seiner Gründung stellte er sich hinter die Verfassung, der Eintritt vieler früherer aktiver Offiziere des alten Heeres führte jedoch zu einer Entwicklung nach rechts, die ein solches Ausmaß angenommen hat, daß es heute eine offene Frage ist, ob der Stahlhelm sich einer Bewegung, die auf den Umsturz der Republik abzielt, anschließen wird oder nicht.

Sicher ist nur, daß er das so lange nicht tun wird, wie sein Ehrenvorsitzender, Reichspräsident Hindenburg, lebt und im Amt ist. Die beiden Vorsitzenden sind Franz Seldte und Oberstleutnant Düsterberg.

Die Kommunisten

Die Kommunisten nennen eine Parteimitgliederzahl von 25o.ooo. Ihr Rotfrontbund hatte, bevor er nach den Berliner Maiunruhen 1929 verboten wurde, wohl 5o.ooo Mitglieder. Die Organisation hat sich in verschiedenen Verkleidungen erhalten, ist aber durch die Unterdrückung sehr behindert.

Das Reichsbanner

Das Reichsbanner gibt für heute (1931) eine Mitgliederzahl von 1.5oo.ooo an und prophezeit für die Mitte des Frühjahrs eine Mitgliedschaft von 2.5oo.ooo; als Stärke ihrer Kampftruppen nennt sie 15o.ooo Mann, und im Frühjahr soll diese Zahl auf 25o.ooo erhöht werden.

Summieren wir mal auf, wer wen "totschlagen" wolle .....

Das gibt für ganz Deutschland eine Gesamtsumme von rund 5 Millionen Menschen, die in der einen oder anderen Weise für den Bürgerkrieg oder, wie manche sagen, zur Verhinderung des Bürgerkrieges organisiert sind.

Es ist keine Frage, daß das Hauptziel aller vier Organisationen darin besteht, einander zu bekämpfen. Die feindlichen Fronten zwischen den vier Körperschaften liegen jedoch keineswegs klar.

Die Sturmabteilungen bekämpfen den Rotfrontbund auf Tod und Leben; die überwiegende Mehrzahl der Todesfälle und Verwundungen in den alltäglichen Schlägereien erklärt sich aus dem Haß, den die beiden Formationen gegeneinander hegen.

Die Sturmabteilungen bekämpfen auch das Reichsbanner. Freundschaftlich sind sie dem Stahlhelm gesonnen, der seiner seits den Rotfrontbund verabscheut und das Reichsbanner toleriert.

Der Rotfrontbund kämpft gegen alle, würde aber, wenn man ihm die Wahl läßt, lieber einen Vertreter der Sturmabteilungen als einen Reichsbannermann oder einen Stahlhelmer totschlagen.

Das Reichsbanner betrachtet es wirklich in aller Aufrichtigkeit als seine Pflicht, den Bürgerkrieg zu verhindern, hält aber seine eigene überlegene Kampfstärke für das beste Mittel zu diesem Zweck.

Es hat sich bis jetzt ein wenig im Hintergrund gehalten, aber wenn die Zeichen Magdeburgs nicht trügen, wird es in dem tödlichen Kampf Deutschlands von nun an die führende Rolle innehaben.

Es bekämpft aus Prinzip jedermann. der eine Gefahr für die Republik ist.

Jede der vier Organisationen, die insgesamt 5 Millionen Mann zählen, besitzt einen weitverzweigten Nachrichtendienst, der sie über die Bewegungen der Gegner auf dem laufenden hält. Jede ist ganz militärisch in Regimenter, Bataillone, Kompanien und Gruppen eingeteilt.

Jede ist darauf vorbereitet, auf ein Alarmzeichen hin ihre Mitglieder in denkbar kürzester Zeit einzuberufen, an strategischen Punkten zu versammeln und sie das Geschäft des Brudermordens mit der denkbar größten Tüchtigkeit besorgen zu lassen.
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Es sind alles Kampfverbände mit leichten Waffen

Die meisten Kampfverbände haben genug leichte Waffen, um einander tödliche Verluste zuzufügen, aber es gibt nichts, was bestätigen würde, daß sie genug Gewehre oder Maschinengewehre haben, um die Aufmerksamkeit ängstlicher Ausländer auf sich zu ziehen.

Regierungserlasse, die selbst für den Besitz von Totschlägern und Schlagringen Gefängnisstrafen vorsehen, haben die Bewaffnung der Verbände beträchtlich vermindert, aber es ist wohl nicht daran zu zweifeln, daß alle tödlichen Waffen, die sie bei sich tragen und unter Matratzen oder in Schreibtischschubladen versteckt haben, einen ganz stattlichen Berg ergeben würden, wenn man sie aufeinanderhäufte.

Diese Waffen, die sich wohl für die täglichen Schlägereien ausgezeichnet eignen, genügen jedoch kaum dazu, eine Revolution oder einen Krieg zu wagen.

Keiner der Verbände ist für eine Kriegsführung gegen eine auswärtige Macht gerüstet. Alle zusammen mit ihren 5 Millionen Mann sind nicht dem hunderttausend Mann starken Heer der Reichswehr gewachsen.

Es ist sogar fraglich, ob sie der hunderttausend Mann starken deutschen Polizei mit ihren Panzerwagen, Maschinengewehren und Karabinern gewachsen sind.

Aber jeder von ihnen könnte, je nachdem, welche Regierung die Herrschaft ausübt, als Rekrutenmaterial für Zwecke der nationalen Verteidigung und ganz entschieden als Verstärkung der Regierungstruppen gegen Aufstände verwendet werden.

Was wäre, wenn Hitler zur Macht gelangte

Sollte Hitler zur Macht gelangen, so ist wohl nicht daran xu zweifeln, daß er augenblicklich daran gehen würde, aus seinen Sturmabteilungen eine Art faschistischer Miliz zu machen.

Bei einem roten Aufstand würden die Kommunisten selbstverständlich nach bewährtem russischen Muster ihre roten Garden auf der Straße haben, längst bevor der erste deutsche Rat der Volkskommissare seine Eröffnungssitzung abhielte.

Der Stahlhelm würde auf jeden Fall so handeln, wie Feldmarschall von Hindenburg es wünscht.

Zufällig ist die jetzige Regierung gerade die, deren Erhaltung dem Reichsbanner erwünscht ist. Daher die überragende Wichtigkeit des Reichsbanners bei einer Beurteilung der unmittelbaren Zukunft Deutschlands.

Diese Wichtigkeit resultiert jedoch weder lediglich aus der Stellung, die das Reichsbanner der Regierung gegenüber einnimmt, noch daraus, daß das Reichsbanner bald doppelt so stark sein wird wie der nächststarke Verband.

Sie resultiert vielmehr aus dem Charakter seiner Mitgliederschaft und vor allem aus dem Charakter derjenigen Mitglieder, die es in der nächsten Zukunft neu aufnehmen wird. Das Reichsbanner, das sich hauptsächlich aus den Reihen der Sozialdemokraten, der Demokraten und eines Teils vom linken Flügel der Zentrumspartei rekrutiert, hat nun die Mitarbeiterschaft des überaus wichtigen Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes gewonnen, dem im ganzen Reich 5 Millionen Gewerkschaftsmitglieder angehören.

Die Gewerkschaftsleitung hat in Aussicht gestellt, daß von diesen 5 Millionen 1 Million sich in der allernächsten Zeit in die Listen des Reichsbanners eintragen wird. Die Disziplin des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes ist eine Gewähr dafür, daß ein Versprechen der Führer schon so gut ist wie seine Ausführung.
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Schaun wir zurück auf den März 1920 - der Kapp Putsch

Was das bedeutet, mag durch ein Ereignis aus der Nachkriegsgeschichte Deutschlands belegt werden. Am 13. März 1920 marschierte um sechs Uhr morgens die Brigade Ehrhardt durch das Brandenburger Tor ein und die Linden entlang. Wolfgang Kapp erklärte die Republik für gestürzt; die Regierung Ebert floh nach Dresden.

Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund gab die Order zum Generalstreik aus. Augenblicklich waren die Lebensfunktionen Deutschlands gelähmt.

Im ganzen Reich stellten Eisenbahnen, Straßenbahnen, Wasserwerke, Telegraph, Telephon, Gas- und Elektrizitätswerke den Betrieb ein. Die Kapp-Truppen und das Kabinett Kapp hatten keine Beförderungsmittel, sie konnten nur zu Fuß gehen, reiten oder in den wenigen Automobilen fahren, die sie hatten.

Andere Gespräche als von Mund zu Mund waren ihnen unmöglich, sie bekamen keine Lebensmittel und konnten nichts von alledem tun, was im gewöhnlichen Leben selbstverständlich erscheint. Sie mußten zum Fluß um Wasser gehen, sich mühsam Nahrungsmittel zu sammeln suchen, nachts in der unbeleuchteten Stadt umhergaloppieren, Kuriere ausschicken statt zu telephonieren - diese Aufständischen, die alle Bequemlichkeiten der modernen Zivilisation gewohnt waren, konnten ihre Funktionen nicht weiter ausüben, sobald ihre Apparate zu funktionieren aufhörten.
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Plötzlich mit mittelalterlichen Verhältnissen überfordert

Den Menschen des Maschinenzeitalters machte es Mühe genug, sich am Leben zu erhalten, als sie sich plötzlich mittelalterlichen Verhältnissen gegenüber sahen; die Aufgabe, ihre Macht zu befestigen und eine Regierung zu organisieren - ganz zu schweigen von der Aufgabe, den Streik niederzuringen - ging weit über ihre Kraft.

Am 17. März resignierte Kapp und floh nach Schweden. Der Generalstreik hatte seine Regierung nicht länger als vier Tage leben lassen.

Daß der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund einer Million Mitgliedern gestattet hat, in das Reichsbanner einzutreten, kann sich noch als der bedeutsamste Entwicklungsschritt in der deutschen Politik seit dem September 193o erweisen, in dem die Hitlerscharen 107 Abgeordnete in den Reichstag entsandten.
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Kommt Hitler legal zur Macht, dann wird es ernst .....

Im Jahre 1920, als der Generalstreik Kapp zum Sturz brachte und die legale Regierung selbst, an deren Spitze damals Ebert stand, bei der Proklamierung des Generalstreiks mitwirkte, lagen die Verhältnisse anders als heute.

Der Streik richtete sich gegen eine illegale, aufrührerische Regierung. Wenn Hitler die Macht illegal an sich reißt - was, wie er beteuert, nicht in seiner Absicht liegt - würde ein Generalstreik heute dem des Jahres 1920 gleichen, und die Chancen für seinen Erfolg ließen sich danach bemessen.

Kommt Hitler aber legal zur Macht, dann wird es natürlich viel schwieriger sein, zu einem Generalstreik aufzurufen; immerhin rückt die Einordnung einer Million Gewerkschaftsmitglieder in ein gewaltig vergrößertes Reichsbanner einen Generalstreik selbst unter diesen Voraussetzungen in den Bereich der Möglichkeit.

Wenn die Million Gewerkschaftsmitglieder, die für das Reichsbanner vorgesehen ist, vom Standpunkt ihrer Verwendbarkeit für einen Generalstreik ausgewählt wird, dann kann es sehr leicht sein, daß diese Männer so viel leisten werden wie 5 Millionen.

Daß sie mit allem vertraut sind, was für eine Lahmlegung der lebenswichtigen Betriebe im Reich, der Wasser-, Gas-, Elektrizitätswerke und Eisenbahnen, notwendig ist, würde ihre Leistungsfähigkeit auf ein Vielfaches steigern.
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Wenn aber der Bürgerkrieg mit den Nazis ausbricht

Das Reichsbanner muß aber auch mit der Wahrscheinlichkeit rechnen, daß die nationalsozialistischen Sturmabteilungen die lebensnotwendigen Betriebe besetzen würden. Gegen diese Eventualität ist mit der Verstärkung der Kampftruppen des Reichsbanners von 1.5oo.ooo auf 2.5oo.ooo Mann vorgesorgt.

Die Mannschaft ist in der üblichen Weise organisiert, von Motorrad- bis zu Sanitätsabteilungen. Ihre neueste Einrichtung ist die „N", die Notabteilung. 1.000 Mann von diesen neuen Mitgliedern sah ich bei ihrem ersten Treffen. Es waren kräftige Burschen, und ihre Gesichter strahlten selbst im Regen vor Begeisterung.

Diese republikanisch erzogenen und republikanisch fühlenden Söhne republikanischer Familien konnten endlich, selbst innerhalb ihrer republikanischen Organisation, dem entgegensehen, was die nationalsozialistische Jugend schon seit etlichen Jahren genießt: dem Kampf.

„Wenn Reichswehr und Polizei 24 Stunden in ihren Kasernen bleiben wollten, könnte das Reichsbanner allein sowohl mit den Nationalsozialisten wie mit den Kommunisten aufräumen", sagte ein Reichsbannerführer zu mir.

„Wenn das Reichsbanner zu Hause bliebe, könnten wir mit den Nationalsozialisten aufräumen", hatte ich von einem Kommunistenführer gehört.

Wenn die Franzosen weiter Druck auf Deutschland ausüben

Das Reichsbanner gehört zu den wichtigsten Faktoren in der politischen Struktur Deutschlands, und unter der Führung Karl Höltermanns, seines neuen Befehlshabers, verheißt es der allerwichtigste zu werden.

Wenn man seine Bedeutung in einem weiteren Sinn würdigen will, muß man daran denken, daß das Reichsbanner nicht nur eine republikanische Kampforganisation ist, sondern auch der wichtigste organisierte Förderer der deutsch-französischen Verständigung im Reich.

Es bleibt konsequent auf der Seite der Liberalität. In ihm sind jene Bestrebungen des deutschen Volkes repräsentiert, die dem Militarismus und der Autokratie am kräftigsten entgegenwirken - und diese beiden sind es gerade, die vor dem Krieg Deutschland der Welt entfremdeten, und die heute wieder nach oben drängen.

Mit seinem Kampf gegen diese militaristischen und autokratischen Tendenzen hat sich das Reichsbanner eine schwere Aufgabe gestellt, denn andere Kräfte, vor allem auf dem Gebiet der Außenpolitik, treiben die deutsche Jugend mächtig zu den radikalen Lösungen des Nationalsozialismus und des Kommunismus.

Ein fortgesetzter Druck der Franzosen auf Deutschland gefährdet die Existenz der Republik immer mehr, er schwächt ihre Verteidiger und stärkt gerade die Kräfte, die der französische Nationalismus fürchtet.

Drei Ereignisse könnten zur Gefahr werden

Drei Ereignisse könnten die Defensivkraft des Reichsbanners und der Republik unterhöhlen:
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  1. der Tod Hindenburgs, mit dem das Heer von seiner persönlichen Bindung an den Feldmarschall-Präsidenten der Republik befreit wäre;
  2. der Mißerfolg der deutschen Bemühungen, eine befriedigende Lösung des Reparationsproblems zu erreichen;
  3. ein Entschluß Brünings oder des Zentrums, eine Koalitionsregierung mit Hitler zu bilden.

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Nur einer dieser Eventualitäten muß das Reichsbanner nicht untätig zusehen. Durch seine Reorganisation, durch die Schaffung der „Eisernen Front" aus Gewerkschaften, Sozialdemokraten und Reichsbanner und durch das Zurschautragen des Entschlusses, einer faschistischen Regierung um jeden Preis Widerstand entgegenzusetzen, könnte es imstande sein, dem Zentrum noch deutlicher klarzumachen, wie riskant es wäre, Hitler in die Regierung aufzunehmen.
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2 Fragen an die 1000 Mann der Notabteilung .....

Ich war dabei, als die 1.ooo Mann der Notabteilung ihrem Führer zuhörten, der ihnen ihre Pflichten erläuterte. Auf 1.ooo Gesichtern drückte sich Zustimmung aus, als Höltermann rief: „Die deutsche Republik darf und wird nicht in so schmachvoller Weise untergehen wie die Monarchie Kaiser Wilhelms."

Dann kam etwas sehr Lehrreiches. Ich hatte darum gebeten, daß den Leuten zwei Fragen vorgelegt würden.

Zuerst fragte Herr Höltermann: „Wie viele von Euch sind arbeitslos?" Zwei Drittel hoben die Hände in die Höhe.

Dann: „Wie viele von Euch sind bereit, ihr Leben für die Republik zu lassen?" 1.ooo Hände wurden emporgereckt.

Diese Männer waren zwar arbeitslos, aber ihren Glauben an das System hatten sie nicht verloren. Herr Höltermann erklärte, im März würden ihrer 2.5oo.ooo sein. Die deutsche Republik ist zum Leben erwacht.

Damit keine Mißverständnisse aufkommen, dieses Buch wurde von einem studierten Journalisten Anfang 1932 geschrieben.

Auch wenn viele Voraussagen und Prophezeihungen des Amerikaners Knickerbocker erstaunlich dicht an den späteren Ereignissen schrammen, das Buch ist ca. 1 Jahr vor dem März 1933 geschrieben worden, als Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde.

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