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H. von Studnitz schreibt über die Erfahrungen seines Lebens

Eine Ergänzung zum Thema : "Was ist Wahrheit ?" - 1974 hat Hans-Georg von Studnitz (geb. 1907) ein Buch über sein Leben geschrieben, aus dem ich hier wesentliche Absätze zitiere und referenziere. Es kommen eine Menge historischer Informationen vor, die heutzutage in 2018 wieder aktuell sind, zum Beispiel die ungelöste "Katalonien-Frage" aus 1936.

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1955 - eine neue Aufgabe - Bin jetzt Pressechef der Lufthansa

Als ich im Februar 1955 auf ein Angebot der Lufthansa einging, ihr Pressechef zu werden, nahm ich vom Journalismus nur Urlaub und keinen Abschied. Ich blieb auch in meiner neuen Stellung weiterhin einer Reihe von Zeitungen und Zeitschriften als Mitarbeiter verbunden, verkehrte mit Journalisten nicht als Funktionär, sondern als Kollege, was meinem Auftrag zugute kam.

  • Anmerkung : Irgendwie scheint mir die Lücke in seinem Leben von 1950 bis 1955 etwas groß bzw. unausgefüllt. Bislang habe ich aber nichts gefunden, das diese Lücke füllt.

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Die neue »Deutsche Lufthansa« - der Dank geht an 2 Männer

Die Wiedererrichtung der »Deutschen Lufthansa« war im wesentlichen zwei Männern zu danken, ihrem früheren Geschäftsführer Hans M. Bongers und dem Bundesverkehrsminister Hans-Christoph Seebohm.

In den düsteren Nachkriegs jähren hatte Bongers zäh am Gedanken einer deutschen Zivilluftfahrt festgehalten und in aller Stille seine Vorbereitungen getroffen. Ich lernte in ihm einen Mann kennen, der die Kunst kaufmännischer Kalkulation mit einer kühlen Leidenschaft für die Aufgabe verband, die er sich gestellt hatte.

Nach meinem Chef im Auswärtigen Amt, dem Gesandten Dr. Paul Schmidt, fand ich in Bongers zum zweitenmal einen Vorgesetzten, dessen Fähigkeiten ideale Voraussetzungen für eine Partnerschaft ergaben. Es fiel zwischen uns keine Entscheidung, bei der nicht Bongers mich oder ich ihn überzeugte.

Die Lufthansa - ein Spätheimkehrer des Wirtschaftswunders

Die Lufthansa war der Spätheimkehrer des Wirtschaftswunders. Als Seebohm grünes Licht für ihre Wiedergründung geben konnte, war der Arbeitsmarkt leer gefegt. Aber jetzt stellte sich heraus, daß nach Art russischer Holzpuppen das Wirtschaftswunder ein kleineres Wunder umschloß.

Kaum trat die Lufthansa ins Leben, als ihr auch schon Kräfte zuströmten, die nur darauf gewartet hatten, wieder in der Luftfahrt tätig zu werden.

Staatsanwälte hängten ihre Karriere an den Nagel, um fliegen zu können. Volkswirte, Statistiker und Juristen lösten ihre Verträge, um sich der Lufthansa zur Verfügung zu stellen, Ingenieure drängten sich, beim Aufbau der Lufthansawerft mitzuwirken.

Geschäftsführer Hans Bongers rief, und alle, alle kamen ...

Als technisches Vorstandsmitglied trat Gerhard Höltje, ein alter Lufthanseat, an die Seite von Bongers. In ihm vereinigten sich die Erfahrungen eines erprobten Luftfahrttechnikers mit der Gabe der Menschenführung, die in den von Turbulenzen nicht freien Aufbaujahren für Stetigkeit im Betrieb sorgte.

Bongers' funkelnde Genialität, die sich gern in Sarkasmus entlud, ergänzte Höltje durch eine abgerundete, Maßstäbe setzende Persönlichkeit.

In schwierigen Lagen wie beim Absturz einer »Super Constellation« in Rio de Janeiro behielt er eiserne Nerven. Als Flottenpolitiker sorgte er, nach vorwiegend politisch motivierten Experimenten mit Herstellern wie Lockheed und Vickers, für die Ausrichtung auf Boeing, was der Vereinheitlichung und Rationalisierung des Flugbetriebes zugute kam.

Ich wurde schnell das Weltkind in der Mitte

Um den zweiköpfigen Vorstand gruppierte sich die Direktion, der hervorragende Spezialisten angehörten. Als Pressechef und Public-Relations-Direktor unterstand ich Bongers unmittelbar, und das erleichterte meine Stellung ungemein.

Im Kreise der Experten wurde ich schnell das Weltkind in der Mitte. Wenn sich Kaufleute und Ingenieure zu sehr in Fachsimpeleien verloren, erinnerte ich sie daran, daß sich die Lufthansa als Dienstleistungsunternehmen auch nach dem Publikum richten müsse.

Deutliche Worte und kein Blatt vorm Mund

Bei solchen Hinweisen nahm ich kein Blatt vor den Mund. Als ein in Aussicht stehender Pilotenstreik zu einer heftigen Auseinandersetzung im Schoß der Direktion führte, gab ich zu bedenken, daß eine Luftverkehrsgesellschaft zwar zehn Jahre lang ohne Direktion und Prokuristen, aber keine fünf Minuten ohne Flugzeugführer betrieben werden könne.

Als ich ausschied, schrieb mir Bongers am 30. November 1961 ins Zeugnis: »Seine Offenheit war uns besonders wertvoll, nicht zuletzt in Fragen, in denen er eine vom Unternehmenswillen abweichende eigene Meinung vertrat.«

Ein großer Sprung unter Auslassung einer Menge von Storys

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  • Sicherlich sind die einzelnen Gründungs-Events der "startenden" Lufthansa ganz interessant, weichen aber von unserem Kernthema "Die Wahrheit" sehr weit ab. Nach übersprungenen 30 Seiten geht es weiter.

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1960 - Mit Bundeskanzler Adenauer ein Flug um die Welt

Im Frühjahr 1960 unternahm Bundeskanzler Adenauer einen Flug um die Welt, der ihn über die Vereinigten Staaten nach Japan und von dort über Alaska und Island wieder nach Europa führte.

Obschon die Lufthansa noch keine Düsenflugzeuge einsetzen konnte und die Air France dem Kanzler einen »Jet« zur Verfügung stellen wollte, der die Flugzeit halbiert hätte, bestand der damals vierundachtzigjährige Staatsmann auf der Benutzung einer deutschen Maschine.

Die auf uns zukommende Verantwortung war groß, nachdem die Lookhed »Super Constellation«, die wir bereitstellen konnten, technisch anfälliger war als ein Düsenflugzeug. Der Vorstand bestimmte, daß ich als Pressmensch der Lufthansa den Kanzler begleiten sollte.

Höltje erklärte sich bereit, mit einer Kursmaschine vor dem Kanzler herzufliegen, uns auf allen Zwischenstationen zu erwarten und die technische Seite des Fluges persönlich zu überwachen.

Diese Aufgabenteilung war ideal, da ich von Technik nicht das geringste verstand. Der Flug ging glatt vonstatten, und ich brauchte nur einmal einzugreifen. Wir landeten in Palm Springs in Kalifornien. Dort verbrachte der Kanzler bei Freunden eine Nacht und am anderen Tage wollte er nach San Francisco weiterfliegen, um einen Ehrendoktorhut entgegenzunehmen.

Die Flugleitung in Palm Springs machte mich darauf aufmerksam, daß sie für die Sicherheit der Kanzlermaschine nicht bürgen könne, und schlug vor, die »Super Constel-lation« für die Nacht nach Los Angeles zu überführen, nur dort standen »FBI«-Beamte zur Verfügung.

Die Flugzeit dorthin betrug nur zwanzig Minuten. Ich brachte jedoch in Erfahrung, daß Frühnebel in Los Angeles den Rückstart nach Palm Springs möglicherweise verzögern würden. Da ich wußte, daß Adenauer auf Pünktlichkeit den größten Wert legte, entschied ich mich im Einvernehmen mit dem Chefpiloten Rudolf Mayr für das Verbleiben der Maschine in Palm Springs und ihre Bewachung durch Mitglieder der Besatzung. Am anderen Morgen meldete Los Angeles dicken Nebel, während wir bei strahlendem Sonnenschein auf die Minute abkamen.

Adenauers Kanzler-Sprüche und seine Schlagfertigkeit

Während meiner Bonner Jahre war ich dem Kanzler oft genug begegnet. Ich hatte ihn im Bundestag, auf Pressekonferenzen, Kanzlertees und auf Empfängen erlebt, auf denen er kerzengerade, ohne eine Spur von Ermüdung Hunderte von Gästen an sich vorbeidefilieren ließ und unzählige Hände drücken mußte.

Ich war oft genug Zeuge seiner Schlagfertigkeit gewesen, so als ihm vorgeworfen wurde, das Gegenteil von dem zu sagen, was er vor einem halben Jahr geäußert habe, und er gelassen erwiderte:

  • »Es kann mich doch niemand hindern, daß ich immer klüger werde.«


Oder wenn er lästige Fragesteller unter meinen Kollegen mit der Gegenfrage abwimmelte, was sie an seiner Stelle tun würden. Als die Europa-Euphorie auf dem Höhepunkt angelangte und Adenauer bestürmt wurde, wann denn endlich der Zeitpunkt des politischen Zusammenschlusses kommen werde, hatte er mich beiseite genommen und mir mit feiner Ironie bedeutet:

  • »Ich weiß gar nicht, wieso die Deutschen es so eilig haben, sich von Straßburg, Luxemburg, Paris oder Brüssel regieren zu lassen, sie wollen sich ja noch nicht einmal von Bonn führen lassen.«

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Viele viele Kontakte geknüpft und bekommen

Ich hatte Adenauer die Flugzeugbesatzungen vorgestellt und ihn mit den "Würdenträgern" der Lufthansa bekannt gemacht. Ich schätzte seinen Sohn Max, den Oberstadtdirektor von Köln, der im Aufsichtsrat der Lufthansa saß, und zählte zu meinen besten Freunden Robert Wallraf, dessen Vater als Bürgermeister von Köln dem jungen Adenauer die Wege geebnet hatte.

Über diesen Kontakten hatte ich vollkommen vergessen, daß Adenauer einen Vorschlag der CDU-Politiker Freiherr v. Redienberg und Dr. Paul de Chapeaurouge, mich zu seinem Pressechef zu machen, ignoriert hatte und daß sein engster Vertrauter, der Staatssekretär Globke, meine Wiedereinsteliung in den Auswärtigen Dienst blockiert hatte.

Nachdem mir nun aufgetragen war, drei Wochen lang den engen Raum eines Flugzeuges mit dem großen Mann zu teilen und die Verantwortung für sein Wohl mitzutragen, kamen mir Unbefangenheit und Erfahrung im Umgang mit dem Kanzler durchaus zustatten.

Das "Gefolge" des Regierungschefs

Zum Gefolge des Regierungschefs auf dieser Reise gehörten sein ältester Sohn Konrad und seine Tochter Lotte Multhaupt, die er keinen Augenblick aus seiner väterlichen Autorität entließ, sein Arzt Dr. Heinz Broicher, der während der ganzen Reise nicht ein einziges Mal vom Kanzler, dafür um so mehr von seiner Begleitung in Anspruch genommen wurde.

Broichers Aufgabe bestand im wesentlichen darin, dafür zu sorgen, daß sich Adenauer nicht zuviel zumutete: ihn, wie in Palm Springs, zu hindern, morgens um 7.00 Uhr das Schwimmbad aufzusuchen, oder ihn, wie in San Francisco bei einer Zeremonie im Freien, der er sich ohne Kopfbedeckung aussetzen wollte, vor einem Sonnenstich zu bewahren.

Mitglieder der Reisegesellschaft waren ferner der Botschafter Professor Grewe, die Räte Limbourg, Bach, Breuer und Rathje vom Auswärtigen Amt, der Pressechef v. Hase, die Sekretärinnen Poppinga und Siegel, die pausenlos mit Stenogrammen und Aufzeichnungen, Abschriften und Dechiffrierarbeiten eingedeckt wurden, endlich die Dolmetscher Kusterer und Weber, die es nicht leicht hatten, da Adenauer es liebte, bei seinen Reden vom Manuskript abzuweichen. Ein halbes Dutzend Kriminalbeamte und ein volles Dutzend Pressevertreter zählten zur Partie.

Endlich - am 12. März i960 hoben wir in Köln-Wahn ab

Wir hoben am 12. März i960 in Köln-Wahn ab und setzten dort am 2. April i960 wieder auf. Während des neuntägigen Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten hielt Adenauer zwölf große und 22 kleinere Ansprachen, nahm an 14 offiziellen Essen teil und gewährte 20 Personen Unterredungen von jeweils einer halben Stunde.

Adenauer war ein medizinisches Phänomen. Er schaffte scheinbar spielend, was viel jüngeren einen Herzinfarkt oder Schlaganfall eingetragen hätte. Während des Fluges beobachtete er einen genauen Rhythmus, bei dem auf vier Stunden Schlaf vier Stunden Arbeit folgten, von denen zwei der Meditation und zwei Diktaten gewidmet wurden.

Wo immer wir landeten, entstieg ein taufrischer Kanzler dem Flugzeug. Sobald wir festen Boden unter den Füßen hatten, bestand Adenauer auf einem Spaziergang.

Der New Yorker Alptraum hieß »Waldorf-Astoria«-Hotel

Einem alten Kavalleristen ähnlicher als einem betagten Politiker, verließ Adenauer nach der Atlantik-Überquerung die »Super Constellation« in Idlewild und tauchte nach einem Spießrutenlauf durch Spaliere von Fernsehkameras, Empfangskomitees, Protokollbeamten, Geheimpolizisten und schwarzen »Cadillacs« in den Schlund Amerika, der uns im »Waldorf-Astoria«-Hotel aufnahm.

Millionen dünkt diese Riesenherberge ein Traum. Wer dort gewohnt hat, nimmt die Erinnerung an einen Alptraum mit. Wir brauchten Stunden, um unseres Gepäcks habhaft zu werden. Seine Individualität gibt der Gast am besten in der Garderobe ab, sofern sie nicht gerade geschlossen ist.

Wer den falschen Lift wählte, schoß im Nonstop in das oberste Stockwerk eines der Waldorftürme, wobei es ihm passieren konnte, von einem zähnefletschenden Detektiv empfangen zu werden, der dort Privatwohnungen so illustrer Dauergäste wie des Generals McArthur bewachte.

In allen Stockwerken mußte man an einer Etagenhosteß vorbei, die einen nach Art von Desodorant-Reklamen anlächelte. Wie sie sich verhalten haben würde, hätte man eine im Hotel nicht registrierte Dame mit aufs Zimmer genommen, wage ich nicht zu entscheiden.

Das Zimmer war überheizt wie ein Brutofen, aus dem jeden Moment Küken ausschlüpfen konnten. Die Fenster ließen sich meist nicht öffnen, die Heizkörper schwer ab-, die Klimaanlage nicht immer anstellen.

Dafür gab es im Bad acht Stück Seife sowie 16 Hand-und Frottiertücher. Unzerreißbares Cellophan umhüllte die Wassergläser. Sechs Rollen Toilettenpapier versorgten den Bedürftigen für ein halbes Jahr. Die Klomuschel überspannte ein Papierband mit der Aufschrift »For your protection«. Mir wurde klar, warum die meisten amerikanischen Gattenmorde im Badezimmer stattfinden.

Auf Seite 327 kommt erstmalig das Wort "Fernsehen" vor

Ein Armaturenbrett am Nachttisch gestattete dem Gast, Fernsehen einzustellen, sich mit Vancouver verbinden zu lassen oder eine Bestellung beim »Room Service« aufzugeben.

Drückte er auf den falschen Knopf, so spielte dies keine Rolle, da die Zentrale fast immer blockiert und der Fernsehkanal auf Pausenzeichen eingestellt war.

Wer Glück hatte, fand eine Bettdecke vor, die nicht elektrisch gewärmt war. Aber schließlich wurden wir nicht zu unserem Vergnügen in einem der teuersten Hotels der westlichen Hemisphäre einquartiert, sondern um die Strapazen Adenauers zu teilen.

Das Mittagessen im Bankettsaal des "Waldorf"

Ein Vorgeschmack dessen, was uns bevorstand, lieferte das Mittagessen, das im »Sert Room« des Waldorf, einem mit kaisergelber Tischwäsche gedeckten Bankettsaal, vom »American Council on Germany« für den Kanzler gegeben wurde.

Adenauer hatte an diesem Tag schon die Frühmesse besucht, das erste Frühstück in der Privatwohnung des Kardinals Spellman eingenommen und einen längeren Fußmarsch durch den eisigen New Yorker Morgen zurückgelegt. Am Nachmittag dieses Tages sollte er im Waldorf zum erstenmal mit Ben Gurion zusammentreffen.

Als der Kanzler erschien, erhob sich alles von den Plätzen und klatschte. Ein Monsignore sprach das Tischgebet, ein Rabbiner nahm die Aussegnung des Banketts vor, denn gut die Hälfte aller Anwesenden waren Juden.

Seine Gags : »Hast du gehört, er kann Hebräisch.«

Der Rabbi murmelte einige Worte auf hebräisch und hantierte mit Kultgeräten. Als er geendet hatte, stand Adenauer auf, schüttelte ihm beide Hände und sagte so (Anmerkung : im herbsten Kölsch-Dialekt), daß es jeder hören konnte:

»Wat Se da eben jesagt haben, hat mich tief bewegt.«

Die Wirkung dieses Satzes war schwer zu beschreiben. An meinem Tisch sprangen einige Israeliten auf und starrten ungläubig auf den Kanzler. Sie stießen sich an, und einer bemerkte: »Hast du gehört, er kann Hebräisch.«

Mit solchen »Gags« wird Adenauer auf dieser Reise immer wieder von sich reden machen. Er zeigt einen Sinn für Publizität, die den Vertreter der amerikanischen Public-Relations-Firma der Bundesregierung aus dem Staunen nicht herauskommen läßt.

Hier wird sogar von "Fernsehreportern" gesprochen

Noch bevor der Kanzler in Washington das Weiße Haus aufsucht, in welchem ihn Präsident Eisenhower mit gemischten Gefühlen erwartet, zieht er mit einem Rudel von Fernsehreportern auf den Arlington-Friedhof, um am Grabe von John Foster Dulles eine spektakuläre Andacht zu verrichten.

Dann spricht er auf einem Mittagessen im »National Press Club« und lanciert vor den verblüfften Journalisten den Vorschlag, noch vor der nächsten Gipfelkonferenz in Berlin eine Volksabstimmung abzuhalten.

Eisenhower wußte von nichts und war überrumpelt

Es verschlägt seinen Hörern die Sprache, als er trocken bemerkt, er habe das Projekt mit Eisenhower noch nicht erörtern können, weil es ihm erst heute morgen eingefallen sei.

Die Zeitungsleute merken sofort, daß der Kanzler einen schlauen, wenn auch sehr harten Zug gemacht hat. Schlau, weil er den für die Amerikaner heiligen Grundsatz der Selbstbestimmung in aller Öffentlichkeit ausspielt.

Hart, weil er mit diesem Manöver Eisenhower auf die Linie zwingt, auf die sich Präsident und »State Department« vor der Gipfelkonferenz nicht festlegen wollten.

Nicht Süßholz raspeln, sondern Politik machen

Die bald einsetzende Kritik läßt Adenauer kalt. Er ist nicht nach Amerika gekommen, um Süßholz zu raspeln, sondern um Politik zu machen. Wir sprechen jedoch keinen Amerikaner, der Adenauer das Recht abstreitet zuzupacken, wo es um Existenzfragen wie die Freiheit Berlins geht.

Als die Veranstaltung im "Press Club" schon fast geschlossen ist, bittet der Kanzler noch einmal um das Wort. Dem Paukenschlag seiner Tischrede läßt er ein Moll folgen, das den Anwesenden Tränen entlockt.

Er berichtet von einem Auftrag, den ihm ein namenloser Ruhrkumpel mit auf den Weg gegeben habe. Der Mann schickte ihm zehn Mark mit der Bitte, an der Ruhestätte von Dulles einen Blumenstrauß niederzulegen. Dieses Anliegens habe er sich in Arlington entledigt. Es entspringe einer Denkweise, die für das ganze deutsche Volk symbolisch sei. Ich erlebe, wie hartgesottene Reporter zum Taschentuch greifen. Rührung übermannt sie. Einmal mehr stellt Adenauer unter Beweis, wie sehr er sich mit amerikanischer Psyche vertraut gemacht hat.

Adenauer als Sendboten der Versöhnung gefeiert

In Palm Springs wohne ich einer Kabarettvorstellung bei, auf der die berühmte jüdische Kabarettistin Sophie Tucker Adenauer als Sendboten der Versöhnung feiert. Auf dem Weiterflug nach San Francisco berichte ich dem Kanzler von diesem Abend und schlage ihm vor, Sophie Tucker sein mit Widmung versehenes Bild zu übersenden. Er ruft sofort den Legationsrat Bach: »Wat der Studnitz da sagt, dat is wichtig, machen Se das.«

Adenauer in Honolulu auf Hawai

Auf dem Wege nach Japan landen wir auf Honolulu, wo wir übernachten. Die ganze Insel läuft zusammen, um dem Kanzler einen Staatsempfang zu bereiten. Die Garnison ist mit allen Truppenteilen, Musikkorps und Fahnen ausgerückt und hat auf dem Flugfeld Aufstellung genommen.

Vier Vier-Sterne-Generäle melden sich beim Kanzler, eine Ansammlung höchster Militärs, wie sie der deutsche Botschafter in den Vereinigten Staaten noch nie auf einem Fleck erlebt hat.

Während Adenauer an der Seite des Gouverneurs von Hawaii, das kürzlich als 50. Staat in die amerikanische Union aufgenommen wurde, über den roten Teppich schreitet, werden 19 Schuß Salut gefeuert. Nach Landessitte bekränzen junge Mädchen den Kanzler mit Orchideen.

An winkenden Menschen geht es vorbei in das »Hawaiian Village Hotel«, einem aus Wolkenkratzern, hängenden Gärten, Schwimmbädern, Tennisplätzen, exotischen Pflanzen, Lagunen und Meeresstrand bestehendem Komplex, das einer Laune des Aluminiumindustriellen Kaiser seine Entstehung verdankt.

Alle Vorstellungen der Kintop-Zivilisation werden übertroffen

Das Hotel, nur eines von mehreren dieser Art, übertrifft alle Vorstellungen der Kintop-Zivilisation. Königspalmen wachsen aus seinen Dächern, Bars, in denen berauschende Getränke aus Ananassaft und Rum gemixt werden, reihen sich an Ladenstraßen, die zu fabulösen Preisen alles feilbieten, was Okzident und Orient für den Konsumenten bereithalten.

Alohamädchen in Muhmuhs - wie Umstandskleider aussehenden Baumwollgewändern, mit denen die amerikanische Missionarskultur einmal die Blößen der Blumenkinder im südpazifischen Raum zudeckte - lächeln an den Informationsschaltern. Einheimische Jünglinge mit nacktem Oberkörper rösten, umlagert von Hotelgästen, an offenen Feuern ein fettes Schwein.

Bei Sonnenuntergang werden Sternenbanner und die Flagge der Bundesrepublik Deutschland feierlich niedergeholt von Hulamädchen, die die Hymne der Vereinigten Staaten ins Mikrophon singen. Die Dämmerung senkt sich auf das Traumhotel, seine mit bunten Markisen geschützten Veranden und Sonnenschirme. Die See erglänzt in einem hintergründigen Smaragd, die rosafarbenen Catamarans tauchen in tiefes Violett. Jazzmusik quillt aus tropischen Gebüschen, Japanerinnen servieren Münchener Bier. In den Speisesaal werden mit Krabben gefüllte Avacados getragen, die Stunde des Dinner naht.

Die andere Seite des "Karnevals"

Glanzlos sind allein die Gäste dieser Karawanserei. Keine der karnevalsähnlichen Vermummungen, in die die Touristen schlüpfen, täuscht darüber hinweg, daß es sich um vom Lebenskampf gekrümmte Kleinbürger aus Detroit und Pittsburgh handelt.

Wer sich Hawaii leisten kann, ist in der Regel alt, häßlich und reich. Die Frauen sind keine Insulanerinnen, die ihre üppigen Reize unter Halsgehängen aus Muscheln und Korallen nur schwer zähmen, sondern lederne Hexen mit goldumrandeten Schmetterlingszwickern, falschen Zähnen und unechten Haaren.

Sie kommen als mehrfache Witwen oder als Gefährtinnen von kahlköpfigen, blähbäuchigen Männern, die der Börsenindex ausgelaugt hat und die hier ein paar Wochen Sonnenschein suchen, bevor ihnen die Heimat das Grab richtet.

Der Begriff des »Ugly American« (häßlischer Amerikaner), der die Yankees so sehr verwundet, gewinnt auf dem Hintergrund einer herrlichen Natur seine abstoßende Gestalt. Das Grausen packt einen angesichts von Wellenreitern, die, aus der haushohen Dünung schießend, Surfbretter balancieren, auf denen pferdegebissige alte Weiber mit verrutschter Perücke angeschnallt sind, die mit blauen Flecken bedeckten Körper seligen Blickes emporreckend zu den prallgefüllten Badehosen der Surfrider.

Während die Greisinnen von der glasharten Brandung gestäupt werden, zückt der am Strand zurückgebliebene Gatte die Brieftasche, um ihr das Entgelt für den Wellenjockey zu entnehmen.

Hakenkreuzfähnchen beim Empfang in Tokio

In Tokio hat die Linke alles aufgeboten, um Adenauers Besuch zu stören. Auf dem Flughafen erwarten uns Tausende mit Hakenkreuzfähnchen bewaffnete Kommunisten. Die Sozialdemokraten haben wissen lassen, daß sie der Sitzung des (japanischen) Reichstages mit dem Bundeskanzler fernbleiben und nicht dulden werden, daß die Kapelle des Kaiserhauses das Deutschlandlied in den Räumen des Parlaments intoniert.

Adenauer schafft auch hier die Kehrtwende

Im Lauf von noch nicht vierundzwanzig Stunden gelingt es Adenauer, das Blatt zu wenden. Auf einer Pressekonferenz erklärt er zum Entsetzen der anwesenden deutschen Wirtschaftsexperten und zum Entzücken der Japaner, es gehe nicht an, daß der deutsch-japanische Handel mit einer für das fernöstliche Reich passiven Bilanz schließe. Er werde dafür sorgen, daß die Bundesrepublik ihre Einfuhren aus Japan vergrößere.

Die Klimaverbesserung schlägt sich sofort nieder. Die Sozialisten erscheinen geschlossen im Reichstag, um der Rede Adenauers zuzuhören, das Orchester des Tenno spielt die deutsche Hymne. Der rheinische Zauberer hat es wieder einmal geschafft.

Adenauer auf einer Geisha-Party

In Kyoto besuchen wir nach einem anstrengenden Tag eine Geishaparty, bei der wir alle in den Türkensitz gehen müssen, was uns noch mehr ermüdet als die langweiligen Darbietungen. Als Adenauer gegen Mitternacht bedeutet wird, daß nichts Aufregendes mehr zu erwarten sei, bemerkt er sichtlich enttäuscht: »Dat mit de Jähschas hatte ich mir anders vorjestellt. Dat is ja ne janz honorije Anjelegenheit.«

Am Ende der Welt in Alaska

In Anchorage, wir müssen vor der Überfliegung des Pols auftanken, erwartet uns die Generalität dieses großen amerikanischen Stützpunktes in Alaska. Im »Chäteau de Versailles«, dem ersten Speisehaus des einem Goldgräberdorf gleichenden Ortes, hat man ein Hummerbuffet für uns gerichtet. Aber der Kanzler dankt.

An Bord des Flugzeuges gibt es ohnehin alles, was er begehren könnte. Hier möchte er nichts als frische Luft schöpfen, noch einmal die Lungen vollsaugen, bevor ihn die Kabine der »Super Constellation« von der Außenwelt auf viele Stunden abschließt.

Adenauer hat wieder einen glänzenden Einfall

Die Enttäuschung der Befehlshaber dauert nur kurz. Adenauer hat den glänzenden Einfall, die Militärs um die Vorführung ihrer Waffe zu bitten. Er will die Düsenjäger sehen, mit denen die Amerikaner »die Sowjets kontrollieren«.

Die Generäle sind begeistert. Noch nie hat ein durchreisender Staatsmann sich für das interessiert, was sie in dieser eisigen, schneebedeckten Einsamkeit treiben. In ein »Walkie Talkie« werden Befehle gesprochen, Adjutanten stieben davon, Ferngläser werden aus den Etuis geholt.

Minuten später erfüllt Dröhnen die Luft, der Himmel verfinstert sich, Geschwader auf Geschwader steigt auf. Ein Knopfdruck hat genügt, um eine gewaltige Militärmaschinerie auf Touren zu bringen. Der Kanzler beglückwünscht die Kommandeure. Als wir an Bord gehen, winken sie ihm strahlend nach. Sie haben einem der bedeutendsten Staatsmänner ihrer Zeit demonstriert, was sie zu leisten vermögen. Jetzt können sie sich hochbefriedigt über die Hummer hermachen.

Adenauer ist dann ganz zuletzt auf Island

Ein letzter Kanzlerauftritt findet in Reykjavik statt, dort wird Adenauer im Flughafen von der isländischen Regierung begrüßt und hält in ihrer Gegenwart eine Pressekonferenz ab. Am gleichen Tage ist Chruschtschow in Paris angekommen.

Ein Journalist fragt, was der Bundeskanzler von diesem Besuch halte. Adenauer besinnt sich nicht lange, dann erwidert er genüßlich: »Ich habe den Eindruck, der Mann kommt dort nicht richtig an.« Der kommunistische Minister im isländischen Kabinett macht ein saures Gesicht, der Kanzler hat die Lacher auf seiner Seite.

Und jetzt kommt meine "studnitzsche" Meinung

Adenauer war ein Glücksfall für die Bundesrepublik, ein Pragmatiker an der Spitze eines durch und durch sentimentalen Volkes. Während des Ringens um die Saar habe ich seine Politik angegriffen, die Rückgabe des Saarlandes hat Adenauers Methoden im Umgang mit Frankreich schließlich doch bestätigt.

Staatsmänner können nur an den Ergebnissen ihrer Politik gemessen werden. Inwieweit die Wiedervereinigung dem ersten Bundeskanzler Herzenssache bedeutete, wage ich nicht zu beurteilen. Daß nur eine starke Bundesrepublik die »DDR« aufnehmen konnte und es darum galt, zunächst einmal Westdeutschland auf gesunde Fundamente zu stellen, hat mir als Leitmotiv der Adenauerschen Deutschlandpolitik immer eingeleuchtet.

War Bismarck mehr Preuße als Deutscher, so war Adenauer zuerst Rheinländer. Gleichwohl würde ich ihn einen Rheinpreußen nennen. Die Jahre als preußischer Staatsrat hatten ihn stärker geprägt, als ihm selbst bewußt war. Aus dieser Verbindung zog er die Kraft, seinem Staat, der Bundesrepublik, zu geben, was ihm am meisten fehlte - Autorität.
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