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H. von Studnitz schreibt über die Erfahrungen seines Lebens

Eine Ergänzung zum Thema : "Was ist Wahrheit ?" - 1974 hat Hans-Georg von Studnitz (geb. 1907) ein Buch über sein Leben geschrieben, aus dem ich hier wesentliche Absätze zitiere und referenziere. Es kommen eine Menge historischer Informationen vor, die heutzutage in 2018 wieder aktuell sind, zum Beispiel die ungelöste "Katalonien-Frage" aus 1936.

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Alle Araber suchen mit England ihren Vorteil - noch

Vorläufig suchen sie alle mit England ihren Vorteil, weil sie glauben, daß die Zeit gegen England noch nicht gekommen ist. Ich frage den Emir, was er von einer arabischen Föderation hält. Einmal muß sie kommen, meint er nach einigem Nachdenken.

Abdallah gibt mir eine lange Abhandlung über die Bedeutung der Kalifenwürde, deren Usurpation seinem Vater zum Verhängnis wurde. Jedem Herrscher, so führt er aus, stehe es frei, sich zum Kalifen für die Gläubigen seines eigenen Landes zu proklamieren.

Wer allerdings die Würde eines Kalifen über alle Mohammedaner anstrebe, müsse blutsmäßig seine Abstammung vom Propheten nachweisen können, ein Hieb, der auf Ibn Saud zielt.

Wie stark ist das Deutschland von 1939 ??

Der Emir will wissen, ob das Deutschland von 1939 so stark wie das von 1914 ist. Er schwärmt vom Einzug Wilhelms II in Jerusalem, dem er beiwohnte, und erinnert an den Empfang des Kaisers durch den Sultan in Konstantinopel, dessen Pracht sich tief in mohammedanische Herzen eingrub.

Nur etwas verzeiht Abdallah dem Wilhelminischen Deutschland nicht. Der Archäologe Euting überredete Wilhelm II, sich vom türkischen Großherrn die mit byzantinischen Skulpturen aus dem 6. und 7. Jahrhundert geschmückte Fassade einer jordanischen Palastburg bei Mschetta schenken und ins Berliner Kaiser-Friedrich-Museum überführen zu lassen.

Eine Einladung zum Essen mit dem Emir von Amman

Dem Essen zu meinen Ehren wohnen der Unterrichtsminister, der türkische Konsul, der Privatsekretär und ein Sohn des Emirs bei.

Kawassen in gestärkten weißen Leinenröcken tragen Mürbeteigpasteten, gefüllten Puter, Reis mit Fleischsauce, einen Kohlgang, Fruchtpudding, fladenförmig gebackenes Brot, Früchte und Orangensaft auf. Im Tranchieren des Truthahns lösen sich Privatsekretär und Unterrichtsminister ab.

Die Tafel ist nach englischer Sitte mit »Sets« gedeckt, die Dekorationen gruppieren sich um einen silbernen Scherenschnitt, Friedrich den Großen mit seinen Windspielen darstellend, den der deutsche Kaiser dem Vater Abdallahs geschenkt hat. Den Palast des Wüstenkönigs verzieren Seestücke. Am Bosporus groß geworden, liebt der Emir die Schiffahrt und haßt die Fliegerei.

Photographien von Kemal Atatürk, Georg V. von Großbritannien, des Negus von Abessinien und des schwedischen Kronprinzenpaares haben neben einem großen Porträt des Scherifen von Hedschas Aufstellung gefunden.

Als der Kaffee gereicht wird, befiehlt der Emir, eine Grammophonplatte mit der jordanischen Nationalhymne aufzulegen, die er in Deutschland hat komponieren lassen. Dann verabschiedet mich Abdallah mit dem Gruß: »Ich werde immer an dich denken, mein Sohn!«

Das alles war für mich schon sehr beeindruckend

Auch mich beschäftigt die Begegnung mit dem Haschemiten-Ffürsten noch lange. Wie einmal Napoleon auf Elba, hat ihn sein politisches Schicksal auf ein Stückchen Erde verschlagen, das für eine Figur seines Formats nicht ausreicht und ihm allenfalls als Plattform für die Verwirklichung weitgespannter Pläne dienen kann.

Napoleon scheiterte, sein Sohn konnte nicht einmal die Herrschaft über Elba antreten. Abdallah wurde König, aber der kleine Wüstenstaat gab ihn und seine Erben nicht frei, sein Traum vom arabischen Großreich zerrann.

Der Enkel verteidigt einen Thron, der entgegen allen Voraussagen nicht einstürzen will, aber auch nicht zu dem Sprungbrett werden kann, als das ihn der Großvater bestimmt hatte.

Auf der Straße von Damaskus zur Küste

Zwischen Zedernhainen, die aus Schneefeldern ragen, gleiten wir von Damaskus zur Küste. Mit dem Verlassen des Gebirges wird die Landschaft lieblicher, die Fruchtkammer des Libanon entfaltet sich.

Feigen, Aprikosen, Mirabellen und Bananenstauden kuscheln sich in den Tälern. Im Libanon genießen Araber, Syrer, Ägypter und Türken viermal im Jahre eine Saison. Wir erreichen Beirut, die Tochter der lebenslustigen Levante, in der nichts an den Ernst von Damaskus, an die Kargheit von Amman erinnert.

In Beirut angekommen

Eine reiche Handelsstadt, über deren grünspaniger Denkmalsherrlichkeit Trikoloren flattern. Der französische Resident Puaux, der mich beim Präsidenten der Republik einführt, nennt sie eine Insel der Glücklichen.

Im »Grand Serail« spreche ich mit Puaux über die Krise in Syrien und die Aussichten der großen Mächte, dem Nahen Osten Frieden zu bringen.

Von dort zum »Petit Serail«, dem Sitz des Staatsoberhauptes, Exzellenz Edde, ist es nur ein Sprung. Im Vorzimmer des Palais, das einem Schloß in der Normandie ähnlicher sieht als einem orientalischen Palast, lasse ich mich auf einem Sessel nieder, in dessen himbeerfarbene Bezüge Pfauen, Schlangen und Schwäne eingewebt sind.

Wenn man die Blutegel alle paar Monate wechselt . . .

Ein riesiger Diplomatenschreibtisch, verziert mit einer Biene, dem Symbol napoleonischer Emsigkeit, ergänzt das Mobiliar, zu dem ein Teppich gehört, auf dem ein Greif ein sehr unschuldig aussehendes Kaninchen schlägt. Inmitten dieses Prunks wirkt der Präsident einfach und schlicht.

Er hat nichts von einem Potentaten an sich und macht aus seiner Sympathie für die französische Protektoratsherrschaft kein Geheimnis. Er schwärmt von einem Bewässerungssystem, mit dem seine Regierung das von den Schneebergen ins Meer stürzende Schmelzwasser aufzufangen und der Landwirtschaft nutzbar zu machen hofft.

Mit Land und Leuten zufrieden, läßt er, wie die Franzosen, den Dingen ihren Lauf, ohne das Wort des früheren Hochkommissars Graf Martel zu vergessen, der einmal gesagt haben soll: »Der Libanon ist am leichtesten zu regieren, wenn man die Blutegel alle paar Monate wechselt.«

Auch die Europäer sind von Blutegeln umgeben

Sie fügen sich in eine Ordnung, die von ihren Dienern bestimmt wird. Einer meiner Freunde beschäftigt einen Maroniten.

Seitdem kommt nichts auf seinen Tisch, das sein Diener nicht bei Maroniten eingekauft hätte. Maroniten waschen seine Hemden und besohlen seine Schuhe. Der Diener hat seinen Herrn im Schoß seiner Glaubensgemeinschaft geborgen. Wäre er Armenier, so würde die armenische Kirche den Herrn aufgenommen haben.

Wir besuchen die Oper in Beirut

Als Puaux seine Loge betritt, erhebt sich das Publikum, die Marseillaise ertönt. Man spielt »Mireille«, in der die Liebe eines schönen Bürgermädchens zu einem armen Bauernjungen besungen wird.

Libanesische Tänzerinnen treten auf, sehr emanzipiert, sehr dekolletiert, sehr gut frisiert. Ihre Mütter haben vielleicht noch im Harem gelebt oder sind von ihren Männern gekauft worden.

Im Parkett klemmen Monsieurs aus Paris und den arabischen Großstädten das Monokel fester und lächeln wie auf Sektreklamen - rassig und perlend.

Das unselige Erbe des 1. Weltkrieges

Zu den Zankäpfeln, die der Erste Weltkrieg im Nahen Osten hinterließ, gehörte Hatay mit dem Sandschak von Alexandrette, ein 2.139 Quadratmeilen großes, im Westen an den Golf von Iskenderum, im Süden und Osten an Syrien grenzendes Gebiet, das, unter französisches Mandat gestellt, sowohl von der Türkei wie von Syrien beansprucht wurde.

1937 Syrien überlassen, wurde Hatay am 23. Juni 1939 von Frankreich an die Türkei zurückgegeben. Als ich, aus Aleppo kommend, im März 1939 dort eintraf, lag die »Unabhängige Republik Hatay« in den letzten Zügen.

Die Türken hatten sich bereits der Verwaltung bemächtigt, Einreisevisen mußten jedoch bei französischen Konsulaten beantragt werden. Die Grenze kontrollierten syrische Zöllner und bewachten senegalesische Soldaten.

In Antiochia lag noch ein französisches Bataillon, aus Alexandrette hatten die Franzosen sich bis auf einen Liaisonoffizier abgesetzt. In Antiochia und Alexandrette mit türkischen Marken freigemachte Post wurde in Damaskus und Aleppo die Annahme verweigert.

Der Präsident der Republik, Dr. Tayfur Soekmen, residierte in Harbie, zehn Kilometer von Antiochia, nicht weit von der Stelle, an der Daphne sich dem Werben Apollos entzog und sich in einen Lorbeerbaum verwandelte.

Der Präsident der Republik, Dr. Tayfur Soekmen

Als ich ihn nach der Zukunft Hatays frage, gibt er die vielsagende Antwort, ein unabhängiger Staat wie Hatay werde zur geeigneten Stunde das Geeignete zu tun wissen! Für den Augenblick glaubt er jedoch nicht an eine Statusänderung.

Das Arbeitszimmer des Ministerpräsidenten Dr. Abdurrahman Melek, eines Hataytürken, schmückt ein Bild Atatürks, von dessen Ideen Dr. Melek erfüllt ist. Während Soekman Landwirt war, hat Melek eine Arztpraxis aufgegeben, um Politiker zu werden.

In sein Französisch streut er deutsche Brocken, die ihm von Besuchen in Berlin im Gedächtnis geblieben sind. Von einem Ausnahmestatus des von den Syrern begehrten Hafens von Alexandrette will er sowenig wissen, wie von einer wirtschaftlichen Anlehnung Hatays an die syrische Großstadt Aleppo.

Eine junge, zum Tode verurteilte Republik

Ministerpräsident Melek betrachtet Anatolien als das eigentliche Absatzgebiet Hatays. Auf dem Rückweg in das »Hotel du Tourisme«, in welchem ich an der »table d'höte« mit französischen Offizieren und Priestern esse, begegnet mir türkische Infanterie. Sie »schützt« mit einer ihr an Zahl dreifach unterlegenen französischen Truppe die junge, zum Tode verurteilte Republik.

Von Libanon auf nach Norden, nach Anatolien

Während die Bahn die Tauruspässe erklettert und kerzengerade hochschießende Felsen den Himmel verdecken, werden für einen Augenblick die Kilikischen Tore sichtbar, schroff abfallendes Gestein, das der Tarsus in einer Breite von zwanzig Metern durchbricht.

Dem Weg dieses Wassers sind von Semiramis bis Gottfried von Bouillon alle Heere der Geschichte gefolgt. Dann nimmt ein neuer Tunnel die Wagenschlange auf. Berg auf Berg wird unterfahren.

Der Taurus-Expreß auf der Bagdadbahn

Das ganze Gebirge gleicht einem Wurmgehäuse, in dessen Durchbohrungen und Gängen sich der Strang der von den Deutschen erbauten Bagdadbahn geheimnisvoll zurechtfindet.

Der Taurus-Expreß verkehrt dreimal wöchentlich, ist wanzenfrei und führt einen gutversorgten Speisewagen der Wagon-Lits-Gesellschaft. Als wir Anatolien erreichen, liegt eine dünne Schneedecke über der endlosen, von einem schwachen Mond bestrahlten Steppe.

Ab und zu tauchen Lichter auf. Von vermummten Gestalten bevölkerte Stationen, auf denen die Lokomotive Wasser und Kohlen nimmt, um die Reise durch die menschenleere, häuser- und baumlose Landschaft fortzusetzen.

Der Schatten des Zuges flieht über den Schnee. Längst haben sich die Mitreisenden zur Ruhe gelegt, eine ungeheure Einsamkeit breitet sich aus.

Dann geht es weiter nach Athen

Vom König der Hellenen sagte man, daß er über ein Volk von fünf Millionen Ministerpräsidenten herrsche. Dieses Bonmot galt 1939 wie 1970. Der griechische Thron ist oft mit einem Schleudersitz verglichen worden.

Das Haus Wittelsbach, das ihn 1833 besetzte, wurde 1863 durch das Haus Holstein abgelöst, dessen dänischer Zweig dem Lande sechs Herrscher schenkte. Das im Schatten der Akropolis gelegene Athener Schloß mußten sie immer wieder mit dem Exil vertauschen, bis sie erneut ins Land gerufen wurden, um einen Vorgänger oder die Republik abzulösen.

Georg II hatte Griechenland zum erstenmal in den Jahren 1922 bis 1924 regiert. Wie sein Vorgänger Konstantin sollte er zweimal König werden. Als ich ihn in Athen aufsuchte, war seine zweite Regentschaft in ihr fünftes Jahr getreten.

Keine Illusionen von Georg II bezüglich seiner Untertanen

Georg II gab sich über den kritischen Hang seiner Untertanen keinen Illusionen hin. Er wußte, daß die Griechen einen dummen König leichter ertragen als einen gescheiten, und mühte sich darum redlich, sein Licht unter den Scheffel zu stellen.

Die Kunst, mehr zu sein, als zu scheinen, hatte er in Preußen erlernt. Ausgebildet im Potsdamer Ersten Garderegiment zu Fuß, verleugnete der König den preußischen Offizier nicht.

Sein Hauptinteresse galt der griechischen Armee, an deren Entpolitisierung er arbeitete. Im griechischen Individualismus sah er die Stärke und Schwäche seines Volkes, das den Wechsel liebte.

Was die Griechen lieben und was nicht

Leid sei es ihm nur um Neville Chamberlain, dessen innenpolitische Stellung nun noch schwieriger werde. Metaxas schätzt seinen Monarchen, aber wünscht ihm mehr Zurückhaltung.

Das Volk liebe es nicht, wenn der Träger der Krone zu bestimmten Gesellschaftskreisen zu intime Kontakte unterhalte. Er selbst könne kein Theater, kein Kabarett aufsuchen, ohne daß sich die Leute nicht den Mund zerrissen. Er lobt die jugendliche Kronprinzessin Friederike und findet es als Politiker nützlich, daß die geborene Braunschweigerin auch den Titel einer Prinzessin von Großbritannien führt.

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