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Dokumente aus dem Nachlass des Günter Bartosch (2013†)

von Gert Redlich im Dez. 2015 - Günter Bartosch hatte sie alle aufgehoben, die Dokumente von vor über 70 Jahren, die belegen, so war es 1945 wirklich: "Der Weg aus 12 Jahren Diktatur in die Freiheit."
Und sie stimmen überein mit den Geschichten des Wolfgang Hasselbach, Professor Michael Hausdörfer, Eduard Rhein, Artur Braun, Herrman Brunner-Schwer und auch Max Grundig. Doch wohin damit ? Wo passen diese Zeitzeugen- Geschichten und -Bilder hin ? Mehr über berufliche Erlebnisse und seine ZDF-Zeit lesen Sie bei den Sendern.

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Günter Bartosch schreibt 1991 an Minister Seiters

Günter Bartosch - 6200 Wiesbaden

Herrn Minister Rudolf Seiters
- Bundeskanzleramt -
Postfach 12 05 35 - 5300 Bonn 1
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(8. September 1991) - Sehr geehrter Herr Minister,

höflich bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für eine Anregung, die ich Ihnen hiermit unterbreite. Ich wüßte nicht, bei wem, auißer Ihnen, ich Verständnis und gegebenenfalls Aufnahmebereitschaft finden könnte.

Wir leben in sehr bewegten Zeiten - Gott-sei-Dank hauptsächlich in positiver Hinsicht. Es ist dem Bundeskanzler und seiner Regierung zu danken, gegen erhebliche Widerstände die deutsche Einheit so schnell wie möglich verwirklicht zu haben.

Wie wichtig das war, zeigte gerade die durch den Putsch in der Sowjetunion aufgekommene neue Gefahr der Ost-West-Konfrontation. Nun, nach Scheitern des Putsches, sieht die weltpolitische und insbesondere die europäische Lage wieder ganz anders aus.

In kürzester Zeit wird es in Osteuropa neue selbständige Staaten geben, die alle in die EG drängen und von der Gemeinschaft wirtschaftliche Unterstützung und Aufschwung erwarten. Die Menschen dort sind ungeduldig und wollen eine schnelle Besserung spüren können - eine Erwartung, welche zweifellos so bald nicht erfüllbar ist und die ja auch schon dem Reformer Gorbatschow erhebliche Probleme brachte. Umso mehr müssen politische Zeichen gesetzt werden, die für die ungeduldigen Menschen Markierungen für den Neubeginn sein können.

In den politischen Kreisen Deutschlands setzt sich nur zögerlich die Erkenntnis durch, daß deutsche und europäische Politik nicht an der Oder-Grenze Halt machen kann. So sehr wir mit unseren eigenen Problemen, die uns die Wiedervereinigung brachte, beschäftigt sind - der rasche Verlauf der Geschichte zwingt uns, den Blick über die Grenzen nach Osten zu richten.

Wir können und dürfen nicht bei der deutschen Einheit verharren, wir müssen uns bewußt werden, daß Deutschland Mitteleuropa ist und für das sich neu formierende Osteuropa eine Schlüssel- und Vermittlerrolle zu übernehmen hat.

Die dort entstehende Kleinstaaterei (drei baltische Staaten, Weißrußland, Ukraine, Georgien u.a.) ist wirtschaftlich unsinnig und bringt neue politische Probleme mit sich, zumal es sich im Gegensatz zum westeuropäischen Einigungsbestreben entwickelt.

Eine feste wirtschaftliche und politische Größe stellt hingegen das Rußland Jelzins dar. Es wird zwangsläufig die Führungsrolle in der künftigen Entwicklung Osteuropas übernehmen, jenes Land, dessen wirtschaftlicher Zustand bisher am desolatesten ist. Enge Beziehungen zu Rußland, das andererseits in seinem reformpolitischen Kurs am gefestigsten ist, sind nicht nur angebracht, sondern äußerst sinnvoll. In diese Richtung zielt mein Vorschlag.

Mein Vorschlag

Die drei baltischen Staaten sind nun frei und unabhängig. Problematisch ist jetzt für Rußland jenes Gebiet Ostpreußen, das nach dem Krieg "unter sowjetische Verwaltung" kam. Es ist wieder ein Inselgebiet, wie es das von 1919 bis 1939 schon einmal war.

Im Zeichen der Abrüstung und bei den bekannten Schwierigkeiten der künftigen Sowjetunion hat sich ein sowjetischer Kriegshafen Kaliningrad/Königsberg überholt. Hingegen wäre die Stadt als zentraler Handelshafen für ganz Osteuropa von ausschlaggebender Bedeutung.

Jelzin ist ein kluger Politiker, der weiß, daß sich in dieser Welt sinnlos gewordene Positionen nicht durchsetzen lassen. So befürwortete er die Freiheit der baltischen Staaten, dürfte sich aber sehr wohl darüber im klaren sein, daß das Ausscheiden dieses Gebiets aus dem Staatsverband der Sowjetunion wirtschaftlich schmerzhaft ist.

Auch für Rußland hat das Baltikum nicht unerhebliche Bedeutung, aber mit bolschewistischer Gewalt war es nicht zu halten. Doch Jelzin bleibt Königsberg !

. . . .für die deutsche Politik

Hier muß nun deutsche Politik ansetzen. In aller Stille und ohne Öffentlichkeit und Aufgeregtheit. Die ganze Welt hat inzwischen eingesehen, daß Jelzin verläßlich ist und unterstützt werden muß. Auch er steht unter dem Zwang, den Bürgern seines Landes sichtbare Erfolge vorweisen zu können.

Deutsche Diplomaten müssen nun mit ihm Verhandlungen führen, möglichst mit Rückhalt der EG. Ich würde folgendes Konzept sehen - und das ist meine Anregung:

Eine deutsch-russische Konföderation in Königsberg

Für den sowjetisch verwalteten Teil Ostpreußens eine deutsch-russische Konföderation zu schaffen. Königsberg, ja das ganze Gebiet, zu einer Freihandelszone der EG zu machen. Hafen und Land als wirtschaftlichen Stützpunkt der EG in Gemeinschaft mit Rußland zur Belebung des gesamten Osthandels auszubauen.

Die geografische Lage Ostpreußens ist ideal als Zentrum für Osteuropa. Durch eine deutsch-russische Konföderation mit Segen der EG wäre es politisch gesichert und der EG teilverbunden. Abgesehen vom Tor zum besonders wichtigen Rußland, sind die Handelswege von hier aus kurz zum Baltikum, nach Weißrußland, zur Ukraine und nach Georgien.

Die Polen würden vermutlich gegen eine Neuorientierung für den sowjetisch verwalteten Teil Ostpreußens opponieren, doch könnten sie weder gegen deutsch-russische Vereinbarungen noch gegen EG-Engagement vernünftigerweise etwas einzuwenden haben, und müßten einsehen, daß sie sogar von einer Freihandelszone Ostpreußen selbst profitieren könnten.

Wir wissen aus unseren eigenen Erfahrungen mit der Situation in den neuen Bundesländern, daß wirtschaftliche Investitionen nur sehr zögerlich vorgenommen werden. Bislang scheiterten besonders die Bestrebungen, für das Gebiet der Sowjetunion westliche Unternehmen zu aktivieren. Wie sich gezeigt hat, war das Zögern begründet, und es wird auch künftig anhalten, solange die westliche Wirtschaft noch alte Kommandostrukturen vermuten muß.

Bevor die freie Marktwirtschaft dort funktioniert, wo bisher der Kommunismus herrschte, werden zehn Jahre vergehen. Solange wird die betroffene Bevölkerung nicht ausharren wollen - das Problem der ganzen Reformbewegung. Ein unter deutsch-russischer Konföderation eingerichteter Freihafen und eine Osthandelszone der EG, bei der alle Probleme, die der deutsche Einigungsvertrag mit sich gebracht hat, vermieden werden könnten, bietet Investoren alle Möglichkeiten eines gesicherten Standorts.

Deutschstämmige Aussiedler aus der Sowjetunion, die schon bei uns in Deutschland sind oder die noch kommen wollen, finden hier eine einzigartige Aufgabe in umfassender Vermittlungstätigkeit. Die Isolation des Gebietes ist eher ein Vorteil im Hinblick auf die neutrale Lage. Die Inselsituation Ostpreußens ist von uns Deutschen zwanzig Jahre lang von 1919 bis 1939 gemeistert worden, und die Nachkriegszeit brachte uns seit 1945 weitere Erfahrungen durch das Inseldasein West-Berlins.

Ein EG-Handelsstützpunkt Ostpreußen

Ein EG-Handelsstützpunkt Ostpreußen mit dem wichtigen Freihafen Königsberg unter deutsch-russischer Verwaltung wäre für Handel und Wandel mit den Ländern und der Bevölkerung Osteuropas die erste Keimzelle beim Aufbau des gemeinsamen europäischen Hauses und würde, abgesehen von seinem realen Nutzen, ein Zeichen der Hoffnung für die Völker Osteuropas bedeuten.

Den für die weitere Entwicklung des Anschlusses Osteuropas an die EG, an die wichtigsten Länder, nämlich Deutschland und Rußland, würde dabei eine Schlüsselrolle zukommen, die auch geschichtlich begründet ist und für beide Länder nur von Vorteil sein kann. Jelzin ist der Mann, mit dem man vernünftig darüber reden kann, und Gorbatschow inzwischen wohl auch. Es muß nur diplomatisch geschickt vorgegangen werden.

Ich wüßte niemand, der dafür besser geeignet wäre als Sie, Herr Minister Seiters. Sie sind für mich - mit Verlaub gesagt - nahezu der einzige Diplomat (dem wahren Sinn des Wortes nach), den die Bundesregierung aufzuweisen hat.

Mit besonderer Hochachtung und freundlichen Grüßen

Günter Bartosch

Nachtrag :

PS: Vielleicht muß man, wie ich, in Berlin geboren worden sein, als es noch Reichshauptstadt war, und das zauberhafte Land Ostpreußen selbst kennengelernt haben, um zu wissen, was dieses Gebiet, das jetzt in einem Dornröschenschlaf dahindämmert, für den gesamten Bereich Osteuropas bedeuten kann !

Auch dieser Brief blieb ohne Antwort

schade.

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