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Dokumente aus dem Nachlass des Günter Bartosch (2013†)

von Gert Redlich im Dez. 2015 - Günter Bartosch hatte sie alle aufgehoben, die Dokumente von vor über 70 Jahren, die belegen, so war es 1945 wirklich: "Der Weg aus 12 Jahren Diktatur in die Freiheit."
Und sie stimmen überein mit den Geschichten des Wolfgang Hasselbach, Professor Michael Hausdörfer, Eduard Rhein, Artur Braun, Herrman Brunner-Schwer und auch Max Grundig. Doch wohin damit ? Wo passen diese Zeitzeugen- Geschichten und -Bilder hin ? Mehr über berufliche Erlebnisse und seine ZDF-Zeit lesen Sie bei den Sendern.

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2007 - Vorwort zur Dokumentation der Ehemaligen der Mackensen-Schule

(jetzt Lessing-Schule), Berlin (West) - Schöningstraße 17, - als Zeitzeugen und Betroffene der Kriegsjahre 1944/1945.
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Einleitung

Im April 1982 beging das Lessing-Gymnasium das Jubiläum seines 100jährigen Bestehens. Mit einigen früheren Schülern und Schülerinnen wurde ich gefragt, ob wir zur Festschrift Beiträge über unsere Schulzeit verfassen könnten.

Ich schrieb über die Jahre 1939-1947 unter dem Titel „Schüler einer ,großen' Zeit". Damals begann ich meinen Artikel mit den Worten: „Die Zeit ist also gekommen, es aufzuschreiben." Das war 1982. Jetzt sind wir mehr als 25 Jahre weiter.

Wenn ich meinen Artikel von damals lese und auch den „Reifeprüfung" betitelten Beitrag meines (leider schon verstorbenen) Freundes Hans Joachim Wefeld, dann stelle ich fest, dass wir alles richtig beschrieben haben - und dennoch: Vieles müsste noch dazu geschrieben werden.

Über die Fernsehprogramme von Heute (2007)

Im Fernsehprogramm wird heutzutage die Nazi- und Kriegszeit sehr intensiv „abgearbeitet". Ich setze dieses Wort in Anfuhrungsstriche.

Die Programme werden professionell gemacht - von Menschen, die jünger sind und die schweren Zeiten nicht mitgemacht haben. Wer die Epoche rückwirkend betrachtet, kommt leicht zu Fehlschlüssen, denn es ist etwas anderes, ob man sich nachträglich informiert oder ob man mittendrin dabei war.
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Täter oder Opfer ?

Heute wird oft leichtfertig eingeteilt in Täter und Opfer. Opfer gab es viele - und nicht nur Deutsche. Die meisten Betroffenen aber waren „Leidtragende" im echten Sinne des Wortes. Von den Tätern war es vielen gelungen, sich in den zwei deutschen Staaten, die als Kriegsfolge entstanden waren, zu tarnen und als angeblich harmlose Mitläufer des Nationalsozialismus wieder in Amt und Würden zu gelangen.

Dies ist - so betrachte ich es heute - ein Skandal in unserer Nachkriegsepoche gewesen und hat Auswirkungen bis heute. Zwar hat es nichts mit unserer Schule und unserer Schulzeit zu tun, aber es verfälscht auch die Rückblicke auf unsere Kindheit, welche uns von Hitler und seinen Handlangern gestohlen worden war.
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Viele Fotos von Wolfgang Grimm

Wenn wir der heutigen Lessing-Oberschule eine Sammlung von Dokumenten übergeben aus der Zeit, in der wir Schüler der Mackensen-Schule waren, so sind Fotos dabei, die unser Freund und Klassenkamerad Wolfgang Grimm verdienstvoller Weise gemacht hatte.

  • Anmerkung : Es war ab 1939 übrigens strengstens verboten, jegliche Art von Wehrmachtsgeräten, Kriegsschauplätzen (Standorte) und auch Kameraden zu fotografieren, insbesondere die damals extrem streng geheimen deutschen RADAR Geräte nicht. Es hätte durchaus mit dem Tod durch sofortiges Erschiessen bestraft werden können.


Sie zeigen uns 15jährige in Wehrmachtsuniform, und wenn wir „keep smiling" machen, so darf das nicht darüber hinwegtäuschen, wie hart diese Zeit für uns war. Es sind "Schnappschüsse" - die eigentlichen "Schüsse" waren die mit unserer Flakbatterie im Kriegseinsatz. (Vielleicht muß für die heutige Generation die Bezeichnung „Flak" erklärt werden: Fliegerabwehrkanone.)

Die heutigen 15jährigen werden es nicht verstehen

Heute 15jährige mögen mal versuchen, sich in unsere Lage zu versetzen. Wir waren aus dem Elternhaus gerissen worden, aus unseren Kinderspielen, aus der Schule - mit der wir ohnehin schon nach Lötzen in Ostpreußen verlagert worden waren - und hineingestellt in die Realität eines immer härter werdenden Krieges. Wir waren als Flakbatterie an der südlichsten Grenze des „Großdeutschen Reiches" (heute Slowenien) im Kampfeinsatz und von Angriffen nicht verschont. In Gefahr, in täglicher (!), waren auch unsere Eltern in Berlin, weit ab.
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Die Erinnerung bröckelt so langsam

Wie wir das verkraftet haben ? Ich weiß es nicht mehr. Und wenn "i c h" es nicht weiß, wie will ein später Geborener meine Gefühle ergründen ? Genau so geht es meinen Kameraden und Mitschülern aus den Tagen der „großen Zeit".

Jeder hat seine eigenen Erfahrungen an seinen Kriegseinsatz als Schüler der Mackensen-Schule - der eine mehr, der andere weniger. Ich persönlich habe zu wenige. Woran liegt das? Ich habe es einmal zu ergründen versucht.

In einem Rückblick auf eigene Erlebnisse in Berlin, als am 3. Februar 1945 ein verheerender Luftangriff die Innenstadt zerstörte, schrieb ich: „Der Krieg war Alltag, die Fliegeralarme waren Alltag. Es war stufenweise immer schlimmer geworden, langsam aber stetig. Die Schrecken des Alltags waren größer geworden, aber man hatte es nicht registriert, so wie man nicht von Tag zu Tag, sondern nur im Rückblick merkt, dass man älter wird. Ich erkläre mir heute die Gedächtnislücken damit, dass es Alltag war, der an einem vorüberlief."
(Da ich den 3. Februar 1945 als Schüler der Mackensen-Schule erlebte, lege ich meine niedergeschriebene Erinnerung hier bei.)

Dann waren wir wieder normale Kinder . . .

Bleibt darüber hinaus festzustellen, dass trotz der Erinnerungslücken doch noch einiges im Gedächtnis geblieben ist von einem Zwangserlebnis, das für junge Menschen einmalig war und ist, weil es nur im Zusammenhang mit der Nazizeit und dem Weltkrieg verständlich ist.

Ich gehöre zum Jahrgang 1928. Wir wurden als „Luftwaffenhelfer" im Januar/Februar 1945 von Marburg/Drau nach Berlin entlassen, um dort unmittelbar im Anschluß zum „Reichsarbeitsdienst" eingezogen zu werden, wie das damals die Regel war. Der „Reichsarbeitsdienst" aber kam genauso zum Kriegseinsatz an der Front - die ja ganz nah gerückt war - wie die Wehrmachtseinheiten oder gar der „Volkssturm".

Mit Hilfe unseres hervorragenden Oberstudiendirektors der Mackensen-Schule, Willi Werdermann, gelang es uns, der ständig drohenden Einberufung zu entgehen. Als die Russen am 24. April 1945 in unser Gebiet Einzug hielten (glücklicherweise kampflos), hatten wir die Uniform aus- und wieder Zivilkleidung angezogen und waren „normale Kinder".

Andere hat es viel härter getroffen

Die Jahrgänge vor uns, die mit uns gemeinsam Luftwaffenhelfer waren, hat es härter getroffen. Jeder von ihnen war bei Kriegsende in einem anderen Fronteinsatz.

Sie gerieten in Gefangenschaft und hatten sowohl bei den Russen, als auch bei den Amerikanern schwere Belastungen zu ertragen. Darüber haben die Betroffenen viele Berichte geschrieben und hinterlassen. Einige der Zeitzeugen-Schilderungen werden hier als Parallel-Informationen beigegeben.

Unsere „Reifeprüfung" hatten wir längst bestanden

Wir, die wir bereits Mitte Mai 1945 in unserem Schulgebäude den Unterricht wieder aufnehmen konnten, waren vom Schicksal begünstigt. Die Mackensen-Schule wandelte sich zunächst zur „Höheren Schule in der Schöningstraße", dann wurde sie zum Lessing-Gymnasium bzw. zur Lessing-Oberschule.

Ich persönlich gehörte 1947 zum zweiten Abitur-Jahrgang, der nach dem Kriege in der Lessing- Oberschule das „Zeugnis der Reife" erhielt. Unsere „Reifeprüfung" hatten wir längst bestanden, als wir noch Kinder waren.
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Machen wir eine Dokumentation über uns als Zeitzeugen

Professor Helmut Kratzsch

Ich finde, es ist eine großartige Idee meiner ehemaligen Schul- und Kriegskameraden - initiiert und organisiert von Helmut Kratzsch (mit dem beruflichen Werdegang eines „Mackensen"-Schülers bis zum Professor) -, unserer Schule eine Dokumentation über uns als Zeitzeugen und unmittelbar Betroffene einer der schlimmsten Epochen der deutschen Geschichte zu übergeben. Es ist damit ein Nachlaß der „Ehemaligen".

Wünschen würden wir uns, dass diese Dokumentation auch gelegentlich im heutigen Schulunterricht Thema sein könnte. Vielleicht ist unter den Schülern von heute einer, der den Weg eines Historikers einschlagen will. Ihm (oder ihr, falls es eine junge Dame ist) könnte es als Basis dienen für einen Start ins Berufsleben.

Und eines sei dazu angemerkt: Es gibt uns noch, den oder jenen, der Jahrgänge 1926-1929. Noch können wir Rede und Antwort stehen, wenn auch die biologische Uhr läuft. Aber heutzutage gibt es ja etliche, die die Vollendung des 100. Lebensjahres noch begehen können. Und das haben wir auch vor.

Dies hier ist ein Vorwort zu der Sammlung, die wir unserer Schule als Dokumentation übergeben. Die damit zusammenhängende Beschäftigung mit der Vergangenheit mahnt mich aber, daran zu gehen, weiteres aufzuschreiben. Und ich will es tun. Es kann also sein, dass ich irgendwann im nächsten Jahr noch einen Nachtrag liefere. So Gott will.

Günter Bartosch - Im Dezember 2007 (2013†)

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