Die eingemottete Luftwaffe
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Am 13. November 1918 - zurück ins Vaterland nach Aachen
Während in den großen Städten Deutschlands Arbeiter- und Soldatenräte aus dem Boden schossen, marschierten die Bataillone über die Grenzen zurück in ihr Vaterland.
Viele Soldaten der Fronttruppen zeigten offene Verachtung für die Revolutionäre. Am 13. November 1918 setzten sich Milchs vier Staffeln getrennt in Richtung zur deutschen Grenze in Marsch.
Kurz vor Herbesthal ließ Milch Halt machen, um eine Ansprache zu halten. Der Krieg sei zu Ende, sagte er. Sie kämen jetzt in die Heimat, und sie müßten dort erhobenen Hauptes einmarschieren in der Gewißheit, daß sie gut und anständig gekämpft hätten, und daß sie keine Verräter seien.
Wenn sie ihm einen letzten Gefallen tun wollten, so sollten sie ihre Fahrzeuge beim Überschreiten der Grenze mit den Farben des Kaisers, schwarz-weiß-rot, schmücken.
Er fuhr dann mit zwei Offizieren zur Erkundung voraus. In der Nacht kamen sie in Aachen an. Er schrieb in sein Tagebuch: »Nach Deutschland hinein. Kein Schwein begrüßt einen, nur die kleinen Kinder winken.«
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Sein großer Bluff : Wir erschießen alle Revolutionäre
Im Rathaus tagte der Städtische Arbeiterrat mit dem Soldatenrat der 4. Armee. Im Vorraum waren etwa zwanzig Matrosen mit roten Armbinden. Die Revolutionäre schauten Milch etwas perplex an, dann zeigte einer ungeduldig auf die Hauptmanns-Achselstücke und sagte: »Nun mal schnell runter mit dem Zeug da!« Milch bluffte: »Ich empfehle Ihnen, schnell die roten Armbinden abzumachen, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist. Hinter mir kommt eine kaisertreue Division, die alle Revolutionäre erschießt.«
Später kommentierte Milch: »Die Angst dieser Leute vor den Fronttruppen war ungeheuer. Ein General mit politischem Verständnis hätte in diesen ersten Tagen die Ordnung schnellstens wiederherstellen können ... Ich mache mir heute noch den Vorwurf, damals nicht gehandelt zu haben!«
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Demobilisiert und zurück nach Danzig
Milchs Jagdgruppe wurde wenige Tage später in Graudenz formell demobilisiert. In Danzig meldete er sich beim Generalkommando des XVII. Armeekorps, und der Chef des Stabes, Major von Stülpnagel, nahm ihn sofort in seinen Stab auf. In den nächsten Monaten bestand die Aufgabe Milchs darin, in die Provinzstädte wie Lauenburg, Bütow und Dirschau, zu reisen, um dort die Zerstörung und Verschleuderung von Heeresgut zu verhindern und die Banden, die sich bildeten, zu entwaffnen.
Seine einzige Waffe war seine Meisterschaft im Bluffen; ihm fiel auch die Aufgabe zu, den von der Ostfront nach Deutschland zurückflutenden Truppen den Plan auszureden, den Revolutionären den offenen Krieg zu erklären.
Bis zum April 1919
Ende April 1919 stellten die Deutschen an der unruhigen polnischen Grenze einen Grenzschutz auf. Milch wurde zum Führer der Freiwilligen- Fliegerabteilung 412 ernannt. Bei Tage flogen seine Männer Streife an der Drewenz, einem kleinen Fluß östlich von Thorn. In Posen und in Oberschlesien hatte es Aufstände gegeben, die von den Polen dazu benutzt wurden, ihre Grenzen weiter nach Westen zu schieben. Milch empfand tief die Schande, die den Ostprovinzen angetan wurde.
»Wir wollten unseren deutschen Boden verteidigen und das Verlorene zurückgewinnen«, schrieb er; zunächst sah es so aus, als ob die Reichsregierung, und vor allem Noske als Wehrminister, hinter ihnen stände, und daß die militärischen Führer, und vor allem General Hoffmann, Hindenburgs Ia bei Tannenberg, der gleichen Meinung seien.
Bald gab es eine Anzahl von Freikorps, die von jungen Offizieren geführt wurden, und Milch nahm an einer gemeinsamen Besprechung mit ihnen teil, in der beschlossen wurde, mit Hoffmann, Major von Stülpnagel als Führer für ihren Abschnitt und mit der 36. Infanterie-Division, ihrem linken Nachbarn, Fühlung aufzunehmen.
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Juni 1919 - Machen wir mal einen kleinen Privatkrieg
Es ging darum, durch einen kleinen Privatkrieg den schwachen Gegner schnell aus Posen und Westpreußen zu vertreiben. Milch schlug vor, Stülpnagel als dem jüngeren Mann die Leitung der Operation zu übertragen, und am 26. Juni 1919 flog Milch mit einem Halberstadt-Flugzeug nach Stolp, um ihm den Vorschlag zu unterbreiten.
Zu seiner großen Enttäuschung lehnte Stülpnagel ab; er zweifelte zwar keineswegs an militärischen Erfolgen, aber Milch mußte in seinem Tagebuch verzeichnen: »Von St. will nicht, da keine Vorbereitungen, obwohl er vor 5-6 Wochen bei Groener alles vorgetragen hatte.«
Wie Stülpnagel hervorhob, warteten die Franzosen und Engländer auf einen solchen Vorwand, um noch größere Gebiete Deutschlands zu besetzen. Später schrieb Stülpnagel Milch einen freundlichen Brief, in dem er seine Gründe noch einmal darlegte: »Es tut mir innerlich ordentlich weh, Ihre aus dem Herzen kommenden Pläne einer nüchternen Kritik unterziehen zu müssen. Leider ist das nötig. Bei solchen Sachen darf das Herz nicht mit einem durchgehen; auch der kühle Verstand muß mitsprechen - leider! ... Der Moment ist endgültig verpaßt.«
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Es waren unmögliche Friedensbedingungen
Ungefähr um diese Zeit wurden die deutschen Bestrebungen, eine kleine Luftwaffe zu behalten, endgültig zunichte gemacht. Ursprünglich hatte man erwartet, daß die Friedensbedingungen Deutschland ein Heer von 200.000 Mann einschließlich Fliegern gestatten würden; die Grenzschutz-Fliegerabteilungen wären dann von der Reichswehr übernommen worden.
Als die endgültigen Bedingungen des Versailler Vertrages bekannt wurden, erwiesen sich diese Hoffnungen als Illusion. Nur 100.000 Mann wurden der Reichswehr zugestanden, und kein einziger Flieger sollte sich darunter befinden.
Eine erweiterte Polizei wurde jedoch erlaubt, und die Deutschen begannen nun, die Polizei mit eigenen Fliegerverbänden auszurüsten. Milch wurde aufgefordert, eine von den sieben vorgesehenen Gruppen aufzubauen.
Mitte September 1919 traf er in Königsberg ein und wurde dem Polizeipräsidenten unterstellt. Milch wählte einen Marineluftschiffplatz bei Seerappen westlich von Königsberg - dort gab es noch immer zwei Zeppeline - mit guten Kasernenunterkünften und geeignetem Flugfeld als Standort aus.
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Die revolutionäre Panzerabteilung wollte nicht ausziehen
Die Kasernen waren mit einer revolutionären Panzerabteilung von 450 Mann voll besetzt, die sich nicht auflösen lassen wollte.
Milchs neue Staffel erschien am Nachmittag des 1. November 1919 mit neun Flugzeugen über den Gebäuden. Während sie mit Maschinengewehren in die Luft schossen, gab man den Soldaten 20 Minuten Zeit, um zu verschwinden. In seinem Tagebuch vermerkte Milch, daß der Umzug nach Seerappen »trotz vieler Schwierigkeiten« glatt verlaufen sei. Es war ein vielversprechender Anfang.
Milch hatte schließlich dreißig Landflugzeuge und zehn Wasserflugzeuge, die in dem gewaltigen Zeppelinschuppen von Seerappen gut Platz fanden. Im Gedanken an die Zukunft holte Milch Flugzeuge aus den alten Beständen des ganzen Reiches heran und »mottete« sie ein. Bald wurde auch in Seerappen der Platz knapp.
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13. August 1920 - es brauchte doch erst ein Maschinengewehr
Am 13. August 1920 hielten Wachen von Milchs Staffel eine bewaffnete Menge in Schach, die die Königsberger Walzmühle stürmen wollte. Nur eine Handvoll Männer standen Wache am Haupttor, als die Revolutionäre sich näherten, und die Tore waren hinter den Wachen verschlossen und verbarrikadiert worden.
Zwei Wachposten wurden mit Knüppeln zusammengeschlagen, bevor der dritte, Scheffler, das Feuer mit einem Maschinengewehr eröffnete. In Milchs Bericht über die Vorgänge lesen wir: »Wenige Sekunden später stürmte die Menge nochmals die Fabrik; wieder gab Scheffler in größter Ruhe etwa 10 Schuß aus dem MG ab. Die Volksmenge flüchtete blitzartig und sammelte sich an der Eisenbahnüberführung Rathshof. Mit seinem schußbereiten Maschinengewehr hielt dieser eine Mann die Menge in Schach, bis Verstärkungen eintrafen und die Straßen säuberten.«
Januar 1920 - Milch wurde jetzt Polizist
Am 31. Januar 1920 war Milch aus dem aktiven Dienst ausgeschieden und zur Polizei übergetreten, um Flieger zu bleiben. Aber im Laufe dieses Jahres übten die Alliierten verstärkten Druck auf die Regierung aus, den Versailler Vertrag auf Punkt und Komma genau auszuführen, und unverzüglich alles militärische oder halbmilitärische Fliegen zu verbieten.
Alles Flugmaterial müsse der Entente ausgeliefert werden. »Wir alle empfanden dies als unauslöschliche Schmach«, schrieb Milch. »Wie schmerzend war die Abgabe eines Zeppelins an Italien, das als langjähriger Bundesgenosse nun gegen uns gegangen war!«
Um bei der völlig unklaren militärischen Lage im deutschen Osten einige Aufklärungsflugzeuge zu retten, wurden diese von Milch in Ostpreußen auf dem Lande versteckt. Aber mit der Zeit entstanden hieraus Schwierigkeiten für die Landbesitzer, einmal wegen der laufenden Nachsuche durch die Entente, zum anderen weil der Scheunenraum im Herbst für die neue Ernte benötigt wurde.
Der Versuch, zu retten, was zu retten war ..
Seine Korrespondenz berichtet von dem vergeblichen Kampf, die Flugzeuge doch noch zu retten.
»Herrn Hauptmann Milch. Leider muß ich Ihnen die traurige Mitteilung machen, daß Ihre Koffer gestern von der Entente entdeckt und beschlagnahmt worden sind . . .«. »Die Entente-Kommission trat hier gestern und vorgestern
kollossal bestimmt auf und wollte uns auch unsere Ersatzteile wegnehmen ...
Nach erfolglosem Suchen (durch eine Entente-Kommission) bitte ich Sie nunmehr dringend, die fraglichen Gegenstände von mir abholen zu lassen. Ich erwarte unter allen Umständen, daß mein Gehöft bis morgen 8 Uhr vormittags von den Sachen geräumt ist, ich will keine derartigen Unannehmlichkeiten haben.«
Bevor die Polizeifliegerstaffel alle ihre Flugzeuge abliefern mußte, verließ Milch Ende März 1921 die Staffel.
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Visionäre und Pioniere
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Das erste Ganzmetall-Zivilflugzeug von Professor Hugo Junkers
Die deutsche Zivilluftfahrt hatte Anfang 1921 schon länger als zwei Jahre bestanden. Eine kleine Fluggesellschaft, die Deutsche Luft-Reederei, hatte 1919 ihre erste Betriebsgenehmigung erhalten, aber ihre Flugzeuge waren alte Kriegsflugzeuge, offen und primitiv. Im Juni jenes Jahres hatte Professor Hugo Junkers das erste Ganzmetall-Zivilflugzeug hergestellt, die einmotorige F 13. Die Maschine hatte eine geschlossene Kabine für sechs Personen.
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Milch sah seine Zukunft, wie so viele andere mit ihm, in der Luft.
Im Jahre 1920 hatte ein ehemaliger Marineflieger, Gotthard Sachsenberg, seinen Weg gekreuzt, als dieser vom Baltikum mit seinem Jagdfliegerverband zurückkam und auf dem Gelände von Milchs Polizeifliegerstaffel in Seerappen eine landwirtschaftliche Siedlung aufmachen wollte. Sachsenberg gründete zu diesem Zweck die »Ostdeutsche Landwerkstätten GmbH« (OLA).
Da Milch den Platz weder aufgeben konnte noch wollte, suchte Sachsenberg die Unterstützung erst der Königsberger und dann auch der Berliner Behörden, die beim Preußischen Innenministerium eine Anweisung an die Polizeifliegerstaffel erreichten, daß sie Seerappen zu räumen habe.
Milch meldete unter eingehender Begründung den Dienststellen des Staates, daß er nicht bereit sei, Seerappen zu verlassen und daß er es auf einen Kampf ankommen lassen werde. Sein Fliegerverband sei zur Zeit die einzige kampffähige Einheit in ganz Ostpreußen. Man zitierte Milch daraufhin nach Berlin, wo er seinen Standpunkt mit Erfolg verteidigte.
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Die Albatros-Flugzeugwerke und der Norddeutschen Lloyd
Nach dem Scheitern seiner Siedlungspläne wandte sich Gotthard Sachsenberg der Zivilluftfahrt zu. Es gelang ihm, Professor Junkers von seinem Plan zu überzeugen, und so kam es gemeinsam mit den Albatros-Flugzeugwerken und dem Norddeutschen Lloyd zur Gründung der »Lloyd-Ostflug-GmbH«.
In der Hoffnung, im Freistaat Danzig leichtere politische Bedingungen für einen deutschen Luftverkehr zu erreichen, wurde am 26. Februar 1921 die »Danziger Luftpost GmbH« gegründet, deren Geschäftsführer Erhard Milch wurde.
Da die Flugstrecken im Westen Deutschlands von der Deutschen Luftreederei beherrscht wurden, begann der Lloyd-Ostflug sein Streckennetz von Berlin nach dem Osten auszubauen.
Sachsenberg hatte Milch angeboten, in seine Gesellschaft einzutreten. Milch nahm an und wurde Flugleiter der Strecke Berlin-Schneidemühl-Danzig-Königsberg.
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Ohne Flugzeuge kein Geschäft
Die Hauptschwierigkeit der neuen Gesellschaft bestand darin, daß sie keine Flugzeuge hatte. Professor Junkers war zwar ein technisches Genie, aber er verstand nicht viel von Organisations- und Wirtschaftsfragen, und so wurde nach der ersten F13 (sie fand ein vorzeitiges Ende bei Kowno) viele Monate lang kein weiteres Flugzeug fertiggestellt.
Die Reichsregierung sah sich schon nach einer anderen Gesellschaft um, die sie auf dieser Route subventionieren konnte, und das Konkurrenzunternehmen, die Deutsche Luft-Reederei, verlangte ebenfalls eine Konzession auf der Ost-Linie nach Königsberg. Das Reichsverkehrsministerium mußte nun den Lloyd-Ostflug vor die Wahl stellen, entweder den Flugbetrieb aufzunehmen oder das Geschäft aufzugeben.
Hilfe kam - 6 alte Aufklärungsflugzeuge vom Typ Rumpier CI
Kurz vor Ablauf des Ultimatums gelang es Milch, mehrere etwa sechs Jahre alte Aufklärungsflugzeuge vom Typ Rumpier CI zu beschaffen, die der britische Hochkommissar in Danzig, Oberst Strutt, für die Benutzung freigegeben hatte. Bei den Flügen saß der einzige Passagier im offenen Beobachtersitz und hatte einen Postsack auf dem Schoß. Mit dem Zug gelangte die Post oft schneller nach Berlin, aber wie Milch später sagte: »Die Hauptsache war damals, daß wir überhaupt flogen.«
Frühjahr 1921 - Die ersten ganz neuen Junkers F13
Im Frühjahr 1921 kamen endlich die ersten zwei F13 von Junkers, und das Geschäft erlebte einen stürmischen Aufschwung. Milch ließ Reklamekarten drucken, die jedermann auf die Vorteile des Fliegens mit der Danziger Luftpost hinwiesen:
»Die Personenbeförderung wird durch die modernsten Junkers-Kabinenflugzeuge ausgeführt. Sonderbekleidung wie Pelze, Schutzbrillen usw. überflüssig.«
Das war etwas völlig Neues. Die Konkurrenz hatte nichts Vergleichbares zu bieten. Milch warb in allen Danziger Zeitungen für die Linie und vereinbarte mit den Berliner Zeitungsverlagen, jeden Tag 600 Exemplare des Berliner Tageblatts nach Danzig und ungefähr ebensoviel weiter nach Königsberg zu fliegen; bald führte er Gespräche mit dem lettischen Konsul über die Möglichkeit, Riga in das Streckennetz einzubeziehen.
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Die Alliierten pressten aus Deutschland raus, was nur ging
Versailles hatte sich bis dahin nur geringfügig auf den Junkers-Flugzeugbau ausgewirkt, obwohl der Vertrag die Ablieferung sämtlicher Flugzeuge und die Einstellung der gesamten deutschen Flugzeugfertigung für die Dauer von sechs Monaten vorschrieb.
Junkers hatte in seinem Dessauer Werk mit dem Bau der F 13 für alliierte Käufer begonnen und ließ die Arbeit in seinen Fabriken nicht einstellen. Mitte 1920 verlängerten die Alliierten das Bauverbot um weitere sechs Monate. Als sie sahen, daß der Produktionsstopp zum Teil einfach ignoriert wurde, erließen sie ein neues dreimonatiges Bauverbot, bis auch die letzten Flugzeuge abgeliefert seien.
Doch Junkers beachtete auch diesen Erlaß nicht; in seinen Konstruktionsbüros nahm schon ein viermotoriges Flugzeug Gestalt an. Am 4. Mai 1921 verlangten die Westmächte in einem Ultimatum die sofortige Einstellung der gesamten Flugzeugproduktion für die Dauer von sechs Monaten, andernfalls werde man das Ruhrgebiet besetzen.
Die Reichsregierung kapitulierte, und am 1. Juli trat das Verbot in Kraft. Außerdem wurde bekanntgegeben, daß alle bis zu diesem Datum - natürlich illegal - hergestellten F 13 den Alliierten auszuhändigen seien.
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Ein abenteuerliches Verfolgungsspiel mit den Franzosen
Milch, der nur wenig von diesen Verhandlungen wußte, bekam ihre Auswirkung bald zu spüren. Zwei weitere Junkers F 13 waren der Danziger Luftpost geliefert worden, und zusammen mit Sachsenberg war er nach Kowno geflogen und hatte die Konzession zur Eröffnung einer Strecke nach der litauischen Hauptstadt durchgesetzt.
Mit Hilfe des Führers der Stettiner Polizeifliegerstaffel, Mühlig-Hofmann, verschaffte sich der Lloyd-Ostflug die Erlaubnis, dort, statt in Schneidemühl, landen zu dürfen, und im Spätsommer schloß man die Verhandlungen für die Verlängerung der Strecke nach Riga ab.
Aber die französischen Kontrolloffiziere hatten es auf die kleine Gesellschaft mit ihren in Danzig registrierten Flugzeugen abgesehen. Am 4. Juni trug Milch in sein Betriebstagebuch ein:
»Königsberg ruft an: Entente will Flugzeuge beschlagnahmen ...«
Er konnte die F13, die den Alliierten dort in die Hände gefallen waren, nicht retten. Bald betrieb die Danziger Luftpost nur noch einen Dienst außerhalb der deutschen Grenzen, nämlich die Strecke Danzig-Riga.
Es begann ein abenteuerliches Verfolgungsspiel auf dieser Auslandsroute. Die alliierten Kontrolloffiziere hatten detaillierte Beschlagnahme-Verordnungen für jede Junkers F 13 der Gesellschaft, die sie jedoch nur nach ihren Zulassungsnummern -Dz 31, 32, 35 oder 38 kannten. Nun konnten sie aber nicht überall gleichzeitig sein, und sehr oft erreichte ein Malerpinsel das Flugzeug eher als die französischen Offiziere.
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Notflugplätze »Rotkäppchen« und »Aschenputtel«
Außerdem richtete Milch in Königsberg und Danzig Notflugplätze mit Codenamen wie »Rotkäppchen« und »Aschenputtel« ein, so daß die alliierten Offiziere nie ganz genau wußten, wo die Flugzeuge landen würden. In der Verfolgung der Fluggesellschaft Danziger Luftpost spielten die Franzosen die Hauptrolle. Die britischen Offiziere begnügten sich mit dem Zuschauen und gelegentlichem Mitfliegen als zahlende Passagiere.
Doch dieses Spiel konnte nicht ewig so weitergehen. Ende Juli 1921 wurden drei Flugzeuge der Danziger Luftpost bei der Landung in Berlin beschlagnahmt. Milch versuchte, den Danziger Senat zu einem formellen Protest zu bewegen, doch als er an jenem Nachmittag des 27. Juli in sein Büro am Rande des Flugplatzes Danzig-Langfuhr zurückkehrte, kam der nächste Schlag.
»Soeben verläßt uns die interalliierte Kommission«, schrieb er am Abend an Sachsenberg, »die überall herumgeschnüffelt hat und sich ganz genaue Listen über unsere Flugzeuge und Ersatzmotore hat geben lassen. Zur Kommission gehören: französischer Oberst Jacquet, englischer Major Davey, französischer Leutnant Vene.«
Zwei Tage später erschienen die beiden französischen Offiziere wieder auf dem Danziger Flugplatz. Sie trugen Vorschlaghämmer. Jacquet gab dem Leutnant Befehl, alles zu zerstören. Dabei kratzte er an der Zulassungsnummer eines Flugzeuges und fand, daß darunter eine andere war. Trocken sagte Milch zu ihm: »Wenn Sie weiter kratzen wollen, können Sie noch mehrere andere Nummern finden.« Der französische Leutnant begann, mit Hammer und Meißel jeden Zylinder einzeln zu zerschlagen.
Verbissen sahen Milchs Arbeiter zu. Gleichzeitig trafen ähnliche Nachrichten von den anderen Stationen ihrer Oststrecke ein.
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Gegenmaßnahmen zur Rettung der Maschinen
Die wenigen noch verbliebenen Flugzeuge mußten um jeden Preis vor den französischen Vorschlaghämmern gerettet werden. Milch schrieb den Flugleitungen an der Strecke vertrauliche Briefe, empfahl besondere Vorsichtsmaßnahmen und entwickelte ein System, herannahende Flugzeuge mit Signalraketen zu warnen, falls unten »Besucher« auf die Landung warteten.
Unter keinen Umständen sollten die Flugzeuge das Stadtgebiet oder die Vororte von Königsberg oder Danzig überfliegen, wo die Entente-Agenten saßen und den Himmel beobachteten.
Als Warnsignal für die Flugzeuge sollten rote Leuchtraketen geschossen werden. »Falls Rot-Schießen auffällt, sagen wir, daß wir dem Flugzeug die Windrichtung zeigen wollen. Landet ein D-Flugzeug (ein in Deutschland registriertes Flugzeug) im Freistaat und wird erwischt, so ist es >in höchster Not von See her notgelandet<.«
Unterstützung durch den Danziger Senat
Ohne die heimliche Unterstützung durch den Danziger Senat hätte die Danziger Luftpost Anfang August 1921 ihr letztes Flugzeug verloren. Am Morgen des 6. August ließ der Senat Milchs Büro telefonisch warnen.
Eine Entente-Kommission sei unterwegs, um die restlichen Flugzeuge zu beschlagnahmen10. Milch ließ die drei Maschinen, Dz 31, 38 und 40, sofort mit Kurs auf Kowno starten, und sie waren schon lange in der Luft, als der schriftliche Beschlagnahmebefehl vorgelegt wurde.
Der französische Oberstleutnant war machtlos. Er konnte die Rückkehr der Maschinen nach Danzig oder Deutschland nicht erzwingen. Milch drängte die Stadt Danzig, »in die Bresche zwischen den englischen und französischen Mitgliedern hineinzuspringen«.
Er ließ den Senatspräsidenten Sahm aus der Volkstagssitzung herausbitten und suchte um seine Hilfe nach. Aber der Präsident lehnte lächelnd ab; die Entente, sagte er, gehe deshalb so scharf gegen die Danziger Luftpost vor, weil sie genau wisse, daß sie nur ein Scheinunternehmen und in Wirklichkeit eine Unterabteilung des Lloyd-Ostfluges sei. Milch weigerte sich noch immer, die drei letzten Flugzeuge aufzugeben.
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Herbst 1921 - in Berlin gab es Krieg zwischen den Gesellschaften
In Berlin rückten die vier an der Lloyd-Ostflug beteiligten Gesellschaften immer mehr auseinander. Es kam zu erregten Auseinandersetzungen, und schließlich wurde die kleine Gesellschaft zwischen den zerstrittenen Gruppen aufgespalten.
Lloyd-Ostflug wurde dem Norddeutschen Lloyd und den Albatros-Werken zugeteilt, und die Danziger Luftpost, die als einzige die F13 besaß, wurde Junkers und Sachsenberg übergeben. Professor Junkers gründete eine besondere Abteilung »Luftverkehr« unter Gotthard Sachsenberg und wartete, bis das alliierte Flugzeug-Bauverbot aufgehoben wurde.
Ende Oktober 1921 jedoch sah sich die Danziger Luftpost gezwungen, angesichts der ständigen Verfolgung durch die Franzosen, den Betrieb einzustellen. Diese Untätigkeit sollte sieben Monate lang dauern.
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Das Reichswehrministerium unterminierte ebenfalls Versaille
Nach außen hin hatte sich das Reichswehrministerium an die Versailler Bedingungen gehalten. In Wirklichkeit stand es in Verbindung zu den ehemaligen Offizieren der Fliegertruppe.
Unter einem Hauptmann Kraehe war im Ministerium ein Büro errichtet worden, das als Keimzelle einer zukünftigen Luftwaffe dienen sollte, und im Januar 1920 richtete dieser ein Rundschreiben an alle bekannten Fliegeroffiziere des Krieges.
Er schickte ihnen einen Fragebogen, in dem es um die Bearbeitung der Kriegserfahrungen auf dem Gebiet des Flugwesens ging.
Mit der formalen Auflösung der Fliegertruppe im Mai 1920 hatte Hauptmann Wilberg, Milchs ehemaliger Vorgesetzter, das Amt des Fliegerreferenten beim Chef der Heeresleitung, General von Seeckt, übernommen.
Am 1. November 1921, dem Tag, nachdem die Danziger Luftpost vorläufig den Betrieb eingestellt hatte, legte Milch bei Wilberg ein gutes Wort für Gotthard Sachsenberg ein. In sein Tagebuch schrieb er: »Wilberg, Reichswehrministerium. Aussprache über Sachsenberg. Trainingsschule! Nachrichten über g(eheime) Fliegerei....«
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Umstrittenen Geschäfte der Junkers-Werke in der Sowjetunion
Doch das spätere Verhalten Sachsenbergs und insbesondere die umstrittenen Geschäfte der Junkers-Werke in der Sowjetunion verursachten dann einen neuen Bruch zwischen Sachsenberg und der Reichswehr.
Sowohl die deutschen Fluggesellschaften als auch die Militärbehörden begannen jetzt, die weiten Räume der Sowjetunion in ihre Streckenplanungen einzubeziehen. Moskau hatte einen Sonderfrieden mit Deutschland geschlossen und deshalb keine der feindseligen Maßnahmen gegen die deutsche Luftfahrt ergriffen, wie sie von Frankreich und Großbritannien unternommen wurden.
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Auch die Russen spielten "falsch"
Die Sowjetunion, die außerdem auf die Hilfe der Deutschen angewiesen war, hatte vom Herbst 1921 an - wie aus Milchs Aufzeichnungen und Dokumenten hervorgeht - mit der Danziger Luftpost und ihrem Konkurrenten, der Deutschen Luft-Reederei, über eine deutschrussische Luftverkehrslinie von Königsberg nach Moskau und nach Leningrad verhandelt.
Obwohl man Junkers technisch den Vorzug gab, siegte die D.L.R. (AEG), und am 11. November 1921 wurde ein Vertrag über eine »Deutsch-Russische Luftverkehrsgesellschaft« (Deruluft) abgeschlossen.
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Flugzeug-Bauverbot nochmals verlängert bis April 1922
Die westlichen Alliierten verlängerten ihr Flugzeug-Bauverbot willkürlich um weitere sechs Monate. Die Junkers-Werke in Dessau beschäftigten sich mit der Herstellung von Duralumin-Reisekoffern, Löffeln, Gabeln und Gasöfen. Die »Begriffsbestimmungen«, die im Versailler Vertrag angekündigt worden waren, erschienen schließlich Mitte April 1922.
Sie sahen vor, daß die neuen deutschen Flugzeuge nicht schneller als 170 km/h sein, nicht höher als 4.000m fliegen und nicht mehr als 600kg Nutzlast tragen durften. Diese alliierte Forderung ließ die deutsche Reichsregierung unbeantwortet.
Ihre Delegation verließ die Genfer Konferenz, die sich mit Nachkriegsproblemen beschäftigte, und schloß in Rapallo einen Separatvertrag mit der Sowjetunion.
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Mai 1922 - Berlin Tempelhof kam ins Gespräch
Das Flugzeug-Bauverbot wurde am 5. Mai 1922 aufgehoben, und am folgenden Tag nahm die Danziger Luftpost ihren Betrieb wieder auf. Junkers sah sich inzwischen nach einem Stammflugplatz in Berlin um. Der vorhandene Flughafen Staaken war vom Aero-Lloyd, dem Nachfolger der Deutschen Luft-Reederei, besetzt, und die einzige Alternative bot ein abgelegenes Militärflugfeld im Vorort Berlin-Adlershof.
Milch machte der Junkers-Direktion den Vorschlag, sich doch das leere Tempelhofer Feld, an das damals noch keiner gedacht hatte, zu sichern, und er wandte sich in dieser Angelegenheit an den Stadtrat Dr. Adler, der zu einem der großen Vorkämpfer eines Zentralflughafens in Berlin-Tempelhof werden sollte.
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Der Flugverkehr wurde kräftig subvebtioniert
Eine Eigenheit der deutschen Zivilluftfahrt bestand darin, daß nicht nur die Regierung Subventionen zahlte, sondern daß auch die Länder und die großen Städte bereit waren, Kapital bei den Fluggesellschaften zu investieren - wobei jede Stadt mit ihrer Nachbarstadt darin wetteiferte, den schönsten Flughafen zu bauen und die größte Fluggesellschaft zu unterhalten.
Sachsenberg plante ein gewaltiges Streckennetz
Drei große Gesellschaften, die Deutsche Luft-Reederei, der Lloyd-Luftdienst und der Junkers-Luftverkehr, beherrschten jetzt das Feld. Junkers-Direktor Gotthard Sachsenberg plante ein gewaltiges Streckennetz, das von Junkers- Tochtergesellschaften mit Junkers- Maschinen beflogen werden sollte.
Er wollte eine »Trans-Europa-Union« gründen, ein Luftverkehrsnetz von London nach Konstantinopel. Im Mai 1922 verhandelte Milch in Zürich mit der damaligen Schweizer Luftverkehrsgesellschaft »Ad Astra«.
Mit den Direktoren Pillychody und Mittelholzer vereinbarte er einen gemeinsamen Flugverkehr, zunächst für die Strecke München-Zürich-Genf, die später nach Wien fortgesetzt werden sollte.
Kurz darauf traf er eine ähnliche Vereinbarung mit Oberst Deutelmoser von der österreichischen Luftverkehrsgesellschaft; in Budapest verhandelte er mit Graf Stojankovic, einem reichen Magnaten und Großgrundbesitzer, der die neue ungarische Luftverkehrsgesellschaft finanzierte. Damit war ein wichtiger Abschnitt, von Genf bis hin nach Budapest, erfolgreich abgeschlossen. Junkers machte es bei allen diesen Gesellschaften zur Bedingung, daß sie seine Maschinen flogen, eine Bedingung, die sie bereitwillig akzeptierten.
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Subventionen der Polen an die Franzosen ?
Milchs eigenes Interesse konzentrierte sich auf die weiten Räume des Ostens. Er nutzte seine Bekanntschaft mit Dr. Wygard, dem Generaldirektor der Naphtha-Gesellschaft »Fanto« und Treibstofflieferanten für Junkers in Warschau, um Pläne für eine Strecke von Danzig nach Warschau, Lemberg und Krakau auszuarbeiten.
Die Lemberger Linie sollte dann nach Bukarest fortgesetzt werden, um dort Anschluß an die Trans-Europa-Union zu finden. In Warschau, wo noch die französische Militärmission herrschte, hatte die französische Fluggesellschaft Franco-Roumaine bisher vergeblich versucht, polnische Subventionen für einen innerpolnischen Dienst zu bekommen.
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Keine Franzosen aber warum dann Deutsche ?
Welche Chancen hatte da eine Gesellschaft mit deutschen Teilhabern, deutscher Ausrüstung und deutschen Offizieren?
Obwohl bekannt war, daß sein Name auf der polnischen Schwarzen Liste stand, flog Milch im Sommer 1922 mehrere Male nach Warschau und erreichte Ende Juli die endgültige Einigung.
Am 4. August meldete Milch der Junkers-Gesellschaft: »Der Empfang und die Aufnahme in Polen war an allen Orten und von allen Seiten als außerordentlich herzlich zu bezeichnen ... Die Antipathien scheinen sich zurzeit erheblich stärker als gegen uns gegen Rußland und die Tschecho-Slowakei zu richten ...«
September 1922 - es hatte geklappt
Wygard schlug vor, die neue Gesellschaft Aero-Lloyd zu nennen. Milch wies darauf hin, daß es zu Verwechslungen mit dem Lloyd-Luftdienst führen könnte, aber Wygard erwiderte, das sei auch beabsichtigt. Der Bremer Lloyd-Gesellschaft werde es dadurch unmöglich gemacht, unter ihrem eigenen Namen in Polen aufzutreten.
Die polnische Gesellschaft, die später in Aeroflot umgetauft wurde, nahm am 1. September 1922 den regelmäßigen Passagierdienst auf, und die polnische Regierung zahlte 60.000 polnische Zloty für jeden Flug von Danzig über Warschau nach Lemberg, entweder in bar oder in Benzin.
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1923 - Milch geht in die Zentrale des Junkers- Luftverkehrs
Ende 1923 wurde Milch in die Dessauer Zentrale des Junkers-Luftverkehrs versetzt. Er wurde Chef der Betriebsleitung, aber die Veränderung war nicht so ganz nach seinem Geschmack: »Ich war lieber in Danzig der Erste, als in Dessau der Zweite.«
Das Problem der Junkers-Gesellschaften hieß Professor Junkers und Gotthard Sachsenberg. Sie wollten neue Luftstrecken schaffen und waren von einem großartigen Pioniergeist beflügelt. Milch mißbilligte diese futuristischen Pläne und wünschte sich stärkere Konzentration auf das bereits Geleistete:
»Überall waren noch erhebliche Lücken in personeller und materieller Hinsicht zu schließen, vor allem vielerlei Zusagen gewissenhaft zu erfüllen. Dafür aber hatte man in der Direktion wenig Verständnis. Man hatte wohl immer die Sorge, daß andere uns zuvorkommen könnten, übersah aber die in meinen Augen viel größere Gefahr, daß die ersten Anfänge ohne richtige Ernährung wieder zusammenbrechen könnten.«
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Die Inflation in Deutschland grasierte fürchterlich
In Deutschland herrschte Inflation. Milch mußte die monatlichen Gehaltszahlungen aufgeben und zu einer täglichen Zahlung um 9.00 Uhr früh übergehen. Ausgezahlt wurde der Tagespreis von 3 1/2 Broten. Die Ehefrauen der Angestellten warteten auf das Geld und kauften bis 12.00 Uhr alles ein, da wenig später nach der neuen Marktnotierung die Preise erhöht wurden.
Die Südamerika-Expedition endete schlimm
Das Ansehen Professor Junkers erlitt einen ernsten Rückschlag, als eine von ihm zusammengestellte und mit Junkers-Flugzeugen ausgerüstete Südamerika-Expedition mit einer Katastrophe endete.
Das Expeditionsunternehmen war von einem amerikanischen »Obersten«, der Dessau besucht hatte, angeregt worden. Dieser hatte Hugo Junkers vorgeschlagen, sein berühmtes Ganzmetall-Flugzeug in den Fußtapfen des Columbus nach Mittelamerika zu entsenden. Junkers glaubte, was ihm der Oberst über die großen Absatzmöglichkeiten vorgegaukelt hatte. Rasch ließ er zwei F13 mit Schwimmern ausrüsten.
Die Junkers-Expedition war von Anfang an schiefgelaufen. Niemand hatte in Amerika auf die Flugzeuge gewartet, als sie eintrafen; der amerikanische Oberst hatte auch nicht recht weiterhelfen können, nicht zuletzt deshalb, weil er in Wirklichkeit gar kein Oberst war, sondern ein arbeitsloser Friseur.
Laut sagte niemand etwas über diese leidige Angelegenheit, denn jedem in Dessau tat die Blamage des alten Professors leid. Die Expedition nach Südamerika war fortgesetzt worden. Dort stürzte eines der beiden Flugzeuge ab. An der Küste Brasiliens ereilte das Geschick auch die zweite Maschine; sie mußte wassern, verlor dabei einen Schwimmer, kenterte und sank.
Mit eiserner Entschlossenheit hatte Junkers eine dritte F13 entsandt. Sie erreichte Bahia (das jetzige Salvador), wo sie überholungsreif liegenblieb.
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Es knabberte am Ansehen von Professor Junkers
Junkers wollte seine Niederlage noch immer nicht zugeben, und zu Milchs großer Überraschung wurde ihm die Leitung einer neuen Expedition mit acht Flugzeugen angeboten.
Am 19. Januar 1924 verließen Milch und seine Kameraden Hamburg mit dem Schiff. In Rio de Janeiro angekommen, warteten sie auf die Junkers F13, die in Bahia flottgemacht und zu ihnen nach Rio gebracht werden sollte. Milch sah im Gelingen dieses Fluges die einzige Möglichkeit, das Ansehen der Junkers-Gesellschaft wiederherzustellen.
Gelang dieses Unternehmen nicht, so würde er die übrigen Flugzeuge nicht abrufen, um wenigstens diese Kosten zu sparen.
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Die Junkers Ganzmetallmaschine über Rio und dem »Zuckerhut«
"Eines Tages" erschien die Junkers Ganzmetallmaschine über Rio und dem »Zuckerhut«, brauste tief über die Stadt dahin, so daß alle sie sehen konnten, und landete in der ruhigen Bucht von Copacabana.
Die Presse und die Neugierigen umschwärmten das Flugzeug, und die zahlreichen Berichte in den Zeitungen löschten den unglücklichen Eindruck aus, den die erste Expedition hinterlassen hatte. Milch ließ jetzt die anderen Flugzeuge kommen.
Während Jastram und seine Kollegen zum nächsten Abschnitt der Expedition aufbrachen, verhandelte Milch mit den großen Konzernen in Buenos Aires, und Mitte März konnte er die Empfehlung nach Dessau kabeln, die Junkers-Interessenvertretung in Buenos Aires der Tochtergesellschaft (Coarico) von Siemens und Staudt & Compania zu übertragen.
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Die Milch-Expedition etablierte Junkers in Südamerika.
Eine neue F13 traf ein, und mit ihr unternahm er Vorführungs- und Passagierflüge nach Montevideo und anderen Städten. Er arrangierte den Verkauf der Maschine an die militärischen Stellen und verhandelte mit der Regierung über Subventionen für eine nationale Fluggesellschaft. Argentinien war mit seinen gewaltigen Entfernungen und seinen vielen Ebenen für den Luftverkehr prädestiniert.
Milch soll bis 10. Juli nach New York kommen
Eines Tages telegraphierte ihm Junkers aus New York: »Milch soll mit nächstem Dampfer nach New York kommen, weil ich 10. Juli abfahre. Antwortet Plaza Hotel. Hugo Junkers.«
Er brauchte Milch als Berater in Verhandlungen, die er mit Henry Ford begonnen hatte. Ford prüfte die Möglichkeit eines Konsortiums mit Junkers zur Flugzeugproduktion. Erst am 21. Juli traf das Schiff in New York ein. Junkers war längst wieder nach Dessau abgereist, wo sich eine neue Finanzkrise zusammenbraute.
Der spätere Professor Madelung, einer der führenden Junkers-Wissenschaftler, holte Milch vom Schiff ab. Von der übrigen Junkers-Gruppe war nur noch Dr. Kaumann - einer der Kollegen Sachsenbergs - in New York. Junkers hatte für Milch nur die Nachricht hinterlassen, er solle sich kurz mit Edie Stinson und Henry Ford treffen und dann nach Europa zurückkehren.
Milch flog mit Stinson nach Norden und besuchte die Ford-Werke in Detroit.
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Es war eines der stärksten Erlebnisse in seinem Leben.
Nie vergaß er das Schauspiel der Ford-Fabriken in Highland Park und der Gießerei in River Rouge, dieser »überwältigenden Anlage«; vor allem die Fließbandfertigung von Automobilen beeindruckte ihn.
Milch wußte, daß dieses Ideal in Deutschland, wo all die kleinen Konkurrenzfirmen in völliger Unkenntnis der industriellen Revolution jenseits des Atlantiks einander auf den Tod bekämpften, nicht bald zu erreichen sein werde.
Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gehörte Milch zu den wenigen hohen deutschen Offizieren, die vor dem mächtigen Potential der amerikanischen Rüstungsindustrie warnten.
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Versaille hatte die Firmen gezwungen, ins Ausland zu gehen
In den Jahren zuvor waren die deutschen Flugzeugfabrikanten gezwungen worden, ins Ausland zu gehen. Heinkel hatte eine Fabrik in Schweden eröffnet, Dornier in Italien, Rohrbach in Dänemark und Albatros in Memel; keines dieser Unternehmen löste eine solche Kontroverse aus wie die Junkersfabrik in der Sowjetunion.
Gegen Ende des Jahres 1921, noch vor Rapallo, hatte das Reichswehrministerium Junkers anheimgestellt, ein Flugzeugwerk in Fili bei Moskau zu errichten; in den nächsten vier Jahren hatte die Regierung 9,7 Millionen Goldmark an Subventionen für dieses wichtige politische Projekt gestellt, ein Betrag, der, wie Ernst Brandenburg, der leitende Beamte der deutschen Zivilluftfahrt, später bemerkte, während der Inflation ausgereicht hätte, um »halb Deutschland« aufzukaufen.
Junkers in Dessau pokerte zu hoch
Während der späteren Phase des Fili-Abenteuers forderte die Junkers-Gesellschaft das Schicksal heraus, indem sie in Deutschland Hunderte von Flugzeugen im Austausch gegen Beteiligungen an kleinen innerdeutschen Fluggesellschaften, anstatt gegen Barzahlung, baute; das Bargeld für die monatlichen Lohn- und Gehaltszahlungen wurde aus den Reichs-Subventionen für Fili abgezweigt.
Verärgert über sowjetische Beschwerden wegen unzureichender Vertragserfüllung, leitete das Reichswehrministerium schließlich eine Untersuchung des Projekts Fili ein, und die Seifenblase platzte. Kein Wunder, daß dieser finanzielle Bau am Ende in sich zusammenfiel. Nach Locarno stellte die Regierung alle Subventionen für Fili ein und verursachte dadurch eine unheilbare Finanzkrise in Dessau.
Ob Professor Junkers selbst von den Machenschaften seiner Mitarbeiter wußte, blieb ungeklärt. Brandenburg sagte später aus: »Ich wußte nie, woran ich mit ihm war: hatte ich es mit kindlicher Weltfremdheit oder mit geschäftlicher Skrupellosigkeit zu tun?«
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Nur zwei der kleinen Fluggesellschaften blieben übrig
Von den 38 kleinen Fluggesellschaften, die seit dem Krieg in Deutschland entstanden waren, gab es jetzt nur noch zwei, nämlich den Junkers-Luftverkehr und den Aero-Lloyd.
Diese Konzentration war das Verdienst Ernst Brandenburgs, des Ministerialdirektors und Leiters der Luftverkehrsabteilung im Reichsverkehrsministerium, der nur noch diesen beiden Gesellschaften staatliche Subventionen zugeteilt hatte.
Aber es genügte immer noch nicht, denn der kostspielige Konkurrenzkampf zwischen den beiden Gesellschaften ging weiter, vor allem in den Großstädten, wo er sich mit dem Schlachtruf »Hie Junkers!« und »Hie Aero-Lloyd!« austobte.
Schauplatz dieser Auseinandersetzungen waren die Stadtparlamente. Köln fiel an den Aero-Lloyd, Essen an Junkers. Im Rathaussaal von Leipzig traten die beiden Parteien mit Anwälten und Direktoren zu offener Feldschlacht an.
Milch führte Junkers, Otto Merkel stand an der Spitze der Rivalen. Junkers siegte, und der Aero-Lloyd mußte sich nun um Einigung mit dem nahen Halle bemühen. Es war ein Unsinn, die innerdeutschen Fluggesellschaften auf diese Art und Weise zu führen, denn die Zeche zahlte der deutsche Steuerzahler.
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Junkers war Mitte 1925 Pleite
Als Junkers Mitte 1925 die Zahlungen einstellen mußte, ließ sich das Verkehrsministerium für sein Einspringen 80 Prozent der Aktien der Junkers-Luftverkehrs A.G. übereignen, und Brandenburg entschied, daß sich die beiden Gesellschaften zu einer nationalen Fluggesellschaft zusammenschließen müßten.
Die Regierung hatte schon einen Treuhänder für die Junkers-Flugzeugwerke ernannt, Dr. Heck, und deshalb konnte sie aus einer Position der Stärke Druck auf Professor Junkers ausüben.
Dr. Kurt Weigelt vom Aero-Lloyd ließ in dieser Zeit eine Denkschrift zirkulieren, in der er sich für »Konzentration im Luftverkehr« aussprach.
Was beide Gesellschaften in Erstaunen versetzte, war nicht so sehr die Art und Weise, in der diese Fusion zustande kam, sondern vielmehr die Tatsache, daß das Reichsverkehrsministerium der Fusionsgesellschaft ihre drei Vorstandsmitglieder diktierte - Otto Merkel und Martin Wronsky von Aero-Lloyd, und Erhard Milch von Junkers.
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Auf einmal war Milch ein Vorstandsmitglied
Daß Milch im Alter von 33 Jahren plötzlich in einer solchen Position auftauchen sollte, war allen seinen Feinden unerklärlich, und ihm selbst auch.
Im Militär-Gefängnis schrieb er später: »Es war wiedermal ein viel entscheidenderer Schritt, als ich damals ahnen konnte. Ohne ihn hätte ich die befriedigendste Zeit meines Lebens - die Jahre 1925 bis 1933 bei der Deutschen Lufthansa - nicht erlebt, ich wäre 1933 nicht wieder Soldat und 1940 Feldmarschall geworden, säße aber auch jetzt nicht in enger, dunkler Kerkerzelle ...«
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Milch hatte seine Vision ......
Milch sah die Zukunft der Junkers-Flugzeugwerke im Bau von Verkehrsflugzeugen für deutsche und ausländische nationale Fluggesellschaften, nicht aber in dem Versuch, selbst diese Gesellschaften zu betreiben.
Er erkannte, daß die vorhandenen Angestellten der Junkers-Luftverkehr A.G. nur zum Teil von der neuen Gesellschaft übernommen werden konnten. Aber da diese Gesellschaft zwangsläufig die innerdeutschen Strecken beherrschen würde, mußte es lebenswichtig für Junkers sein, einen starken Mann dort zu haben (und Sachsenberg gab zu, daß Milch »die stärkste organisatorische Kraft der >Jlag<« sei)(der Junkers-Luftverkehr A.G.). Sonst bestand die Gefahr, daß die Junkers-Interessen mit Füßen getreten würden.
Milch soll Geschäftsführer der Junkers-Luftverkehr A.G werden
Im Reichsverkehrsministerium erklärte Brandenburgs Stellvertreter, Geheimrat Fisch, daß Sachsenberg als Geschäftsführer der Junkers-Luftverkehr A.G. abberufen werden müsse, und er bot Milch an, die Leitung zu übernehmen.
Milch erklärte sich einverstanden, aber nur, falls Professor Junkers ihm den gleichen Auftrag erteile. Milch kehrte noch am selben Abend nach Dessau zurück, und sowohl Dr. Heck als auch Professor Junkers gaben zu verstehen, daß er im übergeordneten Interesse der deutschen Luftfahrt annehmen solle.
Milch setzte sich im Fusionsgremium so erfolgreich für die Junkers-Interessen ein, daß die Lufthansa 225 Angestellte der ehemaligen Junkers-Luftverkehr A.G. übernahm, von der Aero-Lloyd dagegen nur 208.
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Dezember 1925 - Eine Zwangs-"Fusion" mit Schmerzen
Am 22. Dezember 1925 traf Milch mit dem Aero-Lloyd-Vorstand eine Vereinbarung über die Aufgabenverteilung der neuen Gesellschaft. Der Aero-Lloyd hatte vier Unterdirektionen vorgeschlagen, von denen er selbst drei besetzen wollte, nämlich die Direktionen für Finanzen, Technik und Flugdienst.
Milch bestand darauf, daß der Flugdienst und die Technik von ihm als einem Junkers-Mann geleitet werden müsse, und Brandenburg unterstützte ihn. Als er die Einzelheiten telephonisch nach Dessau durchgab, machte Sachsenberg ihm Vorwürfe, weil er ein fait accompli geschaffen habe.
Bei einem Festessen, das man noch am selben Tage in Dessau als Abschiedsfest für die alten Junkers-Leute gab, wurden Vorwürfe gegen Milch laut. Obwohl Milch darauf hinwies, daß den Interessen der Junkers-Werke in der neuen Gesellschaft noch besser gedient werden könne, war es nicht verwunderlich, daß es in Dessau jetzt Menschen gab, die überzeugt waren, daß Milch, ihr ehemaliger Zentralverwaltungsleiter, ihnen einen Dolch in den Rücken gestoßen habe. Für Junkers, so schrieb Ernst Brandenburg später, sollte die neue Gesellschaft wie ein rotes Tuch auf den Stier wirken.
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