Der Kranich schlüpft aus
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Die »Deutsche Lufthansa A.G.«
Die neue Gesellschaft gab sich den Namen »Deutsche Lufthansa A.G.«; es war ein anspruchsvoller Name, der Erinnerungen an die Hanse weckte. Das Symbol der Gesellschaft, ein auffliegender Kranich, war von Professor Firle für den Aero-Lloyd entworfen worden; ihre Farben, Gelb und Blau, waren die Junkers-Farben.
Aufsichtsratsvorsitzender sollte für die nächsten sechzehn Jahre Emil-Georg von Stauss sein - ein Direktor der Deutschen Bank. Für den Rest des Winters konzentrierte sich die neue Gesellschaft auf die Reorganisation der innerdeutschen Strecken.
Milchs Hauptstützen waren die Prokuristen von Gablenz und von Schröder; von Gablenz erhielt die Flugbetriebsleitung und von Schröder eine Abteilung für »besondere Aufgaben«.
Milch benutzte jede freie Minute, um sich im Betrieb umzusehen. Er besuchte alle Flugleitungen und Werkstätten. Der Lufthansa-Flugzeugpark bestand anfangs aus 18 dreimotorigen Junkers G (»Großflugzeug«) 24 und neun Rohrbach Roland, die ebenfalls mit drei Motoren von je 300 PS ausgerüstet waren.
Den Rest bildete ein Sammelsurium von Albatros »Schlafwagen«, Merkuren, etwa 45 Junkers F13 und eine große Zahl ziemlich unbrauchbarer Fokker FII und FIII.
Alles in allem verfügte Milch über ungefähr 150 Flugzeuge von zwanzig verschiedenen Typen - ein Alptraum für jeden technischen Direktor. In den ersten Monaten fragte er sich immer wieder, ob man es überhaupt verantworten könne, das Risiko der Passagierbeförderung einzugehen. Aus diesem Grunde führte er als weltweit erster Blindflugschulen für alle Lufthansa-Piloten ein.
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Der Mangel an starken Flugmotoren
Das Grundproblem des Flugzeugbaus bestand zu jener Zeit, und auch für die folgenden zwei Jahrzehnte, in dem Mangel an starken Flugmotoren. Der größte Flugmotor war 1926 der BMW VI mit mehr als 500 PS.
Er trieb die Merkure an und die Dornier Wal-Flugboote, die Claudius Dornier in seinem Werk Friedrichshafen baute. Aber der BMW VI litt noch an Kinderkrankheiten, und Milch bevorzugte den Junkers LV mit seinen 350 PS als das zuverlässigere Triebwerk.
Wichtigste Aufgabe - die Rentabilität stärken
Seine ersten Anstrengungen richteten sich darauf, die Fernstrecken auf Kosten der kurzen »Hüpfer« zu vermehren. Das Lufthansa-Netz war durch einfache Addition der Strecken ihrer Vorgänger entstanden, mit dem Ergebnis, daß es zu einem absurden, völlig unrentablen Hüpfverkehr kam.
Milch kämpfte allein; Merkel lag an möglichst viel Flugkilometern, um mit seinen Maschinen soviel wie möglich herauszuwirtschaften; und Wronsky wrar stolz auf die Größe des Flugnetzes, das er nun vor seinen ausländischen Kollegen bei den Sitzungen der IATA vertreten konnte.
Ein Blick auf den Aufsichtsrat, der sich im Großen Saal der Deutschen Bank in Berlin drängte, zeigte die Opposition, mit der Milch rechnen mußte. Bei den 66 Mitgliedern handelte es sich in erster Linie um Oberbürgermeister, wie Bracht aus Essen, Adenauer aus Köln, Landmann aus Frankfurt, Scharnagl aus München und Lehr aus Düsseldorf. Allmählich kamen mehr Fernstrecken zustande.
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1926 ging es nach Moskau und von dort nach Peking
1926 flogen Merkel und Milch für zwei Wochen nach Moskau, um den Vertrag über die Tochtergesellschaft »Deruluft« für weitere fünf Jahre zu erneuern. Im Sommer jenes Jahres veranstaltete Milch die erste transkontinentale Expedition der Lufthansa, um eine Luftverkehrsstrecke über die Sowjetunion nach dem Fernen Osten zu erkunden.
Zwei Junkers G24 wurden am 23. Juli 1926 von Berlin aus auf den Weg geschickt. Sie folgten der alten Danziger Luftpost-Strecke bis Kowno, flogen dann nach Moskau und weiter über den Ural und Sibirien nach Peking.
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In 1926 hatte die Lufthansa 93.000 Passagiere
Im Jahre 1926 hatte die Lufthansa 93.000 Passagiere, mehr als eine Million Pfund Post und fast eine Million Pfund andere Fracht befördert.
- Anmerkung : Hier stimmt etwas nicht. Normalerweise wurde immer in Kilogrammm gemessen und diese Zahlen wurden publiziert. Warum jetzt in Pfund ? Damit größere Zahlen raus kamen ?
Ihre Flugzeuge hatten einen Tagesdurchschnitt von 40.000 Flugkilometern zurückgelegt, eine Zahl, die sich bis 1927 auf 74.560 erhöhen sollte.
Ihre Flugzeuge trugen Goldbarren und Wertpapiere, frische Blumen aus Holland, Pelze und Kaviar aus Rußland, Kleider aus Paris und Wien und die allerneuesten Delikatessen für Hotels und Restaurants.
- Anmerkung : Wir dürfen auf keinen Fall außer Acht lassen, daß nach dem Ende des 1. Weltkriges (Herbst 1918) die Mehrheit der Reichsdeutschen Bevölkerung (also 99%) immer noch bitter arm war und nur die obersten 10.000 sich überhaupt einen solchen Flug leisten konnten.
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Die neue Strecke Berlin-Dresden-Prag-Wien - samt einem Unfall
Im März 1927 eröffnete die Lufthansa ihren nächsten Flugabschnitt, die Strecke Berlin-Dresden-Prag-Wien. Milch nahm an dem Eröffnungsflug in einer Junkers G24 teil. Die Maschine wurde von Flugkapitän Rodschinka gesteuert, einem Piloten, den er seit Danzig kannte.
Der Hinflug verlief perfekt, und das große Verbrüderungsfest in Wien dauerte bis spät in die Nacht. Das mag verhängnisvoll für den Flugkapitän gewesen sein, denn als sie am nächsten Morgen den Rückflug vorbereiteten, fiel Milch auf, daß Rodschinka gereizt war und offenbar unter einem Katzenjammer litt.
Das Wetter war gut, nur vor dem Erzgebirge wurde die Sicht durch starken Dunst sehr behindert. Die Berge waren nur etwa 1.000 m hoch, aber Rodschinka setzte zweimal an, um sie zu überfliegen, und beide Male verlor er an Höhe.
Er mußte abdrehen und einen neuen Versuch beginnen. Milch empfahl den Passagieren, sich anzuschnallen, da man bald landen werde. Dieser Augenblick kam früher als erwartet, denn plötzlich krachte es gewaltig, und das Flugzeug saß auf Kiefernhochwald, genau auf der Gebirgsspitze.
Zwanzig oder mehr Bäume waren wie Streichhölzer umgeknickt, bevor die Maschine zum Stillstand kam. Milch sah es links am Motor rauchen, und er rief den Passagieren zu, sofort das Flugzeug zu verlassen. Nachdem sich alle von dem Schreck erholt hatten, dirigierte er das alte Siegertsche Fliegerlied:
- »Hast du dich auf den Wald gesetzt,
- daß sich der Weiterflug nicht lohnt,
- so singe, wie der Vogel singt,
- der in den Zweigen wohnt ...«
Bald erschienen ein paar Einwohner und schafften das Gepäck in den nächsten Ort. Milch ließ einen Wagen aus Dresden kommen und lud die Passagiere zu einem Essen mit 1921er Rheinwein ein. Die Deutsche Lufthansa hätte in jenen Tagen nicht besser für ihre Passagiere sorgen können.
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Mai 1927 - Die ersten Versuchsflüge über die Alpen
Als die Lufthansa im Mai 1927 mit ihren Versuchsflügen über die Alpen nach Italien begann, flog Milch mit (von den drei Vorstandsmitgliedern war er der einzige Flieger).
Flugkapitän Willy Polte, vormals einer der erfahrensten Piloten des Aero-Lloyd, saß am Knüppel der Rohrbach Roland. Bei zwei Starts in Mailand platzte wegen der großen Hitze je ein Reifen, und die einzige Möglichkeit, den Flug doch noch zu beginnen, bestand darin, ein sehr viel kleineres Rac von einer Breda-Schulmaschine zu montieren, die gerade auf dem Flugfeld stand.
Das Flugzeug sah merkwürdig aus in seiner Schräglage, aber Polte schaffte einen glatten Start. In 5.500 m Höhe war es empfindlich kalt, und als sie St. Moritz überflogen, blieb der linke Seitenmotor nach kurzem unregelmäßigem Lauf stehen; knapp zehn Minuten später fiel der Mittelmotor um 200 Touren zurück, und das Flugzeug verlor an Höhe.
Wären sie in die Wolken, die etwa 1.300 m unter ihnen lagen, geraten, hätte sich ein Zusammenstoß mit einem Berggipfel kaum vermeiden lassen. Aber dieses Mal hatten sie Glück.
Polte erkannte die Wolkenvertiefung über dem Oberrhein, und es gelang ihm, den Bodensee in geringer Höhe zu überfliegen und in Friedrichshafen zu landen.
Die Untersuchung ergab, daß das Benzol bei der Kälte erstarrt war und als Paraffin die Ansaugleitungen verstopft hatte. Von da an wurden in allen Lufthansa-Flugzeugen die Ansaugöffnungen der Motoren vorgeheizt.
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Hauptmann Lindbergh überquerte den Atlantik
Eine Woche später überquerte der amerikanische Hauptmann Lindbergh den Atlantik. Kein deutsches Flugzeug konnte damals diese Leistung nachahmen.
Die Lufthansa war nun ihrerseits entschlossen, als erste Gesellschaft einen regelmäßigen Transatlantik-Dienst einzurichten. Das Condor-Syndikat in Rio war der erste Schritt dazu gewesen, und der zweite erfolgte auf europäischer Seite mit der Gründung einer deutsch-spanischen Gesellschaft, der »Iberia«, am 14. Dezember.
Drei Wochen später wurde der Abschnitt von Berlin nach Madrid als regelmäßiger Dienst eröffnet. Problematisch war noch immer der Mangel an ausreichend starken Motoren, aber Milch sah eine Zwischenlösung in einer Unterteilung in Streckenabschnitte, die mitten im Atlantik endeten, und dies erschien seinen Kollegen zunächst nicht als eine sehr praktische Lösung.
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Das Rohrbach Romar Wasserflugzeug und sein Ende
Otto Merkel fand ein Projekt attraktiver, das der Flugzeugkonstrukteur Dr. Rohrbach der Lufthansa einige Zeit vor Lindberghs Flug angeboten hatte: Die »Romar«, ein von drei BMW VI-Motoren angetriebenes Flugboot.
Obwohl Milch Einwände erhob, bestellte Merkel gleich drei dieser riesigen Flugzeuge. Kurz nach der Auftragserteilung kam Rohrbach und bot erheblich erhöhte Leistungen an. Die neue Ausführung sollte einen Nonstop-Flug über den Atlantik ermöglichen.
Erneut setzte sich Merkel über seine Kollegen hinweg und bestellte für drei Millionen Reichsmark Flugzeuge dieses Typs. Um eine lange Geschichte kurz zu machen - ihre Abschiedsvorstellung gab die Rohrbach Romar ein Jahr später, als sie nach ihrem ersten Flug versank.
Mai 1928 - sechs Flugzeugführerschulen wurden eröffnet
Andere Projekte der Lufthansa waren erfolgreicher. Der erste Flugzeugabholdienst für Passagiere zwischen Berlin und dem Transatlantikhafen Bremerhaven wurde am 21. Mai 1928 eröffnet.
Es folgten eine neue Deruluft-Strecke von Berlin nach Leningrad, zwei neue Fernost-Erkundungsflüge Jochen von Schröders, und auf Ernst Brandenburgs Anregung hin wurden sechs Flugzeugführerschulen eröffnet.
Intrigen und andere innere Probleme
Milchs mächtige Rivalen, und vor allem Generaldirektor Stimming vom Norddeutschen Lloyd sowie Sachsenberg von Junkers taten, was in ihren Kräfen stand, um den Ruf der Lufthansa zu schmälern.
Sie versuchten, als erste die Transatlantikstrecke zu erschließen, indem sie eine einmotorige Junkers W33 von Ost nach West über den Ozean schickten, und sie sicherten sich dafür die Dienste des Leiters der Nachtstrecken der Lufthansa, des ehemaligen Bomber-Staffelkapitäns Hauptmann Kohl.
Milch bat Kohl, die tollkühne Idee fallenzulassen; selbst ein gelungener Flug werde der deutschen Luftfahrt technisch in keiner Weise helfen.
Am 12. April 1928 waren Kohl, der Pressechef des Norddeutschen Lloyd, von Hünefeld, und der irische Flieger Captain Fitzmaurice von Irland nach Amerika gestartet. Milch änderte seine ablehnende Haltung auch dann nicht, als er erfuhr, daß das Hazardspiel ohne Zwischenfall halbwegs gelungen war: Nach 44 Stunden war die Maschine in Labrador gelandet - mit nahezu trockenen Benzintanks.
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Subventionen und Bestechungen im Reichstag
Milch befürchtete, daß aufsehenerregende Uberseeflüge in der deutschen Öffentlichkeit die Forderung entstehen lassen könnten, die Subventionen für die nationale Fluggesellschaft zu kürzen.
Ein regelmäßiger Transatlantik-Dienst war noch ein Zukunftstraum. Im Reichstag wurde besonders auf dem linken Flügel immer schärfere Kritik an der Lufthansa geübt. Sachsenberg hatte dort nichts unversucht gelassen, um sich bei den Parteien der Linken beliebt zu machen.
Die Junkers-Werke zahlten fünf Reichstagsabgeordneten regelmäßige Summen. Außerdem behaupteten die kommunistischen Abgeordneten, daß die Republik sich unter der Maske der Zivilluftfahrt auf einen Krieg vorbereite.
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Über die Subventionen ausländischer Gesellschaften
Im Reichstag gab es keine starke Unterstützung für die deutsche Zivilluftfahrt. Milch wußte genau, wie erheblich die Subventionen waren, die den ausländischen Gesellschaften gezahlt wurden.
Im Mai 1928 sagte er in einem Vortrag: »Die dortigen Gesellschaften verfügen über ein Abkommen mit ihren Regierungen, das den Luftverkehr nicht wie bei uns von Jahr zu Jahr, sondern auf eine längere Reihe von Jahren, mindestens sieben, sicherstellt.«
Dadurch sei eine bessere Disposition für Personal und Material möglich, und damit auch eine Verbilligung des Betriebs. Für die Lufthansa bestand die Hauptschwierigkeit darin, daß sie kein Standard-Flugzeug besaß. Während die KLM nur einen Flugzeugtyp betrieb, flog die Lufthansa jetzt nicht weniger als 44 Typen mit zwanzig verschiedenen Motoren.
Eine Existenzmöglichkeit für sie deutsche Industrie
Milch sah die Aufgabe seiner Fluggesellschaft darin, die deutsche Luftfahrtindustrie wiederzubeleben und zu modernisieren:
»Die Deutsche Lufthansa sieht im Zusammenwirken mit den Lieferfirmen, die das Material konstruieren, und mit der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) eine ihrer wesentlichsten Aufgaben.«
Er fügte hinzu: »Sie nimmt auch die außerordentlich zahlreichen verschiedenen Flugzeug- und Motorentypen in Kauf, um der ganzen deutschen in Frage kommenden Industrie eine Existenzmöglichkeit zu bieten8.«
Ernst Heinkel, Claudius Dornier, Heinrich Focke und George Wulf
So kam Milch zum erstenmal mit Ernst Heinkel in Berührung, der eine Flugzeugfabrik in Warnemünde gebaut hatte; mit Claudius Dornier in Friedrichshafen; mit Heinrich Focke und George Wulf und deren Chefkonstrukteur Kurt Tank in ihren Flugzeugwerk in Bremen; und er lernte den jungen Flugzeugkonstrukteur Dr. Willy Messerschmitt kennen, der in den Bayerischen Flugzeugwerken in Augsburg mit dem Bau schneller Sportflugzeuge begonnen hatte.
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Der Ruf nach Kürzung der Lufthansa-Subventionen
Milch unterschätzte nicht die Wichtigkeit der Aufgabe, die Reichstagsabgeordneten über die nationale Bedeutung der Lufthansa aufzuklären. Die Hauptopposition kam von den Abgeordneten Quaatz und Kulenkampff, deren Verbindungen zu Junkers und Sachsenberg allgemein bekannt waren.
Sie verlangten die Halbierung der Lufthansa-Subventionen, und als Lufthansa-Direktoren im vertraulichen Gespräch Ernst Brandenburg aufforderten, die Subventionen zu verteidigen, konnte dieser nur hilflos auf die starke Opposition verweisen - insgesamt waren etwa fünf Abgeordnete »bezahlt« worden - und der Lufthansa empfehlen, sich ebenfalls ein paar Abgeordnete »zu kaufen«.
Er werde das privatim mit Otto Merkel, dem kaufmännischen Direktor, arrangieren. Damals wußte Milch nicht, wen Merkel ausgesucht hatte.
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Mai 1928 - die NSDAP erhält zum ersten Mal zwölf Abgeordnete
In der Reichstagswahl vom 10. Mai 1928 wurden zum ersten Mal zwölf Abgeordnete der NSDAP gewählt. Unter ihnen war Hermann Göring. Wie Milch hatte er es zum Hauptmann gebracht und war der zweite Nachfolger des sagenumwobenen Freiherrn von Richthofen als Kommandeur des Jagdgeschwaders 1 gewesen.
Anfangs hatte er als Beobachter gedient, dann als Flugzeugführer und war mit dem "Pour le merite" ausgezeichnet worden. Für die Lufthansa war Göring ein besonders attraktiver Abgeordneter. Als Schauflieger und als Fallschirmverkäufer in Schweden hatte er nach dem Waffenstillstand seine Verbindungen mit der Fliegerei aufrechterhalten.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß Göring vor seiner Wahl von der Lufthansa finanziell unterstützt worden war. In den Archiven der Deutschen Bank findet sich ein Brief von Milch, den er zwei Jahre später schrieb und in dem er erklärte:
»Was den Abgeordneten Herrn Göring anbetrifft, so hat er vor seiner Wahl in den Reichstag eine beratende Stellung in der Deutschen Lufthansa gehabt, d. h. er war ebenfalls nicht Angestellter im eigentlichen Sinne, sondern beratender Mitarbeiter im Sinne des amerikanischen Brauches.«
Aus den Akten der Bank geht außerdem hervor, daß Göring im Juni, ein Jahr nach der Wahl, einen Scheck über zehntausend Reichsmark zu Lasten der Lufthansa kassiert hatte. Die Gesellschaft »kaufte« außerdem den sozialdemokratischen Abgeordneten Keil und den Abgeordneten Dr. Cremer von der Deutschen Volkspartei.
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Auf Göring aber konzentrierte sich das Interesse.
Er war ein gewandter Redner und zeigte sich auch an den Ideen der Lufthansa interessiert. Beim Novemberputsch 1923 hatte Göring einen Bauchschuß erhalten, als die Regierungstruppen das Feuer eröffneten; er war dann ins Ausland geflohen und hatte sich dort ärztlich behandeln lassen.
Die Folge war eine jahrelange Morphiumsucht, bis er sich schließlich durch eigene Willenskraft, zu der er damals noch fähig war, kurierte. Die Lufthansa betrachtete »den Herrn Abgeordneten Göring« als lützlich, nicht aber als unentbehrlich.
Anmerkung : Andere Quellen beschreiben das mit der Willenskraft und der Morphiumsucht aber ganz anders und schon gar nicht so heroisch. Diese obigen Sätze sind daher mit Bedacht zu vermerken.
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Milch erinnert sich heute so an Görung :
»Wir haben uns dann in der Folgezeit meist beim Essen, manchmal auch in
seiner Wohnung getroffen«, erinnert Milch sich heute. »Am letzteren Ort war in den ersten Jahren meist Frau Karin Göring zugegen, die einen großen Einfluß auf ihren Mann in günstigem Sinne ausübte. In kleinem Kreise war Göring ruhig und verständig, auch wenn er manchmal zu harten Worten neigte; ich durchschaute aber bereits damals seinen weichen Kern, den er durch Bramarbasieren zu verstecken suchte. So fiel mir aber auch schon damals seine stark ausgebildete Eitelkeit und Egozentrik auf; wer ihn in dieser Richtung verletzte, mußte mit seiner Rache rechnen.«
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Drei Jahre gegen den Strom der Opposition und der Intrigen
Milch mußte in den ersten drei Jahren der Lufthansa gegen einen Strom der Opposition und Intrige anschwimmen. Seine beiden Mitdirektoren und sein eigener technischer Stellvertreter, Dr. Grulich, hielten ihn absichtlich über folgenschwere Entscheidungen im dunkeln. Sie alle unterschätzten sein Stehvermögen.
Als 1927 eines ihrer Dornier-Passagierflugzeuge abstürzte und zwei Menschen dabei den Tod fanden, nutzten Grulich und Merkel die Gelegenheit, um Milch unzulängliche technische Überwachung vorzuwerfen.
Doch Milch hatte ein genaues Logbuchverfahren mit Angaben über alle Details jedes Flugzeugs und jedes Motors eingeführt. Die »Lebenslauf-Akten« dieser Dornier Maschine bewiesen, daß sie gerade erst vom Herstellerwerk vollständig überholt worden war.
Weitere Nachforschungen ergaben, daß ein Dornier-Mechaniker dabei einen verhängnisvollen Fehler bei der Montage gemacht hatte, aber Merkel und Grulich nutzten den Zwischenfall weiter für ihre Propaganda aus, obwohl Grulich für Reparaturen verantwortlich war.
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Sommer 1928 - Und weiter gingen die Intrigen
Den schwersten Schlag führte Junkers im Sommer 1928 gegen die Lufthansa. Er erklärte, daß der Hauptteil seiner eigenen Konstruktionen, die G24, die das Rückgrat der Lufthansa-Flotte bildete, fluguntüchtig sei, wenn ihr Fluggewicht nicht um 500 kg verringert werde.
Für die Lufthansa hätte das den Ruin bedeutet, wäre Milch nicht auf die Idee gekommen, daß die Außenflächen unter Fortfall der Seitenmotoren-Flächenstücke an die Mittelfläche mit ihren Verschraubungen passen müßten, und die G24 dann statt der drei Motoren einen großen Motor verwenden könnte, zum Beispiel den inzwischen verbesserten BMW VI.
»Das geht nicht«, sagten die Leute bei Junkers. Jahre später erinnerte sich Milch: »Dann habe ich Schatzki beauftragt, mir das mal durchzurechnen. Er hat es getan und mir sofort gesagt: >Das geht.<« (Dr. Schatzki war einer der leitenden Ingenieure Grulichs.)
»Mit dieser Idee«, sagte Milch 1943, »haben wir die Hansa gerettet. Nicht die Roland und nicht die Möwen haben es zuwege gebracht, daß die Hansa von ihren 19,8 Millionen Reichsmark Schulden herunterkam und in einigen Jahren 10 Millionen Reichsmark Vermögen auf der Bank hatte, sondern diese Maschine, die F24 Ko.« (Das war der neue Name des Flugzeugs in seiner erfolgreichen einmotorigen Ausführung.)
Anfangs hatten die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt und Junkers jede Mitarbeit als Wahnsinn abgelehnt; es lohne sich nicht einmal, erklärten sie, das Ding (die F24 Ko) auch nur anzuschauen.
»Aber wir haben es gemacht!« sagte Milch. »Mein technischer Prokurist, Herr Grulich, hat, als die Maschine mit (mir als) dem technischen Direktor und dem Flugkapitän Pieper starten sollte, gesagt: >Hoffentlich kommt sie herunter! Dann sind wir endlich unseren technischen Direktor los.<« Neun G24 der Lufthansa wurden dann auf diese Weise umgebaut.
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Die Lufthansa kam in turbulente Zeiten
Das Defizit der Lufthansa wurde jedoch immer größer, und ab 1929 war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Katastrophe über die Gesellschaft hereinbrach. Wenn die Subventionen gekürzt würden, wie die von Sachsenberg geführten Abgeordneten es verlangten, dann gab es nur noch die Möglichkeit, Strecken abzubauen und Personal zu entlassen.
Die Lufthansa verstärkte ihre finanzielle Unterstützung Görings und seiner Mitstreiter im Reichstag. Eingeschüchtert von der lauten Opposition, setzte das Reichsverkehrsministerium einen Bilanzausschuß zur Prüfung der Lufthansa-Finanzen ein.
Anfang April 1929 erstattete eine vom Reichstag ernannte Kommission Bericht, und auf ihre Empfehlung hin halbierte der Reichstag die Lufthansa-Subvention für das kommende Jahr 1930.
Göring tat, was er konnte, um die Kürzung rückgängig zu machen. Als der Verkehrs-Etat Mitte Juni dem Reichstag zur zweiten Lesung vorgelegt wurde, forderte er die Regierung auf, die deutsche Zivilluftfahrt zu erweitern, nicht aber sie einzuschränken, da es sich hier um eine große patriotische Aufgabe handele; zum ersten Mal forderte er die Ernennung eines Staatssekretärs für die Luftfahrt, und er schloß:
»Retten Sie unsere Zivilluftfahrt! Sie werden es noch bedauern, wenn Sie das nicht tun.«
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April 1929 - Der Reichstag hatte entschieden ......
Der Reichstag aber war zu keiner Überprüfung seiner Entscheidung bereit. Nach der Sitzung des Bilanzausschusses am 18. April 1929 sah sich die Lufthansa gezwungen, etwa 35 Prozent ihrer Mitarbeiter zu entlassen22.
Der Ausschuß empfahl, mit dem »Abbau« an der Spitze zu beginnen. Von den sechs Prokuristen müßten zwei entlassen werden. Der widerspenstige Grulich mußte gehen, und Milch beförderte Dr. Stüssel und Dr. Schatzki.
Am 1. Juli 1929 beschloß der Arbeitsausschuß, auch Otto Merkel abzubauen, und Milch wurde aufgefordert, nun auch die kaufmännischen Geschäfte zu übernehmen. Später schrieb er: »Für mich war diese Entscheidung ein Schlag vor den Kopf. Ich konnte ja nicht mal eine Bilanz lesen24.«
Er sagte das auch Stauss ganz offen, aber der Vorsitzende wischte diese Einwände einfach beiseite; Milch werde das schon lernen, meinte er. Am 2. September 1929 wurde beschlossen, daß Milch drei Tage später die kaufmännische Leitung übernehmen solle, und damit war er praktisch zum Generalbevollmächtigten der Lufthansa geworden.
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Trotz dieses Aderlasses ging es mit der Lufthansa voran
Viel war geschehen, um den Ruf der Lufthansa im Ausland und daheim zu hegen. Die Lloyd-Schiffe »Bremen« und »Europa« waren mit Katapulten ausgerüstet worden, von denen Luftpost-Flugzeuge im Atlantik mehrere hundert Seemeilen vor New York beziehungsweise Bremen gestartet wurden. Ende Oktober 1929 legte Jochen von Schröder den ersten Nonstop-Flug nach Konstantinopel in elf Stunden zurück.
Milchs neugeschaffene Organisation sah sechs Abteilungen vor, die ihm direkt verantwortlich waren: von Gablenz war verantwortlich für den Flugbetrieb; die beiden Ingenieure Schatzki und Stüssel leiteten die neue Technische Entwicklungsabteilung; in den unabhängig geleiteten Werkstätten war Flohr für Technik und Bongers für Wirtschaft verantwortlich; die Technische Kontrolle wurde von dem Ingenieur Müller von der Heyden ausgeübt und die Kaufmännische Leitung von Luz. Die Kaufmännische Kontrolle hatte Jahn inne.
Von allen diesen Männern wurden Freiher von Gablenz und Luz zu Milchs engsten Mitarbeitern.
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Milchs erste Bilanz = 19,8 Millionen Schulden
Milchs erste Maßnahme bestand darin, eine Bilanz aufstellen zu lassen. Sie wies die ungeheuerliche Schuldensumme von 19,8 Millionen Reichsmark aus, davon 6 Millionen Bankakzepte mit einer Gültigkeit von jeweils drei Monaten. Gleich zu Anfang seiner Tätigkeit drohte Weigelt für die Banken mit der Zurückziehung ihrer Wechselkredite.
Die Drohung mit dem Konkurs wirkte nachhaltig
Milch entschloß sich, die Frage grundsätzlich zu klären. Er bat Weigelt, die Banken zu einer Umwandlung der Schuld in langfristige Kredite zu veranlassen. Als Weigelt dies ablehnte, teilte Milch ihm mit, daß die Lufthansa nun mehr als die Hälfte ihres Kapitals als verloren ansehen und daher nach dem Handelsgesetzbuch Konkurs anmelden müsse.
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Und wieder wollten die Banken Milch unterminieren
Die Banken wandelten daraufhin die Schuld in langfristige Kredite um, die jährlich mit zwei Millionen Reichsmark zu tilgen waren. Ein Jahr später zahlte Milch die ersten zwei Millionen pünktlich zurück; als er dann nach weiteren acht Monaten die übrigen Schulden zurückerstatten wollte, versuchte Weigelt vergeblich, diese schnelle Rückzahlung wegen des sich daraus ergebenden Zinsverlustes abzulehnen.
»Wie anders sah die ganze Lage nach dem ersten Jahre aus!« schrieb Milch. »Alle roten Zahlen waren für immer verschwunden, alle Lieferantenrechnungen auf dem laufenden, auf den Banken ausreichende Guthaben.«
- Anmerkung : Von solchen Erfolgen träumten die AEG Vorstände damals auch und schleppte Millionen von Reichsmark-Schulden jahrzehntelang vor sich her - bis zum endgültigen Konkurz 1990
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Und von jetzt an keine Bestechung von Abgeordneten mehr
Seine nächste durchgreifende Maßnahme bestand darin, die Bestechung der fünf Reichstagsabgeordneten einzustellen. Jeder von ihnen hatte rund 1.000 Reichsmark pro Monat erhalten, mit Ausnahme Görings, der mehr bekommen hatte. Göring sagte Milch, daß ihm das Ausbleiben der Zahlung nichts ausmachen werde, weil der Stahlmagnat Fritz Thyssen ihm ein unbegrenztes Bankguthaben eingerichtet habe.
Dann ordnete Milch bei den Flugleitungen eine rücksichtslose Räumung der Ersatzteile an, die die Lufthansa im Jahr mit Zinsverlusten von etwa einer halben Million Reichsmark belastet hatten.
Statt der Fremdversicherung schuf Milch auch eine Eigenversicherung der Flugzeuge, durch die eine Barausgabe von mehr als zwei Millionen Reichsmark pro Jahr eingespart wurde; für alle Angestellten, später auch für die Arbeiter, führte er eine Pensionsversicherung ein, zu der die Lufthansa den Hauptbeitrag leistete.
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Und dann eine Bereinigung des Flugzeugparks
Gleichzeitig wurde der Flugzeugpark der Lufthansa einer gründlichen Aussonderung unterzogen. Alles, was nicht mehr Milchs Forderungen nach Sicherheit und Wirtschaftlichkeit entsprach, wurde ausgemerzt, verkauft oder verschrottet und vor allem in der Bilanz, die mit solchen zweifelhaften Werten aufgebläht war, abgeschrieben.
Was erwirtschaftet werden konnte, floß einem Material-Erneuerungsfonds zu. Eines Tages mußte doch die von Milch ersehnte Wundermaschine kommen, und bis dahin sollte die Lufthansa soviel Geld haben, um innerhalb von wenigen Jahren nur noch mit diesen neuen Maschinen fliegen zu können.
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September 1929 - der erste Geschäftsbericht
Im September 1929 schrieben Milch, von Gablenz und Luz in ihrem ersten Geschäftsbericht an den Aufsichtsrat der Lufthansa: »Die besondere Lage Deutschlands zwingt dazu, gleichzeitig auf Erhaltung einer leistungsfähigen Luftfahrtindustrie Bedacht zu nehmen, wobei zu berücksichtigen bleibt, daß die zivile Luftfahrt ihr einziger Abnehmer ist.«
Das war der Grund für die ungewöhnliche Technische Entwicklungsabteilung mit ihren Dutzenden von hervorragenden Ingenieuren und auch für die Ausrüstung ihrer Flugzeuge mit den modernsten Funk- und Navigationsgeräten; manchmal flogen die Maschinen sogar schon mit dem neuen, noch im Versuchsstadium befindlichen synthetischen Treibstoff der IG-Farben. Es war eine Zeit des Übergangs, aber Milch hoffte, daß die Lufthansa alle ihre Schwierigkeiten bis Ende des Jahres 1930 überwinden werde.
Dennoch war Fliegen immer noch gefährlich .....
Trotz aller Vorsichts- und Sicherheitsmaßnahmen erlitt die Gesellschaft doch tragische Flugunfälle. Selbst heute noch liest man mit Erschütterung, wie groß die Zahl der Opfer war, die die Erschließung der Luftwege forderte.
Doch sie wurden erschlossen; die Transatlantik-Strecke der Lufthansa wurde immer weiter nach Westen vorgeschoben, und Mitte Dezember meldete Jochen von Schröder, daß man auf den Kanarischen Inseln einen Streckenstützpunkt erhalten könnte.
Schröder kehrte mit seiner Arado nach Marseille zurück und flog dann weiter nach Berlin. Milch fuhr hinaus zum Tempelhofer Feld, um seinen Freund zu dem erfolgreichen Erkundungsflug zu beglückwünschen. Bald nach 18.00 Uhr stürzte die Arado bei Wustrau ab. Schröder und der Flugkapitän Albrecht waren sofort tot.
Mit von Gablenz fuhr Milch zu der Unglücksstelle. Viele Jahre lang, auch noch in seiner Nürnberger Gefängniszelle, gedachte er dieses Tages: »Jochen von Schröders Todestag vor 18 Jahren . . . Was liegt alles dazwischen und wie scharf ist noch die Erinnerung an die Nacht, als ich nach Wustrau fuhr!«
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