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"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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FÜNF MINUTEN VOR ZWÖLF

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Goebbels hat jetzt kein Glück mehr mit seinen Schauspielern.

Er spürt, daß sie ihm untreu werden. Manchmal klagt er: „Als wir noch siegten, drängten sie sich um mich, jetzt meiden sie mich ..." Ein nicht ganz gerechter Vorwurf. Diejenigen, die sich um Goebbels drängten, waren an den Fingern einer Hand abzuzählen.

Aber die meisten kamen doch, wenn er sie einlud. Sie hatten einfach Angst, sich verdächtig oder mißliebig zu machen. Der Film hat aus Schauspielern Stars gemacht, und nicht nur Stars, sondern geradezu Halbgötter.

Bis etwa 1938 waren sie nahezu unnahbare Berühmtheiten ....

Die Berühmtheiten männlichen und weiblichen Geschlechts fuhren in herrlichen Autos, bewohnten palastähnliche Villen, waren durch einen Wall von Bediensteten, Sekretären, Sekretärinnen, Geheimnummern gegen die Außenwelt abgedeckt.

Es gab kaum noch Berührungspunkte zwischen ihnen und den Durchschnittsmenschen. Man sah sie allenfalls von weitem vor einem Kinopalast aus ihrem Wagen steigen, wenn ihre Filme uraufgeführt wurden. Man bekam gelegentlich auch ein Autogramm von ihnen oder ein huldvolles Lächeln, das im Grunde niemandem und allen galt.
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Der Krieg hat da entscheidende Wandlungen geschaffen ...

Die Autos sind längst eingestellt oder beschlagnahmt, die Villen zerbombt oder voll von Bombengeschädigten - und jetzt auch schon von Flüchtlingen. Nur einige wenige - Emil Jannings etwa und Zarah Leander - haben dadurch, daß sie sich vom Filmen zurückzogen, ihren Standard wenigstens in gewisser Beziehung wahren können.

Die anderen fahren Stadtbahn und Straßenbahn, sitzen in Luftschutzkellern und gehen in die Rüstungsfabriken, in die Goebbels sie noch in letzter Minute gesteckt hat. Dies freilich nur, soweit sie noch greifbar sind.

Denn in den letzten Wochen des Krieges fragen sich viele Schauspieler, was gefährlicher ist: in Berlin zu bleiben, wo die Bomben fallen, und Goebbels nicht zu verärgern, oder seinen Zorn auf sich zu laden und irgendwo aufs Land zu gehen, wo man noch relativ sicher ist?

Die meisten verschwinden sang- und klanglos. Sie ziehen aufs Land. Sie ziehen in ihre Villen im Salzkammergut oder in Oberbayern. Sie warten auf das Ende.
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Brigitte Horney bleibt bis zuletzt in Berlin

Eine der wenigen, die bis zuletzt in Berlin bleiben, fast etwas zu lange, ist Brigitte Horney. Und dabei hätte gerade sie allen Grund, Berlin zu verlassen. Denn ihr Mann, Konstantin Irmen-Tschet, einer der beliebtesten Kameramänner, ist Weißrusse.

Er floh, zusammen mit seiner Familie, 1919 aus der Sowjetunion. Er war damals noch ein Kind - aber das würde die Russen kaum daran hindern, ihn zu verhaften und zu verschleppen. Und auch seine Frau wäre ständig in Gefahr.

Übrigens hat Brigitte Horney nichts mehr in Berlin zu tun. Sie dreht keinen Film. Sie hat alle Angebote abgelehnt. Sie ist müde. Ihre Gesundheit hat sich in den letzten Jahren weiterhin verschlechtert.

Sie ist immer wieder in die Schweiz gefahren, um sich zu erholen, aber die Erholung hielt nicht lange vor. Die Mutter, sie ist eine bedeutende Psychiaterin, die vor vielen Jahren nach Amerika auswanderte, kabelte der Tochter in die Schweiz: „Geh nicht nach Deutschland zurück!"
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Mit Brigitte Horney ist eine seltsame Veränderung vor sich gegangen

Aber die Horney ging doch immer wieder nach Deutschland zurück, denn sie wußte, daß Goebbels nicht zaudern würde, ihren Mann einsperren zu lassen, vielleicht auch andere Verwandte und Freunde. Überdies hat sie für sich selbst keine Angst.

Mit Brigitte Horney ist eine seltsame Veränderung vor sich gegangen. Sie, die einst so Lebenslustige, die nie genug bekommen konnte, die die Nächte durchbummelte, die jede Menge Alkohol vertrug, die dann frühmorgens nach einer durchzechten Nacht zwei Stunden im Galopp durch die Wälder ritt, sich in einen der Seen in der Umgebung von Berlin stürzte und eine halbe Stunde später frisch und vergnügt ins Atelier fuhr - ist ruhig geworden ...

Geradezu unheimlich ruhig. Sie hat nur noch eine Leidenschaft: sie strickt. Alle diejenigen, die die Horney einmal im Film gesehen haben, würden unendlich verwundert sein, wenn sie sie jetzt sehen könnten. Da sitzt sie in ihrer herrlich eingerichteten Villa in Babelsberg und strickt.

Sie strickt von morgens bis nachts, und auch die halben Nächte hindurch, in denen man ja wegen der ständig fallenden Bomben nicht schlafen kann. Wenn sie nicht strickt, kocht sie.

Sie kocht rasend gern und, wie alle, die das Glück haben, bei ihr eingeladen zu werden, bestätigen können, ungewöhnlich gut. Weder beim Stricken noch beim Kochen läßt sie sich stören. Sie läßt sich insbesondere nicht durch die Bomben stören, die es auf Berlin und Umgebung regnet.
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Ihre Villa in Babelsberg besitzt keinen Luftschutzkeller.

Ihr Mann hat also einen sogenannten Splittergraben angelegt. Der bietet einigen Schutz, wenn auch nicht im Ernstfall, denn er hat ja kein Dach. Im Nebenhaus, das nicht einmal einen Splittergraben besitzt, wohnt Heidemarie Hatheyer.

Die eilt zwei-, dreimal pro Nacht in den Splittergraben der Horney. Die Horney kommt dann schließlich auch, obwohl nur ungern, und eigentlich nur, weil ihr Mann sie dazu zwingt.

Sofort öffnet sie ihren Strickbeutel und beginnt die ihr liebgewordene Tätigkeit. Wenn sie findet, daß die Bomben lange genug gefallen sind, packt sie ihr Strickzeug zusammen und erklärt plötzlich: „Jetzt ist es mir aber zu dumm! Ich gehe schlafen! Gute Nacht!" Und dann kann niemand sie zurückhalten.

Als im Januar 1945 die Russen bis zur Oder vorstoßen ....

....... und es scheint, als ob sie in wenigen Tagen, wenn nicht Stunden, vor Berlin stehen würden, flehen alle Freunde und Bekannte die Horney an, doch nun endlich zu verschwinden. Sie aber scheint ihr Haus noch immer nicht verlassen zu wollen.

Ihre einzige Reaktion auf die furchtbaren Nachrichten vom Kriegsschauplatz ist, daß sie alles, was sie besitzt, verschenkt. Sie ist immer großzügig gewesen. Man durfte niemals einen Gegenstand in ihrem Hause bewundern - denn dann war es ganz selbstverständlich für die Horney, daß man ihn bekam.

Sträuben half nichts. Nun will sie überhaupt nichts mehr behalten. Nicht nur, weil sie mit Recht annehmen darf, daß die Russen es ihr rauben würden. Es steht etwas anderes hinter allem Verzicht. Resignation. Sie zieht das Fazit der letzten fünfzehn Jahre, der Jahre, in denen sie groß war, viel Geld verdiente und viel Geld verbrauchte: „Man ist nicht glücklicher, wenn man etwas besitzt!"

Übrigens kommt sie dann doch noch aus Berlin heraus.

Auf Umwegen wird eine Ausreisegenehmigung für sie beschafft. Irgend jemand engagiert sie - im Februar 1945 - für einen Film, der in Salzburg gedreht werden soll. Irgendwie kommt sie mit ihrem Mann ins Salzburgische, und von dort, wenige Stunden vor Kriegsende, in die Schweiz.

Sie verläßt Berlin keinen Tag zu früh. Am nächsten Tag schon wäre es für sie und ihren Mann nicht mehr möglich, herauszukommen. Und vierundzwanzig Stunden nach der Einnahme von Babelsberg erscheinen mehrere Russen vor ihrem Haus, die nach ihr und ihrem Manne fragen.
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DIE GEHETZTE PORTEN

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Viel schlechter geht es Henny Porten.

Wir erinnern uns noch: weil sie es ablehnte, sich von ihrem jüdischen Mann zu trennen, wurde sie von den Nazis mehr oder weniger kaltgestellt. Oft genug hat man sie gewarnt, oft genug ihr geraten, den von den Mächtigen verlangten Schritt zu tun.

Aber sie weiß, die Trennung von ihrem Mann würde bedeuten, ihn der Gestapo auszuliefern, würde bedeuten, daß er in ein Lager in Polen käme, daß er schließlich zugrunde ginge oder ermordet würde.

Vorübergehend erwogen Henny Porten oder Dr. von Kaufmann die Auswanderung nach Amerika. Denn Henny Porten ist sicher: „Ernst Lubitsch wird mir drüben schon eine Chance geben!" Da erkrankte die Mutter Dr. von Kaufmanns auf den Tod. Da er sie während der letzten Wochen nicht allein lassen wollte, wurde die letzte Auswanderungsfrist verpaßt. Neue Eingaben.

Dabei stellte sich heraus, daß das Dritte Reich der Porten alles wegnehmen würde, falls sie auswanderte. Denn das Propagandaministerium hatte sich dafür entschieden, daß sie Deutschland nicht verlassen sollte. Das würde einen so schlechten Eindruck im Ausland machen.
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Im Sommer 1939 lud Hitler Henny Porten ein

Im Sommer 1939 lud Hitler Henny Porten zum Tag der Deutschen Kunst nach München ein. Sie nahm an, versehentlich auf die Gästeliste gesetzt worden zu sein. Sie glaubte, daß es einen Skandal geben würde, wenn Hitler sie sähe.

Aber es kam ganz anders. Hitler eilte mit ausgestreckter Hand auf sie zu. „Henny Porten! Wie schön, Sie endlich bei mir begrüßen zu können! Auf diesen Augenblick habe ich sehr lange gewartet! Ich kenne alle Ihre Filme, ich bin einer Ihrer größten Verehrer ... Ich kann Ihnen sogar einzelne Szenen aus Ihren Filmen wiedergeben ..."

Totenstille. Alle spitzten die Ohren, um nichts von den Worten Hitlers zu verlieren. Der war in Fahrt. „Der erste Film, den ich von Ihnen sah, war ein kleines Lustspiel. Ich sah ihn in einem Feldkino, direkt hinter der Front. Er hieß, warten Sie mal ... ,Der Schirm mit dem Schwan'!"

Die Porten bewunderte das Gedächtnis Hitlers gebührend.
„Es ist mir eine solche Freude, daß ich Ihnen nun einmal für Ihre Kunst selbst danken kann." Hitler redete wie ein Wasserfall. „Das macht mich ganz glücklich!" Immer wieder drückte er ihre Hände.

Dann drückten alle ihre Hände. Man konnte sich ja nicht früh genug beliebt machen bei einer Frau, die Hitler so ausgezeichnet hatte.

Nur Goebbels blieb eisig.

Am nächsten Abend Empfang im Haus der Deutschen Kunst. Als Hitler die Porten an einem Tisch sitzen sah, kam er heran. „Wo waren Sie gestern abend? Ich hätte mich so gern noch mit Ihnen unterhalten ... Ich habe Sie überall gesucht! Aber das holen wir heute abend nach!"

Ein wenig später erschienen zwei baumlange Kerle von Hitlers Standarte und führten sie an seinen Tisch. Sie saß allein bei ihm. Er bestellte Sekt, bedauerte, nicht mittrinken zu können, ärgerte sich über viele zu tief dekolletierte Frauen im Saal. Die Porten holte tief Atem. „Mein Führer, ich habe all die Jahre furchtbar gelitten. Aber ich fürchte, jetzt ist nicht der richtige Augenblick ..."

„Wollen Sie sich mal unter vier Augen mit mir aussprechen?" „Wenn das möglich wäre ..." „In den nächsten Tagen bin ich sehr beschäftigt. Aber in zwei, drei Wochen, spätestens Ende August, lasse ich Sie anrufen."

Die Porten kehrte nach Berlin zurück in der festen Überzeugung, daß nun alles gut werden würde. Bald rief auch die Generaldirektion der Tobis an, um ihr mitzuteilen, daß man einen Film mit ihr machen wolle. Hitler hätte durch einen seiner Adjutanten intervenieren lassen ...

Aber der Anruf, den er ihr versprochen hatte, kam niemals!

Gelegentlich, aber ganz selten, wurde die Porten noch beschäftigt. In dem Film „Komödianten", den G. W. Pabst in München inszenierte, in dem sie die Hauptrolle spielen sollte, mußte sie sich schließlich mit einer lächerlichen Nebenrolle zufrieden geben. Man erwartete allgemein, daß sie das ablehnen würde. Aber die Porten erschien am ersten Drehtag ruhig, stolz, mutig.

Sie spielte die Rolle, die ihr wie angegossen saß: nur sich nichts anmerken lassen! Ihre Rolle im Film bekam Käthe Dorsch. Sie lehnte nicht ab. Der Regisseur protestierte nicht. Und das hätte alles wohl auch wenig geholfen.
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Goebbels will sie nicht sehen

Eines Tages: Anruf vom Propagandaministerium, Goebbels komme ins Atelier, wünsche aber nicht, Frau Porten dort zu finden. Die Porten, die gerade vor der Kamera stand, mußte sich schnell abschminken, wurde eilends aus dem Atelier fortgebracht.

Das war noch nicht alles. Am Abend gab Goebbels den Mitwirkenden des Films ein großes Essen im Münchener Regina-Hotel. Da die Porten dort wohnte, wurde ihr befohlen, auf ihrem Zimmer zu essen.

Alle erfuhren es: Die Schauspieler, der Regisseur und sein Stab. Protestierte jetzt jemand? Erklärten die Schauspieler, sie seien zu müde, das Abendessen mitzumachen, sie hätten Zahnschmerzen, Kopfschmerzen? Kam es zu irgendeinem Versuch, Solidarität zu zeigen, Solidarität mit einer Frau, die nichts tat, als sich anständig benehmen?

Nein, auch jetzt geschah nichts. Auch jetzt wurde niemand schamrot. Nur ein Oberkellner brachte der Porten heimlich eine Flasche Sekt. Als sie ihm sagte, sie habe keinen bestellt, schüttelte er nur den Kopf: „Sie haben nicht verdient, was hier mit Ihnen geschieht, gnädige Frau!" Der Oberkellner des „Regina" bewies, daß es noch so etwas wie Anstand gab ...
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In dieser Nacht fand der erste schwere Bombenangriff auf München statt. So traf man sich doch noch im Bunker - die Frau des Juden und Goebbels und die Künstler, die mit ihm guter Dinge waren.
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Die Nacht des 14. Februar 1944

In der Nacht des 14. Februar 1944 zerstört eine Luftmine das Haus, in dem Henny Porten und ihr Mann leben. Eben sah es noch aus, als ob alles noch halbwegs gut werden könnte. Carl Froelich, einst Kameramann bei Meßter, später der Regisseur zahlreicher Henny-Porten-Filme, noch später gefeierter Produzent im Dritten Reich, auch er Professor von Goebbels' Gnaden, hat sich gemeldet.

Er möchte mit Henny Porten den Film „Familie Buchholz" drehen. Das ist eine Geschichte von Julius Stände, die in Berlin um 1885 spielt, ist die Geschichte einer gutbürgerlichen Frau, die manchmal grob sein kann, aber viel gesunden Menschenverstand hat.

Mutterwitz und das Herz auf dem rechten Fleck. Sie ist resolut, sie bringt in das Leben ihrer Kinder und ihrer anderen Mitmenschen Ordnung, wenn es auch so aussieht, als ob sie ständig Unordnung schafft. Carl Froelich möchte eigentlich, daß die Porten die Rolle gedämpft spielt, ein wenig zurückhaltend, aber die Porten überrennt ihn.

Sie sprudelt vor Temperament geradezu über ......

....., sie ist urkomisch, und schließlich gibt er nach. „Gut, dann machen wir eben einen Henny-Porten-Film!" sagt er halb resigniert, halb amüsiert. Vielleicht wird der Film wegen seiner komischen Stellen ein so großer Erfolg.

Vielleicht auch, weil er noch einmal eine bürgerlich geordnete Welt zeigt - in einer Welt, die im Begriff ist, im Bombenregen unterzugehen. Die Menschen, die einfachen Menschen haben ihren Liebling von einst nicht vergessen, verleugnen ihn nicht, wie das einige Kollegen an jenem Abend im „Regina" in München taten. Das ist schon viel.
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Henny Porten - die große Trösterin

Aber darüber hinaus zeigt sich jetzt, im Jahre 1944, was sich schon einmal vor dreißig Jahren herausstellte, nämlich daß
die Porten gerade dann wirkt, wenn die Menschen unglücklich sind, wenn sie unsicher werden, wenn sie nicht mehr wissen, wohin sie sollen.

Es ist kein Zufall, daß das große comeback der Porten gerade in der schlimmsten Zeit stattfindet, da die Bomben auf ganz Deutschland fallen, da niemand mehr weiß, ob er den morgigen Tag noch erlebt, da man keine Zeit und keine Nerven mehr hat für große Kunst und keine Laune für Amüsement.

1944 wie 1914 ist die Porten die große Trösterin. Noch vor der Premiere ruft Göring aus Karinhall bei Henny Porten an. Er sagt, er habe sich und seinen Gästen gelegentlich seines fünfzigsten Geburtstages „Familie Buchholz" vorführen lassen und sei noch immer ganz hingerissen davon. „Der deutsche Film darf sich gratulieren, eine Schauspielerin wie Sie zu besitzen ..." Henny Porten fällt ihm ins Wort: „Er tut es aber nicht!"

Göring wollte sie warnen und hatte eine Vorahnung

Am nächsten Tag schickt Göring ein Riesenauto, das sie nach Karinhall fahrt. Göring selbst führt sie zu Tisch. Er wird nicht müde, von dem Film zu sprechen. Auch Frau Emmy scheint entzückt, zieht sich aber gleich nach dem Essen zurück. Göring will allein mit Henny Porten sprechen. Göring geht sofort auf sein Ziel los. „Warum lassen Sie sich nicht scheiden? Ihr Mann könnte in die Schweiz gehen oder nach Schweden. Sie könnten ihn besuchen ..."

Henny Porten: „Das sagen Sie mir, Herr Göring? Man redet so viel und so oft von der deutschen Treue! Nun, ich denke, daß es selbstverständlich ist, daß eine Frau ihrem Mann die Treue hält. Was würden Sie von mir denken, wenn ich zu Ihrem Vorschlage wirklich ja sagte?"

Göring sagt lange nichts, geht auf und ab, nimmt schließlich Hennys Hand: „Ich will Ihnen etwas sagen. Ich habe Sie schon immer als Künstlerin verehrt. Jetzt kennt meine Bewunderung für Sie als Frau keine Grenzen mehr! Aber was werden Sie tun, wenn Sie einmal ausgebombt werden sollten? Sie wissen ja, niemand darf Juden aufnehmen. Haben Sie das bedacht? Wenn Sie einmal ganz plötzlich auf der Straße stehen mit Ihrem Mann ...?"
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In der Nacht des 14. Februar 1944 ist es so weit.

Eine Luftmine zerreißt das Haus. Es gibt neun Tote. Der Keller muß geräumt werden, er stürzt wenig später ein. Dr. von Kaufmann steht mit seiner Frau auf der Straße. Es liegt Schnee, der Fahrdamm ist spiegelglatt. Es ist bitterkalt. Die anderen Ausgebombten werden von Freunden aufgenommen. Niemand kümmert sich um das Ehepaar Kaufmann. Plötzlich fühlt Henny eine Hand auf ihrer Schulter. Es ist der alte Zeitungsmann vom Kiosk an der Ecke.
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Keiner - nur der alte Zeitungsmann vom Kiosk an der Ecke

„Na, Herr Doktor und gnädige Frau, hier können Sie doch nicht bleiben", sagt er. „Nehmen Sie vorlieb mit unserer kleinen Wohnung!" Er nimmt sie mit zu sich nach Hause. Seine Frau bezieht die Betten in Eile frisch, sie dürfen sich hineinlegen, während der Mann und seine Frau sich in der Küche auf dem Boden ausstrecken.

Wohin nun? Ein paar Tage Unterkunft bei einer Frau, die, als die Porten noch filmte, ihr sagte, sie könne jederzeit auf sie zählen. Sie kann es kaum ein paar Tage. Dann wird Henny Porten mit ihrem Mann vor die Tür gesetzt.

Wohin nun? Ein Adjutant Himmlers hilft. Obwohl er damit sein Leben riskiert, schickt er an mehrere Landräte in der Mark Brandenburg einen „Führerbefehl", umgehend Quartier für Henny Porten und ihren Mann bereitzustellen.

So kommen idie beiden Flüchtlinge in Neuruppin unter. Aber auch hier können sie nicht lange bleiben. Der Bürgermeister des kleinen Ortes, ein wilder Nazi, sendet ein Rundschreiben an alle Gaststätten der Umgegend, es sei verboten, dem jüdischen Gatten Henny Portens Essen zu verabfolgen.

Wohin nun? Es findet sich ein Häuschen in Joachimsthal

Wohin nun? Es findet sich ein Häuschen in Joachimsthal in der Mark, idyllisch am schönen Werbellinsee gelegen. Ein paar Wochen lang haben die beiden Ruhe. Ruhe? Die Front kommt täglich, ja stündlich näher. Eberswalde brennt ab. Joachimsthal liegt Tag und Nacht unter Artilleriebeschuß.

Die meisten Einwohner sind längst geflohen. Henny und ihr Mann bleiben. Wohin sollen sie denn auch fliehen? Ein Soldat hat Henny Porten einmal eine Henny-Porten-Postkarte geschenkt, die er in einer russischen Kate fand, mit russischen Worten drauf - die kurze Botschaft eines russischen Mädchens an ihren Liebsten.

Diese Karte wird sie den Russen zeigen, man wird ihr dann sicher nichts tun! Über Nacht kommt der Räumungsbefehl. Zum ersten Mal wird Henny Porten von Panik ergriffen. Fort! Fort! Sie bittet den Hauptmann der abziehenden Einheit, sie mitzunehmen. Der willigt ein, nimmt die beiden mit, auch zwei Koffer, die ein bißchen Garderobe, ein paar Schriftstücke, die Pelze der Porten enthalten. Ihre kostbarsten Schmuckstücke - sie stammen noch aus ihrer großen Zeit - trägt sie in einem Leinenbeutel bei sich.
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In diesem Beutel befindet sich auch eine Ampulle mit Gift.

Die hat der Stabsarzt ihr gegeben, bevor sie Joachimsthal verließ. Auch Dr. von Kaufmann hat eine solche Ampulle bekommen. Die Straßen sind verstopft, überall sind Menschen auf der Flucht, viele zu Fuß, auf Rädern, mit Kinderwagen.

Am Wegrand liegen Tote, zerrissene Pferdekadaver .Tiefflieger beschießen die Fliehenden. Am zweiten Tag schon müssen sie plötzlich den Lastwagen verlassen, es bleibt keine Zeit mehr, ihre Koffer mitzunehmen. Sie verlieren alles, mit Ausnahme eines Rucksacks.

Sie wandern durch die Wälder. Sie versuchen nachts zu schlafen, im Freien. Jetzt sind sie nur noch zwei kleine Menschen in dem ungeheuren Heer der Flüchtlinge. Immer wieder will Henny Schluß machen. Aber Dr. von Kaufmann redet ihr zu, sie solle noch warten, vielleicht bringe der morgige Tag schon eine günstigere Wendung.
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Ohne Hoffnung - jetzt will Dr. von Kaufmann aufgeben

Am folgenden Tag ist er es, der nicht mehr weitermachen will, und sie muß ihn daran hindern, den letzten Schritt zu tun. Manchmal bekommen sie aus einer Feldküche einen Schlag Essen. Es regnet, es schneit, es ist bitterkalt. Viele Flüchtlinge bleiben am Wegrand liegen.

Ein Lastwagen, vollgepfercht mit Soldaten, nimmt sie mit. Plötzlich stellt sich heraus, daß der Wagen in Richtung Front fährt. Es bleiben ihnen nur Sekunden, um auszusteigen. Henny stellt ihr Säckchen mit dem Schmuck ab, um ihrem Mann zu helfen. Schon rast der Wagen weiter. Sie greift neben sich. Das Säckchen ist fort. Das Säckchen mit dem Schmuck - und mit dem Gift.

Anmerkung : Beide haben das Kriegsende überlebt und hatten noch 15 mühevolle Jahre in bescheidenen Verhältnissen.
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