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"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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FRAU MAMA HELM HANDELT

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Brigitte Helm kommt jetzt erstmalig vor

Mitten in die Nibelungenaufnahmen platzt ein junges Mädchen, schlank, blond, mit langen Zöpfen, mit einem klassisch-strengen Gesicht, die sich für alles interessiert, nur nicht für den Film: Brigitte Helm.

Sie ist in Berlin geboren und lebt unweit der Stadt in einem Internat, in dem es streng zugeht. Aber das macht der jungen Brigitte nichts aus. Sie will ja lernen!

Sie ist nur noch nicht ganz sicher, ob sie später Astronomie studieren wird oder Medizin. Im zweiten Fall würde sie Kinderärztin werden, denn Kinder sind ihre große Leidenschaft. Daß sie einen wissenschaftlichen Beruf ergreifen wird, steht jedenfalls außer Zweifel.

Oh, sie weiß, was sie will, wenn sie auch noch nicht einmal sechzehn Jahre alt ist. Sie will einen vernünftigen Beruf ergreifen, einen, der sie ausfüllt. Sie will ein vernünftiges Leben führen. Und dazu muß sie vorläufig erst einmal lernen.
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Im Internat wird gelegentlich auch Theater gespielt.

Brigitte Helm spielt fast immer die Hauptrolle. Warum? Vielleicht ist sie ein bißchen begabter als die anderen. Vielleicht findet die Lehrerin, deren Aufgabe es ist, die Stücke einzustudieren, daß sie hübscher als die anderen aussieht ...

Die Mutter hat sie in verschiedenen Rollen gesehen. Als Maria im Krippenspiel, als Turandot in Schillers gleichnamiger Tragödie. Und für die Mutter besteht überhaupt kein Zweifel: ihre Tochter ist unheimlich begabt fürs Theater!

Die gute Frau denkt lange nach und kann sich keiner jungen Schauspielerin erinnern, die so viel Talent hätte wie ihre Tochter.
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Astronomie? Medizin? Alles Unsinn!

Ihre Tochter muß zum Theater oder besser noch: zum Film! Beim Film wird man schneller berühmt als beim Theater, und Geld soll man auch eine Menge verdienen! „Film?" Brigitte muß lachen. „Aber das ist doch Quatsch! Das ist doch alles Unsinn!"

„Du sollst solche Worte nicht gebrauchen, Brigitte! Wenn du mal eine große Schauspielerin wirst..."
„Verzeih, Mama, aber das werde ich nie." Die Mama zuckt die Achseln. So was kann sie nicht entmutigen. Sie liest in der Zeitung, daß der große Regisseur Fritz Lang gerade die „Nibelungen" verfilmt.
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„Die Nibelungen!" - genau richtig für ihre Tochter

Für diesen Film ist doch ihre Tochter wie geschaffen! Groß und schlank, mit langem, blondem Haar - die Germanin wie sie im Buche steht!

Die Mama beschließt also, Fritz Lang zu seinem Glück zu verhelfen. Wenn der ihre Tochter erst sieht, wird er ihr sofort die Hauptrolle in seinem Film geben. Es ist natürlich möglich, sogar wahrscheinlich, daß Lang schon eine andere Schauspielerin für die Hauptrolle engagiert hat. Dann wird er die Rolle eben umbesetzen müssen ...

Nach längerem Nachdenken entschließt sich die Mama, nicht an Fritz Lang direkt, sondern an seine Frau, Thea von Harbou, zu schreiben - von Frau zu Frau kann man sich besser aussprechen - und ein Bild ihrer Tochter beizulegen.

Im letzten Satz des Briefes erkundigt sie sich, wann ihre Tochter erscheinen soll, um in dem Nibelungenfilm mitzuspielen.
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Thea von Harbou stutzt - dieses Mädchen hat Etwas!

Briefe wie dieser treffen bei bekannten Regisseuren zu Tausenden ein, damals wie heute. Sie werden selten gelesen, nie beantwortet. Papierkörbe beantworten keine Briefe, auch keine eingeschriebenen.

Dieser Brief bildet eine Ausnahme. Thea von Harbou sieht das Bild der jungen Brigitte Helm, stutzt, betrachtet es genauer. Dieses Mädchen hat Etwas! Das ist nicht irgendein Mädchen ...

Thea von Harbou liest den Brief der Mama und wird immer interessierter. Und so kommt es, daß dieser Brief, einer von Tausenden, beantwortet wird. Von alledem ahnt Brigitte nichts. Eines Tages wird sie in das Zimmer der Institutsvorsteherin geholt. „Ihre Mutter ist erkrankt, Brigitte!" Brigitte wird bleich.
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Die Mutter zieht alle Register

„Erschrecken Sie nicht. Es handelt sich um nichts Ernstes. Aber Ihre Mutter möchte Sie gern selbst sehen! Sie haben Urlaub. Fahren Sie nach Berlin, und zwar am besten gleich ..."

Brigitte ist schon in der Tür, als die Vorsteherin ihr nachruft: „Ach ja ... Beinah hätte ich es vergessen .. . Ihre Mutter bat, daß Sie Ihr gutes neues Matrosenkleid mitbringen sollen ..."

Eine Stunde später ist Brigitte in Berlin, rast die Treppe zur Wohnung hinauf, klingelt Sturm. Schritte. Die Tür geht auf. Die Mama höchstpersönlich. „Aber um Gottes willen, du bist doch krank!" „Ich bin völlig gesund!" „Aber die Vorsteherin ... !" „Ach, ich habe sie einfach angerufen und behauptet, ich läge im Bett..." „Warum denn?"

„Es war einfacher so ... ich wollte dich eben einen oder zwei Tage hier haben." „Gerade jetzt möchte ich nicht fehlen ..." „Hast du dein neues Matrosenkleid dabei? Ja? Dann zieh es sofort an! Und die Zöpfe will ich dir auch noch einmal flechten. Ich habe neue blaue Schleifen für dich!"

Die große Halle mit den vielen jungen alten Germanen

Die Mama und Brigitte sitzen in der Stadtbahn (ob die S-Bahn damals schonbis Babelsberg fuhr ?). In Babelsberg steigen sie aus, gehen ein paar Schritte und stehen plötzlich in einem riesigen Filmatelier in einer großen Halle, in der lauter alte Germanen herumstehen.

Das heißt, so alt sind die Germanen gar nicht! Paul Richter, als Siegfried, ist zum Beispiel ein überaus reizvoller junger Mann, und die Schauspielerin Margarethe Schön, als Kriemhild maskiert, wirkt streng und recht imposant.

Das ist das erste Mal, daß Brigitte in einem Filmatelier steht. Andere Mädchen ihres Alters könnten sich vor Begeisterung nicht fassen. Die Mutter ist tief beeindruckt, daran kann kein Zweifel sein.

Tochter Brigitte ist überhaupt nicht beeindruckt

Brigitte betrachtet sie mißtrauisch. Warum kann sie ihre Gefühle nicht teilen? Warum hat sie ein schlechtes Gewissen? Sie muß immerfort an die Stunden denken, die sie jetzt versäumt. Sie müßte lernen . .. lateinische Vokabeln ... Und die mathematische Aufgabe vorige Woche hat sie auch nicht glänzend lösen können ...

Warum fühlt sie sich so unbehaglich? Warum möchte sie am liebsten fort ...? Sie weiß es selbst nicht genau. Sie weiß nur, daß sie sich alles echter vorgestellt hat.

Und wie diese Leute alle geschminkt sind! Sie sieht ganz deutlich, daß die meisten Perücken tragen, daß die Bärte falsch sind, der Wald kein Wald ist und die Sonne keine Sonne, sondern ein Scheinwerfer.

Die zukünftige Kinderärztin ist innerlich empört. Jetzt kommt Fritz Lang in einem eleganten Lederjackett, das Monokel fest ins Auge geklemmt. „Das ist also die junge Dame, von der Sie uns geschrieben haben, gnädige Frau?" sagt er zur Mama.
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Fritz Lang kann sehr charmant sein, wenn er will.

Und jetzt will er. Er sieht mit dem Blick des Kenners, daß das Foto nicht gelogen hat. Vor ihm steht zwar ein noch sehr junges Mädchen im Matrosenkleid mit langen blonden Zöpfen.

Aber morgen oder übermorgen wird sie schon eine junge Dame sein - eine sehr schöne junge Dame, voll Rasse, die einem den Atem nehmen kann.

Auch Thea von Harbou kommt hinzu und sagt den üblichen Satz: „Sie wollen also Schauspielerin werden, liebe Kleine?" Brigitte reißt die Augen auf, als hätte sie etwas Entsetzliches gesehen. Instinktiv tritt sie zwei Schritte zurück. Und dann sagt sie ganz schnell: „Nie im Leben!"

Die Worte sind schon heraus, als sie begreift, daß sie das nicht hätte sagen sollen. Die Mutter macht ihr wütende Zeichen hinter dem Rücken von Fritz Lang und der Harbou.

Fritz Lang beginnt zu lachen:

„Sie wollen also keine Schauspielerin werden? Oder darf man noch Du zu Ihnen sagen?"
„Sagen Sie von mir aus, was Sie wollen." „Du bist nicht sehr freundlich!" „Was hast du denn gegen die Schauspielerei?" will Thea von Harbou wissen. Brigitte nimmt ihren ganzen Mut zusammen.

„Das ist nämlich so ... Ich meine, das ist doch kein ernsthafter Beruf! Wenn man Kinderärztin wird, dann ist man doch zu etwas gut auf der Welt!" Sie wird nun ganz sachlich, die junge Brigitte. „Aber Schauspielerin? Das stimmt doch alles nicht. Das ist doch unecht!"

Plötzlich fällt ihr das Wort ein, nach dem sie die ganze Zeit gesucht hat, und mit der Überzeugung einer Sechzehnjährigen ruft sie: „Schauspielerei ist unmoralisch!"

Die Mama ist zu Tode erschrocken. „Bitte hören Sie doch nicht auf das, was meine Tochter da sagt!" fährt sie dazwischen. „Sie weiß ja gar nicht, was sie sagt... Sie ist ja noch so jung!"
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Fritz Lang wischt sich die Lach-Tränen vom Monokel.

„Na, dann wollen wir mal eine Probeaufnahme machen!" Niemand kümmert sich um die Proteste Brigittes. Sie wird in eine Garderobe geführt und hergerichtet. Von Zeit zu Zeit wirft sie einen Blick in den Spiegel und sieht mit Unbehagen, daß ihre Augen immer größer werden.

Die freundliche junge Frau, die sie geschminkt hat, nimmt sie bei der Hand und bringt sie ins Atelier zurück. „Die Möbel mal aus der Ecke raus!" donnert Fritz Lang. „Wir brauchen Platz für unsere junge Diva!"

Ein paar Bühnenarbeiter eilen herbei und zerren riesige Lehnstühle und einen altdeutschen Tisch aus der Ecke. „Also komm mal her!" sagt Fritz Lang zu Brigitte, und sich umwendend brüllt er: „Scheinwerfer!"
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Die ersten Filmaufnahmen mit Brigitte Helm

Eine Menge Scheinwerfer werden herbeigeschleppt und auf Brigitte gerichtet. Da steht sie plötzlich ganz allein in der leeren Dekoration, angestrahlt von tausend Lampen - so scheint es ihr jedenfalls.

So hell war es noch nie um sie! Sie hat das Gefühl, nackt und bloß zu sein. Am liebsten würde sie weglaufen und sich irgendwo verbergen. Aber sie kann keinen Schritt tun. Sie kann überhaupt nichts sagen. Sie ist von den vielen Lichtern geblendet. Wie aus weiter Ferne hört sie die Stimme Längs, der den Beleuchtern etwas zuruft, worauf das Licht noch stärker wird.

Dann spürt sie Langs Hand. „Du mußt ein paar Schritte weiter nach links treten!" Er wartet gar nicht, bis sie das tut. Er gibt ihr einen kleinen Stoß, und schon steht sie da, wo er sie haben will.

Zehn Sekunden geschieht nun gar nichts. Zehn Sekunden? Zehn Jahre. Eine Ewigkeit.
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Vor Schreck stumm - verblüfft oder irritiert

Dann hört sie Lang fragen: „Willst du uns nicht etwas vorspielen?" Was soll sie spielen? Soll sie irgend etwas aufsagen, was sie in der Schule gelernt hat, vielleicht die Rolle der Maria aus dem Krippenspiel? Den Monolog der Turandot von Schiller? Aber sie weiß die Worte nicht mehr!

Sie weiß überhaupt nichts mehr ... Es scheint ihr, als habe sie alles vergessen, was sie je im Leben gewußt hat; wo sie ist, wie sie heißt ... Die unregelmäßigen lateinischen Verben ... Den pythagoräischen Lehrsatz ... Auf welchem Breitengrad liegt Paris ... ? Wann war die Schlacht von Waterloo? Welches Volk nährte sich von Ackerbau und Viehzucht ...? Nichts ... Nichts. Alles ist leer. Sie hat alles vergessen. Ihr Kopf ist leer.
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„Wir hören nichts!" stellt Fritz Lang lakonisch fest.

Irgend jemand drückt ihr ein Blatt Papier in die Hand. Sie hört Lang: „Ein Brief ist soeben für dich gekommen! Willst du uns nicht sagen, was in dem Brief steht?"

Ein Brief? Wer soll ihr einen Brief schreiben? Wer weiß denn überhaupt, daß sie hier ist? Das ist doch alles Quatsch! Sie preßt die Lippen aufeinander. Sie wird kein Wort sagen. Nein, kein Wort! Jetzt hört sie Lang aufgeregt rufen: „Dein Vater kommt! Sieh doch: Dein Vater!"

Und jetzt kommt Langs Trick

Und im gleichen Augenblick steht ein Mann vor ihr, den sie noch nie im Leben gesehen hat, ein Schauspieler natürlich, mit einem blonden germanischen Bart. „Was hast du da?" herrscht er sie an. „Ich?"
„Ja." Der Schauspieler deutet auf den Brief, und instinktiv versteckt ihn Brigitte hinter ihrem Rücken.

„Ich habe alles gesehen!" donnert der sogenannte Vater. „Was versteckst du da?" „Einen Brief!" flüstert Brigitte. „Und was steht in dem Brief?" „Eine Freundin schrieb, daß Nixe ..." „Wer ist Nixe?"
„Das ist der Hund meiner Freundin!" Und jetzt weiß sie, was sie sagen will. „Meine Freundin schreibt, daß Nixe zwölf Junge bekommen hat!"
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Schallendes Gelächter im ganzen Atelier.

„Danke!" ruft Lang, klatscht in die Hände, und die Scheinwerfer gehen aus. Es dauert ein paar Sekunden, und dann kann Brigitte wieder sehen.

Was sieht sie? Eine unendliche Halle, leer und kalt. Die anderen sind kilometerweit von ihr entfernt. Sie ist allein. Sie steht ganz allein in dieser leeren, kalten Halle.

Sie spürt es mit unendlicher Beklommenheit - sie wird es noch oft spüren in den Jahren, die folgen, sie wird sich noch oft so allein fühlen in den riesigen, leeren und kalten Hallen, in denen der nächste Mensch so weit weg zu sein scheint, so unendlich weit weg.

„Du hättest dich ein bißchen mehr anstrengen können!" erklärt die Mama, während Brigitte abgeschminkt wird.

Brigitte fühlt wieder Trotz in sich aufsteigen, während sie sich ihr fettiges Gesicht trocken reibt. „Warum?" gibt sie zurück. „Ich will ja keine Schauspielerin werden!" Die Mama schüttelt den Kopf. „Ich will ja nur dein Bestes!"

Als sie das Atelier verlassen, steht Thea von Harbou in der Nähe der Tür. „Sie werden von uns hören!" Brigitte ist noch nicht sechzehn. Sie weiß wenig vom Leben. Aber sie weiß: wenn jemand solch einen Satz sagt, wird man nie wieder von ihm hören. Das ist eine Absage - Gott sei Dank!
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Brigitte möchte gleich ins Internat zurück

„Ich möchte am liebsten gleich ins Internat zurück", sagt sie zur Mutter, während sie mit der Stadtbahn fahren. „Ich versäume gerade jetzt so viel!" Die Mutter nickt: „Mir ist alles recht."

Brigitte ist überzeugt davon, daß sie nie wieder an diese schrecklichen Stunden in Babelsberg zurückdenken wird. Sie wird mehr denn je in der Schule arbeiten. Sie wird ihr Abitur machen. Sie wird studieren. Aber da irrt sie.

Irgendwie hat es sich im Internat herumgesprochen, daß sie eine Probeaufnahme gemacht hat. Wie das gekommen ist, wird sie nie ganz begreifen, denn sie hat sich nur einer einzigen Freundin anvertraut, ihrer besten.

Und sie hat ihr nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit die Geschichte von der erzwungenen Probeaufnahme erzählt.

Die Freundin macht Kulleraugen vor Begeisterung!

Probeaufnahme! Die Freundin macht Kulleraugen vor Begeisterung!

Es kommt nicht jeden Tag vor, daß man eine Freundin hat, die eine Probeaufnahme machen darf! Natürlich muß man das mindestens einer anderen Freundin weitererzählen, sonst würde man ja platzen! Natürlich nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit! Natürlich, nachdem verschiedene Eide geschworen worden sind!

Und natürlich kann diese andere Freundin ihren Mund auch nicht halten. Warum sollte sie auch? Die Mathematiklehrerin ist immer so ekelhaft! Die tut immer so, als ob ihre Schülerinnen es nie zu etwas bringen würden!

Es geschieht dieser gräßlichen Person ganz recht, wenn sie erfährt, daß noch nicht aller Tage Abend ist. „Meine Freundin Brigitte wird ein großer Filmstar werden! Dazu braucht sie keine Mathematik!" Das Wort ist heraus!
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Ganz plötzlich wissen es alle im Internat

Eine Stunde später wissen sämtliche Lehrerinnen von der Probeaufnahme.

Brillen werden mit wilder Empörung geputzt. Zwicker energisch zurechtgesetzt. „Eine Probeaufnahme, sagen Sie?" „Unerhört!"
„Ich sage Ihnen ja, diese modernen jungen Mädchen ... !*
Jedenfalls wird Brigitte wiederum zur Vorsteherin gerufen.
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Das war eben die Moral der alten Tanten und dieser Zeit

Diesmal ist keine Rede davon, daß die Mutter krank darniederliegt. Die Vorsteherin sagt: „Sie packen am besten Ihre Sachen zusammen und fahren zu Ihrer Mutter zurück!"

Brigitte fällt aus allen Wolken. Und dann muß sie erfahren: „Dieses Institut hält etwas auf seinen Namen. Film! So etwas ist sicher gut und schön ... aber wir hier wollen nichts damit zu tun haben. Ich glaube, es ist besser für Sie, Fräulein Helm, wenn Sie sich nach einer anderen Schule umsehen!" Und nach einer kleinen Pause: „Aber vermutlich werden Sie ja gar nicht mehr auf die Schule wollen! Beim Film braucht man keine Allgemeinbildung, hat man mir gesagt!"
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Für Brigitte Helm war es ein traumatisches Erlebnis

Sie weint, während sie ihre Sachen zusammenpackt. Sie weint, weil sie unglücklich ist. Und sie weint aus Wut. Dieser verfluchte Film! Diese idiotischen alten Germanen mit ihren blonden Barten! Stammelnd erzählt sie der Mutter, was ihr geschehen ist. Die verliert die Fassung nicht.

„Es ist ganz gut, daß es so gekommen ist. Du hättest ja doch von der Schule abgehen müssen, wenn Herr Lang dich engagiert!" „Aber er denkt gar nicht daran, mich zu engagieren. Verstehst du das denn nicht? Er hat mich doch längst vergessen! Das alles war ein Spaß, nichts weiter! Und überdies will ich nicht Schauspielerin werden! Ich will nicht! Ich will nicht!"

Die Frau Mama lächelt. „Lang wird bald von sich hören lassen. Vielleicht schon morgen, spätestens nächste Woche!" Aber Lang läßt nichts von sich hören. Nicht morgen und nicht in einer Woche. Fast ein Monat vergeht.
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Dann klingelt das Telefon - endlich.

„Hier ist die UFA!" meldet sich eine Frauenstimme. „Einen Augenblick, ich verbinde mit Herrn ..."

Weder Brigitte noch ihre Mutter werden je erfahren, wer der Herr ist, mit dem die Verbindung hergestellt wird. „Ich spreche im Auftrage von Herrn Lang. Herr Lang läßt sich entschuldigen, aber er ist leider in einer wichtigen Besprechung. Herr Lang wollte Sie nur wissen lassen, daß die Probeaufnahme gelungen ist... ! Herr Lang wird sich in Bälde wieder melden ..." - Der Herr hängt ab.
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Auch Fritz Lang erlebt wieder eine neue Erfahrung mehr

Was nun den Nibelungen-Film angeht, so sprengt er nicht nur in puncto Kosten alle Kalkulationen. Seine Drehdauer stellt ebenfalls alles bisher Dagewesene in den Schatten.

Noch am Abend der Premiere des zweiten Teils sitzt Fritz Lang in Babelsberg und schneidet und klebt den letzten Akt.

Später, auf der Siegesfeier, die Thea von Harbou veranstaltet, erfährt er, daß dieser letzte Akt zu spät gekommen ist, daß er gar nicht mehr vorgeführt wurde.

Und das Publikum hat es nicht gemerkt ........
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Der jungen Joseph Goebbels - „Wenn wir einmal dran sind"

Die stärkste Wirkung übt er vielleicht auf einen jungen Mann aus dem Rheinland aus, der so gar nicht aussieht wie die Recken auf der Leinwand, der klein und schmal und dunkelhaarig ist "und ein wenig hinkt".

Dieser junge Mann hat noch vor kurzem geschwankt: soll er in das Lager der extremen Linken, zu den Kommunisten gehen, oder ganz nach rechts. Denn radikal ist er - oder will er sein.

Der Nibelungen-Film wird ein bestimmender Faktor im Leben des jungen Joseph Goebbels. Er weiß sich vor Begeisterung über ihn nicht zu fassen. National muß man sein - nationalistisch!

„Wenn wir einmal dran sind", wird er noch oft ausrufen, „drehen wir den Nibelungen-Film noch einmal! Noch besser! Noch größer!" Und das Unwahrscheinliche geschieht: Goebbels kommt „dran".

Aber er wird keinen zweiten Nibelungen-Film drehen lassen. Denn er hat keinen zweiten Fritz Lang, der das könnte, der das so könnte!
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