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"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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DIE TRAGÖDIE DER TREUEN

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Etwas über die, die in Berlin geblieben waren - Henny Porten

Henny Porten hat sich nie um Politik gekümmert. Von Hitler und seinen Kumpanen weiß sie nichts. Die sogenannte „Machtergreifung" machte nicht den geringsten Eindruck auf sie. Sie kümmert sich nicht um die Nazis und nimmt an, daß auch diese sich nicht um sie kümmern werden -, was sich in kurzer Zeit als schwerer Irrtum herausstellen soll.

Noch ahnt Henny Porten nicht, was diese Nazis in Wirklichkeit sind, welcher Verbrechen sie fähig sind. Noch glaubt sie, wie viele andere Deutsche, „daß alles vorübergehen wird".

Und dann weiß sie plötzlich, daß auch sie selbst betroffen ist. Ihr Mann gehört zu denen, die „rassisch" nicht tragbar sind. Jawohl, Dr. von Kaufmann - jener Arzt, der sie vor zehn Jahren gesund pflegte und dann ihr zuliebe sein Sanatorium in Garmisch-Partenkirchen aufgab und ihr nach Berlin folgte, um Filmproduzent zu werden .....
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Henny Portens Mann ist in den Augen der Nazis Jude.

Was tut es, daß seine Familie um ihrer besonderen Verdienste willen geadelt wurde, was tut es, daß der Vater einer der bekanntesten Gelehrten Deutschlands war, daß seine Sammlung antiker Kunstwerke eine Sehenswürdigkeit ist, um die die ganze Welt Deutschland beneidet?

Was tut es, daß Dr. Wilhelm von Kaufmann mehr deutsche Kultur im Leibe hat als ein halb Dutzend SA-Stürme zusammen?

Die Großeltern waren Juden, also ist er Jude. Die Porten erfährt also, daß sie in einer „Mischehe" lebt. Nun wird es plötzlich ruhig um sie. So plötzlich, daß diese Ruhe sie wie ein Keulenschlag trifft. Sie, die in ihrer ersten Zeit zwölf Filme im Jahr gemacht hat, sie, die in den zwanziger Jahren vier große Filme pro Jahr drehte, sie, die, um einen Film zu machen, drei, vier Angebote ausschlagen mußte, erhält keine Angebote mehr.

Niemand kümmert sich um sie; sie scheint, obwohl sie mitten in Berlin wohnt, auf einem anderen Planeten zu leben. Die viel Umworbene ist plötzlich ganz isoliert, ist ganz einsam geworden.
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Durch Zufall - ein Treffen mit Emmy Sonnemann

Im Fahrstuhl des Hamburger Atlantic-Hotels stößt sie auf Emmy Sonnemann, die Freundin Görings. Die spricht sie an. „Wie geht es Ihnen, meine liebe Frau Porten?" „Ich bin sehr unglücklich ..."

Als Emmy die Gründe dafür hört, sagt sie: „Ich wußte von alledem nichts. Es muß etwas geschehen. Sie bekommen Nachricht."

Ein paar Tage später wird Henny Porten zu Göring zum Tee geladen. Göring sagt ihr, daß er schon als Leutnant im ersten Weltkrieg ein großer Verehrer ihrer Kunst gewesen sei.
Dann: „Mit Ihnen muß eine Ausnahme gemacht werden; eine Frau, die so viel für den deutschen Film getan hat!" Ein paar Tage später wird sie wieder zu Ministerpräsident Göring bestellt. „Ich habe mit dem Führer gesprochen. Ihr Mann ist doch Halbjude?" „Nein, nach den Gesetzen des Dritten Reiches ist er Voll Jude."

Göring macht ein unglückliches Gesicht. „Ach, um Gottes willen! Der Führer hatte mir nämlich versprochen, Ihrem Mann den Reichsbürgerbrief zu geben. Unter diesen Umständen geht es natürlich nicht. Aber ich werde wenigstens dafür sorgen, daß Sie arbeiten dürfen. Der Film untersteht zwar eigentlich Goebbels, aber wir wollen sehen."
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Goebbels hat überalle seine Finger drin

Tatsächlich schließt das Deutsche Lichtspielsyndikat vier Wochen später einen Vertrag mit Henny Porten ab. Aber Goebbels, wütend, daß Göring sich eingeschaltet hat, sorgt dafür, daß man ihr nur ein paar Statistenrollen anbietet.

Als sie ablehnt, läßt Goebbels ihr mitteilen, er könne sie nicht mehr beschäftigen. Es wird mehr als zwei Jahre dauern, bis Henny Porten eine neue Rolle bekommt.
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Albers steckt in ähnlichen Schwierigkeiten wie Henny Porten.

Die Frau, mit der er seit vielen Jahren zusammenlebt, die Tochter des bekannten Schauspielers Eugen Burg, ist „rassisch" nicht tragbar - wenigstens nicht für Goebbels.

Zu einem Regisseur, von dem er weiß, daß er Albers alles wiedererzählen wird, sagt er: „Es macht mich geradezu krank, daß dieser blonde, blauäugige Mann, das Ideal so vieler deutscher Frauen, mit einer Jüdin zusammenlebt.

Und er fügt hinzu: „Sagen Sie Herrn Albers, er soll meine Geduld nicht mißbrauchen." Der Regisseur heuchelt, daß er nicht wisse, wovon der Minister redet.

Der kleine Goebbels wird ungeduldig. „Er muß sich von Frau Burg trennen! Sofort! Wenn ich sein Freund wäre, würde ich ihm diesen guten Rat geben." Noch am gleichen Abend hört Albers, was Goebbels gesagt hat. Er wird so wütend, daß es einen Augenblick scheint, als wolle er den Tisch, an dem er sitzt, mit der bloßen Faust zertrümmern. „Sagen Sie Herrn Dr. Goebbels, er soll sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern! Ich lasse mir in mein Privatleben nicht hineinreden!"
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Auch Renate Müller hat einen Freund in Berlin

Als Hitler an die Macht gekommen ist, war Renate Müller in Kairo, um unter Reinhold Schünzels Regie ein Lustspiel zu drehen. Sie nahm kaum Notiz von dem, was in Deutschland vorging. Sie nahm auch Schünzel nicht ernst, der düster erklärte: „Vielleicht gehe ich gar nicht mehr zurück ..." Um so furchtbarer ist der Schock, der Renate Müller trifft, als sie nach Berlin zurückkommt.

Ihr Freund (Georg Deutsch, Sohn eines Bankiers und - Jude) macht am Telefon geheimnisvolle Andeutungen, kommt erst spät abends zu ihr, als die Dienstboten bereits schlafen gegangen sind. Renate wirft einen Blick auf ihn und sieht erschrocken, daß er totenbleich ist.

Er sagt: „Ich bin nicht mit dem Wagen hergekommen. Ich bin die letzten paar hundert Meter zu Fuß gegangen." „Was hast du? Was ist los? Sprich schon!"
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„Ich muß fort!"

Er versucht zu lächeln. Renate ist fassungslos. „Fort? Wohin?" „Ich muß aus Berlin fort... aus Deutschland!" - „Eine Reise?" - Der Freund lächelt bitter. „Es wird eine lange Reise werden." „Aber so erkläre doch!"

Er erklärt. Man darf ihn nicht mehr mit Renate Müller sehen. „Das wäre gefährlich für deine Karriere. Ich möchte auch nicht mehr zu dir kommen. Und du darfst auf keinen Fall zu mir kommen ... !" Und dann sagt er: „Schließlich bin ich Jude!"

„Dieses ganze Gerede gegen die Juden! Das ist doch alles Unsinn." „Ich fürchte, du hast Unrecht. Sie werden alles durchführen, sie sind ... Verbrecher!" Zwei, drei Tage später läßt Goebbels Renate Müller mitteilen, daß es in ihrem Interesse besser sei, wenn sie ihren Freund nicht mehr sähe.

Sie will auffahren, bezwingt sich aber, zuckt die Achseln. Niemand wird sie zwingen können, den Mann, den sie liebt, nicht mehr zu sehen. Als sie ihn eine Stunde später anrufen will, erfährt sie, daß er bereits nach London "abgereist" ist.
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Renate Müller hat einen Vertrag mit der UFA.

Sie würde, ginge es nach ihr, mit dem nächsten Flugzeug nach London fliegen. Was liegt ihr an Ruhm, Karriere, an ihren großen Gagen, wenn sie dem einzigen Menschen, den sie liebt, nicht mehr gehören darf?

Aber sie hat einen Vertrag mit der UFA. Sie muß den „Walzerkrieg" drehen. Sie muß lächeln, sie muß tanzen, sie muß singen. Ihr Publikum braucht sie mehr denn je, ihr Publikum will in diesen turbulenten Zeiten abgelenkt und amüsiert werden.

Der Regisseur des „Walzerkrieg" ist Ludwig Berger. Jawohl, Ludwig Berger! Weiß denn Goebbels nicht... ? Er muß wohl. Aber das Propagandaministerium erhebt keinen Einspruch gegen Berger.

Schon sind es einige Monate her, daß Hitler an der Macht ist, aber noch immer kann man nicht sehen, worauf Goebbels nun eigentlich hinauswill.
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H. Porten und H. Albers haben noch mehr Schwierigkeiten.

Das „Testament des Dr. Mabuse" bleibt verboten, und der berühmte „M"-Film soll, wie das Propagandaministerium unter der Hand verbreiten läßt, nicht gespielt werden, er wird aber erst im Sommer 1934 offiziell verboten werden.

Übrigens wird ein paar Jahre später auch die „Frau im Mond" verboten werden, als nämlich Hitler den Auftrag gibt, mit Raketen zu experimentieren, und Professor Oberth, der Verfasser des Buches „Die Möglichkeit der Weltraumfahrt", der Fritz Lang beraten hat, sich nach Peenemünde zurückzieht. Dort wird er viele, viele Jahre später die V2-Rakete konstruieren .....
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Das Ganze mit der Abstammung ist verworren und konfus

Auf der einen Seite also Zensur auch von längst gespielten Filmen und Zensur des Privatlebens. Auf der anderen Seite ist es möglich, daß Ludwig Berger einen Operettenfilm, den „Walzerkrieg", in Babelsberg drehen darf.

Renate Müller spielt also die weibliche Hauptrolle im „Walzerkrieg", und zum ersten Male seit vielen Jahren genügt es nicht, daß sie ist, was sie ist. Sie muß sich als Schauspielerin bewähren.

Sie muß Fröhlichkeit markieren, obwohl sie am liebsten weinen möchte. Es ist die uralte Geschichte des „Lache, Bajazzo!", die sich hier abspielt. Es ist eine herzzerreißende Geschichte - für diejenigen, die Renate Müller kennen.

Sie, die um Erfolg zu haben, nur zeigen mußte, wie es ihr ums Herz war, darf jetzt alles, nur das nicht. Sie muß sich verstellen. Sie muß lügen - zumindest so lange, wie sie vor der Kamera steht.

Und sie bekommt es tatsächlich fertig, die meisten Menschen zu täuschen. Nur wenige wissen, was es sie kostet, diesen „Walzerkrieg" durchzustehen. Kaum einer weiß, daß sie die Verbindung zu dem Freund nicht abgebrochen hat. Wann immer sie zwei oder drei Tage erübrigen kann, fliegt sie nach London oder trifft sich mit ihm in Paris oder an der Riviera. Und das ist gar nicht so leicht, denn sie muß immer neue Ausreden ersinnen.
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Eine Warnung - Goebbels ist falsch und gefährlich

Einmal nimmt Corell sie beiseite: „Seien Sie vorsichtig, Renate! Goebbels ist ein gefährlicher Bursche.. ." Es wird immer schwerer für Renate Müller, sich zu verstellen, heiter und unbeschwert zu wirken, immer unerträglicher, ohne den geliebten Mann zu leben.

Und dann meldet sich ein neuer Liebhaber: Adolf Hitler. Der Propagandaminister hält es nämlich für eine ausgezeichnete Idee, den „Führer" mit einer Frau zu verkuppeln, die ja nun wirklich das leibhaftig gewordene Rassenideal ist: blond, blauäugig, fraulich, schön.

Also wird Renate in die Reichskanzlei geladen. Ihr Tischherr ist Adolf Hitler. Man sitzt zu zwölft um den ovalen Tisch herum.

Eine Woche später eine neue Einladung.

Diesmal ist man in ganz kleiner Gesellschaft. Hitler hat nur fünf Gäste geladen. Zwei Tage später telefoniert Goebbels: „Der Führer erwartet Sie in der Reichskanzlei. Sie werden mit ihm allein essen!" Darauf Renate Müller: „Es tut mir außerordentlich leid, aber ich fühle mich nicht wohl und werde nach der Arbeit im Atelier sofort ins Bett gehen!" Goebbels glaubt nicht recht gehört zu haben. Wie? Der „Führer" ist bereit, sich mit Renate Müller einzulassen - und sie lehnt es ab?

Ist diese Müller so dumm? Nein, so dumm kann gar niemand sein! Vielleicht ist sie wirklich unpäßlich ... Drei Tage später ruft Goebbels wieder an. „Wenn Sie sich morgen abend freimachen könnten, Frau Müller. Nur der Führer, meine Frau und ich ..." „Ich bin leider schon vergeben", erwidert Renate Müller eisig.
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Das war nicht sehr klug, eher ein Fehler .....

Weiß sie, daß sie sich mit dieser eindeutigen Absage den Zorn des allmächtigen Propagandaministers zuzieht, von Hitler ganz zu schweigen? Sie muß es wissen. Sie ist ja eine kluge Frau. Und sie sieht, daß täglich Menschen von der Gestapo abgeholt werden und in Konzentrationslagern für immer verschwinden.

Goebbels rast. Wenn er könnte, wie er wollte, würde er Renate Müller sogleich auf seine schwarze Liste setzen. Aber das geht denn doch nicht, dazu ist sie zu populär. Es würde Schwierigkeiten geben, man würde peinliche Fragen stellen ... Nein, auf beruflichem Gebiet kann er nichts gegen sie unternehmen.

Aber es gibt ja noch andere Möglichkeiten. Schon eine Stunde später unterhält er sich mit einem hohen Beamten der Gestapo. „Ich möchte, daß Frau Müller dauernd unter Beobachtung gestellt wird, auch auf ihren Auslandsreisen!"

Und nun beginnt eine Hetzjagd hinter Renate Müller her, eine Hetzjagd, die erst viel später, erst mit ihrem Tode enden wird.
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DAS UNTERNEHMEN QUEX

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Heinrich George stand dem Kommunismus nahe.

Einer, der in diesen Wochen und Monaten begreiflicherweise große Schwierigkeiten hat, ist Heinrich George. Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen war er politisch interessiert, ja, man darf wohl sagen, politisch festgelegt.

Während etwa Werner Krauß sich überhaupt nicht um Politik
kümmerte, während Emil Jannings die Nazis so unsympathisch fand, daß er vorübergehend mit der Idee spielte, überhaupt nicht mehr nach Deutschland zurückzukommen, aber dessen Antipathie doch weniger politisch als menschlich fundiert war, hatte Heinrich George ganz bestimmte politische Bindungen, stand dem Kommunismus nahe.

Mag sein, daß er nicht Mitglied der Partei war, wie er später behauptete, obwohl andere, die es eigentlich wissen müßten, das Gegenteil zu bezeugen bereit waren. Immerhin war seine politische Einstellung nicht unbekannt.

Er bevorzugte Stücke und auch Filme, in denen radikale Ideen gestaltet waren. Er rezitierte bei jeder nur erdenklichen Gelegenheit revolutionäre Gedichte. Er schloß sich dem kommunistischen Regisseur Erwin Piscator an.

Er befreundete sich mit Ernst Legal, dem letzten Intendanten des Staatlichen Schauspielhauses, bevor die Nazis dort einzogen. Und so sehr glaubte er zu wissen, wohin er gehörte, daß er in seinen Vertrag mit dem Schauspielhaus einen Passus aufnehmen ließ, der ihm erlaubte, diesen Vertrag fristlos zu lösen, falls Legal seine Stellung verlöre ...

Ein gewisser Franz Ulbrich und sein bescheidenes Talent

Der erste Nazi-Intendant des Staatlichen Schauspielhauses, ein gewisser Franz Ulbrich, (Anmerkung : es war bereits der zweite Intendant mit NAZI Einstellungen) bisher Leiter des Theaters in Weimar, dessen Talent nicht einmal für diesen Posten ausreichte, ist aus einem bestimmten Grunde von Göring nach Berlin geholt worden: im Weimarer Ensemble Ulbrichs befindet sich die Schauspielerin Emmy Sonnemann, und Göring will Emmy Sonnemann, die er später heiraten wird, in Berlin haben.

Dieser Ulbrich, der tatsächlich glaubt, man habe ihn seiner eigenen Talente wegen nach Berlin geholt, findet nun wiederum Frau Sonnemann nicht talentiert genug für Berlin und macht vorerst keine Anstalten, sie in die Hauptstadt zu holen.

Er begreift viel zu spät, um seine Position retten zu können - und Frau Sonnemann wird am Staatstheater engagiert.
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Eine einzige abfällige Bemerkung - und aus ist's

Heinrich George, der ebenso wenig weiß, was es mit Frau Sonnemann auf sich hat, und worauf sich ihre Berechtigung, am ersten Theater Deutschlands eine erste Position zu beziehen, gründet, macht eine abfällige Bemerkung über die Kollegin während einer Probe.

Er meint, Frau Sonnemann sei wohl nicht besonders talentiert - George sagt es vielleicht in etwas weniger gewählten Worten - und daß man ihm nicht zumuten könne, mit ihr aufzutreten.

Der Intendant Ulbrich vermutet, daß solche Worte Göring sehr schnell zu Ohren kommen werden - worin er übrigens irrt; denn Emmy Sonnemann ist vielleicht keine gute Schauspielerin, aber sie ist eine gute Kollegin.
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Ulbrich jedenfalls sucht nach einem Vorwand, George loszuwerden

...., und findet in seinen Akten jenen Vermerk, der George berechtigt, seinen Vertrag fristlos zu lösen, falls Ernst Legal seine Stellung als Intendant verlöre.

Wohlgemerkt: Legal ist von sich aus abgetreten, und Heinrich George hat gar nicht daran gedacht, seinen Vertrag zu kündigen. Aber für Ulbrich ist die Sache sonnenklar. Der Aktenvermerk bedeutet nicht mehr und nicht weniger als ein Beweis der Einstellung Georges gegen die Nazis. Ulbrich forscht weiter - und erfährt einiges über die kommunistische Vergangenheit des Schauspielers.

Er läßt ihn kommen und teilt ihm mit: „Sie sind entlassen!" Der Intendant Ulbrich verheimlicht auch nicht, warum er George hinauswirft. „Sie sind ja Kommunist!" Da er stark sächselt, sagt er „Gommunist". Als Göring ein paar Tage später erfährt, daß George entlassen ist, brüllt er seinen Intendanten an: „Sind Sie verrückt geworden? Das ist doch unser bester Mann!" „Aber er ist doch Gommunist!" „Wer Kommunist ist, bestimme ich!" sagt Göring, in solchen Augenblicken nicht ohne Humor.
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Franz Ulbrich versucht zu retten, was zu retten ist

Ulbrich sieht sich schon wieder im Weimarer Nationaltheater, wenn nicht überhaupt brotlos. Um sich zu retten, klatscht er: George habe doch erklärt, Frau Sonnemann sei nicht talentiert.

Göring grollt: „Warum erfahre ich das erst jetzt?"

Dann läßt er sich George kommen. Er brüllt ihn sehr lange und sehr ausgiebig an. Was kann George antworten? Jede Antwort wäre eine Freifahrkarte ins nächste Konzentrationslager.
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Heinrich George schweigt

Und siehe da, Göring beruhigt sich nach einer Weile. Jedenfalls wird George nicht verhaftet, nicht als er Görings Arbeitszimmer verläßt und auch nicht später. Er hat also Zeit zum Nachdenken.

Und wenn er nachdenkt, wenn er eine Bilanz macht, muß er sich sagen: in dieses Berlin, in dieses Staatstheater, in diese Zeit gehört er nicht. Alle seine Freunde, seine wirklichen Freunde am Theater und im Film haben Deutschland bereits verlassen.

Alle die Menschen, die in seiner Entwicklung eine Rolle gespielt haben, sind emigriert oder haben Hals über Kopf fliehen müssen. Die Autoren, mit deren Stücken oder Filmen er nach oben gekommen ist, stehen auf den schwarzen Listen.

George müßte eigentlich die Koffer packen und aus Deutschland verschwinden. Gewiß, er hat Familie. Aber noch ist es ja nicht so, daß die Gefahr des Verhungerns besteht.

Er hat viel Geld verdient. Und wenn er die Villa, wenn er das Auto, wenn er seine Bilder verkauft ... Aber an all dies denkt George nicht.
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George möchte nur um keinen Preis in die Fremde.

Er braucht die deutsche Bühne. Er hat geradezu Angst davor, nicht mehr spielen zu können, spielen zu dürfen. In der Folge erlebt man in Berlin ein seltsames Schauspiel. George besucht die Versammlungen der Nazis.

George, der höhnisch ausspuckte, wenn früher der Name Hitler fiel, spricht jetzt von dem deutschen Reichskanzler nur noch als seinem „Führer". George grüßt Leute, die er früher - mit Recht - über die Schulter angesehen hat, und schneidet andere, die er bisher grüßte.

Das alles hilft ihm nichts. Der Vertrag mit dem Staatstheater wird nicht erneuert. Und da man inzwischen überall in Deutschland weiß, daß Göring auf George nicht gut zu sprechen ist, wagt auch kein anderes Theater, ihn für eine Saison zu engagieren.

Es sieht so aus, als ob die Demütigungen, die George auf sich genommen hat, umsonst waren. Es sieht aus, als sei er erledigt - einer, der zu spät umgefallen ist.

Da erhält er ein höchst erstaunliches Angebot der UFA, das Angebot, in einem Propagandafilm für den Nationalsozialismus, einem Spielfilm, mitzuwirken.
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Auch Leni Riefenstahl erhält um diese Zeit ein ähnliches Angebot.

Sie hörte den Namen Adolf Hitler zum ersten Male im April 1932. Bis dahin hatte sie sich für Politik überhaupt nicht interessiert.

Aber der Mann Hitler interessierte sie schon deshalb, weil in einer Gesellschaft, in der sein Name - zum ersten Male vor ihr - fiel, so ungemein scharf über ihn debattiert wurde.

Die einen sagten, er sei ein Genie, zumindest ein Übermensch. Und die anderen sagten, er sei ein Verbrecher, und nicht einmal ein besonders gescheiter.

Sie ging in den Sportpalast, um sich Hitler anzuhören. Sie war sehr beeindruckt. Um ihre eigenen Worte zu gebrauchen: „Ich hatte die Vision einer ungeheuren Wassersäule, die den Horizont erschüttert..."
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Leni Riefenstahl wollte Hitler erstmal kennenlernen.

Da sie niemand kannte, der Hitler kannte, kaufte sie sich den „Völkischen Beobachter", stellte fest, daß es so etwas gab wie das „Braune Haus" in München, und schrieb dorthin.

Inzwischen bereitete die Universal für sie den Film „SOS Eisberg" vor. Sie sollte zu Außenaufnahmen nach Grönland fahren. Da kam in allerletzter Minute eine Nachricht von Hitlers Adjutanten Brückner. Sie sollte Hitler in der Nähe von Wilhelmshaven treffen. Man ging am Strand auf und ab.

Hitler sprach über den Tanz Leni Riefenstahls im „Heiligen Berg". Leni fand Hitler sympathisch, aber nicht gerade bedeutend. Schließlich sagt er: „Wenn wir an die Macht kommen, müssen Sie meine Filme machen!"
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Mai 1933 - Leni soll den Posten von Fritz Lang übernehmen

Im Mai 1933 - also etwa sechs Wochen nachdem Fritz Lang das ehrende Angebot von Goebbels, der „Führer des deutschen Films" zu werden, abgelehnt hatte - schlägt Hitler ihr vor, die „künstlerische Abteilung" des gesamten deutschen Films zu übernehmen.

Sie ist beeindruckt - fast alles, was Hitler jetzt sagt oder tut, beeindruckt sie - aber sie hat keine Lust, sich festzulegen.

Sie möchte ihre eigenen Filme nach eigenen Ideen machen, sie möchte nicht die Filme anderer beaufsichtigen. Hitler fragt: „"Wie wäre es mit einem Horst-Wessel-Film?" und muß zu seinem Schmerz erfahren, daß Leni Riefenstahl nicht einmal eine Ahnung davon hat, wer Horst Wessel war.
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Doch Leni plant einen anderen Film.

„Ich will das Leben von Mademoiselle Docteur verfilmen!" erklärt sie - und muß zu ihrem Schmerz erfahren, daß Hitler nicht ahnt, daß Mademoiselle Docteur die große deutsche Spionin des "Weltkrieges war. Übrigens wird sie diesen Film nie drehen, denn die deutsche Abwehr wird sogleich ihre Bedenken anmelden.

"Wie seltsam ... bisher hat Leni Riefenstahl, eine Privatperson innerhalb der Weimarer Republik, tun können, was sie wollte. Jetzt, da sie die gute Freundin des allmächtigen Hitler ist, kann sie nicht mehr tun, was sie will.

Adolf Hitler verfügt dagegen ......

Adolf Hitler verfügt, daß Leni Riefenstahl die offizielle Verfilmerin des großen Parteitages, der im September in Nürnberg stattfinden wird, werden soll. Goebbels trifft fast der Schlag, als er von der Absicht Hitlers erfährt.

Wie? Ist es nicht die Aufgabe des Propagandaministeriums, dafür zu sorgen, daß die Parteitage verfilmt werden?

Und wenn man schon einen Außenseiter heranholt, warum dann gerade eine Frau?

Und wenn eine Frau, warum dann gerade Leni Riefenstahl, mit der er so schlecht steht - wenn man überhaupt von „stehen" sprechen kann.
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Goebbels sabotiert, unterminiert und intrigiert - gegen Leni

Was hinter den Kulissen des Propagandaministeriums im einzelnen und der anderen sogenannten Dienststellen vorgegangen ist, wird auch später nie zu erfahren sein.

Tatsache ist jedenfalls, daß man es Leni Riefenstahl nicht mitteilt, sie solle den ersten Parteitag verfilmen. Die entsprechende Weisung wird einfach nicht weitergeleitet.
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Erst drei Tage bevor der Parteitag beginnt, platzt die Bombe. Hitler läßt Leni Riefenstahl kommen und fragt sie: „Wie weit sind Sie mit den Vorbereitungen zum Parteitag-Film?" Es stellt sich heraus, daß sie mit den Vorbereitungen noch nicht begonnen hat, weil sie davon gar nichts wußte.
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Hitler beginnt zu toben

Hitler beginnt zu toben, erklärt allen, die gerade anwesend sind, daß er es unerhört fände, wie man seine Anweisungen sabotiere. Leni, so befiehlt er, soll dennoch nach Nürnberg fahren, soll sich die Sache wenigstens ansehen, soll auch ein paar Aufnahmen machen, damit der Parteitag-Film im nächsten Jahr um so besser gerate.

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