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"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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POLA NEGRI UND EMIL JANNINGS

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Die große Chance kommt für Lubitsch ganz plötzlich.

Davidson läßt ihn rufen. „Mein lieber Lubitsch, ich möchte, daß Sie einen ernsten Film für mich drehen." Er sagt nicht, mit wem. Lubitsch lacht bitter.

„Das will doch kein Mensch von mir wissen! Die Leute sind zufrieden, wenn ich sie lachen mache, wenn sie über mich lachen können. Keiner wird mich in einem ernsten Film sehen wollen!"

„Sie sollen auch gar nicht zu sehen sein, Sie sollen nicht mitspielen, Gott behüte! Sie sollen Regie führen." „Wenn die Leute nur den Namen Lubitsch sehen, platzt ihnen das Zwerchfell. Nein, ein ernster Film ist nichts für mich." Davidson sieht ihm nach.

Dieses Lachen hat ihm nicht gefallen. Lubitsch hat nicht gelacht wie einer, der etwas lustig findet. Er hat gelacht wie ein Verzweifelter. Ich werde da etwas unternehmen müssen, denkt Davidson. Aber auf mich hört er ja nicht, dieser Dickschädel!

Pola Negri kommt ins Spiel - mit etwas List

Ich werde mich hinter der Negri verschanzen. Er ruft seine Sekretärin: „Verbinden Sie mich mit Fräulein Negri."

Und dann sagt er: „Meine liebe Pola ... ich glaube, mit dem Film wird es doch nichts! Ich hatte da einen jungen Regisseur im Auge, der wäre gerade der Richtige gewesen. Aber der will nicht."

Die Negri ruft wütend ins Telephon: „Werr will nicht? Warrum? Wieso? Werr ist Regisseur, der hat Kühnheit, mich abzulehnen?" „Der Regisseur heißt Ernst Lubitsch", sagt Davidson. Und hängt ab.

Pola Negri heißt eigentlich Appolonia Chalupek

Pola Negri heißt eigentlich gar nicht Pola Negri, sie heißt Appolonia Chalupek und ist in Lipno bei Warschau geboren. Niemand weiß genau wann. Mit acht Jahren jedenfalls wird sie in die Ballettschule des Warschauer Nationaltheaters aufgenommen.

Mit fünfzehn oder sechzehn spielt sie schon Theater. Wieder ein Jahr später schreibt sie einen zum Teil autobiographischen Film mit dem vielsagenden Titel „Liebe und Leidenschaft" - sie ist ja nun schon siebzehn!

Sie inszeniert ihn auch und spielt die Hauptrolle. Daraufhin macht die Firma, die ihn gedreht hat, bankrott. Der Weltkrieg bricht aus.

Max Reinhardt kommt nach Warschau

Max Reinhardt kommt nach Warschau, sieht sie in einer Pantomime „Sumurun". Er kennt das Stück. Er hat es vor vielen Jahren selbst einmal inszeniert und vor einigen Wochen wieder in den Spielplan seiner Kammerspiele aufgenommen.

Es handelt sich um ein Märchen a la tausendundeine Nacht, eine ziemlich alberne Geschichte eines alten Scheichs, der maßlos eifersüchtig ist, und das mit Grund. Denn seine Geliebte Sumurun betrügt ihn mit seinem Sohn; da ist noch ein nicht minder eifersüchtiger Buckliger, der zuletzt den Scheich umbringt. Den spielt übrigens Ernst Lubitsch.
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Die Negri versetzt Reinhardt in Begeisterung.

Sie ist ungewöhnlich schön, mittelgroß, nicht besonders schlank, mit schwarzen Haaren, schwarzen Augen. Wo immer sie erscheint, erregt sie Aufsehen.

Mehr noch, sie hat ein einmaliges Temperament. Ein Temperament? Sie ist ein Orkan. Wenn sie einen Raum betritt, fegt sie gewissermaßen alles zur Seite.

Was sie will, setzt sie durch. Und sie will eine Menge. Vor allem will sie nach Berlin. Warschau ist Provinz, Berlin ist, selbst im Krieg, die Theater-Hauptstadt der Welt.

Reinhardt holt Pola Negri nach Berlin

Reinhardt holt sie also nach Berlin. Er kann sie freilich nicht spielen lassen. Sie spricht ein entsetzliches Deutsch. Aber da er die Pantomime „Sumurun" auf dem Spielplan seiner Kammerspiele hat, läßt er sie - in zweiter Besetzung - auftreten.

So lernt sie Lubitsch kennen, der ebenfalls in „Sumurun" auftritt. Sie macht als Frau auf ihn einen gewaltigen Eindruck. Er macht als Mann auf sie keinen Eindruck.

Aber wenn er von Regie spricht oder gar von der Zukunft des Filmes, fasziniert er sie sofort. Sie spürt sogleich: dieser Wicht könnte aus ihr unendlich viel herausholen.

Wenn beide im Konversationszimmer auf ihren Auftritt warten, entwerfen sie die Zukunft der Filmindustrie, in der Lubitsch vorläufig eine so winzige Rolle spielt und die Negri überhaupt keine.

Paul Davidson (von der UFA) besucht die Vorstellung von „Sumurun". Paul Davidson lebt, atmet und denkt nur : "Film". Wenn er eine schöne Frau sieht, fragt er sich sofort, ob man sie nicht in einem Film beschäftigen könnte. Als er die Negri sieht, erklärt er Reinhardt: „Sie muß zum Film! Können Sie mich ihr vorstellen?"

Reinhardt macht die beiden bekannt.

„Wollen Sie es nicht einmal mit dem Film versuchen?" Davidson geht gleich auf den Kern der Sache los.

„Natierlich", erklärt Pola. „Ich bin große Filmschauspielerin! Habe ich doch großartig gespielt in ,Liebe und Leidenschaft'."

„Ich werde mir den Film ansehen", verspricht Davidson nachdenklich. Die Suche nach „Liebe und Leidenschaft" erweist sich als ergebnislos. Indessen stellt Davidson fest, daß ein Film mit Pola Negri existiert, der „Sklave der Sinne" heißt.

„Liebe! Leidenschaft! Sinne! Ist sich doch alles das gleiche!" meint Pola und lächelt ihr betörendes Lächeln. Der große Vorteil des Films: er ist stumm. Die Leute werden also nicht sogleich herausbekommen, daß die Negri eine sozusagen "feindliche Ausländerin" ist.
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Lubitschs Traum wird also Wahrheit.

Insgeheim startet Davidson eine Flüsterkampagne: Pola Negri heiße gar nicht Pola Negri, sondern: Apollonia Chalupez. Er sucht lange und glaubt dann, das richtige Manuskript für sie gefunden zu haben. Es hat den Titel „Vendetta".

Harry Liedtke soll die männliche Hauptrolle spielen. Lubitsch soll Regie führen. Doch Lubitsch will nicht, er ahnt ja nicht, daß es Pola Negri ist, mit der er seinen ersten ernsten Film inszenieren soll.

In dem Augenblick, da er es erfährt, hat er keine Einwände mehr. Sein Traum wird also Wahrheit. Er weiß ja, die Negri ist nicht nur eine schöne Frau, nicht nur eine begabte Schauspielerin. Sie ist vielleicht nicht ein einmaliges Talent, aber sie ist ein einmaliges Temperament.

Und sie weiß: Lubitsch ist ihre große Chance - und sie ist die seine. Der Film „Vendetta" wird also gedreht. Ein Sensationserfolg wird er nicht. Aber er spielt sein Geld ein. Mehr als das: die Leute sind begeistert von der Negri. Davidson weiß, das ist vor allem Lubitsch zu verdanken.
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„Die Augen der Mumie Ma"

Er kommt mit einem neuen Filmprojekt. Es handelt sich um „Die Augen der Mumie Ma". In den Rüdersdorfer Kalkbergen bei Berlin werden ägyptische Pyramiden gebaut.

Harry Liedtke, wieder der Partner der Negri, stampft in piekfeinem grauem Gehrock durch die Wüste, auf der nichts wächst als eine einsame Palme. Und die steht in einem Blumentopf. Aber das sieht das Publikum nicht.

Die Negri ist schön und leidenschaftlich. Und dann ist noch - wie schon bei „Vendetta" - ein dritter im Bunde, ein noch ziemlich unbekannter junger Schauspieler namens Emil Jannings.
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Emil Jannings

Er ist auf eine recht merkwürdige Art zum Film gekommen. Das war 1914. Jannings saß im "Cafe des Westens". Er speiste zu Mittag wie immer, zwei Eier im Glas und sehr viel Brot.

Zwar konnte er sich das nicht leisten, aber es war besser, dem „roten Richard", so hieß der Kellner, eine Mark schuldig zu bleiben als zwei Mark. Der rote Richard fragte: „Warum filmen Sie eigentlich nicht, wenn Sie Geld brauchen? Ihre Herren Kollegen tun es ja auch.

Der kleine Lubitsch verdient nicht schlecht!" Emil Jannings ist, wie Lubitsch, an Reinhardts Deutschem Theater.

Allerdings ist er zum Unterschied von Lubitsch ein Schauspieler mit Namen. Er steht zwar noch nicht in der ersten, aber doch in der zweiten Reihe.

Was wird Max Reinhardt dazu sagen

Filmen ? Vergibt er sich damit auch nichts? Was wird Max Reinhardt dazu sagen, wenn er das erfährt? Auf der anderen Seite überlegt er sich: Da Reinhardt ihm nur hundertfünfzig Mark zahlt, ist gar nicht einzusehen, warum er sich nicht noch etwas dazuverdienen soll.

Er klappert die Büros der Filmgesellschaften ab. Überall notiert man sich seinen Namen. Man wird ihn anrufen, wenn sich etwas bietet. Im Augenblick liegt leider nichts für ihn vor.

Aber gerade im Augenblick braucht Jannings so notwendig ein bißchen Kleingeld. Er will wieder einmal richtig zu Abend essen. Man kann nicht ewig von Eiern im Glas leben.

Da ist er nun schon ein paar Monate in Berlin, einer Stadt mit schönen Frauen und mit tausend abenteuerlichen Möglichkeiten. Freilich, es genügt nicht, an den Bars, an den Hotels und an den eleganten Restaurants vorbeizugehen, von den Frauen gar nicht zu reden. Man muß hinein ins volle Menschenleben. Aber wie macht man das?
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der Chef mit dem Monokel

Schon will er es aufgeben. Da wird er doch noch vorgelassen. Man raunt ihm zu, daß der Chef selbst ihn sprechen will. Der trägt ein Monokel und sitzt hinter einem riesigen Schreibtisch.

Er betrachtet Jannings. Der sieht gar nicht so aus, wie ein Schauspieler. Er ist groß, breit, er hat ein gutmütiges Jungensgesicht, wirkt fast ein wenig ungehobelt.

Das erfreut den Filmgewaltigen. Jannings wird genau das sein, was er braucht. Er nickt ihm zu. Jannings versucht, dem Filmgewaltigen zu imponieren. Er erzählt, daß er am Deutschen Theater engagiert sei. Er läßt den Namen Max Reinhardt fallen, als sei er sein bester Freund.

Der Filmgewaltige ist nicht beeindruckt.

Er hat offenbar den Namen Max Reinhardt noch nie gehört. Stattdessen erkundigt er sich: „Können Sie eigentlich turnen?" Emil Jannings glaubt, nicht recht gehört zu haben: „Ob ich turnen kann?" „Ja. Wenn Sie bei mir arbeiten, müssen Sie turnen können."

Jannings denkt an die Eier im Glas. „Ich bin sogar ein ausgezeichneter Turner!" „Können Sie auch schwimmen?" „Schwimmen? Haben Sie eine Ahnung, wie oft ich geschwommen bin ... Wie oft mußte ich eine Rolle über Nacht lernen!" „Nein, ich meine, ob Sie wirklich schwimmen können ... im Wasser!" „Im Wasser? Natürlich. Ich bin ja am Bodensee aufgewachsen. Und Seemann war ich auch!"
„Dann engagiere ich Sie. Für drei Tage. Ich zahle Ihnen pro Aufnahmetag fünfzehn Mark!"

Fünfzehn Mark pro Tag! Das Dreifache seiner Gage bei Reinhardt! „Und meine Rolle?" „Ihre Rolle?"
„Bei mir brauchen Sie keine Rollen zu lernen. Seien Sie morgen früh gegen acht Uhr an der Weidendammer Brücke. Tragen Sie graue Hosen und einen Sweater."
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Wenn ihn die Kollegen auf dem Wege zur Probe sehen

Jannings ist am nächsten Morgen um acht Uhr an der Weidendammer Brücke. Ihm ist nicht wohl. Hoffentlich dauern die Aufnahmen nicht zu lange. Er haßt es, sich vor Passanten zur Schau zu stellen.

Vor allem aber: das Deutsche Theater ist nur ein paar hundert Meter von der Weidendammer Brücke entfernt. Um zehn Uhr werden die Kollegen auf dem Wege zur Probe über die Brücke kommen. Wenn er dann noch dasteht und filmt ... Er wird um zehn Uhr nicht mehr filmen. Das Filmdebüt von Emil Jannings läuft blitzschnell ab. Der Mann mit dem Monokel erscheint. Er ist ein wenig geschminkt.
„Ich bin der Detektiv ... ich verfolge Sie bis zur Brücke ..."

Er bezeichnet die Stelle. „Bis hierher! Dann springen Sie über das Geländer ins Wasser. Sie sagten doch, daß Sie ein guter Turner sind. Und schwimmen können Sie doch auch."
„Ich kann turnen. Ich kann schwimmen. Aber für fünfzehn Mark kann ich nicht hinunterspringen!" „Also gut. Zwanzig Mark." „Nein."
„Fünfundzwanzig."
„Nein. Die Rolle liegt mir nicht!" Jannings geht. Lieber will er weiterhin Eier im Glas essen.

Der Filmgewaltige starrt ihm entgeistert nach. „Man soll eben mit Schauspielern keine Filme machen!" entrüstet er sich.
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Emil Jannings kam aus Görlitz

Emil Jannings wußte schon mit acht Jahren, als er in St. Gallen den „Freischütz" sah, daß er Theater spielen muß. Das wußte er auch, als er, nachdem sein Vater auf einer Geschäftsreise in Amerika gestorben war, auf die Realschule ging - in Görlitz, wohin die Mutter gezogen war.

Mit fünfzehn Jahren gestand er der Mutter: „Ich will Schauspieler werden!" „Das ist doch kein Beruf ...! Ich hatte gedacht, daß du etwas Vernünftiges wirst und mir und deinen Brüdern hilfst."

„Wenn ich nicht Schauspieler werden darf, werde ich Seemann."

Das Abenteuer wird eine einzige große Enttäuschung

Er wird Seemann. Er hat sich das anders vorgestellt. Nun kommt die Enttäuschung. Es gibt weder Indianer noch Neger, noch Seeräuber auf hoher See. Hingegen müssen unzählige Kartoffeln geschält und das Deck geschrubbt werden.

Am Ende des Monats zehn Mark! Damit kann man in den Häfen keinen Staat machen. Manchmal weint er bitterlich in seiner Hängematte. Dann greift er wieder zu den Reclamheften und studiert Rollen. Der Steuermann erwischt ihn dabei und wirft die Hefte über Bord.

Nach einem Jahr hat Emil Jannings genug. Wenn schon See, dann See auf dem Theater! Die ist gemalt, da schaukelt es nicht so, und es gibt Indianer und Seeräuber. Vor allem würde auf dem Theater ein Kapitän wie der seine über Bord geworfen werden. Der Steuermann auch. Denn auf dem Theater siegt das Gute, und die Bösen müssen verderben. Die Mutter gibt nach.
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Gleich zu Anfang ein Reinfall

„Also geh zum Theater. Aber eines ist Bedingung: Jannings darfst du dich nicht nennen. Ich könnte mich ja nie mehr auf die Straße wagen!"

Emil nennt sich Baumann. Seine erste Rolle: ein Bürger im „Faust". Jannings hat zu sagen: „Nein, er gefällt mir nicht, der neue Burgemeister! Nun, da er's ist, wird er nur täglich dreister7" Der berühmte Adalbert Matkowsky spielt den Faust als Gast.

Er kommt erst mit dem letzten Zug aus Berlin an - und nicht ganz nüchtern. Emil ist fasziniert. Mit Matkowsky auf einer Bühne stehen zu dürfen! Das ist allerdings alles, was er tut. Denn als sein Stichwort kommt, verschlägt es ihm die Rede.

Vorüber die Gelegenheit, die vielleicht nie wiederkehrt! Nicht er hat zu imponieren gewußt, Matkowsky war derjenige, der imponierte. Eine Welt geht für den bedauernswerten jungen Emil unter.

Es kamen noch mehrere Flops - und ein guter Tip

„Idiot!" kommentiert der Theaterdirektor. Aber er will es noch einmal mit ihm probieren. Eine so große Rolle wie den Faust bekommt Emil natürlich nicht. Im „Hüttenbesitzer", einem damals sehr beliebten Drama von Georges Ohnet, wirkt er in einer Gesellschaftsszene mit. Jemand fragt ihn etwas; und er sagt „Nein!" Das ist alles.

Er nimmt sich vor, diese Rolle nicht zu verpatzen. Als sein Stichwort kommt, brüllt er aus Leibeskräften „Nein!" Es ist das entschiedenste, brutalste Nein, das man im Görlitzer Stadttheater je zu hören bekommen hat.

Es ist ein Nein, das die Mitspielenden dermaßen erschreckt, daß die Salondame sich heißen Kaffee in ihren Ausschnitt schüttet und der Bonvivant - übrigens ein Schurke, der am Ende leer ausgeht - sein Monokel fallen läßt.

Es ist ein Nein, das einer besseren Sache würdig gewesen wäre. „Nein! Nein! Nein!" kommentiert der Direktor diesmal. „So geht das nicht." Es geht noch ein drittes Mal.

Emil spielt den Silva im „Egmont". Im Görlitzer Anzeiger steht: „Über die Talentlosigkeit des Herrn Baumann als Silva ist kein Wort zu verlieren. Wir möchten ihm den freundschaftlichen Rat geben, in einem bürgerlichen Beruf unterzutauchen..."

Ein weiterer Versuch in Nordböhmen

Mittels Anzeige im Theaterkurier wird gesucht: „Erster Held und Liebhaber sowie jugendlicher Komiker, Zetteltragen frei. Goldenes Lamm, Bürgstein bei Haida, Nordböhmen. Direktor Jescheck."

Emil Jannings riskiert eine Postkarte. Das Dorf Bürgstein liegt drei Kilometer von Haida. Emil trägt ein Paar Ritterstiefel, die sechsundvierzig Mark gekostet haben, über der Schulter; er hat klirrende Sporen, frischgewaschenen Spitzenkragen und anderen „Fundus" in einer Pappschachtel mitgebracht. Aber die Wirtin will keine Schauspieler als Mieter. Er kommt schließlich bei einem Bauern in einem Bodenverschlag unter - das Bett ist eine Holzpritsche - für vierzig Kreuzer die Woche.

Der Direktor erklärt sofort: man spiele auf Teilung, jeder bekomme nach der Vorstellung einen Teil, der Direktor achtzehn Teile. Während der ersten zwei Monate nimmt Emil ganze sieben Gulden zwölf Kreuzer ein, eine Summe, die er nie vergessen wird.
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Ähnliche Engagements Löbau, in Kosel und Großstrelitz ....

Emil bekommt die Rolle. Morgen soll er spielen. Wie? Morgen schon? Wann soll er die Rolle denn lernen? Der Direktor: „Die Füße in kaltes Wasser und schwarzen Kaffee getrunken!"

Ähnliche Engagements folgen. Emil Jannings spielt in Löbau, in Kosel und Großstrelitz, in Graudenz, Gardelegen, Gifhorn, Lötzsche und Aurich. Je mehr Rollen, um so kleiner die Gage, um so größer der Hunger und der Durst. Man lebt auf Pump, versetzt Sachen, löst sie wieder aus und kämpft ewig um Vorschuß.

Emil Jannings lernt viel viel mehr als auf allen Schulen

Und doch lernt Emil in diesen Jahren mehr, als er auf allen Schauspielschulen der Welt lernen könnte. Er lernt, ohne es richtig zu wissen, daß es beim Theater gar nicht darauf ankommt, den Leuten im Zuschauerraum zu imponieren.

Gewiß, man muß Kraft haben, man kann gar nicht genug Kraft haben für dieses abenteuerliche Leben, das einen zwingt, jeden Abend eine andere Rolle zu spielen.

Im „Tell" spielt Emil drei Rollen: Geßler, den alten Attinghausen und Baumgarten. In den „Räubern spielt er den Karl und Franz Moor, rasantes Umschminken alle paar Minuten.

„Schiller wußte schon, was er machte, als er Karl und Franz nie zusammen auftreten ließ", kommentiert der Direktor. Ja, um das durchzuhalten, ist viel Kraft notwendig. Aber die Kraft ist nicht dazu da, die Menschen, deren Worte man spricht, deren Haare man trägt, leben zu machen.

Mehr als nur die ROlle spielen, mehr als die Figur darstellen

Charakterisieren nennt man das auf den Schauspielschulen in Berlin und Wien. Auf der Schmiere, der Schauspielschule, die Emil Jannings absolviert, kennt man so große Worte nicht.

Er weiß nur, daß er nicht glücklich ist, wenn er dem Menschen, den er darstellen soll, nicht mehr mitgibt als die Worte, die der Mann verfaßte, der das Stück schrieb.

Zum Probieren ist keine Zeit. Kaum, daß man die Rolle halbwegs gelernt hat, muß man sie spielen. Und so kommt es, daß Emil Jannings durch Not erlernt, wie man einen Menschen auf die Bühne stellt, so wie ein Maler mit ein paar Strichen eine Figur skizziert. Nichts ist ausgeführt, es bleibt alles Skizze, aber im Grunde „stimmt" es doch.

Das Stadttheater Glogau und eine Dogge Namens "Vorschuß"

Eines Tages liest Emil eine Annonce. „Erster Heldenvater gesucht. Stadttheater Glogau. Gage hundertfünfzig Mark." In Glogau stellt er sich - wie schon seit Jahren, seitdem er Görlitz verlassen hat, als Emil Jannings im Direktionsbüro vor.

„Wenn ich vielleicht noch um einen kleinen Vorschuß bitten dürfte..." Er beendet den Satz nicht. Denn plötzlich stürzt sich eine Riesendogge auf ihn und knurrt ihn böse an. Der Direktor erklärt dem erschreckten Heldenvater, der ganze zweiundzwanzig Jahre zählt: „Sie heißt nämlich Vorschuß. Und sie kann es gar nicht leiden, wenn man sie beim Namen nennt."

Ein weiser Theaterdirektor! Er hat seine Erfahrungen. Schauspieler, die ihn in seinem Büro aufsuchen, verlangen meistens Vorschuß. Wenn er auch früher oder später mit dem Geld herausrücken muß, die Schauspieler sollen das Wort nur mit aller Vorsicht gebrauchen.
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In Nürnberg lernt er Werner Krauß kennen und gehr nach Berlin

Schließlich kommt Emil Jannings in größere Städte: Halle, Stettin, Bonn, Nürnberg. In Nürnberg lernt er Werner Krauß kennen, der sein bester Freund wird. Krauß, 1913 von Reinhardt nach Berlin geholt, ist es auch, der Jannings empfiehlt. „Beschreiben Sie ihn!" fordert Reinhardt Werner Krauß auf.

„Er ist groß, er ist kräftig und ein bißchen dick ... ja, beschreiben kann ich ihn eigentlich nicht. Aber ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen."

Und Werner Krauß erzählt eine Geschichte, die aus Gründen der Zensur leider nicht wiedergegeben werden kann. Jannings spielt darin die Hauptrolle. Er trägt einen Gehpelz und einen Zylinder.

Ort der Handlung: ein übel beleumundetes Etablissement mit jungen Damen in Fürth bei Nürnberg. Die Rolle von Jannings besteht aus einem einzigen saftigen Wort. Reinhardt ist amüsiert. Jannings wird engagiert. Die Ehre ist groß, die Gage ist klein.
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Uns er geht doch wieder zum Film, des Geldes wegen

Und da sind wir wieder im Cafe des Westens, in dem Emil Jannings die zwei Eier im Glas verzehrt und vom roten Richard den Rat bekommt: „Filmen Sie doch! Die anderen tun es auch."

Das Abenteuer an der Weidendammer Brücke hat seine Begeisterung für den Film nicht gerade verstärkt. Wie kann man überhaupt filmen? Wenn das verfluchte Geld nicht wäre...

Aber das verfluchte Geld ist. Also läßt sich Emil Jannings wieder einmal herbei, bei den Filmleuten vorzusprechen. Diesmal engagiert ihn Meßter, der Entdecker Henny Portens.

Er weiß von seiner Tätigkeit am Deutschen Theater und bietet ihm vierzig Mark pro Tag. Zwei Tage dauert die Arbeit, denn Jannings ist der Hauptdarsteller des Films.

Als er den Film sieht, stürzt er entsetzt aus dem Raum

Als er nachher den Film bei der Probevorführung sieht, stürzt er entsetzt aus dem Raum. Ist er das wirklich? Ist das sein Gang? Sind das seine Hände, die so in der Luft herumfuchteln? Seine Augen, die so finster rollen?
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Und dann kommen die Erfolge

Die Filmbranche allerdings findet Emil Jannings offenbar nicht so schrecklich, wie er sich selbst findet. Man macht ihm Angebote über Angebote. Und schließlich findet sich eine Kompromißlösung: er braucht ja nicht die Filme zu sehen, in denen er spielt.

Erspielt 1914 „Im Banne der Leidenschaft"; 1915 „Die Ehe der Luise Rohrbach" mit Henny Porten, „Nächte des Grauens" und „Wenn vier dasselbe tun". In diesem letzteren Film ist er der Partner von Ossi Oswalda, und Ernst Lubitsch ist sein Regisseur.

Es folgen „Vendetta" und „Die Augen der Mumie Ma". Die „Mumie Ma" - Jannings spielt da einen finsteren Priester, der schnell mit dem Dolch bei der Hand ist und zuletzt nicht nur Pola Negri, sondern auch sich selbst umbringt - wird ein Riesenerfolg.

Auch Lubitsch hat jetzt Erfolge

„Hätte ich Ihnen gleich sagen können", meint Davidson zu Lubitsch. „Sie sind der geborene Regisseur für große tragische Filme!"

Lubitsch dreht „Carmen" mit Pola Negri und Harry Liedtke. Obwohl die Filmerei noch nicht einmal zehn Jahre alt ist, ist das bereits die zehnte Verfilmung dieses dankbaren Stoffes. Wiederum ein Riesenerfolg.

Davidson zu Lubitsch: „Kommen Sie doch mal morgen in mein Büro. Wir machen einen neuen Vertrag!"

„Ja, aber nicht, wie Sie sich vorstellen." Die Sache ist nämlich die: Lubitsch ist trotz des großes Erfolges seiner ersten Filme mit der Negri, Liedtke und Jannings alles andere als überzeugt davon, daß er der richtige Mann für diese Art von Filmen ist. „Eines Tages werden die Leute es merken und mich auslachen. Ich habe mich, ehrlich gesagt, als Moritz wohler gefühlt..."

„Sie müssen Tragödien machen! Sachen, bei denen die Leute weinen...", drängt Davidson. Er hat auf Lubitsch gesetzt.

„Ich will's probieren ... Aber nur, wenn Sie mich meine Lustspiele weitermachen lassen. Sicher ist sicher..." Und schon steht er wieder im Atelier und dreht mit der reizenden, übermütigen Ossi Oswalda „Die Austernprinzessin", ein tolles, ausgelassenes Lustspiel.
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REVOLUTION UND REVOLUTIONSFILM

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Oktober 1918. Jetzt geht alles sehr schnell.

Totaler Zusammenbruch der Westfront. General Ludendorff ist von einem zum anderen Tag der bestgehaßte Mann in Deutschland. Jeder weiß, daß er es war, der einen Verständigungsfrieden abgelehnt hat.

Ja, daß er noch im Juli 1918 die Absetzung des Reichskanzlers Bethmann-HoUweg forderte, der nicht genügend scharf gegen Politiker und Journalisten vorging, die für einen Verständigungsfrieden eintraten.

Nun muß Ludendorff - am 28. September - erklären, die militärische Situation sei „aussichtslos". Und schon einen Tag später verlangt er einen Waffenstillstand per sofort.

Das Unabänderliche geschieht. Am 26. Oktober wird Ludendorff sang- und klanglos entlassen. Wieder ein paar Tage später offene Meutereien in Kiel, Hamburg, Berlin, München. Der Rücktritt des Kaisers wird gefordert.
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Die Revolution bricht aus

Der Kaiser flieht nach Holland. Und Ludendorff, der seit seiner Absetzung still in einer Pension im Berliner Westen gelebt hat, verschwindet mit einer blauen Brille und mit einem Paß auf den Namen Ernst Lindström nach Schweden. Auch dort distanziert man sich allgemein von ihm. In Deutschland nennt man ihn einen Kriegsverbrecher.
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Besuch vom "Schatzamt" - nein, es wäre" privat".

Herr von Stauß erhält den Besuch eines Beamten des Schatzamtes. Er ist erstaunt: „Sie sind noch im Amt?" „Ich komme nicht in amtlicher Eigenschaft." Der Beamte lächelt schmerzlich. Er ist ja kein Beamter mehr. „Betrachten Sie meinen Besuch als privat." Herr von Stauß wartet.

„Es handelt sich um die UFA. Ich möchte Sie fragen: Wird die UFA schließen?" „Schließen? Warum sollte die UFA zumachen? Jetzt, da wir gerade erst begonnen haben, zu produzieren?"

„Wie Sie wollen, Herr von Stauß. Aber es war ja General Ludendorff, der die ganze Sache in die Wege leitete." Herr von Stauß schweigt. Er hört jetzt den Namen Ludendorff nicht mehr gern.

„Die UFA sollte die Moral im Inland stärken, sie sollte im Ausland Propaganda machen." Der ehemalige Beamte des Schatzamtes zögert eine Weile: „Das ist doch jetzt alles nicht mehr nötig. Das ist doch jetzt geradezu sinnlos geworden."
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„Die UFA wird den Zusammenbruch des Kaiserreichs überstehen!"

Stauß beruft eiligst eine Aufsichtsratssitzung ein. „Uns geht das Ganze gar nichts an!" erklärt er. „Das Bufa muß natürlich dran glauben. Das Bufa ist ja auch eine militärische Stelle gewesen.

Aber die UFA - die UFA ist ein Privatunternehmen", stellt Herr von Stauß fest, obwohl das nicht ganz den Tatsachen entspricht. Und dann sagt er mit geheimer Stimme noch etwas: „Die UFA wird den Zusammenbruch des Kaiserreichs überstehen!" Das wird sie.

Aber in der Nationalversammlung beginnt man, sich mit der UFA zu beschäftigen. Ein Abgeordneter der Rechten stellt die Frage: „Stimmt es, daß die Hälfte der UFA-Aktien dem Reich gehören?" Der zuständige Minister ist gerade nicht anwesend. Also wird die Beantwortung der Frage vertagt.

Aber schon eine Stunde später sitzt der ehemalige Beamte des Schatzamtes wieder bei Herrn von Stauß. Genau genommen, ist er kein ehemaliger Beamter mehr; er ist wieder ein ganz richtiger Beamter.

Er ist jetzt doch vom Schatzamt des Kaiserreichs in das Finanzministerium der Republik übernommen worden. Er hat den Kopf mit drin und ist besorgter denn je: „Ich habe Sie gewarnt, Herr von Stauß!" Der nickt.
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Die Deutsche Bank kauft ganz schnell die Staats-Aktien

„Es ist keine Zeit zu verlieren!" Herr von Stauß nickt noch einmal. „In einer Stunde haben Sie ja den Scheck."

Mit diesen Worten hat er die Hälfte der UFA-Aktien vom Reich zurückgekauft. Die Deutsche Bank besitzt jetzt also die große Majorität der UFA-Aktien, und der Finanzminister kann vier Tage später mit gutem Gewissen versichern, daß das Reich mit der "UFA" nichts zu tun habe.

Übrigens macht Herr von Stauß ein gutes Geschäft, denn die Mark ist ja nicht mehr die Mark. Die Inflation hat begonnen, der Absturz der deutschen Mark, der immer groteskere und schwindelerregende Formen annehmen wird.
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