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"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

SIEBZEHNTER TEIL- PROPAGANDA

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DER EWIGE SCHANDFLECK DES DEUTSCHEN FILMS

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1940 - Propagandaminister Josef Goebbels wird einen großen Film gegen die Juden machen lassen.

1940 kommt Goebbels endlich dazu, einen lang gehegten Plan durchzuführen. Er wird einen großen Film gegen die Juden machen lassen. Den Deutschen, die trotz acht Jahren nationalsozialistischer Propaganda noch immer nicht begriffen haben, daß die Juden ihr Unglück sind, die sich unbegreiflicherweise immer noch nicht zu Pogromen haben hinreißen lassen, sollen nun endlich die Augen geöffnet werden.

Goebbels weiß auch schon, welchen Stoff er verfilmen lassen will. Es "handelt sich um die Geschichte des Herrn Oppenheimer, Bankier am Hofe des Herzogs Karl von
"Württemberg in den Jahren 1733 bis 1737.
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Das Thema stammt aus Feuchtwangers Buch „Jud Süß"

Das Thema war in den zwanziger Jahren von Lion Feuchtwanger in dem berühmten Buch „Jud Süß" verarbeitet worden. Es war 1934 in London verfilmt worden - mit Conrad Veidt in der Hauptrolle - als Protest gegen die beginnenden Judenverfolgungen in Deutschland.

Denn das Schicksal des Jud Süß Oppenheimer vor zweihundert Jahren war das ewige Schicksal der Juden: er wurde verantwortlich gemacht für die Taten, ja, man darf wohl sagen, für die Missetaten seines Herrn, und als dieser plötzlich verschied, beschlossen diejenigen, die sich bis dahin nicht tief genug vor dem Juden hatten verneigen können, ihn zu verhaften und ihm den Prozeß zu machen, um dem Volke zu beweisen, daß „der Jude an allem schuld" war.

Nicht der Herzog, nicht die christlichen Nutznießer, nein, der Jude ...
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Goebbels will einen Tendenzfilm haben.

Goebbels hat natürlich nicht die Absicht, einen Film zu machen, der die Dinge darstellt, wie sie in Wirklichkeit waren. Goebbels will einen Tendenzfilm haben.

Dr. Winkler schaltet sich ein und verfügt, die TERRA müsse den Jud-Süß-Film drehen. Noch steht nicht fest, wer Regie führen soll. Goebbels entscheidet: „Regisseur des Jud-Süß-Films wird Veit Harlan!"
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Veit Harlan war ursprünglich Schauspieler.

Veit Harlan ist um diese Zeit bereits einer der prominentesten deutschen Filmregisseure. Ursprünglich war er Schauspieler. Er war von Jugend auf geradezu theaterbesessen, kein anderer Beruf kam für ihn in Frage.

Schon mit sechzehn Jahren spielte er am Luisen-Theater - einer Berliner Vorstadtbühne - winzige Rollen. Er gehörte dann nach dem Krieg zu den „expressionistischen" Schauspielern, das heißt, er sprach keinen normalen Satz, machte keine natürliche Bewegung.

Er schrie, er tobte, er raste auf der Bühne hin und her. Das war damals Mode. Es dauerte nicht allzu lange, bis er dieses Stadium überwunden hatte. Er war ein guter, wenn auch keineswegs ein erster Schauspieler.

Er spielte kleine und mittlere Filmrollen, lernte bei Max Mack Filmregie, hatte aber keine Gelegenheit, selbst Filmregie zu führen. Hingegen durfte er einen Schwank „Krach im Hinterhaus" im Theater am Schiffbauerdamm inszenieren und konnte einen richtigen Erfolg für sich buchen.
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Und Veit Harlan war in erster Ehe mit einer jüdischen Schauspielerin verheiratet.

Da es ihm finanziell nicht besonders gut ging, lebte er anderthalb Jahre bei seinen jüdischen Schwiegereltern.

Später heiratete er die Schauspielerin Hilde Körber - die eine viel größere Position beim Theater hatte als er. Damals spielte er bei Leopold Jeßner am Staatstheater. Sein bester Freund war der Schauspieler Fritz Kortner.

Wieder ein wenig später bekam er seine erste Filmregie. Es handelte sich um das Stück, das er schon erfolgreich auf der Bühne inszeniert hatte, „Krach im Hinterhaus". Auch der Film wurde ein Erfolg.
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Es besteht kein Zweifel, daß Harlan Regiebegabung besitzt.

Er hat viel von Leopold Jessner gelernt, auch von Fritz Kortner. Mit Gründgens verstand er sich nicht, und schied alsbald aus dem Verband des Staatstheaters aus. Harlan kann Schauspieler führen. Freilich führt er sie weniger, als daß er sie vergewaltigt. Am Anfang war das nicht so.

Am Anfang konnte er Schauspieler beeinflussen, überzeugen, ging trotz seiner Jugend gewissermaßen patriarchalisch mit ihnen um, war ein netter Kerl. Aber je größer seine Erfolge werden, um so schwieriger wird er.

Regie führen bedeutet für ihn von einem gewissen Augenblick an - lange bevor er den „Jud Süß" macht -, die Akteure, mit denen er zu tun hat, anzuschreien, ihnen Szenen zu machen, bis sie am Ende eines Nervenzusammenbruchs sind und die dergestalt Gebrochenen und Zerbrochenen so zurechtzukneten, wie es ihm für seine Zwecke richtig erscheint.

Dann kam die drite Ehe mit Kristina Söderbaum

Hilde Körber hat sich von ihm getrennt, und er hat als dritte Frau die blutjunge Kristina Söderbaum geheiratet. Die ist Schwedin, blond, schlank, sehr apart, kam Mitte der dreißiger Jahre auf die Schauspielschule in Berlin, erhielt ihre erste Filmrolle von Veit Harlan. Es war das Aennchen in Halbes „Jugend".

Sie ist eine gute Schauspielerin, und es ist sicher, daß sie unter Harlans Regie - sie spielt von jetzt an in jedem seiner Filme - eine bessere wird. Aber, es besteht auch kein Zweifel daran, daß diese Entwicklung eine erzwungene ist, daß Kristina Söderbaum teuer dafür bezahlen muß.

Jeder, der mit den beiden im Atelier steht, weiß, daß kaum ein Tag vergeht, ohne daß Veit Harlan seine Frau anschreit, ohne daß sie in Tränen ausbricht.

Als Goebbels an Harlan herantritt, um den „Jud Süß" zu machen

....., hat Harlan schon einige große Filmerfolge hinter sich: „Jugend", „Verwehte Spuren", „Das unsterbliche Herz" und „Die Reise nach Tilsit". Wenn man Harlan und seiner Frau Glauben schenken darf, so ist er entsetzt, als er von dem Projekt des „Jud-Süß"-Films hört.

Er eilt zum Chef der TOBIS, einem gewissen Ewald von Demandowsky, Besitzer einer niedrigen Parteinummer und Freund von Goebbels, und bittet ihn, zu intervenieren.

Demandowsky will nicht intervenieren. Harlan muß selbst zu Goebbels. Es kommt - angeblich - zu einer erregten Aussprache zwischen den beiden - da Goebbels aber tot ist, hat die Nachwelt nur das einseitige Zeugnis Harlans.

Harlan will erklärt haben, das Drehbuch des „Jud Süß" sei ein „dramatisierter Stürmer", der Film enthalte ja nur negative Gestalten. Das alles verfängt bei Goebbels natürlich nicht. Der weist darauf hin, daß auch Richard III. eine „negative" Gestalt ist.
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Goebbels wird (angeblich) wütend.

„Ich habe Sie nicht hierher befohlen, um mir von Ihnen erzählen zu lassen, warum Sie den Film nicht machen wollen, sondern um Vorschläge von Ihnen zu erhalten, wie Sie sich seine Durchführung vorstellen. Heil Hitler!"

Harlan möchte den Film wirklich nicht machen. Wie könnte er auch? Seine erste Frau war Jüdin. Er hat jahrelang von Juden gelebt. Sein Lehrmeister Jessner, sein bester Freund, Fritz Kortner, sind Juden. Er schreibt an Goebbels einen Brief und bittet um Freigabe an die Front.

Goebbels bestellt ihn noch einmal ins Propagandaministerium und brüllt ihn an: „Können Sie mir sagen, Herr Harlan, warum Sie den „Jud Süß" nicht drehen wollen! Weil Sie eine jüdische Frau hatten? Weil Sie heute noch zu Ihren jüdischen Freunden stehen? Sie wollen sich an die Front flüchten, um dem Propagandaminister einen kriegsdienstlichen Befehl zu verweigern?"

Seine Stimme überschlägt sich. „Das ist Desertation! Das ist Kriegsdienstverweigerung! Sie wissen, was darauf steht!"
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Alle obigen Aussagen sind mit Vorsicht zu bewerten

Wohlgemerkt, dies alles wird Harlan später berichten - oder ehemalige Beamte des Propagandaministeriums, die jedes Interesse daran haben, darzutun, wie schwierig Goebbels war, wie unmöglich es war, ihm zu widersprechen, weil sie ebenso kompromittiert in dieser Sache sind wie Harlan. Andere werden anderes sagen.

Der Filmregisseur Josef von Baky zum Beispiel wird erklären, er habe nicht den Eindruck gehabt, daß Harlan zu dem Film gezwungen worden sei; im Gegenteil, es habe ihm geschienen, als sei Harlan geradezu stolz darauf gewesen, ihn machen zu dürfen.

Wie dem auch sei: andere Künstler beweisen, daß man auch Goebbels gegenüber stark bleiben kann. Harlan selbst erfährt es, als er einen Hauptdarsteller für den „Jud-Süß"-Film sucht. Sein erster Gedanke ist Jannings.

Der erklärt ihm rund heraus: „Ich werde nie in einem solchen Film spielen!" Dann telefoniert Harlan mit Willi Forst in Wien. „Ich bin im Augenblick mit einem anderen Film beschäftigt! Außerdem liegt mir die Rolle nicht."

In den nächsten Tagen bekommt Harlan noch einige andere Körbe. Gustaf Gründgens sagt nein. Rene Deltgen lehnt ab. Rudolf Fernau stellt sich taub. Paul Dahlke wünscht ebenfalls, mit dem „Jud-Süß "-Film nichts zu tun zu haben.
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Die Ironie der Filmgeschichte:

Goebbels hat selbst dafür gesorgt, daß kein Jude mehr in Deutschland filmen darf. Infolgedessen kommt er in arge Besetzungsschwierigkeiten, als er einen Film gegen die Juden drehen will, der eigentlich nur von Juden gespielt werden dürfte, wenn man den Rassetheorien von Hitler und Goebbels Glauben schenkte.

Wenn Goebbels seine Theorien ernst nähme - das tut er natürlich nicht, sondern verlangt es nur von seinen Untergebenen, während Göring einfach zynisch behauptet: „Wer Jude ist, bestimme ich!" - könnte er den Film „Jud Süß" nur mit importierten Juden drehen.

Einen Juden für die Hauptrolle und Juden für sämtliche jüdischen Bösewichter, die durch den Film geistern. Daran denkt er natürlich gar nicht - und es würde sich wohl auch kaum ein jüdischer Schauspieler auf der Welt finden, Goebbels diesen Gefallen zu tun ...

Und wer wird den Jud Süß nun wirklich spielen? Goebbels hat seine Wahl schon getroffen. Den Juden soll der begabteste, gescheiteste Schauspieler darstellen, den Deutschland im Augenblick zur Verfügung hat, ein Liebhaber in des Wortes bester Bedeutung, der bereits große Erfolge errang: Ferdinand Marian.
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Ferdinand Marian - "Das einzige wäre, du gingest zum Theater!"

Marian ist um diese Zeit Mitte dreißig, groß, schlank, dunkelhaarig, ein überaus interessanter, vortrefflich aussehender Mann. Der Vater war Bassist an der Wiener Hofoper, die Mutter Soubrette in Budapest.

Marian wuchs also sozusagen im Theater auf, und die Folge davon war, daß er nicht die geringste Lust verspürte, zum Theater zu gehen. Er hatte zu viel hinter die Kulissen gesehen. Er wollte einen „vernünftigen" Beruf ergreifen.

Da er technisches Interesse hatte, beschloß er, Ingenieur zu werden. Aber das Studium lag ihm auch nicht. Nun - er war einfach zu faul, um es zu beenden. Er schlug sich die Nächte um die Ohren und schlief bis Mittag. Er saß in Cafes herum, in Bars und ging mit Frauen, die ihm willenlos zufielen.

Er brannte durch, wurde in einem Cafe Klavierspieler, kam schließlich wieder ohne einen Groschen nach Wien zurück.

Der Vater sagte etwas sehr Merkwürdiges, nämlich: „Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich mit dir anfangen soll! Das einzige wäre, du gingest zum Theater!"
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Also ging Marian zum Theater.

Er hatte zwar nie eine Stunde Schauspielunterricht genossen, aber der Direktor des Grazer Stadttheaters ließ ihn trotzdem spielen.

„Du kannst Männer mit Bart spielen!" erklärte er, in der vermutlich richtigen Annahme, daß die Bärte den Mangel an Ausdruck zum großen Teil verdecken würden. Der junge Marian spielte also Männer mit Bart, und schließlich spielte er auch Männer ohne Bart, und eines Tages sagte er zum Vater: „Ich bleibe beim Theater!"

Er blieb noch ein Jahr in Graz, ging nach Trier, Mönchen-Gladbach, Aachen, Hamburg. Dort kam 1935 - er war gerade dreiunddreißig Jahre alt - seine große Chance.

Er spielte den Jago im Othello. Am nächsten Tag wußten diejenigen, die dabeigewesen waren, daß Deutschland einen neuen großen Schauspieler hatte.
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Was ist das Besondere an Marian?

Auf der Suche nach einem Vergleich würde man am ehesten auf Conrad Veidt tippen. Wie Veidt ist Marian schlank, elegant, liebenswürdig und hintergründig. Wie bei Veidt spürt man bei ihm immer wieder, daß er im Grunde ein dämonischer Mensch ist, daß alles, was man auf den ersten Blick sieht oder hört, nur Fassade, nur Vorhang ist, hinter dem sich das eigentliche Wesen dieses Mannes verbirgt.

Marian ist ein moderner Konversationsschauspieler, aber nie flach. Marian ist immer erregend, aber er braucht dazu niemals eine Anstrengung zu machen. Er wirkt bedeutend, weil er überhaupt nicht wirken will.

Er läßt einen nicht los, weil er scheinbar nicht im geringsten den Versuch macht, interessant zu sein. Marian besitzt das Geheimnis der großen Schauspieler, er ist eine Persönlichkeit.

Er schillert - als Jago, und später auch in zahlreichen anderen Rollen, in tausend Facetten. Mit ihm verglichen, wirken die Filmliebhaber flach, die großen Charakterschauspieler schwer.
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Natürlich hat sich der Film längst seiner bemächtigt .....

....., obwohl die Filmleute zuerst sagten, er sei nicht „photogen". Erich Engel war anderer Ansicht. Er holte ihn 1936 für den Film „Ein Hochzeitstraum". Marians eigentlicher Durchbruch kam ein Jahr später, als er mit Pola Negri zusammen unter Gerhard Lamprechts Regie den Roman „Madame Bovary" von Gustave Flaubert verfilmte, in der er den Liebhaber der Bovary spielte, der sie im Stich läßt und so der Grund für ihren Selbstmord wird.

Vielleicht noch entscheidender für Marians Filmkarriere war der Film „La Habanera" - mit Zarah Leander im Jahre 1937.

Es handelte sich um die Geschichte einer jungen Schwedin, die einen reichen Mann aus Puerto Rico, Sieger in einem Stiergefecht, heiratete. Den Mann aus Puerto Rico spielte Marian: ganz Matador, ungemein erregend, obwohl das, was er zu spielen und zu sagen hatte, mehr als dumm war.

Denn einen Augenblick lang sah es so aus, als sei die Leander die glücklichste Frau in seinen Armen, und im nächsten Augenblick stellte sich bereits heraus, daß die Ehe äußerst unglücklich war, und daß die Leander Heimweh hatte sowohl nach Schweden, als auch nach einem schwedischen Jugendfreund, und wenn Marian nicht an einem tödlichen Fieber gestorben wäre, hätte man sich kaum vorstellen können, wie das Leben weiterginge ...

Aber wie er den Stier besiegte, wie er die Frau eroberte, wie er schließlich am Fieber zugrunde ging - das war meisterhaft ...

Dieser Marian also soll den Jud Süß spielen.

Veit Harlan wird mit Marian zusammen ins Propagandaministerium gerufen. Goebbels macht ganz einen auf Liebenswürdigkeit. Er macht Marian einige Komplimente über seine letzten Filme und sagt dann sehr bestimmt und hart zu ihm: „Sie kommen zu mir, um mir zu sagen, daß Sie den Jud Süß nicht spielen wollen, nicht wahr?"

In der Tat ist Marian gekommen, um genau das zu sagen. Jetzt verschlägt es ihm die Sprache. Goebbels schreit: „Sagen Sie mir die volle Wahrheit, warum Sie die Rolle nicht spielen wollen. Es würde mich interessieren." Marian kann die Wahrheit nicht sagen. Niemand kann Goebbels sagen, daß er den Jud Süß nicht spielen will, weil er das Ganze für ein unwürdiges Unternehmen hält.

Kann man das Goebbels wirklich nicht sagen? Jedenfalls riskiert es niemand, auch Marian nicht. Er stammelt: „Das Publikum hat sich daran gewöhnt, mich in sympathischen Rollen zu sehen. Eine Rolle wie die des Jud Süß würde mich unpopulär machen."

„Wer wird Ihnen künftighin Rollen geben? Ich oder das deutsche Publikum?" fragt Goebbels.
„Sie, Herr Minister!" Goebbels ist weiß vor Wut geworden. „Dann hätten Sie mir sagen müssen, daß Sie den Jud Süß spielen werden!" Dann wendet er sich ab. Als Marian schon an der Tür ist, sagt er: „Sie werden es meinem Adjutanten sagen!"
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Marian und Harlan gehen hinaus.

Marian bricht in dem nächsten Sessel zusammen. Tränen stürzen aus seinen Augen. „Ich mach's! Ich mach's!" schreit er immer wieder. Dabei schlägt er sich dauernd auf die Knie. Zu Hause angekommen trinkt er eine Flasche Cognac aus. Im Rausch zerschlägt er das halbe Mobiliar seiner Wohnung.

Am nächsten Morgen besucht ihn Harlan. Er tröstet ihn: „Wir werden einen möglichst anständigen Film machen!" Später haben sich viele gefunden, die bestätigten, daß Marian die Rolle nicht ablehnen konnte.

Es waren darunter so entschlossene Gegner des Regimes wie Gustaf Gründgens und Erich Engel, die beide sehr oft Aufträge zurückschickten, die ihnen nicht paßten.
Gründgens: „Als Goebbels merkte, daß wir Schauspieler uns grundsätzlich nicht an diesem Film beteiligen wollten, wurde die Herstellung des Films für ihn schließlich zu einer Prestigefrage!"

Aber Marian gibt das Rennen noch nicht auf. Bei den Probeaufnahmen ist er so schlecht wie irgend möglich. Nachher sagt er zu Erich Engel: „Na, ich habe mich reichlich dumm angestellt..."
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Neue Probeaufnahmen und neue Versuche.

Marian zu Engel: „Jetzt bin ich die Sache los. Die werden bestimmt nicht mehr auf mich zurückgreifen!" Er irrt. Goebbels läßt ihn wieder holen.

„Wissen Sie, was auf Sabotage steht, Herr Marian?" schnauzt er ihn an. Der Kampf zwischen Marian und Goebbels geht durch den ganzen Film. Marian versucht in der Tat, die Absichten von Goebbels zu sabotieren. Wo er als arrivierter Höfling auftritt, ist er Sex appeal in Person.

Als er die Szene des zum Tode verurteilten Juden spielt, kommen selbst der Belegschaft die Tränen. Goebbels läßt diese Szene natürlich sofort herausschneiden.
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SCHULD UND SÜHNE

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In Harlan-Filmen ertränkt sich fast immer jemand.

Natürlich ist mit der Besetzung der Hauptrolle noch nicht alles getan. Aber die anderen Besetzungsprobleme sind leichter zu lösen. Die weibliche Hauptrolle, ursprünglich mit Viktoria von Ballasko besetzt, wird von Kristina Söderbaum übernommen.

Vermutlich ist auch das der Wunsch von Goebbels, aber Frau Söderbaum kann sich natürlich nicht dagegen wehren, in einem Film mitzuwirken, in dem ihr Mann Regie führt.

Und sonst? Da ist der Vater Kristina Söderbaums, oder vielmehr jenes christlichen Mädchens, das, vom Jud Süß begehrt, sich ihm schließlich hingibt, um den Geliebten zu retten, sich daraufhin aber selbstverständlich ertränkt; in Harlan-Filmen ertränkt sich fast immer jemand.
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  • Anmerkung : In Deutschland gab es mehrere Schauspielerinnen, die später als reichsdeutsche Wasserleichen tituliert wurden.

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Der Vater des Mädchens wird von Eugen Klopfer gespielt

Und fast immer ist es Kristina Söderbaum. Natürlich handelt es sich hier um eine leichte Abschweifung von der Historie. Vermutlich - siehe Ertränkungskomplex - hat Harlan sich das selbst ausgedacht; denn der historische Jud Süß, der überaus elegante und charmante Hofmann Oppenheimer, brauchte keine Frauen zu vergewaltigen. Sie kamen zu ihm in Scharen ...

Der Vater des Mädchens, der die Revolte gegen Jud Süß anzettelt - was bleibt einem Vater mit gebrochenem Herzen auch anderes übrig? -, wird von Eugen Klopfer gespielt werden. Der hat ja nun schon viele Kompromisse unter Hitler gemacht und sich nicht immer taktvoll benommen.

Aber auch ihm graut vor dem Film, und er hat eine gute Ausrede. Er hat nämlich den Jud Süß schon selbst gespielt, freilich jenes Drama, das nach dem Roman von Lion Feuchtwanger geschrieben worden war, also den sympathischen Jud Süß.

Klopfer kennt auch Feuchtwanger persönlich. Dies alles sagt er Goebbels. Der ist nicht im mindesten beeindruckt. „Ich möchte, daß Sie diese Rolle spielen, und Sie werden sie spielen!" Und Klopfer spielt. Er ist Schauspieler, er kann alles spielen.

Im sympathischen „Jud Süß" .. . und - wenn's verlangt wird - im unsympathischen „Jud Süß". Er kann sogar einen Helden spielen, auch wenn er keiner ist.
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Und wer spielt den bösen Herzog Carl?

Die gegebene Rolle für Heinrich George! Ob er Bedenken hatte? Da er nach dem Krieg nicht mehr in dem großen Prozeß um den Jud-Süß-Film auftreten kann, hat er keine Gelegenheit zu erklären, daß er „schon damals" dagegen war.

Immerhin spricht viel dafür, denn Heinrich George hatte ja vor Hitler nur jüdische Freunde gehabt, er verdankte Juden alles. Und zumindest einer dieser Freunde, der Regisseur Gustav Hartung, der mit ihm in Darmstadt und Frankfurt gearbeitet hatte, schickte ihm eines Tages aus der Emigration einige Zeilen: „Dein Gedächtnis soll ausbrennen, deine Zunge soll in deinem Hals zurückrollen!"

Aber George hat immerhin eine Ausrede. Er spielt keinen unsympathischen Juden, er spielt einen unsympathischen Christen. Und er erklärt: „Ich werde alles so eklig spielen, daß den Leuten übel wird!"

Kurz, er will versuchen, seine Rolle so zu spielen, daß das Publikum den Eindruck gewinnt, nicht Jud Süß, sondern Herzog Carl sei eigentlich an allem schuld - was übrigens historisch völlig richtig ist.
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Wer aber spielt die übrigen Juden .........

Wer aber spielt die übrigen Juden, nachdem George und Klopfer, die mehr oder weniger bösen Christen darstellen sollen? Neben dem Jud Süß gibt es eigentlich nur eine zweite jüdische Rolle, wenn sie auch nicht sehr groß ist, die des Rabbi Loew, und die hat Goebbels Werner Krauß zugedacht.

Vermutlich hat man ihm davon erzählt, wie grandios Werner Krauß als Shylock im „Kaufmann von Venedig" bei Reinhardt war.

Werner Krauß gehört nicht gerade zu den von Goebbels bevorzugten Schauspielern. Auch Hitler mag ihn nicht. Er hat im Dritten Reich wenig gefilmt, viel weniger als früher. Als man ihm das Drehbuch schickt, liegt er im Berliner Franziskus-Krankenhaus mit einem Nackenkarbunkel (ein bösarties Furunkel -  eine Entzündung oder Abzess).

Krauß will ablehnen.

Schließlich ist er unter Max Reinhardt großgeworden. Schließlich hat sein Sohn eine Halbjüdin geheiratet. Aber natürlich wagt er es ebenso wenig, wie die anderen, nein zu sagen.

Er erklärt lediglich, er sei im Augenblick nicht in der Lage, Entschlüsse zu fassen, und geht auf Bühlerhöhe zur Erholung.

Dort liest er das Drehbuch und stellt fest, daß der Rabbi Loew eine recht kleine Rolle ist. Und jetzt kommt ihm ein diabolischer Gedanke. Er läßt Goebbels wissen, daß er die Rolle des Rabbi Loew zu klein fände, um sie zu spielen.

Ja, wenn man ihm nicht nur den Rabbi Loew, sondern auch die anderen - wesentlich kleineren jüdischen Rollen spielen ließe, fünf an der Zahl - dann könnte er sich entschließen. Das wäre immerhin eine interessante, künstlerische Aufgabe für ihn ...
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Später ist über diese Erklärung viel debattiert worden.

Manche haben behauptet, einem Künstler wie Krauß müsse es nachgesehen werden, daß er eine so „interessante Aufgabe" übernehmen wollte. Krauß selbst hat immer bestritten, daß ihn die künstlerische Aufgabe reizte; als er die Bedingung stellte, glaubte er einfach nicht daran, daß sie durchführbar sei.

Dies erscheint auch heute noch die einzig mögliche Erklärung. In einem Land, in dem die Juden bereits vogelfrei sind, fünf Juden in eindeutig antisemitischer Karikatur darzustellen, hatte nichts mehr mit Kunst zu tun.
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Das Ansinnen - es als Kunst zu bezeichnen - war - Verbrechen.

So groß ist kein Schauspieler, als daß er das Recht besäße, Menschenleben in Gefahr zu bringen. Aber Krauß glaubte wohl nicht daran, daß Goebbels auf seine absurde Bedingung eingehen würde.

Und so wurde der Film schließlich gedreht. Er wurde in einer entsetzlichen Atmosphäre gedreht. Niemandem war wohl dabei, jeder spürte eine unbestimmte Angst ...

Selbst Veit Harlan, der sonst keinerlei Bedenken im Atelier kannte, war für seine Verhältnisse ungemein still.

Das Schlimmste: aus Prag hatte man Juden nach Berlin geschafft, die als Statisten auftreten mußten. Keiner der deutschen Schauspieler wagte, diesen Unglücklichen ins Gesicht zu sehen.

Jeder, der mitmachte, hatte ihnen gegenüber ein schlechtes Gewissen. Dies sei zur Ehre der deutschen Schauspieler gesagt.
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Goebbels schneidet „Jud Süß" persönlich ........

....., damit um Gotteswillen die Juden nicht zu gut wegkommen. Die Uraufführung findet am 8. September 1940 während der Biennale in Venedig vor den etwas betretenen Italienern statt. In Italien hatte man ja niemals Verständnis für die Judenverfolgungen, und viele aus Deutschland Geflüchtete wurden von dem italienischen Bundesgenossen Hitlers aufgenommen.
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Der 26. September 1940 in Berlin im UFA-Palast am Zoo

Zur deutschen Erstaufführung kommt es ein paar Wochen später, und zwar am 26. September 1940 im UFA-Palast am Zoo.

Goebbels ist natürlich anwesend; auch Generaldirektor Klitzsch, der immerhin konstatieren darf, daß die UFA diesen Schandfilm nicht gemacht hat.
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Hugenbergs Zeitungen sind schon lange "gleichgeschaltet"

Hugenbergs Zeitung „Die Nachtausgabe" freilich überschlägt sich vor Begeisterung: „Das Thema ist des Darstellers Einsatz wert ... Unvergeßlich der Blick auf das nächtliche Wasser mit dem Kahn, in dem der Mann steht, auf den Armen seine tote junge Frau, die der Jude schändete, für die es keinen anderen Ausweg gab als den Fluß ..."

Den Vogel allerdings schießt zwei Jahre später der Filmsachverständige des Propagandaministeriums Fritz Hippler ab, als er 1942 in seinen „Betrachtungen zum Filmschaffen" unter anderem schreibt:

„Über die Frage des Happy-End ist schon viel geschrieben worden. Übereifrige Kritiker sehen gerade hierin einen starken Vorwurf gegen den Kunstcharakter des Films ... Im übrigen ist die Inhaltsmöglichkeit des Happy-End vielfältiger, als man denkt; sie kann beispielsweise im Kuß eines Liebespaares bestehen oder . .. aber auch im Aufhängen des Jud Süß."
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Das Deutsche Publikum hat ganz andere Empfindungen

Obwohl Herr Fritz Hippler es als "happy end" empfindet, daß Jud Süß aufgehängt wird, hat das Publikum ganz andere Empfindungen. Wo immer der Film läuft, gibt es Ovationen - für Marian.

Man findet ihn großartig. Besonders die Frauen sind entzückt, wenn er in Samt und Seide, mit Brillantringen geschmückt, am Hofe des Herzogs Carl erscheint. Waschkörbe voll von Liebesbriefen werden ihm nachgeschickt.

Trotzdem wird der Film „Jud Süß" kein gutes Geschäft.

Nicht für die Terra. Nicht für Veit Harlan, der 123.000 RM für seine Arbeit erhält und eine steuerfreie Sonderprämie von 60.000 RM.

Ein paar Jahre später wird Harlan in Deutschland verfemt sein. Niemand will etwas mit ihm zu tun haben, niemand, mit Ausnahme derer, mit denen er am liebsten nichts zu tun haben möchte, weil sie ebenso belastet sind wie er, wenn nicht mehr.
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Veit Harlan bezahlt bitter für diesen Film

Man wird ihm einen Prozeß machen wegen „Verbrechens gegen die Menschlichkeit" - und es ist nicht so sehr den einwandfreien Entlastungszeugen zu verdanken, daß er freigesprochen wird, als vielmehr der Tatsache, daß ein Beweis für ein solches Verbrechen nicht erbracht werden kann.

Dazu müßte nämlich gerichtlich festgestellt werden, daß auch nur ein einziger Jude von einem Besucher des „Jud-Süß"-Films umgebracht wurde.
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Und Werner Krauß? Auch er bezahlt einen hohen Preis

Auch er wird viele Jahre nicht mehr Theater spielen dürfen, vom Filmen ganz zu schweigen. Er wird seinen Sohn Egon, noch nicht vierzigjährig, durch Selbstmord verlieren ...

Immerhin: Werner Krauß wird als einziger von allen Beteiligten die Größe finden, zuzugeben, öffentlich zuzugeben, daß er Schlimmes getan hat, daß es eigentlich keine Entschuldigung dafür gibt. Und das ist viel.

Das ist die einzige Form von Entnazifizierung, die überhaupt einen Sinn hat.
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Und Eugen Klopfer?

Er wird natürlich auch verboten werden, er wird noch eine Weile leben, ohne spielen zu dürfen, er wird sehr schnell altern und sehr schnell elend werden. Er wird es nicht ertragen, daß er nicht mehr auf einer Bühne stehen darf. Er stirbt am 3. März 1950 † in Wiesbaden an einer Lungenentzündung.
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Und Heinrich George? Er zahlt den höchsten Preis, er verreckt !

Ihn wird es vielleicht am schwersten treffen. Schon lange vor Ende des Dritten Reiches. Nach außen hin steht er noch groß da. Er macht nur die Filme, die ihm zusagen, er spielt nicht nur, er hat auch die künstlerische Oberleitung.

Er leitet nicht ein Theater, nein, er leitet schon zwei: das Schiller-Theater und das Renaissance-Theater. Auf dem Schiller-Theater mit seiner großen Bühne zeigt er sich als Schauspieler. Seit langem, eigentlich schon seit seiner Jugend, hat er eine Lieblingsrolle.

Und oft hat er gesagt: „Einmal werde ich König Lear sein! Das ist die größte Rolle der Weltliteratur! Einmal werde ich ihn spielen, wenn ich alt genug dazu bin. Dies wird die Krönung meiner Laufbahn als Schauspieler sein!"

Und schließlich setzt er dieses unvergleichliche Drama von Shakespeare auf den Spielplan des Schiller-Theaters.

Die Proben sollen beginnen. In der Nacht vor der ersten Probe reißt eine Bombe das Dach des Schiller-Theaters ab und macht es zur Ruine.

Heinrich George ist tief getroffen. Er wird den König Lear niemals spielen. Er spürt - er ist ein Instinktmensch - daß er früher oder später zur Rechenschaft gezogen werden wird.

Kurz vor dem Ende des Krieges erscheint er in einem Filmatelier. Ein schwerer Tisch soll an eine andere Stelle gerückt werden, und er faßt mit an. Ein Arbeiter winkt ab: „Lassen Sie man, Herr Jeorje, det hilft nu ooch nich mehr!"

Wenige Tage nach der Eroberung von Berlin durch die Russen werden sie ihn verhaften, freilassen, wieder verhaften, und er wird schließlich elend in einem sowjetischen Konzentrationslager zugrunde gehen.
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Ferdinand Marians Sache steht etwss besser da.

Viele können bezeugen, daß er „dagegen" war. Aber natürlich wird er vorerst einmal kaltgestellt. Und als dann alles so weit ist, als der amerikanische Filmoffizier in München, aufgeklärt über die Unschuld Marians, bereit ist, seinen Namen aus der Schwarzen Liste zu streichen, rast er, wohl etwas betrunken, mit seinem Auto gegen einen Baum. Ende.
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