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"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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DAS LEBEN GEHT WEITER

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März 1931 - F. W. Murnau in Hollywood gestorben

Im März 1931 kommt die Nachricht nach Deutschland: der erfolgreiche Regisseur F. W. Murnau ist plötzlich in Hollywood gestorben. Gestorben? Er war doch noch so jung, er war doch knapp vierzig Jahre alt ...

Nun, er ist verunglückt. Er ist einem Autounfall zum Opfer gefallen. Sein Auto, mit dem er von Hollywood nordwärts nach dem Fischerdorf Monterey, unweit von San Franzisko, unterwegs war, stieß mit einem anderen schweren Lastwagen zusammen. Murnau war sofort tot.

Murnau ... Plötzlich wird man sich darüber klar, daß man lange, allzu lange nichts mehr von Murnau gehört hat. Vor fünf Jahren ist er nach Hollywood gegangen.

Er hat dort zwei oder drei erfolgreiche Filme gemacht, genau vermag sich niemand daran zu erinnern, beim Film geht alles so furchtbar schnell.
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3 erfolgreiche Filme - dann ist Murnau "verschollen".

Verschollen? Ein weltberühmter Regisseur verschwindet doch nicht einfach! Man will Genaueres wissen. Man fragt Emil Jannings, der Murnau drüben noch gesehen hat, man befragt Ludwig Berger, der erst vor einigen Wochen von Dreharbeiten aus Hollywood zurückgekehrt ist.

Und folgendes stellt sich heraus: Murnau war nicht glücklich in Hollywood. Murnau, der eigenwilligste unter den großen deutschen Regisseuren und vielleicht der eigenwilligste aller Regisseure der Welt, fand sich in Hollywood nicht zurecht.

Gewiß, seine ersten beiden Filme waren Erfolge, durchschlagende Erfolge sogar, aber es waren, streng genommen, nicht seine Filme. Zu viele Leute redeten ihm hinein: Produzenten, Direktoren, sogar Schauspieler.

Jeder wollte Murnau darüber belehren, daß man dies oder das „in Hollywood nicht so machen könne". Jeder wußte es besser als er.

In Hollywood war wirklich ganz vieles seltsam anders ...

Er durfte nicht einmal darüber bestimmen, wie seine Filme geschnitten werden sollten. Dafür waren die Cutter da.

Die hatten eine Gewerkschaft, und die sorgte dafür, daß Regisseure nichts anderes taten, als Regie führen. Er bekam nur das fertige Drehbuch, er durfte keine Zeile, keine Einstellung daran ändern.

Nach zwei Jahren hatte Murnau genug. Er war nicht Filmregisseur geworden, um am laufenden Band irgendwelche Filme zu machen. Er wollte machen, was ihm am Herzen lag.

Er spielte mit dem Gedanken, nach Deutschland zurückzukehren. Aber er konnte nicht. Er war nicht mehr sein eigener Herr. Er, der nüchterne, kühle, zurückhaltende Mann war zum ersten Mal in seinem Leben verliebt.

Er hatte sich in die Südsee verliebt. Die Südsee mit ihren tausendfarbigen Wassern, mit ihren jungfräulichen, noch von keiner Zivilisation beleckten Inseln, mit ihren schönen nackten Menschen, mit ihren Korallenfelsen, mit dem Himmel, der so unendlich sauber aussieht, als werde er täglich mit Seife abgewaschen.
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Und Murnau hatte eine Idee.

Er wollte einen Südseefilm machen. Er würde nicht mit richtigen Schauspielern, sondern mit den Eingeborenen einen Film drehen, nach einem ganz unkomplizierten, ja, geradezu naiven selbstverfassten Buch.

Murnau versuchte, die Fox für den Plan zu interessieren. Fox sagte nein; Paramount sagte nein; Metro-Goldwyn-Mayer sagten nein. Alle in Hollywood sagten nein. Wen interessierte schon ein Südseefilm?

Das roch ja geradezu nach Kulturfilm. Aber Murnau war nicht so leicht zu entmutigen. Murnau ging zu seiner Bank. Er war ein reicher Mann, vielleicht nicht nach amerikanischen Begriffen, aber er hatte mehrere hunderttausend Dollar gespart. Das war Geld genug, um einen solchen Film zu drehen, mehr als genug.

Er gründete seine eigene Gesellschaft. Die Gesellschaft hatte zwei Mitglieder: ihn selbst und seinen Kameramann. Sie waren alles zusammen in zwei Personen: Aktionäre, Aufsichtsrat, Direktorium und Schatzmeister.

Murnau kaufte eine Jacht und fuhr los.
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Er lebte auf Tahiti in seinem wunderschönen Palast

Und er lebte auf der Insel Bora-Bora, auf der er seinen Film drehte. Der Film hieß übrigens „Tabu" und hatte mit dem Aberglauben der Eingeborenen zu tun und mit dem Fluch eines Medizinmannes, der schließlich das Liebespaar ereilte.

Diese Handlung war freilich nur Vorwand für Murnau. Er wollte Natur drehen, er wollte natürliche Menschen zeigen in ihrer Schönheit und Nacktheit. Es dauerte fast drei Jahre, bis er den Film zu Ende gedreht hatte.

Eine ungewöhnlich lange Zeit. Aber Murnau wollte sich ja Zeit lassen. Er mußte mit den filmungewohnten Einwohnern intensiv arbeiten, bis er es erreichte, daß sie sich vor der Kamera so ungezwungen benahmen wie sonst im Leben.

Wenn sogar der Chef von Paramount weint ...

Es dauerte Monate, bis jeder Filmstreifen von der Kopieranstalt in Los Angeles zurückkam. Aber schließlich war der Film fertig. Murnau kam nach Hollywood. In Hollywood war man, wenn möglich, um diese Zeit noch weniger an einem Südseefilm interessiert als vor drei Jahren.

Man bedenke: Murnau brachte nicht nur einen Südseefilm, sondern dazu noch einen Stummfilm, jetzt, Ende 1930, wo nur noch Tonfilme gedreht wurden! Mit Mühe überredete Murnau die Direktoren der Paramount, sich den Film, bevor sie ablehnten, doch wenigstens einmal anzusehen.

Zwei Stunden später war die Situation völlig verändert. Die Direktoren waren beeindruckt, ja geradezu erschüttert. So etwas hatten sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Adolph Zukor, der alte Chef der Paramount, weinte sogar.

Adolph Zukor, Chef der Paramount, will den Film kaufen

Er erklärte sich bereit, den Film sofort zu kaufen. Eine Kleinigkeit freilich mußte geändert werden: Murnau sollte den Film synchronisieren. Zukor dachte an Musik der Eingeborenen, an hawaiische Lieder. Murnau war einverstanden.

Zukor hatte einen weiteren Vorschlag: Murnau sollte sich für zehn Jahre an die Paramount binden.

Zehn Jahre lang sollte er jährlich einen Südseefilm machen. Für jeden Film sollte er eine Million Dollar erhalten. Niemand würde ihm dreinreden, weder was das Manuskript, noch was die Besetzung, noch was den Schnitt anging. Murnau war glücklich.

In den nächsten Wochen sah er viele alte Freunde in Hollywood wieder. Er erzählte von den Jahren, die er auf den Südseeinseln verbracht hatte. Es waren, so versicherte er, glückliche Jahre.

Er liebte die Natur, er liebte die Eingeborenen, obwohl es nicht immer leicht war, mit ihnen auszukommen; der Glaube an übernatürliche Kräfte war schwer zu überwinden gewesen.

Sein Haus stand nämlich angeblich auf verfluchtem Grund. Dort waren früher einmal die Häuptlinge der Inselbewohner begraben worden. Man hatte ihn beschworen, das Haus nicht an dieser Stelle zu bauen. Er hatte nur gelacht. Aber das waren Kleinigkeiten.

Alles in allem war es eine schöne und geradezu paradiesische Zeit gewesen. Murnau war dunkelbraun gebrannt und heiter. In Zukunft würde er machen dürfen, was er machen wollte.

Und dann fuhr Murnau nach Monterey .........

.... um sich mit dem Mann zu besprechen, der seinen nächsten Südseefilm schreiben sollte, und starb in dem Augenblick, da das Leben für ihn eigentlich erst beginnen sollte. Es war ein schneller und guter Tod.

Hollywood war erschüttert. In Hollywood begriff man, daß einer der Großen der Filmindustrie abgetreten war. Bei der Paramount war man geradezu außer sich.

Was sollte nun geschehen? Würde der Film „Tabu" auch nach dem Tode des Regisseurs ein Erfolg sein? Sollte man ihn überhaupt herausbringen? Plötzlich kamen Forderungen von überall her. Murnau, der peinlich gewissenhafte Mann, sollte zahllose Rechnungen nicht bezahlt haben.

Seine Jacht wurde beschlagnahmt. Seine Konten wurden beschlagnahmt. Und immer noch liefen neue Rechnungen bei der Paramount ein. Die Familie in Deutschland verlangte die Leiche Murnaus.

Sie wurde in einem doppelten Sarg nach Europa geschickt. Auf dem Waldfriedhof in Stahnsdorf bei Berlin findet am 14. April 1931 die Beisetzung F. W. Murnaus statt.

Im Namen der Dachorganisation der Filmschaffenden, des Verbandes der Filmregisseure, würdigt Fritz Lang die großen Verdienste des Toten. Carl Mayer spricht für den Freund. Alle, die im Film einen Namen haben, stehen am Sarge.

Zuletzt geschieht etwas Schreckliches.

Irgend jemand berührt eine verborgene Feder am Sarg. Der Sargdeckel klappt zurück, und vor den Trauernden liegt F. W. Murnau im Frack mit roten Backen, mit geschminkten Lippen, friedlich lächelnd.

Was man in Deutschland nicht weiß oder wußte, ist, daß es in Amerika Sitte ist, die Toten einzubalsamieren, sie fein anzuziehen, sie zu schminken, damit die tieftrauernden Hinterbliebenen sie in besonders guter Erinnerung behalten.

Der Sarg wird schnell wieder geschlossen, wird in die Erde gesenkt. In Hollywood aber läuft der Film „Tabu" an und wird ein Sensationserfolg.

Ist es der Film, der den Erfolg hat, oder hat dieser Erfolg etwas mit den Gerüchten zu tun, die man sich bereits in ganz Amerika zuflüstert, und die schließlich auch nach Deutschland kommen?

Um was handelt es sich denn? Es handelt sich darum, daß der Autounfall Murnaus kein Zufall gewesen sein soll, sondern die Rache der beleidigten Südseegötter.

Jawohl, Murnau soll gestorben sein, weil er den Film „Tabu" gedreht hat auf der Insel Bora-Bora, die kein Fremder ungestraft betreten darf, weil er sich ein Haus dort baute, wo die alten Südseehäuptlinge begraben liegen, an einem Fleck also, der nicht berührt werden darf, der tabu ist.

Eine schauerliche Geschichte der Publicity-Agenten der Paramount

Eine schauerliche Geschichte. Schauerlicher noch, wenn man weiß, daß sie nicht etwa auf irgendeine geheimnisvolle Weise über die Südsee in die Welt gedrungen ist, sondern durch die Publicity-Agenten der Paramount auf gar nicht geheimnisvolle Weise verbreitet wurde.

Das „Gerücht" also besagt, daß Murnau bereits vor Beginn des Films gewarnt wurde. Ein Zauberdoktor mit Namen Tuga soll ihn beschworen haben, die Bora-Bora-Insel so schnell wie möglich zu verlassen, denn er befinde sich in höchster Lebensgefahr.

„Wenn der weiße Mann den Schrei des Totenvogels hört, wird der Teufel Orama-tua-hiaro-roroa ihn holen!" Die Versionen darüber, wie Murnau diese düstere Prophezeiung aufnahm, sind verschieden.

Einige Quellen, sprich: Reklamefachleute, behaupten, er sei erbleicht. Andere wollen wissen, daß er nur gelacht habe. Jedenfalls ließ sich Murnau nicht davon abbringen, seinen Film zu drehen.

Und nun geschahen viele seltsame Dinge. Man könnte geradezu auf den Gedanken verfallen, daß die Reklameagenten aus Hollywood die ersten Filme Murnaus kannten, in denen es ja auch spukte, was das Zeug hielt, besonders den Film von dem Vampyr Nosferatu; denn was Murnau nun alles passierte, hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Film, der vor zehn Jahren produziert worden war.

Wie dem auch sei: Murnau hörte sich mit Gleichmut an, daß ein Mädchen, das auf der verfluchten Insel landete, von einem Vampyr erdrosselt, daß ein junger Mann, der in der Nähe der Insel aus einem Kanu fiel, von einem Haifisch verspeist wurde.

Es brachte ihn auch nicht aus der Fassung, daß, als er an den angeblich besonders verfluchten Korallenriffen filmte, dort, wo früher die Kanus der Zauberer landeten, eine plötzliche Sturmflut eine Menge Kanus umwarf, wodurch zwar niemand getötet wurde, aber eine Menge wunderbarer, unersetzlicher Filmstreifen verlorenging.
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Murnau war eben - immer der Sage nach - unbelehrbar.

Wenn man dem unsinnigen Geschwätz glauben darf, das nach seinem Tode verbreitet wird, hatte er nicht deshalb so lange an seinem Film gearbeitet, weil es schwer war, ohne Schauspieler zu filmen, und das auf einer Insel, auf der es kein Atelier und keine Kopieranstalt gab, sondern weil die rächenden Götter der Südsee ihm immer wieder in den Arm fielen.

Ein junger Amerikaner, der bei einer nächtlichen Szene eine Magnesiumfackel trug, trug schwere Brandwunden davon.

Einige farbige Statisten legten die Arbeit nieder, weil sie Angst vor dem Fluch hatten. Der Totenvogel Toerau machte sich durch schrille geisterhafte Schreie bemerkbar.

Murnaus chinesischer Koch ertrank unter mysteriösen Umständen. Kurz, Murnau hatte keine Langeweile. Aber es schien alles noch einmal gut zu gehen.
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Der Film „Tabu" wurde fertig.

Murnau verließ sein Haus auf der Insel, kam nach Hollywood und durfte hoffen, den Rachegöttern ein für allemal entronnen zu sein.

Das Autounglück auf der Landstraße zwischen Hollywood und San Franzisko freilich „bewies" dann, daß der Arm der Südseegötter sogar bis nach Amerika reicht.

So jedenfalls flüstern sie es in Hollywood, flüstern sie es in ganz Amerika, flüstern sie es schließlich überall dort, wo der Film „Tabu" aufgeführt wird.

Und so wird der Film „Tabu" überall ein Riesenerfolg - denn wer will es sich entgehen lassen, einen Film zu sehen, den die Südseegötter verflucht haben, und dessen Regisseur mit dem Tode für das Unterfangen bezahlen mußte, ihnen Trotz geboten zu haben?

Die Paramount geht ja schließlich nicht so weit, verkünden zu lassen, daß auch die Besucher des Films „Tabu" von der Rache der Südseegötter bedroht sind.
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