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"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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VERFILMTER ZILLE

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1925 - Drei Monate später - noch ein Film aus einer "Gasse"

Drei Monate nach der „Freudlosen Gasse" kommt - im August 1925 - ein Film heraus, der ebenfalls in der Gosse spielt. Er ist von einem Regisseur geschaffen, der, obwohl er noch sehr jung ist, schon um diese Zeit außerordentliche und in ihrer Art ganz einzigartige Filme macht. Sein Name ist Gerhard Lamprecht.

Der Regisseur Gerhard Lamprecht

Er ging in die gleiche Schule wie Ernst Lubitsch. Im Gegensatz zu diesem ist er ein ruhiger, stiller, ungewöhnlich zurückhaltender Mensch, einer, der große Worte nicht liebt und der vermutlich gar nicht in der Lage wäre, sie zu machen.

Im Gegensatz zu Lubitsch kommt er auch nicht auf dem Umweg über das Theater zum Film. Er kommt zum Film sozusagen, ohne den geringsten Umweg zu machen. Schon als Primaner schreibt er ein Filmmanuskript „Die Geschichte seiner Schuld" und verkauft es auch.
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Mit 18 spielt er bereits im Hamlet mit

Nach dem Abitur studiert er Kunst- und Theatergeschichte, nimmt aber gleichzeitig Schauspielunterricht und spielt in den „Klassischen Volksschauspielen im Theater des Westens" schon als Achtzehnjähriger den Horatio in Shakespeares „Hamlet".

Er schreibt das Drehbuch zu einem fiktiven "Fernsehen"

Dies ist seine erste Rolle. Zwei Jahre später ist er Chefdramaturg von Lupu Pick, der ebenfalls sein Schulfreund ist. Pick gibt ihm den Auftrag, das Drehbuch zu dem Film „Der Weltspiegel" zu schreiben, der das Fernsehen vorwegnimmt.

Dann wird er Filmregisseur - mit 22 Jahren.

Nebenbei lernt er die Kamera bedienen und schneiden. Schon weiß er genau, was er will. Er kann sich zwar nicht ganz freimachen vom Theater, steht gelegentlich noch auf der Bühne.

Dann wird er Filmregisseur. Mit zweiundzwanzig Jahren dreht er seinen ersten Film. Ein paar Monate später stürzt er sich in seinen ersten Serien-Film. Drei Sechsakter mit fünfundsiebzig Dekorationen. Das Monumentalwerk ist in ganz kurzer Zeit, in fünfzehn Tagen, gedreht.

Erich Pommer verleiht die Lamprecht-Filme

Noch ist kein Jahr vergangen, da hat Lamprecht eine eigene Filmproduktion. Sein Sozius ist der Mann, der dem Sechzehnjährigen den ersten Film abkaufte.

Erich Pommer, damals noch bei der Decla-Bioskop, übernimmt den Verleih der Lamprecht-Filme. Es ist nicht zuletzt ihm zu verdanken, daß Lamprecht immer wieder seinen eigenen Willen durchsetzen kann.

Der erste Erfolg: „Schwere Tage"

Er will zarte, leise Filme machen. Der erste Erfolg: „Schwere Tage", einer der wenigen deutschen Filme, die auch in Paris gefallen.

Ein Nichts an Handlung: Ein Maler fährt ans Meer. Er lernt dort ein Mädchen kennen und verführt es. Sie folgt ihm in die Großstadt, obwohl er nichts mehr von ihr wissen will.

Ein Matrose, der sie liebt, holt sie, bringt sie in die Heimat zurück. Kein Mord und Totschlag, keine großen Szenen, keine wilden Gesten. So ist eben das Leben ...

Es folgen die „Buddenbrooks", die erste Verfilmung Thomas Manns, mit Peter Esser, Mady Christians, Alfred Abel, Adele Sandrock und der jungen Olga Tschechowa. Ein interessanter Film, aber nicht gerade ein gelungener.

Thomas Mann ist daran nicht ganz unschuldig. Er hat es erlaubt, daß sein Roman, der im Lübeck des neunzehnten Jahrhunderts spielt, ins zwanzigste Jahrhundert transponiert und überhaupt sehr verflacht wird.
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Auch die „Buddenbrooks" öffnet das Kino für neue Zuschauer

Immerhin kommen viele Leute ins Kino, die bisher vom Film nichts wissen wollten, um sich die „Buddenbrooks" anzusehen.

Zwei Jahre später kommt der entscheidende Durchbruch Lamprechts. Wie in den „Schweren Tagen", geht er darauf aus, Atmosphäre zu schaffen, nur daß der Film „Die Verrufenen" nicht in einer Hafenstadt spielt, sondern in Berlin, in dem Berlin, das nur die Berliner kennen, in dem Elend der Hinterhöfe, in den Behausungen der Ärmsten der Armen, in dem „Milieu".
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"Mein Milljöh", sagte Heinrich Zille

„Mein Milljöh", so hat der Maler Heinrich Zille das Berlin genannt, das er immer und immer wieder gezeichnet und gemalt hat, mit allen seinen Menschen, mit seinen Dirnen und Zuhältern, verwahrlosten Kindern und tyrannischen Portiersfrauen, mit seinen Straßenbahnschaffnern und alten Kutschpferden - dieses Berlin, in dem alles mit Selbstverständlichkeit und ohne Pathos hingenommen wird, dieses Berlin des untheatralischen Lasters und Leides.

Als die Fachleute hören, daß Lamprecht einen Zille-Film machen will, schütteln sie die Köpfe: Wer will so etwas im Kino sehen? Schließlich geht man doch ins Kino, um es zu vergessen!
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Zille ist von Lamprechts Buch begeistert

Zille hat Lamprecht den Stoff geliefert. Eigentlich hat ihn das Leben geliefert, denn es handelt sich um eine wahre Geschichte, die Zille Lamprecht anvertraute, die Geschichte eines Mannes, der von Stufe zu Stufe sank.

Lamprecht schreibt das Buch, Zille liest es und ist begeistert. Der alte Meister bittet, dabei sein zu dürfen, wenn der Film ins Atelier geht. Und da sitzt er nun und staunt, daß dieser Lamprecht, der doch kein Maler ist, so kunstvoll und so prachtvoll malen kann - mit der Kamera.

Später erzählt Zille von den Dreharbeiten

Später wird Zille von seinen Erlebnissen im Atelier berichten:

„Das war eine ganz einfache Aufnahme mit einem Viehhändler, der von dem ,Meechen' in einen Winkel gelockt und von ihren Kumpanen überfallen wird. Immer dachte ich, nun ist es aber gut, und sagte zu Lamprecht: ,Ist ja besser als meine Zeichnung!' Und immer wieder war der junge Regisseur nicht zufrieden damit. Ich weiß nicht, wieviele von den dicken Zigarren dem angesoffenen Viehhändler aus dem Munde geschlagen wurden. Aber zum Schluß war sein steifer Hut tatsächlich so richtig verbeult, wie ich es bei mancher ernsten Keilerei gesehen habe. Und als ich dann die Aufnahme im Film sah, dachte ich mir: Es ist nur gut, daß du so schön alt bist. Mit deiner zeichnerischen Kunst wird's nun wohl bald vorbei sein. Wenn diese jungen Kamerakünstler mit ihrer Photographie so weiter arbeiten - und sie bringen unverfälschtes Leben - ihre Figuren bewegen sich! Was habe ich mich gequält, einen Hund zu zeichnen, der mit dem Schwanz wedelt, man mußte es darunter schreiben - jetzt im Film - da wackelt er tatsächlich! Tatsächlich, wie ein beschenktes Kind freute ich mich, wie damals Lamprecht meine gezeichneten Bilder verstanden hatte"

Wie macht Lamprecht das ? Mit Menschen aus der Gosse

Er ist sich von Anfang an über eines klar: Dieser Film kann nur echt werden, wenn er anstatt Komparsen richtige Menschen einsetzt. Die Filmstatisten jener Tage mögen in der Lage sein, die Teilnehmer der großen französischen Revolution zu mimen oder Höflinge aus der Umgebung Heinrich VIII., alte Ägypter oder Kreuzritter, aber Menschen aus der Berliner Gosse - nein! Die kann nur das Leben selbst liefern.

Lamprechts Assistenten kämmen die Nachtasyle durch, die Kneipen, die dunklen Straßen um den Schlesischen Bahnhof.

Schließlich wimmelt es im Filmatelier von Huren, Zuhältern, Trunkenbolden. Lamprecht hat auch eine echte Destille (eine Tresen) aufbauen lassen, an der echter Schnaps ausgeschenkt wird, und an dem der Held des Films, der von Stufe zu Stufe sinkt, seinen Geburtstag feiert.

Und dann kommen die Berliner Säufer ....

Seine Kumpane drücken ihm die Hand und sagen: „Ick jratuliere dir - aba fn langet Leben wünsch' ick dir nich!"

Lamprecht hat nur eine Sorge: daß alles möglichst echt wird. Der Produzent hat eine andere Sorge: ob die schweren Jungens, die da versammelt sind, auch nichts
anrichten werden?

Der Chef der schweren Jungens erklärt: „Ick jarantiere, det allet klar jeht! Aber eens missen Se mir versprechen: Krimis is nich!"
„Krimis?" fragt der Produzent verblüfft. „Polente!" erklärt der Chef. Lamprecht hat endlich verstanden. „Mein Wort darauf!"

Die Szene wird also gedreht. Plötzlich sieht Lamprecht in der Hand des Chefs ein langes, stilettähnliches Messer aufblitzen.
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Und jetzt wird es richtig "echt" im Atelier .... Schnaps is Schnaps!

Noch eine Sekunde, und ein junger Mann hätte es im Rücken. Im Scheinwerferlicht sieht das ganz toll aus. Da wirft sich der Beleuchter Winkler mit einem Hechtsprung auf den Chef und reißt ihm den Arm zurück.

Allgemeine Aufregung. Lamprecht nimmt den Chef beiseite: „Sie hatten mir doch versprochen, daß nichts vorkommt!"

„Kann ick wat dafür? Dieser Kerl hat nich nur an seinem eigenen Schnaps jenippt..." „Warum sollte er nicht? Sie waren es ja, der verlangt hat, daß richtiger Schnaps in den Gläsern ist!"

„Ha' ick! Ha' ick! Aber alle sollten davon ham! Und wat sehen meine entzindeten Oogen! Da tauscht doch dieser Kerl sein leeret Jlaß jejen det von die olle Anna aus und will det ooch noch trinken! Jeht doch zu weit!"

„Deswegen den Mann gleich umlegen? Geht das nicht auch ein bißchen zu weit?" „Und den Schnaps von die olle Anna austrinken, jeht det nich zu weit?" „Na, hören Sie mal ... das Leben eines Menschen ..." „Quatsch! Schnaps is Schnaps!"
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So entsteht der Film „Die Verrufenen".

Ein harter Film. Und doch ein schöner Film, schön wie das Leben, das uns nichts schenkt. Armut und Elend werden nicht symbolisiert durch dunkle, enge Gassen, gebeugte Menschen.

Aber da ist zum Beispiel ein Beerdigungsinstitut mit dem Firmenschild „Leichenwagen erster und zweiter Klasse". Da ist alles drin - wie die Berliner in ihrer Mundart sagen würden.

Oder da sind die Augen der Kinder, die am Straßenrand sitzen und die schon alles vom Leben wissen, obwohl ihr Leben kaum begonnen hat.

Oder da ist eine alte Frau, ihre dünnen Haare sind in einem Knoten am Hinterkopf zusammengehalten, ihr Gesicht ist böse geworden wie ihr Leben war - kann man sich vorstellen, daß sie jemals jung gewesen ist?

Oder da ist ein Polizist, der am liebsten gar nicht einschreiten möchte, denn er weiß ja: diese Menschen sind nicht schuldig. Das Leben ist schuld.

Oder da ist einer, der einen anderen trösten will. Was soll er ihm sagen? Er sagt gar nichts. Er fischt eine Zigarette aus der Tasche und steckt sie ihm in den Mund ...
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Und Zille muß es ausbaden - sie sollen ihn in Ruhe lassen.

Die Fachleute haben den Kopf geschüttelt, als Lamprecht seinen Film begann. Noch bevor die Aufnahmen zu Ende sind, wird Heinrich Zille mit Anfragen überschüttet.

Überall in Deutschland will man wissen: Ist die Geschichte wirklich wahr, die da verfilmt wird? Wieviel davon ist wahr, wieviel ist erfunden?

Zille muß sich an die Presse wenden und mitteilen lassen, daß das Filmmanuskript nicht von ihm stammt, und bitten, daß man ihn gefälligst mit der Sache in Ruhe lassen soll... Aber man läßt ihn nicht in Ruhe. Denn nun wird auch die Industrie aufmerksam. Sollte man sich geirrt haben? Sollte dieser Lamprecht vielleicht doch eine gute Idee gehabt haben?

Sollte man sich an Zille wenden? Sollte ein Film mit armen Leuten doch ein Geschäft sein? Es stellt sich heraus: Er ist ein Geschäft!
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WALZERTRAUM

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Es gibt da eine Film-Krankheit - steigern steigern steigern

Ludwig Berger hat große Erfolge gehabt. Aber die wichtigste Pflicht eines Filmregisseurs ist, immer wieder einen Film zu machen, der noch erfolgreicher ist als der letzte.

„Ich mache keinen Operettenfilm!"

Und deshalb sagt eines Tages Erich Pommer zu Ludwig Berger: „Was würden Sie davon halten, Herr Berger, den „Walzertraum" zu verfilmen? Was meinen Sie?"

„Nein!" erklärt Berger kategorisch. „Ich mache keinen Operettenfilm!" „Überlegen Sie sich's noch einmal", rät ihm Pommer begütigend.

Der Walzertraum. Natürlich kennt Berger die Operette. Wer kennt sie damals nicht? Wer kennt nicht den süßen, zarten Walzer, den Oskar Straus geschrieben hat, jenen Walzer, der mit den Worten beginnt: „Leise, ganz leise klingt's durch den Raum ..."
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Aber was nützt Berger das - beim Stummfilm?

Ein Walzer, der mehr ist als ein typischer Operettenwalzer jener Zeit. Aber was nützt Berger das? Ein Walzer ist eine Melodie - und der Film ist stumm.

Wie kann man einen Walzer verfilmen? Man kann ihn nicht verfilmen. Man kann die ganze reizende Musik von Oskar Straus nicht verfilmen. Man kann nur den Text, nur die Handlung verfilmen. Und der Text ...

Die meisten Operetten haben viel idiotischere Textbücher

Nun gut, für eine Operette ist er nicht einmal so schlimm. Die meisten Operetten haben viel idiotischere Textbücher. Erich Pommer meint: „Eine Unmenge Operetten sind schon verfilmt worden.
Das ,Dreimäderlhaus', die ,Rose von Stambul', das ,Schwarzwaldmädel', sogar die »Lustige Witwe'."

„Und das, worauf es bei diesen Operetten ankommt, die Melodien, sind immer unter den Tisch gefallen, nicht wahr?" „Natürlich ... Das heißt in den großen Kinos haben natürlich die Orchester die Musik gespielt, und in den kleinen Kinos tun es eben die Klavierspieler.

Aber was wollen Sie? Die Leute hören einen Titel, den sie kennen, und sind überzeugt, sie bekommen genau dasselbe zu sehen wie im Operettentheater - für weniger Geld." „Ich will kein Geschäft mit einem berühmten Titel machen!"

„Das verlange ich ja gar nicht von Ihnen! Ich könnte mir nur vorstellen, daß die Leute die Musik gar nicht vermissen, wenn Sie etwas machen wie das ,Glas Wasser' oder ,Aschenputtel'." „Wenn ich so etwas mache, dann ..."

Ein Blick ins Textbuch des „Walzertraum"

Wie ist es denn mit dem Textbuch des „Walzertraum" bestellt? Der berühmte Hans Müller aus Wien, seit vielen Jahren geschickter Hersteller von Theaterstücken, die den Weg über viele hundert Bühnen gemacht haben, hat in seiner Jugend eine Novelle geschrieben, die später das Libretto zum „Walzertraum" abgab.

Es handelt sich da um einen Wiener Leutnant namens Niki. Der soll die Prinzessin irgendeines kleinen Balkanstaates heiraten. Dann wird er Prinzgemahl. Und wird sich langweilen ...

Er langweilt sich schon jetzt. Er liebt Wien, insbesondere das Wiener Nachtleben und die Wiener Maderln. Am Balkanhof fühlt er sich geradezu verbannt. Alle sind so steif. Am steifsten ist die Prinzessin. Sie ist zwar hübsch, aber grenzenlos langweilig. Also ... ?

Also verschwindet Niki eines Abends aus dem Palast. Er hat sich sagen lassen, daß gelegentlich der Heirat der Prinzessin der Fremdenverkehr gestiegen und infolgedessen das Nachtleben in der Stadt ein bißchen üppiger geworden ist als sonst.

Insbesondere hat man ihm von einer Wiener Damenkapelle erzählt, die in einem Gartenlokal gastiert. Er geht also hin und findet in der Person von Franzi, der ersten Geigerin, eine ehemalige kleine Freundin wieder.

In Wien wäre Franzi nur eine von vielen. Hier, auf dem Balkan, ist sie die Einzige. Am liebsten möchte Niki sogleich mit ihr fliehen. Sie wäre auch bereit dazu. Sie ist eigentlich noch bereiter dazu als er, denn während sie für ihn nichts als eine flüchtige Liebelei bedeutete, ist er ihre große Liebe gewesen, ist es immer noch. Sie kann ihn nicht vergessen, sie will es auch nicht.

Die veränderte Balkanprinzessin

Aber so einfach liegen die Dinge nicht, wenn man, wie Niki, im Begriff ist, eine Balkanprinzessin zu heiraten. Nicht allein, daß diplomatische Verwicklungen drohen - auch die Frage des Herzens spielt mit. Die langweilige Prinzessin liebt Niki nämlich auch. Und gerade noch im rechten Augenblick - oder vielleicht ist es auch der unrechte - erfährt Franzi davon.

Franzi ist durchaus selbstlos, wie es nun einmal die ersten Geigerinnen von Damenkapellen gewöhnlich sind. Sie liebt Niki. Und für Niki ist es natürlich besser, eine Prinzessin zu heiraten, auch wenn sie langweilig ist, als mit einer Geigerin durchzugehen, was allenfalls mit einer unstandesgemäßen Heirat enden würde. Also opfert sich Franzi.

Sie opfert sich sogar zweifach, indem sie die langweilige Prinzessin lehrt, daß man nicht immer langweilig sein muß, auch wenn man Prinzessin ist; sie bringt ihr bei, wie man einen Mann anzieht, nicht zuletzt dadurch, daß man sich selbst auszieht.

Die Prinzessin lernt's. Aus der steifen Person wird eine reizende junge Dame. Niki erkennt sich selbst kaum wieder. Er liebt ja die eigene Frau! Und Franzi? Die kleine Wienerin entsagt.

Natürlich ist es „Operettenkitsch!"

„Operettenkitsch!" meint Berger. Aber dann überlegt er. Vielleicht läßt sich doch etwas Hübsches daraus machen. Die Handlung muß möglichst glaubhaft werden. Berger verhandelt mit den Autoren des Drehbuchs - Robert Liebmann und Norbert Falk, zwei Journalisten der „BZ am Mittag", die bereits Filme für Ernst Lubitsch und Richard Oswald schrieben.

„Vor allen Dingen", erklärt er, „muß die Geschichte 'etwas wahrscheinlicher' werden. Eine Prinzessin heiratet doch nicht so mir nichts, dir nichts einen gewöhnlichen Leutnant. Wir brauchen ein Motiv ..."

Das Motiv ist gefunden. Die Prinzessin ist eigentlich einem Erzherzog zugedacht. Und Niki ist der Adjutant des Erzherzogs. Und der Erzherzog will die Prinzessin nicht. Die Prinzessin will den Erzherzog eigentlich auch nicht, jedenfalls würde sie ihn nur aus Staatsraison heiraten. Aber der Adjutant, der nichtsahnende Niki, gefällt ihr.

„Dies wäre das Motiv", stellt Berger fest. „Und dann noch etwas! Ich möchte nicht, daß diese Sache in irgendeinem Operetten-Balkan-Land spielt. Sie soll in Wien spielen! Wenn schon, denn schon! Die Fürstlichkeiten vom Balkan können ja in Wien zu Besuch weilen ... und bei dieser Gelegenheit wird es uns möglich sein, ein bißchen Wien zu zeigen ..."
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... ein bißchen Wien zu zeigen!

Dabei kennt Berger Wien nicht einmal selbst. Nun nimmt ihn Pommer für zwei Tage nach Wien mit. „Sie müssen die Atmosphäre kennenlernen!" Wien - das bedeutet für Berger Mozart, Haydn, Schubert, Beethoven.

Wien, das ist eine Melodie, die er tausendmal gespielt, hunderttausendmal gehört hat. Aber nun lernt er Wien kennen, von dem er bisher nichts ahnte, das Wien der schönen alten Barockpalais, das Wien des Praters, das Wien des Heurigen, wo man an langen Holztischen sitzt und alte Volkslieder singt, das Wien der Backhendl, des Wiener Waldes, der Wiener Walzer. Dieses Wien hat wirklich etwas Märchenhaftes ...

Dieses Wien ist der leibhaftig gewordene Walzer. Wenn man das auf die Leinwand bringen könnte! Diese Stadt mit ihrer Atmosphäre, mit ihrer Grazie, mit ihrer wehmütigen Leichtigkeit.

Diese Welt im Dreivierteltakt ...! Berger beschließt, einen Wiener Film zu machen. Den ersten einer Reihe, die seither nie abgerissen ist, und die nie abreißen wird. Eine Feststellung, die nicht ganz ohne Wehmut getroffen werden kann; denn was seither an Wiener Filmen über uns hereingebrochen ist...

Die Besetzung:

Die Russin Xenia Desni als Franzi, die Christians als Prinzessin, der dicke Jakob Tiedtke als Balkanherzog, der schlaksige Komiker Julius Falkenstein als Hofmarschall, und Willy Fritsch als verliebter Leutnant Niki.

„Alles muß ganz leicht werden!" erklärt Berger. Nicht einmal, er erklärt es hundertmal jeden Tag. „Namentlich die Liebesszenen, die müssen wie hingehaucht sein."

Und seine Schauspieler erfahren, wie schwer es ist, im Film etwas zu machen, was nachher zart und leicht aussehen soll, wieviel Schweiß vergossen werden muß, damit eine Pointe - nicht wie gebracht, sondern wie fallengelassen wirkt.

Jede Szene wird unendlich oft gestellt, öfter geprobt und immer und immer wieder gefilmt.
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Da ist ein junger Geiger .........

Das alles geht übrigens unter Begleitmusik vor sich. Da ist ein junger Geiger, der, sobald eine gefühlvolle Szene gedreht werden soll, den berühmten Walzer spielt: „Leise, ganz leise, klingt's durch den Raum ..."

Der Geiger scheint unermüdlich. Er geigt ganze Nächte durch. Weithin in Babelsberg hört man die traurigsüße Melodie von Oskar Straus: „Leise, ganz leise, klingt's durch den Raum ..."

Die Christians und Willy Fritsch stehen einander gegenüber. Die erste Liebesszene. Was soll er tun? Er ist ja als Schauspieler noch so unerfahren. Er tut ein paar Schritte, macht eine kleine Bewegung und weiß schon: Das war falsch!

Das war zu viel. Das müßte leiser, zarter sein ... Berger winkt ab. Der Geiger setzt einen Augenblick aus und beginnt dann wieder: „Leise, ganz leise, klingt's durch den Raum ..."
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Der Regisseur spielt die Szene selbst

Und dann spielt Ludwig Berger die Szene selbst. Er ist kein Filmliebhaber. Er ist nicht mehr der Allerjüngste, und er wiegt bestimmt zwanzig Pfund zu viel. Aber was tut's? Plötzlich ist alles ganz richtig.

Berger stürzt nicht auf die Christians zu, nimmt sie nicht in seine Arme, spielt überhaupt keine konventionelle Liebesszene. Er tut kaum einen Schritt. Er macht eine Bewegung mit der Hand, nein, er macht sie nicht. Es ist ein Nichts, eine Andeutung, ein schüchterner Versuch. „Leise, ganz leise, klingt's durch den Raum ..."

Es ist, als ob Berger plötzlich sein Gewicht verloren hätte. Niemand weiß, wie es geschehen ist, aber auf einmal steht er neben der Christians. Ein Liebhaber? Nein, ein ratloser dummer Junge. Seine Hand tastet nach der Hand von Mady Christians. Es ist nicht einmal ein Tasten. Es ist nur eine Andeutung davon ...

Ist das noch eine Liebesszene? Der junge Willy Fritsch ist überzeugt: „Das wird beim Publikum nie ankommen!" Mady Christians ist überzeugt: „Die Leute werden gar nicht wissen, was sie davon zu halten haben!"
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Die Liebesszene spielt jetzt unter einem Regenschirm

Zehn Meter weiter wird eine Dekoration zurechtgerückt. Irgend jemand hämmert, irgend jemand schreit dem Beleuchter etwas zu. Es wird gehobelt, es wird geflucht.

Der Geiger geigt: „Leise, ganz leise, klingt's durch den Raum ..." „So ist's richtig", sagt Berger, schweißüberströmt. Dann hat er es sich wieder anders überlegt.

„Nein, es ist noch zu süßlich, es müßte noch weniger sein ..." Er versinkt in Gedanken. Die anderen starren ihn an. Was wird er sich jetzt wohl wieder ausdenken?

„Ich weiß!" ruft Berger. „Die ganze Szene noch einmal, nur ... im Regen!" „Im Regen?" Die Christians ist ganz entsetzt. Da werden wir doch naß!" „Nein! Ihr werdet nicht naß! Mady trägt einen Regenschirm."

„Aber da sieht man doch nur die Hälfte der ganzen Liebesszene", protestiert Willy Fritsch.
„Das ist es ja gerade!" triumphiert Ludwig Berger. „Die Hälfte ist gerade genug. Dann wirkt die Szene nicht mehr so süßlich

Er wendet sich um und ruft: „Ich brauche Regen! Regen!" Es kann ihm gar nicht schnell genug regnen. Und dann entsteht die erste von unzähligen Liebesszenen unter einem Regenschirm.
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Ludwig Berger rastet aus - wegen Willy Fritsch

Der „Walzertraum" wird durchaus nicht mit jener Wiener Gemütlichkeit gedreht, die er ausstrahlen soll. Ludwig Berger ist ein Besessener wie Fritz Lang. Nichts von dem, was die Schauspieler machen, ist ihm gut genug. Alles will er präziser, klarer, vor allem leichter.

Besonders Willy Fritsch ist für ihn ein ständiger Stein des Anstoßes. „Noch mal, Herr Fritsch! Noch mal, Herr Fritsch!" ruft Berger nach der ersten Aufnahme einer Szene. Nach der zweiten Aufnahme: „Das war noch schlechter!"

Nach der dritten Aufnahme: „Ich habe nicht geglaubt, daß Sie noch schlechter spielen könnten als vorhin. Aber Sie haben es geschafft, Herr Fritsch! Sie haben überhaupt nicht gespielt! Überhaupt nicht!"

Nach der vierten Aufnahme: „Das war gar nichts, überhaupt nichts!" Nach der fünften Aufnahme winkt Berger nur leise ab. Noch einmal.

Nach der sechsten Aufnahme bekommt er einen Tobsuchtsanfall. „Jeder Schauspielschüler macht mir das besser! Mensch, haben Sie denn gar kein Gefühl?" Nach der siebenten Aufnahme saust Berger äußerst behende um Fritsch herum: „Das kann doch Ihr Ernst nicht sein! Das ist doch ein Witz! Das hat doch mit Gefühl überhaupt nichts mehr zu tun!" Nach der achten Aufnahme verlegt sich Berger aufs Flehen: „Mensch, Willy, haben Sie doch ein Einsehen! Es tut mir geradezu weh, wenn ich sehen muß, was Ihr treibt!" Nach der neunten Aufnahme brüllt Berger: „Leiser! Leiser!"

Nach der zehnten Aufnahme flüstert er: „Lauter! Lauter!"
Es stört Berger keineswegs, daß bei solchen Ausbrüchen manchmal ein paar hundert Komparsen zugegen sind, die Mühe haben, ernst zu bleiben.
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Willy Fritsch möchte alles hinwerfen.

Willy Fritsch muß sich Mühe geben, nicht zu weinen. Manchmal möchte er alles hinwerfen. Aber er hat einen Kontrakt. Er muß alles über sich ergehen lassen. Und nicht nur er. Alle Schauspieler stecken entsetzlich viel ein, während der „Walzertraum" gedreht wird.

Schauspieler sind bereit, viel einzustecken, wenn sie davon überzeugt sind, daß das Ganze einen Sinn hat. Aber sie sind es nicht. „Das wird nie etwas!" flüstert Mady Christians resigniert.

„Ich fress' einen Besen, wenn der Film ein Erfolg wird", brummt Jakob Tiedtke. „Was heißt hier Erfolg?" äußert der Komiker Julius Falkenstein und klemmt sein Monokel fester ins Auge. „Der Film wird gar nicht aufgeführt!"

Der Optimismus der Schauspieler schwindet zusehens

Der Grund dafür, daß die Schauspieler, die bei schlechten Filmen immer optimistisch sind, diesmal so viel Skepsis zeigen: sie haben keine Muster gesehen. Im allgemeinen ist es - schon in jenen Jahren - so, daß die Schauspieler sich zusammen mit dem Regisseur und dem Produzenten nach jedem Drehtag die Muster der am Vortage gedrehten Szenen und Einstellungen ansehen.

Berger aber erklärt: „Ich wünsche das nicht! Es würde meine Schauspieler unsicher machen ...!"

Und auch noch Szenen in der Wiener Hofburg

Natürlich müssen auch einige Außenaufnahmen in Wien selbst gemacht werden. Und da der „Walzertraum" in den „allerhöchsten Kreisen" spielt, ist es notwendig, Szenen in der Hofburg zu drehen oder in und vor anderen Gebäuden, die bis 1918 im Besitz der Habsburger waren.

Da ist zum Beispiel eine Szene, in der Niki und die Prinzessin durch die Stadt fahren. Pommer verhandelt mit den Behörden, und es gelingt ihm, eine kaiserliche Hofkutsche auszuleihen.

Ja, noch mehr, man läßt ihn sogar, gegen ein geringes Entgelt, zwei berühmte Lipizzanerhengste des kaiserlichen Marstalls benutzen, die vor die besagte Kutsche gespannt werden.

Als die Kutsche losfährt, bleiben die Wiener auf den Straßen stehen. Sie glauben ihren Augen nicht zu trauen. Seit 1918 haben sie eine solche Kutsche mit dem goldbetreßten Kutscher und den nicht minder betreßten Lakaien neben ihm, haben sie diese Pferde nicht mehr gesehen. Ist der Kaiser wieder in Wien?
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Und dann folgt die Enttäuschung, ja allgemeines Erstarren ...

Später wird Berger erzählen: „Eine einzige Kutsche, zwei Märchenschimmel und drei Livreen versetzten die Wiener in Fieber!" Und dann folgt die Enttäuschung, als die Wiener den Wagen mit der Kamera erblicken. „Ja, wos is denn dös?" fragen sie verwundert. Einige wissen es: „Sie machen einen Film!"

Man hat geglaubt, die gute alte Zeit komme zurück, und jetzt wird nur ein Film über die gute alte Zeit gedreht. Und nun zeigen sie, wie tief sie die Filmleute verachten. Sie kehren ihnen ostentativ den Rücken zu.
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Die Wiener sind ein merkwürdiges Volk

Mit "heiligen Dingen", wie einer kaiserlichen Hofkutsche und Lipizzanerhengsten aus der Spanischen Reitschule, treibt man eben keinen Scherz!

Diese Einstellung der Wiener läßt Pommer seinen ursprünglichen Entschluß, die Uraufführung des Films in Wien stattfinden zu lassen, revidieren.
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Die Galapremiere am 18. Dezember 1925 im UFA-Palast am Zoo

Der „Walzertraum" kommt, wie fast alle anderen großen UFA-Filme, im Berliner UFA-Palast am Zoo heraus. Das historische Datum der Uraufführung: der 18. Dezember 1925. Galapremiere.

Riesenhafte Auffahrt. Hundert Mann Orchester, geführt von dem Dirigenten Ernoe Rape, einem Ungarn, der aus New York hergeholt wurde. Ernoe Rape hebt seinen Taktstock, und man hört den berühmten Walzer von Oskar Straus. Es wird dunkel, der Vorhang geht auseinander.

Auf der Leinwand erscheint der Titel des Films - und gleichzeitig ein Paar, das Walzer tanzt. Und während der Vorspann abrollt, erscheinen immer mehr Paare auf der Leinwand, die Walzer tanzen. Das Publikum klatscht begeistert.

Der Film dauert hundert Minuten. Immer wieder wird in die Szenen hineinapplaudiert. Besonders jene leisen, stillen Liebesszenen, von denen die Schauspieler glaubten, sie würden niemals „ankommen", erwecken die Begeisterung des Publikums.
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Ein Stummfilm, der von Musik durchtränkt ist ....

Berger hat es geschafft. Er hat einen Stummfilm mit Musik gemacht, einen Stummfilm, der von Musik durchtränkt ist. Der UFA-Palast ist auf Wochen ausverkauft. Der Kassenerfolg ist enorm. Pommers Direktionskollegen sind höchst befriedigt.

„Warum nicht gleich so?" äußern sie. Und: „Dieser Berger darf nur noch Operettenfilme drehen!" Ein Befehl, dem Berger allerdings nicht Folge leisten wird.

Auch im Ausland läuft der „Walzertraum" vor vollen Häusern. Über Nacht werden Mady Christians, Xenia Desni und Willy Fritsch internationale Begriffe. Sogar am New Yorker Broadway feiert der „Walzertraum" tolle, ungeahnte Triumphe.
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