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"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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ZWÖLFTERTEIL • DIE GLEICHSCHALTUNG

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SITZUNG IM KAISERHOF

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Warum eigens erwähnt wird, daß Hitler an die Macht kommt?

Es ist wahr, seitdem es einen deutschen Film gibt, wechselten die Regierungen mehr als ein dutzendmal.

Nur die Revolution von 1918 veränderte die Lage der deutschen Filmindustrie, und auch sie kaum entscheidend.

Was die UFA angeht, so wurde sie lediglich gewisser Fesseln ledig: General Ludendorff hatte sie gegründet, um das neutrale Ausland im deutschen Sinne zu beeinflussen. Nachdem Ludendorff verschwunden war, konnte sich die UFA ganz ihrem höheren Ziel zuwenden, nämlich Geld zu verdienen.

Seitdem waren Ministerpräsidenten und Reichskanzler gekommen und gegangen. Das war für die UFA, das war für die deutsche Filmindustrie völlig gleichgültig. Aber nach der Machtübernahme Hitlers ist das etwas anders geworden.

Man könnte die Geschichte der amerikanischen Filmindustrie schreiben, ohne jemals die Namen Wilson, Coolidge, Hoover, Roosevelt zu erwähnen.

Man könnte die Geschichte der französischen Filmindustrie schreiben, ohne daß der Name auch nur eines der zahllosen Ministerpräsidenten von Frankreich zu fallen brauchte.

Aber man kann die Geschichte des deutschen Films nicht schreiben, ohne daß die Namen Hitler und Goebbels fallen, wäre es auch nur, weil diese Männer, die alles taten, um Deutschland zu zerstören, und damit auch alles taten, um die deutsche Filmindustrie zu schlagen.
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Der 30. Januar 1933 - ein Schicksalstag der Deutschen

Als Hitler am 30. Januar 1933 aus den Händen des alten, viel zu alten Hindenburg den Auftrag erhält, die neue Regierung zu bilden, ahnt das noch niemand.

Seltsamerweise erweist sich gerade Alfred Hugenberg, ohne dessen gütige Mitwirkung Hitler niemals an die Macht gekommen wäre, als besonders uninformiert.

Ja, Hugenberg glaubt am 30. Januar 1933 noch ernsthaft, daß er Hitler kontrollieren kann, daß er und seine Parteifreunde sich Hitlers baldigst - in ein paar Monaten schon - entledigen werden.

Hugenberg gibt seinem Verlagsleiter, dem Generaldirektor der UFA, Ludwig Klitzsch, die Weisung, vorläufig „mitzumachen". Man solle Hitler nicht widersprechen; er werde sich in ein paar Monaten zu Tode geredet haben.

Kurz, der schlaue Alfred Hugenberg benimmt sich, wie man sich dümmer und ahnungsloser nicht benehmen könnte. Es ist wichtig, dies festzuhalten. Denn es entlastet zumindest diejenigen, die mitmachten, weil sie sich sagten: „Wenn Hugenberg Hitler nur ein paar Monate gibt, warum sollten wir Kleinen dann Kopf und Kragen riskieren?"

Hugenberg hatte vermutlich nie "Mein Kampf" gelesen

Man kann nur annehmen, daß Hugenberg kein Wort von dem gelesen hat, was Hitler schrieb und redete. Man kann nur annehmen, daß er nichts ahnt von dem „totalen Machtanspruch" der Partei.

Nicht alle, die mit der UFA oder mit dem deutschen Film zu tun haben, sind so ahnungslos wie der Besitzer der größten Zeitungskette Deutschlands.

Hans Albers zum Beispiel, der sich wenig um Politik kümmert, hat einen weitaus besseren Riecher als der Geheimrat Hugenberg. Albers lehnt die Nazis vom ersten Tag an ab, und er wird während der zwölf Jahre, die sie regieren und Deutschland ruinieren, sich mehr als einmal gegen sie auflehnen.

Er wird jeden Kontakt mit ihnen vermeiden und wird diejenigen unter seinen Freunden und Kollegen, die der Partei beitreten, schneiden - er wird aus diesem Grunde eines Tages sogar den Verkehr mit seinem Bruder abbrechen.
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Hitler braucht den klugen Kopf von Goebbels

Goebbels ist (optisch) nicht gerade der lebende Beweis für die besondere Qualität der arischen Rasse. Aber er hat einen Kopf. Und Hitler, der das sehr wohl weiß, macht ihn schon knapp sechs Wochen, nachdem er selbst an die Macht gekommen ist, zum Minister für „Volksaufklärung und Propaganda".

Vielleicht hat Hitler dabei vor allem an Zeitungen, Nachrichten-Agenturen, Rundfunk und Buchverlage gedacht, die nationalsozialistisch „ausgerichtet" werden sollen.

Goebbels denkt auch an die Theater - Theater war immer die Leidenschaft seines Lebens - und an den Film. Zugleich verkündet er: „Die Regierung will sich in weit größerem Maße als ihre Vorgänger um den Film kümmern, vor allem um seinen künstlerischen und geistigen Gehalt."

Er denkt jetzt schon an Propaganda-Filme großen und größten Ausmaßes, an Filme wie „ Jud Süß" ... Schon wenige Wochen, nachdem Hitler die Regierung übernommen hat, befindet sich die ganze Filmindustrie in heftiger Nervosität.
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Niemand weiß, was nun eigentlich geschehen soll.

Die meisten Filmschauspieler und Regisseure haben nie den „Völkischen Beobachter" in der Hand gehabt oder den „Angriff", ganz zu schweigen von Hitlers „Mein Kampf".

Die UFA-Direktoren vermuten, ähnlich wie Geheimrat Hugenberg, daß Hitler nicht daran denken wird, alles in die Tat umzusetzen, was er in seinen unzähligen Wahlreden versprochen hat.

Schließlich wird ja irgendjemand Hitler und Goebbels darüber verständigt haben, daß der deutsche Film nicht gerade das ist, was sie „arisch" zu nennen belieben.
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Das mag Zufall sein. Es gäbe aber auch andere Gründe

Wahrscheinlicher schon hängt es mit der großen Begabung der jüdischen Rasse für Theater und Schauspielerei zusammen, und damit, daß die Juden sich zu einer Zeit mit dem Film einließen, als konservativere Geschäftsleute auf der ganzen Welt nicht daran glaubten, daß es sich um mehr handele, als um eine sehr schnell vorübergehende Mode.

Wie dem auch sei: Kann man sich den deutschen Film vorstellen ohne den kleinen Davidson oder Erich Pommer, ohne Ernst Lubitsch oder Ludwig Berger, ohne Fritz Lang oder Wilhelm Thiele, ohne Werner Richard Heymann oder Reinhold Schünzel oder Hans Schwarz?

Und nun ist plötzlich vom Arier-Paragraphen die Rede? Nun äußert der „Völkische Beobachter", daß der deutsche Film „judenrein" werden müsse?
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Fast jeder merkt es, der Pöbel kommt an die Macht

Und in allen Filmgesellschaften werden sogenannte NSBO-Zellen gegründet, und überall tauchen Männer auf, die bisher obskure Posten innehatten oder überhaupt keine Posten, und die jetzt das große Wort führen, weil sie niedrige Parteinummern besitzen, weil sie schon vor Jahren in die NSDAP eingetreten sind.

In vielen Ateliers wird die Arbeit unterbrochen. Wer weiß, ob es noch zu verantworten ist, einen in Arbeit befindlichen Film mit „nichtarischen" Schauspielern und Regisseuren zu Ende zu führen?

Die gesamte Filmindustrie fühlt sich geradezu erlöst, als Goebbels zu einer allgemeinen Aussprache in den Kaiserhof einlädt. Nun wird man endlich erfahren, was die Regierung zu tun beabsichtigt! Jetzt wird man klar sehen. Die Optimisten werden optimistischer denn je. Die Pessimisten pessimistischer denn je.
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Einladung der "Filmindustrie" in den Kaiserhof am 27. März 1933

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  • Anmerkung : Das "Hotel Kaiserhof" war das erste große Luxushotel in Berlin. Es stand am Wilhelmplatz 3–5 schräg gegenüber der Reichskanzlei im damaligen Berliner Regierungsviertel. Das Hotel wurde im Oktober 1875 eröffnet und am 23. November 1943 durch mehrere Bombeneinschläge völlig zerstört.

  • Die "Einladung" Ende März 1933 war nur noch teilweise freiwillig. Die "Eingeladenen" wußten das - und sie kamnen fast alle. Sie ahnten bereits, was außer der Karriere noch auf dem Spiel stand,

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Um acht Uhr abends soll es losgehen. Schon eine halbe Stunde vorher ist der große Saal überfüllt. Alle sind gekommen: die Direktoren, die Regisseure, die Schauspieler, die Autoren, die Vertreter der verschiedensten Berufsorganisationen des Films, die Vertreter der Spitzenorganisationen der deutschen Filmindustrie und des Reichsverbandes der Lichtspiel-Theater.

Alle sind erschienen - und sehen einander mit erschreckten, ungläubigen Augen an. Denn viele der Geladenen tragen SA- und SS-Uniformen.

Es sind nicht gerade die Prominenten, wie Albers, Fritsch, Veidt oder Jannings, sondern eher die ewig Zukurzgekommenen, die ewigen Zweiten.
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Die ewig "Zukurzgekommenen", die "ewigen Zweiten"

Jetzt befinden sie sich in großer Fahrt. Hochmütig und mit schlecht verhehlter Empörung sehen sie sich im Saal um.

Sitzt dort nicht Gitta Alpar? Vor ein paar Wochen noch war Gitta Alpar der Star der deutschen Operette, eine Frau von ungeheurem Temperament, mit einer bezaubernden Stimme, die Riesenhäuser füllen konnte, und die mit ihren ersten zwei oder drei Filmen bereits Welterfolge hatte.

Jetzt weiß man nur noch, daß sie „nichtarisch" ist. Sitzt dort nicht die blonde, blauäugige Grete Mosheim? Die dunkelhaarige Lucie Mannheim? Auch sie haben, wie man sich zuflüstert, nicht die "vorgeschriebene" Abstammung.

Es sind überhaupt sehr viele im Saal, die sich nicht werden halten können, falls es den neuen Herren mit ihren idiotischen Rassegesetzen ernst ist. - Aber wer hält das schon für möglich?
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27. März 1933 - Goebbels erscheint pünktlich um 8 Uhr

Pünktlich um acht Uhr erscheint Goebbels in Begleitung des Prinzen August Wilhelm von Preußen und des Führers der Berliner SA, Graf Helldorf, bekannt durch viele private Skandale und durch seine antisemitischen Exzesse am Kurfürstendamm.

Carl Froelich, einst Kameramann bei Meßter, später Produzent und Regisseur, hält eine kurze Ansprache, aus der noch nicht zu entnehmen ist, daß er bald in das Lager der neuen Machthaber übergehen wird.

Dann erhebt sich Ludwig Klitzsch. Er sieht schlecht aus, so, als habe er in der letzten Zeit wenig geschlafen. Und das dürfte wohl auch der Fall sein. Klitzsch macht sich Sorgen.

Er sieht klarer als die anderen, in welcher Gefahr die deutsche Filmindustrie schwebt, auch wenn Hugenberg meint, die Sache sei in ein paar Monaten erledigt. Freilich, selbst Klitzsch kann nicht ahnen, zu welchen Mitteln Goebbels in den nächsten zwölf Jahren noch greifen wird ...

Klitzsch hält eine überaus gescheite Rede.

Er macht ein paar nichtssagende Verbeugungen vor den neuen Machthabern. Wird aber dann unvermutet sehr ernst und sehr mutig und meint, so wie in den letzten Wochen ginge es nicht weiter.

Er braucht Worte wie „Konjunkturritter" und „Gerüchtemacher". Er stellt fest, daß „allgemeine Unsicherheit" herrsche. Er betont, daß es notwendig sei, wieder in Ruhe zu arbeiten. Er stellt fest: „Der deutsche Film ist auf das Ausland angewiesen!"

Klitzsch wird oft unterbrochen. Offenbar haben die alten Parteigenossen die Parole ausgegeben, er müsse lächerlich gemacht werden. Als Klitzsch von seiner Absicht spricht, ein Lehr- und Forschungsinstitut in Babelsberg zu schaffen, johlt ein Braunhemd im Hintergrund: „Wohl auch wieder für die ausländischen Juden!" Einen Augenblick ist es ganz ruhig im Saal.
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Und dann erhebt sich Dr. Goebbels.

Viele von denen, die gekommen sind, hörten ihn noch nie sprechen. Sie hatten keine Zeit und keine Lust, zu den Goebbelsveranstaltungen im Sportpalast zu gehen, und sie halten nicht viel von dem kleinen Mann mit dem scharfgeschnittenen, ebenso intelligenten wie verbissenen Gesicht.

Aber schon nach wenigen Minuten müssen sie zugeben: dieser Goebbels kann reden. Dieser Goebbels hat Charme, hat Witz, versteht zu formulieren.

Goebbels beginnt mit der Feststellung, der Film befände sich in einer Krise, die nicht materiellen, sondern geistigen Ursprungs sei. Eine durchgreifende Reform müsse erfolgen.

Zur Erläuterung der Richtlinien, nach denen sich die künftige Produktion vollziehen soll, will er fünf Filme nennen.

Als ersten Film nennt er den „Panzerkreuzer Potemkin"

..... der trotz „seiner Tendenz ein Kunstwerk ist, ein Kunstwerk ohnegleichen und ein Vorbild dafür, wie weltpolitische Anschauungen mit allen Mitteln moderner Technik wirkungsvoll zum Ausdruck gebracht werden können."

Allgemeines Geraune im Saal. Hat man recht gehört? Macht Goebbels Propaganda für einen kommunistischen Propagandafilm? Und weiß er denn nicht, daß der Mann, der „Potemkin" gedreht hat, daß der Regisseur Eisenstein ein Jude ist?

Der zweite Film, den Goebbels nennt, ist „Anna Karenina". Seit Jahren regt sich die Nazipresse über die degenerierten amerikanischen Filme auf. Und jetzt versteift Goebbels sich ausgerechnet auf „Anna Karenina"? Weiß er denn nicht, daß der Produzent Irving Thalberg ...? Weiß er denn nicht, daß der Regisseur ...?
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Dr. Goebbels spricht weiter:

„Der Film ,Die Nibelungen' hat gezeigt, daß auch ein abgelegenes Thema wieder aktuell und zeitnah werden kann ..." Man faßt sich an den Kopf. Jetzt ist Goebbels auch noch für „Die Nibelungen".

Weiß er denn nicht, daß Fritz Lang ...? Das vierte Beispiel ist „Der Rebell". Dieser Film ist erst vor kurzer Zeit herausgekommen. Er ist von Paul Kohner produziert worden. Kurt Bernhardt führte die Regie. Aber weiß denn Goebbels nicht...?

Es scheint, als ob Goebbels plötzlich begreift, daß er eigentlich für alles Propaganda macht, was er und die anderen Nationalsozialisten in den letzten Jahren als verabscheuungswürdig angeprangert haben.

Infolgedessen erspart er sich und seinen Zuhörern ein fünftes Beispiel.
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Was er, also Goebbels und was das blöde (das deutsche) Volk sehen darf .....

Viele Jahre später wird er erklären, wenn auch nur vor einigen wenigen prominenten Schauspielern, daß der beste Film, den er je gesehen habe, „Ninotschka" sei. „Ninotschka" ist ein Film von Ernst Lubitsch.

Goebbels wird also bis zuletzt einen Unterschied machen zwischen seinem privaten Geschmack und dem, was das deutsche Volk zu sehen bekommen darf.

Am 27. März 1933 redet er noch eine Weile weiter, sagt, zu Klitzsch gewandt, er wundere sich doch sehr, daß man sich in den Filmateliers unsicher fühle.

„Sie können sich sicher fühlen, meine Herren! Die Zeit des ewigen Regierungswechsels ist vorbei. Wir sind jetzt da, und wir bleiben! Darauf können Sie sich verlassen!"

Und dann kommt das Horst-Wessel-Lied

Die begeisterten Braunhemden erhalten jetzt eine kalte Dusche. „Selbstverständlich können wir nicht von früh bis spät in Gesinnung machen! Eine gewisse Bewegungsfreiheit muß herrschen!" sagt Goebbels.

Als Goebbels sich setzt, sehen sich die Zuhörer enttäuscht und besorgt an. Sie wissen immer noch nicht, was erlaubt und was verboten ist.

Die Verwirrung steigert sich, als die Braunhemden das Horst-Wessel-Lied anstimmen. Es stellt sich nämlich heraus, daß mehr als die Hälfte der Anwesenden dieses Lied gar nicht kennt.
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Dann will Goebbels den Anwesenden vorgestellt werden.

Er zeigt sich besonders interessiert daran, mit den schönen Damen vom Film einige Minuten zu plaudern.

Noch ahnt freilich niemand, welche Ausmaße dieses „Plaudern" einmal annehmen - welche Bedeutung es für die deutsche Filmindustrie haben wird.
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Auch der Halbjude Fritz Lang ist einer von denen, die in den Kaiserhof geladen waren.

Er kam mit seiner Ex-Gattin Thea von Harbou, die sich vor Begeisterung nicht zu fassen wußte. Er selbst ist alles andere als begeistert, sowohl von der Veranstaltung, den Gästen und von seiner Frau.

Er durchschaut Goebbels, spürt mit dem ihm eigenen Instinkt bis in die Fingerspitzen, wohin die Reise geht. Gewiß, Goebbels hat seinen Nibelungen-Film über den grünen Klee gelobt. Aber seinen letzten Film, „Das Testament des Dr. Mabuse", hat er bereits verboten.
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Fritz Längs Telefon läutet.

Es ist der Produzent Nebenzal, der sich meldet. Er weiß bereits, was Goebbels am Abend vorher im Kaiserhof gesagt hat - in der Filmindustrie spricht man ja von nichts anderem.

Er weiß von der Lobeshymne über den Nibelungen-Film. Und er sagt: „Sie müssen zu Goebbels gehen und versuchen, den „Mabuse"-Film freizubekommen!" - Lang glaubt nicht recht gehört zu haben. „Ich soll zu Goebbels gehen? Er wird mich gar nicht empfangen!"

„Ich habe gute Informationen, Herr Lang! Goebbels wird Sie mit Freuden empfangen!" Lang überlegt blitzschnell. Wenn er den Mabuse-Film frei bekäme ... Wenn Goebbels sich überreden ließe, diesen AntiNazi-Film spielen zu lassen ...
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Lang begibt sich ins Propagandaministerium.

Er läßt im Propagandaministerium anrufen. Wäre der Minister bereit, ihn zu empfangen? Der Minister erklärt sich dazu bereit. Er will Lang schon heute empfangen. Lang soll sich um zwei Uhr im Propagandaministerium einfinden.

Lang begibt sich ins Propagandaministerium. Er wird über verschiedene Treppen geführt, durch lange dunkle Korridore, in denen seine Schritte widerhallen.

An jeder Ecke steht ein SA-Mann und will wissen, wohin Lang will, verlangt seinen Ausweis, mustert den Regisseur mißtrauisch. Es dauert mindestens eine Viertelstunde, bis Lang zum Vorzimmer des Ministers gelangt, und mit jeder Minute ist er überzeugter: Hier komme ich nie wieder heraus ...!
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Eine Stimme sagt ihm : Hier komme ich nie wieder heraus ...!

Im Vorzimmer muß er nur wenige Augenblicke warten. Dann öffnet ein in ein Braunhemd gekleideter Sekretär die Tür, und Goebbels humpelt ihm entgegen.

Nichts mehr von der Feindseligkeit, nichts mehr von dem Mißtrauen der Wachen in den Korridoren. Goebbels ergreift beide Hände Fritz Längs. „Ich freue mich so sehr, daß Sie gekommen sind ... Wenn Sie sich heute nicht gemeldet hätten, würde ich um Ihren Besuch gebeten haben, mein lieber Herr Lang."

Er nötigt den Besucher, Platz zu nehmen. „Wir haben ja über 50 viele Fragen, die den deutschen Film betreffen, zu sprechen."

Fritz Lang ist bei so viel Liebenswürdigkeit nicht wohl zumute. Er beschließt, den Besuch so kurz wie möglich zu gestalten. „Ich bin gekommen, Herr Minister, weil mich der Produzent meines letzten Films gebeten hatte ..."

Ein Schatten huscht über das Gesicht von Goebbels.
„Ich weiß, ich weiß. Ich habe den Film verbieten lassen müssen ..."

„Vielleicht bestände doch eine Möglichkeit, ihn wieder freizubekommen?" Goebbels geht nicht darauf ein. „Sprechen wir von anderen Dingen. Sprechen wir doch von der Zukunft!"
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Fritz Lang als "Nichtarier" wartet auf das, was da kommt.

Er ist einigermaßen gespannt auf das, was jetzt kommen wird. Aber selbst seine Phantasie kann ihm nicht ausmalen, was kommt.

„Ich sprach dieser Tage mit dem Führer. Wir brauchen einen starken Mann in der Filmindustrie, einen Mann, der uns den großen nationalen Film schenkt, Herr Lang!"

Lang denkt: Weiß Goebbels denn nicht..? Goebbels fährt fort. „Auch der Führer ist ein begeisterter Anhänger von Ihnen! Besonders der Nibelungen-Film hat es ihm angetan! Sie wären unser Mann!"

„Sie meinen ...?" fragt Lang ungläubig. „Sie würden direkt unter mir arbeiten. Die gesamte deutsche Filmindustrie, die zusammengefaßt wird, wäre Ihnen unterstellt!" Lang denkt: Wenn ich nein sage, läßt er mich auf der Stelle verhaften!

Goebbels versprüht Charme: „Sie brauchen sich natürlich nicht sofort zu entscheiden, Herr Lang. Ein paar Tage Bedenkzeit ... Oder warum eigentlich ein paar Tage? Sagen wir einen Tag! Morgen werden Sie uns sagen, ob der neue deutsche Film, ob wir mit Ihnen rechnen können!"
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Fritz Lang räuspert sich nochmals .......

„Aber wissen Sie denn nicht, Herr Minister ...?" Goebbels winkt ab. „Natürlich weiß ich .. . Der Führer und ich stehen auf dem Standpunkt, daß in Ausnahmefällen wie bei Ihnen ... Wer wird wagen, etwas zu sagen, wenn der Führer Sie durch Sondererlaß zum Arier erklärt?"

Ich muß fort, denkt Fritz Lang. Ich muß so schnell wie möglich Deutschland verlassen. Nachdem er einmal so weit gegangen ist, wird er mein Nein gar nicht mehr akzeptieren können.
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„Welchen Film werden Sie als ersten für uns machen?" will Goebbels wissen. Fritz Lang sieht auf die Uhr in der Ecke des Zimmers. Zwölf Uhr dreißig. Wenn er in zehn Minuten hier loskommt, kann er noch zu seiner Bank fahren, kann noch alles Geld, was er dort hat, abheben. Goebbels scheint sich bereits den Kopf für Lang zerbrochen zu haben.

„Ich dachte, Sie sollten vielleicht einen Wilhelm-Tell-Film machen. Große Möglichkeiten für Massenszenen und Außenaufnahmen im Gebirge!"
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Noch 5 Minuten, bevor die Bank schließt.

Ich habe noch fünf Minuten Zeit, denkt Fritz Lang. Wenn ich in fünf Minuten wegkomme, kann ich noch zur Bank. Sonst ...

Sein Herz klopft rasend. Dr. Goebbels merkt nichts von der Nervosität seines Besuchers. Er plaudert gemächlich über den Wilhelm-Tell-Film, den Fritz Lang dem „Führer schenken wird" - dies sind seine Worte.

Nebenbei erwähnt er auch den Judenboykott, den er in drei Tagen zu inszenieren gedenkt. „Das Weltjudentum wird aufhorchen!" äußert er begeistert. Offenbar ist für ihn Fritz Lang bereits „arisiert".

Es ist halb zwei, als Lang schließlich seinen Abschied nimmt Der Minister bringt ihn persönlich zur Tür. „Also bis auf morgen, mein lieber Herr Lang!" sagt er freundlich lächelnd.

Zu spät. Die Banken sind bereits geschlossen.

Fritz Lang geht zum Kaiserhof hinüber, trinkt einen doppelten Kognak an der Bar und überlegt. Vielleicht hat er noch Zeit. Vielleicht kann er die Entscheidung ein paar Tage hinziehen. Er kann ja morgen Goebbels anrufen lassen, daß er sich nicht wohl fühle, daß er später...

Aber er verwirft diese Idee sofort wieder. Wenn er nicht sofort zusagt, wird Goebbels mißtrauisch werden. Vielleicht ist er es jetzt schon. Wer weiß, vielleicht läßt er ihn bereits beobachten ...

Aber selbst wenn Goebbels das nicht tut - er, Lang, kann nicht mehr riskieren, morgen einen größeren Betrag von seiner Bank abzuheben. Das würde Goebbels sofort gemeldet werden. Und Goebbels würde daraus seine Schlüsse ziehen.
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Fritz Lang fühlt - er muß weg aus Deutschland - sofort

Fritz Lang entschließt sich, noch am gleichen Abend zu fahren. Er wird den Schlafwagenzug nach Paris nehmen. Er geht in eine Telefonzelle und führt ein vorsichtiges Gespräch mit einer Freundin.

Er wird jetzt nach Hause gehen. Er wird seinen Sekretär - dem er nicht mehr traut, denn auch der hat sich nach der Machtergreifung als ein langjähriges Parteimitglied entpuppt -, unter irgendeinem Vorwand entfernen.

Er wird das Notwendigste packen. Er hat zu Hause ein paar tausend Mark im Safe liegen. Die wird er mitnehmen - und das Negativ des verbotenen Mabuse-Films.
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Selbst sein Sekretär ist schon eine Gefahr für ihn ....

Er fährt nach Hause. Der Sekretär erhält einen ungeheuer komplizierten Auftrag, der ihn für mehrere Stunden entfernt. Lang packt hastig. Die Freundin hat inzwischen ein Billett nach Paris besorgt und ein Schlafwagenabteil belegen lassen.

Auf dem Bahnhof Friedrichstraße erscheint Lang genau drei Minuten vor Abgang des Zuges. Er wäre nicht im geringsten verwundert, wenn man ihn jetzt noch verhaftete.

Er wäre nicht im geringsten verwundert, wenn er noch in Köln oder an der Grenze aus seinem Schlafwagenabteil herausgeholt würde.

Goebbels hat wohl nicht damit gerechnet, daß Fritz Lang so schnell die letzten Konsequenzen zieht. Ein Jahr später, als die Gestapo bereits durchorganisiert ist, würde Lang nicht mehr so leicht entkommen können, sich so leicht retten können.
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ABREISEN

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Fritz Lang ist nicht der Einzige, der abreist oder abhaut

Fritz Lang ist nicht die einzige deutsche Filmpotenz, die verschwindet. Es verschwinden die Regisseure Hans Schwarz, Wilhelm Thiele. Es verschwindet der Komponist Werner Richard Heymann.

Es verschwindet der junge begabte Billy Wilder, der gescheite Walter Reisch und der alte Filmroutinier Robert Liebmann, die drei besten deutschen Drehbuchautoren.

Eric Charell reist ab. Elisabeth Bergner ist bereits nach London verzogen, Conrad Veidt siedelt sich ebenfalls an der Themse an. Fritz Kortner hat sich nach Wien abgesetzt. Peter Lorre nach Paris. Gitta Alpar fährt in die Schweiz.
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Wer soll Goebbels klarmachen ......

Begreift denn niemand, daß das nicht gut gehen kann? Versucht denn niemand, Goebbels klar zu machen, daß man nicht die großen Könner einer Industrie ausschalten kann, ohne die Industrie selbst in Gefahr zu bringen?

Filmerfolge sind Kollektiverfolge. Der beste Filmschauspieler kann sich nicht durchsetzen, wenn er kein gutes Drehbuch hat. Willy Fritsch oder Hans Albers haben das Talent, einen Song populär zu machen, und dies Talent muß brach liegen, wenn niemand da ist, der einen guten Song für sie schreibt.

Wie sollen neue junge Regisseure entdeckt werden, wenn ein Mann wie Pommer, der ständig neue Talente entdeckte, ausgeschaltet ist?

Ja, auch Erich Pommer hat Deutschland verlassen.

Später wird es heißen, daß zwei SA-Männer ihn einfach aus seinem Büro hinausgeworfen haben. Aber so einfach hat sich das denn doch nicht abgespielt. Denn in puncto Pommer kennt Klitzsch keinen Spaß. Er weiß, was er Pommer zu verdanken hat.

Er weiß, daß die Pommer-Filme die großen Erfolge der letzten Jahre waren. Er weiß, daß Pommer einfach durch niemanden zu ersetzen ist. Er kämpft für Pommer. Er spricht mit den alten Parteigenossen in der UFA. Er appelliert schließlich sogar bei Goebbels.

Hat Hugenberg ihm nicht immer wieder versichert, daß der verrückte Hitler nur ein paar Monate an der Macht bleiben wird? Wenn er also Pommer nur ein paar Monate halten kann ...
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Dergleichen kann Klitzsch Herrn Goebbels nicht sagen.

Stattdessen erzählt er ihm davon, wie sehr die UFA auf Export angewiesen sei, und daß die Filme, die die großen Gelder im Ausland eingespielt haben, meist Pommer-Filme gewesen wären.

Goebbels weiß natürlich, daß der deutsche Film exportieren muß. Er hat auch nichts dagegen unternommen, daß die zwei Dutzend Filme, die er in den ersten Wochen in Deutschland verboten hat, im Ausland weiter gespielt werden.

Aber das genügt nicht. Schon werden in manchen Ländern deutsche Filme boykottiert. Freilich, welche Ausmaße das noch annehmen wird, ahnt nicht einmal er.

Im letzten Jahr sind noch rund dreißig Millionen Mark von deutschen Filmen im Ausland eingespielt worden.

In zwei, drei Jahren werden es nur noch drei bis vier Millionen Mark sein. Im vergangenen Jahr sind noch vierzig Prozent der Herstellungskosten eines Films im Ausland verdient worden.

In drei Jahren werden es knapp fünf Prozent sein. Nein, das kann Goebbels 1933 noch nicht wissen.
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Goebbels weiß, daß es richtig wäre, Pommer zu halten

, über dessen Bedeutung er sich im klaren ist.
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Das sagt er natürlich nicht dem Generaldirektor Ludwig Klitzsch oder vielmehr dem kleinen Angestellten der UFA, von dem sich herausgestellt hat, daß er ein altes Parteimitglied ist, der infolgedessen sehr schnell die Treppe hinauffällt und von Klitzsch zu den Großen des Dritten Reiches als Sonderbeauftragter geschickt wird.

Goebbels läßt Klitzsch vielmehr bestellen: „Ich kann nicht alle jüdischen Filmleute arisieren! Und Herr Klitzsch soll endlich verstehen, wie untragbar es ist, daß ein Jude weiterhin der erste deutsche Filmproduzent bleiben soll!" - Klitzsch ist verzweifelt. Er sucht Pommer auf. „Wir müssen einen Weg finden, um Sie zu halten!" ruft er.
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Pommer ist durchaus nicht verzweifelt.

Er ist sich völlig klar darüber, daß seine Tage in Deutschland gezählt sind. Überdies hat er einen Vertrag mit der amerikanischen Fox-Filmgesellschaft in der Tasche. Er soll für diese große Filmgesellschaft in Paris eine europäische Produktion aufziehen.

Irgendwie erfährt Goebbels von dem Fox-Vertrag Pommers.
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Goebbels lächelt .....

Und Goebbels entwickelt folgenden Plan: Wenn die Fox, anstatt Pommer in Paris zu beschäftigen, die Produktion in Berlin aufziehen würde, flössen erstens ausländische Gelder nach Deutschland, und zweitens könnte man Pommer halten.

Goebbels lächelt: „Wer der Chef einer amerikanischen Produktionsfirma in Berlin ist, kann uns letzten Endes gleichgültig sein!"
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Und nun beginnt ein sehr merkwürdiges Spiel.

Beamte des Propagandaministeriums erscheinen bei Erich Pommer, um ihm vorzuschlagen, seinen Einfluß bei der Fox geltend zu machen, damit die geplante europäische Produktion von Paris nach Berlin verlegt werde.

Pommer kann nicht riskieren, nein zu sagen. Aber er hat nicht die geringste Lust, im Dritten Reich Filme zu produzieren, und er weiß, daß die Fox auch nicht daran denkt, ihm so etwas zuzumuten.

Trotzdem werden wochenlang Telefongespräche zwischen Paris und Berlin geführt, lange "Kabel" (das sind Fernschreiben oder Telexe) von Hollywood an Pommer abgesandt, und er beantwortet sie mit noch längeren "Kabeln".
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Fox möchte nicht in Deutschland produzieren !

Und eines Tages kommt dann ein Kabel der Fox: „Zu unserem lebhaften Bedauern sehen wir uns vorläufig außerstande, in Deutschland zu produzieren."

Pommer teilt es den Herren vom Propagandaministerium mit, und er fügt hinzu: „Hiermit ist meine Tätigkeit in Deutschland beendet. Ich beabsichtige, noch heute abend nach Paris zu reisen."

Sehr betretene Gesichter allerseits. Pommer zieht seinen Paß aus der Tasche. „Hier ist mein Paß. Ich möchte, daß Sie mir einen Sichtvermerk vom Propagandaministerium besorgen. Denn ich habe keine Lust, noch auf dem Bahnhof vor Abfahrt des Zuges verhaftet zu werden." Allgemeiner Protest. „Aber davon kann doch gar keine Rede sein, Herr Pommer!"
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Jetzt lächelt Pommer.

Soll er den Herren vom Reichspropagandaministerium sagen, daß ihm bekannt ist, daß in diesen Tagen Verhaftungen nicht gerade selten sind?

Die Herren erheben sich zögernd und mit sichtlichem Bedauern. „Ist das Ihr letztes Wort, Herr Pommer?" „Ich fürchte, ja!" - Am Abend der Abreise finden die Herren sich alle wieder am Bahnhof ein. Und einer überreicht Pommer den Paß mit dem Sichtvermerk des Propagandaministeriums.

Goebbels hat in den Paß Pommers die Erlaubnis eintragen lassen, während der folgenden Jahre so oft nach Deutschland zu kommen, wie er es wünscht, und Deutschland auch wieder zu verlassen.

Als der Zug schon im Fahren ist und alle die Hüte schwenken, ruft einer: „Kommen Sie bald wieder, Herr Pommer! Wir hoffen alle auf Ihre baldige Rückkehr!"

Aber Pommer wird nicht so bald wiederkommen. Er wird erst wieder nach Deutschland zurückkehren, wenn dort kein Propagandaministerium mehr existiert.
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