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"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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ABBLENDEN
Die "Blende" im Vorgriff auf das Ende im April 1945

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Die Katastrophe (im Film) soll im großen Studio stattfinden.

Das hier ist ein Foto/Bild aus den Anfängen 1925 - Als die Studios noch intakt waren

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Die Ansicht der Studios in 2018

Die "Katastrophe" (im Film !) soll in der Südhalle der großen Studios stattfinden. Die Halle steht nämlich noch. Überhaupt steht noch ziemlich viel auf dem UFA-Gelände in Babelsberg bei Potsdam, obwohl wir bereits den 14. April 1945 schreiben.


Die Katastrophe soll in der Südhalle stattfinden. Es handelt sich um den großen Wassereinbruch in den Bergwerksstollen. Bereits seit Wochen sind schwarze, sehr echt wirkende Kohlenwände errichtet worden, Grubenlaternen verbreiten trübes Licht, Grubenhunde fahren auf schmalspurigen Schienen.

Der Film heißt „Die Schenke zur ewigen Liebe". Er soll das Leben mutiger Bergleute schildern, die bereit sind, ihr Leben zu opfern, wenn die Pflicht es erheischt. Unter anderem erheischt ihre Pflicht, in dem Wasser, das in den Stollen einbrechen soll, zu ertrinken. Aber noch ist es nicht so weit.

Man wartet auf die Heißwassermaschine. Denn selbstverständlich muß das Wasser angewärmt sein, damit die Schauspieler sich beim Ertrinken keinen Schnupfen holen. Sie sollen ja auch nur zum Schein ertrinken.

Schon dunkelt es. Der Abend wird sternenklar.

Draußen aber, im nahen Berlin und überhaupt in der ganzen Umgegend, töten die Bomben und Granaten nicht nur zum Schein. Schon dunkelt es. Der Abend wird sternenklar. Man spürt den Frühling in der Luft. Gegen neun Uhr geben die Sirenen im nahen Potsdam die Vorwarnung.

Es ist der dreizehnte Alarm seit Jahresbeginn. Bisher war stets Berlin gemeint. Diesmal sind Potsdam und Babelsberg dran. Um zehn Uhr ertönen von der Garnisonkirche die Glocken. Sie spielen - zum letzten Male - „Lobet den Herrn!"
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Um elf fallen die Bomben.

Die Nacht ist taghell erleuchtet. Detonationen, Explosionen. Die Welt scheint unterzugehen. Die Belegschaft der Südhalle verspürt nicht die geringste Lust, ihr Leben zu opfern, weil die Pflicht des Filmens es verlangt.Es mögen allenfalls zweihundert oder dreihundert sein: Büroangestellte, Techniker, Arbeiter, Reinmachefrauen, Schauspieler, Tonmeister, Beleuchter, Maskenbildner, die, so schnell sie können, in den Bunker A laufen - einen sehr geräumigen, fast luxuriösen Bunker, der mindestens tausend Menschen Sicherheit bieten könnte.

Carl Raddatz, der Hauptdarsteller, in voller Bergmannsausrüstung, mit verrußtem Gesicht, ist nicht davon überzeugt. Mißtrauisch blickt er zur Decke. „Wird das halten?" Karl Dannemann, der ebenfalls mitspielt, zuckt die Achseln.
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Vor einem Jahr war der erste schwere Angriff.

Carl Raddatz, der Hauptdarsteller erinnert sich: „Vor einem Jahr war der erste schwere Angriff. Damals filmte gerade Willy Birgel. Es gab Tote und Verletzte. Und die ganze Belegschaft mußte mit Schiebkarren Pflastersteine auf die Bunkerdecke häufen ...* Die anderen schweigen. Sie denken alle das gleiche: Wenn die Betondecke nicht hält...

„Jetzt ist endgültig Schluß!" sagt Raddatz schließlich. „Diese ganze Filmerei hat doch gar keinen Sinn mehr! Warum gehen wir nicht nach Hause?" Der junge Regisseur Alfred Weidenmann zuckt die Achseln.

Der Film heißt „Die Schenke zur ewigen Liebe"

Neun Jahre später wird er mit einem Film über den Admiral Canaris diejenigen, die bis zum letzten aushalten wollten - die Hitler, Himmler, Goebbels -, entlarven.

Jetzt aber muß er, aushaltend bis zum letzten - und was bleibt ihm anderes übrig? - „Die Schenke zur ewigen Liebe" mit den Schauspielern Carl Raddatz, Monika Burg und Karl Dannemann in den Hauptrollen drehen.

Der Pressechef, ein Mann von der SS, knurrt: „Es ist unsere patriotische Pflicht, den Film zu Ende zu drehen!" „Unsere patriotische Pflicht?" höhnt Carl Raddatz, der Opposition macht und überhaupt das ist, was die Nationalsozialisten ein zersetzendes Element nennen.

Es ist unsere patriotische Pflicht ..... Wer nicht filmt ....

„Allerdings! Unsere patriotische Pflicht!" Der Pressechef hätte nicht übel Lust zu verkünden: Wer nicht filmt, wird erschossen! Und das ist nicht einmal so absurd, denn wer nicht filmt, muß zum Volkssturm. Nach fünfundvierzig Minuten kommt die Entwarnung. In den Büros und den Werkstätten und den Ateliers wird am nächsten Morgen wieder gearbeitet.

Nur die Parteiabzeichen verschwinden von den Rockaufschlägen. Auch von der Wunderwaffe, die alles retten soll, wird kaum noch geredet. Selbst der Personalchef sagt: ,Guten Morgen!' - zum erstenmal seit vielen Jahren. Am späten Nachmittag hört man die russischen Geschütze schon ganz deutlich.

Karl Dannemann erbleicht unter seinem Bergmannsruß. „Das hätten wir in Dittersbach billiger haben können!" In Dittersbach bei Waidenburg in Niederschlesien - oder, um genau zu sein,* in der Kohlengrube „Glück auf" - wurden die Außenaufnahmen gedreht.

„Mensch, wie wir damals in Schlesien gelaufen sind!"

..... erinnert sich Raddatz. Keiner von denen, die dabei waren, wird es je vergessen. Am 21. Januar 1945 war es. Irgend jemand stürzte in die Kohlengrube „Glück auf" und rief: „Die Russen stehen schon vor Breslau." „Dann sind wir abgeschnitten!" sagte Karl Dannemann, der die Landkarte gut kannte.

„Noch nicht..." rief Raddatz. Sie ließen alles stehen und liegen und kamen mehr tot als lebendig nach Berlin.
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Losungswort „Thusnelda Suppengrün"

Ein Buchhalter kommt ins Atelier. Er ist vor sechs Stunden vom UFA-Haus am Dönhoffplatz aufgebrochen, um die Lohngelder nach Babelsberg zu bringen. Sechs Stunden! Sonst dauert die Fahrt eine gute halbe Stunde. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Ab Wannsee bin ich gelaufen ... war mir sicherer so ..."

Was er zu berichten hat, ist unerfreulich. Die Büros der UFA haben sich geleert. Sekretäre und Sekretärinnen, Kassierer und Botenjungen und wer sonst noch in dem großen Gebäude am Dönhoffplatz arbeitete, kommen nur noch gelegentlich. Das Losungswort „Thusnelda Suppengrün" ist durchtelefoniert worden - das bedeutet Erlaubnis des Propagandaministeriums für die leitenden Leute - nicht für die kleinen - sich „vorübergehend" in den Westen abzusetzen.
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"bis zum letzten Blutstropfen"

„Wenn wir wenigstens einen Aushaltefilm machen würden!" sagt Raddatz zwischen den Zähnen zu Monika Burg. „Einen Aushaltefilm wie ,Kolbergf'". „Das soll ja Harlan so besonders großartig gemacht haben!"

„Kunststück! Mit weit mehr als hunderttausend Komparsen!" „Wo gibt's denn noch so viele Komparsen?" „Abkommandierte Landser! Das ist doch klar! Haben bis zum letzten Blutstropfen an der Filmfront gekämpft!" „Und Harlan?"

„Der hat sich nach Hamburg abgesetzt. So sicher ist er nicht, daß die anderen bis zum letzten Blutstropfen kämpfen werden . ......."

20. April 1945 - Wenn Filmleute vor Schreck erstarren ....

20. April 1945. Neuer Bombenangriff auf Potsdam und Umgebung. Diesmal kriegt das UFA-Gelände einige Volltreffer ab. Die Potsdamer Feuerwehr ist in Potsdam beschäftigt. Die wenigen auf dem Gelände stationierten Feuerwehrleute sind gegen die Brände machtlos.

Ein gutes Drittel der Gebäude wird vernichtet. Und dann sehen die erstarrten Filmleute einen unübersehbaren Strom von Menschen, der aus der zerbombten Innenstadt von Berlin kommt. Alte Männer, Kinder, weinende Frauen, Hlitlerjungen, Leichtverwundete. Sie kommen mit Rucksäcken, Bündeln, Körben, Pappschachteln.

Sie suchen einen Ausweg nach dem Westen. Während der Menschenzug aus Berlin nicht abreißt, ergießt sich durch Babelsberg jetzt ein weiterer Strom von Leiterwagen, Autos, Feldküchen, Tankwagen und Soldaten.
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Wir müssen unsere Pflicht bis zum letzten tun ....

Es sind die Soldaten, die bis zum letzten Blutstropfen ausharren sollten. Soldaten in allen erdenklichen Uniformen, auch in Halbzivil, Soldaten, die vor Erschöpfung fast umsinken. Soldaten? Greise, Kinder, Verwundete - sie sollten die Front an der Oder gegen die Russen halten.

„Wir müssen unsere Pflicht bis zum letzten tun", sagt der SS-Pressechef. Aber seine Stimme klingt nicht mehr überzeugend.

Die Heißwassermaschine kommt nicht

In der Südhalle soll an diesem Abend endlich die wichtigste Szene des Films gedreht werden, eben jenes Bergwerksunglück mit allem Drum und Dran. Ganz plötzlich soll Wasser aus dem Gestein hervorbrechen, die Lampen sollen erlöschen, die Kumpels befinden sich in Lebensgefahr - rette sich wer kann! Regisseur Weidenmann spielt die Szene seinen Schauspielern vor.

Pötzlich stellt sich heraus: Die Heißwassermaschine, die den Wassereinbruch im Stollen verursachen soll, ist immer noch nicht da. Erregte Szenen im Büro des Produktionsleiters. Der Besitzer der Maschine, vertraglich verpflichtet, sie zur Verfügung zu stellen, hat sich in letzter Minute anders entschlossen. Die UFA ist ihm in diesen Zeitläuften nicht mehr sicher genug.
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In Babelsberg ist alles so seltsam, so irreal ....

Am nächsten Morgen verschwinden die Schauspieler einer nach dem anderen. Ein sowjetischer Jagdbomber stößt auf das Gelände herab und schießt im Tiefflug einige Salven. Andere folgen.

Was wird zerstört? Eine Bank in einem Park, der Altar einer gotischen Kirche . .. Der Maschinenraum eines U-Bootes... Ein Marktplatz aus dem 18. Jahrhundert. Nicht die Wirklichkeit, die Kulisse wird getroffen. Es ist alles so seltsam, so irreal, wie in einer Geschichte von E. Th. A. Hoffmann oder Edgar Allan Poe.

Nun stürzen alle, die sich noch auf dem Gelände befinden, zum Bunker A. Es sind etwa hundert Menschen, darunter zwanzig Frauen und Kinder. „Hier bleiben wir jetzt, bis alles vorüber ist!" entscheiden sie.

Könnt ihr mich hier nicht irgendwo verstecken

Die UFA ist in den Untergrund gegangen. Man kocht auf einem Öfchen im Bunker. Das Holz dazu wird aus den Ateliers geholt. Man schläft auf Decken. Man wartet.

Einmal, mitten in der Nacht, tastet sich eine Gestalt vorsichtig übers Gelände. Ein Arbeiter, der vor dem Bunker Wache schiebt, leuchtet dem Fremden ins Gesicht.

Ein junger Soldat, sicher nicht älter als siebzehn, blinzelt erschrocken ins Licht der Taschenlampe. „Ich suche", stammelt er hilflos, „ich meine, könnt ihr mich hier nicht irgendwo verstecken ...?" Der Arbeiter zuckt die Achseln.
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Ein Soldat verwandelt sich

„Im Bunker sind Frauen und Kinder", sagt er. „Wenn die Russen kommen und einen Soldaten finden, du weißt, was dann los ist..." Der Junge weiß, was dann los ist. Aber er weiß auch, daß mit ihm nicht mehr viel los ist. Wenn er auf der Straße geschnappt wird, bevor die Russen kommen, gilt er als Deserteur, und wenn die Russen ihn schnappen, ist es auch nicht besser.

„Wenn ich wenigstens Zivilklamotten hätte", sagt er. „Die kannste haben", sagt der Arbeiter und führt ihn zum Schützenhaus, in welchem sich der Fundus befindet.
Tausende von Kostümen liegen da herum, Mäntel, Röcke, Hosen, Hüte, Gamaschen, Fracks und Uniformen aus allen Jahrhunderten. „Such dir was ... aber schnell!" Der Junge verwandelt sich in einen Zivilisten und taucht, einen steifen Hut schwenkend, in der Nacht unter.
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Und es kommen immer mehr zum Uniform-Tauschen

Schon am nächsten Tag kommen wieder Soldaten, die ihre Uniformen loswerden wollen. Als ob sich das herumgesprochen hätte ... so viele kommen und durchstöbern das Schützenhaus.

Sie ziehen Smokings und Bratenröcke an, sie greifen blindlings zu, wenn sie einen Anzug aus den zwanziger Jahren entdecken. Nur die Kostüme bleiben liegen, die roten Fracks, die pelzverbrämten Schauben und die Kniehosen, die mit Spitzen besetzten Hemden und die Togen der alten Römer.
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24. April 1945 - die Russen "erstürmen" Babelsberg

24. April. Kurz nach fünf Uhr bricht ein Höllenlärm los. Bomber, Granatwerfer, Stalinorgeln ... Nach einer Stunde Ruhe. Und dann stürmen die Russen Babelsberg. Eben noch atmete man auf, weil das Bombardement zu Ende war.

Jetzt drückt einem die Angst die Kehle zu. Was wird geschehen? Wer wird in einer Stunde noch leben? Sowjetische Panzer bahnen sich den Weg über das aufgerissene Pflaster, über Straßen, auf denen tote Pferde liegen, und die durch niedergestürzte Lichtmasten fast unpassierbar geworden sind.

Vor Jahren gab es einmal eine solche Straße in der UFA-Filmstadt in Babelsberg. Diese Straße hatte man für den Film „Flüchtlinge" aufgebaut. Damals war es Kulisse, jetzt ist es schauerliche Wirklichkeit.

Die Russen sind in Babelsberg angekommen.

Sie springen von ihren Panzern, sie durchsuchen die Häuser, sie treiben die Bewohner aus den Kellern. Die siegestrunkenen Soldaten schießen nach allem, was ihnen Spaß macht. Sie schießen eine Katze von der Ruine eines Hauses herunter, sie schießen in einer Wohnung die Kuckucksuhr von der Wand, sie schießen, weil ihnen das Schießen Freude macht und weil sie drauf und dran sind, Berlin zu erobern.

Dann sehen sie sich nach Frauen um, und dann gellen die ersten verzweifelten Schreie durch die verwüsteten Straßen.

Hat man nicht auch das schon irgendwo einmal gesehen? War das nicht einmal eine Gruselszene eines Films, der hier in der UFA-Stadt Babelsberg gedreht worden ist?

Ein paar Stunden später betreten die Russen das Filmgelände. Das Wort „betreten" ist mit Absicht gewählt. Sie erobern das Gelände keineswegs.

Ihre Aktionen haben nichts Kriegerisches an sich, sie beeilen sich nicht einmal besonders. Es sind nur zwei Mann. Sie schleichen sich, geschmeidig wie Katzen, bis zur Bunkertür heran.
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„Was für Betrieb?"

„Was für Betrieb?" radebrechen sie.
„Kino!" antwortet schließlich jemand. „Wer in Bunker?" „Waffen in Bunker?" „Soldaten da?"
Die UFA-Leute können alles verneinen. „Keiner weglaufen! Alle dableiben!" sagen die beiden Russen.

Am nächsten Morgen erscheinen sechs russische Soldaten, durchkämmen das Gelände, nähern sich dem Bunker mit schußbereiten Maschinenpistolen. „Alle Männer raus!"
Die Männer der UFA kommen aus dem Bunker. Nur Frauen und Kinder bleiben in Todesangst zurück.

Die Russen werden von Leutnant Krotny befehligt, einem kleinen, behenden Mann mit blassem, schmalem Gesicht. Er schickt sich an, eine Rede zu halten. Er spricht immerfort von „UFFFA".

Der Dolmetscher erklärt, das Gelände werde von einer Spezialtruppe besetzt. Jeder der hierher kommandierten Offiziere und Soldaten verstehe etwas vom Film. Leutnant Krotny unterbricht den Dolmetscher. Er spricht selbst deutsch - zumindest glaubt er, es zu sprechen. Er äußert etwas von „Nix erschießen!" Er wird geradezu gemütlich. Mehrmals fällt in seiner Rede das Wort „Kultura".

Leutnant Krotny läuft im Gesicht dunkelrot an

Ein paar Stunden später hat sich die Atmosphäre grundlegend geändert. Leutnant Krotny ist dunkelrot im Gesicht, hat einen Revolver in der Hand, fuchtelt damit in der Luft herum. Der Dolmetscher kann gar nicht so schnell übersetzen, wie der Leutnant jetzt auf einmal schreit.

Was ist geschehen? Die Russen haben festgestellt, daß die kostbaren fotografischen Apparate nicht mehr an ihrem Platz stehen. Das heißt, die Apparate stehen wohl noch da, aber die Linsen, auf die es ankommt, sind verschwunden. Wo sind sie?

Der Dolmetscher: „Sie werden alle standrechtlich erschossen, wenn Sie die Verstecke mit den Geräten nicht sofort zeigen!"

Keiner der UFA-Leute beabsichtigt, einen so verspäteten Heldentod zu sterben. Die Linsen werden ausgegraben.
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Als die Russen die Kleiderkammer entdecken

Gleichzeitig bringen die Russen Stalinorgeln in Stellung - zum Beschuß von Berlin. Immer neue sowjetische Soldaten kommen heraus. Andere entdecken den Kostümfundus im Schützenhaus.

Sowjetische Soldaten erscheinen plötzlich als alte Römer oder als Damen aus dem Mittelalter verkleidet, in Tiroler Hüten oder Zylindern, mit wehenden Schleiern oder Blumengirlanden.

Sie finden das sehr komisch, sie wollen bersten vor Lachen, wenn sie sich betrachten, sie sitzen auf den Fauteuils und Chaiselongues, die jetzt im Freien stehen, sie schlagen auf ihre Schenkel. Was sie angeht, könnte der Krieg zu Ende sein. Aber er ist nicht zu Ende.
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Der Krieg ist immer noch nicht zu Ende.

Die Stalinorgeln, die auf Berlin gerichtet sind, donnern bereits. Das in der Nähe liegende Lager der Fremdarbeiter hat sich aufgelöst, nachdem die SS-Bewachungsmannschaft weg ist. Frauen aus dem Lager erscheinen, holen sich Kleider aus dem Fundus, tauschen sie, verkaufen sie...

Immer wieder flattern Zelluloidstreifen durch die Luft. Aus einem Fenster fliegen Manuskripte, Leitzordner mit Briefen, Verträgen, Rechnungen, Korrespondenzen ... bald ist das halbe UFA-Gelände mit Papier besät...

In der Nacht kommen auch Babelsberger und Potsdamer heraus und holen sich warme Schals oder Mäntel aus dem Fundus, ein paar Konserven aus der Kantine. Man kann alles brauchen. Gespenstisch das Vorbeihuschen der Menschen, das Suchen bei Kerzenlicht und Stablaternen, immer mit angehaltenem Atem, immer in Angst.

Die Demontage der UFA Studios beginnt

Im großen Verwaltungsgebäude der UFA haben sich die Kommandanten des Geländes einquartiert, Oberstleutnant Rosenthal, klein, untersetzt, füllig, und Major Kramarow, hager, geradezu asketisch wirkend. Die beiden Russen sind gutmütig, ja liebenswürdig.

Oberstleutnant Rosenthal verkündet mehrmals am Tage: „Wirrrd wieder gefilllmt! UFFA filllmt wiederrr!" Dann beginnt die Demontage. Alles wird ausgeräumt: Die Scheinwerfer, die Kameras, die Lichtmaschinen, ja sogar die Toiletten und Duschräume, die Maschinenaggregate, die Dynamos.

Die Telefonzentrale wird ausgebrochen. Ein besonderes Kunstwerk der Technik, der von den UFA-Leuten selbstkonstruierte Kran mit riesigem Schwenkrad auf Gummirädern, wird abgeschleppt.

Die zerbrechlichen Kameras und Lichtmaschinen werden mit solcher Wucht auf Lastwagen geladen, daß sie schon vor der Abfahrt unbrauchbar sind. Die russischen Soldaten benutzen viele Räume als Toiletten, schlagen die Scheiben der riesigen Gewächshäuser ein, zertrümmern Blumentöpfe, schleppen Klaviere auf den Hof, die sie auch bei Regen stehen lassen, kramen im Photoarchiv und nehmen die Fotos der hübschen jungen Stars an sich.

Oberstleutnant Rosenthal wünscht Filme zu sehen.

Das Schützenhaus, wo der Fundus lagerte, wird Hals über Kopf als Vorführungsraum hergerichtet. Aus Lindow werden verlagerte Apparaturen herbeigeschafft. Zwar fehlt viel, aber die UFA-Leute - die meisten sind inzwischen aus Trebbin zurückgekehrt - beweisen, daß das alte Wort, sie könnten aus einem Stück Draht ein Auto machen, nicht ganz aus der Luft gegriffen ist.

Alte Filmkopien werden hier und dort aufgestöbert, darunter auch neue und neueste UFA-Filme, wie zum Beispiel „Kolberg", der Film, der von Veit Harlan mit Hilfe von zur Statisterie abkommandierten Landsern gedreht wurde, um den Kampfwillen des deutschen Volkes noch in vorletzter Minute zu stärken.

In Scharen erscheinen russische Soldaten, um sich die Filme anzusehen, die in Babelsberg vorgeführt wurden.

Auch die auf dem Gelände anwesenden Deutschen dürfen gelegentlich einmal hinschauen und sehen die UFA-Filme, bei deren Herstellung sie selbst mitgeholfen haben.
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Als dann der Filmbunker in Flammen aufging

Dann brennt der Filmbunker ab. Niemand weiß, wie es gekommen ist. Eine unachtsam weggeworfene Zigarette?

Zerstörungswut eines Russen? Sabotageakt einer Handvoll Durchhalter? In wenigen Minuten steht der Bunker in Flammen. Zelluloid brennt gut. Es wird erst gar nicht versucht, zu löschen.

In den nächsten Minuten verbrennen unzählige Filme der UFA, die hier in den letzten Jahren aufgestapelt wurden; Filme nicht nur aus diesen letzten Kriegsjahren, als man den Bunker baute, um sie vor Bomben sicherzustellen:

Filme, die in den letzten fünfundzwanzig Jahren von der UFA gemacht wurden, und nicht nur von der UFA, sondern auch von zahllosen anderen Filmgesellschaften, die in der UFA irgendwann aufgegegangen waren. Es brennt die gesamte deutsche Filmgeschichte. Es verbrennt die Arbeit der großen Stars, deren Namen jedes Kind in jedem Dorf kennt.

Es verbrennt die Arbeit der berühmten Regisseure und der besten Kameraleute. Es verbrennt die Arbeit der ersten Filmarchitekten, aber auch die Arbeit der Beleuchter, der Maskenbildner, der Filmkomponisten, der Tonmeister ...

Dies alles ist nach wenigen Stunden nur noch Asche, so als sei es nie gewesen. Das ist das Ende.

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