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"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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DREIZEHNTERTEIL • NICHT GLEICHGESCHALTET

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WILLI FORST WIRD REGISSEUR

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Es wird mit jedem Tag schwieriger, Stoffe zu finden

Die Stars der guten alten Zeit, Brigitte Helm etwa oder Willy Fritsch oder Hans Albers, müssen feststellen, daß es mit jedem Tag schwieriger wird, Stoffe zu finden.

Wo sind die Zeiten hin, da, während sie einen Film drehten, der nächste schon in Vorbereitung war? Da die UFA noch ein Heer von amüsanten und gescheiten jungen Leuten hatt, die Ideen für sie ausbrüten, Gags für sie schreiben, Songs für sie komponieren ließ ?

Gewiß, die großen Stars haben über Arbeitsmangel nicht zu klagen. Aber wie mühsam ist alles geworden! Wie schwierig!

Wenn die Produzenten die Achseln zucken

Da ist Willi Forst. Er hat als Filmliebhaber eine gewisse Karriere gemacht, aber es langweilt ihn, immer wieder die gleichen Rollen zu spielen. Er möchte anderes spielen.

Die Produzenten zucken die Achseln. „Wenn man so hübsch und jung ist wie Sie, ist man Liebhaber!" Es scheint für ihn nur einen Ausweg zu geben: er muß Regisseur werden. Die Branche lächelt oder lacht ihn aus. Willi Forst als Regisseur!

Er ist ja nicht einmal ein richtiger Schauspieler, wenigstens nicht nach Ansicht der Großen der Filmindustrie. Ein richtiger Schauspieler muß auf jeden Fall einen Charakterkopf haben. Ein Mann wie Willi Forst ist bestenfalls für kleine Lustspiele geeignet. Aber er kann doch nicht Regie führen! Dazu braucht man Autorität, Gewicht, Alter.

Nur einer zeigt sich interessiert, Gregor Rabinovitsch

Er ist der Mitinhaber der Cine Allianz, um jene Zeit eine der bekanntesten Figuren im deutschen Film. Dieser Rabinovitsch kann keinen Satz richtig Deutsch sprechen - er stammt aus Rußland - aber er hat mehr Fingerspitzengefühl für das, was im Film Erfolg haben kann, als zehn andere Produzenten mit richtigem Deutsch zusammen.

Rabinovitsch kann ungemein geizig sein oder mit dem Geld nur so um sich werfen, je nachdem. Er weiß, man kann kein Geld verdienen, ohne Geld zu riskieren. Einmal läßt er eine kostspielige Filmdekoration wieder aufbauen, um eine ganze Szenenfolge noch einmal zu drehen, bloß weil ihm einige Komparsinnen, die sich zu sehr in den Vordergrund spielten, mißfallen haben.

Jeder Film müsse irgendwie „errotisch" sein

Dabei meint Rabinovitsch, alles käme auf „Errotik" an. Jeder Film, der gehen soll, müsse irgendwie „errotisch" sein. Nun kommt Willi Forst also zu Rabinovitsch. Er schlägt vor, ihm eine Chance als Regisseur zu geben. Und Rabinovitsch hört ihm aufmerksam zu. Willi erzählt ihm nichts anderes als das, was er den anderen Produzenten auch gesagt hat.

Und Rabinovitsch glaubt, die Stimme eines Mannes zu hören, der genau weiß, was er will, und der, mag er noch so jung und leichtsinnig aussehen, doch ein reifer Mensch ist. Rabinovitsch beugt sich vor. Er setzt Willi Forst auseinander, daß so ein erster Film immer ein Risiko ist, auch unter den günstigsten Umständen.

„Man müßte einen Stoff finden, Herr Forst, der dieses Risiko möglichst gering macht. Eine todsichere Sache, sozusagen." Forst überlegt. Dann: „Ich habe eine todsichere Sache, Herr Rabinovitsch!" Und er sagt ihm, worum es sich dabei handelt.

Jetzt ist es Rabinovitsch, der nachdenkt. Er denkt so lange nach, daß es scheint, als habe er den anderen vergessen. Er hat die Augen geschlossen - vielleicht schläft er? „Nun, wie ist es?" fragt schließlich Willi Forst. „Werde ich Regisseur?" „Warum nicht?" antwortet Rabinovitsch. Was ist im Film eine todsichere Sache?
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Eine todsichere Sache ist - Franz Schubert.

Eine todsichere Sache ist sein Leben, das sind seine Enttäuschungen, seine süßen, traurigen und fröhlichen Melodien, das ist das alte Wien, wo alles noch so gemütlich zugeht, das sind die Wiener, die noch Zeit genug haben, um Herz zu haben. Das ist so todsicher, daß es gar nicht schief gehen kann.

Auch Rabinovitsch ist davon überzeugt. Schließlich läuft die Operette „Das Dreimäderlhaus" nun schon bald zwanzig Jahre mit unvermindertem Erfolg: ein albernes und rührseliges Libretto mit unterlegter Musik von Schubert.

Was tut's, daß die Kenner darauf schwören, Schubert drehe sich im Grabe um? Die Leute, die die Idee zum „Dreimäderlhaus" hatten, verdienen jedenfalls Millionen. Und die Sache ist so erfolgreich, nicht obwohl, sondern weil sie so kitschig ist!
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Willi Forst will nicht auf die "Tube" drücken

Aber Willi Forst denkt gar nicht daran, den Kitsch des „Dreimäderlhaus" zu überbieten. Im Gegenteil, er versucht mit seinem Schubertfilm etwas ganz anderes zu machen. Er will die Zartheit und den Duft Wiens einfangen, nicht seine Gemütlichkeit, nicht das Wiener Herz, über dessen Qualität man ja verschiedener Ansicht sein kann. Er „drückt nicht auf die Tube", wie es im Filmjargon heißt.

Der Titel : „Leise flehen meine Lieder"

Es ist kein Zufall, daß er den Film „Leise flehen meine Lieder" nennt. Der Ton liegt auf „leise". Das Buch hat sein Freund Walter Reisch geschrieben. Es ist in der Tat ein leises Buch, geradezu ein Kammerspiel.

Für die männliche Hauptrolle hat Forst einen anderen Freund, Hans Jaray, verpflichtet, einen jungen Wiener Schauspieler von außerordentlichem Charakterisierungsvermögen, der zum Unkonventionellen bereit ist. Sein Schubert ist nicht der typische Filmliebhaber, es wird ein gutmütiger, beinahe unbeholfener, ja tolpatschiger junger Mann daraus, der sich nicht zurechtfindet in einer Welt, in der Frauen zwar seine Musik aber doch andere Männer lieben.

Im Filmatelier eine ganz andere Atmosphäre als sonst

„Leise flehen meine Lieder ..." Wenn Willi Forst Regie führt, herrscht im Filmatelier eine ganz andere Atmosphäre als sonst. Es wird nicht gehupt, gehämmert, gebrüllt.

Alles geht ganz leise zu. Willi Forst räumt schon bei seinem ersten Film mit dem Aberglauben auf, ein guter Film könne nur mit Krach entstehen. Alles läuft ab wie eine beiläufige Unterhaltung in einem Cafe.

Kein lautes Wort wird gesprochen. Die Schauspieler sind, wenn sie einen Tag mit Forst gearbeitet haben, nicht, wie gewöhnlich, gerädert und verstimmt, sondern fühlen sich frisch, als ob der Arbeitstag erst beginne.

Dies alles überträgt sich auf den Film, dies alles macht es möglich, daß der Film, anstatt ein handfestes Stück Wiener Chronik, ein Gebilde aus Zartheit und Musik wird.
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Das Ergenis : Großer Erfolg in Wien. Riesenerfolg in Berlin

.... und ganz Deutschland. Außerordentlicher Erfolg auch im Ausland, obwohl es sich doch eigentlich um ein für Paris, London oder Rom recht fernliegendes Thema handelt.

Von einem zum anderen Tag ist Willi Forst in die erste Reihe der jungen Regisseure aufgerückt. Nun lachen die Produzenten nicht mehr, wenn sein Name fällt.
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Der neue zweite Film soll „Maskerade" heißen.

Nun sitzt er schon an seinem zweiten Film. Forst schreibt das Drehbuch zusammen mit Walter Reisch, der um diese Zeit in Berlin rassisch schon nicht mehr tragbar ist. Aber Reisch und Forst arbeiten ja in Wien.
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Es handelt sich da um die Geschichte, die im Wiener Fasching im Jahre 1905 spielt. Ein hübscher Maler, dessen Bilder gerade sehr in Mode sind, und der selbst bei den Frauen in Mode ist, hat die Gattin eines berühmten Chirurgen in einer Faschingsnacht gemalt, ganz nackt, nur mit Maske und einem Muff bekleidet. (Ein Muff ist eigentlich ein kuscheliger runder Handwärmer aus Pelz.)

Aber ganz Wien kennt den Muff, er ist in der fraglichen Nacht auf der Tombola eines großen Balles gewonnen worden.
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Jetzt muß der Maler lügen

Um die in Frage kommende Dame der Gesellschaft zu schützen, erklärt der Maler ihrem Mann, er habe nicht sie, sondern ein unbekanntes Fräulein namens Dur gemalt. Den Namen hat er erst im Augenblick des Verhörs durch den Ehemann erfunden oder besser, er hat ihn von einem Notenblatt abgelesen.

Er kann ja nicht ahnen, daß es in Wahrheit ein Fräulein Dur wirklich gibt, ein armes, liebes Mädchen, Vorleserin einer alten Fürstin. Diese Leopoldine Dur wird nun in den Wirbel der Ereignisse gerissen.

Der Maler muß, schon um die andere Frau zu schützen, sich um sie kümmern - und verliebt sich in sie. Alles wäre in bester Ordnung, wenn eine andere Frau nicht, von Eifersucht geplagt, alles verriete und dazu noch den Maler niederschösse.

Trotzdem kommt es zu einem Happy-End, da Fräulein Dur nicht ruht noch rastet, bis der größte Chirurg Wiens, eben jener Gatte des Modells, ihn, den Maler, von der lebensgefährlichen Kugel befreit.
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Eine hübsche Story für einen ein hübschen Film ....

.... bzw. ein hübsches Buch, aus dem ein hübscher Film werden könnte, einer von vielen, wie er schon oft gemacht worden ist. Aber der Film „Maskerade" wird eine Sensation, etwas Einmaliges.

Der Grund dafür: die Regie Willi Forsts und die Besetzung der Hauptrolle mit Paula Wessely. Paula Wessely ist um diese Zeit bereits eine der ersten Schauspielerinnen der deutschsprachigen Bühne. Sie hat - übrigens zusammen mit Hans Jaray - die Max-Reinhardt-Schauspielschule in Wien besucht und kennt Willi Forst schon seit vielen Jahren.

Sie ist an Max Reinhardts „Theater in der Josefstadt" herausgestellt worden. Sie hat gelegentlich auch in Berlin an Max Reinhardts „Deutschem Theater" gespielt, und niemand, der sie einmal gesehen hat, kann sich dem außerordentlichen Zauber ihrer Persönlichkeit entziehen. Mit ihr verglichen wirken fast alle anderen Schauspielerinnen unnatürlich. Sie ist von unnachahmlicher Schlichtheit und Innigkeit.
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Paula Wessely ist weder hübsch noch schön

Aber sie ist im herkömmlichen Sinne nicht eigentlich schön; dazu ist sie zu derb, zu breit, auch zu bürgerlich. Und die Großen der deutschen Filmindustrie haben beschlossen, daß sie für den Film überhaupt nicht in Frage komme.

Trotz ihrer Bühnentriumphe hat die Wessely also noch keinerlei Filmangebote erhalten. Vielleicht reizt gerade das Willi Forst. Schon bevor er das Buch zu „Maskerade" schreibt, ist es bei ihm ausgemacht, daß Paula Wessely die Hauptrolle spielen wird.

Auch das erweist sich als gar nicht so einfach. Die Wessely will erst einmal sehen, was sie da filmen soll. Als sie das Drehbuch gelesen hat, ist sie entschlossen. Und als sie im Atelier steht, ist jeder begeistert, der irgendetwas mit dem Film zu tun hat.
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Man spürt, hier entsteht etwas Außerordentliches.

Hier kommt ein Film zustande, wie es ihn im besten Falle alle zehn Jahre einmal gibt. Und das wiederum ist Forsts Verdienst, sein Verdienst allein. Denn er hat ja nicht nur die große Schauspielerin Paula Wessely zu führen.

Er hat eine ganze Reihe von Schauspielern und Schauspielerinnen zu führen, die bis dahin teils anständige, teils äußerst mittelmäßige Filme gemacht haben.

Da ist Walter Janssen, der Held aus den „Zwei Herzen im Dreivierteltakt", da ist die schöne Olga Tschechowa, da ist der interessante Wiener Charakterspieler Peter Petersen, da ist der damals gerade am Anfang seines Filmruhms stehende Komiker Hans Moser, und da ist vor allem der Liebhaber Adolf Wohlbrück, jung, schön, elegant, der bald darauf Forst ebenfalls verlassen wird, weil auch er „rassisch nicht mehr tragbar" ist ...
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Unter Willi Forst blühen die Schauspieler richtig auf

Alle diese Schauspieler sind unter Forst besser denn je zuvor, ja, mehr noch: er scheint sie zu verwandeln, er scheint aus ihnen Fähigkeiten herauszuholen, von denen nicht einmal sie wußten, daß sie sie besaßen. Dieser Film wird für alle, die mitwirken, genau wie für das Publikum eine Art Verzauberung.

Und über dem ganzen liegt ein erotisches Fluidum, ganz wie Rabinovitsch es sich gewünscht hat. „Errotik", die aber ganz selbstverständlich aus der Handlung strömt, die dem Maler und den von ihm geliebten und weggeworfenen Frauen gleichsam anhaftet.

Da ist nichts gemacht, um erotisch zu wirken. Nicht einmal die nackte Dame mit dem Muff ist zu sehen, ja nicht einmal das Bild dieser Dame. Und gerade die Tatsache, daß man es nicht zu Gesicht bekommt, erhöht die Spannung, erhöht den erotischen Gehalt dieses Films.
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ERREGENDE FRAUEN

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Beginnen wir mit Brigitte Horney

Die vielleicht erotischste Attraktion des deutschen Films dieser Jahre ist ohne Zweifel Brigitte Horney. Sie hat am Deutschen Theater große und kleine Rollen gespielt, ist an die Volksbühne gegangen, filmte dazwischen, unter anderem „Rasputin" mit Conrad Veidt, „Der ewige Traum" und „Ein Mann will nach Deutschland" mit Karl Ludwig Diehl.

Dann kommt 1934 „Liebe, Tod und Teufel", ein Film nach einer Novelle von Robert Louis Stevenson „Das Flaschenteufelchen".
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Der Inhalt von „Liebe, Tod und Teufel"

Der Besitz des Teufels in der Flasche bedeutet, daß einem alle Wünsche erfüllt werden. Man kann die Flasche auch weiterverkaufen, aber immer nur für einen geringeren Preis als denjenigen, für den man sie erworben hat.

Wer zuletzt auf der Flasche sitzenbleibt, gehört dem Teufel ... Ein altes Thema, hundertmal variiert - man denke bloß an Balzacs „Eselshaut". Die Hauptrollen in „Eselshaut" spielen Käthe von Nagy und Albin Skoda.
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Theo Mackeben komponiert die Musik und das Lied

Biggi spielt ein lockeres Mädchen aus der Hafengegend und hat ein Chanson zu singen. Das wird von dem jungen Theo Mackeben komponiert, der in den letzten Jahren viel Bühnenmusik gemacht hat und sich mit dieser seiner ersten Filmmusik sofort durchsetzt.

Das Chanson, das er für die Horney schreibt, hat alles: Schmiß und Schwung, Sinnlichkeit und Trauer, ein bißchen Sentimentalität und ein bißchen Ironie. Und als die Horney es singt, glauben die Menschen, die Dietrich zu hören, wie sie „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt" vortrug.

Das Chanson, das die Horney und Theo Mackeben in ganz Europa über Nacht berühmt machen wird:

  • So oder so ist das Leben,
  • so oder so ist es gut.
  • So wie das Meer ist das Leben,
  • ewige Ebbe und Flut.


Immer wieder meldet sich die UFA, bietet der Horney langfristige Verträge. Jetzt wird schon von Spitzengagen gesprochen, jetzt ist man schon bereit, ihr zu zahlen, was die anderen großen Stars verdienen, denn sie ist ja ein großer Star geworden.
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Ist sie ein Star geworden? Sie will keiner sein.

Ein Star bedeutet, daß man vierundzwanzig Stunden am Tag damit beschäftigt ist, einer zu sein. Ein Star sein bedeutet, daß man auch im Privatleben Star spielen muß. Aber sie will sie selbst sein, sie will so leben, wie sie eben leben will.

Auf die langfristigen Angebote der UFA sagt sie nein. Als Begründung gibt sie an - womit es übrigens auch seine Richtigkeit hat -, daß sie nicht zu Rollen gezwungen werden will, die ihr nicht liegen. Sie will sich nicht binden.

Sie will ein wenig Freiheit haben - oder doch zumindest die Illusion der Freiheit. Denn in Wirklichkeit hat sie keine Freiheit. Wenn sie zehn Tage im Jahre filmfrei ist, kann sie schon von Glück sagen.

Brigitte Horney wird rechts und links "angepumpt".

Vielleicht ist der tiefere Grund dafür, daß Brigitte Horney im allgemeinen nicht „nein" sagen kann. Man sollte glauben, daß sie in diesen Jahren ein kleines Vermögen verdient. Sie verdient es auch.

Es ist nur nie Geld da. Kauft sie sich Schmuck? Nein. Sie kauft sich nicht einmal Kleider. Sie hat einfach keine Zeit dazu. Sie trägt die Kleider auf, die man ihr für ihre Filme gemacht hat - auch wenn sie zufällig mal ein armes Mädchen in einem Film spielt. Der Grund für die Geldknappheit: Brigitte Horney kann eben nicht nein sagen. Sie wird rechts und links angepumpt.

Einmal, viele Jahre später, wird ihre Bank ihr einen Gratulationsbrief schreiben. „Sie werden es nicht glauben, gnädige Frau, aber auf Ihrem Konto befanden sich bei Jahresabschluß 1,63 Mark!"
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Sybille Schmitz tritt in den Vordergrund

Neben Brigitte Horney und Magda Schneider, deren Begabung übrigens viel stärker ist, als man ursprünglich angenommen hatte, tritt Sybille Schmitz in den Vordergrund.

Zum Vergleich :  Renate Müllers großer Erfolg war, daß sie aussah wie Fräulein Müller. Der Erfolg von Sybille Schmitz ist, daß sie nicht aussieht wie Fräulein Schmitz, zumindest nicht wie man sich vorstellt, daß Fräulein Schmitz aussehen sollte. Sie ist groß, vollschlank und gar nicht besonders hübsch. Aber sie ist ungemein interessant.

Ihr herbes, unregelmäßiges Gesicht wird umrahmt von dunkelrotem Haar (wie später die Sängerin Milva aus Italien), wird beherrscht von ihren außerordentlich lebendigen Augen, die im Film wie im Leben eine unbeschreibliche Faszination ausstrahlen.

Sybille Schmitz braucht den Mund nicht aufzutun. Sie kann mit einem Blick alles ausdrücken. Wenn sie aber den Mund auftut, ertönt Musik. Ihre Stimme hat den dunkelvibrierenden Zauber einer Bratsche. Außerdem kann Sybille Schmitz spielen.

Aber ihr Aussehen ist gleichzeitig Begrenzung: undenkbar, sich Sybille Schmitz als Gretchen in „Faust", als „Käthchen von Heilbronn", als Solveig in „Peer Gynt" vorzustellen. Man kann sie sich nur vorstellen als eine mondäne, problematische Frau, als eine Spionin, als eine Abenteurerin.

Sybille Schmitz zweifelt an sich - seit frühester Jugend.

Ein weiteres Handicap: Sybille Schmitz zweifelt an sich - seit frühester Jugend. Es ist gar nicht sicher, ob sie eine Schauspielerin werden soll, ob sie je, wenn sie eine wird, nach oben kommen kann. Sie, die so sicher, ja fast arrogant wirkt, zweifelt im Grunde immer an sich, zweifelt überhaupt an allem, am Sinn des Lebens, insbesondere am Sinn ihres Lebens.

Trotzdem: wenige Jahre genügen, um sie zu einer jungen Schauspielerin zu machen, von der man sich bereits zuflüstert, daß sie es weit auf dem Theater bringen wird. Dies wird dann allerdings nicht geschehen:
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Der Film holt Sybille Schmitz 1931

Der Däne Karl Theodor Dreyer hat Sybille Schmitz 1931 für den surrealistischen Film „Vampyr" geholt. Die UFA, genauer Erich Pommer, gibt ihr danach sogleich einen langjährigen Vertrag.

Ihr erster UFA-Film „F.P.1 antwortet nicht" mit Hans Albers in der Hauptrolle. F.P.1 - das ist eine künstliche Insel, im Atlantischen Ozean erbaut, um allen Flugzeugen, die zwischen der Alten und der Neuen Welt verkehren, als Zwischenlandeplatz zu dienen. Ein utopisches und doch hochaktuelles Thema.

Wir befinden uns in der Zeit der ersten Ozeanflüge - Lindberghs Wagnis ist bereits geglückt. Die großen Fluggesellschaften, vor allem die Air France und die Deutsche Lufthansa, bemühen sich mit aller Kraft, das Problem der regelmäßigen transatlantischen Flugverbindungen zu lösen.
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Die Idee mit der künstlichen Insel ....

Die Idee der künstlichen Inseln liegt so sehr in der Luft, daß, als die UFA den von Kurt Siodmak geschriebenen Roman jetzt verfilmen läßt, viele Zeitungen glauben, es handele sich um eine bereits wirklich erbaute künstliche Insel, und einige Blätter gehen so weit, zu behaupten, die Lufthansa mache dort bereits einige Versuche...

In Wirklichkeit ist diese „künstliche" Insel nichts als eine mit Wellblech maskierte natürliche Insel in der Greifswalder Oie (besser "auf" der Insel Oie).

Daß Sybille Schmitz überhaupt neben Albers bestehen kann, spricht schon für sie. Aber sie besteht nicht nur neben Hans Albers. Sie versteht es, das Kinopublikum in ihren Bann zu schlagen, zu halten, ja zu erregen. Und sie macht nun einen Film nach dem anderen.

Goebbels mochte sie nicht und versuchte sie zu blockieren ....

Trotz der vielen Erfolge, die sie in den nächsten Jahren haben wird, bleibt ihre Karriere immer ein wenig beschattet: man weiß, daß Goebbels sie nicht mag.

Jeder Regisseur, der sie anfordert, muß erfahren, daß der Herr Minister eine andere Besetzung lieber sehen würde. Gustaf Gründgens muß geradezu darum kämpfen, sie für seinen Film „Tanz auf dem Vulkan" freizubekommen.

Einmal schreibt sie einem Freund an die weißgekalkte Wand seiner Atelierwohnung: „Qui mange du film, en meurt" (Wer vom Film nascht, stirbt daran).

Aber das hat nicht so sehr mit der offiziellen Opposition gegen sie, gegen ihren Typ zu tun. Das hat mit ihrem Charakter zu tun. Sybille Schmitz ist eine seltsame, eine unglückliche Frau ... Sie ist sich selbst im Wege. Sie hat es nicht leicht.
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Luise Ullrich aus Wien hat es leichter.

Vom Typ her ist sie genau das, was das Dritte Reich braucht. Allerdings nur vom Typ her. Sie ist schmal, schlank, blond und, ohne eigentlich schön zu sein, von äußerstem Reiz.

Sie ist in Wien aufgewachsen. Die Familie ist musik- und kunstliebend. Die Eltern sind also nicht besonders verwundert, als die vierzehnjährige Luise, die noch aufs Gymnasium geht, erklärt, daß sie Schauspielerin werden will.

Sie wird sogar in die Akademie aufgenommen, obwohl man dort im allgemeinen erst Sechzehnjährige berücksichtigt. Sie geht nun vormittags in die Schule, bis sie ihr Abitur hat, nachmittags in die Akademie. Bald spielt sie am Wiener Volkstheater kleine und später größere Rollen.
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Eines Tages fährt sie kurz entschlossen nach Berlin.

Beziehungen? Sie hat keine. Trotzdem schließt die Volksbühne einen Vertrag mit der kleinen Wienerin ab. Ihr Durchbruch erfolgt im Dezember 1931 in Billingers „Rauhnacht" neben Werner Krauß im Staatstheater.

Im Zuschauerraum sitzt Luis Trenker, der gerade seinen Film „Der Rebell" vorbereitet. Er verpflichtet sie sofort für die weibliche Hauptrolle, die allerdings keine gute Rolle ist. Gute Rollen hat in Trenker-Filmen nur Trenker.

Der Rebell: ein gewaltiger Schinken, der in Tirol im Sommer 1809 spielt und den Kampf der Tiroler gegen die napoleonische Fremdherrschaft zum Inhalt hat.

Luise Ullrich spielt darin Erika, die Tochter des bayerischen Amtsmannes Riederer, der nach Tirol versetzt wurde, in die sich Trenker natürlich verliebt und die ihm, dem Vogelfreien, hilft, ihn verproviantiert, ihm Nachrichten zukommen läßt - und so weiter.

Aber überall gibt es Verräter, und so schnellfüssig Trenker - oder ist es sein Double? - auch ist, so elegant er über Felswände hinunter und herauf klettert, letzten Endes kriegen ihn die bösen Franzosen doch. Und er wird erschossen.

Aber er marschiert im Geist in unseren Reihen mit (abgeleitet von Horst Wessel - marschiert im Gesite mit), pardon, in den Reihen der Tiroler, die ihre Bedrücker schließlich verjagen werden.

Das ist ein Film, in dem die Doubles von Trenker zeigen können, wie man geschickt von Fels zu Fels springt, respektive in den Abgrund stürzt, in dem der blutjunge Regisseur Kurt Bernhardt beweist, daß er Massen zu führen versteht.

Aber das ist kein Film, in dem eine junge Schauspielerin
zeigen kann, daß sie etwas anderes kann, als schmachtende Blicke um sich werfen und weinen.
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Der nächste Film mit Luise Ullrich - ein Willi Forst Film

Willi Forsts „Leise flehen meine Lieder", in welchem sie nur eine relativ kleine Rolle spielt - die wirkliche Hauptrolle spielt und singt Martha Eggerth.

Und vorher noch: die Mizzi Schlager in Max Ophuels' „Liebelei", einem Film nach dem schon fast klassischen Stück von Arthur Schnitzler. Dieses Mal spielt Magda Schneider die weibliche Hauptrolle. Drei Nebenrollen, und trotzdem hat sich Luise Ullrich durchgesetzt. Namentlich in „Liebelei" - von Ophuels ganz leise, ganz wienerisch inszeniert - hat sie die Zuschauer im Sturm gewonnen - in einem Nichts von einer Rolle. Nun will man sie immer wieder sehen.

Es folgen „Regine", nach der Erzählung von Gottfried Keller, und „Victoria", nach der Novelle von Knut Hamsun. Es folgen viele andere Filme: sie alle sind erfolgreich. Aber das würde an sich wenig bedeuten.

Wichtiger: Luise Ullrich hat auch Erfolg beim anspruchsvollsten Publikum. Sie ist eine wirkliche Schauspielerin, sie vermag Menschen zu erschüttern, vielleicht nicht zuletzt weil sie an das glaubt, was sie spielt.

Sie überzeugt, weil sie selbst überzeugt ist. Daneben Theater, Schauspiele, Lustspiele, gelegentlich sogar auch mal Operette. Aber das alles füllt Luise Ullrich nicht aus. Sie ist eine gescheite Frau, sie liest viel, sie studiert sozusagen in ihrer Freizeit weiter, sie macht Reisen, sie schreibt ein amüsantes Buch über Südamerika, das sie selbst mit einigen reizvollen Zeichnungen bebildert.
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