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"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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ZARAH LEANDER

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Der deutsche Film braucht neue Frauen.

Er braucht vor allen Dingen eine neue Frau, die der zentrale Star werden kann. Dazu ist Sybille Schmitz nicht populär genug. Dazu ist Luise Ullrich zu eigenartig, Irene von MeyendorfT zu jung und unerfahren, Renate Müller wohl schon zu krank.

Lilian Harvey ist auch nicht mehr so populär wie sie war. Das hängt damit zusammen, daß sie ihre Erfolge vor allen Dingen in Operettenfilmen errang. Und Operettenfilme verlangen sehr junge Schauspielerinnen. Operettenfilme sind überdies auch nicht gerade das Richtige, um eine Frau ganz groß herauszustellen.

Aus diesem Grunde kann auch Marika Rökk, obwohl ihre Filme enormen Erfolg haben, nicht eine zweite Henny Porten oder Pola Negri werden. Und diejenige, die es werden könnte, ist es längst geworden - in Amerika. Marlene Dietrich!
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Ja, Marlene Dietrich wäre schon die Richtige.

Goebbels hat zwar den einen oder anderen ihrer amerikanischen Filme verboten, weil zu viele Juden in ihnen spielten oder an der Herstellung mitwirkten - aber er selbst hat sie alle gesehen. Hitler hat sie auch alle gesehen. Hitler ist ein begeisterter Verehrer Marlene Dietrichs.

Goebbels sagt sich: Wenn man die Dietrich nach Deutschland zurückbekäme, wäre alles gewonnen. Es hieß dann: Die Dietrich kommt heim ins Reich! Welch ein Prestigeverlust für Hollywood, welch ein Prestigegewinn für das Dritte Reich ... !
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Marlene Dietrich läßt Goebbels ausrichten - sie sagt ,nein'

Also wird ein Botschafter zur Dietrich geschickt, die gerade in London filmt. Eigentlich handelt es sich um eine Botschafterin, um eine Frau, die mit Marlene gut befreundet ist. Marlene soll ihre Gage selbst bestimmen. Sie wird ihr selbstverständlich in Dollars ausbezahlt werden.

Sie soll sich auch ihre eigenen Drehbücher und Regisseure und Partner aussuchen dürfen. Die Dietrich überlegt nicht lange. Sie sagt ,nein'. Warum wohl? Nun, sie mag die Nazis ebenso wenig wie etwa Renate Müller. Sie will propagandistisch nicht für diejenigen eingespannt werden, die sie verabscheut.

So läßt Marlene Dietrich Goebbels sagen, daß sie an seinem Angebot nicht interessiert sei. Goebbels rast. Nunmehr werden alle Dietrich-Filme verboten.
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Und sie lächelt über Goebbels dumme Ideen

Ja, es heißt sogar, daß Goebbels alle Kopien des „Blauen Engel" vernichten lassen will, was sich später allerdings als unwahr herausstellt. Als man der Dietrich in Hollywood erzählt, daß alle Kopien des „Blauen Engel" verbrannt worden sind, lächelt sie. „Das wird gar nichts nutzen! Da müßte Goebbels schon alle verbrennen lassen, die den ,Blauen Engel' gesehen haben . .."

Für Marlene Dietrich ist bereits Ersatz gefunden - keine Deutsche

Um diese Zeit ist freilich schon ein Ersatz für Marlene Dietrich gefunden worden, eine Frau, die in vielem der Dietrich ähnelt und in vielem völlig verschieden von ihr ist, und die vermag, nicht ein Star, sondern der Star zu werden.

Es ist eine Ironie der Geschichte, daß diese Frau, die nun die zentrale Figur des deutschen Films wird - überhaupt keine Deutsche ist, sondern eine Schwedin: Zarah Leander.
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Der neue Stern heißt Sara Hedberg alias Zarah Leander

Ursprünglich hieß sie Sara Hedberg. Die Vorfahren sind seit unzähligen Generationen in der schwedischen Provinz Värmland ansässig. Der Vater war groß und blond und sah aus, wie man sich einen Wikinger vorstellt. Die Mutter war eine herbe Schönheit, die vergeblich versuchte, gar nicht schön auszusehen. Sie war Puritanerin.

Für sie gab es nur die Kirche und ein strenges rechtschaffenes Leben. Sie hatte wenig Verständnis für ihre Tochter, die schon frühzeitig eine ausgesprochene Begabung für Klavierspielen entwickelte und recht hübsch sang. Sie war entsetzt, als Sara erklärte, sie wolle zum Theater.

Die Sechzehnjährige Tochter hatte rote Haare

Übrigens nahm das auch sonst niemand ernst, denn die Sechzehnjährige wirkte keineswegs besonders anziehend. Sie hatte rote Haare, was man merkwürdigerweise in dem Provinznest, in dem Sara aufwuchs, geradezu für einen Schönheitsfehler hielt. Sie hatte eine ziemlich lange Nase. Ihr Gesicht war von Sommersprossen bedeckt und sie wog zu viel.

Dann lernte sie den bekannten Schauspieler Niels Leander kennen. Der war ein großartig aussehender Mann, übrigens auch ein großartiger Schauspieler. Nur war er, das konnte das junge Mädchen freilich nicht wissen, auch ein Quartalssäufer.

Warum er, dem alle Frauen nachliefen, ausgerechnet diese Provinzgans heiratete, war auch späterhin nie zu klären. Daß Sara ihm beglückt in die Arme sank, war nur zu leicht zu verstehen.
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Als der Ehemann immer wieder zu saufen begann

Und nun begann die Hölle. Ihr Mann nahm sie nach Stockholm mit, dort spielte er Theater. Ein paar Wochen ging das ganz gut. Ja, auf Wunsch ihres Mannes wurde sie sogar ebenfalls engagiert, bekam allerdings nur kleine und kleinste Rollen, und jedermann wußte, daß auch das nur geschah, um Leander bei guter Laune zu halten.

Dann kam die Zeit, in der er wieder zu trinken begann. Plötzlich war er nicht wiederzuerkennen. Die Stücke, in denen er spielte, mußten umbesetzt oder vom Spielplan abgesetzt werden. Er kam nächtelang nicht nach Hause.

Die junge Frau suchte ihn in der ganzen Stadt, fand ihn in irgendeiner Hafenkneipe, fand ihn auch in den Armen irgendeines Mädchens, das er in der Gosse aufgelesen hatte.

Er starrte sie mit verglasten Augen an, er schien sie gar nicht zu erkennen, er lehnte es ab, mit ihr nach Hause zu kommen.

Ein oder zwei Tage später erschien er dann von selbst zu Hause und wußte von nichts. Er vermochte nicht zu sagen, wo er war, wo er die letzten Tage und Nächte verbracht hatte, geschweige denn mit wem. Er ließ sich von seiner Frau pflegen. Er kehrte wieder zur Normalität zurück. Im Theater setzte man ihn wieder an, und da das Publikum ihn liebte, war bald alles vergeben und vergessen.

Nein, das glaubte die junge Frau nur. In Wirklichkeit war nichts vergessen. In Wirklichkeit wußte man beim Theater sehr gut, wie es um Leander stand.
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Die junge Sara mußte das mit der Lebensweisheit erst noch lernen.

Hundertmal beschloß sie, ihren Mann zu verlassen. Hundertmal ließ sie sich wieder umstimmen. Wenn er nicht soff, war er ja so bezaubernd! Wenn er nicht betrunken war, konnte er der beste Mann der Welt sein. Immer wieder versprach er ihr, das Trinken aufzugeben. Immer wieder brach er sein Versprechen, mußte es brechen.

Schließlich verließ sie ihn dann doch. Sie ging zu ihren Schwiegereltern aufs Land. Der alte Leander war Pfarrer. Sie war knapp zwanzig, aber es schien, als sei das Leben für sie zu Ende.
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Und dann geschieht etwas sehr Seltsames.

Etwas, wie es nur das Leben erfinden kann, etwas, das man keinem Romanautor glauben würde.

Es ist Sommer. In der Nähe des kleinen Ortes, wo Sara Leander lebt, fischen zwei Männer, die sie früher einmal kannten. Es handelt sich um den Regisseur des großen Stockholmer Revuetheaters und den Hauskomponisten. Sie langweilen sich ein bißchen und überlegen, ob es nicht Bekannte in der Nachbarschaft gäbe.

Der Komponist erinnert sich: „Da ist doch die junge Frau von Leander ..." „Die sich hat scheiden lassen ... ?" „Ja. Sie lebt nur ein paar Kilometer von hier. Man könnte sie besuchen!" „War die nicht furchtbar langweilig?" „Na ja ... Aber man tut ein gutes Werk!"

Sie besuchen die ehemalige Gattin Leanders und sind entsetzt, als ihnen eine furchtbar dicke Frau entgegentritt mit einer Riesenbrille auf der Nase und einem mit Sommersprossen bedeckten Gesicht.
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Manchmal kommt ein Zufall zum zweiten Mal

Aber sie bleiben zum Abendbrot, lernen die Schwiegereltern kennen, und da es draußen regnet und stürmt, nehmen sie die Gastfreundschaft der Alten an und bleiben über Nacht.

Als sie sich am nächsten Morgen verabschieden wollen, sagt ihnen Sara: „Es ist heute Sonntag. Tun Sie mir den Gefallen und gehen Sie in die Kirche. Mein Schwiegervater wäre sonst gekränkt ..."

Die Herren vom Revuetheater sind seit Jahren in keiner Kirche gewesen. Aber sie machen gute Miene zum bösen Spiel. Sie sitzen, von den Einheimischen angestarrt, ziemlich weit vorn und denken, daß die Sache doch schließlich einmal zu Ende gehen müsse ...

Die Predigt scheint nie zu Ende zu gehen. Und nach der Predigt singt noch der Chor. Aber was ist das? Jetzt ertönt eine Frauenstimme. Eine herrliche, weiche, volle Altstimme.

Die beiden Männer sehen einander an. Wer singt da? Wer in diesem trostlosen Nest kann so herrlich singen? Nach dem Gottesdienst erfahren sie es. „Hat Ihnen der Gesang meiner Schwiegertochter gefallen?" fragt der Pfarrer.

Etwas betreten nehmen die beiden Abschied und fahren zum Fischen zurück. Zwei Tage später müssen sie zu den Proben in Stockholm sein.
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Das Schicksal beginnt sich zu bewegen

Der eine von beiden, der Komponist, hat eine Idee. „Man sollte etwas für die junge Frau tun ... Ich könnte ihr ein Lied schreiben!" „Aber wie sie aussieht!" „Man braucht sie ja nicht gerade an die Rampe zu stellen ..."

Sie sprechen mit dem Direktor des Theaters. Der zuckt die Achseln. „Wenn sie wirklich so hübsch singt, wie Sie sagen .... eine Gesangseinlage könnte ja nichts schaden!"

Er diktiert einen Brief. Würde Frau Leander in den nächsten Tagen einmal nach Stockholm kommen, um sich bei ihm vorzustellen? Er legt das Reisegeld bei. Schon zwei Tage später läßt sich Frau Leander bei ihm melden. Sie muß ein wenig warten. Der Direktor ist beschäftigt.

Als sie dann vorgelassen wird, hat er vergessen, um wen es sich eigentlich handelt. Fassungslos starrt er sie an. „Sie sind ...?" beginnt er. Sie nickt. Nicht ahnend, daß er nicht weiß, wen er vor sich hat. „Ich bin Frau Leander, Frau Sara Leander. Ich habe Ihren Brief erhalten. Ich bin gleich gekommen!"

„Ja, Sie haben wirklich keine Zeit versäumt!"
„Sie wissen gar nicht, wie glücklich ich bin, aus dem Nest herauszukommen! Wenn es auch nur für ein paar Monate ist ..." Ein paar Monate ..., denkt der Direktor. Nein, ein paar Monate müssen es ja nicht gleich sein. Aber das sagt er nicht. Er starrt immer noch etwas entsetzt die Frau vor sich an.
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Und dann fragt er etwas sehr Seltsames. „Sind Ihre Haare echt?"

Sara denkt an ihre Kindheit, denkt daran, daß die ganze Familie die roten Haare immer so häßlich fand. Was soll sie dem Direktor sagen? Daß die Haare gefärbt sind? Daß sie sie umfärben kann? Sie entscheidet sich für die Wahrheit. „Ja, sie sind echt ..."

Das scheint den Direktor seltsamerweise zu befriedigen. Aber dann schüttelt er wieder den Kopf. „Sie tragen eine Brille . ..?" „Ich bin sehr kurzsichtig!" „Muß das mit der Brille sein?" „Wenn ich mich erst ein bißchen auf der Bühne eingewöhnt habe, brauche ich die Brille nicht mehr!"

„Und Sara ... Sara! Mein Gott! Wir werden Sie Zarah nennen!" Zarah Leander nickt. Ihr ist alles recht. Die Proben beginnen. Der Komponist hat ein altes Volkslied für Zarah bearbeitet. Sie übt es ein paarmal mit dem Korrepetitor, der sich sehr begeistert über ihre Stimme äußert.

Aber niemand nimmt den Korrepetitor ernst. Er ist immer hingerissen oder entsetzt von dem Stimmaterial der Künstler, mit denen er probt.
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Der Regisseur ist verstimmt und grimmig

Der Regisseur arrangiert das Bild, in dem sie zu singen hat, wie folgt: der Hintergrund stellt eine Meerlandschaft dar. Ziemlich weit hinten soll Zarah Leander sitzen und ihr Lied singen - den Blick starr in die Kulisse gerichtet. „Ihr Profil ist noch das Beste!" meint der Regisseur. Und: „Dann sieht man auch nicht, daß sie so dick ist ..."

Im Vordergrund sollen einige Fischernetze vom Schnürboden herunterhängen, so daß man eigentlich die Leander mehr ahnen als sehen wird. „Das kann nur von Vorteil sein!" bemerkt der Regisseur grimmig.

Der Tag der ersten Hauptprobe naht. Der Regisseur läßt zum ersten Mal die ganze Revue durchlaufen in der richtigen Reihenfolge der Bilder. Die Darsteller sind zum ersten Mal in Kostümen und geschminkt. Das Orchester ist an die Stelle des Korrepetitors (der Pianist während der Proben) getreten.

Das Bild, in dem die Leander ihr Volkslied zu singen hat, ist das siebzehnte. Es heißt: „In einem kleinen Hafen."
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Frau Leander, kommen Sie doch ein bißchen weiter nach vorn

Als der Vorhang sich teilt, sehen die wenigen Zuschauer im Parkett - der Direktor, der Regisseur, der Dramaturg, der Oberbeleuchter, der Kostümmeister und einige andere vom Bau - zuerst nichts als die Netze, die vom Schnürboden herunterhängen.

Dann beginnt die Musik, und dann hören sie die Stimme der Leander. „Wunderbar!" flüstert der Direktor schon nach wenigen Takten. „Aber ich habe es Ihnen ja gesagt", meint der Komponist. „Singen kann sie!"

Als die erste Strophe zu Ende ist, ruft der Direktor: „Frau Leander, kommen Sie doch ein bißchen weiter nach vorn, man sieht Sie ja gar nicht!" „Das ist doch das Beste, was ihr passieren kann!" warnt der Regisseur. „Und dem Publikum auch..."

„Sie sagten doch, sie sei häßlich ..."

Zarah Leander kommt ein bißchen weiter nach vorn. Jetzt können die im Parkett sie sehen - und einen Augenblick verschlägt es ihnen die Sprache. Schließlich meint der Dramaturg: „Sie sagten doch, sie sei häßlich ..."

Der Direktor: „Ist das wirklich diese dicke, rothaarige Person, die Sie mir vorgestellt haben?"

Der Regisseur ist fassungslos. Wenn die roten Haare nicht wären, würde er schwören, es sei eine andere Frau. Die Leander hat wieder zu singen begonnen. Die Herren im Parkett sind erschüttert.

Vor ihnen steht oder vielleicht sitzt eine der bezauberndsten Frauen, die sie je gesehen haben. Was ist nur aus dem häßlichen Entlein geworden, das vor drei Wochen nach Stockholm kam? Gewiß, Sommersprossen kann man überschminken.

Aber das ist ja eine ganz andere Frau! Sie ist nicht gerade schlank, aber sie ist durchaus nicht zu dick. Und sie ist schön. Und was noch viel wichtiger ist- sie ist faszinierend.
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.... vielleicht noch ein paar Schritte mehr nach vorn!

Und jetzt beginnen der Direktor und der Regisseur die Szene umzubauen. Alle paar Takte wird die Leander unterbrochen.

„Kommen Sie doch vielleicht noch ein paar Schritte mehr nach vorn!" Und: „Schauen Sie doch nicht immer so in die Kulisse! Sehen Sie ruhig ins Publikum!" Und: „Was sollen denn diese dämlichen Netze, die Frau Leander verdecken? Die Netze sollen mal hochgezogen werden!" Und als der Mann, der die Netze entworfen hat, protestiert: „Die Netze können ja im Hintergrund heruntergelassen werden, wenn sie so wichtig sind!"

Bevor die Revue herauskommt, hat man in aller Eile eine zweite Szene für sie geschrieben und komponiert. „Natürlich wird niemand ins Theater kommen, um die Leander zu sehen!" sagt der Direktor. „Ein Star wird sie nie werden!"

Aber auch Theaterdirektoren können sich irren - und manchmal sogar gewaltig.

Zwar steht Zarah nur wenige Minuten auf der Bühne. Zwar wird die große Reklame für zwei, drei andere Künstler gemacht, aber schon am Tage nach der Premiere redet man in Stockholm von der jungen Zarah Leander. Schon nach einer Woche ist sie das Gespräch der Stadt - man redet fast von nichts anderem mehr. Abend für Abend ist das Theater ausverkauft, denn alle wollen sie sehen, die Frau mit den schönen roten Haaren.

„Und echt sollen sie auch sein! Nicht gefärbt!" hört man während der Pause. Ja, auch ein Theaterdirektor kann sich irren. Zarah Leander ist bereits ein Star geworden - über Nacht. Sie wird in den nächsten Jahren groß herausgestellt und hat Riesenerfolge.

Ihre „Lustige Witwe" kann sie jahrelang in Stockholm und in der Provinz singen und spielen, das Publikum kommt immer wieder. Außerhalb Schwedens freilich weiß kein Mensch etwas von Zarah Leander.
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Der Operettenkomiker Max Hansen, ein Däne

Der in Wien sehr bekannte Operettenkomiker Max Hansen, von Nationalität Däne, der wie so viele andere aus rassischen Gründen in Deutschland nicht mehr erwünscht ist, soll im „Theater an der Wien" eine neue Operette spielen, die er selbst mit seinem Freunde und Kollegen Paul Morgan geschrieben und zu der Ralph Benatzky die Musik komponiert hat.

Es handelt sich um „Axel vor der Himmelstür". Die Handlung spielt in Hollywood. Ein bekannter Reporter will eine berühmte Diva interviewen. Die läßt sich nicht interviewen.

Da schmuggelt sich der Reporter als Komparse verkleidet ins Filmatelier und macht sich so mißliebig, daß die Diva sich über ihn beschwert. Er fliegt. Die Diva, nach außen hochmütig, aber im Innern hilfsbereit, läßt sich den Mann kommen. Noch weiß sie nicht, daß er Reporter ist - das Publikum weiß es natürlich schon. Dann erfährt sie es auch. Liebesszene, Komplikationen, Gefahr eines Riesenskandals, der sie ruinieren würde. Happy-End.
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Man sucht eine Partnerin für Hansen.

Der hat auf seinen skandinavischen Reisen von der Leander gehört und schlägt sie vor. Telegramm an die Leander. Sie ist gerade frei und sagt zu.

Als sie zur ersten Probe das „Theater an der Wien" betritt, entsteht allgemeines Kopfschütteln. Diese dicke, sommersprossige Person soll einen Filmstar aus Hollywood darstellen? Und das Schlimmste: Hansen ist klein und zierlich - diese Frau ist ja mindestens einen halben Kopf größer als er, man hat das Gefühl, daß sie ihn jederzeit übers Knie legen könnte! Nein, das Schlimmste, so findet der Komponist, ist, daß die Leander nicht die vorgeschriebene Sopranstimme hat, sondern eine Altstimme. Er muß also ihre gesamte Rolle transponieren.
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Das Schlimmste ist, wie verheerend sie aussieht ........

Nein, das Schlimmste ist, so stellen eigentlich alle fest, wie verheerend sie aussieht!

Während der Proben herrscht keine besonders gute Stimmung. Und dann kommt die erste Hauptprobe, zu der sich die Darsteller im Kostüm und geschminkt einzufinden haben. Was die Leander tragen wird, weiß kein Mensch; sie hat sich ihre Kostüme selbst in Paris bestellt.

Und als sie zum erstenmal auftritt, geht ein allgemeines „Ah" durch die Reihen derer, die sich zur Hauptprobe eingefunden haben. Die Leander hat den gleichen Effekt erzielt wie damals in Stockholm. Niemand hat gedacht, daß sie so schön, so reizend, so souverän wirken kann.
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Allgemeine Begeisterung. Die Premiere wird ein Riesenerfolg.

Nicht nur, wie allgemein erwartet wurde, für Max Hansen, sondern vor allem auch für die Leander. Übrigens spielt da noch eine alte Negerin mit, die Zofe der großen Filmdiva.

Sie hat nur eine ganz kleine Rolle. Und die Negerin ist auch gar keine Negerin. Sie ist nur schwarz geschminkt. Sie ist auch nicht alt, sondern im Gegenteil blutjung. Sie hat vor vier Wochen erst ihr Abitur gemacht. Es ist das erste Mal, daß die junge Frau auf der Bühne steht. Ihr Name: Heidemarie Hatheyer.

  • Anmerkung : Der Autor des vorliegenden Buches, Curt Riess, hat Frau Heidemarie Hatheyer im Jahr 1952 geheiratet.


Und da sie von der Gage, die man ihr zahlt, nicht leben kann, spielt sie nach der Vorstellung noch im „Kabarett am Naschmarkt". Vierzehn Tage nach der Premiere singt sie bereits im Kabarett eine Parodie auf die Leander.
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Ganz Wien ist entzückt von der Leander.

Sie kann alles. Sie kann singen, sie kann - welche Seltenheit auf der Operettenbühne! - sogar spielen. Sie spielt mitten in der Operette eine Selbstmordszene so, daß den Leuten das Lächeln auf den Lippen erstirbt. Sie kann tanzen. Sie ist schön. Sie hat Charme.

Es wäre ein Wunder, wenn der Film sich nicht für sie interessierte. Ihren ersten Film macht sie schon bald nach der Premiere von „Axel vor der Himmelstür" beim Gloria-Film in Wien. Er heißt „Premiere". Die Regie führt Geza von Bolvary.
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Die Handlung :

Ein reicher, aber böser Mann wird während der Premiere einer großen Revue im Theater erschossen. Die Revue muß natürlich weiter gehen, die Untersuchung des Mordes ebenfalls.

Wer ist der Mörder? Die Diva, der gerade von dem reichen bösen Mann, dem Finanzier des Theaters, gekündigt worden ist? Der Direktor, dem der Kredit gesperrt wurde? Der erste Liebhaber, der auf den Toten eifersüchtig war? Der Inspizient - übrigens von Theo hingen umwerfend dargestellt - ?

Der Film wird (auch) ein Riesenerfolg.

Und das ist eindeutig das Verdienst Zarah Leanders. Wenn sie singt, wird es im Kino mucksmäuschenstill. Wenn sie verhört wird, halten die Menschen den Atem an. Sie alle spüren, das ist mehr als eine Schauspielerin, das ist ein ganzer Mensch, das ist eine Frau, die lebt, die atmet, die Gefühle, die Leidenschaft hat ...

Die Wiener Filmindustrie kann eine so talentierte Frau wie die Leander natürlich nicht halten. In London interessiert man sich bereits für sie. Auch Hollywood wäre nicht abgeneigt, sie zu holen, obwohl sie, wie man ihr nicht sehr taktvoll mitteilt, erst einmal zwanzig Pfund abnehmen müßte.
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Der Pommer Nachfolger Corell eilt persönlich nach Wien.

Er sitzt an einem Sonntag nachmittags und am Abend, also zweimal hintereinander, in der Aufführung von „Axel vor der Himmelstür" und engagiert die Leander vom Fleck weg.

Es stört ihn nicht, daß sie für den Film reichlich schwer ist, es stört ihn auch nicht, daß sie die Hälfte ihrer Gage in Schwedenkronen verlangt, obwohl er einige Schwierigkeiten mit der Reichsbank voraussieht.

Aber er weiß mit dem untrüglichen Blick des Mannes, der das Filmgeschäft versteht: Zarah Leander ist genau die Frau, die er braucht. Die Leander kommt also nach Berlin. Und sie beginnt sofort ihren ersten UFA-Film. Er heißt „Zu neuen Ufern".
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Der Inhalt :

Der Film spielt vor etwa hundert Jahren in Australien, das um diese Zeit von den Engländern noch als Sträflingskolonie benützt wird. Im Frauenzuchthaus befindet sich auch die schöne Schauspielerin Gloria Vane, weil sie, um ihren Geliebten zu retten, gestanden hat, einen Scheck gefälscht zu haben, den in Wirklichkeit er gefälscht hat.

Sie wartet, daß der Geliebte sie befreie. Er denkt aber gar nicht daran, er fürchtet für seine Karriere. Und trotzdem kommt Gloria aus dem Zuchthaus. Jeden Monat wird einmal „Brautschau" abgehalten, das heißt, es erscheinen Farmer, die eine Arbeitskraft brauchen und bereit sind, da es auf diese Weise billiger ist, eine der Gefangenen zu heiraten.

Die Leander läßt sich von einem jungen Farmer mitnehmen, ist aber entschlossen, ihm bei erster Gelegenheit zu entfliehen.

Als es dann so weit ist, und als sogar wieder der alte Geliebte auftaucht, spürt sie plötzlich, daß sie den selbstlosen Farmer und nicht mehr den Mann von gestern liebt, und bleibt nun bei ihm.
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Ein üblicher Film also. Ein bißchen sentimental, ein bißchen verlogen.

Aber wie spielt die Leander das! Wie singt sie ihre aufpeitschenden oder schwermütigen Weisen! Wie leicht vermag sie zu rühren, zu erschüttern, weinen und lachen zu machen.

Die Leute weinen und lachen und klatschen sich halb tot. In der UFA weiß man: solange die Leander auf der Leinwand zu sehen ist, braucht man sich keine Sorgen zu machen.

Zarah Leander macht nun Film auf Film, und alle Filme dieser ersten Zeit sind Riesenerfolge.
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Der Grund? Der Erfolg der Leander-Filme ist Zarah Leander

Zurückblickend kann gar kein Zweifel bestehen: wie gut auch immer die Drehbücher, wie geschickt die Regie, wie vorzüglich die Partner der Leander sein mögen - der Erfolg der Leander-Filme ist Zarah Leander.

Was eigentlich fasziniert das Publikum so sehr, daß es nicht nur in alle Zarah-Leander-Filme stürzt - die 1930er Jahre bis zum Krieg sind ja sowieso und überhaupt Hochkonjunkturzeiten des Films -, sondern daß viele zwei-, drei-, fünf-und sechsmal in jeden Zarah-Leander-Film gehen?

So seltsam es klingen mag, als Hauptgrund mag gelten, daß Zarah Leander nicht akzentfrei deutsch spricht. Wenn ihr Akzent auch kaum einer genannt zu werden verdient, gibt man ihr keine typisch deutschen Rollen zu spielen.

Sie tritt also nicht vors Publikum wie etwa Henny Porten oder Renate Müller, als Fräulein Müller oder Frau Müller, als Baroneß oder Gräfin Dingsda; sie steht vor uns als ein internationaler Revuestar, als eine englische Chanson-Sängerin, oder - in„Habanera", ihrem zweiten deutschen Film - als Schwedin, die „in Westindien vom tropischen Zauber des Südens berauscht wird" - Zitat aus einer Kritik - einen reichen Mann auf Puerto Rico, Sieger im Stierkampf, heiratet, nach Jahren unglücklicher Ehe aber heimwehkrank mit ihrem Jungen und einem schwedischen Jugendfreund in die Heimat zurückkehrt.

Übrigens: Der Stierkämpfer stirbt am Fieber. Die Leander wird in den nächsten Jahren eine Ungarin, eine Russin, eine Schottin spielen ...

Ist der Film nicht immer die Erfüllung der Träume gewesen

Und das ist der Zauber der Leander, und das ist der Grund dafür, daß sie gerade in jenen Jahren ihren großen durchschlagenden Erfolg hat - sie ist eine große Persönlichkeit und würde zu jeder Zeit erfolgreich sein - die Menschen sehen in ihr die Erfüllung ihrer Träume.

Ist der Film nicht immer Erfüllung dessen, was das Leben nicht erfüllt? Die Befreiung vom Alltag? Ja, das ist die älteste Formel des Erfolgfilms, und wenn wir, zurückblickend auf große Stars des deutschen Films, den Beweis zu führen versuchen, geht die Rechnung auch auf:

Die Porten war die Erfüllung des Wunsches nach der schönen, aber anständigen Frau, der Hausfrau, wenn man will; die Negri die Erfüllung der Sehnsucht nach dem Abenteuer. Die Helm die Erfüllung des Triebes zu der Frau, die wir nie ganz verstehen; Renate Müller die Erfüllung des Traums derjenigen, denen es schon schlecht ging - in einer Zeit volkswirtschaftlicher Krisen, der Arbeitslosigkeit, des Hungerns, des Elends - daß es auch einem gewöhnlich Sterblichen eines Tages gut gehen kann; jedes Fräulein Müller kann Karriere machen!

Und Zarah Leanders Erfolg hängt mit den Schlagbäumen zusammen

Und Zarah Leanders Erfolg hängt mit den Schlagbäumen zusammen, die sich rings um Deutschland gesenkt haben.

Seitdem das Dritte Reich ausgebrochen ist, wurde es immer schwieriger, ins Ausland zu reisen. Es gibt kaum noch Devisen. Außerdem ist die Regierung nicht dafür, daß Deutsche in andere Länder fahren, denn dort könnten sie die "Wahrheit über Hitler hören.

Die Reisen, organisiert durch „Kraft durch Freude", gelten nicht, denn obwohl die Teilnehmer - geographisch - ins Ausland fahren, bleiben sie doch - allermeist auf den Schiffen - unter sich, spielen ihren Skat, als ob sie zu Hause geblieben wären, unterhalten sich über Familienmitglieder und Bekannte, als hätten sie Chemnitz oder Duisburg, Pasing oder Lüneburg niemals verlassen.
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Aber einen Film mit der Leander sehen

Aber einen Film mit der Leander sehen heißt: den Alltag vergessen; das Dritte Reich verlassen. Man spürt den Atem der großen Welt. Man ist wirklich in einem internationalen Revuetheater, in einer Strafkolonie in Australien, auf einem ungarischen Landgut oder in Puerto Rico.

Noch einmal: das Drehbuch ist hier nur Anlaß. Dutzende von deutschen Schauspielerinnen könnten eine Szene in Puerto Rico spielen. Und doch wüßte der letzte Besucher in Pirmasens, daß dieses Puerto Rico in Babelsberg oder Tempelhof angesiedelt ist.

Bei der Leander spürt man das nicht. Wenn die Leander auf der Leinwand erscheint, ist es eben völlig gleichgültig, ob dieses Puerto Rico nun echt ist oder nicht, ob die russische Landschaft „stimmt" oder nicht. Man hat einfach das Gefühl - und darauf kommt es in der Kunst immer und immer wieder an: es könnte so gewesen sein.

Ja, es könnte so gewesen sein - und daß die Leander es immer wieder fertig bringt, einen davon zu überzeugen, beweist ihre Größe, ihre Stärke, ihre Einmaligkeit.
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Eigentlich ist Zara Leander überall "nur" gut, nicht sehrgut

Seien wir uns doch klar darüber: Sie hat ein sehr schönes Gesicht - aber mindestens ein Dutzend Stars aus Hollywood sind schöner, und auch der deutsche Film von Henny Porten zu Renate Müller hat viele Stars hervorgebracht, die - wenn man strenge Maßstäbe anlegt - hübscher genannt zu werden verdienen. Aber welches Gesicht rührt einen mit der gleichen Eindringlichkeit wie das Gesicht der Leander?

Seien wir uns auch darüber klar: Die Leander hat eine fast unmögliche Figur. Kein Hollywooder Regisseur würde sie akzeptieren, bevor sie nicht zwanzig oder vielleicht sogar dreißig Pfund abgenommen hätte. Sie ist einfach zu dick - und sie ist auch zu groß; fast alle Partner müssen, wenn sie Liebesszenen mit ihr spielen, auf einen Schemel gestellt werden.

Aber wer merkt das noch, nachdem die Leander zehn Minuten auf der Leinwand zu sehen war? Wer nimmt noch daran Anstoß? Sie hat dieses Handicap glatt überspielt, und man vergißt ihre eigentlichen Körpermaße, bis der Film zu Ende ist. Ja, vielleicht noch lange nachher.

Sie hat eine schöne Stimme, gewiß, aber Hand aufs Herz: eine ganz erstklassige Stimme hat sie natürlich nicht. Es ist eine ausgezeichnete Operettenstimme.

Wenn man freilich an Gitta Alpar denkt, die große Opernsängerin, die auch im Film ein Riesenstar zu werden versprach, verblassen die Gesangskünste der Leander.
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Aber kommt es darauf an?

Die Leander vermag mit einem Lied, mit einem Chanson alles zu vermitteln, was sie denkt, was sie fühlt, die Tragik des Lebens, die Verzweiflung, die Freude ... alles ... alles ...

Sie ist immer eine andere, sie, die schon aus Gründen ihrer Figur sich kaum wandeln kann. Sie, deren Altstimme so prägnant ist, daß man sie nur einmal zu hören braucht, um zu glauben, daß man sie immer gehört hat, - sie ist immer wieder neu.

Das macht nicht das Kostüm, das macht nicht die Schminke -, das macht die Persönlichkeit. Und diese Persönlichkeit fasziniert das Publikum.

Das Geheimnis der Leander ist letzten Endes, daß sie eine Schauspielerin ist, und daß sie - keine deutsche Schauspielerin ist. Eine, die von draußen kam und die, solange sie auf der Leinwand steht, die Tür zur Welt draußen offen hält.
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