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Erstes Kapitel

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BERLIN (1932)

Hinter den Stäben des eisernen Gitters, welches das Büfett einfaßte, waren eine von Fliegen beschmutzte Schüssel mit abgebratenem Pferdefleisch und ein Paar Pferdewürstchen zu sehen. Die Gäste im Lokal hatten Hunger, sie saßen an ihren Tischen und starrten auf das Pferdefleisch hinter den Eisenstäben. Es war Essenszeit, aber niemand bestellte etwas. Der Hunger dieser Leute hatte nichts mit der Essenszeit zu tun.

Vierzig Menschen waren im Gasthaus, und nur vor zweien von ihnen stand etwas auf dem Tisch. Ein alter Mann und eine verschlampte Frau hatten einen Becher Malzbier vor sich. Erst nahm er einen Schluck, stellte den Becher auf den Tisch und blickte auf das Pferdefleisch; dann nahm sie einen Schluck, stellte den Becher auf den Tisch und blickte auf das Pferdefleisch. Diese beiden waren, bevor wir hereinkamen, die lebhaftesten Gäste.
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Wir waren hier nicht in Rußland.

(Anmerkung : Der Autor war mehrmals in Russland und in Moskau) - Auf dem Schild über der Tür stand „Zum Ollen Fritz", und ein Lokal, das sich nach dem größten Hohenzollern nennt, muß selbst im roten Wedding deutsch sein.

Hier im Norden Berlins bot sich eine Gelegenheit, das Elend Deutschlands, wenn auch nicht in seinem ganzen Umfang, so doch ganz gewiß in seiner bittersten Form kennenzulernen, und im „Ollen Fritz" gab es mehr als genug Zeugen, die eine Antwort auf die Frage wußten, warum die deutsche Reichshauptstadt von allen Städten außerhalb Rußlands die meisten Kommunisten zählt.

Hitler und seine 12 Millionen Faschisten

In der deutschen Krise von heute nehmen Hitler und seine 12 Millionen Faschisten wohl den Vordergrund der Bühne ein, in den Kulissen jedoch stehen 6 Millionen Kommunisten.

Der deutsche Faschismus hätte auch ohne den deutschen Kommunismus in Erscheinung treten können. Beide aber wären ohne das Elend in Deutschland unmöglich.

Armut herrscht, wenn auch in verschiedenem Grade, in allen Ländern. Arbeitslosigkeit gibt es überall in der Welt. Die Unzufriedenheit ist kein Monopol Deutschlands, und viele außerhalb des Reiches müssen sich fragen, warum die Gefahr einer radikalen Änderung von Regierung und Wirtschaftssystem für Deutschland größer ist als für andere Länder mit gleich hoher Arbeitslosenziffer.

Dafür gibt es gute Gründe.
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Gute Gründe ?

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  • Erstens: hier ist die Unzufriedenheit, die aus der Armut resultiert, politisch organisiert.
  • Zweitens: die Armut gewisser Bevölkerungsschichten ist ganz außerordentlich bitter.
  • Drittens: die politische und wirtschaftliche Unzufriedenheit herrscht bereits seit langer Zeit.

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Für uns in Amerika ist die (Anmerkung : die aktuelle) Wirtschaftsdepression etwas verhältnismäßig Neues, und deshalb fällt es uns schwer, uns klarzumachen, daß die Völker Mitteleuropas den Vorkriegsstandard der geschäftlichen Sicherheit und der Lebenshaltung niemals wieder erreicht haben. (Anmerkung : Der Weltkrieg war jetzt 14 Jahre vorbei.)
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Die Arbeitslosigkeit mit unterschiedlichen Maßstäben messen ?

Die politische Organisation der Unzufriedenheit in Deutschland macht es unmöglich, die Konsequenzen, zu denen die Arbeitslosigkeit je nach ihrem Ausmaß führen kann, mit denselben Maßstäben zu messen, wie sie einem gleichen Umfang der Arbeitslosigkeit in anderen Ländern zukommen.

Ob wir in Amerika im Verhältnis zu unserer Einwohnerzahl mehr oder weniger Stellungslose haben als Deutschland - die Folgen eines Anwachsens der Erwerbslosenzahl in Deutschland dürften jedenfalls viel ernsthafter sein als die Folgen einer gleichen Zunahme der Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten oder in England.

Daß alle Arbeitslosen, gleichgültig in welchem Lande, unzufrieden sind, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber der Grad ihrer Unzufriedenheit richtet sich nach dem Ausmaß ihrer Armut und nach dem Charakter der politischen Organisation im Lande.

In einem Lande wie den Vereinigten Staaten, in welchem die Arbeitslosen ihre Ersparnisse abheben, von ihren beschäftigten Freunden und Verwandten unterstützt werden oder die Hilfe öffentlicher Wohlfahrtsunternehmen in Anspruch nehmen, also auf einem verhältnismäßig erträglichen Standard weiterleben können, bleibt der Grad der Unzufriedenheit innerhalb der Grenzen des Systems.

Der Arbeitslose in Amerika drückt seine Unzufriedenheit im allgemeinen dadurch aus, daß er seine Stimme gegen die Männer oder die Partei, die an der Macht ist, abgibt. Er kann aus einem Republikaner ein Demokrat werden oder umgekehrt.

Die "Kleinheit" der kommunistischen Partei in Amerika

Die unbedeutende Größe, oder besser die Kleinheit, der kommunistischen Partei in Amerika weist zur Genüge darauf hin, daß in den Staaten auch von den Arbeitslosen nicht viele die Absicht haben, in ihrem Protest weiter zu gehen.

Aber selbst wenn sie diese Absicht hätten und ihrer Opposition nicht nur gegen die Partei am Ruder, sondern gegen die Regierung selbst und das kapitalistische System Ausdruck verleihen wollten, würden sie kein politisches Instrument finden, das sie befriedigen könnte.

Das heißt etwa so viel: die kommunistische Partei Amerikas ist klein, weil niemand für sie stimmt, und es stimmt niemand für sie, weil sie klein ist.
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Das politische Paradoxon in den USA und in Deutschland

Dieses politische Paradoxon muß für Deutschland geradezu umgekehrt werden. Hier ist die Unzufriedenheit größer, weil die meisten Stellungslosen im Reich trotz der Hilfe, welche die Unterstützung gewährt, ein Leben führen, das für die meisten Amerikaner unerträglich wäre und, mit verschiedenen Abstufungen, auch für die Deutschen unerträglich geworden ist.

Mit jedem Tag, den die Krise fortdauert, vermehrt sich nicht nur die Gesamtzahl der Arbeitslosen und die Zahl derer, die eine im Durchschnitt unter 16 Mark liegende Unterstützung empfangen, sondern auch die Anzahl derer, deren Ansprüche auf die Unterstützung abgelaufen sind, so daß sie auf die sogenannte, im Durchschnitt 7 Mark betragende, Wohlfahrt angewiesen sind.

Zu Ausgang des Jahres 1930 bezogen 700.000 diese minimale Hilfe; Ende 1931 mußten bereits 1.5oo.ooo versuchen, davon zu leben. Bevor der Arbeitslose das Recht auf die Unterstützung in Höhe von 16 Reichsmark Mark wiedererlangt, muß er Arbeit gefunden haben und mindestens 26 Wochen lang ununterbrochen beschäftigt gewesen sein.
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Die deutsche Krise und die "politischen Ventile" .....

Daß die Unzufriedenheit hier schärfere Formen hat als sonst, steht also fest; wir müssen nun, um den wichtigsten Unterschied zwischen dem Deutschen Reich und den anderen Ländern in der Weltkrise klarzustellen, nach den politischen Ventilen fragen.

In dieser Beziehung steht Deutschland einzig da. Es hat zwei Hauptventile für revolutionäres Fühlen; beide sehen Lösungen für die verschiedensten Arten der Unzufriedenheit vor und verheißen eine radikale Änderung sowohl der Regierung wie des Systems.

Auf der einen Seite steht die kommunistische Partei, die alles dem Arbeiter verspricht; auf der anderen die nationalsozialistische Partei Adolf Hitlers, die allen alles verspricht.

Und ganz abgesehen von diesen Gründen sind beide Parteien groß, weil viele für sie stimmen, und viele stimmen wiederum für sie, weil sie groß sind.
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Der Entwicklungsverlauf - wie es dazu gekommen war

(Anmerkung : Hier nochmal der Hinweis, daß der Autor sowoh lin den USA als auch in München Philiosophie studiert hate.)

Das heißt, daß die beiden radikalen Parteien den Entwicklungsverlauf der meisten politischen Bewegungen genommen haben. Zunächst erreichten sie eine gewisse Größe dadurch, daß eine Anzahl von Wählern sich um ihrer Prinzipien willen damit abfand, daß ihre Stimmen verloren gingen.

Je größer aber die Parteien wurden, desto mehr Anziehungskraft erlangten sie. In der Politik gilt noch mehr als auf anderen Gebieten der Satz, daß nichts solchen Erfolg hat wie der Erfolg selbst.

Heute hat niemand das Gefühl, seine Stimme gehe verloren, wenn er für eine Partei stimmt, die Hitler bei den Reichstagswahlen im Jahre 1930 etwa 6.406.000 Stimmen brachte, oder für eine Partei, die 4.590.000 Stimmen für „Moskau" abgab.

Heute ist die politische Bewegung zu einem Erdrutsch in Richtung auf die beiden radikalen Gruppen geworden; Nationalsozialisten und Kommunisten scheinen die stärkste und zweitstärkste Partei geworden zu sein und haben wahrscheinlich die Majorität aller Wähler im Reich für sich.
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Das Wählerpotential der radikalen Parteien in Deutschland

Die Unzufriedenheit in Deutschland ist nicht allein auf die materielle Verarmung zurückzuführen, aber jedenfalls ist die Größe der beiden radikalen Parteien in Deutschland daraus zu erklären, daß die Kommunisten Menschen sind, die niemals etwas hatten, und daß die Nationalsozialisten sich aus Schichten rekrutieren, die etwas besessen und es verloren haben.

Das dürfte eine große Majorität der Bevölkerung sein; allerdings läßt sich daraus weder ein genauer Schluß auf die Größe des Reichtums und der Produktionskapazität noch auf die Zahlungsfähigkeit des ganzen Landes ziehen.
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Eine Betrachtung der Radikalisierung der Bevölkerung

Wie weit der Zug zur Radikalisierung der Bevölkerung von der wirtschaftlichen Depression beeinflußt worden ist, läßt sich in verblüffender Weise demonstrieren, wenn man das Anwachsen der Arbeitslosigkeit mit der Steigerung der für Nazis und Kommunisten abgegebenen Stimmen in Relation setzt.

Ein solcher Vergleich gestattet auch bis zu einem gewissen Grade einen Schluß auf die Konsequenzen, zu denen ein fortgesetztes Anwachsen der Arbeitslosigkeit in der Zukunft führen dürfte.
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Eine Betrachtung der statistischen Zahlen der Wähler

Im Jahre 1920 hatte Deutschland 464.000 Arbeitslose und das er gab für die kommunistische Partei 689.000 Stimmen, also 120 % der Erwerbslosen. Die Nationalsozialisten existierten damals noch nicht.

Die Wahlen des Jahres 1924, in denen sich vor allem die Wirkungen des Inflationsausganges manifestierten, können als unerheblich übersprungen werden.

1928 hatte das Deutsche Reich zur Zeit der Wahlen 2.500.000 Arbeitslose und das er gab für die Kommunisten 3.263.000 Stimmen, 124% der Arbeitslosen, für die Nationalsozialisten 809.000 Stimmen, 30% der Arbeitslosen; die beiden radikalen Parteien hatten also zusammen 4.072.000 Wähler gewonnen, das sind ungefähr 160% der Erwerbslosen.

Im Wahljahr 1930 gab es in Deutschland 4.438.000 Arbeitslose; für die Kommunisten wurden 4.500.000 Stimmen abgegeben, also etwa 100% der Arbeitslosen, für die Nationalsozialisten gab es 6.406.000 Stimmen, 140% der Arbeitslosen; die beiden radikalen Parteien hatten zusammen 10.996.000 Wähler, das sind ungefähr 240% der Stellungslosen.
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Die Schlussfolgerung aus den Statistiken

Man ersieht daraus, daß die Anzahl der radikalen Stimmen stets größer war als die Anzahl der Erwerbslosen, und daß sie sich nicht nur parallel zu dieser vermehrte, sondern in rascherem Tempo.

Die Beschleunigung, mit der die radikale Stimmenzahl zunahm, stieg von 120% der Erwerbslosen im Jahre 1920 auf 160% im Jahre 1928 und von da auf 240% im Jahre 1930.

Von 120% auf 160% bedeutet eine Zunahme um 4o%, von 160 auf 240 eine von 80%. Wenn man annimmt, daß es bei diesem Tempo der Beschleunigung bleibt, müßten die radikalen Parteien bei der nächsten Wahl 240% plus 160%, also 400% von der Gesamtanzahl der Erwerbslosen erhalten.

Wenn es bei der nächsten Wahl 5 Millionen Arbeitslose gibt, müßten nach dieser Berechnung von der Gesamtheit der 35 Millionen Stimmen für die radikalen Parteien mindestens 20 Millionen abgegeben werden.

Die Voraussagen der beiden radikalen Parteien in 1930

Das würde ungefähr den Voraussagen der beiden radikalen Parteien entsprechen - die Nationalsozialisten haben behauptet, sie würden 1932 15 Millionen Stimmen erhalten, die Kommunisten rechnen auf 6 Millionen.

Diese Berechnung soll aber nicht eine Prophezeiung über den Ausgang einer derartigen Wahl sein; ihre statistische Basis ist zu schmal, und überdies spielen noch andere Dinge mit. Aus so manchen anderen Gründen erscheint es wahrscheinlich, daß die Stimmenzahl der Nationalsozialisten unterhalb von 15 Millionen bleiben wird. Doch der Wert dieser Berechnung als Illustrierung der Zusammenhänge zwischen Arbeitslosigkeit und Radikalismus ist klar.
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Die Folgen des Elends der Arbeitslosigkeit

In ganz Deutschland geht die Abgabe radikaler Stimmen Hand in Hand mit dem Elend der Arbeitslosigkeit. Zwei Drittel der kommunistischen und die Hälfte der nationalsozialistischen Stimmen bei den Wahlen im Jahre 1930 kamen aus Gebieten, deren Einwohnerschaft weniger als die Hälfte der Bevölkerung des Reichs ausmacht, deren Anteil an der Arbeitslosigkeit jedoch bedeutend über der Durchschnittsziffer des ganzen Reiches lag.

Arbeitslosenzentren und kommunistische Zentren sind Berlin und seine industriereiche Umgebung, die gewaltigen chemischen Werke Merseburgs, die Fabrikstädte Thüringens und Sachsens, die Stahl- und Kohlereviere an der Ruhr und in Westfalen, die schlesischen Bergwerke.
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Was die amerikanischen Touristen nicht sehen

Nur wenige von diesen Orten liegen auf der Route der Deutschland bereisenden Touristen, aber sie alle verdienen aufgesucht zu werden, wenn man sich ein Bild davon machen will, was heute im Reich vorgeht, und was in der Zukunft zu erwarten ist.

Von den großen Städten Deutschlands nimmt Berlin mit seinen 500.000 Arbeitslosen und seinem Wahlergebnis im Jahre 1930 - 739.235 kommunistische und 395.988 nationalsozialistische Stimmen - nahezu den ersten Platz auf der Liste der Arbeitslosigkeit und des Radikalismus ein.
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Über die obdachlosen Gäste des „Ollen Fritz"

Und von den obdachlosen Gästen des „Ollen Fritz" waren so manche aufschlußreiche Kommentare zu den Lehren der Statistik zu erhalten. In ihren Lumpen und mit ihrer Verbitterung verkörperten sie die
wesentlichen Ursachen und die wesentlichen Folgen in der Kette der Ereignisse, welche das deutsche Volk zum Zentrum der europäischen Befürchtungen gemacht haben.

Sie lehnten mich nicht ab. Denn meine "Uniform" entsprach ganz der ihren - "Uniform der Obdachlosen" - Lumpen. Meine Gefährten, Sachverständige auf dem Gebiet, das ich erforschen wollte, waren besser gekleidet.
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Meine drei Begleiter in die Abgründe des Wedding .....

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  • Max war ein etwa fünfzigjähriger Grauhaariger, mit einer revolutionären Vergangenheit. Er war von Beruf Bauarbeiter, aber er trug einen steifen Kragen. Wiederholt hatte er wegen seiner politischen Betätigung die Arbeitsstelle wechseln müssen. Seit 1924 war er auf der Suche nach Arbeit. Haussuchungen der Polizei und Verhaftungen waren ihm keine unbekannten Dinge.
  • Mein zweiter Begleiter dieser Nacht, Hans, verdiente sein Geld als Straßenhändler, aber es war - wie er sagte - weniger, als wenn er Unterstützung bezogen haben würde.
  • Otto war Journalist. Alle drei seit langer Zeit Mitglieder der Kommunistischen Partei. Für den Wedding bedeutet das, daß uns keine Auskunft verweigert wurde.

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„Genosse", rief Max, „vier kleine Bier."

Der Kellner strahlte über das ganze Gesicht: es war die größte Bestellung des ganzen Abends. Die Leute an den Nebentischen wandten die Köpfe, um mit apathischem Neid die üppigen Genossen zu betrachten, die sich vier Bier zu 15 Pf. leisten konnten.

Unter einem Schild, auf dem zu lesen war „Männerheim - Bett fünfzig Pfennig", saß ein halbes Dutzend Männer; sie hatten die Köpfe auf den Tisch gelegt und schliefen. Ich fragte: „Warum gehen die Leute nicht ins Männerheim, in welchem sie richtig schlafen können?" - „Weil sie keine fünfzig Pfennig haben", antwortete der Kellner.

Ein großer junger Mensch - sein hagerer Hals kam aus einem zerlumpten Mantel hervor, der ihm um die Beine schlug - ging mit einem ehemals weißen Frackhemd im Zimmer umher. Er wollte es gegen den Preis einer Pferdewurst verkaufen, konnte aber keinen Abnehmer finden. Er selbst hatte kein Hemd an.
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Eine Nacht im städtischen Obdachlosenasyl

Wir brauchten „Papiere" für den Fall, daß wir uns dazu entschließen würden, die Nacht im städtischen Obdachlosenasyl zu verbringen. Ein Arbeiter, ein kleiner Bursche mit einem Goldzahn im Munde, früherer sozialdemokratischer Stadtverordneter, jetzt Kommunist, holte Papier und Tinte und hatte im Handumdrehen Dokumente ausgestellt, in welchen bescheinigt wurde, daß Otto und ich am heutigen Tage als ungelernte Arbeiter in einer Tischlerei beschäftigt gewesen wären.

Als Arbeitsstätte gab er die Adresse von Hans an. Hans, der in solchen Dingen Bescheid weiß, wohnte nicht zu Hause, aber seine Frau bestätigte sicherlich die Adresse, wenn das Asyl Erkundigungen einziehen sollte, und das hätte für die eine Nacht genügt.

Als der Arbeiter mit den Dokumenten fertig war, holte er einen Kamm und eine Schere aus der Tasche und ging an das andere Ende des Zimmers, wo er einem Gast die Haare zu schneiden begann. In der Ecke ihm gegenüber lag ein Haufen zerbrochener Stühle.

Auf dem Tisch zwischen den beiden Ecken saßen drei Mädchen. Sie wollten belegte Brote auf Pump haben und versprachen, um zwölf Uhr wiederzukommen und zu bezahlen. Der Wirt schlug ihre Bitte ab. Er zweifelte nicht daran, daß sie zahlen würden, wenn sie das Geld hätten, aber er glaubte nicht, daß auch nur eine von ihnen bis zwölf Uhr 5o Pf. verdienen könnte.
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13 Jahre Gefängnis für das Kleben von nicht genehmigten Anschlägen

Wir gingen hinaus und kauften uns eine Zeitung. Vier Kommunisten, die beim Kleben von nicht genehmigten Anschlägen - was von der Notverordnung unter Androhung schwerer Strafen verboten ist - ertappt worden waren, hatten zusammen dreizehn Jahre Gefängnis bekommen. Der Anführer war zu vier Jahren verurteilt worden.

„Im Ausland wird man sich noch sehr wundern", rief einer. „Man glaubt, daß eine kommunistische Revolution in Deutschland ganz anders aussehen würde, als es in Rußland war. Man meint, wir würden es zu keiner gewaltsamen Abrechnung kommen lassen. Ich kann Ihnen sagen", dabei ballte er die Faust, „mit dieser falschen Meinung werden wir aufräumen."

„Und wie wir damit aufräumen werden!" wiederholte Max, als wir uns in der Tür zur „Wiesenquelle" an einer Gruppe von Arbeitern vorbeidrängten.
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Allgemeines Gesprächsthema in Deutschland : Arbeitslosigkeit

Sie alle sprachen, wie überall die Leute, von der Arbeitslosigkeit. Als ich im Jahre 1922 nach Deutschland kam, hieß das erste Wort, das ich lernte, „Kurs" - die Notierung der Mark.

Das war in der Zeit, als die Mark täglich um Millionen stürzte. Heute ist es anders; ein vor kurzem hier eingetroffener Freund erzählte mir, das erste Wort, das er, weil er es so oft hörte, gelernt hätte, wäre „Arbeitslosigkeit".

In der idyllischen „Wiesenquelle" saßen zwanzig bis dreißig Männer und einige Frauen, die zusahen, wie ein Paar zu der krächzenden Melodie eines ausgeleierten Grammophons tanzte. Es war noch immer Essenszeit; an der Wand hingen Plakate: „Wenn du Max Schmeling schlagen willst, mußt du unser Gulasch essen - fünfunddreißig Pfennige", aber niemand hatte etwas vor sich auf dem Tisch stehen.

„Was für Geschäfte machen die Wirte?" fragte ich. „Gar keine", war die Antwort. „Sie sind nicht viel besser dran als ihre Kundschaft."
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Die Story mit dem Glas Bier der Deutschen

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