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"Das gab's nur einmal" - Der deutsche Film von 1912 bis 1945

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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SECHZEHNTERTEIL • 1940

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DER POSTMEISTER

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1940 - Hilde Krahl und Heidemarie Hatheyer

Im Jahre 1940 kommen zwei junge Schauspielerinnen nach vorn, die beide bereits gefilmt haben und von denen die Fachwelt schon lange weiß, daß sie das Zeug dazu haben, in der vordersten Reihe zu stehen. Hilde Krahl und Heidemarie Hatheyer.

Noch früh im Jahre 1940 findet die Uraufführung des von Gustav Ucicky inszenierten Filmes „Der Postmeister" statt.

Eigentlich soll der Film Heinrich George Gelegenheit geben, seine große Kunst zu zeigen. Und das tut er auch. Daß neben George eine junge Schauspielerin sich ihm plötzlich als ebenbürtig erweist, hat niemand vermutet.

Der „Postmeister" ist nach einer Novelle des Russen A. S. Puschkin geschrieben.

Der Inhalt ist folgender:

Da gibt es irgendwo in Rußland einen Postmeister auf einer einsamen Poststation, weit entfernt von der Eisenhahn. Täglich geschieht es ein- oder zweimal, daß ein Wagen vorfährt, und die Passagiere verlangen möglichst schnell frische Pferde zu erhalten, um weiterfahren zu können.

Aber mit den frischen Pferden ist das so eine Sache. Meist sind keine vorhanden, weil die letzten erst vor einer halben Stunde vor einen anderen Wagen gespannt worden sind. Dann geraten die Durchreisenden in Wut, beschimpfen den Postmeister, ja, sie schlagen ihn sogar. Was kann der arme alte Mann tun?

Doch der Postmeister hat eine reizende schöne Tochter

Nun, der Postmeister hat eine Tochter. Eine sehr reizende, sehr schöne Tochter. Wenn er diese Tochter in die Wirtsstube ruft, sind auch die höchsten Herrschaften im Nu besänftigt. Denn Dunja ist nicht nur schön, sie hat auch Charme.

Sie versteht es, die Durchreisenden zu unterhalten, und der Vater ist glücklich und furchtbar stolz auf seine Tochter.

Es kommt, wie es kommen muß. Eines Tages erscheint der Rittmeister Minskij auf der Durchreise in der Poststation. Minskij stammt aus St. Petersburg, ist ein reicher Offizier, der zu leben versteht, durch dessen Hände schon viele Frauen gegangen sind. Auch er ist ungehalten, als er warten soll.

Als Dunja in die Wirtsstube kommt, ist er nicht mehr ungehalten. Es macht ihm Spaß, das junge Mädchen zu verführen. Sie aber liebt ihn. Und als Minskij weiterfährt, verläßt sie die Poststation. Der Vater findet das gar nicht erstaunlich. Natürlich wird Rittmeister Minskij seine Tochter heiraten!

Nein, das tut Minskij nicht. Aber er lebt mit Dunja in seinem herrlichen Haus. Er schenkt ihr Schmuck, Kleider. Sie wird innerhalb von wenigen Wochen eine der begehrtesten und interessantesten Frauen der Hauptstadt. Sie wird die berühmteste Kokotte.

Die Story geht weiter

Der Vater wartet noch immer auf Nachricht von Dunja. Seine Tochter muß doch schon längst verheiratet sein. Von Reisenden erfährt er den wahren Sachverhalt. Aber er glaubt kein Wort.

Und schließlich macht er sich auf, um selbst nach St. Petersburg zu fahren und am Glück seiner Tochter teilzuhaben ...

Die inzwischen auf ihre Weise wirklich glücklich geworden. Denn sie hat den jungen Fähnrich Mitja kennengelernt, der sie wirklich liebt, und für den sie das junge unberührte Mädchen ist. Für ihn will sie es wieder werden. Sie verläßt Minskij und geht in die ärmliche Wohnung ihrer Freundin Elisawetha, näht, um ihren Lebensunterhalt zu bezahlen.

Der Vater kommt in ihre neue Behausung, glaubt, seine Tochter lebe im Elend, weil Minskij sich von ihr abgewandt hat, eilt zu ihm, um ihn zur Rede zu stellen, ja, will ihn totschlagen, weil er seine Tochter entehrt hat.

Dunja läuft voraus, um das Schlimmste zu verhüten. Sie fleht Minskij an, ihrem Vater vorzulügen, daß er sie, Dunja, heiraten will. Minskij ist bereit. Er hat nur eine Bedingung: „Du mußt zu mir zurückkehren!" Sie verspricht es.

Der Postmeister kommt, und nun spielen alle Komödie. Er wird wie der Schwiegervater empfangen, glaubt einer Hochzeit beizuwohnen, nicht ahnend, daß der Pope, der seine Tochter mit Minskij traut, ein kostümierter Freund Minskijs ist.

Noch ein anderer wohnt der Hochzeit bei: Mitja. Jetzt erst begreift er, wer Dunja ist oder war. Mitja ist todunglücklich. Der alte Postmeister ist aber ungemein glücklich. Er ißt, er trinkt und fährt schließlich nach Hause, fest davon überzeugt, daß seine Tochter ein schönes und glückliches Leben vor sich hat.

Noch eine letzte Begegnung zwischen Dunja und Mitja. Als dieser sie abweist, bringt sich Dunja um. Mit ihrer letzten Kraft aber beschwört sie Minskij, ihrem Vater anzuzeigen, daß sie an einer Krankheit gestorben sei, daß Rittmeister Minskijs Frau gestorben sei. Der Postmeister erfährt es und ist sehr traurig.

Aber bald wird die Trauer durch die Erinnerung an die schöne Zeit verdrängt. Allen denen, die durch die Poststation kommen, erzählt er von seiner schönen Tochter, die den Rittmeister Minskij heiratete und dann starb. Die, so lange sie lebte, ihrem Vater nur Freude bereitete. Eines Tages kommt auch der Fähnrich Mitja durch die Poststation. Auch er muß anhören, was der Alte über Dunja berichtet. Er weiß, daß das alles nicht stimmt. Aber er verschwindet, ohne dem Vater die Wahrheit gesagt zu haben. Zu spät begreift er, was er verloren hat.
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Eine wirklich schöne und rührende Geschichte

Dies ist die Geschichte, die wirklich schöne und rührende Geschichte des Films. Aber es genügt nicht, die Geschichte des Films zu erzählen, um denen, die ihn nicht gesehen haben, die starke Wirkung begreiflich zu machen, die er ausübt.

Wie ist das alles von Ucicky inszeniert! Wie plastisch steht das alte Rußland vor unseren Augen! Wie erschütternd ist Heinrich George! Dies ist sicher seine stärkste Rolle. Er ist ganz Güte, ganz Einfalt. Da ist eine Szene, in der er seinen Pferden einen Brief der Tochter vorliest. Ganz leise, ganz selbstverständlich ...

Wer spielte diese Szene Heinrich George nach!

Unbegreiflich, daß ein Mensch, der die elementarsten Gefühle so einfach, so selbstverständlich spielt - nein, nicht spielt, sondern wirklich fühlt, der wirklich leidet, wenn Unrecht geschieht, in seinem beruflichen Leben, in jenem Leben, das sich jenseits der Bühne und des Films abspielt, so unmenschlich sein kann.

Unbegreiflich, daß einer, der sich dem Regime Hitlers und Goebbels verschrieben hat, diesen menschlichen Protest gegen das Regime der Unterdrückung zu spielen vermag ...
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Hilde Krahl - die Überraschung des Films

Und dann: Hilde Krahl - die Überraschung des Films, der neue große Star. Sie ist um diese Zeit dreiundzwanzig Jahre alt. Sie stammt aus Brod an der Save, ist aber schon als kleines Kind nach Wien gebracht worden. Ihr Vater ist Wiener, ihre Mutter Kroatin.

Und das spürt man sofort, wenn man sie ansieht; das spürt man aus jeder Bewegung, das besagen die außerordentlich ausdrucksvollen Augen, die hohen Backenknochen, der sinnliche Mund ...

Sie hat ihr Abitur gemacht, hat begonnen, Musik zu studieren und das Staatsexamen für Klavierspielen absolviert - sie ist sehr musikalisch, sie besteht gleichsam aus Musik. Von der Musik kommt sie zum Tanzen.

Nach ein paar Monaten Tanzunterricht steht sie auf der Bühne eines kleinen Wiener Kabaretts „Literatur am Naschmarkt", einem sehr witzigen, sehr gescheiten, sehr modernen Kabarett.

Vom Kabarett zum „Theater in der Josephstadt" ist nur ein kleiner Schritt. Hilde Krahl ist eine ungemein begabte Schauspielerin, und eine sehr eigenwillige. Sie ist hart und kompromißlos in ihrer Sprache, in ihrer Gestik.

Sie ist von einer geradezu erschreckenden Unsentimentalität, erschreckend, wenn man ihr Alter bedenkt. Sie wird nie das Gretchen spielen können. Übrigens ist sie anfangs nicht einmal eine besonders gute Schauspielerin. Zwar spürt der Fachmann die unheimliche Begabung - unheimlich in des Wortes wahrster Bedeutung - aber in ihren ersten Rollen wirkt Hilde Krahl geradezu dilettantisch.

Hilde Krahl fasziniert sie die Zuschauer

Und doch, jedesmal, wenn sie auftritt, fasziniert sie die Zuschauer, ist sofort irgendwie „da". Ein Filmproduzent interessiert sich für sie. Sie macht, neunzehnjährig, ihren ersten Film „Mädchenpensionat", in dem sie wenig anderes zu tun hat, als hübsch auszusehen und zu rühren.

Es handelt sich um die Geschichte der Prinzessin Dagmar, die, während sie im Mädchen-pensionat ist, sich in ihren Sportlehrer verliebt, dem sie natürlich entsagen muß. Alt-Heidelberg mit umgekehrtem Vorzeichen!

Die Prinzessin wird von Angela Salloker gespielt, die wenige Jahre vorher das „Mädchen Johanna" war. Hilde Krahl spielt nur eine Freundin der Prinzessin, fällt aber doch sogleich auf. Deshalb holt Willi Forst sie für seinen etwas kitschigen Film „Serenade".

Jetzt ist es schon klar, daß sie ihren Weg im Film machen wird. Zwei andere, weniger interessante Filme folgen. Die Krahl gefällt dem Publikum, obwohl sie selbst immer wieder erklärt: „Mein Gesicht auf der Leinwand gefällt mir nicht!"
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Und dann kommt eben „Der Postmeister"

Sie hat sich durchgesetzt. Denn hier spielt sie schlechthin vollendet. Sie ist alles: das junge, unerfahrene Ding vom Land. Die Liebende. Die große Kokotte von St. Petersburg, die keine Illusionen mehr hat. Die wissende Frau, die durch die Stärke ihrer Liebe ihre Unschuld wiederfindet. Die Stolze, die Verzweifelte ...

Wieviele Wandlungen hat Dunja in den knapp zwei Stunden des Film durchzumachen! Aber das merkt der Zuschauer gar nicht. Es wird keine Naht spürbar. Das ist alles durchfühlt, durchlebt, durchlitten!

Hilde Krahl heiratet ihren Regisseur Wolfgang Liebeneiner

Bald nach Vollendung des Films wird Hilde Krahl Wolfgang Liebeneiner kennenlernen, ihn heiraten, und dann wird er seine großen Filme mit ihr machen. Übrigens wird sie sich auf der Bühne erst nach ihren entscheidenden Filmerfolgen ganz durchsetzen - im Gegensatz zu den meisten anderen Schauspielern.

Aber sie wird sich niemals für die eine oder andere Seite entscheiden. „Der Schauspieler darf sich nicht nur dem Film verschreiben", erklärt sie. „Er muß auf der Bühne stehen und als Barometer die direkte Resonanz des Publikums haben ..."

DIE GEIERWALLY

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„Ich plane einen Film ,Die Geierwally' mit Heidemarie Hatheyer

Etwa um die Zeit, da in Berlin die ersten Besprechungen über das Filmvorhaben „Der Postmeister" beginnen, also im Frühsommer 1939, wird in München ein Film geplant, von dem sich allerdings niemand viel verspricht.

Ein gewisser Herr Seitz, Regisseur der alten Schule, setzt sich mit der jungen Schauspielerin Heidemarie Hatheyer, die gerade an den Kammerspielen auftritt, in Verbindung.

„Ich plane einen Film ,Die Geierwally'. Sie sollen die Hauptrolle spielen!" Heidemarie Hatheyer hat vor wenigen Wochen einen Vertrag mit der TOBIS abgeschlossen. Dies soll ihr erster TOBIS-Film werden.

„Um was handelt es sich?" „Es ist ein Film, den vor zwanzig Jahren Henny Porten einmal gemacht hat." Vor zwanzig Jahren - da hat Heidemarie Hatheyer noch nicht einmal gelebt. „Die Geierwally ist ein Bauernmädchen. Dieses Mädchen hat immerfort Krach. Mit ihrem Vater, der furchtbar trotzig ist, mit dem jungen Bauernburschen, den es liebt. Eigentlich steht es nur gut mit einem einzigen Wesen, dem Geier."

„Sagten Sie mit einem Geier?" „Jawohl. Daher der Name. Ein gezähmter Geier. Verstehen Sie?" Heidemarie Hatheyer glaubt zu verstehen. Das dürfte ein ziemlich schlechter Film werden, denkt sie. Aber laut Vertrag bekommt sie 10.000 RM pro Film und da sie an den Kammerspielen nur 400 RM im Monat verdient, ist ihr jeder Stoff recht.

„Ich fahre jetzt nach Berlin und lasse wieder von mir hören", erklärt Herr Seitz. Er fährt nach Berlin, aber er läßt nichts mehr von sich hören.
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Lauter winzige Rollen in Operetten am „Theater an der Wien"

Es wurde bereits schon einmal kurz von Heidemarie Hatheyer gesprochen. Sie war direkt nach ihrem Abitur an das „Theater an der Wien" verpflichtet worden, an dem sie zweihundertmal mit Zarah Leander in „Axel vor der Himmelstür" auftrat, das heißt, Zarah Leander war der Star, Heidemarie Hatheyer spielte eine winzige Rolle.

Sie spielte noch viele winzige Rollen in Operetten am „Theater an der Wien". Sie trat im Kabarett „Literatur am Naschmarkt" auf, sie war dort sozusagen die Nachfolgerin von Hilde Krahl. Gelegentlich durfte sie auch im Radio singen oder spielen. Es sah nicht gerade nach einer großen Karriere aus.

Da sah sie Otto Falckenberg, Direktor der Münchener Kammerspiele, in einer winzigen Rolle im „Theater an der Wien", bestellte sie ins Hotel, ließ sie vorsprechen und engagierte sie vom Fleck weg.

Die Münchener Kammerspiele waren damals eines der ersten Theater Deutschlands, das vermutlich beste Theater außerhalb Berlins. Viele berühmte Schauspieler waren von den Münchener Kammerspielen gekommen: Elisabeth Bergner, Käthe Gold, Heinz Rühmann, Ferdinand Marian, Ewald Baiser... O. E. Hasse und O. W. Fischer spielten gerade dort, als die blutjunge Heidemarie Hatheyer anfing.

Heidemarie Hatheyers erste Rolle: in Billingers „Gigant"

Ihre erste Rolle: in Billingers „Gigant", das Theaterstück, das später von Veit Harlan in den Film „Die goldene Stadt" umgewandelt wurde. Sie spielte die Hauptrolle, eine junge Tschechin, die auf dem Lande aufwächst, in die Stadt kommt, verführt wird und zugrunde geht.

Ihr Partner, der Verführer: O. W. Fischer. Ein Durchbruch. Die Hatheyer war trotz ihrer Jugend schon damals eine vorzügliche Schauspielerin. Aber nicht so sehr ihre Kunst als ihre Persönlichkeit setzte sich durch.

Außerdem sah sie recht ungewöhnlich aus. Ihr slawisch hartes Gesicht mit den hohen Backenknochen und dem vollen Mund stand in seltsamen Kontrast zu den hellblonden Haaren. Die Hatheyer war groß - viel größer als die meisten Schauspielerinnen - und eher derb.

Diesen Typ hat man auf der deutschen Bühne seit den großen Tagen des Neutralismus nicht mehr gesehen. Heidemarie Hatheyer war vielleicht am ehesten zu vergleichen mit Else Lehmann, der ersten „Rose Bernd" Gerhard Hauptmanns.

Sie war nicht interessant wie Sybille Schmitz oder Hilde Krahl; sie war nicht zart und lieblich wie Luise Ullrich.

Sie war ernsthaft, sie war eigentlich nie ein Mädchen - sie war eine junge Frau - die junge Frau. Ihr Erfolg an den Münchener Kammerspielen war sensationell.
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Die Luise in „Kabale und Liebe" - mit Horst Caspar

Nach dem „Giganten" spielt sie die Luise in „Kabale und Liebe" - diesmal war Horst Caspar ihr Partner. Schon wurde man in Filmkreisen auf sie aufmerksam.

Die ersten Probeaufnahmen mißlangen zwar - das scheint ja das ewige Schicksal der Probeaufnahmen zu sein - aber eines war von Anfang an klar: die Hatheyer würde in Zukunft auch auf der Leinwand zu sehen sein.

Luis Trenker gab ihr die erste Filmchance oder besser die erste Rolle. Denn eine Chance war es kaum, weil er, wie immer, die Hauptrolle spielte, respektive von seinen Doubles spielen ließ.

Und weil er keine Gelegenheit versäumte, die junge Schauspielerin zu entmutigen, ihre Fähigkeiten herabzusetzen und ihr insbesondere klar zu machen, wie ungewöhnlich unattraktiv sie sei. Sie hatte allerdings die Todsünde begangen, größer zu sein als er - was er gar nicht mochte.

Daran konnte er nichts ändern. Aber ihre Rolle konnte er beschneiden, bis sie kaum noch eine Rolle zu nennen war.
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Und dann kam der TOBIS-Vertrag ...

....... - und der soll nun mit diesem obskuren Film von der „Geierwally" angetreten werden. Aber von Herrn Seitz ist nicht mehr die Rede. Und eines Tages ruft die TOBIS an, Heidemarie Hatheyer muß nach Berlin und dort ein Lustspiel drehen „Ein ganzer Kerl" mit Albert Matterstock.

Und dann teilt man ihr mit, daß der Film „Geierwally" nun doch gedreht wird, nicht aber von Herrn Seitz, sondern von Hans Steinhoff. Steinhoff gehört damals immerhin zu den drei oder vier ersten Filmregisseuren Deutschlands. Sie weiß es indessen nicht.

Sie weiß so gut wie überhaupt nichts vom Filmbetrieb. Sie weiß nur, daß Steinhoff einige gute Filme mit Emil Jannings gemacht hat. Sie wundert sich insgeheim, daß überhaupt irgend jemand die „Geierwally" machen will, da ihrer Ansicht nach nur ein drittklassiger Film dabei herauskommen kann.

Das Buch ist zwar umgeschrieben worden, ist zwar nicht mehr ganz so entsetzlich wie das, was ihr Seitz erzählt hat, aber immer noch schlimm genug.

Bei der TOBIS redet (oder spuckt) man große Töne.

Die „Geierwally" wird als „monumentales Bergdrama" bezeichnet. Die Hatheyer zuckt die Achseln. Filmleute nehmen ja immer den Mund etwas voll. Dann stellt sich heraus, warum Steinhoff so interessiert daran ist, die „Geierwally" zu verfilmen.

„Wir werden überhaupt nicht im Atelier drehen!" erklärt er. „Wir werden nach Tirol fahren, weil wir auch die Innenszenen in Bauernhäusern oder Wirtschaften drehen!" Die Hatheyer ist erstaunt.

Wir schreiben September 1939 - Warum will denn Steinhoff alles in Tirol drehen?

Dann löst sich das Rätsel. Hans Steinhoff, wie wir wissen ein begeisterter Anhänger Hitlers, ist besorgt, Berlin könne bombardiert werden. Er will möglichst dorthin, wo (noch) keine Bomben fallen werden (Anmerkung : das ist historisch unlogisch, weil 1939 noch keine Bomben auf Deutschen Boden gefallen waren) - das wird er übrigens bis zum Kriegsende wollen. Er ist zwar dafür, daß die anderen sich allen möglichen Gefahren aussetzen, was aber sein eigenes kostbares Leben angeht ...
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Der Film wird mit großem Aufwand von Mühe und Kosten gestartet.

Die Handlung soll etwa um 1840 spielen. Für Kostüme, Schmuck, Möbel - das heißt, um ihre Echtheit zu garantieren - wird der Kustos des Innsbrucker Heimatmuseums engagiert.

Steinhoff diktiert: „In diesem Film darf kein unechtes Stück vorkommen!" Er läßt sich auch viel Zeit, um die malerischen Stellen im Oetztal zu finden, wo er die Außenaufnahmen drehen will. Er ist sehr konsequent und macht keine Kompromisse, er will wirklich ein „monumentales Bergdrama" drehen.

Die „malerische Stelle" im Oetztal, die Steinhoff schließlich zum Hauptquartier bestimmt, ist der winzige Ort Soelden, ziemlich abgeschnitten von dem Rest der Welt, ein Ort, der im Winter verlassen ist, der auch bei gutem Wetter nur zwei Stunden Sonnenschein pro Tag bekommt; ein Ort, in dem die Mitglieder der Expedition ständig aufeinander hocken, bis sie einander nicht mehr sehen können.

Die Dreharbeiten in dem kleinen Bauernhaus sind "schwierig"

Und die Folge ist eine ständige Gereiztheit, immer wieder ausbrechende Streitigkeiten, hysterische Szenen voller Bösartigkeit. Es stört Steinhoff durchaus nicht, daß die Schwierigkeiten sich täglich steigern. Es handelt sich ja um Schwierigkeiten für die anderen.

Die echten Bauernstuben, in denen gedreht wird, sind klein und niedrig - und die vierte Wand kann nicht herausgenommen werden wie im Filmatelier. Wo sollen die Kameraleute ihre Lampen aufstellen? Wo immer sie diese aufstellen, stehen sie zu nahe bei den Darstellern.

Die Folge davon: Jeder bekommt mindestens einmal eine fürchterliche Augenentzündung. Die Hatheyer muß fünf Tage im verdunkelten Zimmer liegen. Ein aus Innsbruck geholter Arzt weiß keinen Rat, meint, sie könne nicht weiterdrehen. Ein alter Bergführer rät, frische Kalbfleischschnitzel in Milch zu tauchen und sie auf die Augen zu legen.

Und dieses Mittel hilft in der Tat. Bei Außenaufnahmen benutzt der Kameramann Angst mit Vorliebe hochpolierte Blenden und Spiegel statt Lampen. Die Spiegel wirken bei der scharfen Sonne wie Brenngläser; sie verbrennen die Augen...

Die Folge: Immer wieder beginnt einer oder der andere der Schauspieler zu brennen. Jawohl, dieses Wort ist wörtlich gemeint. Die Schauspieler warten nicht gerade, bis sie in Flammen stehen, aber sie rauchen doch schon ganz bedenklich und riechen eindeutig nach Verbranntem.

Der Tonmeister ist dem Irrsinn nahe. Da alles mit Originalton gedreht wird - um diese Zeit synchronisiert man noch nicht - muß die Mannschaft ihre Kabel auf die unwegsamsten Berggipfel schleppen.

Im Ort Soelden wird ein besonderes Umspannwerk gebaut, um den Strom für Steinhoffs Film zu transformieren.
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Steinhoff will für diesen Film keine Filmschauspieler

......, mit Ausnahme der Hatheyer. Er glaubt, der Film werde dadurch echter. Die meisten Rollen werden also von Mitgliedern der Exlbühne und anderer Bauerntheater gespielt.

Nur die männliche Hauptrolle wird von Sepp Rist gemimt, der bereits in anderen Bergfilmen mitgewirkt hat, aber niemals auch nur in den Verdacht kam, ein Schauspieler zu sein.

In kleineren Rollen: der Münchener Schauspieler Gustav Waldau, Hans Adalbert von Schlettow, sowie eine blutjunge, blonde Tschechin namens Winnie Markus, die sehr schön ist und mindestens um zwanzig Pfund zu viel wiegt, weder raucht noch trinkt, aber ungeheuer gern Süßigkeiten ißt, wenn sie nicht eine Abmagerungskur macht, was sie durchschnittlich alle vierzehn Tage tut.

Sie ist in Prag zur Welt gekommen, wollte zum Ballett, ging aber dann, als die Familie nach Wien übersiedelte, auf das Max-Reinhardt-Seminar und wurde 1939 fertig. Gustav Ucicky wollte ihr eine kleine Rolle in seinem Film „Mutterliebe" geben, die Rolle eines Wiener Wäschermädels.

Sie sprach vor in dem klassischen Hochdeutsch, das sie im Seminar gelernt hatte. Ucicky bekam einen Lachkrampf, und es dauerte eine Weile, bis er wieder sprechen konnte: „Kommen Sie in vierzehn Tagen wieder, wenn Sie wienerisch gelernt haben!" Sie kam in vierzehn Tagen und spielte in
„Mutterliebe", und bald darauf kam die „Geierwally".
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Steinhoff hat Zeit. Es eilt ihm gar nicht, nach Berlin zurückzugehen

...., dort könnte es unter Umständen Bomben regnen. (Amerkung : Wie gesagt, chronologisch unlogisch, die Premiere war im AUg. 1940) Zudem hat er schon beschlossen, das Buch umzuschreiben.

Das tut er, während gedreht wird. Keiner der Mitwirkenden kennt also das neue Drehbuch, das sozusagen von Tag zu Tag entsteht - und übrigens - um der Wahrheit die Ehre zu geben - wesentlich besser wird, als die beiden bisherigen Drehbücher.

Die verlängerte Drehzeit bedeutet, daß die Jahreszeiten sich im Verlaufe des Films ändern. Das bedeutet die Notwendigkeit weiteren Umschreibens. Steinhoff baut Frühling, Herbst und Winter in die Handlung ein. Wenigstens klappt es damit dann auch ganz gut, da ziemlich chronologisch gedreht wird. Immer klappt es natürlich nicht.

Einmal, im Dezember, muß ein ganzer Hügel vom Schnee leer gefegt und einmal, im April, muß mit Lastautos Schnee von einem Gletscher herangebracht werden. Aber vielleicht wäre es besser zu sagen, wozu alle diese Umstände gemacht werden, worum es in diesem „monumentalen Bergdrama" von der Geierwally eigentlich geht.

Natürlich gibt es Fragen zum Drehort

Warum sitzt denn die TOBIS-Mannschaft, Schauspieler und Nichtschauspieler, monatelang in der unwirtlichen Gegend von Soelden, abgesehen natürlich von der Sanierung Soeldens?

Worum geht es? Worum handelt es sich denn nun eigentlich?
Es handelt sich um den Fenderbauer und seine Tochter Wally.

Der Fenderbauer will seiner Tochter einen gewissen Vincent zum Mann geben. Sie aber will nun gerade den Vincent nicht, denn sie liebt den Jäger Josef. Das weiß freilich niemand außer ihr selbst. Vor allem weiß es Josef nicht, der ebenso wie der Fenderbauer und seine Tochter etwas schwierig ist. Josef hat Wally gerettet, als diese hoch oben im Gebirge mit einem mächtigen Geier einen gefährlichen Kampf austrug.

Beinahe hätte der Geier gesiegt. Aber dann hat eben doch noch die Wally gesiegt. Und nun geht eine seltsame Veränderung mit dem Geier - oder eigentlich in ihm - vor sich, eine Veränderung, die ihn geradezu prädestiniert, sich in die Behandlung von Professor Freud zu begeben, wenn der noch am Leben wäre, oder wenn der Geier wüßte, daß er je am Leben gewesen ist.

Wie dem auch sei: der Geier, eben noch entschlossen, Wally um die Ecke zu bringen, d. h. in die Tiefe zu stürzen, ist jetzt zahm und gutmütig. Es gibt keinen Zweifel: er liebt Wally. Er wird der ständige Begleiter Wallys.

Dies wiederum ärgert Josef, der ja überhaupt leicht zu verärgern ist, und er gibt ihr den Spottnamen „Geierwally". Er tut noch einiges andere, was sich nicht gehört. So zum Beispiel verlangt er in aller Öffentlichkeit einen Kuß von ihr. Sie glaubt, weil er sie liebt - und gibt ihm den Kuß, obwohl ihr Stolz es eigentlich nicht zuläßt.

Er aber liebt sie gar nicht - oder jedenfalls glaubt er, daß er sie nicht liebt. Er will sie nur zum Gespött des Dorfes machen. Nun denkt Wally nur noch an Rache. Da kommt ihr gerade der verschmähte Vincent recht, der bereit ist, Josef umzubringen, weil er doch Josefs wegen verschmäht wurde.

Aber in letzter Minute wandeln sich alle. Josef bereut, Wally verhöhnt zu haben - denn er weiß jetzt, daß er sie liebt. Wally bereut, ihn umbringen lassen zu wollen - denn sie liebt ihn eben immer noch.

Vincent bereut zwar nicht, aber da die „Geierwally" den geliebten Josef noch warnen kann, geht alles gut aus. Sogar für den Geier, der, nachdem er Wally während des ganzen Filmes Gesellschaft geleistet hat, nun, da sie ihn nicht mehr braucht, davonfliegt. So sind die Geier eben ...

Soweit das „Monumentale Bergdrama".
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Die "Mitspieler" finden die ganze Geschichte ziemlich schrecklich

Diejenigen, die es spielen sollen, können nichts Monumentales an dem Stoff finden. Sie finden die ganze Geschichte ziemlich schrecklich. Sie langweilen sich. Sie sind überzeugt davon, daß der fertige Film das große Publikum nicht weniger langweilen wird.

  • Anmerkung aus 2017 und 2020: Da ich (gr) bei mehreren Filmdrehs dabei war, mußte auch ich feststellen, die Hauptbeschäftigung beim Film besteht zu 80% aus "Warten", für die Haupt- und Neben-Darseller wie auch für die Komparsen und den ganzen Tross.


Am schlimmsten ist die Geschichte für die junge Heidemarie Hatheyer. Sie muß täglich fast unterbrechungslos vor der Kamera stehen. Sie hat das Ganze reichlich satt - und das aus einem guten Grunde, von dem noch die Rede sein wird.

Das Schlimmste: Hans Steinhoff nimmt nicht die geringste Rücksicht auf seine Darsteller. Hans Steinhoff denkt gar nicht daran, sie wie Menschen zu behandeln. Er ist nur glücklich, wenn sie unglücklich sind. Daß die Schauspieler Feuer fangen, daß sie mit Augenentzündung in verdunkelten Kammern liegen, ist noch das Wenigste.

War Steinhoff im Innersten ein Sadist ?

Mit besonderer Vorliebe stellt er sie an äußerst gefährlichen Stellen auf - nur wenige Zentimeter von einem tiefen Abgrund. Die Hatheyer muß sich über einer fünfzehn Meter hohen Wand abseilen, muß drei Nächte lang - im Dezember auf zweitausend Meter Höhe - durch eisigen Regen laufen.

Muß bei zwanzig Grad unter Null eine Szene spielen, in der sie nur ein Leinenhemd und eine Lederhose tragen darf, bis zur Hälfte im Schnee zu einer Plattform laufen, die provisorisch aus ein paar Brettern über einen steilen, hundert Meter tiefen Abgrund gebaut worden ist.

Steinhoff selbst steht immer in respektvoller Entfernung und brüllt die anderen an. Oder da ist die Szene, in der die Geierwally dem Vincent eine Ohrfeige zu geben hat. Steinhoff erklärt sofort: „Auch bei den Proben darf nicht markiert werden!"

Er läßt die Szene dann sechsunddreißig Mal drehen. Am Ende ist der arme Vincent völlig groggy. Nach einer Woche kommt der Bescheid aus Berlin, die Szene könne nicht gebraucht werden, das Gesicht des Darstellers sei ja völlig verschwollen.

„Also werden wir die Szene weniger oft drehen", erklärt Steinhoff. Dieses Mal muß der Schauspieler nur achtzehn Ohrfeigen in Empfang nehmen.

Wieder eine Woche später eine neue Hiobsbotschaft. Das Auto, das die Muster zur Kopieranstalt fahren sollte, ist verunglückt. Der ganze Film ist verbrannt. „Also die Ohrfeigenszene noch einmal!" erklärt Steinhoff nicht ohne Befriedigung. Der unglückliche Schauspieler muß wieder herhalten. Wochenlang lebt er von Kopfwehtabletten. Und immer, wenn er die Hatheyer sieht, zuckt er zusammen. Zuckt noch nach sechzehn Jahren zusammen ...

Eine einzige Szene mit einem Double

Oder da ist die Szene, in der sich die Geierwally über eine siebzig Meter hohe Wand abseilen soll, die einzige Szene, für die Steinhoff ein Double gestattet.

Ein Bergführer „spielt" die Szene. Sie ist nicht nur gefährlich, sie ist auch schmerzlich. Das Seil schneidet dem jungen Mann durch die Lederhose hindurch tief ins Fleisch - und er kann wochenlang nicht sitzen - jedenfalls nicht so sitzen, wie man normalerweise zu sitzen pflegt.

Abends, wenn alle totmüde sind, müssen sich die Darsteller in der Wirtsstube versammeln und mit verteilten Rollen die Szenen des nächsten Tages durchgehen. Die Szenen, die Steinhoff gerade erst in der letzten Woche geschrieben hat.
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Zumindest ist Steinhoff eitel

Sagte ich „durchgehen"? Nein, das will Steinhoff keineswegs. Er wünscht, daß die Schauspieler und die Nichtschauspieler sich ins Zeug legen. Er will, daß sie ihr Letztes hergeben - bei einer Leseprobe! Eine etwas alberne Zumutung.

Aber man darf nicht vergessen, daß Steinhoff stolz ist auf das, was er geschrieben hat, und ein wenig übergeschnappt, weil so viele von denen, die von ihm abhängig sind, ihm dauernd sagen, wie großartig sein Werk ist.

Die Hatheyer, die noch die weitaus größte Rolle hat, müßte die weitaus größte Begeisterung zeigen - und zeigt überhaupt keine. Sie sitzt am Tisch und strickt. Sie hat die paar Seiten mit dem Text vor sich liegen, und wenn sie an die Reihe kommt, hört sie einen Augenblick mit dem Stricken auf und äußert mit unendlichem Gleichmut Sätze wie: „Ja, ich liebe ihn!" oder „Ich hasse ihn, ich bringe ihn um!", um sofort mit dem Stricken fortzufahren. Steinhoff starrt sie empört an.

Das ihm? Ihm das, und dazu noch von einer blutjungen Schauspielerin, die vor ihm in die Knie gehen sollte?
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Und dann kracht es

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem Krach zwischen der Geierwally und ihrem Regisseur kommt.

Dies geschieht eines Morgens um neun Uhr, als die Hatheyer sozusagen auf nüchternen Magen in einer Szene mit ihrem Vater in Tränen ausbrechen soll. Sie bittet um etwas Glyzerin, um die Tränen vorzutäuschen.

Steinhoff tobt: „Ich kann für eine solche Gage echte Gefühle verlangen!" Und dann sagt er ihr alles, was er gegen sie auf dem Herzen hat; daß sie seine Texte nicht hinreißend findet, daß sie von seiner Regiekunst nicht genügend beeindruckt ist, daß sie überhaupt nicht weiß, wer er ist.

Und dann sagt er ihr alles, was er von ihr hält: daß er nichts von ihr hält, daß sie eine Anfängerin ist, eine schlechte Schauspielerin, überhaupt keine Schauspielerin, es sei denn, er mache eine aus ihr.

Steinhoff, der leidenschaftlich gern seine eigene Stimme hört, tobt und schreit anderthalb Stunden herum. Eine Stunde lang hält Heidemarie Hatheyer wacker mit. Schließlich kann sie nicht mehr. Sie beginnt herzzerbrechend zu schluchzen. Sofort unterbricht Steinhoff seine Suada: „Alles fertig machen, wir drehen!" ruft er der Mannschaft zu „Achtung! Aufnahme!" Es wird gedreht.

Steinhoff ist begeistert. Er hat erreicht, was er erreichen wollte. Er hat die echten Tränen bekommen - wenn auch auf etwas umständliche Art. Sein Gesichtsausdruck spiegelt tiefe Befriedigung wider.
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Schlimmer hat es allerdings der Geier

Schlimmer allerdings als die Hauptdarstellerin, als alle anderen Darsteller, hat es der Geier, der ja eine Riesenrolle spielt. Der große Kampf Wallys mit dem Geier besteht aus mehr als zweihundert Schnitten. Was auf der Leinwand knapp zwei Minuten dauert, bedeutet Aufnahmen, die viele Wochen kosten.

Das wird dem Geier bald zu viel. Geier lassen sich zähmen, und der Geier, den man engagiert hat, ist ein besonders bösartiges und nervöses Vieh. Wann immer er vor die Kamera kommt, beginnt er vor Aufregung zu kotzen. Da Geier Aasfresser sind, stinkt es entsprechend.

Die Szenen, in denen der Geier dies oder jenes zu tun hat, müssen „auf Verdacht" gedreht werden, so oft, bis der Geier dies oder jenes tut. Schon nach wenigen Tagen ist es klar, daß der Geier am liebsten sämtliche Mitspielenden umbringen würde.

Man kann es ihm nicht verdenken. Wenn er fliegen soll, wird er mit einem Bein an einen Klavierdraht gehängt, der auf einer Rolle läuft. Wenn der Draht zu Ende ist, klatscht das arme Tier zu Boden. Es ist ein Jammer! Wenigstens einmal kann sich der Geier rächen, als er Sepp Rist schwer an der Hand verletzt.

Die Mannschaft bedauert, daß sich der Geier nicht auf Steinhoff gestürzt hat, aber der steht, wie immer in solchen Momenten, in durchaus sicherer Entfernung, guter Ratschläge voll.
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Mehr als acht Monate verfließen, bis der Film zu Ende geht.

Acht Monate in einem winzigen Bergnest, in dem man sich ununterbrochen sieht, in dem man einander nicht aus dem Wege gehen kann. Acht Monate in einer Gegend, in der im Winter allenfalls zwei Stunden die Sonne scheint.

Schon nach drei Monaten war die Atmosphäre so, daß die TOBIS beschloß, die Angehörigen der Belegschaft ins Oetztal zu schicken - auf Kosten der Firma. Sonst wäre der Film wohl nie zu Ende gedreht worden.
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Premiere am 13. Aug. 1940 in den Rathaus-Lichtspielen in München

Und dann kommt, im August 1940, die Uraufführung in München. Die Hatheyer ist zusammengebrochen, sie liegt seit Wochen im Krankenhaus. Die Ärzte lehnen es ab, sie aufstehen zu lassen. Die TOBIS besteht darauf. Man steckt sie in die Tracht, die sie als Geierwally trug, schminkt sie, trägt sie ins Kino. Sie sitzt in der Direktionsloge und sieht sich den Film an, von dem sie noch immer nichts hält.

Sie ist erstaunt, daß man die Premiere überhaupt so groß aufgezogen hat. Sicher wird die Sache ein Durchfall werden . ..

Die Besucher heulen Rotz und Wasser

Aber zu ihrer Verwunderung muß sie feststellen, daß das Publikum mitgeht, daß die Leute Rotz und Wasser heulen. Gegen Ende der Vorführung wird sie auf die Bühne getragen.

Zwei Männer stellen sie hinter den Vorhang, halten sie. Während der Vorhang sich über der letzten Szene schließt, verschwinden die beiden.

Die weiße Leinwand schnellt nach oben. Der Vorhang wird schnell gezogen. Sie steht allein auf der Riesenbühne. Donnernder Applaus. Der Vorhang fällt.
Jemand ruft aus der Kulisse: „Können Sie noch einmal?" Die Hatheyer nickt.

Der Vorhang geht noch einmal hoch, fällt, öffnet sich nicht wieder, obwohl die Leute eine Viertelstunde und länger klatschen. Als sie endlich das Theater verlassen, liegt die Hatheyer schon längst wieder im Krankenhaus. Am nächsten Tag ist sie ein großer Filmstar.

Wie ist das möglich mit dieser höchst albernen Geschichte

Wie geht das zu? Wie ist es möglich, daß die höchst alberne Geschichte der Geierwally beim Großstadtpublikum so ankommt? Und überall so ankommt: in Berlin, in Zürich, in Hamburg, sogar in Amerika?

Das ist ohne Zweifel das Verdienst Hans Steinhoffs, der dieses Nichts an Fabel mit ungeheurer Leidenschaft inszeniert hat, in einem kompromißlosen, harten Stil, der etwas Holzschnitthaftes und Balladeskes hat.

Es ist ein Film, der nicht wirkt, sondern umwirft, der einen nicht mehr losläßt, der in seiner Art genau so düster, so hart, so böse ist wie die Landschaft, in der er spielt, wie der Regisseur, der seine Darsteller so unendlich drangsalierte - und wie der arme Geier, der noch Jahre nach dem Krieg von seinem Besitzer auf Jahrmärkten als „der Geier aus der Geierwally" gezeigt werden wird, obwohl er dem Vernehmen nach vom Film nie mehr etwas wissen wollte.

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