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"Das gibt's nur einmal" - die Film-Fortsetzung 1945 bis 1958

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite dieses 2. Buches finden Sie hier.

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TRAGÖDIE EINES SCHAUSPIELERS

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Die 'Hollywood-Diät'

Es gibt verschiedene Tragödien für Filmschauspieler und Filmschauspieierinnen: die häufigste ist die Tragödie der Gewichtszunahme.

Seitdem es den Film gibt, versuchen die jugendlichen Liebhaber oder diejenigen, die es noch sein wollen, abzunehmen. Nicht umsonst heißt eine der berühmtesten Diäten, die eine gewaltige Gewichtsabnahme verspricht, die 'Hollywood-Diät'.

Im Deutschland von 1946, besonders in Berlin, liegt es einmal umgekehrt. Die Menschen sind zu Skeletten abgemagert. Sie sehen aus, als hätten sie seit Monaten nicht mehr richtig gegessen - und sie haben ja auch seit Monaten nicht mehr richtig gegessen.

Und das bedeutet für den Film „Die Mörder sind unter uns" ein Besetzungsproblem. Wer soll den ehemaligen Hauptmann, den jetzigen Kochtopffabrikanten Ferdinand Brückner spielen?

Staudte hat eine ganz bestimmte Vorstellung, wie Brückner aussehen müßte. Der Spießer, der, ohne daß er es sich selbst je zugeben würde, auch ein Mörder ist, der Mann, der immer oben schwimmt, muß fett sein.
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Einen dicken Schauspieler Anfang 1946 finden ....

Wo aber findet man einen dicken Schauspieler Anfang 1946 in Deutschland? Ein fast unlösbares Problem stellt sich. Schließlich fällt die Wahl auf Arno Paulsen. Dieser Schauspieler ist eigentlich ein Operettenbuffo.

Er spielt ja Operette nicht in Berlin oder München, sondern in Bad Hohenahr. Aber Operette in Bad Hohenahr ist sicher, und Film ist 1946 ein höchst unsicheres Unternehmen. Und warum ist Arno Paulsen so wohlbeleibt, während alle anderen deutschen Schauspieler so unterernährt sind, daß sie sich kaum auf den Beinen halten können?

Die Antwort ist verblüffend einfach: Arno Paulsen ist im Kriege - Regimentskoch gewesen. Also handelt es sich bei ihm immerhin um fast legales Fett ...
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Arno Paulsen - Tragikomödie des Lebens:

Ein paar Jahre später, als die Währungsreform das deutsche Wirtschaftswunder ermöglicht hat, als plötzlich wieder genug Lebensmittel auf dem Markt sind, als die Schauspieler, wie auch gewöhnliche Sterbliche, sich wieder sattessen können, werden sie auch wieder dick.

Die Folge: jede Rolle, die Arno Paulsen spielen könnte, kann von hundert anderen Schauspielern auch gespielt werden. Und die Folge davon: Arno Paulsen, der in „Die Mörder sind unter uns" und in vielen anderen Filmen, die in den ersten Jahren nach dem Krieg entstehen, die Rolle von dicken Männern spielte, ja, spielen mußte, weil er als einziger auf weiter Flur schwer genug dazu war, verschwindet im Hintergrund.

Ein guter Schauspieler, gewiß. Aber gute Schauspieler gibt es ja so viele in Deutschland. Und dicke Schauspieler sogar noch mehr, wird man dann sagen. Viel zu viele.
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Carl Raddatz soll die männliche Hauptrolle spielen

Carl Raddatz, der den Winter 1945/1946 damit verbracht hat, Stalin zu synchronisieren, erhält eines Tages den Besuch eines Abgesandten der DEFA. Es wird ihm vorgeschlagen, die männliche Hauptrolle in „Die Mörder sind unter uns" zu spielen.

„Ich müßte zuerst einmal das Drehbuch lesen!" erklärt Raddatz. Einer, der in den letzten Monaten so viele sowjetische Filme synchronisierte, hat allen Grund, vorsichtig zu sein.

Man bringt ihm das Drehbuch. Er liest es und lehnt ab. Bei der DEFA ist man erstaunt. Dann mißtrauisch. Beabsichtigt Raddatz etwa einen anderen Film zu drehen? „Haben die Amerikaner . . . ?" „Nein!"

„Werden Sie bei den Engländern drehen?" „Nein!"
Um diese Zeit werden ja keine anderen Filme gedreht. „Die Mörder sind unter uns!" ist das erste Filmprojekt. Und mit dem Synchronisieren verdient man nicht so viel Geld, selbst wenn man Stalin synchronisiert.
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Carl Raddatz sagt "Nein"

Bei der DEFA steht man vor einem Rätsel. „Werden Sie Theater spielen?" „Ja. Ich probe mit Winnie Markus ein Stück von Georg Kaiser. Es soll in der Komödie am Kurfürstendamm herauskommen." „Aber damit werden Sie doch nicht so viel Geld verdienen wie mit dem Filmen?" „Nein!"

„Warum wollen Sie also nicht mitmachen?" Raddatz sagt: „Ich möchte nicht an einem Film mitwirken, bei dem die Deutschen so schlecht wegkommen!" Die Deutschen? Die DEFA-Männer erklären: „Es handelt sich ja schließlich nicht um alle Deutschen, die in diesem Film schlecht wegkommen. Es handelt sich vor allen Dingen um einen, den ehemaligen Hauptmann Ferdinand Brückner, den Mann, der ein ganzes Dorf in Polen auslöschte - Männer, Frauen und Kinder. Wollen Sie bestreiten, Herr Raddatz, daß es solche Männer gab und gibt?"
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Raddatz muß lächeln. „Natürlich bestreite ich das nicht!" Er hat ja immerhin bewiesen, daß er Leute wie Brückner nicht schätzte. Er war gegen das Dritte Reich. Er hat daraus nie ein Geheimnis gemacht.

Er hat - im Gegenteil - seinen Kopf riskiert. „Sind Sie also Militarist, Herr Raddatz?" „Dann hätte ich wohl nicht alles getan, um mich zu drücken."
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Über Raddatz wird noch lange diskutiert

Raddatz sagt also nein. Dies muß festgehalten werden. Denn dieses Nein wird später von vielen Deutschen nachgesprochen werden, nicht so sehr von Schauspielern wie vom Publikum, das Filme nicht zu sehen wünscht, in denen 'Deutsche' schlecht wegkommen.

Zwei Meinungen, die einander gegenüberstehen. Staudte glaubt, es sei die Pflicht der Deutschen, zu zeigen, daß nicht alle Deutschen hinter Hitler standen. Raddatz glaubt, es müsse nicht gerade ein Deutscher sein, der dartut, daß es Deutsche gab, die die verbrecherischsten Befehle der Führung ausführten.

Zwei Meinungen? Handelt es sich im Grunde nicht um ein und dieselbe Meinung?
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Wilhelm Bordiert bekommt die Hauptrolle

Die Wahl Staudtes fällt: schließlich auf Wilhelm Bordiert. Das ist ein Schauspieler, der fast vierzig Jahre zählt und der mindestens so alt aussieht, wie er ist - und überhaupt nicht wie ein Schauspieler. Er ist groß, hat ein hartes, ernstes Gesicht. Man sieht ihm an, daß er einiges hinter sich hat.

Ursprünglich wollte er „ein Leben mit Büchern" führen - seine eigenen Worte - volontierte, noch während der Schulzeit, an der Berliner Stadt-Bibliothek. Das Theater? Es interessierte ihn nicht besonders. Immerhin wehrte er sich nicht, als man ihn aufforderte, an einer Schüleraufführung teilzunehmen.

Damals war er sechzehn Jahre. Aber es dauerte noch neun weitere Jahre, bis er sich entschloß, Schauspielstunden zu nehmen. Dann die Hochschule für Dramatische Kunst; schließlich Engagement an einer Wanderbühne in Ostpreußen.

Es dauerte wieder ein paar Jahre, bis er aus den schlimmsten Provinznestern schließlich über Erfurt nach Köln gelangte und mit dreißig Jahren nach Berlin an die Volksbühne, die schon unter Leitung Eugen Klopfers stand.

Damals war Bordiert noch jugendlicher Liebhaber, spielte Klassiker, aber er spielte sie auf eine besondere Art. Nichts von Pathos, nichts von Elan. Seine Helden waren eigentlich keine „Helden", sie waren viel zu ernst dazu, zu besinnlich, oft fast zerquält.
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Wilhelm Bordiert hat viel mitgemacht

Krieg. Ein paar Mal wurde Borchert noch reklamiert für Hörspiele, auch für Filme, dann mußte er an die Front. Am Ende des Krieges Gefangenschaft bei den Franzosen. Um diese Zeit hatte er bereits seine Eltern verloren; sie wurden Opfer einer Luftmine in Berlin.

Aber es kommt noch schlimmer. Als Borchert ein paar Monate nach Kriegsende in die Heimat zurückkehrte, in das Haus, in dem er und die Seinen wohnten, findet er niemanden mehr, nicht seine Frau, nicht seinen Sohn, nicht seine siebzehnjährige Pflegetochter und nicht den Onkel und dessen Frau, die er bei sich zu Hause aufgenommen hatte.

Nachbarn müssen ihm die entsetzliche Wahrheit sagen: Der Onkel hat kurz vor dem Einmarsch der Russen, offenbar in einem Augenblick geistiger Verwirrung, die ganze Familie und sich selbst getötet.

Borchert ist also allein. Nein, schlimmer als das. Er ist umgeben von Leichen. Wohin er blickt: Leichen. Die Bilder der Eltern, der Frau, des Sohnes, der Pflegetochter verlassen ihn nicht mehr. Und das in dem Augenblick, den er immer herbeigesehnt hat!

Allein, jetzt, da dieser furchtbare Krieg zu Ende ist, da das Hitlerregime, das er verabscheute, nicht mehr existiert ...
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Borchert hat - zum Glück - keine Zeit verrückt zu werden

Das sind Augenblicke, in denen sehr normale, vernünftige Menschen - und ein solcher ist Bordiert wohl - verrückt werden. Borchert würde verrückt werden, wenn er Zeit dazu hätte. Aber er hat keine Zeit. Er muß spielen.

Karl Heinz Martin, der Leiter des Hebbel-Theaters, das im amerikanischen Sektor von Berlin liegt und von den amerikanischen Kulturoffizieren überwacht wird, holt ihn.
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Karl Heinz Martin ist inzwischen sehr wählerisch

Martin engagiert um diese Zeit nicht nur nach künstlerischen, sondern auch nach politischen Richtlinien.

Er stand zu sehr im Gegensatz zum Regime der Tausend Jahre, um Schauspieler zu verpflichten, die damals wacker mitmachten. Überdies könnte Karl Heinz Martin gar nicht anders handeln, selbst wenn er wollte, denn die Amerikaner sind in diesem Punkt ein bißchen genau oder vielleicht sogar ein bißchen eigenartig.

Jeder Schauspieler, der in einem Theater, das auf amerikanisch besetztem Gebiet liegt, spielt, muß den berüchtigten Fragebogen mit den berühmten 131 Fragen ausfüllen.

Auch Wilhelm Borchert muß es. Er liest sich die Fragen wohl kaum durch. Was geht ihn das Ganze an? Jeder, der ihn kennt, weiß, daß er kein Nazi war. Und selbst wenn er, etwa unter Druck, in die Partei oder eine ihrer Formationen eingetreten wäre ... ?

Wenn er es jetzt hinschriebe: Was geschähe dann? Die automatische Folge wäre Arbeits verbot. Für wie lange? Vier Wochen? Vier Monate? Vier Jahre?

Borchert weiß: Nicht eine Woche hielte er es jetzt ohne Arbeit aus. Nicht eine Woche hielte er es aus, wenn er Zeit hätte nachzudenken. Also schreibt er hinter jede Frage des Fragebogens ein Nein - er hatte mit der ganzen Hitlerei nichts zu schaffen - und unterzeichnet.

Dann spielt er am Hebbel-Theater. Er spielt jeden Abend. Er spielt klassische und moderne Stücke. Er spielt unter anderem ein Drama von Günther Weisenborn: „Die Illegalen", das den Kampf einiger weniger gegen das Dritte Reich zum Inhalt hat, ein Stück also, das dem geplanten DEFA-Film thematisch recht verwandt ist.

In diesem Stück sieht ihn Wolfgang Staudte und ist sehr beeindruckt. Er macht Probeaufnahmen und engagiert ihn für die Rolle des Dr. Hans Mertens in seinem Film.
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„DIE MÖRDER SIND UNTER UNS!"
Im März 1946 wird also mit dem Film begonnen.

Im März 1946 wird also mit dem Film begonnen. Wo kann man drehen? Die UFA-Ateliers in Babelsberg sind restlos ausgeräumt - von den Russen, die ihre Beute längst nach Moskau verfrachtet haben.

Die Ateliers in Tempelhof unterstehen amerikanischer Kontrolle. Es bleibt nur das alte Althoff-Atelier in Babelsberg, das allerdings ist technisch längst nicht mehr auf der Höhe.

Das Entscheidende freilich sind die Außenaufnahmen. Denn dieser erste deutsche Nachkriegsfilm kann etwas zeigen, was noch in keinem Film gezeigt wurde: eine zertrümmerte Stadt, eine tote Stadt, ganze Straßenzüge, in denen nichts mehr lebt, eine Steinwüste, unter der Tausende, wer weiß, Zehntausende für immer begraben liegen.

Das Berlin von 1945 oder, wie der italienische Filmregisseur Roberto Rossellini es später nennen wird:
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Deutschland im Jahre Null.

Trümmer, die einen Kilometer weit sichtbar sind ... Noch liegen die zerschossenen Maschinengewehre herum, die Stahlhelme, die zerbombten Panzer. Man braucht keine Requisiten, alles ist ja so echt - zum Schaudern echt. Eine zertrümmerte Welt, ausgeleuchtet nach allen Regeln der Filmtechnik.

Hunderte von Zuschauern haben sich eingefunden. Die Kulturoffiziere der Alliierten, die Vertreter der amerikanischen, britischen und französischen Presse. Man raucht Zigaretten, man trinkt Gin und Whisky, die Nächte sind eiskalt ...
Auch ein paar deutsche Pressevertreter sind angelangt, auf armseligen Fahrrädern oder zu Fuß. Denn so etwas sieht man nicht alle Tage: eine Wüste aus Trümmern, die mehr als einen Kilometer lang ist, verfilmte Wirklichkeit, wie man sie noch vor ein paar Jahren niemals für möglich gehalten, die man, wäre sie in Hollywood aufgebaut worden, als typische amerikanische Übertreibung abgetan hätte.
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Eine einzigartige Premiere. Eine Premiere des Grauens. Achtung! Aufnahme!

Die Scheinwerfer leuchten auf. Die erste Klappe fällt, und nun geschieht das Allerschrecklichste, plötzlich wird die tote Steinwüste lebendig.

Plötzlich kommen aus den Trümmern Menschen, die seit Kriegsende hier gehaust haben - hier, in halb zerfallenen Kellern, in Hütten, die sie sich zwischen den Steinmeeren irgendwie bauten.

Ausgemergelte Gestalten, erschreckte Frauen und Märner, die wissen wollen, warum man sie nicht in Ruhe läßt, warum hier plötzlich alles beleuchtet wird, was besser ewig dem Auge verborgen bliebe, Menschen, die stören und aus dem Bild fortgescheucht werden müssen, denn sie passen nicht hierher.
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Menschen, die es eigentlich gar nicht mehr gibt ....

Gewiß, es soll eine menschenleere Straße sein, aber eine menschenleere Straße ist noch immer nicht so entsetzlich wie eine, in der Menschen auftauchen, die es eigentlich gar nicht mehr gibt, die gar nicht mehr leben, die schon lange tot sind, wenn sie es auch nicht wissen.
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Schwierigkeiten stellen sich vom ersten Drehtag an ein.

Die Menschen halten nicht durch. Beleuchter und Bühnenarbeiter brechen während der Arbeit zusammen. Sie haben seit Tagen keine warme Mahlzeit mehr gehabt.

Sie wissen seit einem Jahr nicht mehr, was es heißt, satt zu sein. Auch den Schauspielern geht es nicht gut. Sie haben oft nicht einmal mehr trockenes Brot in der Tasche. Und sie frieren erbärmlich.

Niemals zuvor ist ein Film unter ähnlichen Bedingungen hergestellt worden. Keiner von allen, die mitwirken, hätte es für möglich gehalten, daß er unter solchen Umständen spielen, drehen, schminken, bauen, beleuchten könnte.

Aber das Erstaunliche: die Schwierigkeiten machen die Leute nicht mürbe. Im Gegenteil: sie muntern sie auf, lassen sie trotzig und halsstarrig werden. Sie geraten in eine Art Feuer, in eine Art Rausch.

Es wird mit einer Intensität gearbeitet, die alles, was bisher in Filmateliers geleistet wurde, übertrifft.
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Wolfgang Staudte spürt doppelte, dreifache, zehnfache Verantwortung.

Er zeigt sich allen Schwierigkeiten gewachsen. Er, der doch fast ein Neuling ist, arbeitet wie ein alter Routinier.

Nein, er ist ein Routinier. Er sprüht von Einfällen. Manche der besten Momente des Films finden sich gar nicht im Drehbuch aufgezeichnet. Aber Staudtes Einfälle sind keine Gags, sind nicht aufgesetzt, sie fließen aus der Situation, sind ganz selbstverständlich, so daß man sich fragen könnte: warum ist ihm das nicht damals schon eingefallen, als er das Buch schrieb?
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Hildegard Knef: ganz, ganz anders

Hildegard Knef: ganz, ganz anders als man sie im Schloßpark-Theater gesehen hat. Jung, aber viel zu herb, um schön zu sein, leidgezeichnet und doch voll Lebensmut.

Und vor allem: keine Schauspielerin. Sie spielt nicht. Sie ist einfach da. Sie drückt nicht aus, und doch weiß man um jeden Gedanken, der in ihren Kopf entsteht, um jedes Gefühl, das ihr das Herz zerreißt. Hunderttausende erkennen sich in ihr wieder.
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Borchert: zwielichtig bis ganz zuletzt ...

..... - die Story ist so geführt, daß erst ganz spät, erst wenige Minuten vor dem Ende herauskommt, was er damals erlebte, als sein Hauptmann ein ganzes polnisches Dorf liquidierte, so daß der Zuschauer über den Charakter des Dr. Mertens im Zweifel bleibt.

Borchert ist finster und hart, böse und zur Selbstvernichtung bereit. Aber dann beginnt er das Mädchen Susanna zu lieben und wird plötzlich ein anderer. Er, der seit dem Kriege nicht mehr operieren konnte, weil ihm schon beim Anblick von Blut schlecht wurde, reißt sich zusammen, kann einem Kind helfen, das im Begriff ist zu ersticken: es scheint, als werde dieser Mensch jetzt von innen erleuchtet. Dieser unangenehme Bursche kann ganz zart sein ...

Brückner, der Biedermann, ........

Brückner, der Biedermann, der Hunderte von Menschen hat umlegen lassen und wenige Minuten später unter dem Weihnachtsbaum feierlich werden kann: Arno Paulsen. Ganz Gutmütigkeit, ganz Familienvater. Niemand würde ihm den Mörder glauben. Und das ist vielleicht das Beste an diesem Film. Das wollte ja Staudte zeigen.

Alfred Lindemann plant bereits eine festliche Premiere, als etwas geschieht, womit niemand rechnete, was niemand für möglich hielt.

Zufall oder Schicksal - Borcherts Akten werden gefunden

Im Keller des Hebbel-Theaters steht ein geschlossener Panzerschrank. Die Amerikaner lassen ihn aufbrechen. Es finden sich darin die Papiere aller Schauspieler, die während des Dritten Reichs an der Volksbühne spielten - das Hebbel-Theater war das zweite, das sogenannte kleine Haus der Volksbühne.

Diese Papiere beweisen, daß der Schauspieler Wilhelm Borchert am 1. Mai 1933 Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei wurde und später Mitglied der SA.

Es folgt natürlich sofort Auftrittsverbot für Wilhelm Borchert im amerikanisch lizenzierten Hebbel-Theater. Der Schuldige wird vor die amerikanischen Kulturoffiziere geladen. „Sie haben Fragebogenfälschung begangen, Herr Borchert!" Borchert schweigt.

„Warum haben Sie nicht niedergeschrieben, daß Sie Mitglied der Partei waren?" „Ich wollte arbeiten."
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Borchert ist weg .....

Am gleichen Abend erscheint der Produktionsleiter des Films, Flerbert Uhlig, in Lindemanns Wohnung: „Sie müssen sofort etwas unternehmen!" „Was ist passiert?"

„Borchert ist aus seinem Haus in Frohnau verschwunden."

Lindemann treibt einen Wagen auf - was um diese Zeit immer noch mit Schwierigkeiten verbunden ist. Die Wälder um Frohnau werden systematisch abgesucht. Nach mehreren Stunden findet man den völlig verstörten Borchert.

Er wird zu Lindemann gebracht. Der redet ihm gut zu: „Diese Dinge werden alle nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht wurden. Bei der DEFA können Sie arbeiten!"

Im Prinzip haben wohl die Amerikaner recht. Verordnungen sind nicht dazu da, umgangen zu werden, wenngleich viele Berliner gerade das wieder behaupten.

Aber Kulturoffiziere sollten eigentlich zu mehr fähig sein als dazu, Bestimmungen zu lesen. Sollten sie nicht etwas von Menschen verstehen? Sollten sie nicht etwas hinter die Kulissen der menschlichen Seele blicken können?

Ist es so schwer, diesen Wilhelm Borchert zu durchschauen? Es ist nicht schwer. Keiner, der ihn auch nur flüchtig kennt, kam auf den Gedanken, daß er irgend etwas zu tun hat mit dem Entsetzlichen, was unter Hitler geschah.

Borchert wird verhaftet, von den Amerikanern ....

Trotzdem wird Borchert Ende August von der amerikanischen Miiitärpolizei verhaftet. Die DEFA stellt sofort Kaution, und Borchert wird auf freien Fuß gesetzt. Aber nun ist der ganze Film in Gefahr.

Wie? Die DEFA bringt einen Film heraus, dessen Held ein Gegner der Nazis war und drauf und dran ist, einen Nationalsozialisten umzubringen - und nun stellt sich heraus, daß dieser Schauspieler, der diesen Mann spielt, in Wirklichkeit selbst ein Nazi war?!

Kann das nicht einen Skandal geben? Muß das nicht einen Skandal geben? Lindemann wird von allen Seiten bestürmt.

Er soll die Premiere des Films verschieben!

Man muß Gras über die Sache wachsen lassen! Vielleicht wäre es das Beste, den Film überhaupt nicht herauszubringen ...
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Lindemann hat einen Plan .....

Lindemann weiß: Das wäre das Ende der DEFA. Lindemann sagt: „Nun gerade!" Er wird eine Premiere veranstalten, von der man noch lange sprechen soll. Wo kann die Premiere stattfinden? Lindemann entscheidet sich für die Staatsoper.

Die damalige Staatsoper ist gar nicht die richtige Staatsoper, die liegt noch in Trümmern, sondern der Admiralspalast, ein ehemaliges Revuetheater. Abends um sieben Uhr soll die Premiere beginnen.

Große Auffahrt - hohe und höchste Offiziere aller Alliierten sind anwesend, natürlich auch alle Kulturoffiziere, die deutsche Film- und Theaterprominenz, soweit sie in Berlin lebt, alle Mitglieder des Berliner Magistrats - es gibt damals einen einzigen, den Ost-Magistrat - und die Presse.
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Der Film wird ein Riesenerfolg.

Das Publikum klatscht noch lange nach Beendigung der Vorstellung. Auch die amerikanischen Kulturoffiziere klatschen, obwohl der böse Bordiert es ist, der vor dem Vorhang erscheint.

Dann große Premierenfeier. Die Russen haben Kaviar und Wodka in rauhen Mengen gestiftet. Die Berliner Film- und Theaterprominenz langt zu. Kaviar ist besser als Hunger. Die kommunistischen Kritiker überschlagen sich natürlich.

So schreibt zum Beispiel die „Berliner Zeitung" einen Bericht, der weniger kommunistisch als deutsch-national anmutet. Die westliche Presse ist etwas weniger ekstatisch, aber alles in allem recht positiv.

Erstaunlich die ausländischen Zeitungen. Die „Daily Mail" schreibt - allerdings erst Monate später: „Deutschland macht wieder Filme. Der Vergleich mit 'Im Westen nichts Neues' liegt nahe."

In Hollywood zeigt Billy Wilder den Film vor geladenen Gästen. Die sind gebannt und erschüttert. Später Riesenerfolg des Films in Moskau, Wien, in Venedig und in Paris ...
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Doch das Geld verdient Sowexport .... nicht die DEFA

Wird die DEFA durch die ausländischen Erfolge ihres ersten Films reich? Keineswegs; das Geld verdient Sowexport, der amtliche sowjetische Verleih, mit dem Lindemann einen Vertrag schließen mußte.

Dafür wurden der DEFA die Herstellungskosten ersetzt - plus zwanzig Prozent. Das ist nicht viel, denn der Film hat nur 726.000 Reichsmark gekostet. Und wenn man bedenkt, daß in dieser Zeit das Pfund Butter mit zweihundert Reichsmark gehandelt wird, ist es sogar sehr wenig.

Allein in Ost-Deutschland spielt der Film in einem Jahr über sieben Millionen Reichsmark ein. Weil er doch der erste Trümmerfilm ist. Er wird freilich auch der letzte sein, der ein wirklich großes Geschäft wird.
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Die Deutschen Zuschauer wollen andere Filme sehen ....

Denn wie bald werden die Menschen sagen: wir wollen keine Trümmer im Film mehr sehen! Wir sehen ja genug, Tag für Tag, wenn wir aus dem Fenster blicken. In Deutschland! In Amerika, in England, in Frankreich sind Trümmer dagegen noch lange interessant. Und Borchert?
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Borchert kommt vor Gericht - Fragebogenfälschung

Drei Monate nach der Premiere des Films steht er vor dem amerikanischen Militärgericht - wegen Fragebogenfälschung.

Und nun entrollt sich vor dem Gericht eine tolle, höchst komplizierte Geschichte, atemraubend und beklemmend. Sie beginnt im Jahre 1933, als Hitler Reichskanzler wurde.

Damals war Borchert am Stadttheater in Erfurt engagiert. Er war politisch nicht interessiert. Die Nationalsozialisten allerdings, die er in Erfurt zu sehen bekam, gingen ihm auf die Nerven. Er mochte sie einfach nicht. Dieses ewige Marschieren! Ausschlaggebend für ihn war, daß es unter seinen Freunden Sozialdemokraten und Juden gab. Seine Freunde kamen zu ihm. Sie fragten ihn: „Bist du in der Partei?"

Borchert schüttelte den Kopf. „Seid ihr ganz verrückt geworden?" „Du solltest in die Partei eintreten." Die Freunde waren - wie übrigens manche im damaligen Deutschland - der "Überzeugung, daß möglichst viele saubere Menschen in Hitlers Partei eintreten sollten; auf diese Weise könne vielleicht Schlimmes vermieden werden.
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Die Freunde hatten es ihm geraten .....

Also trat Borchert in die Partei, er trat sogar in die SA ein. Aber was entscheidender war: er half. Er sorgte dafür, daß gewisse Schauspieler, die abgebaut werden sollten, weiterarbeiten durften.

In einzelnen Fällen verbarg er Gefährdete in seiner Wohnung. Das war auch für ihn gefährlich. Aber darüber will er nichts aussagen.

Andere tun es an seiner Statt. Vor dem Saal, in dem das amerikanische Militärgericht tagt, drängen sich die Kollegen, die für Borchert aussagen wollen. Jeder einzelne will gehört werden. Viele erklären sich bereit, jede Strafe auf sich zu nehmen, die man Borchert zudiktiert.

Der amerikanische Richter wird stutzig. Es ist ganz klar: dieser Borchert bekämpfte Hitler ebensosehr, wie die amerikanische Armee das tat, nur eben auf seine Weise. Trotz allem muß er Borchert verurteilen. Gesetz bleibt Gesetz.

Ein Jahr Gefängnis wegen Fragebogenfälschung. Nach drei Monaten wird er begnadigt. Als er das Gefängnis verläßt, ist er einer der populärsten Schauspieler Berlins.
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