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"Das gibt's nur einmal" - die Film-Fortsetzung 1945 bis 1958

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite dieses 2. Buches finden Sie hier.

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FILM AUS BLUT UND TRÄNEN

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Die Story mit dem OPEL geht weiter .....

Das Auto, das Sibylle Wulff alias Winnie Markus im Hamburger Hafen stehenließ, wird von Wolfgang Grunelius gekauft. Das ist ein berühmter Klavierspieler und Komponist. Er hat eine Liebesaffäre mit einer verheirateten Frau, mit Elisabeth Buschenhagen, deren fünfzehnjährige Tochter ihn heimlich liebt, und da Liebende viel erraten, bald über die Beziehung ihrer Mutter zu dem angebeteten Grunelius Klarheit gewinnt.

Der eilt von Erfolg zu Erfolg. Und dann plötzlich ist alles aus. „Mein Konzert wird nicht stattfinden!" Darf er nicht mehr spielen? „Spielen vielleicht, aber nicht mehr komponieren. Meine Noten werden verbrannt. Entartet nennt man meine Musik." Grunelius wird Deutschland verlassen ...
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Die Frau von Wilhelm Bienert ist Jüdin .....

Das Auto kommt in die Hände von Wilhelm Bienert, einem biederen Kaufmann von fünfzig Jahren, Inhaber eines Rahmengeschäfts. Seine Frau schlägt ihm eines Tages vor, aus der Stadt hinauszuziehen, aufs Land, wo beide eine Wohnlaube besitzen.

Er hält das für eine Laune, die er ihr schnell ausreden wird. Jetzt schon auf der Fahrt macht ihm seine Frau begreiflich, daß sie nicht mehr zurück will, nicht in die Stadt, nicht ins Geschäft. Denn sie ist Jüdin.

Draußen, fernab von den Menschen, wird man sie vielleicht in Ruhe lassen. In der Stadt, im Geschäft kann sie ihrem Mann nur schaden. Man ist fünfundzwanzig Jahre verheiratet. Man hat Sorgen und Freuden miteinander geteilt. Man hat sich gezankt, sehr oft sogar, denn die Frau ist schwierig. Sie ist ehrgeizig.

Sie hat den guten Bienert immer „gedrängelt", ihn, der keine großen Ansprüche an das Leben stellte, eigentlich erst in den Sattel gesetzt und dafür gesorgt, daß das Geschäft blühte. Und nun will sie sich von ihm scheiden lassen! Denn sie liebt ihn.
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Die Bienerts fahren zurück - und erleben die Kristallnacht

Aber er denkt nicht daran, sie im Stich zu lassen. Er will nichts hören. Es kommt gar nicht in Frage für ihn, sie in der Laubenkolonie zurückzulassen. Die beiden fahren also wieder in die Stadt und kommen gerade dazu, als Rowdies die Fensterscheiben des Geschäfts nebenan, das Juden gehört, einschlagen und das Geschäft ausrauben.

Diese Nazigangster besitzen Listen aller jüdischen Geschäfte der Umgegend, sie werden heute nacht noch viele Fensterscheiben einschlagen und Raubzüge veranstalten. Denn es ist Kristallnacht!
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Mit Entsetzen sieht Bienert, was da vor sich geht.

In plötzlichem Ekel ergreift er einen der Steine, die die Gangster mitgebracht haben und wirft die Fenster seines eigenen Geschäfts ein. Dann setzt er sich in den Wagen und fährt mit seiner Frau in die Laubenkolonie hinaus.

Am nächsten Morgen findet man die beiden tot - mit Gas vergiftet. Ein Schutzmann fragt: „Vorname der Frau und Mädchenname?" - Ein Nachbar antwortet: „Sally hieß sie!" Der Schutzmann betroffen: „Ach so ....... ."

Die Tragödie des deutschen Judentums in wenigen Szenen, in wenigen Worten. Meisterhaft gespielt von Willy Maertens, dem großen Charakterdarsteller, der Käutners „Hauptmann von Köpenick" im Rundfunk war. Inzwischen ist er Theaterdirektor geworden, leitet das Thalia-Theater in Hamburg.
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Ida Ehre, ein Fall wie Karl John

Auch seine Partnerin, Ida Ehre, leitet ein Theater, nämlich die Kammerspiele. Dabei dürfte sie, ebenso wie Karl John, eigentlich gar nicht mehr am Leben sein.

Ja, ihr Fall lag noch aussichtsloser als der seine. Denn sie ist, was sie spielt - eine Jüdin. Sie und ihr Mann haben zu lange gezögert, Deutschland zu verlassen.

Im Sommer 1939 sind sie endlich im Besitz der notwendigen Papiere, um nach Übersee auszuwandern, besteigen den Dampfer, der sie in die Freiheit bringen soll. Mitten auf dem Ozean erreicht den Kapitän der Befehl der Hapag: Umkehren! Denn der Krieg wird in wenigen Tagen ausbrechen. Als Ida Ehre wieder in ihr heimatliches Hamburg zurückkehrt, hat der Krieg bereits begonnen.

Ihren Beruf als Schauspielerin konnte sie schon seit Jahren nicht mehr ausüben. Jetzt wird sie eingesperrt; auch ihr Mann, der bald darauf umkommt. Die Kriegsjahre verbringt sie in Lagern und Gefängnissen. Während der Bombardements sitzt sie in ihrer Zelle. Man holt sie nicht in rettende Keller. Denn sie ist ja nur eine Jüdin ...
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Eine weitere Story mit dem OPEL, der das alles erzählt ...

Diesmal handelt es sich um einen gewissen Jochen Wieland, der ganz plötzlich verschwunden ist. Seine Frau weiß sich keinen Rat. Sie hat einen Unfall vermutet, die Krankenhäuser angerufen, die Polizei, niemand scheint zu wissen, wo Wieland steckt.

In ihrer Angst benachrichtigt Frau Wieland ihre jüngere Schwester PvUth. Und die sagt ihr die Wahrheit. Jochen ist ein Gegner des Regimes. Er stand mit Leuten im Ausland in Verbindung.

Woher Ruth das weiß? Weil er ihr alles sagte, viel mehr als seiner Frau. Weil sie seine Vertraute war; weil sie seine Geliebte war. Dorothea Wieland ist zutiefst erschüttert. Ihr Jochen hat eine andere geliebt! Aber viel wichtiger in diesem Augenblick: Jochen ist vermutlich verhaftet!

Ein Freund ihres Mannes, der ihr mit seinem Auto gefolgt ist, bestätigt es ihr. Auch, daß alles für die Flucht Jochen Wielands vorbereitet war und daß der Fluchtweg in die Schweiz noch nicht gesperrt ist. Sie, seine Frau, könnte noch entkommen. Jede Stunde ist kostbar, denn auch sie wird man verhaften, da die Gestapo annimmt, daß sie von seiner illegalen Tätigkeit wußte.

Dorothea scheint bereits zu fliehen. In Wirklichkeit beschließt sie zu bleiben. Die Schwester - die Geliebte ihres Mannes - sie soll das rettende Ausland erreichen. Daher erzählt sie der Schwester, daß Jochen bereits in der Schweiz sei und auf sie warte. Der Betrug gelingt. Ruth fährt ab. Während die beiden Schwestern miteinander telephonieren, besieht sich ein Feldwebel den schon recht alten Opel-Wagen. Er stutzt, als er die Inschrift auf der Windschutzscheibe liest: 30. 1. 33. Denn dieser Wagen war einmal sein Wagen, dieser Soldat ist Peter Keyser, der lange nicht mehr so nett aussieht wie damals, da er mit seiner Freundin Sibylle in die Oper fahren wollte.

Am nächsten Morgen wird Dorothea Wieland verhaftet. Das Auto stellt bedauernd fest: „Ich habe sie nicht wiedergesehen, obwohl ich eine ganze Woche lang wartete ..."

Der kälteste Hamburger Winter seit Jahren

Dieser Film kommt auf eine höchst ungewöhnliche Weise zustande. Die meisten Schauspieler sehen einander überhaupt nicht. Es sind ja immer nur zwei oder drei Akteure, die eine Episode spielen. Wenn die Episode abgedreht ist, verschwinden sie in alle Windrichtungen.

Und wenn sie in Hamburg bleiben, so legen sie sich ins Bett, denn es ist zu kalt um aufzubleiben. Es ist der kälteste Winter, den man seit Jahren erlebt hat; und es wird ja nur im Freien gedreht, auf Straßen, auf Feldern, in Wäldern.

Manchmal, wenn weit draußen auf dem Lande gedreht wird, gelingt es, bei Bauern irgend etwas zu organisieren. Dazu müssen sich freilich mindestens sechs bis acht Mitglieder des Stabes auf Nahrungsmittelsuche begeben. Dann wird eine Kneipe aufgesucht und die Wirtin beauftragt, was immer zusammengekauft oder erbettelt worden ist, zuzubereiten.

Aber man kann die Wirtin dabei nicht allein lassen, sonst bliebe von der Mahlzeit nicht mehr viel übrig. Es muß eine „Wache" zurückbleiben. Und da es in der Wirtsstube wenigstens etwas wärmer ist als draußen, ist jeder gern bereit, als „Wache" anzutreten.

Man hungert, man friert, man ist entsetzlich schwach, aber man ist voll guten Willens.
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Dieser außerordentliche Film muß gelingen

Alle, die mitwirken, spüren: dieser Film muß werden, muß ein guter Film werden, ein außerordentlicher Film! Mit diesem Film will Käutner, wollen seine Schauspieler beweisen, daß sie nicht nur dann funktionieren, wenn sie in eleganten Villen wohnen, in großen Autos durch die Gegend brausen, enorme Gagen beziehen.

Ja, alle machen begeistert mit. Sie frieren, sie hungern, aber sie sind überzeugt davon, daß sie Filmgeschichte machen. Kein Tag vergeht, ohne daß irgend jemand etwas Heldenhaftes tut.

Wenn nicht die Menschen so viel mehr leisten würden, als sie jemals glaubten leisten zu können, wäre das Leben längst zu Ende.
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Eines Tages erscheint Erich Pommer in Hamburg

Eines Tages, während man mitten in den Dreharbeiten steckt, erscheint Pommer in Hamburg. Hamburg ist nicht seine Domäne, Hamburg ist von den Briten besetzt, während Pommer amerikanischer Filmoffizier ist.

Warum kommt er? Was hat er in Hamburg zu suchen? Er will Käutner sprechen. Er möchte ihn gern nach München holen. Es gibt nur einige wenige erste Filmregisseure in Deutschland.

Niemand hat das besser als Pommer begriffen. Und von diesen wenigen ist nur die Hälfte tragbar. Die anderen sollen sich erst rechtfertigen, müssen erst 'entnazifiziert' werden ...

Pommer erscheint also bei Käutners, die eine Anderthalbzimmerwohnung in der Klopstockstraße bewohnen. Diese Wohnung unterscheidet sich in nichts von anderen Wohnungen. Sie ist kahl, sie ist nicht geheizt, die Fenster haben keine Scheiben. Gelegentlich treibt Käutner zwar ein paar Kohlen auf, aber im Augenblick ist sein Ofenrohr kaputt, und er hat noch niemanden gefunden, der ihm einen Bezugschein für ein Ofenrohr verschaffen könnte ...
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Pommer friert in der Wohnung der Käutners entsetzlich

Pommer macht Konversation. Aber er fühlt sich nicht gerade behaglich. Nach einer gewissen Zeit fragt er mit einem entschuldigenden Lächeln: „Würden Sie mir wohl gestatten, meinen Mantel anzuziehen?"

Die Käutners gestatten. Aber auch der Mantel hilft nichts. Nach einer halben Stunde steht Pommer auf. „Es tut mir leid, aber ich muß gehen. Es ist mir einfach zu kalt. Wie halten Sie das nur aus?" „Man gewöhnt sich an alles..." „Haben Sie wenigstens warme Kleidung?" Käutners müssen verneinen. Sie haben ja das meiste in Berlin gelassen und natürlich verloren.

Ein amerikanischer Offizier in der englischen Zone

Am folgenden Tag geschieht etwas Seltsames. Erich Pommer, der große Produzent, der über Millionen verfügte, der ganze Völkerstämme einkleidete - das heißt, Komparsen, die Volk mimten - geht auf die Suche nach warmer Kleidung für die Käutners.

Er will ihnen auch etwas zu essen besorgen und Zigaretten. Oh, Erich Pommer ist ein mächtiger Mann. Das heißt, in der amerikanischen Zone hat er alle erdenklichen Machtvollkommenheiten.

Hier in der britischen Zone ist er nichts als ein amerikanischer Offizier auf Besuch. Man hat ihn irgendwo einquartiert, er bekommt sein Essen in der Messe - das ist aber auch alles. Es gelingt Pommer nicht, Lebensmittel und Zigaretten aufzutreiben. Am nächsten Abend erscheint trotzdem ein Bote mit einem Paket, das er den Käutners schickt. Helmut Käutner packt aus und findet - eine riesige, grüne, wollene Militärunterhose für sich selbst und eine kleinere für seine Frau. Pommers Geschenk an den größten deutschen Filmregisseur, damit er nicht so frieren muß.
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Einmal will Käutner das Rennen aufgeben.

Das geschieht, als er weiß, daß die letzten Meter Rohmaterial in der Kamera stecken und alles darauf ankommt, die betreffende Einstellung zu Ende zu drehen. Aber Käutner spürt: es ist wichtig, daß dieser erste Film gelingt. Man muß der Welt zeigen, daß der deutsche Film noch da ist. Daß Kräfte existieren, die durch die militärische Niederlage ebensowenig erledigt werden konnten wie durch Hitler und Goebbels.
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RUSSLAND - IN JENEN TAGEN

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Der OPEL ist jetzt in Russland

Einmal, ein einziges Mal dürfen die Schauspieler zeigen, wie kalt es ihnen ist. Es handelt sich um die Episode, deren Schauplatz Rußland ist.

Ein Nichts von einer Handlung. August Hintze, ein bärtiger Obergefreiter, holt von einem kleinen Bahnhof hinter der Front den „neuen" Leutnant ab. „Wieder so einen, der keine Ähnung hat ..."

Er rät dem Leutnant, einem übrigens sympathischen jungen Mann, in dieser Nacht nicht mehr an die Front zu fahren. Denn es ist Vollmond. Und wenn es hell ist, treffen die Partisanen recht gut.

Der Leutnant weiß es besser. Er will so schnell wie möglich an die Front. Also wird gestartet - in unserem Opel, der nun schon alt und grau gespritzt ist. Es scheint alles gut zu gehen.

Trotzdem ist es August nicht geheuer. Der Leutnant will ihn beruhigen. Hintze zuckt die Achseln. Was weiß schon der Leutnant davon, welche Art Krieg in Rußland geführt wird? Gewiß, er war in Frankreich. Er war auch in Polen.

„Polen, das war doch so'n Feldzug - aber hier ist Krieg. Und nicht bloß gegen Soldaten, hier machen alle mit, die Frauen, die Bäume, die Erde, die Luft ... Hier kann Sie's erwischen, da hören Sie keinen Piep. Da merken Sie erst lange danach, daß Sie tot sind."

Dann bellt ein Hund ganz in der Nähe. Und dann weiß der Obergefreite August Hintze, daß es Ernst wird. Er löscht die Scheinwerfer. Und dann kommt der Mond. Jetzt ist es ganz hell.

Maschinengewehrfeuer. August wird getroffen. Der Leutnant kann noch das Steuer ergreifen. Sterbend keucht August: „Weiter, Herr Leutnant, weiter! Schnell. . . Schnell..." Dann ist er tot.
Und vergebens ruft ihm der Leutnant zu: „Wohin? Mensch, Hintze, wohin? Wohin?"
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Eigentlich ein Nichts von einer Geschichte.

Ein paar Fetzen Dialog. Und doch ist alles drin. Der ganze Krieg. Die große Sinnlosigkeit. Das Sterbenmüssen, weil man nicht rechtzeitig zurückgeht, weil man immer nach vorn will.

Aber wo dreht man das? Schließlich wird Käutner ja kaum die Außenaufnahmen in der Sowjetunion machen können. Und eine deutsche Straße kommt nicht in Frage. Die sieht nun einmal nicht aus, als ob sie durch die russische Schneewüste führt. Außerdem gibt es Schilder, Häuser, die typisch deutsch sind. Was tun? - Die Kälte hat auch ihr Gutes.
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Zum ersten Mal seit Menschengedenken ist die Elbe zugefroren

Man kann auf ihr mit einem Auto fahren. Käutner geht zu den britischen Militärstellen und erbettelt sich für ein paar Stunden einen Schneepflug. Der fegt auf diese Weise eine „Straße" frei. Jugert hat ein paar Krüppelkiefern besorgt. Die werden auf das Eis „gepflanzt", um so enger aneinander, je weiter sie von der Straße entfernt sind, so daß die perspektivische Wirkung der unendlichen Weite erzielt wird.

Am kompliziertesten ist die Aufnahme des Schusses. Einen Schuß muß Käutner haben, den Schuß, der den Obergefreiten tötet. Aber wie bekommt man diesen einen Schuß? Deutsche dürfen um diese Zeit keine Waffen besitzen, geschweige denn schießen.

Wochenlang wendet sich Käutner mit Anträgen an die britischen Behörden, um die Genehmigung für diesen einen Schuß zu bekommen. Alle diese Anträge werden abgelehnt. Offenbar fürchtet man einen deutschen Aufstand mit Hilfe dieses einen Schusses.

Die Szene mit dem Schuss muß irgendwie gedreht werden

Aber es findet sich immer ein Ausweg. Da ist ein Bühnenarbeiter. Der hat eine Schwester, die kennt einen Sergeanten bei der Militärpolizei. Sie kennt ihn sogar sehr gut. Infolgedessen erzählt sie ihm von den Schwierigkeiten, die aufgetaucht sind. Freilich, auch der Sergeant findet, daß man Deutschen nicht ein Gewehr mit Munition in die Hand geben darf. Also kommandiert er einen seiner Polizisten zur Abgabe des Schusses ab.

Die Aufnahmen ziehen sich endlos hin. Der Militärpolizist steht dabei; zuerst interessiert, dann langweilt er sich. Schließlich schaut er auf seine Uhr und ist bestürzt. Er hat eine private Verabredung. Er dachte, die Sache würde eine Viertelstunde dauern. Nun steht er schon reit drei Stunden herum.

Käutner und Oberberg sind verzweifelt. Wenn der Mann jetzt weggeht, werden sie die Schußszene niemals in den Kasten bekommen.

Der Engländer zuckt die Achseln. Er muß jetzt wirklich fort! Aber er will seine Maschinenpistole gern dalassen. Mit sechzig Schuß Munition. Die Maschinenpistole kann ja jedes Kind bedienen! Später, gegen Abend, wird er sie wieder abholen ...

Eine groteske Situation. Keine Militärstelle in Hamburg wollte Käutner auch nur einen Schuß bewilligen. Jetzt hat er eine Maschinenpistole mit sechzig Schuß. Der Schuß wird abgegeben. Die übrigen Schüsse auch. Man schießt sich ein bißchen ein im Garten hinter der Garage, wo es niemanden weh tut. So endet die russische Episode wirklich ein bißchen russisch ...
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DIE SACHE MIT DEM KIND

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Die letzte Episode des Films „In jenen Tagen" .....

Die letzte Episode des Films „In jenen Tagen" behandelt eine Liebesgeschichte zwischen einem Soldaten und einer jungen Flüchtlingsfrau, die er mit ihrem Kind ein Stück des Weges im Wagen mitnimmt - in dem Opel, der nun schon recht ramponiert ist.

Es kommt zu einer - übrigens durchaus keuschen - Nacht in einer Scheune. Am nächsten Morgen muß der Soldat die Frau mit ihrem Kind auf der Landstraße stehenlassen. Trotzdem kostet ihn diese Nacht beinahe das Leben, denn er wird irrtümlich für einen Deserteur gehalten.

Aber ein gutmütiger Feldwebel läßt ihn laufen. Und irgendwann wird er vielleicht die Frau und das Kind wiedersehen. Carl Raddatz, der es abgelehnt hat, in „Die Mörder sind unter uns" mitzuwirken, spielt die Rolle des Soldaten. Er ist wohl von allen, die in dem Film mitwirken, der arrivierteste Filmschauspieler.

Das bedeutet zwar nicht, daß er mehr Geld als die anderen bekommt. Aber das bedeutet, daß er seinem Publikum gegenüber gewisse Verpflichtungen hat oder zu haben glaubt.
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Der Leinwandheld Raddatz hat nämlich eine Glatze ....

Raddatz verfügt - um es vorsichtig auszudrücken - über nicht mehr ganz so viel Haare wie in seiner frühesten Jugend. Deswegen hat er in seinen letzten Filmen stets ein Toupet getragen. Denn das Publikum wünscht nun einmal seine Helden mit lockigem und wallendem Haar zu sehen.

So ist es nur natürlich, daß Raddatz auch in diesem Film ein Toupet tragen will. Aber Käutner will es nicht. Er will ja die Folgen des Krieges zeigen, die Menschen, die elend und müde sind, verhungert und verfroren.
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Bettina Moissi alias Bettina Hambach

Das Mädchen spielt Bettina Moissi, eine Tochter des großen Reinhardt- Schauspielers Alexander Moissi. Sie ist noch jung, fast ein Kind. Sie war mit siebzehn Jahren zu Gustaf Gründgens ans Staatstheater engagiert worden und spielte dort ein paar Rollen mit wachsendem Erfolg.

Übrigens mußte sie sich damals noch Bettina Hambach nennen - Hambach war der Name ihrer Mutter; denn Moissi hatte Deutschland verlassen, als Hitler zur Macht kam. Sein Name war also verfemt im Dritten Reich.

Bettina Moissi soll, so verlangte es Käutner, ganz „realistisch" aussehen, Sie darf sich nicht schminken. Das arme Geschöpf - sie wiegt in ihren besten Zeiten knapp hundert Pfund - ist nur noch Haut und Knochen. Sie gehört zu jenen Unglücklichen, die keine Lebensmittelkarten bekommen: sie ist aus Süddeutschland zugewandert.
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Bettina hat einen "Wurstverehrer" .......

Dafür besitzt sie aber etwas, was viel mehr wert ist als alle Lebensmittelkarten: einen sogenannten Wurstverehrer. Ein Wurstverehrer ist genau das, was das Wort sagt: ein Mann, der eine Frau so sehr verehrt, daß er ihr eine Wurst verehrt.

Was sind, verglichen mit ihm, die Verehrer von früher, die mit Perlen und Diamanten um sich warfen, um die Gunst einer Frau zu erringen? Perlen und Diamanten kann man nicht essen.

Bettinas Wurstverehrer stellt sich fast täglich ein, und zwar immer mit der gleichen, ziemlich großen Wurst, die aussieht wie Schinkenwurst.

Aber Schinken ist keiner drin. Was drin ist, weiß niemand, ahnt niemand, fragt niemand. Schon die Tatsache, daß es überhaupt Wurst gibt, ist ja ein Wunder. Und die Wurst macht satt. Sie macht alle satt, die in dem Film gerade mitspielen oder mitwirken.

Tagelang, oder besser nächtelang wird in der Scheune gefilmt, einer nicht geheizten Scheune, versteht sich, bei mindestens fünfzehn bis zwanzig Grad unter Null. In dieser Scheune müssen Raddatz und Bettina Moissi im „warmen" Stroh liegen und beginnende Liebe markieren. Raddatz spricht immer von dieser Szene als der „Sauerbruch-Szene". Warum?

„Wenn der große Sauerbruch unsere roten, angefrorenen Nasen sähe, würde er sie sofort operieren!"
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Das Marmorhaus in Berlin wird 35

In Berlin kommt der Film zum 35-jährigen Jubiläum des Marmorhauses heraus. Die Besucher bleiben gebannt im Foyer stehen. Die Direktion hat die Wände mit Bildern von einst ausgeschmückt. Nicht mit Bildern von alten Filmen, sondern mit Bildern des Kurfürstendamms, wie er einst war, der Tauentzien-straße, des Lebens und Treibens von einstmals.

Diese Bilder machen die Besucher ganz sentimental. So gut ging es uns einmal? denken sie. Der richtige Auftakt für den Film, der zeigt, wie dann alles in Trümmer ging. Dieser Film - wird er „ankommen"? - um einen Jargon der Filmbranche zu benutzen.
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Und wieder gab es weiße Mäuse .. wie damals ....

In der ersten Nachmittagsvorstellung kommt es zu Unruhen, und zwar während jener Episode mit Ida Ehre, der jüdischen Frau des Rahmenhändlers. In dem Augenblick, als sie zum erstenmal auf der Leinwand erscheint, werden weiße Mäuse im Zuschauerraum losgelassen. Allgemeine Verwirrung. Schreie. Einige wenige Besucher stürzen aus dem Zuschauerraum. Es wird Licht gemacht. Die Tiere werden eingefangen. Dann kann die Vorstellung weitergehen.

Erinnern wir uns noch? Es ist erst sechzehn Jahre her, daß Joseph Goebbels die Behörde der Republik zwang, den Erich Maria Remarque-Film „Im Westen nichts Neues" abzusetzen, indem er weiße Mäuse losließ ...

Damals war die Begegnung mit weißen Mäusen das Schlimmste, was einem Kinobesucher geschehen konnte. Aber seither hat der Berliner gelernt, daß man sich nicht einmal vor Bomben oder vor Russen fürchten muß.
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