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"Das gibt's nur einmal" - die Film-Fortsetzung 1945 bis 1958

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite dieses 2. Buches finden Sie hier.

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NEUNZEHNTER TEIL • DER GROSSE FILM

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DIE LETZTE BRÜCKE

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Ein schweizer Schauspieler namens Bernhard Wicki

Helmut Käutner, der so lange keine Beschäftigung im deutschen Film finden konnte und der nach Ansicht sämtlicher Produzenten ein erledigter Mann war, fuhr im August 1953 nach Jugoslawien.

Er sollte dort einen Film machen, der teils von einer Wiener Firma, teils von den Jugoslawen selbst finanziert wurde und „Die letzte Brücke" heißen sollte. Als männlichen Hauptdarsteller hatte er einen jungen schweizerischen Schauspieler namens Bernhard Wicki engagiert.

Wicki war ein gut aussehender junger Mann. Auf der Bühne hatte er wenig Glück gehabt. Er bekam wohl nie die richtigen Rollen und stand auch immer etwas im Schatten seiner Frau, der Schauspielerin Agnes Fink. Der Film hatte ihn ein paarmal geholt, aber sich immer die Finger an ihm verbrannt. Auch er war „nicht zu photo-graphieren", wenn man den Fachleuten glauben durfte.

Um diese Zeit hatte sich Wicki bereits entschlossen, das Rennen aufzugeben. Er war ein hervorragender Amateurphotograph und wollte die Photographie nun auch als Beruf ausüben. Er hatte sich bereits ein paar teure Apparate angeschafft.
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Als Helmut Käutner anrief ......

Da rief ihn Käutner an und fragte ihn, ob er Lust hätte, nach Jugoslawien zu gehen. Er spürte keine besondere Lust, aber er ließ sich schließlich überreden. Niemand glaubte so recht, daß aus diesem Film etwas werden würde.

Gewiß, auch andere Filmgesellschaften drehten um diese Zeit bereits in Jugoslawien. Aber das Drehbuch! Das Thema! War denn dieser Käutner ganz verrückt geworden? Er wollte wirklich einen Stoff aus dem letzten Krieg verfilmen?

Wer, um Gottes willen, wünschte denn noch etwas vom Krieg zu hören! Und dann gar das heiße Eisen der Partisanenkämpfe in Jugoslawien! Wie sollte man denn so etwas gestalten? Wenn man in Jugoslawien filmte, so konnte man nicht gut einen Film gegen die Partisanen machen!

Und man konnte auch wiederum keinen Film für die Partisanen machen, das heißt für jene, die aus dem Hinterhalt deutsche Soldaten erschossen hatten. Das würde das deutsche Publikum niemals verstehen!

War denn dieser Käutner verrückt geworden, daß er von so etwas nicht die Finger ließ?
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Doch da war auch noch die kleine Maria Schell .....

Außer Käutner und seinem Regieassistenten Horst Hächler, einem gut aussehenden jungen Mann mit sehr klaren Ideen darüber, wie ein guter Film gemacht werden sollte, und einer entschiedenen Abneigung gegen jegliche Kompromisse, gab es eigentlich nur noch einen Menschen, der an diesen Film von der letzten Brücke glaubte: Maria Schell.

Sie, die sich um diese Zeit die Rollen wählen konnte - es gab ja kaum eine Filmgesellschaft, die Maria Schell nicht engagieren wollte - las das Drehbuch und erklärte sich sofort bereit, auf Monate in das unwirtliche Jugoslawien zu fahren und mitzumachen ...

Ein paar Monate später. Man munkelt in Filmkreisen, daß es in Jugoslawien drunter und drüber geht. Der Film hätte längst abgedreht sein sollen.
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Was bedeutet in Jugoslawien Zeit?

Aber was bedeutet in Jugoslawien Zeit? Was bedeuten Drehpläne? Die Organisation ist nicht existent. Das Schlimmste sind die Komparsen. Dieser Film zeigt ja deutsche Soldaten im Kampf gegen jugoslawische Partisanen. Beide, die Deutschen wie die Jugoslawen, müssen von Jugoslawen dargestellt werden. Und zwar ist es dem jugoslawischen Produzenten gelungen, dafür Militär zu erhalten.

Das heißt, jugoslawische Soldaten spielen jugoslawische Partisanen und deutsche Soldaten. Eines Tages spielen sie nicht mehr. Sie streiken. Verhandlungen. Es wird wieder angefangen zu drehen. Es wird wieder abgebrochen. Es sieht so aus, als würde der Film nie fertig werden.

In Deutschland schmunzeln die Fachleute. Haben sie nicht immer gesagt, daß Käutner verrückt geworden ist? Schade nur um Maria Schell. Die könnte auch etwas Vernünftigeres tun, als sich auf dem unwirtlichen Balkan herumzutreiben.
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Februar 1954 - „Die letzte Brücke" - Premiere in Berlin

„Die letzte Brücke" läuft in Berlin an, während dort im Februar 1954 noch "die großen Vier" tagen. Diese Vierer-Tagung bleibt ohne irgendwelche Folgen, von Erfolg gar nicht zu reden.

Der Film aber hat einen außerordentlichen Erfolg und viele Folgen. Er wird in den nächsten Wochen und Monaten zahlreiche Preise erhalten. Er wird als „unpatriotisch" hüben und drüben - in Deutschland, Österreich und Jugoslawien angegriffen werden.

Überall finden sich Leute, die behaupten, daß die andere Seite zu gut weggekommen ist. In Jugoslawien wird der Film vorübergehend verboten, angeblich weil er einseitig gegen die Partisanen Stellung nimmt.

In Österreich erhält er Jugendverbot, weil die Partisanen schießen - was wohl sollten sie sonst tun? Auf den Festspielen in Cannes bekommt der Film den ersten Preis und wird ein Welterfolg.

Es ist, nehmt alles nur in allem, ein großer Film. Ein großes Thema - von Käutner nicht verniedlicht, nicht ungefährlich gemacht. Das Beste, was man über seine Regie sagen kann, ist, daß man sie kaum spürt. Die großen Szenen wirken nicht wie Szenen, sondern wie Aufnahmen, die aus einer Wochenschau geschnitten worden sind: dokumentarisch. Bernhard Wicki als Jugoslawe ist so echt, daß man fast überall glaubt, es mit einem Einheimischen zu tun zu haben. Die Schell ist vollendet: einfach, klar, überzeugend, mitreißend - und nicht einen Augenblick lang sentimental.
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OPERATION SAUERBRUCH

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Jeder Mensch weiß, wer Sauerbruch war.

Jeder Mensch in Deutschland - und mancher außerhalb der deutschen Grenzen - weiß, wer Sauerbruch war. Ein Arzt? Nein, viel mehr. Es gibt in jedem Beruf Stars. Nicht viele, sonst wären sie keine, aber immer wieder den einen oder den anderen, der weit über sein Fach hinaus berühmt ist.

Ein Star etwa war Albert Einstein, dessen Namen Millionen kennen, die sich unter Relativitätstheorie, unter höherer Mathematik, unter moderner Physik nicht das Geringste vorstellen können.

Ein Star solcher Art war etwa Sonja Henie, die weit über die Interessenten des Eiskunstlaufs hinaus ein Begriff wurde. Ein Star war Sauerbruch, dessen Ruhm weniger mit seinem großen ärztlichen Können - seinem unzweifelhaften Genie - zusammenhing als mit seiner enormen Persönlichkeit.

Wie gesagt, jeder in Deutschland kannte Sauerbruch, und viele hatten seine Memoiren gelesen: „So war mein Leben", einer der ganz großen Erfolge der Nachkriegszeit.
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Denn das Werk, nach Sauerbruchs Tod herausgekommen, enthält vieles, von dem Leute, die es eigentlich wissen müßten, darunter bekannte Ärzte, behaupten, daß Sauerbruch es nie gesagt oder geschrieben haben könnte.

In der Tat, die Memoiren sind auch, genaugenommen, nicht seine Memoiren, sie sind auf Grund von Gesprächen entstanden. Immerhin, ihnen liegen Gespräche, Äußerungen, Formulierungen Sauerbruchs zugrunde.

Wie aber kann man so etwas verfilmen? Wie kann man eine Story verfilmen, die eigentlich keine ist, sondern eine Sammlung von vielen hundert Stories, die sich in einem langen und ereignisreichen Leben abgespielt haben?

Wie kann man im Rahmen eines Films, der anderthalb bis zwei Stunden laufen darf, ein Leben darstellen, das weit über siebzig Jahre umfaßt hat - siebzig Jahre der ständigen Revolution in der Medizin?

Es ist auch kein Geheimnis - Sauerbruch war kein Engel

Weiter: Da man (den enchten) Sauerbruch allgemein kennt, ist es auch kein Geheimnis, daß er durchaus kein Engel in Menschengestalt war, sondern eine sehr schwierige Persönlichkeit, oft unheimlich unliebenswürdig, ja grob, einer mit zahlreichen problematischen Seiten, die man natürlich immer wieder vergaß, weil er eben ein Genie war.

Wie das alles in einem Film darstellen? Besonders da doch die Darstellung eines Menschen in einem Film - im Gegensatz zur Darstellung eines Menschen in Wort und Schrift - nur möglich ist, wenn er selbst oder nach seinem Tode seine Erben zustimmen?

Undenkbar, daß die Witwe des großen Arztes ihre Zustimmung zu einem Porträt geben würde, das Sauerbruch so zeigt - wie er wirklich war. Undenkbar auch, daß sie ihre Zustimmung zur Darstellung gewisser Details in seinem Leben geben würde.
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Sauerbruch - ein heikles Thema

Wie faßt man das Thema an? Wie macht man einen Film aus diesem sicher interessanten Rohstoff? Ein Problem. Hundert Probleme. Und es ist eigentlich das Verdienst des Produzenten Dr. Alexander Grüter, daß der Plan eines Sauerbruch-Films nicht aufgegeben wird.

Wie viele Drehbuchschreiber versuchen sich an dem Thema? Niemand weiß es später mehr genau. Sechs? Acht? Schließlich entsteht ein Buch, das von der Familie gebilligt wird, das trotzdem interessant ist und das vor allem die wichtigsten Phasen dieses langen und inhaltsreichen Lebens durch eine Rahmenhandlung verkürzt, die in zwei, drei Tagen abrollt.
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Die Story :

Ein hochinteressanter Trick wird hier - natürlich nicht zum ersten Mal - angewandt: der alternde Sauerbruch hat Grund, an sich, an seiner Kunst, ja, an dem ganzen Sinn seiner Wissenschaft zu zweifeln.

Da wird eine einfache Frau eingeliefert - ihr Mann ist Briefträger - die Selbstmord begehen wollte. Sauerbruch hat eine Theorie; sie ist völlig verschieden von der Diagnose, die seine Kollegen stellen.

Er beschließt: wenn seine Theorie richtig ist, wenn er also, was die Kollegen bezweifeln, die Frau heilen kann, wird er weitermachen, dann hat sein Leben einen Sinn gehabt. Dann hat es einen Sinn, daß er trotz vorgeschrittenem Alter die Arbeit fortsetzt. Wenn nicht, wird er sich zurückziehen.

Nun, er soll recht behalten. Die Frau wird nach einer schweren Operation gesund - sie ist dem Leben wiedergegeben, und Professor Sauerbruch seiner Arbeit.
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Der Hauptdarsteller

Regie in diesem Film soll eigentlich Josef von Baky haben. Und der hat sich für die Riesenrolle des Sauerbruch O. E. Hasse ausgesucht, den herrlichen Berliner Schauspieler, der bisher im deutschen Film fast nur alberne Chargen spielen durfte, der seit der „Berliner Ballade" von Günter Neumann keine vernünftige Aufgabe mehr bekam.

Es sei denn in Hollywood, wohin ihn Alfred Hitchcock holte, der auf die Distanz von zehntausend Kilometern auf den Schauspieler aufmerksam wurde, der die deutschen Produzenten nicht auf sich aufmerksam machen konnte, obwohl er fast allabendlich auf einer Berliner Bühne stand.

O. E. Hasse ist rein figürlich und vor allen Dingen, was den Schnitt seines Gesichts angeht, Professor Sauerbruch nicht unähnlich. Mit einem bißchen Maskenkunst müßte er ihm täuschend ähnlich sehen. Er bekommt also einen Vertrag - den ersten großen Filmvertrag seines Lebens.
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Und dann wird der Regisseur ausgetauscht ....

Und dann geschehen eine Menge Dinge, die einen Durchschnittsfilm eigentlich zum Scheitern bringen müßten - und den „Sauerbruch" eben doch nicht zum Scheitern bringen, weil hinter diesem Unternehmen die Persönlichkeit eines wirklichen Produzenten, eben jenes Dr. Grüter, steht.

Josef von Baky scheidet als Regisseur aus. Rolf Hansen - Regisseur des „Dr. Holl" - übernimmt die Regie. Und als erstes erklärt er, mit O. E. Hasse nicht arbeiten zu können. Warum? Es liegen keinerlei persönliche Gründe vor, Hansen schätzt Hasse außerordentlich.

Er hält ihn für einen der ersten Schauspieler, nur eben nicht für den richtigen für diese Rolle. Er hält ihn für zu wenig „positiv", ja, für ausgesprochen „negativ". Er sieht ihn als einen problematischen Charakter, nicht aber als einen Mann, dessen große, sozusagen überströmende Persönlichkeit einen Riesenfilm füllen kann.

O. E. Hasse hat - allem Anschein nach - die große Chance seines Lebens verpaßt. Er wird nie über die kleinen und kleinsten Filmrollen hinauskommen - so scheint es. Der große Heldendarsteller des Wiener Burgtheaters aber, Ewald Baiser, erhält seinerseits die Chance seines Lebens, als er auf Wunsch des Regisseurs Rolf Hansen für die Hauptrolle des Films engagiert wird.

Baiser hat schon gefilmt, aber er ist durchaus kein Filmstar, keiner, der die Massen in die Kinos zu ziehen vermag. Neun von zehn Produzenten würden es ablehnen, ihn für die Rolle zu engagieren - schon deswegen, weil er nicht die geringste Ähnlichkeit mit Sauerbruch aufweisen kann. Und weil dieser Film mit einem ganz großen Star gedreht werden müßte. Denn schon bevor die erste Klappe fällt, hat er Hunderttausende gekostet.
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Herbst 1953 - Die Außenaufnahmen beginnen in Berlin

Der Film startet also mit einer Verspätung von rund einem halben Jahr. Die Außenaufnahmen: es handelt sich um den wirklichen Beginn des Films, darum, daß die Frau des Briefträgers, die sich unheilbar krank glaubt, sich unter die Straßenbahn stürzt.

Die Frau: Heidemarie Hatheyer, im Verlauf dieses Films von den Kollegen nur die „Rahmenhandlung" gerufen. Drei Tage dauert es, bis die Aufnahmen gemacht sind, die dann im Film so aussehen werden, als wollte die Hatheyer sich wirklich unter die Straßenbahn werfen.

Dann fliegt die gesamte Belegschaft wieder nach München. Denn es ist kein Tag zu verlieren, kaum eine Stunde. Baiser steht nur ungefähr sechs Wochen für den Film zur Verfügung. Mehr Urlaub hat er vom Burgtheater nicht bekommen. Die Hatheyer muß in spätestens drei Wochen mit Theaterproben in Berlin beginnen - und wird dann den ganzen Winter hindurch mit Theaterspielen besetzt sein.
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Regisseur Rolf Hansen wird krank

Es kommt vorläufig zu keiner neuen Szene, nicht einmal zu einer neuen Einstellung. Denn Regisseur Rolf Hansen wird krank. Er muß Hals über Kopf operiert werden: durchbrochener Blinddarm. Und er wird nicht vorschriftsmäßig nach einer Woche oder zehn Tagen gesund. Es setzt Embolie ein, es ist fraglich, ob er überhaupt durchkommt. Als er - nach Wochen - endlich über das Schlimmste hinweg ist, muß er in ein Sanatorium, muß schließlich nach Italien, um sich zu erholen.

Neun von zehn Produzenten würden einen anderen Regisseur holen. Nicht so Dr. Alexander Grüter. Er glaubt an Hansen und ist bereit, sich diesen Glauben etwas kosten zu lassen. Der Film wird auf Wochen vertagt. Gewiß, die Produktion hat den Regisseur versichern lassen, aber wird die Versicherung den Schaden, der sich auf rund eine halbe Million Mark beläuft, decken?

Sie wird es zwar, aber vorerst sieht es nicht so aus. Schließlich kommt Hansen, ein sehr wackliger Hansen, wieder ins Atelier zurück. Die Aufnahmen können beginnen.
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Ein Geniestreich - das Theater wird trickreich geschlossen

Können sie wirklich beginnen? Ja und nein. Baiser erhält neuen Urlaub vom Burgtheater. Die Hatheyer aber spielt allabendlich im Berliner Renaissance-Theater und kann überhaupt nicht nach München kommen. Neuer Geniestreich des Produzenten: er kauft ganze Theatervorstellungen auf, das Theater wird geschlossen, die Hatheyer wird unter geradezu dramatischen Umständen - Film im Film sozusagen - nach München geschafft, und in ununterbrochenen Tages- und Nachtschichten werden ihre Szenen in wenigen Tagen abgedreht.

Da sie fast nur im Bett zu liegen hat, glauben die oberflächlichen Beobachter, das dürfte ja so schlimm nicht sein, sie könne ja zwischen den Aufnahmen immer ein wenig ausruhen! Irrtum! Damit sie nicht im Bett absinkt, das heißt, damit vermieden wird, daß ihr Kopf auch nur um einen halben Zentimeter in die Kissen sinkt, was unvermeidlich wäre, läge sie in einem richtigen Bett, hat man sie auf - Konversationslexika und Holzblöcke placiert. Das geht viele Tage und Nächte so. Und auf Konversationslexika und Holzblöcken schläft es sich gar nicht so gut.

die Kunst der Maske ist wieder einmal höchst erstaunlich

Das Erstaunlichste ist Ewald Baiser, dieser doch etwas wohlbeleibte Schauspieler mit dem fleischigen Gesicht, das dem des Professors Sauerbruch so unähnlich wie nur möglich ist. Aber die Kunst der Maske erweist sich wieder einmal als höchst erstaunlich.

Oder vielleicht ist es nicht nur die Maske, vielleicht ist es die suggestive Schauspielkunst Baisers, die die Illusion schafft, als stände wirklich der alte Sauerbruch vor einem. Eine Illusion, der sich nicht einmal die nächsten Freunde des großen Chirurgen ganz entziehen können. Der Film „Sauerbruch" ist - abgesehen von der Riesenrolle des Titelhelden und der sehr schwierigen Rolle seiner Patientin - notwendigerweise ein Film der Episoden.

Hansen hat eine Anzahl großer Schauspieler zusammengetrommelt, die ein, zwei, drei Tage zur Verfügung stehen. Um nur ein paar Namen zu nennen: da ist Lina Carstens als Operationsschwester; Hilde Körber als die böse Schwester der Psychiatrischen Abteilung; da ist - unvergeßlich - Paul Bildt als der an Krebs sterbende Briefträger, der dem alten Hindenburg noch seine Post brachte; da ist Otto Gebühr, Wilhelm Borchert; Erich Ponto und Friedrich Domin (als Hindenburg höchstpersönlich) und Maria Wimmer als Frau Sauerbruch; Ernst Waldow und Hans Christian Blech, Charles Regnier und viele, viele andere.

Ein Sonderlob dem Kameramann Helmut Ashley, der dem Ganzen einen Hauch des Authentischen, ja, Dokumentarischen verleiht. In manchen Augenblicken fragt man sich in der Tat, ob es sich hier um Gestalten handelt oder um Einschiebsel, die aus alten Wochenschauen geschnitten worden sind ...
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Der Film ist sofort ein riesiger Erfolg.

Das spricht für alle: für den Produzenten, für den Regisseur, für die Darsteller - und nicht zuletzt für das Publikum. Wie? Ein Film, der eigentlich nichts enthält als ein paar Episoden aus dem Leben eines großen Arztes - ein durchschlagender Publikumserfolg?

Ein Film, ganz ohne Liebe, ganz ohne Intrige, ein Film, dessen Ausgang man natürlich schon nach den ersten fünfzig Metern kennt - denn das Publikum weiß ja, daß Sauerbruch nicht an sich und seiner Aufgabe verzweifelte und sich nicht von seinem ärztlichen Beruf zurück -
zog?

Und doch ein Erfolg? Und ein größerer Erfolg als alle Filme, die nach so totsicheren Rezepten gemacht wurden? Sollte Lieschen Müller wohl doch nicht ganz so dumm sein, wie die meisten Produzenten es glauben?
Und nun?

Es scheint nach dem Riesenerfolg des Sauerbruch-Films sicher zu sein, daß Ewald Baiser, der niemals im Film wirklich zum Zuge gekommen ist, vor einer neuen, ganz großen Karriere steht. Aber es kommt, wie so selten im Film, aber so oft in der Geschichte des Films, wieder einmal ganz, ganz anders.

Der Star Ewald Baiser filmt sich sozusagen zu Tode

Ewald Baiser, nun einer der großen Stars, wird von allen Produzenten bedrängt, nimmt ein Filmangebot nach dem anderen an, filmt sich sozusagen zu Tode. Und es ist natürlich kein Zufall, daß die meisten Filme, die er in den nächsten Jahren spielen wird, ziemlich schlecht sind und infolgedessen keine Erfolge werden können.

Das hängt nun einmal damit zusammen, daß es eben mehr schlechte Filme gibt als gute. Allerdings, Baiser hat mehr als durchschnittliches Pech, wie er mit dem „Sauerbruch" mehr als durchschnittliches Glück hatte.

Und O. E. Hasse? Er, der die große Chance verpaßte - oder besser, dem sie genommen wurde? Es vergehen nur ein paar Monate, und er wird eine neue Chance bekommen, die auf den ersten Blick nicht wie eine solche aussieht, und einen Film machen, der, obwohl nicht einmal sein Produzent recht an ihn glaubt, der einzige sein wird, der den Publikumserfolg des „Sauerbruch" noch übertrifft. Der Film heißt „Canaris".
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ADMIRAL UND GENERAL DES TEUFELS

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Die Graue Eminenz Admiral Canaris

Es handelt sich um eine der faszinierendsten Gestalten der neueren Geschichte überhaupt. Canaris, auf den ersten Blick der
soignierte, gewissenhafte, aber etwas farblose deutsche Seeoffizier, war wirklich alles, was man in Spionageromanen als Graue Eminenz bezeichnet.

Schon frühzeitig mit der aktiven Spionage in Kontakt gekommen - seine Erlebnisse im ersten Weltkrieg waren in des Wortes wahrster Bedeutung haarsträubend - war er schließlich an die Spitze des deutschen Spionageapparates getreten, gerade als Hitler die Macht ergriffen hatte.

Sein Vorgänger war untragbar geworden, er war zu prononciert antinationalsozialistisch. Der Apparat, den Canaris vorfand, war es auch, und er selbst, bis zu diesem Augenblick politisch eher uninteressiert, bekam bald die stärksten Bedenken gegen die Männer, die, wie er spürte, Deutschland in einen unheilvollen Krieg verstricken würden.

Besonders verabscheute er Himmler und Heydrich, die ja ihren eigenen Spionageapparat aufgebaut hatten und die offizielle Abwehr bespitzelten.
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Es gab manchen Kampf hinter den Kulissen

Canaris mußte seine Pflicht tun: den Krieg spionagemäßig vorbereiten. Aber er tat sie ungern, und er versuchte zu retten, was zu retten war. Es war nicht viel. Am Ende konnte er nicht einmal sich selbst retten, woran ihm übrigens kaum ewas gelegen haben dürfte.

Eine tragische Gestalt. Ein Shakespeare, ein Schiller könnte sie noch einmal lebendig machen. Der Film? Wohl kaum. Lange und von verschiedenen Drehbuchautoren wird an dem Buch herumgedoktert. Die Tatsache, daß sich Canaris nicht - wie der Pole Sosnowski - in zahlreiche Liebesabenteuer verstrickte, daß er ein weißhaariger Mann war, der sich kaum aus seinem Arbeitszimmer entfernte, ermutigte den Produzenten F. A. Mainz auch nicht besonders.
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Niemand glaubte so recht an den Film.

Insbesondere nicht der Schauspieler, der für die Hauptrolle verpflichtet worden war, O. E. Hasse. Er sah - im Gegensatz zu Sauerbruch - Admiral Canaris nicht einmal ähnlich, und er war noch immer untröstlich, daß er den Sauerbruch nicht hatte spielen dürfen.

Der einzige, der in jeder Beziehung die Ärmel hochkrempelt, ist Regisseur Alfred Weidenmann. Er hatte gewisse Schwierigkeiten nach dem Krieg gehabt, durfte schließlich mit Liselotte Pulver und Hardy Krüger - den er im Krieg auf einem Schulhof entdeckt und vor die Kamera gebracht hatte - ein hübsches Lustspiel drehen, aber eigentlich war er noch ein unbeschriebenes Blatt.

Nun zeigt er, was man aus einem Stoff machen kann, der sich eigentlich der Verfilmung widersetzt. Bei ihm wird eine Welt, die untergegangen ist, wieder lebendig, furchtbar lebendig. Unter seiner Hand verändert sich alles, wird auf eine bestürzende Weise echt.
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Wirken da wirklich Schauspieler in diesem Film mit?

Man vergißt es sofort. Da ist zum Beispiel der junge Wolfgang Preiß, der den Adjutanten des Admirals spielt. Man möchte wetten, daß Weidenmann ihn aus einem Offizierskasino geholt hat.

Da ist Martin Held als Heydrich. Der wirkliche Heydrich war anders, schlanker, schmaler, bläßlicher, ein Ästhet, der in stillen Nachtstunden Cello spielte, während er seine brutalen Verbrechen ausdachte.

Aber so wie Held müßte Heydrich eigentlich gewesen sein, wenn Menschen so aussähen, so agierten, wie sie sind. Der Heydrich von Held ist ganz Bösartigkeit, Vollblutschurkerei ohne Pathos, Gefährlichkeit des Schakals.
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Spielen Komparsen mit?

Niemals sind die Menschen auf den Straßen, die beklommen den letzten Rundfunkmeldungen lauschen, so lebendig geworden wie bei Weidenmann. Niemals hat auch die letzte Hintergrundsfigur so viel Wahrheit gehabt wie bei ihm. Es gibt ganze Passagen, da glaubt man, einen Dokumentarfilm zu sehen.

Die Regie ist so grandios, daß man sie überhaupt nicht mehr spürt. Und da ist O. E. Hasse. Es wurde schon gesagt: dieser Canaris sitzt immer hinter seinem Schreibtisch, allenfalls trinkt er einmal eine Tasse Kaffee, führt ein Telephongespräch, besteigt sein Auto, fährt ins Hauptquartier.

Selten hat ein Schauspieler in einem Film, dessen Titelrolle er verkörpert, so wenig zu spielen gehabt. Selten gab es weniger „Szenen" oder „Ausbrüche". Der Mann im Schatten bleibt auch im Drehbuch im Schatten. Und dann geschieht das Wunder.

Dieser Canaris wird lebendig. Er, der nicht sagen darf, ja, seinem ganzen Naturell nach gar nicht sagen kann, was er denkt, enthüllt sich uns dadurch, daß er das alles sagt, indem er es nicht sagt.

Der Mann im Schatten rückt ins Scheinwerferlicht. Das Schweigen wird beredt. Wir wissen alles von diesem Canaris, wir empfinden das Ungeheure des Zwiespalts in ihm, seine tragische Größe. Man frage nicht, wie O. E. Hasse das macht: es ist Zauberei.
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Es ist Schauspielkunst in höchster Vollendung.

Dafür lohnt es sich immer und immer wieder, ins Theater oder ins Kino zu gehen. Mit diesem einen Film stellt sich O. E. Hasse an die Spitze der Stars.

Er wird, insbesondere da der deutsche Film auf die Potenz eines Werner Krauß verzichtet, der Nachfolger des großen Albert Bassermann.

Wir blenden über zu O. W. Fischer in „Ludwig II."

Ein paar Wochen später kommt O. W. Fischer in dem ersten Film heraus, in dem er nicht nur der Partner einer Frau ist oder, wie er es formuliert, „die Hälfte des deutschen Liebespaares". In diesem Film, „Ludwig II.", gibt es nur eine Rolle, und das ist Ludwig II., gespielt von O. W. Fischer.

Gewiß, im Hintergrund sieht man auch Ruth Leuwerik als Kaiserin Elisabeth von Österreich umhergeistern, sieht man Marianne Koch als eine junge Prinzessin, die Ludwig II. beinahe, dann aber doch nicht heiratet, sieht eine Menge Intriganten und Höflinge und eine bemerkenswert interessante Studie des jüngeren Bruders von Ludwig - der schon sehr früh ins Irrenhaus muß - den in vieler Beziehung problematischen Schauspieler Klaus Kinski, der hier vortrefflich ist.
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......... der Rest ist O. W. Fischer.

Aber alle diese Schauspieler haben ein paar hundert Meter in diesem Film, der Rest ist O. W. Fischer. Und die Story ist eigentlich nicht ungeheuer dramatisch - man kennt ja das Leben dieses außerordentlichen Bayernkönigs, seine Freundschaft mit Wagner, seine Manie des Schlösserbauens, sein tragisches Ende im Starnberger See zusammen mit seinem Leibarzt.

Es gibt keine Überraschungen, es gibt kaum große Szenen, dazu fehlen ja die Partner - es gibt eigentlich nur Monologe. Manche haben die Form von Dialogen, manche sind ganz stumm, sie spielen sich gewissermaßen nur im Gesicht Ludwigs ab.

Hier ist O. W. Fischer der ganz große Schauspieler. Er ist es in den Ausbrüchen, er ist es in den Augenblicken, in denen er alles „zurücknimmt", in den stillen Szenen. Er überzeugt. Er erschüttert. Er reißt mit. Er läßt einen die unendlichen Längen dieses monologischen Films vergessen. Souveräne, perfekte Schauspielkunst.
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O. W. Fischer "verwechselt" die Rolle mit sich selbst

Freilich, hier sind gewisse Tendenzen des Künstlers O. W. Fischer spürbar, die ihm später arg zu schaffen machen werden. Sein Ludwig II. ist durchaus nicht der historische, auch nicht der Ludwig II., wie er im ursprünglichen Drehbuch gezeichnet war, wie Regisseur Helmut Käutner ihn auf die Leinwand bringen wollte.

Es ist ein außerordentlich veredelter Ludwig II., einer ohne Fehl, der nur Gutes tut und viel Böses erleidet. Warum hat man die Figur - die man natürlich in ihrer ganzen Problematik, insbesondere auch in ihren sexuellen Verirrungen nicht auf die Leinwand bringen konnte - so sehr verwandelt, um nicht zu sagen versüßlicht?

Der Wunsch des Hauptdarstellers! O. W. Fischer will gefallen. Welcher Schauspieler möchte das nicht? Aber er begeht bereits den entscheidenden Irrtum, die Rolle mit sich selbst zu verwechseln - und umgekehrt. Er will gefallen - und daher nur „sympathische" Rollen spielen. Wo doch gerade sehr oft die problematischen, ja die unsympathischen Figuren vom Schauspielerischen aus gesehen die interessantesten sind. Das wußte er einmal - er ist ja ein erster Schauspieler - das müßte er immer noch wissen. Aber das wird er in den nächsten Monaten und Jahren mehr und mehr vergessen.
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O. W. Fischer als Hellseher Hanussen - es wird kein Erfolg

Schon ein paar Monate später spielt er den Hellseher Hanussen - eine recht zwielichtige Gestalt, einen Mann, der viel Übles in seinem Leben getan hat. Eine reizvolle Figur für einen Schauspieler, gerade weil sich in ihm Böses und Gutes vereinen.

Aber O. W. Fischer wird nur den edlen Hanussen spielen, den es gar nicht gab, einen, der zu keiner Schlechtigkeit fähig war. Und es wird der erste Film sein, in dem er keinen wirklichen Erfolg hat.

Nicht, weil sich zu viele Menschen in Deutschland noch des wirklichen Hanussen erinnern und wissen, daß der gar kein feiner Mann war. Sondern ganz einfach, weil ein edler Hanussen nicht halb so interessant sein kann wie der Hanussen, der wirklich lebte, der voll von Widersprüchen war und sehr oft unendlich unsympathisch ...

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