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"Das gibt's nur einmal" - die Film-Fortsetzung 1945 bis 1958

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite dieses 2. Buches finden Sie hier.

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DIE SIEGER ENTSCHEIDEN

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Die Amerikaner, Engländer und Franzosen sind in Berlin

Längst sind die Amerikaner, Engländer und Franzosen in Berlin einmarschiert. Die Stadt wird viergeteilt. Und auch der deutsche Film wird viergeteilt. Die Siegermächte marschieren, auch was ihn angeht, getrennt.

Noch Ende Juli 1945 - die westlichen Alliierten sind also seit drei Wochen in Berlin - läßt die sowjetische Filmstelle in Karlshorst, die "SOJUSINTORG", den Direktor des Marmorhauses, Karl Jacob, kommen. Man teilt ihm mit, die Russen hätten mit dem Oberbürgermeister der Stadt Berlin, Dr. Werner -  der war eine raurige Marionette, die sie selbst einsetzten - einen Vertrag abgeschlossen und auf Grund dieses Vertrages sei das Marmorhaus (im Westen Berlins) auf zwanzig Jahre von den Sowjets gepachtet und dürfe nur russische Filme spielen.
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Auf zwanzig Jahre, nicht mehr ...

Die Russen sind wirklich bescheiden. Hitler sprach immer von tausend Jahren.

Jacob weigert sich als Leiter des Theaters, den Vertrag gegenzuzeichnen. Er sagt, er müsse sich erst orientieren, ob er ein Recht habe, so einen Vertrag zu unterschreiben.

Dazu brauche er Akten, die im Marmorhaus lägen. Er wird also in einem Jeep der Roten Armee zum Kurfürstendamm gefahren, flankiert von zwölf sowjetischen Soldaten, die ihn wieder zurückbringen sollen.

Ein guter Freund und bekannter alter Filmmann flüstert Jacob zu: „Dicke Luft! Sie dürfen nicht mehr nach Karlshorst zurück!" Jacob entflieht durch den Hinterausgang des Marmorhauses, eilt in die Bleibtreustraße, wo die britische Militärpolizei sitzt - der Kurfürstendamm liegt ja im britischen Sektor.

Nach wenigen Worten sind die Briten informiert. Der britische Major Coppock entsendet ein Kommando ins Marmorhaus. Die Russen müssen abziehen, das Haus wird auf drei Wochen geschlossen.

Dies ist der erste Zusammenprall der bisherigen Bundesgenossen in Berlin, der eigentliche Beginn des Kalten Krieges, um eines Kinos willen - noch vor dem Beginn der Konferenz von Potsdam.
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Die Konferenz von Potsdam am 4. August 1945

Die startet wenige hundert Meter entfernt von dem einstigen UFA-Gelände in Babelsberg, am 4. August 1945.

Zwei Tage später amerikanisches Ultimatum an Japan: entweder bedingungslose Kapitulation oder Abwurf einer Atombombe. Da die Kapitulation nicht erfolgt, wird die Atombombe über Hiroshima abgeworfen. Japan kapituliert.

In Hamburg tritt im Carl-Hagenbeck-Zelt Willy Fritsch in der Revue 'Liebes-Expreß' auf und singt seine alten Tonfilmsdilager. Unter anderem: „Das gab's nur einmal, das kommt nicht wieder ..."

Lil Dagover spielt in einem Harvestehuder Behelfstheater „Finden Sie, daß Constanze sich richtig verhält?"

Inzwischen sind im amerikanischen Hauptquartier entscheidende Beschlüsse über den deutschen Film gefaßt worden. Man kann die Dinge nicht einfach treiben lassen. Man muß die Entwicklung steuern. Dazu sind Persönlichkeiten nötig. Am besten wäre es schon, wenn man einen mit den deutschen Verhältnissen vertrauten Mann herüberschicken könnte.

Die Wahl fällt auf den Deutschamerikaner Billy Wilder.

Wir erinnern uns: Billy Wilder schrieb als blutjunger Journalist das Drehbuch für „Menschen am Sonntag", den avantgardistischen Film, der den Cutter Erobert Siodmak als Regisseur bekannt machte.

Billy Wilder ist ein berühmter Filmschriftsteller und Filmregisseur in Amerika geworden - einer der berühmtesten. Er erklärt, er wolle sich die Sache überlegen, wird in eine Uniform gesteckt und fliegt nach Berlin.

Schon nach wenigen Tagen weiß er: er wird nicht in Deutschland bleiben. Er sieht sich nur ein paar Tage um - und bekommt die Idee zu einem Spionagefilm, den er ein Jahr später mit Marlene Dietrich in der Hauptrolle drehen wird: „A Foreign Affair".

Der Titel ist in seiner Doppelsinnigkeit nicht übersetzbar. A Foreign Affair bedeutet gleichzeitig eine außenpolitische Affäre und eine Liebesaffäre im Ausland ...
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Eine Kulturkommission entscheidet über Verbote

Billy Wilder ist schon nach ein paar Wochen wieder aus Berlin fort. Einige Offiziere, die mehr oder weniger - meist weniger - von Deutschland und vom deutschen Film verstehen, bekommen ziemlich freie Hand.

Und was nun die Filme angeht, die alten Filme, die früher gespielt worden sind, und die Überläufer: jeder einzelne von ihnen wird jetzt unter die Lupe genommen. Zensur!

Freilich nur für die deutschen Filme. Was die ausländischen Filme angeht, so heißt es in dem Beschluß der Alliierten Kommandantur vom 9. August 1945: „Auf Grund eines Berichtes der Kulturkommission haben die alliierten Kommandanten bestimmt, daß die Kontrolle über die Bühnen- und Lichtspielunternehmen durch die Kommandanten der amerikanischen, englischen, französischen und russischen Zone auf dem von ihnen kontrollierten Territorium durchgeführt wird.

Filme, die in alliierten Ländern erschienen sind, werden ohne Zensur vorgeführt. Durch besondere Verleihanstalten wird ein Filmaustausch zugelassen, um die Möglichkeit zu haben, beliebige Filme, die durch die Alliierten in den Kinos alier Besatzungsmächte herausgebracht worden sind, vorzuführen."
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Viele deutsche Filem werden (erstmal) verboten

Von den deutschen Filmen werden recht viele verboten - darunter zum Teil alte, bereits in der Vor-Hitler-Aera gedrehte - wie:

„Das Flötenkonzert von Sanssouci" aus dem Jahre 1930, „York" und „Marschall Vorwärts" aus dem Jahre 1932.

Aus der Hitlerzeit werden natürlich zahllose Filme verboten, darunter: „Hitlerjunge Quex" mit Heinrich George, „SA-Mann Brandt", „Der alte und der junge König", „Fridericus" (der von 1936), natürlich auch der Schand-Film „Jud Süß", „Die Rothschilds", „Carl Peters", „Ich klage an!", „Ohm Krüger" und „Kolberg".

Aber es kommt auch zu völlig absurden Verboten - und niemand weiß recht, warum. So wird zum Beispiel „Liebelei" verboten, ein Film nach dem Drama von Arthur Schnitzler - den Max Ophüls, einer der ersten Emigranten, inszenierte, oder „Das Mädchen Johanna", „Der Herrscher" mit Emil Jannings, „Heimat" mit Zarah Leander, „Tanz auf dem Vulkan" mit Gustaf Gründgens, „Friedrich Schiller" mit Horst Caspar.

Ja, sogar der Film „Münchhausen" mit Hans Albers kommt auf die Verbotsliste, weil die Russen finden, daß die große Katharina zu schlecht dabei wegkomme. Ach, die Russen haben eben gar keinen Humor ...

Veit Harlan war ein kleiner Nazi - vor 1945 - dann nicht mehr ?

Später wird sich herausstellen, daß die Verbote nicht für die Ewigkeit gedacht waren. Die Produzenten und Regisseure, die hartnäckig genug sind, bekommen ihre Filme ohne größere Schwierigkeiten frei.

Ein typisches Beispiel dafür: Veit Harlan. In den nächsten Jahren werden die freigegebenen Harlan-Filme sogar einen großen Prozentsatz der überhaupt freigegebenen Filme bilden. Selbst seine 'Goldene Stadt' wird wieder laufen dürfen, obwohl der Verfasser des Stückes, Richard Billinger, mindestens ebenso belastet ist wie sein Regisseur . . .
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Für Filmschaffende - ein Fragebogen mit 131 Fragen

Im amerikanischen Hauptquartier in Bad Nauheim wird beschlossen: Jeder Deutsche, der mit dem Film zu tun hatte, muß erst einmal den Fragebogen mit 131 Fragen beantworten, damit man weiß, wer er ist.

Und am 16. August wird in der amerikanischen Zone offiziell bekanntgegeben, daß kein Deutscher ohne Genehmigung der Militärregierung einen Film schreiben, spielen, inszenieren, drehen, ja, daß er nicht den kleinsten, den unbedeutendsten Handgriff in einem Atelier machen darf - bis auf weiteres.

„Der deutsche Film", sagen ja die Alliierten, „gehörte nicht weniger als Kohle, Eisen, Stahl und Großchemie zu Hitlers Unter drückungs- und Eroberungsapparat." Die Schauspieler werden besonders scharf unter die Lupe genommen.
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Hans Albers, Gustaf Gründgens, Karl Ludwig Diehl, und andere

Gewiß, es gibt Schauspieler und Schauspielerinnen, von denen man selbst im Ausland weiß, seit Jahren gewußt hat, daß sie gegen das Dritte Reich eingestellt waren. Zu ihnen gehört Hans Albers, der niemals den geringsten Kompromiß mit Hitler schloß.

Gustaf Gründgens, der seine Stellung als Intendant von Görings Gnaden täglich, stündlich dazu ausnutzte, den Bedrängten zu helfen. Karl Ludwig Diehl, der in jedem Sinne ein Mann des Widerstandes war.

Helmut Käutner und Harald Braun, die das Regime haßten. Victor de Kowa, der aktiv Widerstand leistete, ebenso wie Karl John und Hans Söhnker. Henny Porten, die mit einem Juden verheiratet ist. Erich Engel, der dem Regime in jeder Beziehung unsympathisch war und nur gehalten wurde, weil die einflußreiche Jenny Jugo sich für ihn einsetzte.

Andere erleiden unverdientermaßen Schwierigkeiten, unter ihnen Wolfgang Liebeneiner, den man zwar anfangs in Ruhe läßt, der aber später unzählige Verhöre über sich ergehen lassen muß.

Man will einfach nicht glauben, daß ein Mann, der nicht in der Partei war, im Dritten Reich eine so große Stellung erringen konnte. Oder Willy Fritsch, der das Pech hatte, von den Nazis bewundert zu werden.

Oder Emil Jannings, der sich freilich trotz aller Vorsicht von Goebbels einmal verleiten ließ, einen Propagandafilm zu spielen.
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Es gab natürlich auch andere ....

Es gibt andere, die als belastet angesehen werden müssen. Da ist auch Thea von Harbou, eine hochbegabte und dennoch begeisterte Nationalsozialistin (die Eexfrau von Fritz Lang), die allerdings, wenn auch zu spät, begriffen hat, mit wem sie sich da einließ.

Oder Leni Riefenstahl, eine begeisterte Bewunderin von Hitler, wenn auch wohl niemals seine Geliebte, als die man sie verklagen wird.

Oder da ist Lida Baarova, die einstige Freundin von Goebbels. Veit Harlan, Liebiingsregisseur von Goebbels und verantwortlich für einen der bösesten Filme, die je gemacht wurden. Heinrich George, der große Umfaller, der, ähnlich wie die Harbou, zuletzt begriff, daß er auf der falschen Seite stand und bereit ist zu sühnen, nicht ahnend, wie emsig gewisse Leute zehn Jahre nach seinem Tode dies alles umfälschen werden.

Und Ida Wüst, nicht die größte von allen, weder menschlich noch künstlerisch, die im Dritten Reich vergessen konnte, mit wem sie vor Hitlers Machtergreifung gelebt hatte, wem sie alles verdankte (wo ist das jetzt genauer erklärt ??), und die wohl noch damals Ehrenmitglied des BdM geworden wäre, hätte es dafür nicht eine Altersgrenze gegeben.
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Alle Schauspieler werden also überprüft

Alle Schauspieler werden also überprüft, die bösen und die guten, die belasteten und die unbelasteten. Sie alle müssen die 131 Fragen ihres Fragebogens beantworten, und wenn sie etwas falsch beantworten, weil sie Furcht haben, ihre Vergangenheit zuzugeben, so werden sie wegen Fragebogenfälschung verhaftet.

Viele werden verboten, viele, die es nicht besser verdienen, werden vorübergehend verboten; andere, die betriebsam sind und nicht locker lassen und irgendwelche entlastenden Zeugen anschleppen, kommen schließlich als unbelastet mit einem blauen Auge davon. Die Gerechtigkeit urteilt mit der ihr eigenen problematischen Sehschärfe.

Der große französische Schriftsteller Anatole France hat einmal gesagt, das Recht sei für alle gleich, es verbiete Armen wie Reichen unter Brücken zu übernachten oder Brot zu stehlen. So ist es auch jetzt.

Entscheidend dafür, welcher deutsche Schauspieler spielen darf und welcher nicht, ist, ob einer in der Partei war, nicht warum er drin war, nicht, daß er vielleicht gezwungen hineinging - oder um anderen zu helfen.

Entscheidend ist, ob einer in einem bestimmten Film mitgespielt hat. Nicht daß er es tat, weil er sonst verhungert wäre ...
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Und wie im ganzen Reich, nur ganz wenige waren in der Partei

Aber alles in allem müssen die Filmoffiziere der Russen, der Engländer, der Amerikaner doch feststellen: es ist erstaunlich, wie wenige Schauspieler in der Partei waren, daß es kaum wirkliche Nazis unter ihnen gab, erstaunlich, da doch der deutsche Film, wie die Sieger proklamieren, 'nicht weniger als Kohle, Eisen und Großchemie zu Hitlers Unterdrückungs- und Eroberungsapparat' gehörte.

Übrigens sind die ersten Entscheidungen darüber, wer erlaubt und wer verboten wird, keineswegs endgültig. Die Amerikaner zum Beispiel werden besonders die Regisseure und Produzenten, die sie einsetzen wollen, noch öfters 'überprüfen', sie werden sie zum Screening (zur politischen Durchleuchtung) nach Bad Orb verfrachten, werden sie dort drei Tage lang unaufhörlich befragen, werden ihnen zahllose Fallen stellen. Man muß schon sehr klug sein, um alle diese Prüfungen zu überstehen.
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DIE SIEGER MACHEN GESCHÄFTE

Der erste Friedenssommer 1945 geht zuende .....

Schon neigt sich der erste Friedenssommer seinem Ende zu. Seit Jahren, ja, man darf wohl sagen: seit „tausend Jahren" hat man in Deutschland nicht mehr so viele ausländische Filme sehen dürfen wie in den letzten Wochen.

Frankreich, die Vereinigten Staaten, England, sie alle schicken ihre Filme ins besiegte Land. Böse Zungen behaupten, das habe geschäftliche Gründe. Wie dem auch sei, die Deutschen, insbesondere die Berliner, bekommen zahllose Filme zu sehen, wenn auch nicht immer die besten, bekommen Schauspieler zu sehen, von denen man nicht wußte, daß sie existieren, obwohl sie seit zehn Jahren den Weltmarkt beherrschen.

Die Russen, die Amerikaner, die Engländer, die Franzosen schicken ihre Filme.
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Die Sprache und nochmals die Sprache

Aber sie begreifen bald, daß es überhaupt keinen Sinn hat, sie im Original, und wenig Sinn, sie mit Untertiteln laufen zu lassen.

Die Berliner, die Hamburger, die Münchner, die Düsseldorfer verstehen allenfalls noch etwas Englisch oder Französisch. In den kleineren Städten ist das nicht der Fall.

Und Russisch spricht überhaupt niemand, oder jedenfalls gibt es so wenig Leute in Deutschland, die Russisch verstehen, daß es völlig sinnlos wäre, die russischen Filme im Original herauszubringen. Die Russen erkennen das sofort.

Auch ein paar deutsche Filmleute sehen hier eine Chance. Verhandlungen im sowjetischen Hauptquartier in Karlshorst, Die ersten Synchronisationsaufträge werden erteilt.
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Was bedeutet synchronisieren?

Schauspieler etwas auf Deutsch sagen zu lassen, was russische Schauspieler in einem Moskauer oder Leningrader Atelier auf Russisch gesagt haben. Es darf nicht länger und nicht kürzer sein. Es muß so sein, daß die Lippenbewegungen der Schauspieler zum neuen Text passen.

Dies gilt allerdings nur für die Rollen ohne Bart - und da in russischen Filmen viele Männer mit Bart vorkommen, wird es sich bald herausstellen, daß russische Filme viel leichter zu synchronisieren sind als etwa französische oder englische.
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Der Regisseur Eugen York spricht russisch ....

Der Mann, der sich hier besonders hervortut, ist der Regisseur Eugen York. Er ist um diese Zeit etwa dreißig, er hat den Kopf eines Intellektuellen. Er hat den meisten seiner Landsleute etwas voraus: er spricht und schreibt auch perfekt Russisch.

Denn die Mutter war Russin. York wollte immer zum Film. Er wußte nur nicht recht, was er dort tun sollte. Er kam aus der Schule Walter Ruttmanns, der den unvergeßlichen Berlin-Film machte. Damals war der blutjunge York noch Cutter.

Jetzt also kommt seine große Chance, denn er kann die russischen Filme, die den anderen Bücher mit sieben Siegeln bleiben, auf Anhieb verstehen. Er kann den deutschen Text schreiben und. Regie führen.
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Eine Unmenge russischer Filme werden synchronisiert

In diesen ersten Wochen und Monaten werden, wie die Sowjets später stolz feststellen, eine Unmenge russischer Filme synchronisiert.

„Biographische Filme" und „Verfilmte Werke der Literatur" und „Filme des sowjetischen Alltags" und „Filmkomödien" und „Spielfilme" wie zum Beispiel jener „Um sechs Uhr abends nach dem Krieg", der unsynchronisiert in der „Kurbel" lief und von niemandem verstanden wurde, ja, sogar „Jugendfilme" und „Dokumentarfilme" - darunter ein Film „Berlin", ein Film „Wien ist wieder frei", ein Film „Der Sieg im Süden" und einer „Die Zerschmetterung Japans", woran die Sowjets nun wirklich keinen Anteil hatten.

Aber am weitaus wichtigsten sind die Filme, die mit der „Geschichte der Sowjetunion" zu tun haben, die „Filme aus der Geschichte des revolutionären Rußlands" und die „Stalingrad-Filme". Ja, und beinahe hätten wir es vergessen:

Es gibt eine besondere Rubrik „Der Feiertag der Werktätigen der Sowjetunion im Film". Diese Filme sind der jeweiligen Mai-Parade gewidmet. Die Mai-Parade in Moskau 1945 wird schon im Juli des gleichen Jahres synchronisiert. Die Mai-Parade 1946 schon im Juni 1946, die Mai-Parade 1947 allerdings erst im August 1947.
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Zwei Männer spielen große Rollen: Lenin und Stalin

In allen oder doch fast allen diesen Filmen spielen zwei Männer große Rollen: Lenin und Stalin. Zumindest der Letztere. Erst später werden die sowjetischen Filmoffiziere begreifen, welch schreckliche Fehler sie machten, als sie dem verabscheuungswürdigen 'Personenkult' huldigten.

Aber vorläufig ist es noch nicht so weit. Vorläufig werden die Stalin-Denkmäler noch nicht zertrümmert, sie werden ja erst errichtet. Auch die Filme, die Eugen York synchronisiert, sind Denkmäler.

Und wer "spricht" (synchronisiert) nun diesen schrecklichen, den verabscheuungswürdigen, aber damals von verblendeten Menschen noch für verehrungswürdig gehaltenen Stalin?

Carl Raddatz ist die deutsche Stimme von Stalin

Kein anderer als Carl Raddatz. Ja, der gleiche Raddatz, der um ein Haar im Dritten Reich verhaftet worden wäre, weil er doch so vorzüglich den Propagandaminister Goebbels nachahmen konnte und nachahmte, einmal zu oft nachahmte, nämlich auf einem Fest im Haag in Gegenwart des dortigen Gauleiters Seyss-Inquart.

Carl Raddatz hat das Kriegsende in Glienicke, einem Vorort von Berlin, überstanden, in welchem er ein Häuschen besitzt. Nebenan ist die Villa der bekannten Filmschauspielern! Olga Tschechowa.

Die erhält alsbald hohen Besuch. Ein General, dessen Brust und Bauch mit Orden behängt sind, erscheint, sieht sich ihre Villa an und will sich totlachen. „Ist das alles, was Dirr Hitlerr geschenkt hat?" Die R's rollen.
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Olga Tschechowa hat die Villa ehrlich erworben

Die Tschechowa protestiert. Hitler hat ihr keineswegs die Villa geschenkt. Die hat sie sich ehrlich erworben. Sie gehört schließlich seit zwanzig Jahren zu Deutschlands prominentesten Filmschauspielerinnen.

Aber der Russe ist wenig beeindruckt. Er schüttelt den Kopf: „Bei uns hättest Du greßere Villa! Ganz große Villa! Bei uns Schauspielerinnen in Luxus leben!" Dann erwähnt er, daß die Knipper-Tsdiechowa kürzlich eine große Staatsprämie erhalten habe, „Chat Vetterchen Stalin persennlich ibberreicht."

Die Knipper-Tschechowa, die Frau des großen Anton Tschechow, ist der ehemalige Star des Moskauer Künstler-Theaters, als es noch unter der Leitung von Stanislawskij stand. Der sowjetische General spricht noch viel von der Knipper-Tschechowa, von der beneidenswerten Rolle der Künstler in der Sowjetunion - und dann geht er.

Aber er läßt eine Wache zurück. Denn wenn auch Olga Tschechowa von Stalin keinen Preis erhalten hat - immerhin ist sie die Schwiegertochter des großen Anton Tschechow und eine geborene Russin, also darf ihr nichts geschehen!
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Also wird sie Tag und Nacht bewacht .... bis .....

Also wird sie schließlich zu dem Oberkommandierenden der Russen in Berlin, Marschall Shukow, zum Essen eingeladen. Sie kehrt aber nicht von dieser Einladung zurück. Nicht in dieser Nacht. Nicht am nächsten Tag. Am nächsten Tag erscheint vielmehr ein Adjutant Shukows bei Raddatz.

Er und seine Frau sollen für die Tschechowa einen Koffer mit Kleidern und Wäsche packen. Mehr sagt er nicht. Und um diese Zeit halten es die meisten Deutschen, ja, selbst prominente Filmschauspieler für besser, ihre russischen Befreier nicht allzu viel zu fragen.

Raddatz erfährt also nicht, ob die Tschechowa von Stalin eine Villa bekommen hat, wie ihre ehrwürdige Schwiegermutter, oder ob sie in ein Lager verschleppt worden ist. Er packt. Adjutant plus Koffer verschwinden.

Die Tschechowa kommt nicht wieder, nicht am Ende der Woche. Nach sechs Wochen erscheint sie. Olga Tschechowa sieht ganz verändert aus. Blaß und aufgedunsen, ihre Kleider sind schmutzig, ja geradezu abgerissen ...

Raddatz soll Goebbels nachahmen .......

Während die Tschechowa noch fort ist, erscheint eines Abends ihre Tochter Ada bei Raddatz, neben ihr ein hoher sowjetischer Offizier. Er trägt eine seidene Russenbluse mit Goldachselstücken und Schaftstiefeln aus rotem Saffianleder.

Er ist ungemein elegant, ausgezeichnet rasiert, ja sogar manikürt. Es stellt sich heraus, daß er Konstantin Simenow ist, ein berühmter Autor, der später das sehr schlechte und dazu üble antiamerikanische Theaterstück „Die russische Frage" schreiben wird.

Simenow ist ganz Weltmann. In leicht gebrochenem Deutsch erklärt er: „Ich habe viel von Ihnen gehört, Herr Raddatz. Sie sollen Goebbels so großartig nachahmen ..."
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Ich bin zu schwach! Ich habe Hunger!

Es bleibt Raddatz nichts anderes übrig, als ins sowjetische Offizierskasino mitzukommen. Raddatz sagt: „Ich kann Goebbels nicht nachahmen! Ich bin zu schwach! Ich habe Hunger!"

Ein Wink des berühmten Autors und Raddatz erhält zu essen.
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Es dauert eine Weile, bis er den Mund wieder zum Zweck der Rede öffnet. Er fragt ganz beiläufig: „Ist es nicht schon sehr spät?" Er tut, als wolle er auf seine Armbanduhr sehen und zuckt dann resigniert die Achseln: „Ich vergaß, daß sie weg ist."

Wortlos reicht der berühmte russische Autor ihm seine kostbare Armbanduhr - sie ist allerdings ein paar Tage später ebenfalls weg.

Raddatz imitiert jedenfalls Goebbels zum letzten Mal.

Und dann synchronisiert er Stalin. Die Russen, die diesen Vorgang überwachen, benehmen sich, als ob sie sich in der Kirche befänden. Stalin zu verkörpern, ist - damals noch - eine besondere Ehre. Raddatz pfeift auf die Ehre.

Aber was tut man nicht für zweihundert Reichsmark und einen Teller Suppe? Übrigens .... Lenin wird von O. E. Hasse gesprochen. Um diese Zeit ein außerordentlich beliebter Schauspieler in Berlin. Als Filmschauspieler ist er noch unbekannt.
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POMMER KEHRT ZURÜCK

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Die Russen überschwemmen mit ihren Filmen den Markt.

Da kommen die anderen Sieger gar nicht mit. Nicht, daß es an Bemühungen fehlte! Die amerikanischen Film-Offiziere zum Beispiel, die wenig oder nichts vom deutschen Film verstehen, sitzen in den Bädern Homburg und Nauheim und halten Sitzungen am laufenden Band ab.

Wie ist es möglich, die Deutschen auf der einen Seite zu bestrafen, respektive umzuerziehen, auf der anderen Seite aber dahin zu kriegen, amerikanische Filme anzusehen?

Es wird der Filmverleih gegründet, der amerikanische und deutsche Filme an die Theaterbesitzer weiterleiten soll.
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Hans W. Kubaschewski vom Ex-UFA-Filmverleih

Die Bedingung: 50:50. Hans W. Kubaschewski, ein alter Fachmann, - er leitete den UFA-Filmverleih von Berlin und dem Gebiet zwischen Elbe und Oder sowie Ostpreußen - wird von den Amerikanern an die Spitze gestellt.

Er ist gescheit, schnell und - was den Amerikanern zu diesem Zeitpunkt das Wichtigste ist - charakterlich und politisch über jeden Zweifel erhaben. Aber das alles sind Improvisationen, Übergangsgeschäfte. Schließlich muß es ja früher oder später wieder einen deutschen Film geben!

Vielleicht glauben gewisse Männer im amerikanischen Hauptquartier, daß es nie wieder einen geben muß.

Jedenfalls hoffen sie es und tun dazu, was sie können. Bedingungslose Kapitulation kann nicht bedeuten, daß dem Besiegten immer neue Bedingungen gestellt werden. Jeder, der mehr als ein paar Wochen in Deutschland zugebracht hat, selbst in diesem frierenden, hungernden und in jeder Beziehung geschlagenen Deutschland, weiß es.

Es kommt also darauf an, den Mann zu finden, der die Entwicklung der kommenden Jahre in die richtigen Bahnen lenken kann. Billy Wilder hat abgewinkt. In Washington berät man. Wer käme in Betracht? Fritz Lang? Der scheint, zumindest im Augenblick, nicht interessiert. Schließlich fällt der Name Erich Pommer.
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Erich Pommer . . .

Der wichtigste Mann des deutschen Films während der zwanziger Jahre, der Mann, ohne den Murnau und Berger nicht möglich gewesen wären, der den „Dr. Caligari" produzierte und die großen Janningsfilme, der das Liebespaar Willy Fritsch und Lilian Harvey gewissermaßen erfand, und die Tonfilmoperette ... Ja, was ist eigentlich aus Erich Pommer geworden?

Er gehörte zu den ersten, die Deutschland verließen, als die Nazis an die Macht kamen. Wenn es nach den damaligen Machthabern (beser : den Dirketoren) der UFA gegangen wäre, wäre Pommer auf seinem Posten (als Produzent) geblieben.

Aber Generaldirektor Klitzsch und Geheimrat Hugenberg waren schwächer als Goebbels. Übrigens wollte nicht einmal Goebbels Pommer ganz in Deutschland missen, dazu verstand der Propagandaminister doch zu viel vom Film. Aber Pommer wollte nicht als Geduldeter bleiben. Er ging nach Paris.

Er produzierte „Liliom" nach dem berühmten, von Hans Albers so oft verkörperten Molnarschen Theaterstück. Charles Boyer, damals noch fast unbekannt im Film, spielte die Hauptrolle.

Dann ging Pommer nach Amerika ........

Er arbeitete bei der Fox, hatte Erfolg, hatte Mißerfolge. 1936 war er in London, gründete die Mayflower Company, deren Zweck es vor allem war, Charles Laughton herauszustellen, in dem Pommer - mit Recht - einen zweiten Jannings vermutete. Es ging ihm gut.

Aber der alte große Pommer, der er in Berlin gewesen war, wurde er weder in Hollywood noch in London. Die meisten Emigranten konnten in den Ländern, in denen sie Asyl fanden, ihren Beruf nicht ausüben und mußten irgendwelche Arbeit verrichten, nur um ihr Leben zu fristen. Zu denen gehörte Pommer nicht. Er war immer ein gesuchter Produzent.

Aber der Unterschied zu den früheren Zeiten war allen denen sichtbar, für die ein Swimming Pool oder ein wöchentlicher Scheck über ein paar tausend Dollar nicht der Inbegriff allen Glücks auf Erden ist.
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Für den Künstler Pommer war Geld nicht alles ....

In Berlin war Pommer nicht nur ein Produzent, er war der Produzent gewesen. Der deutsche Film verdankte vor allem ihm seine Weltgeltung. Denn die Welt - und dies ist sehr wichtig - will keine Filme aus Paris, die in Hollywood hätten gedreht werden können, keine Filme aus Hollywood, die vielleicht besser in Italien hätten entstehen können.

Sie will Filme, die typisch für das Land sind, in dem sie entstanden. Die Welt wollte aus Deutschland deutsche Filme, und Erich Pommer war deutsch.

In Deutschland konnte er sich selbst beweisen. In Paris, London und Hollywood konnte er nur beweisen, daß er sein Handwerk verstand.
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Der Name Erich Pommer ist in Washington gefallen.

Also nicht an der Westküste in Hollywood. Man fragt bei ihm an. Wäre er bereit, nach Deutschland zurückzugehen? Was mag wohl in Pommer vorgehen, als er die Anfrage erhält? Nach Deutschland zurück?

In das Land, in dem er mehr als die Hälfte seines Lebens verbracht hat, in dem er half, eine neue Industrie aufzubauen? In das Land, das er verlassen mußte, weil er Jude ist und weil die Juden plötzlich Staatsbürger zweiter Ordnung wurden?

Freunde raten ihm ab. Er ist nicht mehr der Jüngste. Seine Gesundheit ist nicht die beste. In Deutschland wird er zahllosen Strapazen ausgesetzt sein, selbst als amerikanischer Offizier.

Pommer hört sich das alles an. Die Warnungen machen keinen großen Eindruck auf ihn. Er wird die Strapazen auf sich nehmen. Aber da ist noch etwas anderes. Hat es einen Sinn, daß er nach Deutschland geht? Kann er dort vernünftig arbeiten?

Werden nicht seine vorgesetzten Stellen jeden Versuch, etwas aufzubauen, mit Mißtrauen und Mißgunst betrachten, wenn nicht geradezu sabotieren? Pommer telegraphiert nach Washington:
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„Bereit nach Deutschland zu gehen."

Irgendwie sickert die Nachricht nach Deutschland durch. Niemand wird später sagen können - wie das geschieht. Aber bald steht fest: alle, die in Deutschland mit Film zu tun haben, sind entzückt, daß Erich Pommer zurückkommt.

Fürchtet man denn in Deutschland gar nicht, daß Erich Pommer mit Ressentiments zurückkehren könnte? Daß er denen gegenüber, die ihn nach Hitlers Machtergreifung nicht mehr kannten, Rachegefühle verspürt?

Daß er sich als Amerikaner fühlen wird, der er ja schließlich geworden ist? Nein, keine Spur von Mißtrauen gegen Erich Pommer von deutscher Seite. Und wenn jemals ein Mann so viel Vertrauen verdient hat, dann ist es Erich Pommer.

Er fühlt keine Ressentiments, er will keine Rache nehmen. Er kommt auch nicht, um für größtmöglichen Export amerikanischer Filme nach Deutschland zu sorgen. Er will wirklich helfen, den deutschen Film aufzubauen, wie er das schon einmal getan hatte.
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Er weiß, der Anfang wird schwer sein.

Noch ist er in Hollywood, aber seine Gedanken weilen bereits in Deutschland. Er weiß, der Anfang wird schwer sein. Er weiß, es wird lange, sehr lange dauern, bis Deutschland wieder Filme produzieren kann.

Pommer ist ein alter Fachmann. Und obwohl er als Fachmann nicht unterschätzt, was in Deutschland vorhanden ist: das Reservoir an ersten Schauspielern, der künstlerische Wille, der verzweifelte Wille, auch unter den schwierigsten Umständen Filme zu machen - der noch auf harte Proben gestellt werden wird -, weiß er doch besser als irgendeiner: zum Filmen braucht man Ateliers, Strom, Kopieranstalten, Rohfilm. -

Theater spielen kann man in einer Scheune, in einem Keller, ohne Vorhang, ohne Dekoration, ohne Schminke. Zum Filmen sind bestimmte technische Voraussetzungen nötig. Und es wird lange dauern, bis diese technischen Voraussetzungen in Deutschland wieder vorhanden sind.

Das weiß Pommer in Hollywood seltsamerweise besser, das sieht er klarer als die Filmkundigen in Berlin und München ...

Und Pommer sieht weiter als sie.

Welche Filme sollen denn gedreht werden, wenn es einmal so weit ist? Hat es Sinn, noch einmal in den Fehler zu verfallen, den Goebbels gemacht hat?

Soll man wieder Propagandafilme drehen? Diesmal mit umgekehrten Vorzeichen? Nein, keine Propagandafilme! Der demokratische Gedanke muß sich in Deutschland durchsetzen, weil er wert ist sich durchzusetzen.

Propaganda gegen die Hitlerei? Nein! Wenn es nach Pommer geht, wird sich der deutsche Film vorläufig überhaupt nicht mit der Vergangenheit beschäftigen. Er soll sich mit der Gegenwart beschäftigen und vor allem mit der Zukunft.

„Der Film soll das 'Morgen' sehen, ohne in plattem Optimismus zu machen!" sagte Pommer.
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