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"Das gibt's nur einmal" - die Film-Fortsetzung 1945 bis 1958

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite dieses 2. Buches finden Sie hier.

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VIERTER TEIL • DER WESTEN HOLT AUF

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POMMER IST DA!

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Wieder ein Brief Lindemanns an die Russen. „Pommer ist da!"

Ein Brief? Ein Hilfeschrei - ein Angstschrei:

  • „Pommer ist da!"
    „Werter Genosse Dymschitz! Leider muß ich Sie wieder nach längerer Zeit wegen äußerst wichtiger Ereignisse belästigen.
    Die Arbeit in den anderen Zonen hat seit kurzem begonnen, wobei das wichtigste Ereignis der letzten Tage das Erscheinen von Erich Pommer in den Tempelhofer Betrieben ist. Es war uns schon seit einigen Wochen klar, daß von den Amerikanern eine entscheidende Sache in Vorbereitung ist und daß die Amerikaner jetzt planmäßig dazu übergehen, den Aufbau der DEFA mit allen Mitteln zu stören. Es geht jetzt auf keinen Fall mehr, daß wir wegen jeder 50.000 RM endlose Verhandlungen mit Sowexport führen müssen, sondern es muß jetzt - und das so schnell wie möglich - das gesamte Aktienkapital der DEFA übergeben werden.
    Es geht tatsächlich nur noch um Tage; denn wenn wir jetzt unseren Vorsprung nicht halten können, besteht die Gefahr, daß sich die Kapazitäten der Filmproduktion der amerikanischen Gruppe zuwenden. Sollte dieses eintreten, würden wir auf keinen Fall unseren politischen Pflichten genügen. Wir haben Gelegenheit, mit bekannten Autoren und Schauspielern feste Verträge abzuschließen, wenn wir die finanzielle Basis dazu erhalten."

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Die Maske ist gefallen.

Zuerst war immer nur von Kunst die Rede und davon, daß man Künstlern in ihr Handwerk nicht dreinreden dürfe. Jetzt plötzlich ist von Politik die Rede.

Gut, sogar künstlerische Filme sollen gemacht werden - um den politischen Pflichten zu genügen. Gute künstlerische Filme, die besser sind, noch künstlerischer als die der Konkurrenz. Und dazu ist Geld nötig. Zum Kriegführen gehört auch in der Filmindustrie Geld, Geld und noch einmal Geld.

Und es ist ein Krieg entbrannt - ein kalter Krieg um die deutschen Schauspieler, Regisseure, Autoren - lange bevor der Begriff des kalten Krieges überhaupt geschaffen werden wird.
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THIERY

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Thiery, ehemals ein Ingenieur bei Siemens ......

Im Februar 1946 wird endlich der Mann gefunden, der das Filmgelände Geiselgasteig zu betreuen vermag. Das ist Fritz Thiery.

Thiery, groß, schmal, rothaarig, mit einem gescheiten Gesicht, war ursprünglich Ingenieur bei Siemens, entwickelte dort die Tonapparaturen und ging dann zur UFA, weil es dort ja niemanden gab, der sich mit Tonapparaturen auskannte.

Er war es, der damals auf Geheiß von Ernst Hugo Corell nach Budapest fuhr, um den Stummfilm „Melodie der Liebe" auf Ton umzustellen. Er war es, vor dessen Apparaten Willy Fritsch noch mehr Angst hatte als vor dem Pferd, mit dem er spielen mußte.

Er war Tonmeister in zahllosen Filmen, wechselte schließlich zur Regie über, führte schon Dialogregie bei „Münchhausen". Bei Kriegsende befand er sich gerade zu Außenaufnahmen in Memmingen.
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Thiery hatte sehr lange BBC gehört und wußte, was er wollte

Das war beileibe kein Zufall. Er hatte sich, mit der Landkarte in der Hand und mit den jeweiligen Nachrichten der BBC noch im Ohr, eine Stelle ausgesucht, wo er den Amerikanern in die Hände fallen mußte. Thiery war ganz genau orientiert darüber, wohin die Amerikaner, die Russen, die Engländer, die Franzosen marschieren würden.

Ein paar hundert Meter weiter - und Thiery wäre französisch „besetzt" worden. Das aber wollte er keineswegs. Im übrigen war er Pessimist und überzeugt davon, daß es nie wieder einen deutschen Film geben würde. Er spielte mit der Idee, Landwirt zu werden.
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Ein Mr. Kennedy aus Geiselgasteig

Sein Pessimismus schien mehr als gerechtfertigt, als plötzlich Mr. Kennedy aus Geiselgasteig auftauchte, die Apparaturen Thierys beschlagnahmte und entführte.

Dann wurde Thiery selbst entführt, das heißt, der amerikanische Filmoffizier in Stuttgart legte ihm nahe, zu ihm zu kommen.

Thiery ging also nach Stuttgart. Von dort wurde er wieder entführt, und zwar zu den Amerikanern nach Bad Homburg, wobei man ihn dort auf Herz und Nieren prüfte. Man stellte fest, daß er politisch in Ordnung war. Dann schlug man ihm vor, eine Produktion in Stuttgart aufzubauen.
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Im Februar 1946 wurde ein Colonel Rogers "vorstellig"

Darauf erschien im Februar 1946 Colonel Rogers plötzlich in Stuttgart und legte ihm nahe, die UFA in Berlin aufzubauen. Diesmal sagte Thiery energisch nein. Nach Berlin wollte er nicht.

Ein paar Wochen später erschien Colonel Rogers noch einmal. Diesmal schlug er Thiery vor, nach Geiselgasteig zu kommen und die Leitung der BAVARIA zu übernehmen, besser gesagt, die Leitung des Filmgeländes in Geiselgasteig. Denn produziert wurde ja nicht.
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Am 1. August 1946 begann die Ära Thiery inoffiziell.Am 1. November 1946 offiziell. Um diese Zeit war es auch schon sicher, daß wieder produziert würde. Denn Erich Pommer war in Berlin angekommen.
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DIE RÜCKKEHR

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Herr Direktor, wir sind ja so glücklich .......

Am 13. Juni 1946 ist Erich Pommer zum Filmoffizier der amerikanischen Zone Deutschlands ernannt worden. In Berlin, wo er drei Wochen später eintraf, inspiziert er die Tempelhofer Ateliers, wo viele seiner großen Filme entstanden sind. Ein Bühnenmeister von ungefähr siebzig Jahren steht ihm gegenüber, schüttelt ihm die Hand und sagt:

„Herr Direktor, wir sind ja so glücklich, daß Sie wieder da sind! Wir alle, ich und viele Ihrer ehemaligen Techniker und Arbeiter. Wir wollen arbeiten, als sei nichts gewesen. Wir sind bereit, zwölf, sechzehn und achzehn Stunden täglich zu arbeiten und wieder gute Filme mit Ihnen zu machen."

Er kann nicht weiter. Tränen ersticken seine Stimme.

So geht es überall, wohin Pommer kommt. Überall ist man bereit, sich zu begeistern, sich bekehren zu lassen.

Schnell vergessen sind die Enttäuschungen, die die deutschen Filmschaffenden im letzten Jahr erlitten haben.

Denn wie höflich, wie zuvorkommend, wie hilfsbereit die Filmoffiziere - privat - auch waren: ein Jahr ist vergangen, ohne daß auch nur das Geringste zum Aufbau der Produktion im Westen geschehen wäre.

Ein Jahr ist unwiederbringlich verloren, obwohl die Filmleute in diesem Jahr zu allem bereit gewesen wären, wenn man sie nur hätte arbeiten lassen; arbeiten wie früher, ohne die Bevormundung durch Goebbels oder seine Schergen. Sie hätten gerne gehungert und gefroren, wenn man sie nur hätte arbeiten lassen - wie man sie im Osten arbeiten ließ.
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Lindemann hatte Pommer von Anfang an richtig eigeschätzt

Mit Recht hat Lindemann, als er die Russen vor Pommer warnte, von einem Vorsprung geschrieben, den der Osten halten müsse. Er besaß einen Vorsprung, daran war nicht zu zweifeln. Aber Pommer ist der Mann, diesen Vorsprung wieder einzuholen. Pommer interessiert sich nicht dafür, alte Filme zu beschlagnahmen. Pommer will neue Filme drehen lassen.

Er ist zwar amerikanischer Filmoffizier, aber er betont in allen seinen Unterhaitungen, daß er sich nicht nur als solcher fühle, sondern eben als einer, der helfen will beim Aufbau des deutschen Films. Und deshalb wünscht er, daß nicht nur die Amerikaner da mitmachen.

„Es ist zu hoffen", erklärt er, „daß auch von russischer, englischer und französischer Seite Maßnahmen getroffen werden, um den guten und wertvollen deutschen Film wieder auferstehen zu lassen!"
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Pommer ist ein gestandener Filmprofi, eine Ausnahme

Zum Unterschied von den anderen Filmoffizieren, die Amerika bisher eingesetzt hat, und auch von denen der anderen Mächte, weiß Pommer, worauf es ankommt: auf Produktionsstätten, auf Apparate, auf Rohfilm.

Tempelhof und Geiselgasteig müssen so schnell wie möglich wieder hergerichtet, Filmmaterial muß beschafft werden - und Pommer rechnet damit, daß er es aus Amerika bekommen wird. Es wird seine größte Enttäuschung sein, daß die amerikanische Militärregierung das ablehnt.
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Nur noch 600 Kinos in der amerikanischen Zone ...

Im übrigen warnt Erich Pommer: es wird nicht viel produziert werden können in der ersten Zeit. Denn der deutsche Markt ist nicht sehr aufnahmefähig - in der amerikanischen Zone wird es in absehbarer Zeit nicht mehr als sechshundert bespielbare Kinos geben - und an Export kann, zumindest vorerst, nicht gedacht werden.

Aber es kommt ja gar nicht darauf an, wie viel produziert, es kommt darauf an, was produziert wird.

Reporter bestürmen Pommer: „Glauben Sie, daß der deutsche Film seine frühere Weltgeltung wieder zurückerobern kann?" „Ich glaube es nicht nur, ich bin überzeugt davon!"

Pommer weiß, was er will. Er weiß auch, was er nicht will.

„Keine Filme von gestern! Keine Anti-Filme! Keine Operetten! Überhaupt nichts, was andere besser machen können." Pommer kommt auf den Schweizer Film „Die letzte Chance" zu sprechen.

„Der hat zehn Prozent von dem gekostet, was in den letzten zehn Jahren ein guter deutscher Film zu kosten pflegte!"

Pommer erinnert immer wieder daran, daß auch der Aufbau des deutschen Films nach dem ersten Weltkrieg nicht einfach war. Und trotzdem wurden schon nach ein, zwei Jahren Filme produziert, die die Welt eroberten.

Pommer erinnert an Ernst Lubitsch, an Fritz Lang, an „Madame Dubarry", an „Das Kabinett des Dr. Caligari". Gewiß, Deutschland war damals nicht so zerstört wie heute. Aber auch 1918 gab es wenig brauchbare Filmateliers. Und das Geld entwertete sich blitzartig ...
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Die Armut ist die große Chance des deutschen Films

Pommer betont immer wieder: „Deutschland ist arm. Das ist die große Chance des großen deutschen Films. Wir müssen das Wesentliche wollen. Aller Pomp, aller Ausstattungszauber muß verschwinden.

Massenfilme? Nein! Stars? Nicht unbedingt nötig. Das Entscheidende ist das Buch. Der Einfall. Die Entwicklung des Einfalls. Armut kann sich produktiv auswirken. Die Autoren und die Regisseure werden auf neue Ideen kommen, um Eindrücke zu erzielen, die bisher nur durch großen Aufwand möglich wurden."
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KÄUTNERS START

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Der erste Hamburger Nachkriegsfilm : „ In jenen Tagen"

An dem Tag, da Pommer in Berlin solche Worte spricht, ist ein paar hundert Kilometer entfernt, in Hamburg, der Regisseur Helmut Käutner dabei, seinen ersten Nachkriegsfilm zu starten: „ In jenen Tagen".

Und Käutner wird einen der großen, der ganz großen deutschen Filme schaffen, ohne Geld, ohne Atelier, ohne Austattung, ohne Statisten, ohne Stars, ohne Kohlen, ohne auch nur das Minimum an Lebensmitteln für sich, seine Schauspieler und seine Mitarbeiter.

Er bringt als Autor und Regisseur genau das fertig, das Erich Pommer von den Autoren und Regisseuren verlangt - „mit kleinen Mitteln Eindrücke zu erzielen, die bisher nur mit großen Mitteln möglich wurden". Er beweist: Armut kann produktiv sein.
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Helmut Käutner filmte zuletzt auf einem Kriegsschiff

Helmut Käutner hat im Dritten Reich bis zum letzten Blutstropfen gefilmt. Das ist wörtlich zu nehmen. Denn noch in den letzten, den allerletzten Tagen floß Blut, dort, wo er sich befand: auf einem Kriegsschiff.

Er filmte dort natürlich nicht. Er tat nur als ob. Denn er wußte wie jeder, der bei gesundem Menschenverstand war, daß der Krieg sehr schnell zu Ende sein würde, viel schneller jedenfalls, als ein Film zu Ende gedreht werden konnte.
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Das wurde von Wolfgang Liebeneiner so gedeixelt

Wolfgang Liebeneiner, Produktionschef der UFA, hatte ihm, wie so vielen anderen, die Möglichkeit gegeben, sich zur Bearbeitung eines Filmstoffs rechtzeitig von Berlin abzusetzen. Es gab zwei Möglichkeiten für Käutner zu drehen: in Prag oder in und um Cuxhaven. Zumindest die Aussenaufnahmen würden dort stattfinden. Es handelte sich nämlich um eine Kriegsmarinegeschichte.
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Die Tage mit seiner Frau auf dem Torpedoboot

Um die richtigen Motive zu finden, um sich überhaupt mit der Atmosphäre vertraut zu machen, muß er auf einem Torpedoboot leben. Auch Frau Käutner, die Schauspielerin Erica Balque, wird mitgenommen.

An Bord befindet sich ferner noch der Schriftsteller Langenbeck, mit dem zusammen Käutner das Drehbuch schreiben soll. Sie schreiben es auch, aber mit dem festen Entschluß, es nicht früher fertigzustellen, als der Krieg zu Ende ist. „Das Drehbuch ist ausgezeichnet geworden", wird Käutner später erzählen. „Wir hatten ja auch genug Zeit..."

Der Kommandant des (kleinen) Schiffes ist ein gewisser Ernst Schnabel, im Privatleben Schriftsteller. Käutner und Schnabel kennen einander nicht näher, keiner weiß vom anderen, wie er politisch steht, keiner kann es wagen, sich dein anderen anzuvertrauen. Zumindest geht das eine ganze Zeit so.

Aber schließlich stellt sich doch heraus, daß sie beide keine begeisterten Anhänger Hitlers, daß sie beide gegen den Krieg sind, der Deutschland, der halb Europa vernichtet, und daß sie beide den Tag ersehnen, da alles zu Ende sein wird.
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Käutner findet, man müsse für diesen Tag gerüstet sein.

Sein Vorschlag: Schnabel und er sollen eine Geschichte entwerfen, die man nach dem Krieg verfilmen wird, eine Geschichte, die zeigt, wie unsinnig die letzten „tausend Jahre" waren. In der Kabine des Kriegsschiffes entsteht der Anfang eines Exposes, genannt „In jenen Tagen".

Ein Film gegen das Hitler-Regime, ein politischer Film, der erste übrigens, den Käutner machen wird. Er hat bisher niemals einen politischen Stoff machen dürfen oder wollen.

Gewiß, fast in allen seinen Filmen finden sich irgendwelche Anspielungen, die den Gegnern des Dritten Reichs verständlich waren. Aber nur Anspielungen konnte er riskieren, solange Himmler und seine Gestapo regieren ...

Noch ist der Krieg nicht zu Ende. Noch spaziert das Ehepaar Käutner mit Stahlhelmen an Bord umher. Noch hagelt es Bomben, und es gibt viele Verwundungen.
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Man sollte enfach nach Schweden auslaufen ...

Käutner gewinnt langsam die Überzeugung, daß die ganze Besatzung von einundzwanzig Mann antinationalsozialistisch eingestellt ist. Er schlägt Schnabel vor, man solle ganz einfach auslaufen, in Schweden landen und sich internieren lassen. Käutner möchte für sein Leben gern nach Schweden.

Er hat ein paar schwedische Preise für seine Filme erhalten, aber Goebbels hat ihm nicht erlaubt sie abzuholen. Der Minister hat wohl gefürchtet, Käutner würde nicht zurückkehren.

Es wird sorgfältig sondiert: alle sind dafür, abzuhauen, alle, mit Ausnahme des Schiffsarztes, der Nationalsozialist ist. Der gerät nicht einmal in Wut, sondern erklärt lediglich, er könne da nicht mitmachen.

Seine Pflicht wäre es eigentlich, die anderen zu melden. Aber das tut er nicht. Käutner und Schnabel überlegen, ob es nicht das Beste wäre, den Arzt über Bord zu werfen. Es wird viel hin und her geredet, aber es wird kein Entschluß gefaßt. Der Arzt bleibt also am Leben und das Schiff in Cuxhaven ...
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Dann ist wirklich alles zu Ende .....

Und dann ist wirklich alles zu Ende, der ganze schreckliche Krieg, das Dritte Reich, Hitler und Himmler. Käutner ist überglücklich und überzeugt, daß jetzt herrliche Zeiten anbrechen werden.

Endlich wird man nicht mehr lügen müssen. Und wenn es auch am Anfang schwer sein wird: Ist die Voraussetzung für jede gute Arbeit nicht immer die Wahrheit? Man wird also wieder richtig arbeiten können ...
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Wo kann man arbeiten? .... Igor Oberberg, der Kameramann

Noch bevor Käutner sich entschlossen hat, erscheint Igor Oberberg, der Kameramann, mit dem Käutner schon viele Filme gemacht hat. Er kommt aus Westfalen, und zwar per Fahrrad.

Er ist etwa zehn Tage gefahren, denn er wollte zu Käutner, weil er überzeugt davon war, daß Käutner einen neuen Film machen, daß Käutner den ersten neuen Film machen würde, daß sich um Käutner alle die scharen würden, die an den deutschen Film glauben.

Käutner ist gerührt von so viel Anhänglichkeit. Er ist auch dumpf entschlossen, das Vertrauen seines Kameramanns nicht zu enttäuschen. Er borgt sich ein Fahrrad, und die beiden fahren auf allen möglichen Umwegen nach Hamburg.

Käutner möchte am liebsten morgen mit seinem ersten Film beginnen.
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Aber so einfach ist das denn doch nicht.

Es gibt kein Atelier. Es gibt überhaupt nichts in Hamburg, was man braucht, wenn man einen Film machen will.

Im übrigen ist der Krieg erst seit zwei Wochen beendet. Von Frieden noch keine Spur. Schon existieren unzählige Reglements. Ein Deutscher kann ohne die Mitwirkung der britischen Besatzungsbehörden nichts unternehmen, kann nicht einmal den Schutt vor seinem Haus forträumen oder gar ein neues Haus bauen.

Nein, ein Deutscher darf eigentlich nur warten. Bekannte, denen Käutner erzählt, daß er sofort einen Film machen will, fragen ihn besorgt, ob er verrückt geworden sei.

Käutner muß irgend etwas unternehmen

Käutner ist nicht der Mann, der warten kann. Käutner muß irgend etwas unternehmen. Irgendwie bekommt er es fertig, daß ihm die Militärbehörden ein Zimmer im Shellhaus überlassen, und dort gründet er - ein Informationsbüro. Es handelt sich darum, Material über Schauspieler zu sammeln.

Wo sind denn die Kollegen geblieben? Wer ist noch in Berlin? Wer ist in München? Wer sitzt in Salzburg? Wer in Ischl? Wer in Wien? Das alles ist gar nicht so leicht herauszubekommen.
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Anfangs gibt es noch keine Post und kein Telefon

Und als sie wieder funktioniert, funktioniert sie noch lange nicht. Briefe, die geschrieben werden, kommen entweder überhaupt nicht an oder erst nach Monaten, wenn der Empfänger längst verzogen ist - und der Absender auch.

Telefon gibt es nicht, wird es noch lange nicht geben. Und selbst als man wieder innerhalb Hamburgs oder Berlins oder Münchens telefonieren kann, kann man noch lange nicht von Hamburg nach Berlin oder nach München telefonieren. Man kann sich eigentlich nur auf Auskünfte verlassen, die man persönlich bekommt.

Es hat nur Zweck Briefe zu schreiben, wenn ein Bekannter sie mitnimmt. Nun, es kommt fast täglich irgendwer aus München oder Berlin, aus Düsseldorf oder aus Dresden nach Hamburg, bekommt dann viele Dutzend, manchmal mehr als hundert Briefe mit. Käutner hofft, daß wenigstens ein paar ihr Ziel erreichen werden.
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Das "Büro" funktioniert - so leidlich

Trotz aller Schwierigkeiten funktioniert das Informationsbüro. Schon im Hlerbst 1945 weiß Käutner ungefähr, wo die wichtigsten Schauspieler und Schauspielerinnen sitzen, und fast alle wissen, wo Käutner sitzt.

Freilich, das ist alles. „Sie konnten zusammen nicht kommen ..." Die Kontrolle an den Zonengrenzen ist viel zu streng.
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Die Briten wollen unbedingt den Rundfunk aktivieren

Britische Offiziere, die Käutner kennengelernt haben, schlagen ihm vor, sich im Rundfunk zu betätigen. Der Rundfunk ist den Briten sehr wichtig. Er scheint ihnen das gegebene Mittel zu sein, die Bevölkerung zu erziehen, respektive umzuerziehen. In Hamburg wird gerade der Sender organisiert, der unter dem Namen NWDR später berühmt werden soll.

Käutner gehört zu denen, die gleich von Anfang an dabei sind. Neben ihm wirken Axel Eggebrecht, Peter von Zahn und Ernst Schnabel.

Käutners erste Sendung: „Der Hauptmann von Köpenick", nach dem Theaterstück von Carl Zuckmayer, ein Stoff also, den er genau zehn Jahre später verfilmen wird. Die Hauptrolle spielt der Schauspieler Willy Maertens. In kleinen und kleinsten Rollen wirkt die ganze Prominenz mit: Gustav Knuth und Grethe Weiser, ja, sogar Helmut Käutner selbst,

Das Funkhaus gehört zu den wenigen gut geheizten Gebäuden in Hamburg

Käutner arbeitet um diese Zeit nur im Funk. Er hält sich auch nachts dort auf - das Funkhaus gehört zu den wenigen gut geheizten Gebäuden in Hamburg, und selbst, wenn man dort nichts zu tun hat, kann man seine Korrespondenz erledigen, kann sich unterhalten, ja sogar ein Nickerchen machen, ohne befürchten zu müssen, daß einem die Nasenspitze abfriert.

Und dann - ein ganz besonderes Ereignis - eines Tages ....

Eines Tages fährt vor dem Funkhaus ein Jeep vor. Ein amerikanischer Soldat springt heraus und verlangt Käutner zu sprechen. Sein Englisch ist nicht gerade first class, der junge Mann spricht mit unverkennbar tschechischem Akzent. Kein Wunder, denn er ist Tscheche. Er stammt aus Leitmeritz.

Er wurde 1939 nach der Besetzung der Tschechoslowakei als sogenannter "freiwilliger" Arbeiter nach Berlin geholt und bekam schließlich eine Stellung als Vorführer im Reichsfilmarchiv.

Er nutzte die Stellung dazu aus, um Käutner und anderen, ähnlich gesinnten Filmleuten nachts Antinazifilme vorzuführen, die sich Goebbels aus Amerika hatte kommen lassen oder die im Verlauf des Krieges erbeutet worden waren.
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Der Tscheche bekam Angst und mußte fliehen ....

Dann, mitten im Krieg, erschien er eines Nachts in Käutners Wohnung mit einem Perlenkollier. Er bot es Käutner zum Kauf an.

Denn: „Ich muß fort, und zwar noch heute Nacht! Es geht mir an den Kragen. Aber ich habe kein Geld!" Käutner kaufte das Kollier nicht, gab dem Mann aber Geld. Das gleiche tat Heinz Rühmann.

Der Tscheche verschwand aus Berlin, kam irgendwie aus Deutschland heraus, gelangte irgendwie nach Amerika. Und jetzt ist er also da, um Käutner das Geld zurückzuzahlen. Der geliehene Betrag beläuft sich bei dem schrecklichen Tiefstand der (Nachkriegs-) Reichs-Mark auf einige wenige Dollars. Aber was könnte Käutner mit den entwerteten Mark anfangen?

Deshalb sagt der Mann: „Ich zahle Ihnen das Geld nicht in bar zurück. Ich habe ein paar Fleischkonserven mitgebracht..." Und da er Takt hat, fügt er hinzu: „Sie müssen mir das nicht übelnehmen, Herr Käutner, aber mein Sold reicht einfach nicht aus."

Es stellt sich heraus, daß der Jeep halbvoll von Konserven ist. Käutner und seine Freunde im Rundfunk haben viele Wochen zu essen ...

Das ist eines von den positiven Erlebnissen in jenen Tagen. Es gibt nicht so viele dieser A.rt.
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Aber Käutner will wieder Filme machen.

Aber Käutner will ja nicht auf die Dauer Rundfunksendungen inszenieren. Käutner will Filme machen. Dazu bedarf es im britischen Sektor wie auch im amerikanischen und sowjetischen einer Lizenz. Und eine Lizenz bekommt nur, wer politisch einwandfrei ist.

Ist Helmut Käutner politisch einwandfrei? Käutner muß nach Bad Oeynhausen, wo man ihn politisch durchleuchtet. Das dauert acht Tage. Käutner, der in seiner Jugend einmal Psychologie studierte, ist interessiert und amüsiert. Er unterhält sich nächtelang mit seinen Examinatoren.

Er darf feststellen: er war schon gegen Hitler, er hat schon gegen Hitler gekämpft, als die anderen noch gar nicht wußten, wie der Name Hitler buchstabiert wird. Käutner hat also die Prüfung bestanden und könnte in Hamburg einen Film produzieren - wenn man um diese Zeit in Hamburg überhaupt filmen würde.
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Und sogleich wollten ihn die Amerikaner abwerben

Da kommen die Abgesandten Erich Pommers. „Hätten Sie nicht Lust, in der amerikanischen Zone zu filmen? In München etwa?" Käutner sagt, er hätte Lust. Und kaum hat er das gesagt, da bereut er es auch schon. Es ein freudscher "Fehler". Denn ohne daß er weiß, wie es geschehen ist, sitzt er wieder einmal in einem Jeep und los geht's - diesmal nach Bad Homburg.

  • Amerkung : Die Geschichte ist von Curt Riess sicher etwas aufgehübscht, denn in 1946 im Winter in einem Jeep - das war ein recht primitives Militär- Fahrzeug mit einer miserablen Heizung - von Hamburg nach Bad Homburg, das ist schon ein starkes Stück weit ab von der Wahrheit.


In Bad Homburg sitzen die Amerikaner, die zu untersuchen haben, ob einer politisch tragbar ist oder nicht - also sozusagen die Vettern der Engländer von Bad Oeynhausen. Käutner bekommt die gleichen Fragen vorgelegt, die er schon in Bad Oeynhausen beantworten mußte. Das Ende vom Lied: Käutner bekommt auch eine Lizenz für die amerikanische Zone.
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