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"Das gibt's nur einmal" - die Film-Fortsetzung 1945 bis 1958

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite dieses 2. Buches finden Sie hier.

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ZWEITERTEIL • DER ERSTE FILM - EIN GROSSER FILM

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WOHER NEHMEN, WENN NICHT STEHLEN?

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Alles muß zensiert werden.

Deutschland ist militärisch besetzt, Berlin ist sogar von vier Mächten besetzt. Alles muß zensiert werden. Jede Zeile, die in einer Zeitung erscheint, jedes Plakat und natürlich auch jeder Film, obwohl sich das vorläufig nur auf alte Filme bezog, denn Filme wurden ja - abgesehen vom 'Augenzeugen' - noch nicht gedreht.

Alfred Lindemann setzt sich mit der Sowjetischen Militärregierung (SMA) in Verbindung. Er schickt das Drehbuch, das er verfilmen will, hin. Er bekommt keinen Bescheid. Er reklamiert. Er bekommt noch immer keinen Bescheid.

„Wir fangen einfach an!"erklärt er endlich. Von welchem Geld wird der erste DEFA-Film gedreht? Nicht von russischem Geld, so viel steht fest. Zwar wären die Russen nicht abgeneigt, größere Summen vorzuschießen, wenigstens deuten das die Herren von der Sowexport an.

Aber die DEFA will dieses Geld nicht, wenigstens vorläufig nicht. Die Gründer wollen unabhängig bleiben. Es wird nicht lange dauern, bis sie begreifen, wie unmöglich das ist in einem militärisch besetzten Land, insbesondere in jenem Teil des Landes, der von den Sowjets besetzt ist.
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Freilich, Geld braucht Lindemann - Aber woher nehmen ??

Und so weit sein Auge reicht - Geld ist nicht zu sehen. Und dann geschieht das Wunder. Es erscheint bei ihm im Büro eine gewisse Frau Alice Ludwig, groß, blond, eine typische Berlinerin, etwa fünfundzwanzig Jahre alt.

Sie ist Cutterin, hat zuletzt bei der TERRA gearbeitet, vorher bei der UFA. Sie sagt zu Lindemann: „Ich habe an der 'Fledermaus' mitgearbeitet. Das ist ein Farbfilm, den wir in Prag gedreht haben. Er ist fertiggestellt, aber er ist nicht mehr aufgeführt worden." „Und?" -

„Es ist ein schöner Film, und es ist eigentlich schade, daß er nicht aufgeführt wird." „Und warum wird er nicht aufgeführt?" „Weil niemand weiß, wo das Negativ steckt."
„Und wo steckt es?"

„Das ist es ja! Der Film ist noch nicht zusammengesetzt. Die einzelnen Teile - es handelt sich um ungefähr 280 - sind in größeren und kleineren Büchsen hierhin und dorthin verlagert worden. Ich weiß, wo sie sind, ich könnte sie finden."
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Alice Ludwig, die UFA Cutterin - das ist die Hoffnung

Dies entspricht nicht ganz den Tatsachen. Alice Ludwig weiß zwar, daß man die Negative der 'Fledermaus' in diesem oder jenem Bunker vergraben hat. Aber das bedeutet nicht, daß sie alle Verstecke kennt. Lindemann ist begeistert.

„Sie können die einzelnen Teile finden?" „Ich glaube schon." „Suchen Sie ..."

Die Ludwig beginnt zu suchen. Sie geht hierhin und dorthin, sie findet diesen und jenen Teil des Films. Sie nimmt Helferinnen mit und kommt in Bunker, die in einem entsetzlichen Zustand sind (Anmerkung : oftmals immer noch voller Leichen). Es stinkt furchtbar. Die Mitarbeiterinnen der Ludwig erbrechen sich, wollen fort, hinaus an die frische Luft. „Es hat ja doch keinen Zweck ..." Die Ludwig bleibt eisern.

Sie hat wirklich die 'Fledermaus' zusammen gesammelt

Und schließlich, nach wochenlanger Suche, hat sie nach und nach alle Teile des Films gefunden. Sie glaubt wenigstens, daß es alle sind - und später wird sich herausstellen, daß es so ist.

Aber wie setzt man einen Film zusammen, wenn man das Drehbuch nicht hat? Und ein Drehbuch ist nicht mehr aufzutreiben. Die Ludwig hört immer und immer wieder die einzelnen Szenen oder die Bänder mit den Geräuschen ab.

In unendlicher Kleinarbeit gelingt es ihr, diesen Film ohne Drehbuch, ohne irgendwelche Unterlagen zusammenzusetzen, so daß er eines Tages spielfertig ist.

Ein Stapel von Büchsen wird in Lindemanns Büro gebracht. Der strahlt. „Sie haben uns einen ganz großen Dienst erwiesen, Frau Ludwig," sagt er. „Ich danke Ihnen im Namen der Gesellschaft."

Die Ludwig sagt: „Es gibt noch andere Filme. Ich habe mich erkundigt." „Andere Filme? Was denn für andere Filme?"
„Filme, die man fertigstellen könnte." „Filme, die noch nicht aufgeführt worden sind?"

„Natürlich nicht. Die einzelnen Teile sind ja noch nicht zusammengesetzt."
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Weitere 15 Filme müssten gefunden werden ...- gewußt wo ....

„Wie viele denn?" „Fünfzehn." Die Ludwig nennt die Titel. Es handelt sich um:
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  1. „Eine reizende Familie",
  2. „Das kleine Hofkonzert",
  3. „Die Fahrt ins Glück", der erste Film, in dem die Knef eine große Rolle spielt,
  4. „Via Mala",
  5. „Eine alltägliche Geschichte",
  6. „Der Ruf an das Gewissen",
  7. „Glück muß man haben",
  8. „Ein toller Tag",
  9. die Verfilmung yon „Figaros Hochzeit",
  10. „Die Augen der Liebe",
  11. „Wiener Mädeln", der letzte Film Willi Forsts,
  12. „Frau über Bord",
  13. „Das Dementi",
  14. „Das Rätsel der Nacht",
  15. „Der große Fall".

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Lindemann weiß sich vor Begeisterung nicht zu fassen. Aber noch zweifelt er. „Sie könnten diese Filme für uns finden, Frau Ludwig?" „Ich könnte es versuchen."
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und jetzt wird an allen erdenklichen Orten gesucht ....

In den nächsten Wochen und Monaten wird die Ludwig an den unmöglichsten Stellen in Babelsberg und in Johannisthai herumschnuppern, wird in Keller gehen, alle nur denkbaren Verstecke durchsuchen. Sie fährt nach Thüringen, nach Schlesien, nach Pommern. Sie nimmt die schlimmsten Strapazen auf sich.

Die Sache muß ja äußerst geheim bleiben. Vor allem dürfen die Russen nicht wissen, was hier unternommen wird, denn sie würden die Filme sofort beschlagnahmen. Als Beutegut. Sie würden sie herausbringen, und dieSowexport würde das Geld einstecken. Und das will Alice Ludwig nicht.
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Warum macht Alice Ludwig diesen Gewaltakt ?

Warum unterzieht sich Alice Ludwig dieser schwierigen und gefährlichen Arbeit? Nicht zuletzt der Frauen wegen, mit denen sie früher zusammengearbeitet hat und die sie jetzt in die DEFA holt, damit sie ihr beim Aussuchen, Schneiden, Kleben helfen können.

Sie hält es für wichtig, daß möglichst viele Menschen wieder Arbeit bekommen. Denn nur Arbeit kann in solchen schweren Zeiten den einzelnen vor Verzweiflung bewahren.

Die Arbeit der Ludwig und ihres Stabes erstreckt sich über viele Monate. Insgesamt fünfzehn Filme werden gefunden und zusammengestellt.
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Ein problematischer Beschluß mit dem Beutegut

Da gibt es einen Beschluß des Alliierten Kontrollrats, daß sämtliche Filme, die fertigen und die unfertigen, den Militärregierungen der betreffenden Zonen als Beutegut gehören und daß jeder Deutsche verpflichtet ist, sie abzuliefern.

Ein problematischer Beschluß. Denn ein Film ist nicht nur ein Streifen Zelluloid. Er ist die Summe der Arbeit vieler Menschen.

Das Zelluloid kann als Beutegut gelten - so wenigstens sagt das internationale Kriegsrecht. Die im Film investierte Arbeit kann nicht als Beutegut gelten. Sie steht unter dem Schutz des Urheberrechts. Das geistige Urheberrecht.

Solche Kleinigkeiten kümmern die DEFA nicht und schon gar nicht die Russen. Die westlichen Alliierten stehen da auf einem anderen Standpunkt, und so kommt es, daß keiner dieser wiedergefundenen und - nennen wir das Kind doch beim Namen - gestohlenen Filme im Westen aufgeführt werden darf.

  • Anmerkung : Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, es waren diese Schmalzgurken, die im Westen deutschlands auch nach dem Kriegsende zuhauf abgedreht wurden.


Das Recht, von dem Negativ Kopien zu ziehen, gehört denen, die den Film hergestellt haben. Und so lange das Vermögen dieser Personen oder dieser Gesellschaften nicht beschlagnahmt ist, ist dieses Recht nicht frei.
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Aber das sind vorläufig Lindemanns Sorgen nicht.

Dazu wird es erst später kommen. Vorläufig will er Geld mit den gefundenen Filmen machen, um mit diesem Geld die DEFA-Produktion aufzuziehen. Da die DEFA nicht selbst an die Kinos liefern kann, da das Verleihgeschäft von Anfang an in den Händen derSowexport liegt, muß er sich an diese wenden.

Das ist ein kitzliges Unterfangen. Denn die Herren der Sowexport sind ja schließlich auch Russen; sie sind zwar, genau genommen, Russen, die sich privat in Berlin befinden, nämlich, um Geschäfte zu machen, sie haben kein Recht, etwas zu beschlagnahmen. Ein solches Recht besitzen nur die militärischen Stellen der Russen.

Aber kein Deutscher ist sich darüber im unklaren, daß die Russen untereinander auch außerdienstlichen Kontakt halten. Bei ihnen weiß man überhaupt niemals genau, welche Machtbefugnisse der eine oder andere hat.

Wie dem auch sei: Lindemann hat keine Wahl. Er erklärt also den Herren der Sowexport: „Wir können deutsche Filme, die noch nicht aufgeführt wurden, fertigstellen. Sie können sie spielen. Die Bedingung ist, daß die Fertigstellungskosten und eine gewisse Spanne darüber garantiert werden."
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Lindeman bekommt 400.000, die Russen aber 20 Millionen

Als erster Film wird die 'Fledermaus' diskutiert. Die Russen sind bereit, hunderttausend Reichsmark zu zahlen. Lindemann verlangt vierhunderttausend und bekommt sie. - Der Film wird für die Sowexport später zwanzig Millionen einspielen.
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Lindemann pokert mit den Russen

Lindemann fährt fort: „Ich kann Ihnen noch vierzehn Filme bringen." Die Russen protestieren. Es handelt sich doch um Beutegut! Warum sollen sie für etwas bezahlen, wenn sie es umsonst bekommen können? Lindemann sei verpflichtet, die Filme abzuliefern. Wenn nicht ...

Die Drohung hängt in der Luft. Lindemann schüttelt den Kopf. „Ich habe keine Ahnung, wo die Filme sind. Sie wissen es auch nicht. Aber ich kenne Leute, die wissen, wo man sie finden kann. Also, wenn Sie die Filme haben wollen, müssen Sie mit mir schon einen Vertrag abschließen."

Es kommt ein Vertrag zustande. Die DEFA erhält rund siebenhundertfünfzigtausend Reichsmark für die Fertigstellung der gesamten Filme. Ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Kontrollrats? Nein.

Ein Geschäft! Ein vorzügliches Geschäft für die Sowexport.
Aber das Entscheidende für Lindemann ist: die DEFA kann produzieren.
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„DIE MÖRDER SIND UNTER UNS!"

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Lindemann kann endlich "produzieren"

Das Drehbuch des geplanten Films ist von einem gewissen Wolfgang Staudte verfaßt, einem Mann an die vierzig, groß, ausgemergelt, mit einem Gesicht, das einem Asketen oder einem Komödianten gehören könnte. Es ist ein hartes, verbittertes Gesicht - und doch können die Augen ganz plötzlich zwinkern.

Er hat das Manuskript in den letzten Monaten des Krieges geschrieben. Er mußte in jenen Tagen, da die schlimmste Willkür regierte, da die Gestapo Menschen in Lager verschleppte, da Millionen Juden vergast wurden - er mußte seine Empörung herausschreien.

Der Schrei war: „Die Mörder sind unter uns!"

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Ein Erlebnis hatte den Anstoß gegeben.

Staudte wohnt gegen Ende des Krieges im Hause Bambergerstraße 47. Dort wohnen auch der Koch von Hitler, ein SS-Mann, ferner ein Jude mit seiner nichtjüdischen Frau - nur um ihretwillen hat man ihn noch nicht abtransportiert. Bomben hageln auf Berlin. Alles stürzt in den Luftschutzkeller.

Plötzlich brüllt der SS-Mann los: „Ich verlange, daß der Jude augenblicklich den Keller verläßt!" Der Koch Hitlers ist der gleichen Meinung. Die anderen schweigen. Der Mann mit dem gelben Stern geht, gefolgt von seiner Frau.

Staudte ist außer sich. Wenn ich den Burschen jetzt an den Hals spränge? denkt er. Was würde geschehen? Dann denkt er weiter: Alle wären gegen mich ... denn dieser SS-Mann ist ja sicher im Privatleben gar kein übler Mensch, er hat vielleicht Frau und Kinder, ist vermutlich gut zu ihnen, sorgt für sie, würde alles für sie tun - und ist doch ein Mörder ...
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Und dann sollte Wolfgang Staudte zum Volkssturm

Kurz vor Kriegsende hat Staudte den Befehl bekommen, zum Volkssturm einzurücken. Er hat sich gedrückt. Er hat gedacht: Der Spuk ist ja doch in ein paar Tagen zu Ende!

Eines Abends steht er in einer Apotheke in der Friedrichstraße, erzählt, sich sicher wähnend, dem ihm gut bekannten Apotheker, einem älteren, friedlich aussehenden Mann, wie er es fertiggebracht hat, nicht Volkssturmmann sein zu müssen.

Da hält der ältere, friedliche Mann plötzlich eine Pistole in der Hand. „Wenn Sie dem Befehl des Führers nicht folgen, muß ich Sie erschießen!" brüllt er. Staudte glaubt zu träumen.

Der Mann ist doch kein Soldat! Er ist nicht einmal ein Polizist. Er ist ein ältlicher Zivilist, der Pillen und Medizin herstellt und verkauft. Und jetzt hat er eine Pistole in der Hand, und vielleicht wird er sie sogar abdrücken.

Wieder wird Staudte klar: Mörder müssen nicht unbedingt böse und grimmig dreinschauen, sodaß man sie schon von weitem erkennt. Mörder können friedliche, ältere Herren sein, Familienväter, die gutmütig aussehen und doch nicht mehr den Unterschied zwischen gut und böse kennen. Ja, so können sie aussehen ... Und sie sind unsere Nachbarn, wer weiß, unsere Freunde, Verwandte ...
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Vater Fritz Staudte war Schauspieler an der Berliner Volksbühne

1906 als Sohn des Schauspielers Fritz Staudte in Saarbrücken geboren, studierte er zunächst Automobil- und Flugzeugbau. Damals war der Vater schon ein bekanntes Mitglied der Berliner Volksbühne.

Wolfgang reiste gelegentlich nach Berlin, machte manchmal Komparserie an der Volksbühne, um ein paar Mark zu verdienen, kam eines Tages auf den Gedanken, er sei begabt, lernte die Rolle des Schülers im „Faust" und sprach seinem Vater vor, der von der Begabung seines Sohnes nichts zu entdecken vermochte.
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Wolfgang dachte immer noch, er sei begabt

Aber so schnell gab Wolfgang das Rennen nicht auf. Er ging zu einem Agenten, der ihn mit dem Direktor des Stadttheaters in Schneidemühl zusammenbrachte.

Schneidemühl war nur ein paar Stunden Bahnfahrt von Berlin entfernt - und doch eine andere Welt. Und so verwechselte der beklagenswerte Theaterdirektor Staudte junior mit Staudte senior und war erstaunt, aber auch erfreut, daß ein in Berlin so angesehener Schauspieler ausgerechnet nach Schneidemühl wollte.

Staudte schloß mit einer Gage von 125 Mark monatlich ab. Als der Vater von dem Engagement erfuhr und wie es zustande gekommen war, brach er fast zusammen.

Der Schneidemühler Direktor brach dann ein oder zwei Wochen später wirklich zusammen, als er dahinterkam, daß er den falschen Staudte engagiert hatte, der erste jugendliche Helden und Liebhaber bei ihm spielte, obwohl er überhaupt nicht spielen konnte. Das ging selbst in Schneidemühl nicht.
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Aber der falsche Staudte hatte Blut geleckt.

Da in Schneidemühl kein Hund mehr ein Stück Brot von ihm nehmen wollte, kehrte er nach Berlin zurück, arbeitete an sich, wurde schließlich ein wirklicher Schauspieler, später sogar ein guter, noch später wurde er sogar von Max Reinhardt engagiert.

1933. Staudte hatte nie zu verbergen versucht, daß er ein Mann der Linken war, jedenfalls zu links für die Nationalsozialisten. Trotzdem machte man ihm das Angebot, in einen „Kultursturm" einzutreten. Ja, so etwas gab es.

Als er nicht annahm, wurde er als Schauspieler verboten, kam aber nicht ins Konzentrationslager, sondern in die - Industrie, besprach Werbeschallplatten für große Textilflrmen und chemische Werke, wurde dann gelegentlich im Rundfunk beschäftigt, schließlich auch im Film.

Er spielte zwar meist nur kleine Rollen, sehr kleine Rollen sogar, aber er brauchte wenigstens nicht zu verhungern. Nebenbei inszenierte er Werbefilme.
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Und dann wurde er von der TOBIS "entdeckt"

Maßgebende Männer der TOBIS sahen sich die Filme an, waren beeindruckt. So viel begabte Filmregisseure gab es damals nicht in Deutschland. Man holte ihn, ließ ihn ein paar Studiofilme drehen, dann einen ausgewachsenen Spielfilm „Der Mann, dem man den Namen stahl!" Es handelte sich um einen Film gegen die Bürokratie. Dagegen hatte die Bürokratie Bedenken. Der Film wurde verboten.

Gleichzeitig erfolgte die Aufhebung von Staudtes UK-Stellung (das ist das Kürzel für "unabkömmlich"). Er sollte sofort an die Front.

Da bot ihm Heinrich George die Regie eines Films an - „Frau über Bord". Der Film wurde nie zu Ende gedreht. Der Nachteil ist, daß, als der Krieg nun vorbei ist, Wolfgang Staudte nicht einen einzigen wirklichen Spielfilm vorzeigen kann.
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Staudte - ein Geheimtip - aber als Regisseur

Trotzdem ist er sozusagen der Geheimtip der noch nicht wieder existenten Filmindustrie. Man munkelt überall, daß Staudte ein großer Regisseur ist. Das Hauptverdienst daran, daß dieses Gerücht sich hartnäckig hält, gebührt vielleicht dem Kameramann Friedel Behn-Grund, einem jungen, gescheiten, außergewöhnlich gut aussehenden Mann, der bereits einige der schönsten deutschen Filme gedreht hat.

Ihn ließ Staudte das erste Expose seines Mörder-Films lesen. Und Friedel Behn-Grund sagte immer wieder: „Wenn der Krieg erst vorbei ist, machen wir Deinen Film zusammen!"

Wenige Tage vor Kriegsende wurde Friedel Behn-Grund, als er während einer Gefechtspause aus dem Keller heraufkam, so unglücklich von einem Granatsplitter am Bein verletzt, daß eine Amputation nicht zu umgehen war. Welch sinnloses Geschick! Durch den ganzen Krieg war er heil gekommen.
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Auch für Friedel Behn-Grund eine Chance und Hoffnung

Jetzt, da er eigentlich schon alles überstanden hatte, erwischte es ihn noch. Friedel Behn-Grund war verzweifelt. Aber Staudte beruhigte ihn. „Ich mache den Film! Aber ich warte so lange, bis Du wieder gesund bist!"

Und dann bekommt Friedel Behn-Grund seine Prothese und kann wieder ein paar Schritte tun. Und schon steht er an der Kamera.

Das Drehbuch führt in die jüngste, die allerjüngste Vergangenheit zurück.
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Die Story von „DIE MÖRDER SIND UNTER UNS!"
...... Berlin. Frühjahr 1945. Ein Trümmerhaufen.

Menschen wanken ziellos durch die Ruinenstraßen. Unter ihnen ist auch ein gewisser Dr. Hans Mertens. Er hat zu viel Blut gesehen, um noch operieren zu können. Er hat sich dem Trunk ergeben. Kaum, daß er für ein paar Stunden Schlaf in seine Wohnung zurückkehrt.

Eigentlich ist es gar nicht seine Wohnung. Sie gehört der jungen Susanne Wallner, die man vor ein paar Jahren in ein Konzentrationslager sperrte. Sie hat das Ganze wie durch ein Wunder überlebt. Sie will weiterleben.

Beide Menschen, Dr. Mertens und die Wallner, leben also nebeneinander her, sie voll guten Willens, er voll von Mißtrauen und Ekel.

Und um sie herum, in dem halb zerbombten Haus, Kleinbürger, deren Leben zerbombt ist: ein Optiker, der auf seinen vermißten Sohn wartet, eine redselige Dame, die einmal bessere Tage gesehen hat, ein Wahrsager, der den Menschen falsche Hoffnungen macht und ihnen dafür ihr letztes Geld abnimmt.

Susanne versucht alles, um Mertens wieder aufzurichten. Vergebens. Er will nicht. Er denkt immer an einen Hauptmann, der sein Vorgesetzter in Polen war und der die Bevölkerung eines ganzen Dorfes umbringen ließ, Männer, Frauen, Kinder ...

Er hat in einem Tagesbericht alles genau festhalten lassen: „Infolge unliebsamer Vorkommnisse wurden erschossen: 36 Mann, 54 Frauen, 31 Kinder. Munitionsverbrauch 347 Schuß. MG-Munition. Weitere Vorkommnisse: Keine!"
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Die Story - im Drehbuch - geht weiter

Es war damals Weihnachten. Der Hauptmann, beileibe kein grimmig dreinschauender Bösewicht, sondern ein liebenswerter Mitbürger - wie jene, die Staudte erlebte -, feierte nach der Massenliquidierung ein etwas sentimentales Weihnachten im Felde, mit Christbaum und Gesang und Tränen beim Gedenken an die Lieben in der Heimat.

Da sieht Mertens diesen Mann plötzlich wieder. Er heißt Ferdinand Brückner. Er hat seine militärische Vergangenheit hinter sich gelassen. Er fabriziert.aus Stahlhelmen Kochtöpfe.

Wieder ist es Weihnachten. Der Fabrikant Brückner hält an seine Arbeiter und Arbeiterinnen eine kurze Ansprache, will sich dann von der Fabrik nach Hause begeben - ja, er hat schon wieder ein Zuhause. Er hat schon wieder heile Fenster, ein anständiges Stück Fleisch in der Pfanne und Schnaps.

Mertens fängt ihn ab. Er treibt ihn mit einem Revolver in die Ruinen zurück. Er wird ihn abknallen wie ein böses Tier ....

Brückner, in Todesangst, protestiert: „Es ist doch Weihnachten!" Und: „Um Gottes willen, ich habe doch eine Frau ... und Kinder ... Was haben denn meine Kinder damit zu tun?"

Aber Dr. Mertens kann ihn nicht hören. Schon will er den Revolver abdrücken, da steht Susanne Wallner vor ihm. Sie hat in seinem Tagebuch gelesen, sie hat begriffen, warum der Mann - den sie inzwischen zu lieben begonnen hat - die Wohnung verließ und seinen Revolver mitnahm.

Sie beschwört ihn. Nein, er darf keine Rache nehmen, er darf sich nicht zum Richter aufwerfen. Unrecht wird nicht gesühnt, indem neues Unrecht geschieht. Dr. Mertens drückt den Revolver nicht ab - und ein neues Leben beginnt für ihn.
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