Das Buch der "Filmspiegel" aus Wien "aus dem Jahr 1941 !!"
Österreich war 1941 bereits an das grossdeutsche Reich von Hitlers Gnaden angeschlossen, aber als kleines Anhängsel. Und der Wiener Autor Rudolf Oertel faßt die bis dato bekannte Historie des Kino-Films aus Wiener Sicht zusammen. Bis etwa Seite 120 (von 310) kommen zwangsläufig NAZI-Kultur-Gedanken moderat zum Vorschein, dann aber wird es überraschenderweise sehr befremdlich nationalsozialistsch judenfeindlich, genau wie überall im 3.Reich auch. Die einführende Seite finden Sie hier.
.
Wir brauchen also den »phantasiebegabten' Autor
Ja', sagt man dann noch sehr oft, ,aber was für Stoffe soll man denn um Gottes willen nur nehmen. . .?' Diese Frage ist wohl das größte Armutszeugnis, das man sich ausstellen kann. Sie ist zugleich auch insofern widersinnig, als man damit meist auch die Notwendigkeit' begründet, alte Stoffe bis zum völligen Zerfallen zu wenden und auf neu zu frisieren.
Als ob es in einem Achtzigmillionenvolk (wir sind in 1941) nichts gäbe, das sich im Film gestalten und darstellen ließe. Gewiß, die Grundprobleme des menschlichen Lebens bleiben an den Fingern einer Hand herzuzählen:
Hunger, Macht, Liebe, Pflicht, Arbeit und so weiter; dazu die Verwicklungen, die sich aus den menschlichen Schwächen und Untugenden herleiten; und endlich die Möglichkeiten, das Ganze in betrachtender, lustiger oder ernster Perspektive zu sehen und zu gestalten.
Aber nicht auf dieses Gerüst, nicht auf das "Was", sondern auf das "Wie" kommt es ja an. Welche Menschen erleben das - und Menschen müssen es sein -, welche Berufe nimmt man sich vor, welche Landschaften spielen mit? Hier wurde und wird zu wenig gesucht.
Und hat man eine Episode, eine Berufssphäre, dann geht man in den wenigsten Fällen hinein in das menschliche Leben und befragt die Akteure des Alltags - nein, weit gefehlt: so etwas Interessantes, Gestaltungswürdiges können die gar nicht erlebt haben, als daß es ein »phantasiebegabter' Autor nicht noch viel besser erfinden könnte.
.
Die Kritik der Masse der Zuschauer .....
Mag die Masse der Zuschauer ruhig empfinden und rufen:
,Aber so etwas gibt es ja gar nicht; hier hätte jeder von uns anders gehandelt; das ist nicht allgemeingültig, das ist konstruiert, widernatürlich, unpsychologisch!4 - Mag sie, sie ist nicht vom Bau, nicht vom Fach; sie mag zahlen, schauen, aber schweigen und bewundern! Und so wird in das Schicksal ersonnener Humunkuli an Dramatik hineingepackt, was sich nur hineinpacken läßt.
Im Film muß was ,passieren'; und so passiert diesen Leuten hier in Minuten, was ihnen im Leben in ganzen Zeitaltern nicht passiert wäre. Kein Platz für epische Entwicklung, kein Platz für die Dinge am Rande des Lebens, für Zustandschilderung, für die Darsteller: Milieu, Umgebung, Requisit, Landschaft - nein, nein, alles nur hineingebaut in eine chaotische Dramatik, die selbst die Bühne als ,zuviel' ablehnen würde.
Dabei zeigen doch alle großen Filmkunstwerke eindeutig genug, daß es auf derartige Zusammenballungen von Geschehnissen gar nicht ankommt; im Gegenteil läßt sich hier die eigentliche Handlung meist in einen Satz zusammenfassen, so einfach ist sie. Das ist ja nun keineswegs etwa zufällig so, sondern liegt vielmehr darin begründet, daß die filmischen Meisterwerke dem Charakter des Films überhaupt und seinen Stilprinzipien am nächsten kommen.
Aber wir wollen uns keiner Täuschung hingeben. Worte, wie sie hier stehen, sind schon oft gesagt und noch öfter in den Wind geschlagen worden. Jeder liest sie und findet, jetzt habe der andere es aber mal richtig gesagt bekommen.
.
Wieder ein Seitenhieb auf "manche weiße Juden"
Die ,alten Filmhasen' zu wandeln, ist unmöglich; wobei zu sagen ist, daß es deren in sehr jungem Alter gibt. Wenn auch die berufsständische Zucht und Ordnung zumindest in der Geschäftsgebarung und in der äußeren Form des Filmschaffens in großartiger Form Wandel geschaffen hat, innerlich gibt es noch gar manche weiße Juden, Gschaftlhuber mit viel Rührseligkeit, aber ohne Herz, viel Routine ohne Können, Rückgratlosigkeit ohne Anpassung, Miesmacherei ohne Ernsthaftigkeit, maßlose Selbstüberhebung ohne eine Spur persönlicher Substanz.
.
Die innerlich Jungen, von der Mission des deutschen Films besessen
Abseits hiervon stehen die innerlich Jungen (von denen einige schon ein ansehnliches Alter erreicht haben), die wirklich von der Mission des deutschen Films besessen sind. Sie und diejenigen, die aus den Formationen der Bewegung langsam in die Sphäre des Filmschaffens hineinwachsen, werden ihm ein neues Gesicht geben. Erst dann wird auch die so problematische Stofffrage und werden daneben die anderen, noch unerfüllten Aufgaben wirklich endgültig gelöst sein."
So schreibt Ministerialrat Doktor Hippler.
.
In den Anfängen der Stummfilmzeit
Wir erinnern uns, daß in der Stummfilmzeit die Dichter mit wenigen Ausnahmen dem Film feindlich gegenüberstanden. Das hat sich seither stark geändert. Es gibt allerdings noch immer Feindschaften, Verärgerungen, gelegentliche Kontroversen und prinzipielle Ablehnungen. Das mag nach dem Gesagten verständlich sein.
Daß aber eine fruchtbare Zusammenarbeit durchaus möglich ist, beweist die große Zahl von Schriftstellern, die zugleich Drehbuchautoren sind.
Um nur einige zu nennen: Richard Billinger, Harald Bratt, Erich Ebermayer, Otto Emmerich Groh, Mirko Jelusich, Hans Gustl Kernmayr, Rolf Lauckner, Alexander Lernet-Holenia, Felix Lützkendorf, Gerhard Menzel, Eberhard Wolfgang Möller, Hans Heinz Ortner, Josef Friedrich Perkonig, Friedrich Schreyvogel, Hanns Saßmann, Frank Thieß u. a.
Dazu kommen noch etwa hundertundfünfzig Autoren, die sich fast ausschließlich dem Film gewidmet haben, wie: Emil Burri, Curt J. Braun, Fritz Peter Buch, Hans Martin Cremer, Doktor Paul Cremers, Geza v. Cziffra, Axel Eggebrecht, Werner Eplinius, Peter Franke, Jakob Geis, C. P. Gillmann, Fritz Koselka, Erich Kröhnke, Bobby Lüthge, Ernst Marischka, P. L. Mayring, Rudo Ritter, Ernst v. Salomon, Per Schwenzen, Walter Supper, Kurt E. Walter u. a.
Eine Frau war dabei, Thea von Harbou
Der bedeutendste Drehbuchautor des deutschen Stummfilms war eine Frau, Thea von Harbou. Der bedeutendste Filmautor der Gegenwart ist wohl Gerhard Menzel. „Morgenrot", „Flüchtlinge", „Das Mädchen Johanna", „Savoy-Hotel 217", „La Habanera", „Robert Koch", „Frau im Strom", „Mutterliebe", „Der Postmeister", „Ein Leben lang", das ist eine Reihe von Erfolgen, wie sie kein zweiter Autor aufweisen kann.
Wenn auch nicht alle seine Filme gleich gut sind, so wird man in Menzel doch das sehen dürfen, was leider beim Film so selten ist, was aber das erstrebenswerte Ziel jeder künstlerischen Zukunft des Films bleibt: einen Filmdichter. Vor allem mit „Mutterliebe" ist ihm ein Werk gelungen, das durch seine innere Wahrheit, Menschlichkeit und sittliche Idee in die Sphäre des Dichterischen vorgedrungen ist.
Ohne gutes Drehbuch kein guter Film! Denn seit dem Einbruch der Sprache in seine Sphäre hat sich das Bildhafte unlöslich mit dem Dichterischen verbunden.
.
DER PRODUKTIONSPROZESS
Der organisatorische Aufbau einer großen Produktionsgesellschaft unterscheidet sich prinzipiell nicht von der einer anderen Großindustrie. Es gibt einen Aufsichtsrat, einen Vorstand, einen Generaldirektor (Betriebsführer), Abteilungsdirektoren, Personalbüro, Rechtsabteilung, Buchhaltung, Werkleitung, einen Stab von kommerziellen und technischen Beamten sowie eine nach Hunderten zählende Gefolgschaft mit ihrem Betriebsobmann.
Es gibt ein Zentralbüro für die Geschäftsführung und den kommerziellen Betrieb und Fabrikanlagen für die Herstellung der Filme.
Diese Fabrikanlagen, die „Ateliers", sind meist weiträumige Anlagen mit vielen Gebäuden. Sie umfassen die Produktionsbüros, die Aufnahmehallen, die technischen Anlagen, die Garderoben und Schminkräume, sanitäre und hygienische Einrichtungen, eigene Tischlereien, Schlossereien, Schneidereien, Werkstätten für Draperien, Stukkaturen, Malereien, die Konstruktionsbüros der Architekten, die Kopieranstalt, das Filmdepot, die Synchronisationsräume, Schneideräume, Vorführräume, die Werkkantine und so fort.
Die Betrachtung der wirtschaftlichen Seite des Films
Auch die Spielfilme sind, wirtschaftlich gesehen, ein Industrieprodukt, das fabrikmäßig hergestellt wird. Das Merkwürdige an diesem Industrieprodukt ist, daß es Kunst sein soll.
Um dieses Ziel zu erreichen, müssen bei seiner Herstellung auch immaterielle Rohstoffe Verwertung finden. Diese künstlerische Seite einer materiellen Produktion (die mit der anderen parallel läuft) hat im Rahmen des Gesamtbetriebes ihren eigenen organisatorischen Aufbau.
An ihrer Spitze steht als der künstlerisch Verantwortliche des ganzen Unternehmens der Produktionschef. Er bestimmt Inhalt und Gestaltung der Produktion. Ihm untersteht die Dreharbeit im Atelier und alles, was mit der Entstehung des Films direkt zusammenhängt: Dramaturgie, Spielleitung, Produktionsleitung, Besetzungsbüro, Schnittmeister, Auswahl der Drehbuchautoren, der Schauspieler, der Komponisten und so weiter.
.
Die "dreifache Genesis" der Herstellung eines Films
Die Herstellung jedes einzelnen Films hat eine dreifache Genesis, eine wirtschaftliche, eine technische und eine künstlerische, und eine Reihe von Spezialisten sind an jedem Entwicklungsstadium beteiligt.
Die künstlerische Arbeit beginnt alljährlich mit der Aufstellung eines Produktionsprogrammes. Plant eine Firma etwa 20 Filme und hat sie hierfür einen Betrag von 20 Millionen Reichsmark zur Verfügung, so wird sie nun keineswegs 20 Filme zu je einer Million Reichsmark herstellen, sondern neben billigen Filmen auch einzelne Spitzenfilme, die zwei oder mehr Millionen kosten.
Auch die Art der geplanten Filme wird einen Unterschied aufweisen müssen. Es wäre finanziell gewiß von Nachteil, wenn eine Firma in einem Jahr vierzig historische Stoffe oder nur Gegenwartsstoffe drehen würde. Man wird vielmehr auch hier ein vielseitiges Programm vorziehen, um dem Publikum Abwechslung zu bieten.
Man wird daher im einzelnen festlegen, wieviel biographische Filme (über das Leben großer Persönlichkeiten, Feldherrn, Erfinder, Künstler, Kolonialpioniere), gesellschaftskritische, bäuerliche Themen, Operettenfilme, Schwanke man beabsichtigt.
Man wird auch die zur Verfügung stehenden Regisseure in ihrer künstlerischen Eigenart berücksichtigen, man wird einem bedeutenden Regisseur, dessen Stärke ernste Themen sind, kein Lustspiel vorschlagen, und umgekehrt.
Hat man besondere Schauspieler von ausgeprägter Eigenart im Vertrag, so wird man für sie von vornherein bestimmte Stoffe in Betracht ziehen.
.
Die Aufgabe der Dramaturgie
Ist dieses erste Schema vom Produktionschef gebilligt, dann beginnt die Aufgabe der Dramaturgie, die Stoffe zu suchen und vorzubereiten. Die Dramaturgie wird aus ihrem Vorrat (sofern sie einen hat) eine Liste von - sagen wir - sechzig Stoffen zusammenstellen und dem Produktionschef vorschlagen. Wenn etwa zwanzig Stoffe dessen Beifall finden, wird sie dann nochmals eine größere Zahl Themen suchen, um die nötigen Ersatzstoffe zur Verfügung zu haben.
Der Reichsfilmdramaturg muß jedes Thema genehmigen
Diese Liste wird dann die Produktionsfirma dem Reichsfilmdramaturgen vorlegen. Dieser wird einigen Stoffen zustimmen, andere ablehnen, worauf eine neuerliche Ergänzung der Liste vorgenommen wird. Das wäre ungefähr das Schema der Planung, das aber bedauerlicherweise oft Theorie bleibt.
Die Produktionsgesellschaften sehen sich im Laufe des Jahres immer wieder durch die verschiedensten Umstände und unvorhergesehene Schwierigkeiten gezwungen, von geplanten Filmen abzusehen, und wenn dann plötzlich ein Ersatz gesucht werden muß, fehlt manchmal das geeignete Buch. Die Kürze der Zeit zwingt dann zu einer überhasteten Arbeit, die für die Qualität des Films nicht immer von Vorteil ist.
.
Der Produktionsleiter
Nehmen wir an, daß nun ein bestimmtes Thema endgültig für die Verfilmung bestimmt ist, so wird die Dramaturgie den entsprechenden Drehbuchautor heranziehen, und ihr obliegt es dann, für die rechtzeitige Fertigstellung des Drehbuches Sorge zu tragen. Wie das geschieht, haben wir schon erfahren.
Während also die Arbeit am Drehbuch ihrem (manchmal nur vermeintlichen) Ende entgegengeht, hat die Produktionsfirma neben dem Spielleiter einen Produktionsleiter bestellt, der „mit dem Kapitän eines Schiffes" verglichen werden kann.
Der Produktionsleiter ist gewiß ein wichtiger Mann, wenn auch nicht ganz so wichtig, wie dies Werner Kortwich in seinem amüsanten Filmbrevier behauptet. Wir wollen ihm diese kleine Überschätzung aber nachsehen, „weil er selber einer" ist.
In einigen selteneren Fällen hat es allerdings auch Produktionsleiter gegeben, die das künstlerische Niveau ihrer Filme entscheidend beeinflußten. Unterstehen dem Verantwortlichen mehrere Filme in einer eigenen Herstellungsgruppe, so nennt man ihn Herstellungsgruppenleiter.
Der Produktionsleiter trägt die Gesamtverantwortung für die Herstellung des ihm anvertrauten Films. Er stellt meist nach den Wünschen des Produktionschefs oder Regisseurs den Stab zusammen:
Kameramann, Architekten, Aufnahmeleiter, Tonmeister, Schnittmeister, Kostümberater, Hilfsregisseur, Dialogregisseur usw. Dazu noch den Komponisten, die Musiker und die Schauspieler.
Er ist der Verbindungsmann zwischen der künstlerischen Produktion und der Zentrale. Er hat dafür zu sorgen, daß die Ausgaben den Voranschlag nicht übersteigen (sie übersteigen ihn trotzdem), daß die Zahl der Drehtage nicht überschritten wird (sie wird trotzdem überschritten).
.
Wenn der große Sparmeister und der Regisseur kollidieren
Jeder Produktionsleiter hat den Ehrgeiz, möglichst billig zu drehen, er ist der große Sparmeister und ist dazu ja da. Er ist darin sozusagen auftragsgemäß anderer Meinung als der Regisseur, der immer alles möglichst großartig und erstklassig haben will, Ausstattung und Darsteller, ohne gleich nach den Kosten zu fragen.
Der Regisseur hat natürlich auch recht, denn er weiß, daß sich das Publikum herzlich wenig darum kümmert, ob ein Film viel oder wenig Geld gekostet hat. Das Publikum will immer einen großartigen Film, und für den Namen und die Geltung des Regisseurs ist der künstlerische und Publikumserfolg entscheidend.
Ob der Film dann 500.000 Reichsmark oder 2,000.000 Reichsmark gekostet hat, fragt hinterher nur die Produktionsgesellschaft, und das kümmert den Regisseur weit weniger als den Produktionsleiter, der ja dafür verantwortlich ist.
Ein Blick auf die "kleinen" Filme
Natürlich muß es auch kleine Filme geben, aber das hört ein Regisseur von seinem Film ebenso ungern, wie eine Mutter es hören möchte, daß ihr Kind häßlich ist. Ein Produktionsleiter, dessen Ehrgeiz sich übrigens in billigen Kalkulationen erschöpfen möchte, wäre ein schlechter Produktionsleiter.
Ich kenne solche, die im Ehrgeiz, die besten Schauspieler für „ihren" Film zu bekommen, mit dem Regisseur wetteifern, und das beweist nur, daß sie kluge Rechner sind. Eine gute Besetzung, auch wenn sie teuer ist, macht sich immer bezahlt, vorausgesetzt, daß das Buch nicht allzu schlecht war.
Eine verantwortungsvolle Aufgabe des Produktionsleiters ist die Aufstellung des Dispositionsplanes. Er muß nach den geplanten Dekorationen feststellen, was er an Atelierraum braucht. Er muß das Drehbuch sozusagen sezieren, mit dem Architekten das Bauprogramm festlegen, mit der Atelierleitung die freien Ateliers auswählen und die Zahl der Drehtage errechnen. Dann erst kann er eine Endkalkulation aufstellen.
Wichtig : der Dispositionsplan
Um den Dispositionsplan zu erstellen, wird erst einmal die Zahl der Dekorationen und Einstellungen festgestellt. Ihre Zahl ist ganz verschieden. Unter Einstellung versteht man einen neuen Standort der Kamera mit neuem Blickfeld.
Dann werden alle Einstellungen, die in der gleichen Dekoration spielen, zusammengezogen und je nach ihrer Länge (einmal bleibt die Kamera lang, einmal nur kurz bei einem bestimmten Bild) die Zahl der Drehtage festgelegt. Wenn wir „Postmeister" als Beispiel nehmen, so spielten die 281 Einstellungen in 34 Dekorationen; 38 Drehtage waren im Atelier, 3 im Freien vorgesehen.
An Tagen mit sehr langen Szenen in einer Einstellung waren nur drei Einstellungen, an anderen mit kurzen Szenen bis zu fünfzehn vorgesehen. Dieser Plan wird dann graphisch festgelegt und täglich kontrolliert, indem alle gedrehten Szenen übermalt werden. So sehen alle Beteiligten mit einem Blick das Fortschreiten der Arbeit, ob die Drehtage eingehalten werden konnten oder nicht.
.
Das Schauspielerverzeichnis
Über den Einstellungen befindet sich das Schauspielerverzeichnis mit der Anzahl der Tage, an denen sie zu spielen haben.
Es ist bekannt, daß man die einzelnen Szenen nicht so wie beim Theater in der Reihenfolge des Handlungsablaufes spielen, bzw. drehen kann.
Wenn ein Film etwa in einem Büro beginnt und im gleichen Büro endet, so werden Anfang und Schluß des Films am gleichen Tag gedreht, denn man kann die Dekorationen nicht zweimal neu aufbauen, man kann sie aber auch nicht durch den ganzen Film stehen lassen, weil da ja alle Ateliers nicht ausreichen würden.
Dieses bunte Durcheinanderspielen erfordert von allen Beteiligten, besonders aber vom Regisseur und den Schauspielern, eine erhöhte Konzentration, denn es ist natürlich nicht leicht, die verschiedensten Gemütsstimmungen ohne Zusammenhang nacheinander darzustellen.
Wenn ein Schauspieler etwa am dritten Drehtag in fröhlichster Laune als dreißigjähriger Ehemann seiner Frau einen Strauß Blumen überreicht und er muß eine halbe Stunde später als fünfzigjähriger Witwer seiner Tochter von der Mutter erzählen, die vor zwanzig Jahren gestorben ist, so geht das noch; aber wenn er am dritten Drehtag in einer bestimmten Kleidung in höchster Verzweiflung aus dem Zimmer stürzt und er muß zwei Wochen später die anschließende Szene im Korridor, die im fertigen Film nur eine Sekunde später kommt, in der gleichen Erregungsdosierung spielen, wie sie zwei Wochen vorher geendet hat, so ist das schon schwieriger.
Erstens muß er sich noch genau an seine Darstellung der Gemütserregung erinnern, vor allem aber muß man 14 Tage später genau wissen, was für eine Krawatte und welchen Hut er trug. Sonst passiert es dann, was früher öfters vorkam, daß der Darsteller mit einem schwarzen Sakko in einen Zigarrenladen eintrat und scheinbar unmittelbar darauf mit hellem Sportanzug herauskam.
.
Der Filmarchitekt
Liegt erst einmal der Drehplan fertig vor, sind Stab und Schauspieler festgelegt, die Pläne des Architekten genehmigt, die Ateliers frei, so fängt einige Tage vor Drehbeginn das Bauen an.
Hier tritt nun ein neuer Mann in den Mittelpunkt des Interesses: der Filmarchitekt.
Filmarchitekten müssen erfindungsreiche Künstler in ihrem Fach sein. Sie müssen einfach alles können. Vom griechischen Tempel bis zum Untergrundbahnhof, von der mittelalterlichen Ratsstube bis zum Boudoir eines Vamp, vom Kuhstall bis zum Prunksaal eines Kaiserschlosses, von einer Alpenlandschaft bis zum chemischen Laboratorium; sie müssen alles im Handumdrehen naturecht und stilgetreu ins Atelier zaubern. Und diese Bauten bestehen nicht nur aus Kulissenmalerei, sie sind dreidimensional, oft sehr solid aus Holz und Sperrplatten und der Wirklichkeit täuschend nachgebildet.
Wie oft meint das Publikum, daß diese oder jene Aufnahme an Ort und Stelle gemacht sei, aber sie kam doch im Atelier zustande. Da gehen Schiffe unter, fahren Eisenbahnzüge im Bahnhof ein, fährt ein Fiaker über den Stephansplatz, alles im Atelier.
Die Kombination von Originalaufnahmen und Studioaufnahmen
Manchmal werden diese Aufnahmen auch kombiniert. Von einem Dampfer, der wirklich in der Donau fährt, fällt ein Mann in den Strom (Originalaufnahme auf der Donau gedreht). Im nächsten Augenblick sieht man ihn verzweifelt mit den Wellen kämpfen, er ist in Gefahr, von der Strömung in die Radschaufeln des Dampfers gezogen zu werden, und das Publikum fürchtet für sein Leben.
Aber keine Angst, das Wasser steht nur einen halben Meter tief im Atelier, und die Wellen werden künstlich erzeugt. Oder man betritt etwa das berühmte Winterpalais des Prinzen Eugen, dieses Kleinod der Barockkunst, oder man sieht den glänzenden Innenraum der Wiener Oper, jeder Stein, jedes Relief scheint echt und steht doch im Atelier.
Das sind Bauten, die oft 20.000 bis 50.000 Reichsmark verschlingen und im Film wenige Minuten zu sehen sind. Trotzdem sind sie für den Gesamteindruck manchmal unentbehrlich. Man hört nun oft die Frage, warum diese Aufnahmen nicht wirklich an Ort und Stelle gemacht werden. Das müßte doch billiger kommen.
Erstens käme es wahrscheinlich eher teurer, und zweitens geht es wegen der Beleuchtung nicht. Es ist gerade bei historischen Bauten oft unmöglich, die notwendigen Beleuchtungskörper anzubringen, ohne den Raum zu beschädigen. Oder ihre Montage würde mehr kosten als das Bauen im Atelier.
.
Manchmal ist die Romantik der Kulisse stärker als das Original
Auch hat man an Ort und Stelle nicht Zeit und Ruhe zu Aufnahmen; man könnte vor dem berühmten Cafe Fenstergucker in der Kärntnerstraße nicht fünf Minuten filmen, ohne einen Volksauflauf im Brennpunkt der Großstadt zu riskieren. Und noch eines, eine paradoxe Feststellung: die Romantik eines Atelierbaues ist manchmal stärker als die Romantik des Originals. Der Film ist eben nicht Wirklichkeit, sondern künstlerischer Stil.
Ein im Atelier gebauter venezianischer Kanal kann unter Umständen stärker beeindrucken als einer in der Lagunenstadt selbst. Zumindest behaupten das manche Regisseure. Man muß da aber vorsichtig sein. Eine Originalaufnahme kann oft desillusionierend wirken, aber daran ist selten das Original schuld. Besonders Totalaufnahmen, im richtigen Licht und künstlerisch photographiert, werden ihren Eindruck auf das Publikum nicht verfehlen. Wie denn überhaupt die Freilichtaufnahme jeden Film bereichert.
.
Die teure Erfahrung der Amerikaner
Vor etwa zwanzig Jahren drehten die Amerikaner einmal einen altrömischen Kolossalfilm. Sie schickten dazu ihren ganzen Stab über das Wasser nach Rom und ließen dort in der Originalatmosphäre der Antike ihre Massenszenen drehen. Das kostete sie acht Millionen Dollar. Als man dann in Amerika die Negative entwickelte, war man entsetzt. Nichts von der gewünschten Atmosphäre.
Man mußte nun entweder den Film so herausbringen, wie er geworden war; da stand aber zu befürchten, daß er dem Publikum mißfallen und nie die hohen Kosten einbringen würde. Oder man mußte ihn noch einmal drehen. Man warf also die acht Millionen weg, rief die Expedition heim, baute das alte Rom noch einmal in Amerika auf, was wieder acht Millionen kostete, und brachte dann den neuen Film mit solchem Erfolg heraus, daß er nicht nur die sechzehn Millionen einspielte, sondern darüber hinaus einen Riesengewinn ergab. So ist das manchmal bei Filmen.
Und ohne der Verschwendung das Wort reden zu wollen, kann man doch den allerdings gefährlichen Satz aufstellen: „Nur wenn Geld keine Rolle spielt, kann man beim Film Geld verdienen". Natürlich soll auch, und es kann auch, beim Film Geld gespart werden. Aber es kommt darauf an, wo man ausgibt und wie man spart.
.
Wenn der erste Drehtag kommt
Wenn nun die ersten Dekorationen stehen und der erste Drehtag kommt - ein von allen Beteiligten meist ungeduldig erwarteter Festtag - so muß der Aufnahmeleiter, sozusagen der Generalsekretär des Produktionsleiters, sich vergewissert haben, daß alle Schauspieler rechtzeitig zur Stelle sind, daß sie richtig kostümiert und zeitgerecht geschminkt werden, daß sie ihre Rollenbücher haben, um den Text noch rasch zu lernen oder nachzulernen, daß die Beleuchter und alle anderen an ihren Posten stehen, und daß vor allem die Requisiten da sind, die gebraucht werden.
Vom Kinderfahrrad bis zur mittelalterlichen Armbrust, von der Schüssel mit dem heißen Spargel bis zum Bernhardinerhund darf nichts fehlen, denn wenn es plötzlich gebraucht wird und nicht da ist, können unter Umständen Stunden verlorengehen, die Tausende von Mark kosten. Das weiß der Aufnahmeleiter, und so ist er mit seinen Leuten unermüdlich hinter jeder Kleinigkeit her.
Auch der Regisseur ist in den letzten Tagen nicht müßig gewesen. Er hat mit den Hauptdarstellern oder Neulingen Probeaufnahmen gemacht, Bauten und Kostüme begutachtet, von der Rollenbesetzung bis zu den Frisuren seinen Standpunkt durchgesetzt.
Er hat mit dem Komponisten Besprechungen gehabt, für die Außenaufnahmen geeignete Orte besucht usw. Wenn er nun mit dem Drehen beginnt, kann er damit rechnen, daß alles bis ins letzte vorbereitet ist.
.
Es gibt natürlich noch mehr Themen
Über die eigentliche Dreharbeit mit den Schauspielern wollen wir gesondert sprechen. Hier interessiert uns vor allem der technische Vorgang bei der Entstehung des Films.
Es ist bekannt, daß Bild und Ton getrennt auf verschiedenen Negativen mit verschiedenen Apparaten aufgenommen werden (wir schreiben immer noch 1941).
Die Bildkamera befindet sich unmittelbar im Atelier, die Tonkamera aber in der Tonkabine, von dort aus durch ein Mikrophon, das sich auf der Szene befindet, mit dem Atelier verbunden. Dieses Mikrophon hängt an einer langen fahrbaren Hebelstange, dem „Galgen", über den Sprechern und muß sorgfältig bedient werden.
Die Distanz zum sprechenden Schauspieler beträgt meist ein bis drei Meter, dabei muß ständig darauf geachtet werden, daß es nicht in das Bild hängt oder Schatten wirft.
Jede einzelne Aufnahme wird so lange geprobt, bis sie sitzt. Erst ohne, dann mit Beleuchtung. Ist es so weit, ertönt ein lautes Signal, und auf Türen und Gängen blinkt ein rotes Licht auf und erleuchtet eine Tafel „Achtung, Aufnahme Atelier X".
.
Wenn im Studio das rote Licht angeht
Signal und rotes Licht haben eine magische Wirkung. Von diesem Augenblick an ist das Atelier hermetisch gegen jeden Zutritt abgeschlossen. Im Atelier wagt niemand mehr auch nur zu husten, man hört einzig die Stimme der agierenden Schauspieler. Auch in den nächstgelegenen Räumen und Büros wird jeder Lärm vermieden, der ins Atelier dringen könnte.
Sind die Aufnahmen des ersten Tages abgedreht, werden sie in der Kopieranstalt entwickelt und kopiert. Dann werden vom „Bild-Muster" und „Ton-Muster" (so heißen die einzelnen Aufnahmestreifen) Positivkopien angefertigt.
Die Muster des einen Tages werden jeweils am nächsten Abend nach der Dreharbeit dem Regisseur und seinem Stabe in einer Vorführung gezeigt. Dann werden die besten Muster ausgewählt und allmählich zusammengesetzt. Wie ein Mosaik fügt der Schnittmeister oder „Cutter" aus den einzelnen Szenen den werdenden Film zusammen.
.
Man nennt es "Schnitt"
Allzulange Szenen werden hiebei gekürzt. Wenn ein „Bild" unmittelbar dem anderen folgt, spricht man von „Schnitt", wenn es allmählich in ein anderes übergeht, von „Überblendung", wenn zwischen dem einen und dem nächsten ein leerer dunkler Zwischenraum das Vergehen von Zeit oder einen „Aktschluß" andeuten soll, heißt es „Abblenden".
Das Amt des Schnittmeisters oder Cutters ist eines der verantwortungsvollsten. Vom richtigen Schneiden eines Filmes hängt sein Tempo, seine künstlerische Wirkung, manchmal selbst die Verständlichkeit der Handlung ab. Es ist eine mühselige, langwierige Arbeit, die künstlerisches Verständnis und selbständiges Urteil voraussetzt. Nicht immer ist diese Arbeit reibungslos, oft sind Regisseur und Cutter verschiedener Meinung, und es gibt dann lange Debatten.
.
Die Musik zum Film
Ist die Länge der einzelnen Szenen durch den Cutter genau festgelegt, dann kann der Filmkomponist mit der Stoppuhr die Begleitmusik komponieren. Stumm aufgenommene Szenen werden inzwischen synchronisiert, d. h. mit dem dazugehörigen Ton versehen. Manchmal wird auch der umgekehrte Vorgang eingeschlagen. Man hat bereits - nehmen wir an - einen Straußschen Walzer, durch die Philharmoniker gespielt, mit der Tonkamera aufgenommen, läßt die Musik nun „playbak" im Atelier ertönen und dreht dazu den gewünschten Tanz.
Die Tatsache, daß Bild und Ton getrennt aufgenommen und nachher erst „gemischt" werden, erlaubt eine Fülle von Kombinationen und Tricks. Es ist bildmäßig oft interessanter, die Wirkung eines entscheidenden Wortes auf den Zuhörer zu sehen, als den Sprecher zu beobachten. Man kopiert also die Worte des einen mit der Großaufnahme des anderen.
Oder man läßt eine Stimme in der Erinnerung, im Traum, geheimnisvoll nachklingen. Oder eine ausgezeichnete Schauspielerin besitzt keine Singstimme, muß aber unbedingt ein Lied singen. Man läßt nun eine Sängerin das Lied singen, nimmt aber nur den Ton auf. Ihr Gesang wird dann dem Bild der Schauspielerin unterlegt, die ihre Mundbewegungen in Übereinstimmung mit dem ertönenden Gesang bringt.
Umgekehrt kann man eine entwickelte stumme Kopie in einem eigenen Nachsynchronisierraum, das ist eine Art Atelierkino, vor einem Orchester und einer richtigen Sängerin mehrmals vorführen und diese fügen nun nachträglich den Ton hinzu. Stummfilm und Tonfilm werden dann gemeinsam kopiert. Bei der Premiere wird niemand, der es nicht ausdrücklich weiß, die Täuschung merken.
.
Vom "Vertonen" eines stummen Films
Auf die gleiche Weise werden fremdsprachige Filme oft zur Gänze nachsynchronisiert.
Man kann aber nicht nur Bild und Ton beliebig auswechseln, man kann auch verschiedene Töne untereinander mischen. Der Tonmeister unterscheidet da dreierlei Arten: Dialog, Musik und Geräusch.
Wenn zum Beispiel eine Liebesszene im Hochgebirge zwecks höheren Stimmungsgehaltes zum Dialog noch eine musikalische Untermalung erhält, gegebenenfalls auch noch durch Kuckucksrufe unterstrichen werden soll, so wird höchstens der Dialog an Ort und Stelle aufgenommen, die Orchesteraufnahme erfolgt selbstverständlich im Atelier, und die Kuckuckstöne holt man aus dem Archiv.
Es gibt heute eigene Geräuscharchive, die, auf Tonstreifen alphabetisch geordnet, alle denkbaren Geräusche von Autohupen über Bärengebrumm, Dampfgezisch, Fenstergeklirr, Löwengebrüll, Kanonendonner bis zum Ziegengemecker vorrätig halten.
Das Mischen der Töne hat auch noch andere Gründe. Man kann so verhindern, daß eine zarte Stimme durch das Orchester erschlagen wird, man kann eine einzelne, auf die es handlungsmäßig ankommt, aus einer großen Menge besonders herausheben, man kann überhaupt die gesamte akustische Welt einem künstlerischen Gesetz unterwerfen.
Gemischt wird, indem man die einzelnen Tonstreifen gleichzeitig und in den gewählten Tonstärken ablaufen läßt, auf dem Schaltbrett reguliert und die gemeinsame Tonwirkung nun neuerdings aufnimmt.
Dieser endgültige Tonstreifen wird dann mit dem Bildstreifen kopiert, und zwar so, daß der Ton immer neunzehn Bildlängen voraus ist, zum Ausgleich der verschiedenen Schnelligkeit der Lichtstrahlen und des Schalles. Würde man das nicht berücksichtigen, ginge es uns so wie bei einem Gewitter, bei dem wir den Blitz früher sehen, als den Donner hören.

