Das Buch der "Filmspiegel" aus Wien "aus dem Jahr 1941 !!"
Österreich war 1941 bereits an das grossdeutsche Reich von Hitlers Gnaden angeschlossen, aber als kleines Anhängsel. Und der Wiener Autor Rudolf Oertel faßt die bis dato bekannte Historie des Kino-Films aus Wiener Sicht zusammen. Bis etwa Seite 120 (von 310) kommen zwangsläufig NAZI-Kultur-Gedanken moderat zum Vorschein, dann aber wird es überraschenderweise sehr befremdlich nationalsozialistsch judenfeindlich, genau wie überall im 3.Reich auch. Die einführende Seite finden Sie hier.
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DER MENSCH LERNT PHOTOGRAPHIEREN
Mit der Einfügung von Photographien in den Apparat von Uchatius ist nun jene dritte Entwicklungsreihe für uns interessant geworden, auf der heute der Film beruht: die Erfindung und Vervollkommnung der Photographie.
Rein theoretisch könnte man sich auch eine Kinematographie ohne Photographie vorstellen, mit handgezeichneten Bildern, also die uns bekannten Zeichentrickfilme. Dann aber wäre die Kinematographie gewiß nur ein kümmerlicher Abglanz dessen, was sie heute ist, so künstlerisch hochwertige Zeichenfilme es auch geben mag. (Sie werden heute natürlich ebenfalls photographiert und könnten anders gar nicht kopiert werden.)
Nur durch die Photographie ist der Film nicht nur Wiedergabe der Bewegung, sondern Abbild der Wirklichkeit geworden. Ohne Photographie gäbe es keinen Naturfilm, keinen wissenschaftlichen, keinen dokumentarischen Film, wir könnten nie die Wunder des kleinsten Lebens, die Unmittelbarkeit eines historischen Ereignisses, nie die wirkliche Bewegung des Lebens schauen.
Es ist hier gewiß nicht notwendig, über die Bedeutung der Photographie Worte zu verlieren. Während Laterna magica und Lebensrad restlos im Film aufgegangen sind, hat sie voll ihr eigenes Leben bewahrt. Sie ist eine große, weiterwirkende Erfindung für sich, die noch viele andere Gebiete der Wissenschaft und Technik befruchtet, die gleichsam nur auf einem Teilgebiet zum unentbehrlichen Rückgrat der Kinematographie geworden ist.
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Jene wichtigsten Daten der Photographie
Hier kann uns nicht die gesamte Geschichte der Photographie interessieren, über die es eine umfangreiche Literatur gibt. Für uns genügen jene wichtigsten Daten, die für die Kinematographie entscheidend waren.
Schon um 1727 benutzte der deutsche Arzt J. H. Schultze in Halle an der Saale die Lichtempfindlichkeit der Silbersalze zur Reproduktion von in Schablonen geschnittenen Schriftzügen durch das Sonnenlicht. Dieser Versuch geriet jedoch in Vergessenheit.
Erst hundert Jahre später, 1822, gelang es Nicephore Niepce in Chalons s/S., Bilder der Camera obscura, also unter der Einwirkung des Lichtes gewonnene Bildeindrücke, zu fixieren und damit, wenn auch noch sehr unvollkommen, das Problem der Photographie zu lösen.
Ein im Juni 1822 auf diese Weise gewonnenes Bild seines Gartens und Hauses ist die erste Photographie der Welt.
Der Pariser Maler Daguerre
In der gleichen Richtung arbeitete auch der Pariser Maler Daguerre. Die beiden vereinigten nun ihre Versuche und, als Niepce 1883 starb, setzte sie Daguerre allein fort. Endlich, 1837, entdeckte er ein brauchbares photographisches Verfahren, die „Daguerrotypie" mit Silberplatten und Quecksilberentwicklung. Nachdem dann 1839 der Engländer Fox Talbot das Kopieren auf Papieren erfand und ein Negativverfahren ausbildete, 1840 der "deutsche" (wie gesagt, wir sind in 1941) Physiker Petzval in Wien das Porträtobjektiv berechnete, das im gleichen Jahr Voigtländer in Wien ausführte und das mit der Zeit das am meisten angewandte Projektionsobjektiv wurde, erfand 1847 Niepce de St. Victor, der Neffe des Nicephore Niepce, die Photographie auf Glasplatten.
Man erzählt das so leichthin, und doch bedeutet ein kleiner Fortschritt manchmal eine Lebensarbeit. Niepce hatte sein ganzes Vermögen auf seine Versuche verwendet und war arm gestorben, hunderte Namen wären noch zu nennen, die ihr Teil dazu beigetragen haben oder vergeblich sich mühten oder zu spät kamen. Auch der Weg zur Kinematographie ist mit tragischen Erfinderschicksalen gepflastert.
Nocheinmal die Zeit wischen 1822 und 1847
Zwischen 1822 und 1847 war also in der Camera obscura in Verbindung mit dem photochemischen Verfahren die Möglichkeit gewonnen, die Natur gleichsam an einem toten Punkt ihrer Bewegung festzuhalten.
Man beachte nun die Jahreszahlen, um zu sehen, wie die Dinge unaufhaltsam zueinanderstreben. Zwischen 1821 und 1845, also fast parallel, verläuft die Erschließung des stroboskopischen Effekts über Stampfers Lebensrad bis zu Uchatius.
Und um eben diese Zeit erreichte die Laterna magica in ihren Nebelbildern ihre höchste Ausbildung.
Nahe, ganz nahe, scheint nun das - uns Rückschauenden heute nun klar erkennbare - damals aber erst allmählich herandämmernde Ziel der Vereinigung dieser drei Erfindungsreihen.
Was fehlte eigentlich noch?
Ich habe schon erwähnt, daß man im Apparat Uchatius' Photographien verwendete und wie man diese Reihenaufnahmen herstellte. Es ging aber um etwas anderes. Es ging um die Momentaufnahme, um die Reihe der Momentaufnahmen, die eine wirkliche Bewegung in der wirklichen Reihenfolge ihrer Phasen festhalten konnte.
1849 hatte Plateau den Vorschlag gemacht, solche Bilder für das Lebensrad photographisch herzustellen, und in den folgenden Jahren gab es eine Fülle derartiger Versuche.
Aber erst 1860 entwarf der Engländer Thomas Sutton den ersten brauchbaren Plan einer Sonderkamera für Reihenaufnahmen. Ein Jahr später konstruierte dann H. Dumont in Paris eine Kamera für zwölf Platten, die eine einigermaßen rasche Aufeinanderfolge von Aufnahmen gestattete.
1864 erfand Ducos du Hauron einen Apparat mit großer Platte und einer Reihe von Objektiven, also ein umgekehrtes Verfahren. Der französische Astronom Jules Janssen konstruierte 1874 einen photographischen Revolver, der, durch ein Uhrwerk betrieben, achtundvierzig Aufnahmen in Abständen von einer Sekunde gestattete. Eine Sekunde ist eine kurze Zeitspanne, aber die Bewegungen der Lebewesen erfolgen im allgemeinen doch viel rascher.
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Dei Wette von Eadweard Muybridge mit dem Pferd
Da veranlaßte eine Wette, ob das galoppierende Pferd in irgendeinem Augenblick seiner Bewegung mit allen vier Füßen gleichzeitig in der Luft schwebe oder nicht, den amerikanischen Photographen Eadweard Muybridge 1877 in Kalifornien zu folgendem Versuch: er stellte vierundzwanzig photographische Apparate in einer Reihe auf; der aufzunehmende Gegenstand - ein Reiter - bewegte sich in gerader Linie vor dieser Kamerareihe, deren Momentverschlüsse (Fünfundzwanzigstelsekunde) durch das galoppierende Pferd zerrissen und damit ausgelöst wurden.
(Man verwendet heute bei Pferderennen einen kinematographischen Apparat, der das Finish aufnimmt, um bei strittigen Fällen, wie toten Rennen, unter Zuhilfenahme der Zeitlupe den Sieger einwandfrei feststellen zu können.)
Die von Muybridge gewonnenen Bilder wurden von ihm auf eine kreisrunde Scheibe gebracht und auf eine Wand projiziert. Er benützte seine Reihenaufnahmen lebender Tiere also auch für das Projektionslebensrad.
Sein Zoonpraxiskop wurde nach 1879 in San Franzisko, London, Paris und Berlin gezeigt. Später verwendete er eine selbsttätige Auslösevorrichtung (Uhrwerk mit Kontaktscheibe).
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Bis 1882 passierte wenig
Nun vergehen Jahre ohne wesentlichen Fortschritt. 1882 erfand der französische Physiologe E. J. Marey, durch Muybridge angeregt, zur Reihenaufnahme des Vogelflugs die photographische Flinte, mit der er bereits in einer Sekunde zwölf Aufnahmen machen konnte (laut Janssen eine pro Sekunde). Im gleichen Jahre führte er die Mehrfachbelichtung auf eine feststehende Platte ein. Aber die Aufnahmen waren noch zu klein (1cm2).
Erst der deutsche Photograph und Erfinder Ottomar Anschütz, geboren 1846 zu Lissa bei Posen, gestorben 1907 in Berlin, einer der bedeutendsten Pioniere der Momentphotographie, erzielte ausgezeichnete Reihenbilder.
Er benutzte zwölf bis vierzehn Kameras, die übereinander in einem Gehäuse eingebaut waren, verwendete Objektive von langer Brennweite, um aus großer Entfernung photographieren zu können, außerdem wandte er wohl als erster Schlitzverschlüsse mit elektrischer Auslösung an, die eine gute Ausnutzung des Lichtes und kurze Expositionszeiten gestatteten.
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Der elektrische Schnellseher (Elektrotachyskop)
Seine Photographien erregen noch heute Bewunderung. Noch wichtiger aber wurde seine Erfindung des elektrischen Schnellsehers (Elektrotachyskop), den er im März 1887 im Kultusministerium in Berlin erstmalig vorführte und wobei er seine photographischen Reihenaufnahmen verwendete, von denen er nach und nach bis zweihundert Serien schuf.
Anschütz' elektrischer Schnellseher ist der erste Apparat, der in einwandfreier Weise eine schöne Darstellung photographisch gewonnener lebender Bilder gab. Der von Siemens und Halske als Schnellseherautomat ausgeführte Apparat wurde in allen Großstädten und 1893 auf der Chikagoer Weltausstellung gezeigt.
Im Berliner Ausstellungspark haben im Juni bis Juli 1892 gegen vierundreißigtausend Personen seinen Apparat benützt. Auch die Wundertrommel verband er mit seinen Reihenaufnahmen und schuf damit einen weitverbreiteten Handelsartikel.
Darüber hinaus hat Anschütz mit seinem Projektionsschnellseher vor Edison und vor Lumiere vortrefflich „lebende Photographien" vorgeführt und am 25. November 1894 im Hörsaal des Postgebäudes, Artilleriestraße zu Berlin, vor einem auserlesenen Publikum und in Anwesenheit des Kultusministers seine Serienbilder in Lebensgröße auf eine riesige Leinwand, 6 x 8m, projiziert.
Nach mehreren Vorführungen im Postgebäude veranstaltete er ab 22. Februar bis Ende März 1895 regelmäßig öffentliche Vorführungen in dem dreihundert Personen fassenden Sitzungssaal des alten Reichstagsgebäudes in der Leipziger Straße. (O. Meßter.)
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Was fehlte eigentlich noch? Die Bildbänder.
1888 hatte Augustin Le Prince in New York einen Aufnahme- und einen Projektionsapparat erfunden, der Reihenbilder unter Anwendung von Bildbändern vorsah.
Bildbänder? Da stocken wir einen Augenblick. Hätten wir nicht bald das Wichtigste vergessen? Und wir stellen die besorgte Frage, was hätte alles, was bisher erreicht war, genützt, wenn es eines nicht gäbe, jenes geheimnisvolle endlose Band, das dem ganzen den Namen gibt: den Film. Ohne Film kein Film, das ist klar.
Aber ich kann den Leser beruhigen. Auch das lichtempfindliche Filmband wurde ausgerechnet damals und rechtzeitig erfunden. Wie P. Liesegang in einem Aufsatz „Die Geschichte des Films" (Filmtechnik 1925) sagt, stellt seine Erfindung vielleicht das „wichtigste Ereignis im Verlauf der Entwicklungsgeschichte des Kinematographen" dar.
Von der Glasplatte zum Zelluloid
Die Kinematographie hat dieses unentbehrliche Hilfsmittel dem glücklichen Umstand zu verdanken, daß die photographische Technik sich seit Jahren bemühte, für die gewöhnlichen Aufnahmen biegsame, transparente, lichtempfindliche Schichten herzustellen.
Das große Gewicht und die Zerbrechlichkeit der Glasplatten, was besonders bei Reisen unangenehm war, führten zu zahllosen Versuchen, ein empfindliches und haltbares Negativtrockenpapier herzustellen.
Wie umständlich war damals noch das Photographieren! So mußte man zum Beispiel beim nassen Verfahren mit Dunkelkammerzelt, Flaschen und Schalen zu Außenaufnahmen hinausziehen, vor der Belichtung das Negativ präparieren und nachher sofort belichten. „Neun Zehntel des Vergnügens waren dadurch verdorben", sagte ein Zeitgenosse.
Das Fehlen eines feinfaserigen Papiers gab den Anlaß, wiederholt andere Materialien an seine Stelle zu setzen. Man versuchte es mit leichten, biegsamen Glimmerplatten, mit Vermicelli, mit Guttapercha und Auflösungen von Seide und Baumwolle in Cuprammonium.
Natürlich hatte man schon früher an die Verwendung von Gelatinefolien gedacht, schon Niepce hatte sich damit beschäftigt, Le Prince sie bei seinen Filmbändern verwendet, dann aber wegen allzu starker Schrumpfung aufgegeben.
Erst 1887, gerade zur rechten Zeit, gelang es dem amerikanischen Geistlichen Hannibal Goodwin, einen glasklaren, durchsichtigen, etwa 0,1mm dicken, biegsamen Träger einer lichtempfindlichen Schicht aus Zelluloid herzustellen.
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Der Prozess gegen Eastman in Rochester
Aus dem Englischen stammt auch seine Bezeichnung „Film", zu deutsch „Häutchen". Dieses Wort ist dann allmählich zum Sammelbegriff all dessen geworden, was wir heute unter Film verstehen.
Elf Jahre sollte die Bestätigung des Goodwinschen Patents auf sich warten lassen, inzwischen hatte Eastman in Rochester im Staate New York mit der Fabrikation solcher Filmbänder begonnen. Goodwin, der gegen ihn einen Prozeß anstrengte, erlebte den Sieg seiner Ansprüche nicht mehr. Aber für die Geschichte bleibt er der Erfinder des „Films". Des Zelluloidfilmbandes, wollen wir einschränkend sagen.
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1889 - Der Engländer W. Friese-Greene
Der Engländer W. Friese-Greene hat dann um 1889 als erster Reihenaufnahmen auf Zelluloidfilmbändern gemacht. Ein weiterer, scheinbar winziger, aber sehr wichtiger Fortschritt. Denn damit sind Photographie und Bildträger an jenem Punkt angelangt, an welchem ihre Vereinigung mit Projektion und Lebensrad die Kinematographie ergeben mußte.
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DIE ERFINDUNG DER KINEMATOGRAPHIE
Sieben Städte Griechenlands haben sich um die Ehre gestritten, die Geburtsstätte Homers zu sein. Aber auch um kleinere Dinge geht in der Welt der Streit, und vor allem haben technische Probleme die Merkwürdigkeit an sich, daß sie meist längere Zeit „in der Luft liegen", um dann plötzlich fast zu gleicher Zeit in verschiedenen Ländern gelöst zu werden.
Da solche Erfindungen nicht das Werk eines Tages, sondern oft das Resultat jahrelanger Versuche darstellen, man also einen genauen „Geburtstag" meist nicht angeben kann, so sind dann Prioritätsstreitigkeiten an der Tagesordnung.
Oft auch werden Versuche des einen von einem anderen weitergeführt und dann behaupten beide, der Erfolg sei ihr Verdienst, oder aber die Arbeit des früheren bleibt unbemerkt, während ein späterer Glück hat und die Welt überzeugt. Ich habe auf solche Fälle nur ganz vereinzelt hingewiesen.
Wer ist der Erfinder der Camera obscura? Ibn al Haitam, Leonardo da Vinci, Erasmus Reinhold in Wittenberg oder Della Porta? Man wird sagen, auf keinen Fall Della Porta, und doch tritt erst durch ihn diese Erfindung praktisch in die Welt.
Wer erdachte die Laterna magica? Athanasius Kircher, P. Millet de Chasles, Walgenstein? Wem danken wir das Lebensrad? Faraday, Stampfer, Plateau?
Wer ahnte zuerst die Photographie? H. J. Schultze, Niepce, Daguerre?
Wer schuf das Filmband? Goodwin oder Eastman?
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Wer war oder waren der/die Erfinder der Kinematographie
Die Welt nennt entweder Edison oder die Brüder Lumiere die Erfinder der Kinematographie und bezeichnet die Jahre 1893 oder 1895 als die Geburtsjahre der Kinematographie. Aber schon um 1888 verwendet der Franzose Emil Reynaud in seinem Projektions-Praxinoskop Bildbänder.
Und dieses „Filmband" aus Gelatinefolien, auf dem die einzelnen Bilder gemalt sind, ist auch schon regelmäßig mit Löchern versehen, „perforiert", die auf Stifte der Ausgleichstrommel passen, so daß beim Abrollen des Bandes von Spule zu Spule ein genaues Mitlaufen der Trommel bewirkt wird.
Reynaud stellte in der Folge drei Lustspiele her, deren größtes auf einem 50 Meter (!) langen Band 750 gezeichnete Bilder enthält, das zweite „Der Clown und sein Hund" umfaßte 300 Bilder auf 22 Meter, das dritte „Armer Pierrot" 500 Bilder auf 36 Meter.
Die Spieldauer betrug 12-15, 6-8, 10-12 Minuten. Das ergibt pro Bild zirka eine Sekunde. In Wirklichkeit lief das Band viel rascher, aber Reynaud variierte die Ablaufsgeschwindigkeiten nach Belieben, ließ zeitweise Bilder stehen oder wiederholte sie. (H. Fourtier, Tableaux de Projection.)
Seine Vorführungen waren stark besucht. Er eröffnete dann (nach Constet, La Revue Francaise de Photographie 1923) im Jahre 1892 im Museum Grevin zu Paris sein Optisches Theater, in dem er es bis 1900 auf 12.000 Vorstellungen brachte, die von 500.000 Personen besucht worden sein sollen.
Seit Ende 1895 verwendete er ebenfalls die Photographie zur Herstellung seiner Bilder. Die von Constet gemachte Angabe, daß die Projektionen „ruhig stehend, frei und absolut scharf gewesen seien", wird allerdings angezweifelt.
„Jedenfalls hat Reynaud als erster die Reihenprojektion mit Bildbändern praktisch betrieben, hat als erster perforierte Bildbänder benützt, als erster das lebende Bild zu theatermäßigen Darstellungen verwendet (Lustspiele) und er kann als erster Filmdramaturg angesehen werden", sagt P. Liesegang.
Der Aufnahmeapparat und der Projektionsapparat
Man muß nun im Auge behalten, daß zur Kinematographie zwei voneinander unabhängige Apparate gehören, die Aufnahmekamera und der Projektionsapparat. Bei Reynaud handelt es sich nur um den Projektionsapparat und um die Einführung des Filmbandes in die Projektion; im gleichen Jahre wie er, also 1888, hatte aber Marey das Filmband auch in den Aufnahmeapparat eingeführt. Es war eine transportable, chrono-photographische Kamera mit mechanischem Antrieb.
Also war auch diese zweite Frage im Prinzip schon vor Edison und den Brüdern Lumiere praktisch versucht worden. Daneben hat Marey in unablässigen Versuchen die Momentaufnahmen bis auf 120 Bilder pro Sekunde gebracht, 1894 photographierte er eine fallende Katze mit 60 Bildern pro Sekunde und, indem er diese Aufnahmen mittels des Lebensrades verlangsamt wiedergab, wandte er erstmalig das Prinzip der Zeitlupe an.
Am 24. August 1891 reichte nun Thomas W. Edison ein amerikanisches Patent ein auf eine Aufnahmekamera und ein perforiertes Filmband als Filmträger. Vielleicht hat die Nähe Rochesters, wo auch heute noch (wir sind im Jahr 1941) der größte Teil aller auf der Welt laufenden Filmstreifen erzeugt wird, Edison auf den Gedanken gebracht, diesen neuen Werkstoff seiner Erfindung nutzbar zu machen.
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Die Transporttechnik des Filmbandes
Die Schaltung des Filmbandes erfolgt durch eine Zahntrommel, der durch ein Sperrgetriebe eine intermittierende Bewegung erteilt wird. Es sind 30-40 Belichtungen in der Sekunde vorgesehen. Dieser Apparat war aber nicht transportabel.
1893 zeigte er erstmalig sein Kinetoskop, einen Betrachtungsapparat mit 35mm breitem Filmband. Dieses läuft kontinuierlich (ohne optischen Ausgleich) unter der Schauöffnung her, zeigt 46 Bilder in der Sekunde und wird intermittierend beleuchtet durch eine unter dem Film befindliche Glühlampe und eine rotierende Scheibe.
Man sah auf diesem ersten Filmstreifen das Leben in einem amerikanischen Barbiersalon, eine Szene vor einer Schmiede, das Treiben in einer Bar usw.
Jeder „Film" dauerte etwa 20 Sekunden und bestand aus etwa 1000 Bildern auf einem Streifen von etwa 16-20 Meter Länge.
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Das Edisonsche Kinetoskop konnte man kaufen
Mit dem Edisonschen Kinetoskop kommen erstmalig perforierte, photographisch bedruckte Zelluloidfilmbänder in den Handel. Diese sind für die weitere Entwicklung von allergrößter Bedeutung, sie werden in bezug auf Bildabmessung und Perforation in der ganzen Welt vorbildlich. (P. Liesegang.)
„Man könnte meinen" (ein blöder Spruch !!), sagt O. Meßter, „daß es für Edison nur einen kleinen Schritt bedeute, zu seinen ausgezeichneten Filmen einen Projektor zu konstruieren und eine Kino- und Filmindustrie aufzubauen. So einfach war die Sache, wie uns die Weiterentwicklung gelehrt hat, aber nicht. Erstens fehlte ihm eine transportable Aufnahmekamera, mit der er überall interessante Vorgänge hätte aufnehmen können, was mit seiner an das Atelier gebundenen Aufnahmemaschine nicht möglich war, und zweitens fand er damals für einen Projektor keine befriedigende Lösung".
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1895 - die Gebrüder Skladanowsky zeigten Filme
Am 1. November 1895 zeigten die Gebrüder Skladanowsky am Schluß des Varieteprogramms im Berliner Wintergarten photographische Reihenbilder in Projektion, „Lebende Photographie". Die Skladanowskys entstammten einer Artistenfamilie, ihr Vater Eugen führte bereits Nebelbilder vor.
Er hielt am 18. November 1879 in der Berliner Flora, dem späteren Apollotheater, seinen ersten öffentlichen Projektionsvortrag. Bis 1890 halfen ihm seine Söhne Max und Emil bei seinen Vorführungen. Dann machten sie sich mit einer Varietenummer selbständig.
Die Aufnahmen, welche im Novemberprogramm des Wintergartens 1895 gezeigt wurden, stammen aus dem Sommer 1895. Sie waren auf perforationslosem, 1,5 Meter langem Rollfilm von Eastman in unregelmäßigem Abstand mit acht Einzelbildern in der Sekunde ruckweise aufgenommen worden.
Das Band wurde entwickelt, die Einzelbilder wurden zerschnitten. Diese Negativplatten wurden auf Zelluloidtafeln geklebt und diese Planfilme wiederum auf Diapositiv-Zelluloidtafeln kopiert, welche die Trockenplatten-Fabrik Matter in Mannheim lieferte. Die Positivtafeln wurden dann in Reihen zerschnitten und so zwei Bänder mit je zwanzig Bildern gewonnen. Jedes Band wurde zu einem Ring zusammengeklebt.
Max Skladanowsky erzählt:
„Allerdings mußten die Aufnahmen nun getrennt auf zwei Bildbändern kopiert werden, auf dem einen Band die ungeraden, auf dem anderen Band die geraden Zahlen einer Serienaufnahme".
In einem Doppelprojektor wurden mit wechselnder Projektion ein gerades und ein ungerades Bild aus der Reihe gezeigt. Dadurch, daß jeder der Streifen bei der Projektion seine verhältnismäßig großen Bilder (3 x 4cm) wahrscheinlich viermal in der Sekunde zur Projektion brachte, war eine Vorführung von acht Bildern in der Sekunde, entsprechend der Aufnahme möglich.
Wir haben es also einwandfrei mit photographischen Reihenbildern zu tun. Infolge der Konstruktion des Vorführapparats müssen sie sogar weniger fest gestanden und stärker geflimmert haben als etwa die Bilder von Anschütz, welche ebenfalls in einem Doppelprojektor vorgeführt wurden.
„Da meine ersten Filmbänder sehr primitiv waren", erzählt Max Skladanowsky, „und nicht lange aushielten, gab ich diese Projektion wieder auf, um mich der Fabrikation der Taschen-Kinematographen zuzuwenden, die durch mich in vielen Millionen Exemplaren über die ganze Erde verbreitet wurden".
Das Patent der Brüder Skladanowsky lautet auf ein Schneckenradgetriebe zur Fortbewegung des Filmbandes. Die „zur Darstellung gebrachten Momentphotographien", wie die Anzeige des Wintergartens sagt, zeigten einen italienischen Bauerntanz, komisches Reck, boxendes Känguruh, Jongleur, akrobatisches Potpourri, die Kamerins, einen Boxkampf und eine Aufnahme der Gebrüder Skladanowsky.
Die Kritiken sprachen von „einem höchst amüsanten Schattenspiel" und von „Zittern der einzelnen Figuren", begrüßen aber „die minuziöse Genauigkeit der Bewegungen". (H. Traub.)
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1895 - Das Patent der Brüder Lumiere
Aber die entscheidende Entwicklung hatte sich an anderer Stelle angebahnt. Am 13. Februar 1895 hatten die Brüder Lumiere einen Apparat zum Patent angemeldet, der zur Aufnahme, zum Kopieren und zur Vorführung beweglicher Bilder diente.
Sie nannten ihn anfangs "Kinetoskop en projection", später „Cinematographe" und dieser Name, der alle anderen Bezeichnungen in Vergessenheit geraten ließ, besagt, daß von diesem Apparat aus die Kinematographie in dem Sinne, wie wir sie heute verstehen, ihren Ausgang nahm.
Es ist eine Ironie des Zufalls, daß selbst dieser Name nicht ganz ihr Eigentum ist, denn schon 1892 hatte ein Guilleaume Bonly eine Aufnahmekamera unter diesem Namen zum Patent angemeldet, die aber in Vergessenheit geriet.
Die Familie Lumiere stammt aus Besancon, in dem ort, in dem August Lumiere, der Vater, Kunstphotograph war. Seine Söhne, August, geboren 1862, und Louis, geboren 1864, arbeiteten mit ihm gemeinsam an photographischen Erfindungen und am Aufbau einer photographischen Industrie in Lyon.
Die Brüder haben alles, was sie erfanden, unter gemeinsamem Namen bekanntgegeben, aber neuere französische Untersuchungen sprechen Louis Lumiere die eigentliche Erfinderleistung zu.
Louis Lumiere
Louis Lumiere hatte zwischen 1890-1892 den Schnellseher von Anschütz, das Optische Theater von Reynaud und das Kinetoskop von Edison genau studiert. Auch der Apparat von Uchatius und die photographische Flinte von Marey waren ihm bekannt. Aus den Mängeln und Vorzügen all dieser Konstruktionen wuchs ihm seine eigene Idee, die er dann gemeinsam mit seinem Bruder in sechsmonatiger Arbeit realisierte.
Die Bedeutung der Lumiereschen Erfindung und ihre geradezu weltgeschichtliche Wirkung beruht in der genialen Einfachheit der Konstruktion, daß sie erstmalig die Schaltung durch einen Greifer einführte, Bandbreite und Bildmaß von Edisons Kinetoskop übernahm und damit den Grundstein zur Internationalität der Filmindustrie legte.
Der Lumieresche Apparat, der anfangs ohne Vor- und Nachwickeltrommel und ohne Aufrollspule war, hat später noch zahlreiche Verbesserungen erfahren, insbesondere hat in der Projektion sich der Meßtersche Apparat als der bessere erwiesen, aber seine prinzipielle Konstruktion ist bis heute die Grundlage der Kinematographie geblieben.
Der Lumieresche Apparat war das Ei des Kolumbus
Er war das Ei des Kolumbus. Die erste Vorführung fand am 22. März 1895 in der Societe d'encouragement a l'industrie nationale statt. Nach einem Vortrag Louis Lumieres über die photographische Industrie wurde ein einziger Filmstreifen vorgeführt: „Die Arbeiter verlassen die Lumiere-Werke", in unserem Sinn der erste Film der Welt.
Die nächste Wiedergabe erfolgte am 1. Juni 1895 in Lyon am Congres des Societes photographiques de France, unter Vorsitz Janssens. Diesmal sah man acht Streifen zwischen 8 und 17 Meter Länge.
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- 1. „Die Arbeiter der Lumiere-Werke",
- 2. „Am Börseplatz in Lyon",
- 3. „Kunststücke auf dem Seil",
- 4. „Schmiede an der Arbeit",
- 5. „Bebe beim Fischfang",
- 6. „Eine Feuersbrunst",
- 7. „Der begossene Blumengießer",
- 8. „Die Jause Bebes". (Le Cinema.)
Außerdem wurden die Teilnehmer kinematographisch aufgenommen und der Film tags darauf dem erstaunten Publikum vorgeführt.
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Die öffentlichen Vorführungen am 28. Dezember 1895
Die öffentlichen Vorführungen begannen am 28. Dezember 1895 im Grand Cafe, Boulevard des Capucines, Paris, in welchem man ein bescheidenes Souterrainlokal für 30 Francs monatlich auf die Dauer eines Jahres gemietet hatte.
Der Eintrittspreis betrug 1 Franc, man sah 8-10 Filme, die ganze Vorführung dauerte etwa 20 Minuten, dann begann die nächste Vorstellung. Der erste Tag brachte 35 Francs.
Aber der Zulauf stieg sprunghaft. Drei Wochen später gab es 2000-2500 Personen täglich, die Menge stand Schlange und ein Ordnerdienst mußte eingerichtet werden. (Le Cinema.)
Es war interessant, die Leute zu beobachten, die vorübergingen; erst stutzten sie beim Anblick des Plakats, überlegten, was denn dieser „Cinematographe Lumiere" eigentlich sein könne, traten dann neugierig ein, kamen 20 Minuten später erregt und verwirrt heraus, und man sah sie kurze Zeit darauf wiederkehren, in ihrer Begleitung alle Bekannten, die sie auf den Boulevards auftreiben konnten .....
Die ersten Vorzeichen jener magischen Gewalt, die der Film über die Menschen gewinnen sollte.
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Eine Zusammenstellung der Namen
Wie viele Konstruktionen und Apparate es damals gab, die alle mehr oder weniger bewegte Bilder zeigten, mag eine Zusammenstellung der Namen (aus dem Jahr 1941) beweisen. Ich mute niemandem zu, daß er all diese schwer aussprechbaren Namen wirklich liest, aber die Masse allein wird den Leser beeindrucken:
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- Acheograph
- Aerialgraphoscop
- Ammotiscope
- Anarithmoscope
- Animatograph
- Animatoscope
- Artograph
- Biograph
- Cathoscop
- Centograph
- Chronomatographe
- Chronophotograph
- Chronophotographoscope
- Cieroscope
- Cinagraphoscope
- Cinematograph
- Cinematoscope
- Cinnemonograph
- Cinograph
- Cinoscope
- Corminograph
- Cosmoscope
- Counterfivoscope
- Criterioscope
- Daramiscope
- Eideloscope
- Elektroscope
- Eragraph
- Getthemoneygraph
- Heliocinegraph
- Heliograph
- Heliographoscope
- Hypnoscope
- Involograph
- Isolatograph
- Katoptikum
- Kineatograph
- Kinebleboscope
- Kinegraph
- Kinegraphoscope
- Kinematograph
- Kinematoscope
- Kineograph
- Kineopticon
- Kineoptoscope
- Kinesetograph
- Kinetograph
- Kinetoscope
- Kinevitagraph
- Kinographoscope
- Kinotigraph
- Klondikoscope
- Lifeoscope
- Lobsterscope
- Luminograph
- Magniscope
- Mimicoscope
- Monograph
- Motiscope
- Motophotoscope
- Motorgraph
- Movementoscope
- Musculariscope
- Mutoscope
- Originagraph
- Panoramograph
- Pantobiograph
- Pantomimograph
- Parlorgraph
- Persistoscope
- Phantasmagoria
- Phantograph
- Phantoscope
- Phasmatrope
- Phenakistoscope
- Phonendoscope
- Photochronograph
- Photokinematograph
- Photokinematoscope
- Photoscope
- Phototrope
- Pictorialograph
- Rayoscope
- Realiphotoscope
- Rythmograph
- Scenamotograph
- Scenoscope
- Selfseminograph
- Shadographoscope
- Stereopticon
- Stereoptigraph
- Stinnetiscope
- Stroboscope
- Sygmographoscope
- Tachyscope
- Taumatograph
- Thaumototrope
- Theatrograph
- Thromotrope
- Touniatoscope
- Tropograph
- Variscope
- Venetrope
- Velograph
- Vileocigraphiscope
- Vileograph
- Vilophotoscope
- Viletoscope
- Visionscope
- Vitagraph
- Vitaphotoscop
- Vitascope
- Vitopticon
- Vitrescope
- Vivendograph
- Vivoscope
- Wateroscope
- Wondorscope
- X-ograph
- Zinematograph
- Zoeoptotrope
- Zoetrope
- Zoograph
- Zoopraxoscope.
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Nach einer Aufstellung von Traub-Lavies.
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Dagegen - Erfindergeist und Erfinderhoffnung ??
Wieviel Erfindergeist und Erfinderhoffnung liegt in ihnen namenlos begraben, besiegt und verdrängt von dem einen, der sie alle an Einfachheit und Zweckmäßigkeit übertroffen hat, von Lumieres Cinematographen. Genug davon, wir wollen nun das uns Nächstliegende betrachten, die Anfänge und erste Entwicklung des Films in Deutschland.
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