DIE LATERNA MAGICA
Die Vereinigung der Spiegelschrift und der "Camera obscura" führten zur nächsten entscheidenden Erfindung, der Laterna magica, die Athanasius Kircher 1646 zum erstenmal beschreibt.
Athanasius Kircher, 1602 zu Geisa im Eisenachschen geboren, trat 1618 in den Jesuitenorden ein, hielt sich dann, vor den Wirren des Dreißigjährigen Krieges flüchtend, studierend und lehrend in Koblenz, Aschaffenburg und Mainz auf, wurde Professor in Würzburg, flüchtete nach Avignon, um endlich nach Rom berufen zu werden, wo er bis zu seinem Tode 1680 blieb. Ihm gebührt der Ruhm, eine der wichtigsten Voraussetzungen der Kinematographie geschaffen zu haben: die Projektion.
Auch Kircher sind Prioritätsstreitigkeiten nicht erspart geblieben. So soll der französische Jesuit P. Millet de Chasles sie fast gleichzeitig erfunden haben, und besonders der Däne Thomas Walgenstein, der mit ihr in Europa herumzog und großes Aufsehen erregte, schien Kircher den Ruhm streitig zu machen. Wir wissen aber heute, daß sein Apparat bei aller Verbesserung dennoch von Kircher ausgeht.
Die Laterna magica verbindet die Camera obscura mit der Eigenschaft der konvexen Linsen, von einem um etwas mehr als die Brennweite entfernten Gegenstand jenseits ein vergrößertes Bild zu entwerfen, welches auf einem Schirm aufgefangen werden kann.
Eigentlich sind wir jetzt erst wieder an der Stelle, an der 1700 Jahre vorher schon Heron von Alexandrien war.
Die Projektion von lesbaren Schriften
Interessant war die Anwendung, die Kircher von seinem Apparat machte. Er warf Schriften auf 500 Fuß Entfernung an eine Wand, und zwar so deutlich, daß die Umstehenden sie lesen konnten; für die damalige Zeit eine erstaunliche Leistung.
Ein andermal ließ er lebende Fliegen, die er mit Honig anklebte, in mächtiger Größe auf der Zimmerwand erscheinen. Dann wieder malte er in bunten Farben eine Figur auf den Spiegel, oder er befestigte einen Hampelmann darauf und ließ das projizierte Bild zum Schrecken der Zuschauer Bewegungen ausführen. Kein Wunder, wenn Kircher wiederholt in den Ruf eines Schwarzkünstlers kam.
Kircher war sich des eigentlichen Wertes seiner Entdeckung, durch Einführung der Objektivlinse die erste eigentliche Projektionsanordnung geschaffen zu haben, nicht bewußt, er war gleich Agrippa von Nettesheim vom Gedanken an die Fernschreibekunst besessen. Er nennt sein Verfahren „Cryptologia" und „Stenographia" und hofft, mit größeren Apparaten 12.000 Fuß weit „schreiben" zu können.
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Der Kommentar von P. Liesegang
Wir haben hier den merkwürdigen Fall, sagt P. Liesegang, daß das Problem der, sagen wir Telegraphie, eine grundlegende Erfindung auslöste, auf welcher sich die optische Projektionskunst, ein der Telegraphie ganz fremdes Gebiet, aufbaute. Wir werden später ähnliche Fälle bei Faraday und Edison erkennen können. Erst andere nach Kircher, so vor allem Walgenstein, sind den Weg weitergegangen, der für uns wichtig ist.
Besonderen Spaß scheint es Kircher gemacht zu haben, nächtlicherweile mit seiner Kerzenlichtvorrichtung von seiner Stube aus Lichtbilder gegen ein Papierfenster des gegenüberliegenden Hauses zu werfen (in Rom hatte man nämlich damals Papierfenster), so daß die im Zimmer befindlichen Freunde sie verwundert erblickten. Diese Projektion im Düstern hielt er auch für sehr nützlich zur Bekehrung gottloser Menschen, indem man ihnen damit den Teufel zeige.
Im Dictionnaire des Abbe Furetiere von 1727 heißt es: „Die Laterna magica ist ein kleiner optischer Apparat, welcher in der Dunkelheit auf einer weißen Wand die verschiedensten schrecklichen Ungeheuer erscheinen läßt, so daß derjenige, der das Geheimnis nicht kennt, glaubt, daß dies durch Zauberei geschehe".
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Es gab natürlich viele Nachahmer
Kirchers Erfindung wurde allenthalben nachgeahmt. So berichtet Caspar Schott in seiner Magia Optica:
- „Auch bedienen sich dessen viel hin und wieder nach deß Kirchers Lehrgebot wunderliche Dinge vorzustellen / mit der Anschauer größtem Behagen und Verwunderung: unter denen zu Löwen der vortreffliche Sinnkünstler oder Mathematicus V. Andreas Tacquet unserer Genoßschaft Mitglied / deß V. Martins Martini ganze Reise aus China ins Niederland vorgestellt / wie er mir solches selbsten zu Rom erzehlet / und ich selbsten hab zu Rom viel dergleichen Dings durch diesen Kunstfund zuwerck gerichtet."
Wir hören hier also, daß Tacquet um 1654 in Löwen mit Hilfe des Kircherschen Verfahrens eine regelrechte Projektionsvorführung veranstaltete. Die erste Vorstellung dieser Art, der erste Lichtbildvortrag, von dem wir Kenntnis besitzen, wie Liesegang feststellt.
Die „Projektionsuhr"
Bald fand man eine andere kuriose Verwendung in der „Projektionsuhr", einer echt barocken Idee: in der Laterne befindet sich eine drehbare, auf Glas gemalte Zifferscheibe, die von einer im Fuße des Apparates untergebrachten Uhr angetrieben wird, so daß auf der Wand der mit der Zeit sich drehende Zifferkranz erscheint.
Ein dort hängendes Schwert dient als Zeiger. Also eine Uhr, bei der sich nicht der Zeiger, sondern das Zifferblatt dreht und bei der man die Zeit auf der Wand abliest. Johann Zahn empfiehlt in seinem optischen Lehrbuch (1685) diese Laternauhr an Stelle der üblichen Nachtlampe zu benutzen,
„damit man beim Wachwerden sogleich auf der Wand die Zeit ablesen könne (eine Vorahnung unserer Leuchtzifferwecker). Wenn dabei das Öl der Lampe gar zu übel rieche, solle man ein Loch in die Wand machen und den Apparat neben anstellen."
Ein späterer Schriftsteller berichtet tatsächlich, daß „diese schöne Invention bei großen Herren gar nicht rar war". Und ein anderer malt uns aus, eine wie wundervolle Sache es sei, wenn man, so ein Freund nach der Zeit frage, die Fensterläden schließe und die Laterne anzünde, um dem erstaunten Gast auf der Wand die Zeit zu weisen.
Liesegang berichtet weiter .......
Liesegang berichtet auch von einem Leipziger Kaffeehausbesitzer namens Schröpfer (nomen est omen), der sich um 1770 auf den Kircherschen Vorschlag besann, Teufel und Gespenster zu projizieren, um damit auf die unwissenden Menschen Eindruck zu machen.
Dieser abenteuerliche Mensch schwatzte den Leuten vor, er könne die Geister ihrer verstorbenen Angehörigen heraufbeschwören. Er führte seine Opfer, die er in raffinierter Weise durch langes Fasten und den Genuß berauschender Getränke gefügig gemacht hatte, in ein ganz schwarz gehaltenes Zimmer, worin ein Altar mit einem Totenkopf und ein Licht standen.
Der Magus macht im Sand auf dem Boden einen Kreis, den beileibe niemand überschreiten darf - damit nämlich der Schwindel nicht bemerkt werde. Nun geht die Beschwörung und Räucherung los. Auf einmal verlöscht das Licht und unter furchtbarem Gepolter erscheint der vorgeladene Geist über dem Altar, ständig hin und her wallend.
Natürlich ist er nichts anderes als ein Laterna-magica- Bild, das von rückwärts gegen den aufsteigenden Rauch geworfen wird. Der Magus haut mit dem Degen gegen den Geist los, um ihn zum Reden zu zwingen. Dieser stimmt ein jämmerliches Geheul an, das macht der Gehilfe nebenan, indem er durch ein bis zum Altar laufendes Rohr schreit, und beantwortet dann die Frage mit einer fürchterlichen rauhen Stimme.
Endlich verschwindet der Geist wieder unter schrecklichem Gepolter, wobei die Anwesenden zum Abschied einen Denkzettel erhalten, indem sie an allen Gliedern heftig erschüttert wurden, was wieder der Gehilfe nebenan durch Antreiben einer Elektrisiermaschine besorgte, von der aus ein Draht unsichtbar über dem Boden lief. Natürlich war das Eintrittsgeld zu solchen Sitzungen nicht gering, der Zulauf aber groß.
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Ein Blick nach Frankreich
Auch in Frankreich war die Laterna magica sehr verbreitet und beliebt. Zur Zeit Louis Philipps durchzogen die kleinen Savoyardenknaben, die die Not von ihren Bergen auf die Wanderschaft in die großen Städte trieb, die Straßen von Paris, schwerbeladen und den Rücken gebeugt von der Last ihrer Guckkasten und sangen mit ihrer dünnen Stimme den naiven Vers:
„Venez voir amis pour un sous La lanterne magi - i - i - que Vous - y - verrez un peu de tout De ce monde comique ....."
Ein karger Verdienst für die armen Savoyarden, die noch nichts von den Riesensummen ahnten, die ihre Nachfahren, die amerikanischen Kinomillionäre, später scheffeln sollten.
Eine Laterna magica war ein schwerer Kasten - sie wurde seßhaft
Nicht nur auf dem Rücken der Menschen, sondern auf Mauleseln gepackt oder auf zweirädrige Karren gestellt, durchzog die Laterna magica mit den Hausierern das Land und tauchte bei den Jahrmärkten auf, so wie später einmal das Wanderkino.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde dann die Laterna magica sozusagen seßhaft (wie das Kino), und der Physiker Charles (Jaques Alexandre Cesar) veranstaltete zu Paris in seinem Cabinet du physique du Louvre Vorführungen, die sich eines großen Zulaufes erfreuten und in denen er lebende Köpfe auf die Wand projizierte.
Den Höhepunkt dieser ganzen Entwicklung aber stellen die Phantasmagorien des Belgiers Etienne Gaspard Robert, genannt Robertson, dar. Geboren 1763 zu Lüttich, gestorben 1837 zu Paris, wurde er der unerreichte Meister in der Kunst, Gespenster und Phantome zu projizieren.
Seine Seancen hatten einen in der Geschichte einzigartigen Widerhall. Er konnte das mysteriöse Interesse, das Cagliostro und Mesmer erregten, mit seinen Namen verbreiten. „Alle jenseitigen Gewalten schienen ihm zu gehorchen und selbst der Tod ihm Untertan" (Le cinema des origines á nos jours). Aber es war die Zeit nach der Aufklärung, in der er lebte, daher war er keineswegs bemüht, seine Kunst auf okkulte Fähigkeiten zurückzuführen, er suchte sie vielmehr wissenschaftlich zu erklären.
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