Das Buch der "Filmspiegel" aus Wien "aus dem Jahr 1941 !!"
Österreich war 1941 bereits an das grossdeutsche Reich von Hitlers Gnaden angeschlossen, aber als kleines Anhängsel. Und der Wiener Autor Rudolf Oertel faßt die bis dato bekannte Historie des Kino-Films aus Wiener Sicht zusammen. Bis etwa Seite 120 (von 310) kommen zwangsläufig NAZI-Kultur-Gedanken moderat zum Vorschein, dann aber wird es überraschenderweise sehr befremdlich nationalsozialistsch judenfeindlich, genau wie überall im 3.Reich auch. Die einführende Seite finden Sie hier.
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DER FILM ALS VERDERBER VON JUGEND UND MORAL
Das hier ist so eine kleine Blütenlese. - Um das Jahr 1920 konnte man in Büchern und Zeitschriften lesen:
„Lehrer und Geistliche, Ärzte und Universitätsprofessoren, Beamte und Schriftsteller, Journalisten und Künstler wurden nicht müde, die gesundheitliche Schädigung und die ethische und ästhetische Minderwertigkeit der heutigen Kinovorführungen, besonders der Kinodramen, nachzuweisen." (K. Lange.)
„Ich halte das Kino in jeder Hinsicht für einen Kulturschaden. Nur wenn es der naturwissenschaftlichen, geo- und ethnographischen Belehrung dient, erfüllt es einen höheren Zweck. Der Staat sollte es mit Gewalt daraufhin einschränken." (H. Kienzl.)
„Der Kinematograph ist, wie alles wesentlich Mechanische, mehr kulturfeindlich als kulturfördernd. Ich persönlich empfinde ihn geradezu als Roheit ... Im Vergleich zu ihm ist der roheste Zirkus noch ein hohes Kulturinstitut." (B. Ruttenauer.)
„Das Kino ist seinem Wesen nach eine technische Erfindung genau so wie das Fahrrad, das Automobil, das Flugzeug und der Phonograph. Mit diesen Erscheinungen muß es auf eine Stufe gestellt werden .... Es ist seinem tiefsten Sinn nach kulturfeindlich." (K. Scheffler.)
„Ist die Bewegungsphotographie eine Kunst? Die Antwort auf diese Frage ist schon mit dem einen Bestandteil des Wortes, nämlich Photographie, gegeben. Die Bewegungsphotographie kann nur insoweit eine Kunst sein, als es die Photographie ist. Nun ist aber diese, wie jedermann weiß, keine eigentliche Kunst. Sie kann zwar in gewisser Weise der Kunst angenähert werden und berührt sich auch in einigen Punkten mit ihr. Aber ihr wesentlichstes Kennzeichen ist der technische Prozeß als solcher. Sie ist keine Kunst, sondern eine Technik." (K. Lange.)
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Beim Stummfilm "Sensation des Inhalts" anstelle von Qualität
Was dem Film damals an Qualität fehlte, suchte er vielfach durch Sensation des Inhalts zu ersetzen. Dazu kam, daß einzelne gewissenlose Produzenten, da sie auf das gebildete Publikum nicht rechnen konnten, um so mehr auf die Empfänglichkeit der Ungebildeten für das Derbe, Primitive, Anrüchige spekulierten.
Kriminalfälle und Sexualgeschichten wurden ein immer wesentlicherer Bestandteil des Geschäftes, und je weitere Bevölkerungskreise sich dem Kino zuwandten, um so größer wurde natürlich die volkserzieherische Gefahr einer solchen Entwicklung.
Hatten die Theaterdirektoren ihren Kampf gegen das Kino noch hauptsächlich aus Konkurrenzgründen geführt, so war die Feindschaft anderer Kreise moralischer und prinzipieller Natur.
„Der Film galt als Ausbund aller Schlechtigkeiten und Gemeinheiten", sagt O. Kalbus, „kaum einer, der ihn in jenen Tagen nicht geschmäht hat."
Alles war gegen den „Kintopp": die Zensur und an ihrer Spitze der Fanatiker Dr. Brunner, die Polizei, die Feuerwehr, die Presse, die Sprechbühne, der Klerus, die Lehrer, die Eltern.
Der Künstler sagte, der Film wäre ein Attentat auf Nerven und Seele. Der Pädagoge nannte ihn einen Jugendvergifter. Die Moralisten hielten das Kino für den Treffpunkt zweifelhafter Existenzen.
Zwar hatten sich sehr früh einzelne Mutige gefunden, die das Kino mit seiner Jugend entschuldigten und ihm eine große Entwicklung prophezeiten, wie Hermann Bahr, Johannes Schlaf und Björn Björnson, der es gar das Theater der Zukunft nannte.
Andere freilich, wie Ludwig Thoma, Heinrich Lhotzky, Richard Dehmel, waren dagegen, und die öffentliche Meinung stand auf ihrer Seite.
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Besonders gefährlich schien das Kino für die Jugend.
Ein regelrechter Kreuzzug entbrannte, der sich durch Jahre hinzog. Eine ganze Literatur überbot sich in Warnrufen. Es genügt, einige Titel von Büchern anzuführen, die damals in dieser Sache geschrieben wurden. Sie zeigen besser als jede Erläuterung, wie man den Film einschätzte:
- Die Schule im Kampfe gegen den Schmutz in Wort und Bild. Düsseldorf, 1909.
- Jugendschutz gegen Detektivroman und Kinematographie. Bern, 1909.
- Mitwirkung der Schule bei Bekämpfung des Kinounwesens. Wien, n.-ö. Landesschulrat, 1910.
- Schundfilme - Ihr Wesen, ihre Gefahren und ihre Bekämpfung. Halle, 1911.
- Ein Feind unserer Kinder. Ein Feind unseres Volkes. Aarau, Verband der dt.-schweiz. Frauenvereine, 1912.
- Kintopp eine öffentliche Gefahr. Essen, 1912.
- Der Kinematograph von Heute eine Volksgefahr. Berlin, 1913.
- Das Kinematographien Unwesen. Riga, 1913.
- Der Schundfilm und seine Bekämpfung. 1914.
- Vergiftete Geistesnahrung. Eine ernste Mahnung an Jugendliche, Eltern und Erzieher. Leipzig, 1914.
- Kinematograph und Verbrechen. Heidelberg.
- Das Kino. Ein Mahn- und Warnruf an Eltern und Jugend. Klagenfurt, 1919.
- Der Kinoschund und die Jugend. Bielefeld, 1920.
- Neue Wege zur Bekämpfung der Gefahr des Lichtspieltheaters. Köln, 1920.
- Entartungserscheinungen im Kino. Kassel, 1924.
- Die Gefahren des Kinos. Altona, 1926.
- Hamburg und der Schundkampf. Jugendamt Hamburg, 1927.
Man sieht aus dieser kleinen Auswahl, daß sich der Kampf gegen das Kino auf einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren erstreckt und daß das gesamte deutsche Sprachgebiet ohne Rücksicht auf Grenzen daran beteiligt war. In anderen Ländern war es natürlich nicht besser.
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Erste Ansätze zu einer künstlerischen Entwicklung
Es wäre freilich verfehlt und ungerecht, den damaligen Film in Bausch und Bogen zu verurteilen. Es gab schon Ansätze zu einer künstlerischen Entwicklung. Aber der Film war ja ein freies Betätigungsfeld für jedermann.
Urban Gad, der Mann Asta Nielsens und damals selbst ein bekannter Filmregisseur, hat einmal, als er sich über die Feindschaft beklagte, die dem Film von allen Seiten entgegengebracht wurde, sehr einsichtig gesagt: „Vor allem ist der Film selbst daran schuld. Unglücklicherweise fiel er gleich anfangs in falsche Hände. Man sah nichts anderes in ihm als ein Werkzeug, mit dem man Geld zusammenraffen konnte."
Und ein andermal hat er die damals übliche Art von Sensationsfilmen in folgender „Mustergeschichte" verspottet:
„Ein junges Mädchen wird von einem Schurken an einen Mühlenflügel festgebunden; ihrem Geliebten glückt es, ihre Fessel mit einem Revolverschuß zu lösen, worauf ein Detektiv mit einem Flugapparat kommt, sie dem wirbelnden Mühlenflügel entreißt und rettet, indem er sie auf das Dach eines Expreßzuges fallen läßt, der sich in voller Fahrt befindet."
Das ist natürlich übertrieben, aber es charakterisiert die Hintertreppenromantik um jeden Preis, die, wenn auch unkünstlerisch, so doch erträglich bleibt, solange sie aus technischen Sensationen, körperlicher Geschicklichkeit, Mut und Todesverachtung der Darsteller ihre Wirkung holt. Aber es sollte noch viel ärger kommen.
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Als 1918 die Ordnung in Deutschland zerbrach
Mit dem Ende des (ersten) Weltkrieges, dem Zusammenbruch des zweiten Kaiserreiches und der Auflösung der Ordnung in Deutschland, beginnt das unerfreulichste Kapitel der deutschen Filmgeschichte.
Die Lockerung der Sitten, die Steigerung der Vergnügungssucht waren für die Filmspekulanten das Zeichen, mit einer ganz neuen Art von Filmen das Publikum zu ködern. Die Zeit der Aufklärungsfilme war gekommen. Dagegen waren die vorgenannten Sensationen harmlos.
Nicht Mühlenflügel, Flugzeuge und Expreßzüge, sondern Freudenhäuser, Dirnen, Zuhälter und Mädchenhändler standen im Mittelpunkt dieser neuen „Kunstrichtung".
Besser als man es nacherzählend zu schildern vermöchte, gibt ein zeitgenössischer Bericht Einblick in eine Zeit, die uns heute wie ein böser Traum vorkommt. Der folgende Abschnitt aus dem Buch „Das Kino in Gegenwart und Zukunft" (1920) von dem Universitätsprofessor für Kunstgeschichte und Kunstlehre Doktor Konrad Lange, einem der heftigsten Gegner des damaligen Kinos, ist ein kulturgeschichtliches Dokument.
Lange schreibt:
„Um einen Einblick in die sittliche Qualität der heutigen Berliner Filme zu gewinnen, muß man die Inserate der dortigen Filmzeitschriften studieren. Da finde ich folgenden Titel:
- Sündiges Blut.
- In den Krallen der Sünde.
- Das Laster.
- Im Rausch der Sinne.
- Der Mutter Sünde oder:
- Sie geht denselben Weg.
- Unschuldige Sünderin.
- Sündige Mutter (§ 218 des Strafgesetzbuches).
- Sündenlust (,Die Gosse').
- Der Saal der sieben Sünden.
- Die Kupplerin.
- Sklaven der Sinnlichkeit.
- Verlorene Töchter.
- Opfer der Schmach. (Aufgreifung und Verführung junger Mädchen.) Moderne Töchter (halbe Unschuld).
- Prostitution.
- Die Tochter der Prostituierten.
- Das Haus des Lasters.
- Das Paradies der Lebewelt.
- In der Höhle des Lasters.
- Das Gift im Weibe.
- Opfer der Schande.
- Leichtsinn der Lebewelt.
- Die sich verkaufen.
- Die nach Liebe dürsten.
- Die Launen eines Lebemannes.
- Die Geliebte des Verbrecherkönigs.
- Die Haremsnacht.
- Der Verführer.
- Die Verführte.
- Die nur für Geld lieben.
- Wie arme schöne Mädchen fallen.
- Zwangsliebe im Freistaat (die Sozialisierung der Frauen).
- Die Vampyr-Venus.
- Lu, die Kokotte.
- Kokotten im Sattel.
- Göttin, Dirne und Weib.
- Das Recht der freien Liebe (aus den verschwiegenen Häusern Berlins).
- Liebesnacht im Harem (Sittenfilm aus dem Liebesleben des Orients).
- Der Leibeigene (ein Kriminalproblem, sensationell, erotisch, sadistisch)
usw."
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Wenn der Inhalt schon im Nebentitel angegeben wird
„Zuweilen wird der Inhalt schon im Nebentitel angegeben, damit das Publikum auch ja weiß, was es zu erwarten hat. So heißt es z. B. einmal:
Das Gift im Weibe (Leidenschaft, Liebe, Sinnlichkeit und Sinnengier, Leichtlebigkeit und Geldhunger werden durch die scharfe Charakteristik der Darsteller naturgetreu gezeichnet. Das Gift? Extrakt alles Bösen im Weibe. Das Weib? Ein ewig unergründliches Rätsel. Fünf Akte, in denen sich die Überraschungen jagen, eine Darstellung, berückend, hinreißend und ergreifend, ein Film, in dem die Leidenschaften wühlen, ein Film, dem nichts Menschliches fremd ist).
Dann: Das Mädchen und die Männer (der sittliche Fall einer reinen Mädchenseele oder aus dem Leben einer Kokotte).
Zu ,Göttin, Dirne und Weib' heißt es: ,Die Verwandlungen der Venus sollen gezeigt, das Problem Weib ausgeschöpft werden. Semiramis erwählt ihn zu ihrem Gatten, um ihn dann töten zu lassen. Er wird der Geliebte der Messalina. Lucrezia und Cesare Borgia sind in blutschänderischer Liebe (als Geschwister) zueinander entbrannt. Danton wird von seinem Weibe Henriette an Robespierre verkauft.'
Zur Anpreisung von ,Aus eines Mannes Mädchenjahren' wird gesagt: ,Erika Gläßner verkörpert den Pseudohermaphroditismus in selbstverleugnender Charakterisierungskunst. Sie stellt die unselig Behaftete in spannenden Szenen dar, als armes Menschenkind von unbestimmtem Geschlecht, Szenen, die alle Tragik der sexuellen Zwischenstufe festhalten.'
Dem Film ,Seine Beichte' wird folgende Ankündigung vorausgeschickt:
,Wie das sprüht, schwellt und aufflammt vor immer neu aufgepeitschten Süchten, äußersten Reizen! Betäubendes Gift, aussaugende Gier, trunkene Schönheitskultur, und über dem allem die höhnisch thronende Kälte der maßlos gesteigerten Ichsucht. Ein zitternder Gluthauch fegt durch die Schilderung.'
Und dann kommt das bekannte moralische Mäntelchen: ,Aber freilich auch ein empörter Warnungsruf an jene verzerrte Welt, der die Verfasserin mit virtuoser Kühnheit ein grelles Spiegelbild schuf.' "
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Von harmlos bis besonders schlimm
„Übrigens glaube ich nicht einmal, daß alle diese Bildstreifen so unanständig sind, wie ihre Titel vermuten lassen. Wäre man verurteilt, sie alle sehen zu müssen, so würde man gewiß viele von ihnen harmlos, manche sogar langweilig finden. Das schlimmste ist nur, daß man das Publikum durch solche unanständige Ankündigungen zu fangen sucht. Auf der anderen Seite gibt es aber viele ganz harmlose Titel, hinter denen Handlungen mit kondensierten Schweinereien stecken, so z. B.: Der gelbe Tod. Und wandern sollst du ruhelos. Opium. Anders als die Andern (§175 des Strafgesetzbuches: Vergehen der Liebe zum gleichen Geschlecht). Dida Ibsens Geschichte (psychopathologische Studie des Sadismus)."
Spekulation auf Sensationslust und Sinnlichkeit
„Man darf auch nicht glauben, daß die ,Dichter' dieser Filme übermäßig sinnlich veranlagte, geniale oder leichtsinnige Menschen wären, die ihre Inspirationen einer besonders leidenschaftlichen Anlage verdanken. Im Gegenteil, ich vermute, daß sie meistens ,kalt wie eine Hundeschnauze' sind, jedenfalls in bezug auf sexuelle Leistungsfähigkeit unter dem Durchschnitt stehen.
Sie gehen bei ihren Filmkompositionen ganz kalt und nüchtern berechnend zu Werke, etwa so wie ein routinierter Kaufmann, der ein Geschäft erst sorgfältig kalkuliert und dann seine Dispositionen trifft. Das ist eben das Gemeine an der ganzen Sache, daß es sich dabei um eine wohlberechnete Spekulation auf die Sensationslust und Sinnlichkeit der Menge handelt."
Die Plakate und die Inseratenillustrationen
„Auch die zu den Filmen gehörigen Plakate und Inseraten- Illustrationen sind gewöhnlich von einer bemerkenswerten Unanständigkeit. Dekolletierte Frauenzimmer, die auf den Schößen ausgelassener Lebemänner sitzen, Männer, die Frauen vergewaltigen, ein Asiat, der ein Weib erwürgt, Semiramis, die mit Hilfe zweier Sklaven ihren Geliebten ersticht, kurz, Bordellszenen und sadistische Phantasien sind etwas ganz Gewöhnliches."
„Zu welchen Zwecken die sexuellen Filme in den Kreisen abgebrühter Junggesellen zuweilen benutzt werden und welcher Art die Erzeugnisse sind, die sogar in dieser Branche das Licht der Öffentlichkeit scheuen, ergibt sich aus folgendem Briefe, der kürzlich im ,Film' publiziert worden ist.
Er wurde von einem Deutschen, der bis zu Beginn des Krieges (1914) in London lebte, an eine Berliner Filmgesellschaft gerichtet:
,Haben Sie Interesse an einem Film, der in London in Klubs und geschlossenen Gesellschaften vorgeführt wurde und dem Unternehmer 53.000 Mark einbrachte? Ich habe zu Anfang des Krieges London verlassen und jetzt eine passende deutsche Partnerin gefunden und kann somit dieselben Aufnahmen machen lassen. Es handelt sich um einen kurzen Film freiester Darstellung, der in London unter dem Titel ,Der Backfisch' eine geheime Sensation erregte.
Ich will in Berlin einen Klub auf gleicher Basis starten. Dazu brauche ich die entsprechenden Klubräume mit Lichtbildbühne und dann die Filmgesellschaft, die den entsprechenden Film herstellt. Die Darstellung mache ich selbst mit meiner Partnerin. Die Sache ist als geheimes Geschäft aufzufassen und kann in Berlin ebensowenig wie in London mit dem Strafgesetz kollidieren. Weiter kommt in Frage die Gründung mehrerer Nachtklubs mit Filmaufführungen.'
Das Angebot wurde natürlich abgelehnt.
Aber es war im Grunde genommen nur eine Folgeerscheinung der ganzen Entwicklung. Der geplante Film sollte offenbar die Verführung eines unschuldigen Mädchens darstellen, und zwar so, daß nicht vor dem entscheidenden Augenblick haltgemacht wurde. An so etwas ergötzte sich nachts in geheimen Klubs die Jeunesse doree Londons. Das war für sie dasselbe wie für die halbwüchsigen Fabrikarbeiter das Zusammensitzen mit der Liebsten im verdunkelten Raum und im Anblick eines anzüglichen Kinodramas. Man wird sich dies zur Charakteristik der Moral unserer Feinde vor dem Kriege zu merken haben."
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Pikante Filmstücke zu kaufen gesucht
„Daß übrigens auch in Deutschland derartige Dinge vorkommen, ergibt sich aus einem Inserat, das ich neulich fand: ,Pikante Filmstücke zu kaufen gesucht', sowie aus einem Bericht des »Vorwärts' über eine Rede, die der württembergische Minister des Innern, Heymann, nach dem ,Staatsanzeiger' vom 20. Februar 1920, Nr. 42, in der württembergischen Landesversammlung gehalten hat.
Er erwähnte da die Vorführungen, die vor dem Ausschuß der Nationalversammlung in Berlin stattgefunden haben, um die Unterlagen für die praktische Beurteilung der Vorlage zu geben. Es heißt u. a.: ,Um es offen zu sagen, es war erschreckend zu sehen, welche Unmenge Schmutz in solch einem Bildstreifen zusammengetragen werden kann. Der Gedanke, daß ein Teil dieser ekelerregenden Machwerke unreifen oder in der Entwicklung begriffenen Menschenkindern vorgeführt worden ist, ließ manchmal vor Scham das Blut zum Kopf steigen. Eine schlimmere Vergiftung des Gemütes, als sie durch derartige Bilder erzeugt wird, ist schlechterdings nicht auszudenken . ...... Die schlimmsten Filme sind aber jene, die niemals der Zensur vorgelegt werden. Sie sind derart, daß die Beamten des Polizeipräsidiums sich schämten, einen dieser Filme in Gegenwart der weiblichen Abgeordneten vorzuführen. Nur die männlichen Mitglieder des Ausschusses mußten es über sich ergehen lassen, einen derartigen Film mit anzusehen. In welcher Sittenverwilderung müssen sich Menschen befinden, die sich zu solchen Schaustellungen hergeben! Und in welchen schmutzigen Tiefen müssen sich jene bewegen, welche diese Szenen aufnehmen und hierbei als Regisseure mitwirken?"
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Die sogenannten ,Aufklärungsfilme'
„Noch muß ich auf eine neuere Entwicklung des sexuellen Films eingehen, die besonders in Deutschland stattgefunden hat und durch die der Unwille weiter Kreise ganz besonders hervorgerufen worden ist. Das sind die sogenannten ,Aufklärungsfilme'.
Als die Entrüstung des Publikums über den unanständigen Inhalt der erotischen Bildstreifen ihren Höhepunkt erreicht hatte, verfielen die Filmfabrikanten auf den genialen Gedanken, die Wissenschaft zur Unterstützung ihrer unsauberen Machenschaften herbeizuziehen.
Ein Aufklärungsfilm ist bekanntlich ein Film, dessen Unanständigkeiten unter dem Vorwand der Abschreckung und Warnung verzapft werden. Die ,Dichter' dieser Aufklärungsfilme verfolgen angeblich den moralischen Zweck, jugendliche Personen vor den sexuellen Gefahren zu warnen, die ihnen beim Eintritt ins Leben drohen."
„So haben wir vor einigen Jahren einen Film erlebt, der zuerst, wenn ich mich recht erinnere, unter dem Titel ,Die weiße Sklavin' herauskam, später aber mit verschiedenen Varianten und unter andern Titeln oder Nebentiteln (,Der Weg, der zur Verdammnis führt', oder ,Verkaufte Seelen', oder ,Hyänen der Lust') auf den Markt geworfen wurde. In ihm war der internationale Mädchenhandel geschildert.
Mütter und Töchter sollten vor dessen Agenten gewarnt werden, indem man ihnen zeigte, was ein Mädchen, das in ihre Krallen fällt, zu erwarten hat. Natürlich war das in unseren deutschen Kleinstädten ein dringendes Bedürfnis, denn da sind ja die Mädchenhändler Stammgäste in den Hotels und verkehren in allen Bürgerfamilien!
So wurde denn geschildert, wie solche Mädchen in die Hände dieser Halunken und ihrer weiblichen Helfershelfer geraten. Wie sie unter Anwendung verbrecherischer Mittel, wie Narkose und Hypnose, überwältigt und verschleppt werden. Wie man sie unter allerlei Vorwänden in unsolide Familien oder feinere Bordelle bringt, dort mit Lebemännern schlimmster Sorte zusammenführt, die ihnen ihre Ehre rauben.
Von Stufe zu Stufe sinken diese unglücklichen Wesen herab, bis sie schließlich entweder ganz der Prostitution verfallen oder - und das ist besonders schön und rührend - im letzten Augenblick von einem edlen früheren Liebhaber gerettet und glücklich gemacht werden.
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Neue Aufklärungsfilme über ,Opium' .....
Zwei neue Aufklärungsfilme, ,Opium' und ,Prostitution', hat Schönhuber (,Keine Filmzensur?', 1919, und: ,Gegen das Kinowesen. Materialsammlung zur Kinoreform', München, November 1919) geschildert. Sie sind nach ihm technisch minderwertige Machwerke von ausgesucht schamloser Spekulation auf die Sinnengier junger und alter Hysteriker mit sexualpathologischem Einschlag'.
Natürlich war es ein dringendes Bedürfnis, die deutsche Jugend vor dem Opiumgenuß zu warnen, denn sie trinkt ja bekanntlich abends in den Bierhäusern und Schnapsbuden Opium. In Wirklichkeit wird der ganze Opiumschwindel nur zu dem Zweck inszeniert, die Opiumträume der Berauschten zeigen zu können.
Natürlich spielen in ihnen nackte Frauenleiber die Hauptrolle. Dreimal muß der arme Opiumprofessor den Weg in diese Lasterhöhle finden, damit der Kinoregisseur in klug berechneter Steigerung dreimal diese nackten Dirnen mit ihren geilen und verführerischen Bewegungen auf der Bildfläche erscheinen lassen kann."
„Und da saßen vor mir", schreibt Schönhuber, „Lausefratzen beiderlei Geschlechts von fünfzehn, sechzehn Jahren und glühten bis über die Ohren hinein. Ja, noch mehr, der Film durchwanderte nach und nach sämtliche Vorstadtkinos Münchens, und dort, wo die Preise niedriger und die Aufsicht laxer ist, besahen sich zehn- und elfjährige Kinder diesen Film!
In Tübingen ist er vor etwa einem halben Jahre aufgeführt worden. Die Plakatphotographien waren technische Meisterwerke. Was für eine Arbeit war in eine so kulturwidrige Sache hineingesteckt worden!
Neue Aufklärungsfilme über ,Prostitution'
Noch schlimmer ist anscheinend der Aufklärungsfilm ,Prostitution'. Er wirkt durch widerliches Wühlen im Schmutz und durch einen unverschämt zur Schau getragenen Zynismus abstoßend im höchsten Grade. Eine Musterkarte gemeinster Szenen:
Geraufe zwischen Vater und Liebhaber einer Dirne. Wiederholtes Stiegenhinabwerfen. Betäubung einer noch unschuldigen Tochter durch Vater und Mädchenhändler. Verschleppung in ein Bordell. Dort wiederholt Mädchenhandel. Wüste Vergewaltigungsszenen (mehr als die Hälfte des Films spielt im Bordell). Daran anschließend ekelerregendes Geraufe zweier Männer. Sehr aktiv zur Schau getragene Geilheit junger Lebemänner. Höchst eindeutiges Durchs-Guckloch-Sehen alter Böcke. Schließlich auch noch ein Raubmord - das ist nur so eine ganz kleine Blütenlese aus diesem übelduftenden Strauß, den mit Richard Oswald (dem Filmfabrikanten) zusammengebunden zu haben, sich Doktor Magnus Hirschfeld, Sanitätsrat in Berlin, rühmt. Von ihm stammen wahrscheinlich die paar traurigen Lappen wissenschaftlich sein sollenden Gewandes, die man der Dirne Prostitution umgehängt hat. Pfui Teufel vor solcher Wissenschaft!"
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Und Aufklärungsfilme über Homosexuelle
„Ganz neuerdings sind es die perversen Erscheinungen des Sexuallebens, die sich als Inhalt von Aufklärungsfilmen besonderer Beliebtheit erfreuen. Darüber muß ja unsere Jugend notwendig aufgeklärt werden! Schon damit sie später einmal für die Straflosigkeit dieser bei uns glücklicherweise strafbaren Vergehen eintreten kann. Das "par nobile fratrum" Oswald und Hirschfeld zeichnet den Film ,Anders als die Andern'.
Er schildert das Geschlechtsleben der Homosexuellen, das zu den genannten Vergehen führt. Ich habe ihn nicht gesehen, schließe nur aus verschiedenen Schilderungen, daß er sehr unanständig ist. Bei einer Vorführung in Berlin verließ eine Anzahl Soldaten - die doch sonst nicht gerade die Prüdesten sind - mit Protest den Saal.
Ihr Exodus war begleitet von dem höhnischen Grinsen rassefremder Besucher, die ostensibel sitzenblieben, um diese Köstlichkeit bis zu Ende genießen zu können. Wir sind gewohnt, uns über die Sittenlosigkeit der Franzosen, besonders der Pariser, zu entrüsten.
Hören wir, wie ein Pariser, der Vertreter des ,Petit Parisien' in Berlin, sich über diesen homosexuellen Film ausspricht (1919):
,Das bisher disziplinierteste und fleißigste Volk Europas findet an Arbeit und Ordnung keinen Geschmack mehr. Daher die sinnlosen Streiks, die Unanständigkeit in der Kleidung und die beleidigende Sittenlosigkeit. Dafür nur ein Beispiel! Letzten Sonntag beobachtete ich die Menge, die sich am Eingang eines Kinos drängte, Frauen, junge Mädchen, Kinder.
Auf den Plakaten am Äußeren des Theaters las ich: ,Paragraph 175. Aufklärungsfilm über die Homosexualität'.
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Ein Ausländer, ein Franzose urteilt und kommentiert
Drei Schritte weiter wurde eine kleine Wochenschrift verkauft. Darin empörte sich der Herausgeber im Namen der medizinischen Wissenschaft über das traurige Los dieser abnorm veranlagten Liebhaber des gleichen Geschlechts. In liberaler Weise bot er diesen Unglücklichen die Spalten seines Blattes für ihre Inserate an.
Eine solche Unsittlichkeit richtet sich selbst. Es fällt schwer, sie in ihrer Tollheit ernst zu nehmen. Aber sie ist da und vollendet mit steigender Geschwindigkeit das Werk der Zerstörung.' - Wem stiege beim Lesen dieser Worte nicht die Schamröte ins Gesicht, daß ein Ausländer, ein Franzose, so über das deutsche Volk zu urteilen wagt? Ganz besonders aber darüber, daß er ein Recht hat, so zu urteilen!"
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Filme über Einbruch und Raub, Mord und Totschlag
Universitätsprofessor K. Lange schreibt :
„Gleiches gilt von den Verbrecherdramen. Jedermann weiß, was für eine Rolle neben der Sünde das Verbrechen im Kinodrama spielt. Betrug und Diebstahl, Falschmünzerei und Wilddieberei, Hintergehung der Behörden und Verspottung der Polizei, Einbruch und Raub, Mord und Totschlag, Flucht und Verfolgung über Dächer, Kampf und Gefangenschaft, das sind so die beliebtesten Motive.
Es sind die Verbrechelviertel und Zuhälterkneipen, die Opiumhäuser und Spielhöllen, die Nachtasyle und Gefängnisse, in denen diese Handlungen spielen. Hochstapler und Gewohnheitssäufer, Irrsinnige und Paralytiker, Verbrecher und Apachen, Polizisten und Detektive, kurz, das ganze Personal der Volksstücke, die in den kleinen Londoner Vorstadtbühnen gespielt werden, begegnet uns hier wieder.
Wahrscheinlich ein glänzender Unterrichtslehrgang für Anfänger wie Fortgeschrittene im Verbrechen ist das Kino! Wenn man Presseberichte über Gerichtsverhandlungen ,Unterrichtskurse für Verbrecher' genannt hat, dann muß das Kino ,die hohe Schule für Verbrecher' heißen."
So also schrieb im Jahre 1920 der Universitätsprofessor K. Lange. Wenn auch der gesunde Sinn eines Volkes mit solchen Auswüchsen von selbst fertig wird, wenn diese Aufklärungsfilme auch wieder verschwanden, weil sich aus dem deutschen Volk selbst heraus der Widerstand gegen eine solche Entartung des Films immer stärker regte, so war doch der Schaden, den sie angerichtet haben, groß genug. Sie bilden allerdings keine isolierte Erscheinung, sondern gehören vielmehr zum Gesamtbild des künstlerischen, moralischen und seelischen Zusammenbruchs, der nach dem Weltkrieg das deutsche Volk erschütterte.
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Schlußfolgerung : Das Kino ist an allem Schuld
Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß man dem Kino auch eine bedeutende Schuld an der steigenden Kriminalität beimaß. Übrigens nicht nur in Deutschland. Bei einer Filmkonferenz 1926 in Chikago wurde von Kriminalisten behauptet, daß 80-90 Prozent der in Amerika begangenen Verbrechen dem Kino zuzuschreiben sind.
Ist dieser Prozentsatz von anderer Seite auch bestritten worden,
haben kriminalistische Kongresse auf der ganzen Welt doch immer wieder auf Geständnisse von Verbrechern hingewiesen, die sich die Anregung zu ihren Taten im Kino holten. Der verderbliche Einfluß der Gangsterfilme in Amerika ist noch in Erinnerung.
Am gefährlichsten mußte die Wirkung natürlich auf die Jugend sein, die ohne eigene, gefestigte Urteilskraft die am leichtesten entflammbare Phantasie und den stärksten Nachahmungstrieb besitzt.
Alois Funk hat 1934 in einer Dissertationsarbeit „Film und Jugend" die psychischen Wirkungen des Films auf die Jugend eingehend untersucht und in Jugendgefängnissen eine Reihe von gestrauchelten Jugendlichen nach den Motiven ihrer Tat befragt.
Ich lasse hier einige Antworten folgen:
- „Ich nehme an, daß ich durch die Kriminalfilme verführt worden bin. (Arbeiter, 19 Jahre, Diebstähle.)"
- „Beim Anblick eines Kriminalfilms hatte ich immer die Sehnsucht, so etwas selbst zu erleben. (Seemann, 21 Jahre, Raubüberfall, Dummer-Jungen-Streich.)"
- „Dem Film habe ich es zuzuschreiben, daß ich unter die Räder gekommen bin. (Hoteldiener, 21 Jahre, versuchter Raubüberfall auf seinen Onkel.)"
- „Die Wirkung der Kriminalfilme war so verführerisch, daß ich dachte: wenn du kein Geld hast, dann tust du es so, wie es dir im Film gezeigt wurde. Entweder Geld oder das Leben. (Sattler, 20 Jahre, Einbrüche, Raub.)"
- „Am liebsten sah ich Kriminal- und Liebesfilme. Die Kriminalfilme wirkten in diesen Jahren sehr aufreizend zur Abenteuerlust. Die Liebesgeschichten waren für mich geradezu von katastrophaler Wirkung. Mit knapp fünfzehn Jahren wurde ich durch einen Kriminalfilm zum Dieb an meinem eigenen Vater. Ich stahl ihm damals aus seiner zufällig liegengebliebenen Geldtasche 10 Mark und besuchte einen Liebesfilm durch Vermittlung eines Freundes. Die sexuellen Geschehnisse darin waren für mich aber derart aufreizend, daß ich abends, wiederum durch Beihilfe eines Freundes, eine Dirne aufsuchte und mir mit fünfzehn Jahren eine Krankheit zuzog. Ich glaube mit Bestimmtheit sagen zu können, daß der Film auf die Erziehung nur hemmend einwirken kann, da selbst die unschuldigsten Märchen im Film direkt verhunzt werden. Gerade durch den Film wurde ich zum Verbrecher. Der Film mag für die Unterhaltung Erwachsener ganz gut sein, aber für die Jugend ist er direkt schädlich. (Kaufmann, 21 Jahre, Diebstähle.)"
Das waren also die Schattenseiten des Films .........
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