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Teil einer Lebens-Biografie von Curt Riess

Der Journalist, Reporter, Auslandskorrespondent und Schriftsteller Curt Riess (1902-1993) hat in dieser in 1956/57 verfassten biografischen Zusammenstellung der Ereignisse in Berlin von 1945 bis 1953 eine Art von Roman-Form gewählt und sehr viele Daten, Personen und Einzelheiten aus der Film- und Kino-Welt untergebracht. Eigentlich ist es eine erweiterte Biografie aus seinem Leben. Sonst ist es ist es leider (im gedruckten Original) eine reine - nicht besonders lesefreundliche - Buchstabenwüste.

Zur Geschichte der Berliner Kinos gehört natürlich auch das Ende des 2. Weltkrieges in Berlin und die politische Entwicklung danach. Die einführende Seite beginnt hier.

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1947 - Ernst Reuter wartete hinter den Kulissen

Aber bis es soweit war, mußte vieles geschehen, bis es soweit war, mußte das korrupte Berlin durch ein Fegefeuer gehen, mußte vor allen Dingen ein Mann kommen, der die Methoden der Russen gut genug kannte, um sie zu bekämpfen, weil er nämlich selbst Kommunist gewesen war.

Dieser Mann, Ernst Reuter, war um diese Zeit, im Frühjahr 1947, bereits in Berlin und wartete hinter den Kulissen.

ALS ich ihn fast ein Jahr später, persönlich kennenlernte, hatte ich bereits viel über ihn gelesen, mehr noch von gemeinsamen Freunden über ihn gehört, deren politisches Urteil ich schätzte.

Ich fuhr hinaus in den äußersten Westen von Berlin, dort ist man eigentlich schon auf dem Lande, stieg vor einem winzigen Siedlungshäuschen aus, las auf dem kleinen Zettel, der mit Reißnägeln an der Tür befestigt war, »Ernst Reuter«, klingelte und stand ihm einen Augenblick später gegenüber.

Ein Familienvater wie jeder andere

Ich hatte so etwas wie einen Revolutionär erwartet. Ich sah einen behäbigen, gut bürgerlichen Mann, der allerdings schon, wenn er einen aus seinen schönen Augen ansah oder zwei, drei Worte hinwarf, bedeutend wirkte. Aber gleichzeitig spürte man eine gewisse Müdigkeit, ja Niedergeschlagenheit.

Seine Frau Hanna wollte mir nichts Außergewöhnliches über ihn berichten. Sie meinte, er sei ein Familienvater wie tausend andere Männer auch, er habe keine Launen, weil er keine Zeit dafür habe. Manchmal sehe sie ihn tagelang nicht, denn er eile von einer Besprechung in die andere.

Die Sekretärinnen konnten nur versichern, Reuter sei keine Primadonna, mache niemals Szenen, sein Ton bleibe immer gleichmäßig ruhig. Vielleicht trinke er ein wenig zuviel starken Kaffee und rauche zu viele Zigarren, schwere dunkle Zigarren, aber doch nur dann, wenn ein ausländischer Freund sie ihm schicke.

Ernst Reuter war ein "Sozi" von Anfang an

Reuter war 1912, im Alter von dreiundzwanzig Jahren, in die Sozialdemokratische Partei eingetreten. Er war damals noch kein Politiker, er hatte Geschichte, Geographie und Nationalökonomie studiert, er spürte ein ganz allgemeines Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit, was vielleicht damit zusammenhing, daß seine Mutter aus einer Pastorenfamilie stammte.

Er wurde im Ersten Weltkrieg verwundet, kam in russische Gefangenschaft, widmete sich mit der ihm eigenen Intensität dem Studium der russischen Sprache und wurde, vielleicht weil er russisch sprechen konnte, als Vertrauensmann der deutschen Kriegsgefangenen nach Moskau geschickt, gerade als die russische Revolution begonnen hatte.

Diese machte einen starken Eindruck auf ihn. Er lernte Lenin kennen, der von Reuter so begeistert war, daß er ihn zum politischen Kommissar der Wolgadeutschen machte.

In dieser Eigenschaft konferierte Reuter oft mit Stalin, damals Kommissar für die nationalen Minderheiten.

Reuter brach mit der kommunistischen Partei

Anfang 1918 verließ Reuter Saratow, die Hauptstadt der Wolgadeutschen, kam nach Berlin und wurde Generalsekretär der Kommunistischen Partei. Unter dem Decknamen Friesland leitete er die Spartakistische Aufstandsbewegung von 1919. Moskau setzte große Hoffnungen auf ihn.

Zu Unrecht. Denn Reuter entwickelte sich in "unvorschriftsmäßiger" Richtung. Er konnte für die Politik der Revolution ohne Ende, die sinnlos viel Blut kostete, kein Verständnis mehr aufbringen.

Er brach mit der Partei. »Der totale Machtanspruch Moskaus war mir damals ebenso zuwider wie heute«, sagte er, als er von dieser Zeit sprach.

Übrigens fand er schon damals, die Entwicklung des Kommunismus in der Sowjetunion sei ein Verrat an der Idee des Sozialismus. Frau Hanna drückte es anders aus. »Mein Mann ist in seiner Entwicklung immer durch Goethe bestimmt worden. Goethe und Lenin lassen sich eben auf die Dauer nicht vereinbaren ...«
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Moskau verzieh ihm das nie.

Moskau verzieh ihm das nie. Aber das bekam er erst fünfundzwanzig Jahre später zu spüren. Vorläufig wurde er von den deutschen Rechtsparteien befehdet, die ihn als Kämpfer für die demokratischen Ideale der Weimarer Republik angriffen.

Er wurde Redakteur, Gründer der Berliner Verkehrsgesellschaft, Reichstagsabgeordneter und schließlich Oberbürgermeister von Magdeburg. Als Hitler kam, mußte er ins Konzentrationslager.

Schließlich holten ihn die britischen Quäker heraus und schafften ihn zuerst nach England, später in die Türkei, in der er Professor für Kommunalwissenschaft an der Universität in Ankara wurde.

Bald sprach er perfekt türkisch und arbeitete auch als Sachverständiger im Wirtschaftsministerium und im Verkehrsministerium. Aber Türke wollte er nicht werden.

Im Gegenteil, er legte den größten Wert darauf, seinen deutschen Paß zu behalten, denn er war entschlossen, nach Berlin zurückzukehren, wenn Hitler gestürzt war.

Reuters Blick auf Deutschland von "Außen"

Von Ankara aus sah er früher als der Westen, wie die Dinge laufen würden. Er begriff schon nach der Konferenz von Jalta, deren Verlauf er sich rekonstruieren konnte, daß der Westen der Sowjetunion viel zuviel zugestanden hatte.

Als das Tausendjährige Reich zu Ende war, zeigte es sich, daß es gar nicht so leicht war, nach Deutschland zurückzukommen. Nach einem Jahr hatte Reuter noch immer nicht die notwendigen Papiere zusammen.

»Eines Tages stand ich in Gedanken versunken am Meeresufer«, sagte er mir, »da tauchte plötzlich aus dem Nebel ein amerikanisches Schlachtschiff auf. Und da wußte ich, daß Amerika begonnen hatte, die sowjetische Gefahr zu begreifen. Von diesem Augenblick an verdoppelte ich meine Anstrengungen, nach Berlin zurückzugelangen.«

Trotzdem dauerte es noch Monate, die er im wesentlichen in Paris verbrachte, weil »ein britischer Offizier der Ansicht war, man dürfe es einem deutschen Rückwanderer nicht zu leicht machen.«
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Oktober 1946 - Berliner Wahlen noch ohne Ernst Reuter

Auf diese Weise geschah es, daß Reuter noch nicht in Berlin war, als die Wahlen im Oktober 1946 stattfanden.

Und so konnten die siegreichen Sozialdemokraten nicht ihn zum Oberbürgermeister wählen, sondern mußten sich auf Dr. Otto Ostrowski einigen, einen Mann, der leicht erregbar war, immerfort Streit mit der Presse hatte und, schlimmer als das, in den Bannkreis der Russen geriet und hinter dem Rücken seiner eigenen Partei mit den Kommunisten zu einer Einigung zu kommen suchte.

Es kam zu verschiedenen Versuchen, ihn zu stürzen, aber zuerst reagierte er nicht darauf. Erst im April 1947 erklärte er seinen Rücktritt.

General Kotikow war peinlich berührt. Warum sollte er sich von Dr. Ostrowski trennen, den er so geschickt für seine Zwecke benutzen konnte. Er erklärte, den Rücktritt nicht anzuerkennen.
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Endlich sprach ein Amerikaner mal Klartext

Oberst Howley gab darauf eine seiner zahlreichen Pressekonferenzen und wurde recht scharf. Es war die erste ausgesprochen antisowjetische Erklärung eines Amerikaners, die in der Berliner Presse erschien.

Howley erklärte, er könne Kotikows Begründung nicht ernst nehmen. Kotikow hatte erklärt, er müsse Ostrowskis Rücktrittsgesuch erst studieren, ehe er es annehme.

Howley stellte fest, daß Ostrowski jede Woche mit dem russischen Kommandanten zusammenzukommen pflege, während er bei ihm selbst nur selten erschienen sei und bei dem britischen Kommandanten überhaupt nicht.

Ende Mai nahm die Allied Kommandantura trotz der Bedenken Kotikows den Rücktritt Ostrowskis zur Kenntnis. Der Magistrat sollte eine neue Bürgermeisterwahl vornehmen.

Inzwischen waren die Kommunisten sogar Reuters Gegner und logen immer wieder, was das Zeug hielt

Um diese Zeit war Reuter bereits der kommende Mann. Die kommunistischen Blätter freilich griffen ihn an.

Die Leitartikel hatten Überschriften wie »Wird ein Türke Berlins Oberbürgermeister?« Die »Tägliche Rundschau«, das Organ der Roten Armee, erklärte: »Die sowjetische Kommandantur wird niemals ihre Genehmigung erteilen zur Ernennung eines Mannes auf den Posten des Berliner Oberbürgermeisters, dessen antisowjetische Ausfälle dem Ton und Inhalt nach in vollem Umfange dem Propagandaministerium entnommen sind.«

Man bediente sich im Kampf gegen Reuter vor allem des Arguments, Reuter sei Türke. Nachdem er bewiesen hatte, daß er nicht Türke war, wurde ihm von den Russen zum Vorwurf gemacht, daß er Deutscher geblieben sei; er könne seinen deutschen Paß nur durch besondere Freundschaft mit dem deutschen Botschafter in der Türkei, Herrn von Papen, erlangt haben.

Nachdem bewiesen werden konnte, daß auch dies nicht der Fall war, ja, daß Reuter von dem tschechoslowakischen Präsidenten Benesch einen tschechischen Paß erhalten hatte für den Fall, daß er vor deutschen Truppen, die im Begriff standen, in die Türkei einzufallen, fliehen müsse, bliesen die Kommunisten ihre Angriffe ab.
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24. Juni 1947 - Reuter gewählt mit 89 von 108 Stimmen

Als aber am 24. Juni 1947 Reuter mit 89 von 108 Stimmen von den Berliner Stadtverordneten zum Berliner Oberbürgermeister gewählt wurde, weigerten sich die Russen, ihn zu bestätigen.

General Kotikow erklärte: »Herr Reuter wird auf dem Posten des Oberbürgermeisters von Berlin nicht zugelassen werden.« Die Angelegenheit wurde von der Kommandantura eine Etage höher, an den für ganz Deutschland zuständigen Kontrollrat übergeben.

Die Frage war: Müssen die Besatzungsmächte den Oberbürgermeister bestätigen? General Clay schien zuerst auf dem Standpunkt zu stehen, daß dies nicht nötig sei.

Dann ließ er sich überzeugen und überreden. »Damals wußten die Alliierten noch nicht, daß Berlin eine Messe wert ist«, sagte mir Reuter darüber später.

Danach sagte er zu seinen Vertrauten: »Wir sind von den Amerikanern verraten worden!« Er meinte, daß Clay das Vetorecht der Russen in dieser Angelegenheit niemals hätte anerkennen müssen.

Übrigens nahm Reuter die Niederlage nicht zur Kenntnis. Er ließ sich Visitenkarten drucken »Der gewählte, aber nicht bestätigte Oberbürgermeister Berlins«. Er wartete, denn er wußte, seine Zeit würde kommen.

Der Interims-Oberbürgemeister eine Frau, Louise Schroeder

An die Spitze Berlins aber trat als stellvertretender Oberbürgemeister eine Frau, Louise Schroeder.

Schon mehrten sich die Sturmzeichen. Personen mit Westzeitungen wurden in der Ostzone verhaftet. Bewohner der Ostzone wurden, bevor sie nach Berlin fuhren, kontrolliert. Dieter Friede, ein bekannter Westberliner Journalist, wurde in den Ostsektor gelockt und dort wegen angeblicher Spionage für die Amerikaner verhaftet.

Wagen aus dem Berliner Westen durften nur noch in die Ostzone fahren, wenn sie besondere Genehmigungsscheine dafür hatten. Das Jahr 1947 näherte sich seinem Ende. Um diese Zeit hatte Berlin bereits wieder 3,25 Millionen Einwohner.
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