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Teil einer Lebens-Biografie von Curt Riess

Der Journalist, Reporter, Auslandskorrespondent und Schriftsteller Curt Riess (1902-1993) hat in dieser in 1956/57 verfassten biografischen Zusammenstellung der Ereignisse in Berlin von 1945 bis 1953 eine Art von Roman-Form gewählt und sehr viele Daten, Personen und Einzelheiten aus der Film- und Kino-Welt untergebracht. Eigentlich ist es eine erweiterte Biografie aus seinem Leben. Sonst ist es ist es leider (im gedruckten Original) eine reine - nicht besonders lesefreundliche - Buchstabenwüste.

Zur Geschichte der Berliner Kinos gehört natürlich auch das Ende des 2. Weltkrieges in Berlin und die politische Entwicklung danach. Die einführende Seite beginnt hier.

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1949 - bei den Russen - jeder gegen jeden

Da war Wladimir S. Semjonow, Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter in Deutschland und, wie selbst seine Feinde, das heißt die anderen Russen in führenden Stellen zugaben, schon deswegen von Gewicht, weil er bereits einige Jahre in Berlin weilte. Seine Aufgabe war es, die Deutschen für die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion zu erwärmen.

Anmerkung : Er hatte deutsche Geschichte, Philosophie und Literatur studiert und war damit promoviert worden.

Das war auch die Aufgabe des neu gebackenen Generals Tulpanow gewesen, der freilich brutal vorging, wo Semjonow liebenswürdig sein wollte und deshalb von diesem für den typischen Elefanten im Porzellanladen gehalten wurde.

Dann war da Major Moullin, von dem niemand genau wußte, warum er sich in Berlin herumtrieb. Und von dem man nur wußte, daß er Tulpanows Feind war.

Alle waren gegen alle.- mit Unterschieden

Zum Unterschied von ihm (Semjonow), der niemals in Uniform erschien, erschien General Tschuikow niemals in Zivil. Das war ganz richtig so, Tschuikow war ausschließlich Soldat, von Diplomat keine Spur. Und daher intrigierte Semjonow auch niemals gegen ihn.

Es war Semjonow ganz recht, unter einem General zu arbeiten, der kein Diplomat war. Trotzdem war auch er nicht restlos glücklich. Das hatte wieder mit Generalmajor Iwan Bondorjenko zu tun, einem recht mysteriösen Herrn, der zwar ungemein liebenswürdig war, vor dem aber jeder Russe in Berlin und in der Zone Angst hatte.

Alle diese Männer planten Handlungen und führten sie durch, die entgegengesetzte Ziele hatten, ja, einander geradezu ausschlossen.

Mit bemerkenswerter Offenheit sagten sie, was sie voneinander dachten, und das war nicht viel. General Bondorjenko sagte überhaupt nichts. Er ließ nur verhaften. Alle waren gegen alle.
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Jeder wußte, wie man Deutschland regieren mußte ....

Jeder wußte, wie man Deutschland regieren mußte, aber jeder sah zu seinem Entsetzen, daß es ganz anders regiert wurde. Und doch waren sie alle nur Marionetten. Die wirklichen Machthaber hinter ihnen waren:

  • 1. Das Außenministerium in Moskau, dessen Vertrauensmann Semjonow war.
  • 2. Das Innere Kabinett in der Regierung, dessen Beauftragter Genera Tschuikow war.
  • 3. Das Verteidigungsministerium und der Generalstab, die ebenfalls durch Tschuikow vertreten wurden.
  • 4. Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei und der Generalsekretär Malenkow, dessen Vertrauensmann entweder Tulpanow oder Major Moullin war.
  • 5. Das Ministerium für Staatssicherheit (MVD), das direkt mit General Bondorjenko arbeitete.

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Befehle kreuz und quer und dazu noch Angst vor Bondorjenko

Es war durchaus nicht selten, daß die verschiedenen Machtgruppen in Moskau ihren Vertretern ganz verschiedene Befehle gaben. Die Vertreter erfuhren es erst, wenn sie diese Befehle auszuführen suchten und es nicht konnten, weil entgegengesetzte Befehle bereits ausgeführt waren.

Und dann wurden Memoranden nach Moskau geschickt, und jeder begann, jeden zu beschuldigen. Der Botschafter Semjonow schüttete einmal in intimem Kreise sein Herz aus:

»Niemand weiß, was Moskau morgen tun wird«, sagte er. »Moskau weiß es selbst nicht!« Und der so Außerordentliche Bevollmächtigte Botschafter in Deutschland endete mit dem Seufzer: »Wir in Deutschland sind nichts anderes als die Botenjungen, die Befehle zu überbringen haben.« Semjonow versuchte vergeblich, die Berliner Bevölkerung zu beruhigen.

Andere sowjetische Einflüsse sorgten dafür, daß immer wieder Dinge geschahen, die die Berliner erschreckten und verbitterten. So kam es am 15. Juni 1949 zu dem sogenannten »Falkenprozeß«.
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15. Juni 1949 - Ost-Berlin - der sogenannte »Falkenprozeß«.

Die »Falken« waren die Mitglieder der sozialdemokratischen Jugendorganisationen. Acht von ihnen, Jungens von sechzehn, siebzehn und achtzehn Jahren, waren von der Volkspolizei verhaftet worden, weil sie im sowjetischen Sektor »durch Verbreitung tendenziöser Gerüchte den Frieden des deutschen Volkes gefährdet haben sollten«.

In Wirklichkeit hatten sie nichts getan, als eine Westberliner sozialdemokratische Zeitung, den »Telegraf«, zu verteilen. Ihr Anführer, Jürgen Gerull, wurde daraufhin zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Der Vorsitzende des Berliner Landesverbandes der »Falken«, Heinz Westphal, der der Verhandlung beiwohnte, protestierte gegen die terroristischen Verhandlungsmethoden.

Als der Vorsitzende ihn zur Ruhe mahnte, wollte er den Gerichtssaal verlassen, wurde aber von Volkspolizisten umringt, blutig geschlagen und schließlich in einem Auto entführt. Drei Tage später wurde er zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt, aber schon wenige Tage später aufgrund eines Gnadengesuches seiner Mutter aus der Haft entlassen. So wechselte (im Osten) Terror mit fast unbegreiflicher Milde ab.
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Im Westen gab es jetzt andere Probleme

Nicht nur das beunruhigte die Berliner. Jetzt, da die Blockade vorüber war, da die Dramatik des täglichen Kampfes nicht mehr die Gemüter mit Beschlag belegte, begriffen viele erst, daß Berlin durch die Blockade wirtschaftlich ruiniert war.

Die Berliner Industrie hatte ihre deutschen Märkte verloren. Niemand wollte Aufträge nach Berlin vergeben, man hatte sich anderswo eingedeckt, man fürchtete auch, daß die Russen doch wieder eine Blockade verhängen könnten.

Um eine sofortige Katastrophe zu vermeiden, beschloß der in Frankfurt tagende Westdeutsche Wirtschaftsrat, Berlin durch Kredite und größere Industrieaufträge zu helfen. Aber vorläufig blieb es bei den Beschlüssen.
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Die Russen pieksten mit der "kleinen Blockade"

Und dann wurden die schlimmsten Befürchtungen wahr. Die Russen verhängten die sogenannte Kleine Blockade über Berlin. Offiziell handelte es sich zwar um keine Blockade, aber es lief auf eine hinaus.

Die Russen ließen pro Stunde nur vier Lastwagen die ostwestdeutsche Grenze bei Helmstedt passieren. Das bedeutete, daß hundert Lastwagen pro Tag nach Berlin herein- und hinauskamen, also nur ein geringer Prozentsatz der notwendigen Ein- und Ausfuhren.

Bei Helmstedt wurden die Schlangen der wartenden Lastwagen immer länger, Lebensmittel im Werte von Millionen verdarben. Vergebens wurde protestiert. Die Russen zuckten die Achseln. Sie dachten gar nicht daran, Berlin zu blockieren.

Es gab eben nur wieder einmal gewisse technische Schwierigkeiten ... Die Russen spürten, daß sie wieder einmal Oberwasser bekamen, und so erklärten die Kommunisten im Osten Berlins plötzlich, sie würden auch den Westberliner Eisenbahnern nur Ostmark zahlen.

Es wurde zwar verhindert durch Einschaltung der amerikanischen Militärregierung, aber die Neuordnung lief doch auf eine Niederlage des Westens hinaus.

Vielleicht war das der Grund dafür, daß der amerikanische Stadtkommandant, Colonel Howley, der inzwischen General geworden war, abberufen wurde. Jedenfalls wurde diese Version in Berlin verbreitet.

Ein General mußte gehen

Mit Howley verließ einer der populärsten Amerikaner Berlin. Er hatte niemals ein Hehl aus seiner Abneigung gegen die Russen und ihre Methoden gemacht. Er war immer bereit gewesen, es auf einen Bruch mit ihnen ankommen zu lassen.

Diejenigen, die hinter die Kulissen sehen konnten, waren ein bißchen besorgt über dieses Hasardspiel - denn es war ein Hasardspiel. General Ganeval, dessen französische Tradition der Diplomatie nur in äußersten Fällen bereit war, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, war ernsthaft beunruhigt darüber, daß Howley es täglich tat.

Als ich ihn einmal fragte: »Was sagen Sie zu der gestrigen Äußerung des Colonel Howley?« zuckte er resigniert die Schultern und fragte: »Ach, hat er schon wieder eine Rede gehalten?«

SCHLIESSLICH fanden die Russen sich bereit, auch die »Kleine Blockade« aufzuheben, die Versorgung Berlins wurde wieder normal, und wer sich Illusionen machen wollte, konnte glauben, alles sei wieder so wie im Frieden.
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Doch nichts war wieder in Ordnung gekommen

Er brauchte nur die Annoncen in den Zeitungen zu studieren. Alles nur erdenkliche wurde angeboten. »Luftballons, verschiedene Größen und Farben. An Wiederverkäufer sofort lieferbar.« »Milch-Schlagsahne und Eipulver sofort lieferbar.« »Sommerschuhe von 5,85 Mark an, Damenschuhe von 10,85 Mark an.« »Elegante Herrenanzüge von modernstem Schnitt, Ledermäntel und -Jacken, Damenmäntel, Riesenauswahl ...«, Sommerschlußverkauf - ein Wunschtraum! Seidenkleider ab 29 Mark, Wollkleider ab 39 Mark, Wollmäntel ab 49 Mark!

Es gab nur nicht genug Geld. »Import-Export-Großhändler sucht tätigen Teilhaber mit 50.000 (West-)Mark für Finanzierung.« Und: »Goldgrube. Feinkost- und Konfitürenfachmann mit größerem Kapital zur Ausnutzung gutgehenden Geschäftes gesucht.«

Die Kaufleute versuchten, auch die Kunden zu interessieren, die kein Geld hatten. »Bei Vorlage dieser Anzeige 3 Prozent Sonderskonto auf jede Uhr von Uhren-Krämer.« Oder: »Wieder ABC Einkaufserleichterung in den führenden Einzelhandelsgeschäften. Kein Aufschlag auf den Kassenpreis ... Ware kann sofort mitgenommen werden. 50 Prozent Anzahlung bei Kauf, Restzahlung in fünf gleichen Monatsraten.«
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Eine neue Generation Militärs kam nach Berlin

Zu denen, die durch Lektüre solcher Annoncen zu der Überzeugung gelangten, Berlin sei wieder eine ganz normale Stadt, gehörten viele der neu eintreffenden Beamten der amerikanischen Militärregierung.

Jetzt, nachdem General Clay und Botschafter Murphy fort waren und manche unserer Offiziere und Beamten, die während der Blockade in Berlin gewesen waren, nach Amerika zurückkehrten, glaubten viele ihrer Nachfolger, es werde sich alles automatisch beruhigen.

Und da die Blockade und die damit verbundene Luftbrücke entsetzlich viel Geld gekostet hatte, fanden sie, daß man vor allem sparen müsse.

Auch der Bürgermeister Reuter mußte sparen

Bürgermeister Reuter war über die neue amerikanische Sparpolitik mit Recht beunruhigt. Er hatte seine Amtsräume im ehemaligen Rathaus des Stadtviertels Schöneberg, jetzt Rathaus von Westberlin. Man kam, wenn man ihn besuchen wollte, durch ein geräumiges Vorzimmer. Reuter saß an einem Riesenschreibtisch, der mit zahllosen Akten bepackt war.

Übrigens waren, wie er mir erzählte, alle Möbelstücke des Raumes geliehen, sogar die Bilder an den Wänden. So reich war Berlin noch nicht, daß es das Amtszimmer seines Bürgermeisters hatte ausstatten können.

Reuter sah todmüde aus, und er trank unaufhörlich schwarzen Kaffee. Er wies auf das Sofa im Hintergrunde des Zimmers. »Das hat meine Frau hier hereinstellen lassen! Aber ich habe es bis jetzt nur zehn Minuten benutzt.«

Er rauchte dicke, schwere Zigarren. »Wenigstens die kann ich mir jetzt kaufen«, sagte er lächelnd. Das war eine Anspielung auf einen Artikel, den ich ein Jahr vorher geschrieben und in dem ich gesagt hatte, der Berliner Bürgermeister rauche gern, aber er könne sich keine Zigarren kaufen.

Damals trafen als Antwort über die Luftbrücke aus aller Welt Zigarrenkisten für Reuter ein.
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Die Sparpolitik der Amerikaner

Reuter sprach über die Sparpolitik der Amerikaner.

»Ich sehe die Schwierigkeiten, die daraus entstehen, als vorübergehende an. Immerhin ... das alles kostet Nerven. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Im März verlangten die Alliierten, daß die Stadt Berlin 60.000 Menschen zur Enttrümmerung einstelle. Wir protestierten, wir zeigten, daß wir uns das nicht leisten konnten, aber wir hatten zu gehorchen. Vorige Woche warfen uns die Alliierten Verschwendungssucht vor. Warum? Weil wir 60.000 Menschen zur Enttrümmerung eingestellt hatten. Sie gebrauchten dabei genau die gleichen Argumente, die ich ihnen gegenüber vor einem halben Jahr gebraucht hatte!«

Reuter sagte, es sei schwer, einer autoritären Militärregierung gegenüber nicht unrecht zu haben. »Aber das kann ich doch den Berlinern nicht sagen! Sie verstehen, das würde gerade die Leute freuen, mit denen wir nichts zu tun haben wollen! Aber ich sagte dem britischen Kommandanten General Bourne erst gestern, daß, wenn das so weiterginge, ich einmal öffentlich über diese Widersprüche der alliierten Politik in Berlin sprechen müsse!«
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Die Illusionen der Alliierten

Alle Schwierigkeiten kamen daher, daß die Alliierten nicht begreifen wollten oder nicht mehr begreifen konnten, daß Berlin nach wie vor Frontstadt war. Sie wollten sie behandelt sehen wie irgendeine andere Stadt, sie wollten Friedensfinanzpolitik machen.

Später schien es fast unglaublich, daß man sich solchen Illusionen hingeben konnte. Denn gerade in dieser Zeit zerfiel Deutschland endgültig oder doch zumindest auf lange Zeit hinaus - in zwei Hälften. (wir sind noch in 1957, als Riess das hier schrieb)
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12. September 1949 - Geburt der Bundesrepublik Deutschland

In Bonn konstituierte sich die Bundesrepublik Deutschland, Heuß wurde Bundespräsident, Adenauer Kanzler. Das war am 12. September 1949.

Und am 7. Oktober beschlossen der Ostdeutsche Volksrat und die Volkskammer, zwei Marionetten-Institutionen der Russen, die Gründung einer "Deutschen Demokratischen Republik" im Osten. Und beide Seiten reklamierten Berlin zumindest durch symbolische Besuche.

Präsident Heuß erschien und wurde zusammen mit Bürgermeister Reuter Ehrendoktor der Freien Universität. Wilhelm Pieck, der andere Präsident, brauchte gar nicht zu kommen, er war schon da, er lebte in Berlin.
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  • Anmerkung : Das war in 1949 der Monat September, als der Autor Gert Redlich mitsamt seinem Bruder und der Mutter "Republik"-flucht begang. Mutter Redlich schnappte sich ihre beiden Kinder (ich war erst 3 Monate alt und im Tragekörbchen) und schlich sich eines Nachts - unter den Russen hindurch - durch den dunklen 800 Meter langen Eisenbahn-Tunnel von Ellrich im Südharz nach Walkenried in den Westen - in die andere Republick. Sie hatte da vermutlich etwas "gerochen" von dieser neuen "demokratischen" Republik. Es muß aber (symbolisch) fürchterlich gestunken haben.

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Die Russen hatten der Ost-Presse Fesseln angelegt

Die Ostpresse schrieb in einem inzwischen verträglicherem Ton über die westlichen Alliierten, als das seit Jahren der Fall gewesen war.

Tschuikow, Semjonow und Kotikow waren zu dem Empfang Achesons erschienen und hatten bestes Benehmen an den Tag gelegt. Auch andere sowjetische Offiziere und Beamte waren im Verkehr mit ihren westlichen Kollegen von einer Liebenswürdigkeit, die an die ersten Tage der Besetzung Berlins erinnerte.

Alles schien darauf hinzudeuten, daß der Kreml zumindest im Augenblick Ruhe und Frieden in seinen Beziehungen zum Westen wünschte. Was stand hinter dieser Drehung um hundertachtzig Grad?

Die Engländer waren skeptisch, da stimmt was nicht

Ein britischer Nachrichtenoffizier sagte mir: »Die Russen haben etwas verkehrt gemacht und versuchen jetzt, es richtig zu machen. Die Blockade war eine Fehlkalkulation. Weit davon entfernt, Amerikas Einfluß in Europa zu vermindern, war die Folge der Blockade, daß sich Amerika zum ersten Mal mitten im Frieden in Europa militärisch engagiert hat. Es ist nur logisch, daß man den Fehler wiedergutmachen will ...

Sie werden sehen: überall auf der Welt, nicht nur in Berlin, werden sich jene sowjetischen Politiker in den Vordergrund schieben, die immer an eine Zusammenarbeit mit dem Westen geglaubt haben.

Aber es handelt sich für sie nicht darum - dies ist zumindest meine Überzeugung -, einige Konzessionen zu machen. Sie wollen mehr, viel mehr. Sie wollen die Welt davon überzeugen, daß man mit der Sowjetunion friedlich zusammenarbeiten kann ...

Kurz und gut: wir gehen jetzt einer Zeit entgegen, die genau so gefährlich ist wie die ersten Jahre des Hitlerregimes es waren. Damals besänftigte man (Anmerkung : 1938 mit dem Münchner Abkommen) Hitler. Jetzt kann es wohl sein, daß die Sowjets uns besänftigen wollen, und daß uns nichts anderes übrig bleibt, als so zu tun, als glaubten wir an ihren guten Willen.

Die Bevölkerung allerorts wird aufatmen, insbesondere in den Ländern, die den letzten Krieg kennengelernt haben. In Frankreich, Belgien, Holland, Italien und vor allem aber in Deutschland - ja, wirklich, ganz besonders in Deutschland - wird man glücklich sein, wenn es sich zeigt, daß man mit Rußland friedlich zusammenarbeiten kann.

Dann könnte es sein, daß die Atlantikfront allmählich abbröckelt, daß in ein oder zwei Jahren niemand mehr an die Möglichkeit eines Krieges denken wird, und alle werden sehr glücklich sein.«

Nicht die Berliner !

»Nicht alle«, sagte ich, »nicht die Berliner!« »Nein«, gab er zu, »nicht die Berliner, die sind zu schlau.« Nach einer Pause fragte ich: »Glauben Sie wirklich, daß es so kommen wird?«

Der Offizier lächelte. »Nein, ich glaube es nicht. Die Gefahr ist groß, sehr groß. Aber schließlich besorgen die Russen doch immer wieder die Arbeit ihrer Gegner. Sie werden irgendwo losschlagen, wo sie sich ruhig verhalten sollten. Es wird lokale Zwischenfälle geben, angehaltene Lastwagen, vielleicht, wer weiß, wird sogar geschossen werden. Vielleicht in Berlin, aber nicht unbedingt in Berlin.«

Jetzt wurden kommunistische Propaganda-Filme gedreht

Es wurde nicht geschossen in Berlin. Aber es geschah anderes, das einen auf den ersten Blick ziemlich heftig erschrecken konnte. Wenn man in jener Zeit in Berlin spazierenging, konnte man mitten in der Vergangenheit landen.

Das ist wörtlich gemeint. Man ging etwa an der ehemaligen Reichskanzlei Adolf Hitlers vorbei und sah plötzlich Leichen von deutschen und sowjetischen Soldaten. Tanks rasten vorbei, und es sah ganz so aus, als ob sie gleich zu schießen beginnen würden. Die Tanks waren echt. Die Leichen waren im wesentlichen aus Holzwolle.

Das Ganze waren Aufnahmen zu dem sowjetischen Film »Der Fall von Berlin«. Wochenlang wurde in den Straßen Berlins gedreht.
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Die im Westen waren ebenso "filmisch" aktiv

Fast gleichzeitig drehte die Twentieth Century Fox einen Film in Berlin, der zuerst »Quartered City« - »Viergeteilte Stadt« heißen sollte und schließlich »The Big Lift« - »Die große Brücke« genannt wurde.

In diesem Film wurde nicht geschossen, aber um so mehr geflogen, geliebt und auf dem Schwarzen Markt verhandelt.

Die Berliner, die zufällig an Straßen vorbeikamen, wo gerade gefilmt wurde, erblickten zu ihrem Erstaunen Menschen, die es schon seit Monaten nicht mehr in Berlin gab:
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Und man sah wieder Schwarzhändler - es waren Komparsen

Schwarzhändler, vor Hunger zusammenbrechende Gestalten, Nazis, die ihre Identität verbergen mußten. Früher pflegte Hollywood Außenaufnahmen prinzipiell in Hollywood zu drehen. Das war jetzt anders.

Nach dem Kriege mußte der Film realistischer werden. Eine Menschheit, die Bomben auf sich hatte regnen lassen, die durch Dreck und Blut gewatet war, konnte kein Pappmache mehr vertragen.

Um diese Zeit waren übrigens bereits zwei Berlin-Filme in den Berliner Ruinen gedreht worden. Ein deutscher Film »Die Mörder sind unter uns!« und der Film Rosselinis: »Deutschland im Jahre Null«.
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Auch die Franzosen wollten mitmischen bzw. "mitdrehen"

Wir hörten, daß nun bald auch eine französische Filmgesellschaft kommen würde, um in Berlin zu drehen, und daß wir bei dieser Gelegenheit als besondere Überraschung Hitler, Göring, Goebbels und Himmler zu sehen bekommen würden. Wir zweifelten nicht daran, daß dann auch die Briten erscheinen würden, kurz, daß Berlin auf Jahre hinaus Kulisse war.

Die Berliner durften ihre eigene lebende Geschichte spielen

Man würde den Berlinern also ihre Geschichte vorspielen, und bei den Aufnahmen durften sie selbst dabei sein. Sie brauchten nur ein paar Straßen weit zu laufen, um zu erleben, was sie vor ein paar Jahren erlebt hatten.

Wer war noch Publikum, wer handelnde Person? Stand nicht vielleicht der Held des Filmes, der geschminkt vor der Kamera agierte, in Wahrheit unter den Zuschauern, die die Straße füllten?

War nicht das Fräulein, das mit dem amerikanischen Soldaten flirtete, in Wahrheit jene Frau mit der Marktasche, die ein bißchen ungeduldig war, weil die Filmleute die Straße abgesperrt hatten, wo doch die Kinder schon aus der Schule zurückkamen?

Es hat eine sehr seltsame Bewandtnis mit den zweihundert russischen Statisten, die unter dem Regisseur Michael Tschiaurelli eine Woche lang Berlin stürmten.

Tagsüber fielen sie von den Kugeln der Deutschen und blieben schwerverwundet oder tot auf dem Pflaster liegen; denn Tschiaurelli war entschlossen, einen realistischen Film zu machen. Abends wurden sie in einem Zeltlager in einem friedlichen Villenviertel untergebracht.

Und in jenen Nächten geschahen zwölf furchtbare Raubmorde in der Umgegend, und es war kein Zweifel daran, daß Sie von jenen begangen worden waren, die tagsüber selbst umgebracht wurden.
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Das Besondere und das Gespenstische ...... paradox und kurios

Das war das Besondere und Gespenstische: vor der Berliner Kulisse wurde Berliner Geschichte von zwei, drei und vier Jahren vorgeführt, und schon schien alles nicht mehr wahr.

Typisch, daß es der Twentieth Century Fox gar nicht leicht fiel, die abgerissene Kleidung und das schäbige Schuhwerk zu besorgen, das die Statisten tragen mußten. Noch vor einem oder vor zwei Jahren wären die Statisten vermutlich in einer Verfassung erschienen, die selbst der Twentieth Century Fox ein wenig zu realistisch gewesen wäre. Vorbei, vorbei ...

Und war doch nicht ganz vorbei. Die Szene in dem amerikanischen Film zum Beispiel, die auf dem Potsdamer Platz spielte, mußte auf einem anderen Platz im amerikanischen Sektor gespielt werden.

Denn man konnte es nicht riskieren, die als sowjetische Soldaten verkleideten deutschen Statisten dorthin zu bringen, wo sie unter Umständen einem Zusammenstoß mit wirklichen sowjetischen Soldaten ausgesetzt gewesen wären.

Und aus ähnlichen Gründen zogen es die Russen vor, gewisse Straßen Berlins, die sie laut Drehbuch erobern mußten, die aber inzwischen in die Hände der Amerikaner oder Briten übergegangen waren, im Osten neu aufzubauen. Die Geschichte wurde verfilmt und lief indessen weiter.

Und es schien mir damals durchaus nicht unmöglich, daß in einigen Jahren in Berlin ein Film gedreht würde, der sich mit dem Schicksal jener Filmschauspieler beschäftigt, die 1949 einen Film in Berlin gedreht hatten, der im Berlin von 1945 spielte.
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