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Ein Artikel aus einem Buch von 1984

Aus dem Buch

Eine Frankfurter Kino-Chronik 1984

haben wir einige Artikel, die direkt mit unseren Themen in Verbindung stehen, ausgewählt.
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Neuer Anfang in Ruinen (Helmut Müller)

Als die amerikanischen Panzer im Frühjahr 1945 die heute legendäre Ludendorff-Brücke von Remagen wider alles Erwarten unzerstört vorfanden, mit ihren Verbänden diesen letzten, wie durch ein Wunder intakten Übergang über den Rhein für ihre militärischen Operationen benutzen konnten und sich so die Ausgangsstellung zum endgültigen Sieg über Hitler-Deutschland schufen, wurde allen nachgeordneten US-Führungsstäben klar, daß sie die gesteckten strategischen und mithin politischen Ziele erreichen würden.

Dieses Wissen gab auch den Abteilungen der Information Control Division (ICD) die Sicherheit, im deutschen Hinterland bald ihre projektierte Arbeit aufnehmen zu können.

Frankfurt - völlig zerbombt und ein trostloses Bild

ein Bild der Nr. 52 aus 2016

Die Mainmetropole Frankfurt bot den amerikanischen Besatzungstruppen beim Einmarsch das trostlose Bild fast totaler Zerstörung und Captain Charles R. Dent und sein Sergeant Walther Jacks atmeten erleichtert auf, als sie ihr Ziel nahe dem Hauptbahnhof, das Industriehaus Nr. 52/60 in der Taunusstraße, unversehrt vorfanden.

  • Anmerkung : In diesen Haus in der Taunusstraße 52 residierte später die UFA Handel, bei der der Vater des Autors bis 1961 angestellt war. Als kleiner Bub von 7 Jahren durfte ich öfter mit nach Frankfurt und der dortige Paternoster - er ging über alle 6 Stockwerke - und sein Geheimnis (der Laufrichtungsumkehr) erscheint immer wieder in meinen Erinnerungen.

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Die US-Militärregierung und ihre Film Section

Die ICD (wer oder was war die ICD ?) installierte hier, wie in Amerika lange vor Kriegsschluß vorgesehen, sofort die "Film Section" der US-Militärregierung. Zu den Verantwortlichen auf amerikanischer Seite stießen später Harry Sattel und Irvin C. Scarbeck, der Jahre danach als US-Diplomat in Warschau in eine Spionage-Affäre verwickelt wurde.

Der deutsche Leiter der amerikanischen Filmkontrolle, wie diese US-Dienststelle bald genannt wurde, war zunächst ein Herr Peters. Nach dessen kurzem Interregnum übernahm im August 1945 Siegfried Lubliner als deutscher Direktor die Geschäftsführung der Film Section, die offiziell für den Bereich »Greater Hesse« (groß-Hessen) zuständig war.
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Die "Wiederingangsetzung" der Filmwirtschaft

Die Filmkontrolle hatte unterschiedliche Aufgaben: politische und organisatorische. Während die US-Offiziere sich hauptsächlich um den Komplex Denazifizierung der Filmproduktion, des Verleihs und der Theatersparte kümmerten - Grundlage dafür bildete der ominöse Fragebogen, der von den deutschen Filmtätigen zu 131 Punkten erschöpfende Antworten heischte - , bemühten sich die deutschen Mitarbeiter dieses US-Office ausschließlich um die Wiederingangsetzung der Filmwirtschaft allgemein (das Frankfurter Dr. Schleußner Werk als Rohfilm-Lieferant war 1945 abgebrannt) und gaben Hilfestellung zur möglichst schnellen Wiedereröffnung der Filmtheater.

Politisch belastete Kinobesitzer mußten ihre Häuser an integere Interessenten verpachten.

Der Anfang mit Lichtburg und Schauburg

Die ersten Kinos, die in Frankfurt wieder ihre Projektoren aufblenden konnten, waren die Lichtburg auf der Kaiserstraße und die Schauburg in der Bergerstraße.

Mit »It Started With Eve« und »Tales Of Manhattan«, beide im US-Idiom geboten, begann der regelmäßige Spielplan.

Der erste amerikanische Film, der im Herbst 1946 in deutscher Sprache synchronisiert wurde, hieß »Lebenskünstler«. Es folgten »Verdacht« (Alfred Hitchcock), »Schlüssel zum Himmelreich« (nach A. J. Cronin) und »Laura« (Otto Preminger).

August 1945 - ganze 23 Filmtheater in Hessen

Im August 1945 spielten in Hessen ganze 23 Filmtheater. Bald aber kam die Anweisung, binnen eines Monats die Zahl der hessischen Lichtspielhäuser - koste es, was es wolle - auf hundert zu erhöhen.

Das erste im Zuge dieser Aktion wiedereröffnete Kino in Frankfurt war die Scala (heute - 1984 - das Eldorado) in der Schäfergase, gefolgt vom Bieberbau - am Eröffnungstage erwarteten das Publikum in Parkett und Rang Küchenstühle! - nahe der Hauptwache und das Luxor gegenüber dem Hauptbahnhof.

1946 Neu - der Landesverband der Filmtheaterbesitzer

Am 7. August 1946 wurde im Theatersaal des Frankfurter Zoologischen Gartens mit Genehmigung der amerikanischen Filmkontrolle der »Landesverband der Filmtheaterbesitzer von Groß-Hessen« gegründet.

Erster Vorsitzender wurde Ludwig Fasler (Darmstadt). Die ca. 150 Versammlungsteilnehmer nahmen mit Interesse zur Kenntnis, daß nur etwa 15 Prozent der rund 200 großhessischen Filmtheater in den Händen politisch einwandfreier Altbesitzer verblieben waren.

Bis zum Jahresende 1946 wuchs die Zahl der Lichtspieltheater in Hessen auf 247 mit insgesamt 83.239 Plätzen. An der Spitze stand die Mainmetropole samt ihren Vororten mit 20 Kinos und 6687 Plätzen.

Die Eintrittspreise der Lichtspielhäuser bewegten sich zwischen RM 0,60 (Wochenschau, Märchenfilm) und RM 2,50 (Spielfilm).

Wichtige Ereignisse in den Tagen des Wiederbeginns

Wichtige Ereignisse in den Tagen des Wiederbeginns des Frankfurter Filmlebens verdienen besondere Erwähnung. Am 7. Januar 1946 überreichte Colonel R. K. Phelps als stellvertretender Direktor der US-Militärregierung in der Mainmetropole an den Filmregisseur und Kameramann Curt Oertel (»Die freudlose Gasse«, »Michelangelo«) die erste Lizenz zur Herstellung von Dokumentär- und Spielfilmen in Hessen.

Für die Stadt Frankfurt war Stadtrat Reinert, für Wiesbaden Oberbürgermeister Redlhammer erschienen. Als der verdiente Filmpionier wegen des Sitzes seiner neuen Firma zwischen der Mainmetropole und Wiesbaden schwankte, machte die heutige hessische Landeshauptstadt das Rennen:

Der Oberbürgermeister von Wiesbaden bot der Curt Oertel Film-Studiengesellschaft mbH als Domizil das Schloß Biebrich.

1946 - Carl Zuckmayer in Frankffurt

Ende 1946 besuchte der Dichter und Dramatiker Carl Zuckmayer (»Der fröhliche Weinberg«, »Der Hauptmann von Köpenick«, »Des Teufels General«) als Sonderbeauftragter des War-Departments in Washington auch die amerikanische Filmkontrolle in Frankfurt.

Sein Auftrag: sich im Rahmen der "Reorientation Branch" als Leiter der Film- und Theaterabteilung ein umfassendes Bild von den deutschen Verhältnissen auf diesen Gebieten zu verschaffen.

»Deutschland ist kein agrikulturelles Land, sondern vor allem ein geistiger Faktor in Europa«, sagte Zuckmayer damals. »Das Programm der "Reorientation Branch", für dessen Durchführung der amerikanische Kongreß die finanziellen Mittel bewilligte, will erzieherische und kenntnisfördernde Möglichkeiten ohne doktrinäre Nebenabsichten erschließen.«

UFA-Produzent Eric Pommer - jetzt als US-Offizier in Frankfurt

Eine entscheidende Persönlichkeit für den Wiederaufbau des Filmwesens in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands wurde der einstige große UFA-Produzent Eric Pommer (»Der blaue Engel«, »Der Kongreß tanzt«), der sich nach Kriegsschluß als US-Film Production Control Officer auch in Frankfurt der Presse stellte:

»In der Möglichkeit, den Film als Brücke der Völkerversöhnung in dem Sinne einzusetzen, daß die deutschen Zuschauer auch mit den Problemen, Nöten, Zeit-Verhältnissen jenseits der eigenen Grenzen vertraut werden, läge einer seiner wesentlichsten erzieherischen Aufgaben.

Dieses Bekanntwerden mit fremdem Gedankengut und fremden Gefühlswelten solle aber das deutsche Publikum nun nicht etwa zur Nachahmung veranlassen, sondern es nur zum Vergleichen, zur Nutzanwendung des Gesehenen auf die eigenen Verhältnisse anregen.

Dies gälte vor allem für die Jugend. - Daß trotz dieser erzieherischen Aufgabe des Films die Unterhaltung nicht zu kurz kommen dürfe, sei ebenso selbstverständlich. Er - Pommer - bemühe sich beim Wiederaufbau des Filmwesens, alle die Stoffe und Filmvorhaben zu fördern, die zeitnah seien, menschlich etwas gäben und Ausblicke auf das Morgen gewährten.

Es seien unter diesen Filmen nicht etwa Stoffe propagandistischen Inhalts zu verstehen, sondern einzig und allein solche, die vom Zeitinteresse getragen und von echter Menschlichkeit erfüllt sind. Diese Voraussetzungen seien bei dramatischen Stoffen ebenso anzutreffen wie etwa in Unterhaltungsfilmen lustspielhafter Prägung.

Ob der einzelne Film das Publikum lachen oder weinen lasse, sei gleichgültig. Es käme darauf an, daß alle gut und ehrlich gemacht sind.«

Anfänglich ausschließlich amerikanische Filme

Die Frankfurter Kinos der ersten Nachkriegszeit boten mit ihren Programmen ein getreues Spiegelbild dessen, was an Filmen überhaupt verfügbar war:

Zuerst liefen in der Mainmetropole nur amerikanische Filme, es kam der AFI-Militärverleih, die Motion Picture Ex-32 port Association (Germany) Inc. (MPEA) installierte sich 1947, französische und englische Filme traten auf trizonaler Basis hinzu.

15.000 Filmkopien aus dem Tresorgebäude der AFIFA

Wie durch ein Wunder waren von den vor Kriegsschluß gedrehten deutschen Filmen aus dem Tresorgebäude der AFIFA in Berlin die Negative unzähliger UFA-Filme vor dem Zugriff der Russen gerettet worden, und der US-Filmoffizier Eric. R. Pleskow hatte aus Bayern und West-Berlin rund 15.000 Filmkopien zusammengetragen, wodurch auch die Frankfurter in den Genuß zahlreicher, selbstverständlich »entnazifizierter« Reprisen kamen.

Fast alle Filmverleiher residierten in der Taunusstraße

Schließlich machten sich gar die MPEA-Firmen am Main mit eigenen Deutschland-Niederlassungen selbständig, und es gab auch wieder die ersten deutschen Filmverleiher.

Sie residierten nahezu alle in der Taunusstraße und machten Frankfurt zwar nicht zu einer Filmstadt, aber zur unbestritten führenden Verleihmetropole Westdeutschlands.

Januar 1949 - der "Erste Internationale Filmball"

Das Florieren des Filmvölkchens am Main gab einigen Optimisten der Branche sogar den Mut, unter dem Protektorat des Oberbürgermeisters Dr. Walter Kolb am 15. Januar 1949 den »Ersten Internationalen Filmball« in sämtlichen Räumen des Frankfurter Palmengartens zu veranstalten.

Prominenteste Gäste bei diesem gesellschaftlichen Ereignis der Filmindustrie Westdeutschlands waren Zarah Leander, Viktor de Kowa, Rudolf Nelson, Hazel Court, Carola Höhn, Hedi und Margot Höpfner, Michael Jary und Evelyn Künnecke.

  • Anmerkung : Michael Jary hatte - obwohl er Jude war - mehrere sehr erfolgreiche Lieder für Zarah Leander komponiert (der Wind) und mit ihrer Hilfe das Krigesende überlebt.


Soweit die Tatsachen, soweit die Daten... Und was registriert die Erinnerung sonst noch aus jenen Tagen?
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Vorwiegend Heiteres ...

Öffnete sich da eines Morgens die Zimmertür des »Pressechefs Greater Hesse«, und herein trat ein kleiner rundlicher Herr im schwarzen Anzug.

Ob er hier richtig sei, wollte er wissen, ob der Presse-Mister ihm nicht eine Filmproduktionslizenz beschaffen könne. Zum Beweis seiner ernsthaften Absichten zog er einen Firmenbogen aus der Tasche, um ihn seinem Gegenüber zu präsentieren.

Riesengroß prangte dort im oberen Drittel des weißen Blattes, vom einen Rand zum anderen, in knallblauer Schrift das Wort: »Berolina«!

Als der Besucher des Pressemanns optisch-graphisch entsetzten Blick bemerkte, erklärte der Gast: »Der Briefkopf wird natürlich kleiner gehalten. Das ist nur der erste Andruck!«

Der Pressechef nickte ergeben, und dann verwies er seinen Gesprächspartner an den US-Boß der Film Section.

Kurt Ulrich und Gustaf Gründgens

Wer der Besucher war? Erraten: Kurt Ulrich, der spätere Produzent des »Schwarzwaldmädels«! Waren das Zeiten - damals im Industriehaus!

Kam da eines Tages der Ex-Generalintendant der Preußischen Staatstheater, Gustaf Gründgens, seines Zeichens »Bühnen- und Filmschauspieler«; natürlich »black listed« - auf der »Schwarzen Liste« der Amerikaner. Das Hin und Her, bis dieser »Nazi« einen Wagen nach Wiesbaden gestellt bekam, wo Deutschlands größter Theatermann für Stunden als neuer Schauspielchef im Gespräch war...

Die Geschwister Höpfner

Oder die Sache mit den Geschwistern Höpfner: Der Pressechef der Filmkontrolle wollte ihnen den großartigen amerikanischen Film »Roman einer Tänzerin« vorführen und das Tanzpaar dann über diesen Streifen interviewen.

»Black listed« knurrte es drohend aus dem Direktionszimmer, und aus war es mit den zahllos verabredeten Veröffentlichungen in der hessischen Presse.

Die Erinnerung an das gute ... »Ami«-Essen

Und was blieb außerdem in Erinnerung an die US Film Section Greater Hesse? Die Erinnerung an das gute ... »Ami«-Essen: jeden Mittag Suppe, Fleisch und hinterher laut Küchenreglement »eine Tasse Bohnenkaffee« - damals für jeden Deutschen ein Traum!

Baron von Seh legte die Ami-Bewirtungsanordnung auf seine Weise aus: Er schaffte sich ein gehenkeltes Porzellangefäß von den Ausmaßen eines Geschirrs an, von dem man sonst nur höchst intim andernorts Gebrauch zu machen pflegt ...

Es war eine verrückte Zeit!

Film gleich nach 1945 in Frankfurt - vor der Währungsreform. Es war eine verrückte Zeit! Einmal sollte da eine Sozialreportage rund um die Kinobranche gemacht werden. Bei einer Kassiererin begann es. Was sie denn monatlich verdiene, wollte der Reporter wissen.

»Offiziell - oder so?« lautete die Gegenfrage. »Naja, so.«
»Ach Gott, so ungefähr 5.000.- Reichsmark!« erklärte die Hübsche.

Des Rätsels Lösung? Die Kassiererin gab in jenen trüben Reichsmarkzeiten bei mangelndem Kleingeld Bons an die Kartenkäufer aus.

Mit der Bitte, sich die 20 oder 30 Pfennig doch nach der Vorstellung abzuholen. Worauf natürlich die Masse der Kinobesucher verzichtete. Ergebnis: Das Ministergehalt der Kassiererin ...

Helmut Müller (aus 1984)
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