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Teil einer Lebens-Biografie von Curt Riess

Der Journalist, Reporter, Auslandskorrespondent und Schriftsteller Curt Riess (1902-1993) hat in dieser in 1956/57 verfassten biografischen Zusammenstellung der Ereignisse in Berlin von 1945 bis 1953 eine Art von Roman-Form gewählt und sehr viele Daten, Personen und Einzelheiten aus der Film- und Kino-Welt untergebracht. Eigentlich ist es eine erweiterte Biografie aus seinem Leben. Sonst ist es ist es leider (im gedruckten Original) eine reine - nicht besonders lesefreundliche - Buchstabenwüste.

Zur Geschichte der Berliner Kinos gehört natürlich auch das Ende des 2. Weltkrieges in Berlin und die politische Entwicklung danach. Die einführende Seite beginnt hier.

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Fünfter Teil

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INSEL DER HOFFNUNG

AM Sonntag, dem 25. Juni 1950, hatten nordkoreanische Truppen völlig überraschend den 38. Breitengrad überschritten und waren auf breiter Front nach Süden vorgedrungen. Nach dem ersten Kampftag standen sie bereits vierzig Kilometer vor Seoul.

Was sich in den ersten Stunden des Krieges um Korea im Hauptquartier der (ost-) deutschen Kommunisten in Ost-Berlin tat, war ein typisches Beispiel dafür, wie wenig diese wußten, was Moskau von ihnen verlangte, wie falsch die dortigen "Führer" lagen und wie schnell sie bereit waren, sich um hundertachtzig Grad zu drehen, wenn eine andere als die erwartete Parole von Moskau ausgegeben wurde.

Während des ganzen Sonntags wußte man in den Kreisen der SED offiziell überhaupt noch nichts von den Vorgängen in Korea. Der kommunistisch kontrollierte Berliner Sender schwieg sich aus. Die Russen schwiegen sich aus. Auch Radio Moskau hatte noch nicht gesprochen.

Die Ost-Bonzen hörten den verbotenen RIAS Sender

Inoffiziell wußten die Ost-Größen der Partei Bescheid. Sie hatten die Todsünde begangen, den Sender der amerikanischen Besatzungsbehörde, den RIAS, zu hören, der bereits seit vielen Stunden Nachrichten aus Korea brachte. Es gehörte nicht zum guten Ton für Kommunisten, den RIAS zu hören, aber in diesem Fall drückte man beide Augen zu und sperrte die Ohren auf.

Um so mehr, als die Nachrichten außerordentlich erfreulich waren. Aus den RIAS-Meldungen ging ja hervor, daß die Kommunisten im Angriff waren.

Im »Glaspalast«, dem Hauptquartier der SED, herrschte daraufhin ein ganz unsonntäglicher Betrieb. Zahlreiche Funktionäre des Zentralsekretariats und des Parteivorstandes waren mit dem vagen Gedanken gekommen, sie könnten vielleicht in so entscheidender Stunde gebraucht werden.

Auch Otto Grotewohl eilte herbei, konnte freilich nicht auf die Frage antworten, was nun »geschehen« würde. Überall bildeten sich Gruppen, überall war man der Überzeugung, es werde etwas »geschehen«.

Viele begaben sich in die Kantine, blieben stundenlang. Einige waren berauscht von dem »revolutionären Plan« der Sowjets, andere vom Bier. Aber alle waren begeistert, als man im RIAS hörte, sowjetrussische Offiziere führten die nordkoreanischen »Volks«-Truppen. Zum erstenmal seit 1945 marschierte die Sowjetunion wieder!
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Gerüchte, Gerüchte und lancierte Wunschträume

Im Laufe des späteren Nachmittags erklärte Hermann Matern, der Leiter der Parteikontrollkommission, es dürften keine Erklärungen abgegeben werden. Freilich gab Gerhart Eisler »Erklärungen« am laufenden Band ab, die er mit dem Vermerk versah, sie seien vertraulicher Natur.

Zeugen hörten ihn: »Das ist die Antwort auf die Maßregelung unserer japanischen Genossen! Mac Arthur ist bereits nach Amerika geflohen! Die südkoreanischen Genossen haben sich mit den nordkoreanischen Genossen verbunden! Es gibt nur noch ein Korea! Die Amis werden baden gehen!«

Die Parallele zu Deutschland ergab sich ganz von selbst für die Kommunisten. Sie meinten, daß das, was sich in Korea abspielte, den Amerikanern und den Engländern sicher »in die Knochen fahren würde«:

»Sie werden Deutschland früher räumen als sie gedacht haben!« Einige behaupteten sogar, die Westmächte in Berlin »packten bereits ihre Koffer!«
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Der allgemeine Tenor war: Korea heute - Deutschland morgen!

Nur war man sicher, daß es im Gegensatz zu Korea in Deutschland zu keinem Bürgerkrieg kommen würde. Dafür gab es viele Argumente: die Bonner Regierung konnte sich auf ihre gekaufte Polizei nicht verlassen, und wenn diese erst von »unserer Volkspolizei« geschlagen war, stand der Verbrüderung von Deutschland nichts mehr im Wege.

Die Bonner Pseudominister hätten keine Anhänger im Volk; die Westalliierten waren (nach der Räumung) viel weiter vom Schuß als im Falle Korea, wo es ja in Japan noch eine amerikanische Besatzung gab ...

Und jetzt wurde der "Sieg" der Kommunisten begossen

Am frühen Abend überstürzten sich die wildesten Gerüchte. Man wollte im »Glaspalast« wissen, daß eine Aktion - die Eroberung Westdeutschlands? - unmittelbar bevorstünde.

Einer, der sehr viel getrunken hatte, behauptete, Amerika hätte der Sowjetunion den Krieg erklärt.

Auf jeden Fall wurden verschiedene Kommandos Volkspolizei in Alarmbereitschaft gesetzt.

Die erste sowjetische TASS-Meldung über Korea kam erst gegen Mitternacht. Sie besagte das genaue Gegenteil der RIAS-Meldungen, die kommunistische Gemüter in solchen Freudentaumel versetzt hatten. »Südkoreanische Truppen haben die nordkoreanische Volksrepublik angegriffen«, erklärte Moskau.

Das war ein arger Schock, selbst wenn, wie begreiflich ist, die Genossen im »Glaspalast« so gleich wußten, daß es sich hier um eine Parole handelte, um eine Direktive, welche Propaganda gemacht werden sollte. Sofort wurde ein- und umgeschwenkt.
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Solidarität mit den armen "angegriffenen" Nordkoreanern

Schon am frühen Montagmorgen bereitete die Abteilung »Propaganda und Massenagitation« die ersten »Solidaritätserklärungen« für die armen angegriffenen Nordkoreaner vor.

Die neue Propagandalinie war also nicht, wie man am Vortage dachte, die triumphale Feststellung, daß die Kommunisten in Asien nicht aufzuhalten seien, sondern Empörung darüber, daß man sie angegriffen hatte.

Korea also durfte nicht das Beispiel werden, nach dem man sich richtete, nicht die Generalprobe für die Eroberung von ganz Deutschland. Korea sollte ein Fall des Fernen Ostens bleiben. Der Krieg war da, von dem die Propaganda der letzten Periode des Dritten Reiches so oft gesprochen hatte; der Krieg zwischen Ost und West, zwischen Sowjetunion und den Alliierten.

Goebbels prägte bereits den Begriff "Eiserner Vorhang"

Der Krieg, von dem Goebbels immer wieder gesprochen hatte, besonders in seinem grandios-abscheulichen Artikel »Das Jahr 2000«, in dem er auch den Begriff: der »Eiserne Vorhang« geprägt hatte, der Krieg, an dessen Möglichkeit Hitler sich gewissermaßen als letzte Lebensversicherung bis ganz zuletzt geklammert hatte.

Nicht nur Hitler: es war ja verständlich, daß das besiegte Deutschland nicht ungern mit dem Gedanken eines Krieges zwischen den Siegern spielte, besonders in den ersten Jahren nach dem Krieg, da die meisten Deutschen hungerten und froren.

Sie hatten damals und auch heute noch den etwas undefinierbaren Glauben, es würde ihnen besser gehen, wenn es den Siegern schlechter gehen würde. Aber die Deutschen waren durch Schaden wenigstens soweit klug geworden, daß sie diesen Krieg nicht gerade in Europa oder gar in Deutschland vor sich gehen zu sehen wünschten. Soweit sie ihn überhaupt wünschten, träumten sie von einem Krieg in weiter, weiter Ferne.
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Der Krieg machte nachdenklich und nervös

Doch nichts wäre "verkehrter", als zu glauben, daß die Berliner glücklich gewesen wären, daß der Krieg nun da war. Er beschäftigte sie, er machte sie nervös, er hätte sie nicht nervöser machen können, wenn er in ihrer allernächsten Nachbarschaft stattgefunden hätte.

Die Berliner spürten dumpf, daß der 38. Breitengrad mitten durch ihre Stadt ging. Die offizielle Ansicht der ostdeutschen Regierung wurde durch den Außenminister Georg Dertinger bekannt, der erklärte, man verfolge in Ostdeutschland mit Aufmerksamkeit die Entwicklung in Korea, und falls Westdeutschland einen Angriff auf die ostdeutsche Republik wagen würde, dann werde die »junge deutsche Demokratie« dieselbe Antwort erteilen, wie die koreanische Volksrepublik!
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Das konnte das Ende einer Karriere werden

Das klang bedenklich. Es konnte, wenn man so wollte, als Prophezeiung ausgelegt werden für das, was heute oder morgen in Deutschland geschehen würde ...

Vielleicht hatte Dertinger ein wenig zuviel gesagt, ein wenig mehr als das, das ein Außenminister "von sowjetrussischen Gnaden" sagen durfte. Vielleicht hatte er gar selbständig gedacht, ein Verbrechen, wie man es sich im Osten nicht schlimmer vorstellen kann und vielleicht war es deshalb, daß er ganz plötzlich zu einem Kuraufenthalt nach Rußland abkommandiert wurde, und daß man in kommunistischen Kreisen munkelte, es müßte ein neuer Außenminister ernannt werden.
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Der Osten schien optimistisch.

Was Dertinger noch relativ vorsichtig zum Ausdruck brachte, äußerten weniger offiziöse Persönlichkeiten wie folgt: »Die Russen haben mindestens achtzehn Panzerdivisionen in Deutschland stehen, die Alliierten allerhöchstens zwei, was also wird uns hindern zu behaupten, daß die Westmächte nach Ostdeutschland eingefallen sind?«

Die Opposition in Ostberlin und Ostdeutschland, also rund achtzig Prozent der Bevölkerung, befand sich in einer schwierigen Lage. Diese Opposition hatte in den letzten Jahren, besonders aber nach dem Sieg der Westmächte über die russische Blockade, die Anwesenheit der Westmächte in Berlin und in Westdeutschland als eine Garantie gegen die schlimmsten Willkürakte, gegen die radikalsten Sowjetisierungsbestrebungen der Kommunisten angesehen.

Solange General Clay in Berlin gewesen war, fühlte man sich auch in Dresden, Leipzig und Frankfurt (an der Oder) relativ sicher. Nun war alles ganz anders.

Mit den Amerikanern, die sich in Korea auf dem Rückzug befanden, befand sich auch der geistige Widerstand in der deutschen Ostzone auf dem Rückzug. Der Vergleich zwischen Korea auf der einen Seite und Deutschland auf der anderen Seite, der Vergleich zwischen dem 38. Breitengrad und der Grenze, die quer durch Deutschland verlief, lag ja so nahe.
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Schwierige Zeiten für die Gegner der Ost-Regierung

Die Opposition in der Ostzone war in einer schwierigen Situation, auch die Opposition in der Kommunistischen Partei. Dort saß mehr als einer, der überzeugt davon war, man könne nach außen hin die sowjetrussische Politik mitmachen, im stillen aber dagegen arbeiten.

Die so dachten, waren gute Kommunisten, aber eben deutsche Kommunisten, die nicht wünschten, Werkzeuge des russischen Imperialismus zu sein. Jetzt, nach Korea, gab es nur noch wenige, die es für möglich hielten, von innen her gegen den russischen Imperialismus zu arbeiten.

Die überwiegende Majorität war überzeugt davon, daß die Russen jetzt auf dem Marsch seien und nicht mehr gestoppt werden könnten.
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Erstaunlich, was die sensationsgeilen Reporter alles wußten

Nicht nur die Kommunisten dachten so, sondern auch - paradoxerweise - die antikommunistischen Zeitungen. Gerade sie ließen keinen Zweifel daran, daß die Russen jeden Tag kommen könnten.

Sie hatten es natürlich aus bester - aber nicht genannter - Quelle. Sie kannten alle die streng geheimen Pläne, die offenbar nur vor dem Kreml selbst geheimgehalten wurden, dem Kreml, der sie doch ausführen sollte.

Wer kannte sich da noch aus? Die Redakteure gewisser westlicher Zeitungen "ganz bestimmt". Ihnen konnte man nichts vormachen. Sie kannten vor allem den Tag X, an dem die Überrollung stattfinden würde: manchmal war es auch der Tag H oder der Plan M. Das Alphabet war ja geduldig.
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Wieder kam "vox populi" zu Wort

Eine bekannte illustrierte Wochenzeitung hatte daraufhin eine Reihe von Deutschen gefragt, was sie denn zu der augenblicklichen Situation zu sagen hätten, und stellte fest: »Die meisten Deutschen sagen, wir seien verraten und verkauft!«

Ein Leser äußerte: »Ich renne, renne, renne - noch schneller als die Amis und so weit weg, wie ich kann!« womit die Redaktion diskret andeuten wollte, daß die Amerikaner weglaufen würden.

Das hatten sie zwar bisher weder bei der Blockade von Berlin noch in Korea getan, aber in Westdeutschland wußte man das besser ... Alle wußten es besser.

Ein Schumachermeister sagte über die westlichen Soldaten: »Für uns lassen die sich nicht totschlagen!« Eine Marktfrau: »Die Amis laufen weg und wir baden es aus!« Eine junge Schneiderin erwartete von den Amerikanern nichts, wenn es kritisch würde, »nichts Gutes und nichts Schlechtes«.

Am weitesten ging Hannelore S., die sich das Kopftuch vors Gesicht zog, weil sie nicht fotografiert werden wollte: »Ich fliege sonst aus meiner Stellung.« Die Redaktion dieses Blattes ließ den Leser wissen : »Hannelore S. ist als Sekretärin in einer amerikanischen Kaserne beschäftigt. Als der Koreakrieg heiß wurde, sagte ihr Chef tröstend: >Wenn wir einmal schnell abziehen sollten - die Personalakten verbrennen wir bestimmt!<«
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Auch die Westdeutschen "fürchteten" sich .....

In München, Hamburg und Köln wurde so heftig mit den Zähnen geklappert, daß man es sogar in Berlin hören konnte. Viele bereiteten sich auf den Tag X - oder war es der Tag H ? - vor.

Wie das vor sich ging, war nicht ohne unfreiwillige Komik. Man erzählte mir von einem Industriellen in Süddeutschland, der von einem Tag zum andern nicht mehr mit amerikanischen Offizieren verkehrte, obwohl er bisher den größten Wert auf diesen Verkehr gelegt hatte. Er gedachte auf diesem Wege seine Neutralität unter Beweis zu stellen.

Andere tarnten sich. Soweit sie viel Geld hatten, besorgten sie sich Papiere auf andere Namen und sogar einen Unterschlupf für die Zeit, während der sie sich von der Roten Armee überrollen lassen müßten.

Ein großes Industrieunternehmen hatte bereits beschlossen, in ländlichen Gegenden kleine Häuser bauen zu lassen, in die dann die Generaldirektoren ziehen könnten - bis alles vorbei war. Tarnung.

Man abonnierte kommunistische Zeitungen. Man äußerte sich wohlwollend über die kommunistischen Bestrebungen: »Ich hatte gewiß manches an den Russen auszusetzen ... aber ...« Oder: »Ich bin bestimmt kein Kommunist, aber ich muß zugeben, daß ...«

Man gab zu. Man äußerte sich mit Verständnis. Man knüpfte Bande. Man gab Geld her für die gute Sache des Kommunismus. So hintenrum, man war nicht dafür, das an die große Glocke zu hängen, es genügte ja auch, wenn ein Funktionär der KPD davon wußte, der es später, nach dem Tag X oder dem Tag H, bestätigen konnte.
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  • Anmerkung : Auch hier kann ich wieder die beiden Berliner Trilogien (jeweils 3 Filme) empfehlen - "Ku'damm 56" und "Ku'damm 59". Insgesamt 6 sehr gut gemachte FIlme, wie das war mit der Lügerei und der Heuchelei, es ja jedem - nach der jeweils aktuellen Lage - Recht zu machen.

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Die kommunistischen Parteien Westdeutschlands schwammen im Geld.

Man gab Annoncen für die Parteipresse. Man trat sogar in die Kommunistische Partei ein. Natürlich insgeheim, unter einem Decknamen, wie das ja gute Kommunisten von jeher taten. Man schmiß sich ran.

Wenn man mit den Leuten, die dies alles taten, sprach, so begründeten sie ihr unqualifizierbares Benehmen auf mancherlei Art.
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Die Nazis hatten ja vorgemacht, wie man das "Danach" überlebt

Sie erinnerten daran, daß viele Nazis nach dem Krieg gut weggekommen seien, weil sie sich beizeiten ein Alibi verschafft hatten: etwa dadurch, daß sie den einen oder anderen Juden nicht ganz so schlecht behandelten wie die andern Nazis, oder, Höhepunkt der Generosität, daß sie den einen oder anderen vor der Ermordung schützten.

Diese Nazis hatten sich rechtzeitig ihre Dienste quittieren lassen und hatten sich so, gewissermaßen von einer Stunde zur anderen, in alte Widerständler verwandelt.

Eine andere Begründung: »Haben die Alliierten uns nicht in den letzten Jahren des Krieges immer wieder vorgeworfen, wir hätten nicht bis zum letzten Blutstropfen des letzten Mannes kämpfen sollen?«

Nun, diesmal wollten sie, wenn auch etwas verspätet, weniger heroisch sein. Keiner wollte der letzte Mann sein, sondern jeder der erste, der sich mit den Kommunisten verständigte.
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und die jungen Vopos hatten jetzt ein ernstes Problem ......

Am allernervösesten waren freilich jene jungen Leute in der Ostzone, die seit vielen Monaten darauf trainiert wurden, ihre eigenen Landsleute niederzuschlagen und zu arrestieren: die Volkspolizei nämlich.

Sie hätten, wie weiland ihre Vorgänger, die Gestapisten, ohne mit der Wimper zu zucken, alte Männer und wehrlose Frauen niedergeschlagen oder gefoltert. Nun standen sie vor der entsetzlichen Möglichkeit, sich eine Tages mit ebenso jungen wohlgenährten und kräftigen Männern, die ebenfalls schießen konnten, herumschlagen zu müssen; in Südkorea vielleicht, in Nordkorea vielleicht, oder gar in Westdeutschland. So hatten sie nicht gewettet.

Nichts wäre "verkehrter" gewesen, als an der Tatsache vorüberzugehen, daß zumindest zu Beginn des Koreakrieges das westliche Prestige in Deutschland gefährdet war.
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Im Westen gab es wieder richtig kluge Militärfachleute

Gelegentlich hörte man auf den Straßen Berlins: wenn man nach Korea eine voll ausgerüstete deutsche Panzerdivision bringen könnte, wäre der Spuk schnell vorbei. Wir hatten wieder einmal furchtbar viele "Fachleute für Strategie und Taktik" unter uns.

Ja, da waren auch wieder die Fachleute aus dem letzten Weltkrieg, die sich so unsäglich blamiert hatten. Jede Zeitung hatte wieder einen erfahrenen militärischen Sachverständigen, und die Tatsache, daß diese Sachverständigen sich im letzten Krieg als so unsachverständig wie nur möglich erwiesen hatten, hinderte sie nicht daran, wieder loszulegen.

Die Bevölkerung las wieder einmal, immer wieder einmal mit Zittern und Beben die Kriegsberichte. Hatten die Amerikaner es nicht an der genügenden Machtentfaltung in Korea fehlen lassen? Oder hatten sie vielleicht gar zu sehr aufgetrumpft, so daß die Russen nun, ob sie wollten oder nicht, schon um ihr Gesicht zu wahren, ernst machen mußten?
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Januar 1950 - Es gab da eine Villa in der Podbielski-Allee 62

ES gab auch andere Beobachter und Sachverständige in Berlin, deren weiteres Schicksal direkt mit den Ereignissen in Korea zusammenhing und mit der amerikanischen Fern-Ost-Politik.

Da waren, um nur ein Beispiel zu nennen, die Bewohner jener geräumigen Villa in der Podbielski-Allee 62, unweit des Hauptquartiers des amerikanischen Hohen Kommissars, in der die Chinesische Militärmission ihren Sitz hatte. Dort ging es jetzt ziemlich aufgeregt zu.

Vor dem Hause standen viele große Autos, drinnen saßen gewichtig aussehende Chinesen und unterhielten sich mit gewichtig aussehenden Persönlichkeiten anderer Nationalitäten.
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Ja, ein Jahr vorher war die Welt noch in Ordnung

Freilich war das nichts verglichen mit dem Betrieb, den es hier noch ein Jahr zuvor gegeben hatte, damals, als es nur so von Sekretärinnen, Dienern, Chauffeuren und anderen Angestellten wimmelte. Damals, als die Autos die Straße vor der Militärmission geradezu verstopften.

Damals gab es Geld in Hülle und Fülle. Rund 70.000 Dollar kamen Monat für Monat aus Washington, und das waren, selbst zu den schlechtesten Schwarzmarktpreisen der damaligen Zeit, 350.000 D-Mark (West). Davon ließ sich leben.

Dann, nach dem 5. Januar 1950, wurde alles ganz anders. Das war der Tag, an dem Präsident Truman erklärte, Tschiang-kai-Shek würde keinerlei Unterstützung mehr erhalten. Seither war kein Geld mehr nach Berlin gekommen. Die Situation in der Militärmission wurde immer schwieriger, und schließlich saß man ganz auf dem Trockenen.

In der Villa verblieben zwei Sekretärinnen und ......

Von dem Heer von deutschen Angestellten blieben zwei Sekretärinnen, ein Chauffeur und ein Portier, der in Wirklichkeit Mädchen für alles war. Die großen Wagen verschwanden auch. Sie wurden verkauft, und die Herren von der Chinesischen Militärmission fuhren mit der Untergrundbahn.

Besucher kamen keine mehr. Manchmal fuhr den ganzen Tag kein einziger Wagen vor. Kein einziger Mensch interessierte sich mehr für die Berliner Mission von Tschiang-kai-Shek. Oder vielleicht war es übertrieben, das zu sagen. Denn einmal hielt ein Wagen vor der Mission, und einige Herren stiegen aus und begannen das Haus zu fotografieren.

Das war alarmierend, denn aus der Nummer des Wagens war zu ersehen, daß er aus Ostberlin kam. Der Portier erklärte den
Herren schließlich, sie dürften hier nicht fotografieren.

Sie stiegen also wieder ein, fuhren ab und kamen eine Stunde später mit einem anderen Wagen wieder, der ein Westberliner Nummernschild hatte. Nun konnten sie fotografieren soviel sie wollten.

Dergleichen Vorgänge trugen nicht dazu bei, die Nerven der Mitglieder der Militärmission zu beruhigen. Ach, sie versuchten auf jede Weise nicht aufzufallen! Längst hatten sie ihre hübschen glitzernden Uniformen abgelegt. Freilich, auch in Zivil sahen sie chinesisch aus. Chinesen haben nun einmal die Gewohnheit, das zu tun. Es ging ihnen schlecht.

In Berlin gab es zwar eine Menge Chinesen, aber die konnten auch nicht helfen, denn sie hatten selbst kein Geld. Sie waren Wäscher, Handwerker und Friseure, und sie lebten fast ausnahmslos in Ostberlin.
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Die wenigen Chinesen, die in Westberlin lebten ...

...... waren junge Leute, die auf der Freien Universität studierten. Sie konnten gerade von dem leben, was man ihnen von zu Hause schickte. So seltsam das klingen mag, noch bis Ende Dezember 1949 war Geld aus China in Westberlin eingetroffen.

Nun bekamen auch die jungen Studenten kein Geld mehr. Gelegentlich erhielten sie den Besuch einiger Landsleute an der Freien Universität, die ihnen versicherten, es sei Geld aus China eingetroffen, nur wolle es die Militärmission nicht herausrücken. Darauf marschierten die Studenten geschlossen zur Podbielski-Allee. Dort stellten sie zu ihrem Schmerz fest, daß kein Geld aus China eingetroffen war.

Plötzlich waren Aufwiegler verschwunden

Weiterhin stellten sie fest, daß die Aufwiegler plötzlich verschwunden waren. Zu spät merkten die Studenten, daß es sich um kommunistische Agenten mit chinesischen Wurzeln handelte, die aus dem Osten hergekommen waren.

Welcher Chinese war Kommunist und welcher nicht? Ganz genau wußte das niemand, vor allen Dingen wußten es die Chinesen selbst nicht, die in Berlin lebten. Vielen war es völlig gleichgültig, ob ihr Staatsoberhaupt Tschiang-kai-Shek oder Mao-tse-Tung hieß.

Für uns hatten die Chinesen schon immer zwei Gesichter

Viele, darunter einige Mitglieder der Chinesischen Militärmission, erklärten, Mao-tse-Tung sei gar nicht so kommunistisch, wie man allgemein glaube, er sei auch kein Freund Stalins und sei Tschiang-kai-Shek in mancher Beziehung vorzuziehen. Dergleichen sagten sie aber nur, wenn man mit ihnen allein war.

Wie immer sie zu Tschiang-kai-Shek oder Mao-tse-Tung standen, eines war sicher: sie hatten Todesangst davor, repatriiert zu werden. Das Gespenst der Repatriierung (Rückführung von Personen in ihr Heimatland) verließ sie nicht mehr.

Kein Mitglied der Chinesischen Militärmission in Berlin hatte den leisesten Wunsch, Soldat in China zu werden. Jeder erinnerte sich daran, wie das zwei Jahre vorher in Prag gewesen war, nachdem die Kommunisten die Macht übernommen hatten: von einem Tag zum andern wurden die Chinesen auf Lastwagen verladen, und man hatte seitdem nichts wieder von ihnen gehört.
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Die Chinesen in West-Berlin hatten Angst

Sie gedachten nicht, ein ähnliches Schicksal in Berlin zu erleiden. Aus diesem Grunde war Dr. Mi Au, der ehemalige Chef der Militärmisssion mit seiner Frau in die Schweiz gegangen. Und sein Nachfolger, Oberst Meou Hi-Sin, verhandelte mit den Franzosen wegen einer Stellung in Vietnam. So erzählte man wenigstens in der Militärmission.

Vielleicht war es auch nicht so, denn niemand sagte niemandem die ganze Wahrheit, niemand traute niemandem mehr. Das war nicht zuletzt das Verdienst von Lung Lian, einstmals Mitglied der Chinesischen Handelsdelegation in Prag, sodann Chef der rotchinesischen Handelsdelegation in Ostberlin.

Dieser Lung Lian spielte nach allen Seiten. Wenn er nach Berlin kam, wurde die Militärmission verständigt, und Oberst Meou Hi-Sin holte ihn vom Flugzeug ab. Nicht etwa vom amerikanisch kontrollierten Flughafen Tempelhof, nicht vom britisch kontrollierten Gatow oder vom französisch kontrollierten Tegel, sondern vom sowjetischen Flughafen Schönefeld. Dort hatte man durchaus nichts dagegen, daß der Vertreter Mao-tse-Tungs in Berlin vom Vertreter Tschiang-kai-Sheks in Berlin abgeholt wurde.
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Die Chinesen in West-Berlin wurden bewacht - von wem ?

Trotzdem stieg die Nervosität der Chinesen in Westberlin von Tag zu Tag. Die Wohnungen der Missionsmitglieder standen Tag und Nacht unter Bewachung. Es war fast unmöglich, einen von ihnen zu sprechen, und wenn man ihn sprach, bekam man auch keine Auskunft.

Die Herren wollten sich nicht festlegen, da sie ebensowenig wußten, wie die Zukunft von China sich gestalten würde, wie alle anderen Diplomaten, wenn möglich noch weniger. Als ich - es war Anfang Juni 1950 - das Bild Tschiang-kai-Sheks betrachtete, das noch immer auf seinem Ehrenplatz in der Vorhalle der Mission hing, folgte ein Offizier meinem Blick und erschrak heftig.

»Man wird es vielleicht doch besser herunternehmen«, murmelte er und putzte seine Brillengläser. »Man kann nie wissen!« Das Bild wurde heruntergenommen, aber fast unmittelbar darauf wieder aufgehängt. Die Villa in der Podbielski-Allee erlebte eine Renaissance, seitdem der Krieg in Korea begonnen hatte, seitdem es klar war, daß die Amerikaner Formosa verteidigen würden.

Als "die Amerikaner" ihre Meinung änderten

Die Chinesen in (West-)Berlin vermuteten, daß die Vereinigten Staaten doch etwas für Tschiang-kai-shek tun würden. Sie hatten recht. Es kam wieder etwas Geld, wenn auch keine 70.000 Dollar pro Monat. Draußen aber, vor dem Tor, stand jetzt ein West-Polizist. Er war erst vor kurzer Zeit aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt.

Er sah noch ganz elend aus, und nicht nur, weil er seit Jahren unterernährt war. Er war ein gehetzter und verwirrter Mann, er hatte seine Familie nicht mehr finden können, und das Haus, in dem sie gelebt hatte, war zerbombt. Wo sollte er sie suchen? Da stand er nun vor der Militärmission Tschiang-kai-Sheks, am Rande von Westberlin, wo ein paar ratlose Chinesen nicht recht wußten, wie es weitergehen würde.

Da stand dieser heimatlose Berliner, der von allem nichts verstand, und die Tatsache, daß nur zwei oder drei Kilometer weiter die Russen standen, machte ihm das Leben nicht verständlicher.

Wenn man nicht gerade Chinese war, dann .......

Was die Vorgänge in der Chinesischen Militärmission anging, so konnte man sie vielleicht amüsant finden, wenn man nicht gerade Chinese war. Aber es spielte sich ja nicht nur der Chinesische Krieg in Berlin ab, da war immer noch der jugoslawisch-sowjetische Krieg, der in Schwarzmarktkreisen seinen Fortgang nahm - nur, daß es sich jetzt nicht mehr um Zigaretten und Seidenstrümpfe, sondern um Stahl und andere für die Rüstung wichtige Materialien handelte.

Nicht nur der 38. Breitengrad ging quer durch Berlin, es ist keine Übertreibung zu sagen, daß sich um diese Zeit sämtliche Kriege und Bürgerkriege, die es irgendwo auf der Welt gab, auch in Berlin abspielten. Und daher gab es auch so viele Spione. Und die waren fast immer aus Berlin.

Manchmal enthielt Sie Akten, manchmal, besonders vor der Aufhebung der Tabakrationierung, Zigaretten, die gerade gekauft worden waren oder verkauft werden sollten, oder Kaffee, der jetzt noch rar war, Opium oder Stullen.

Einblicke in das West-Berliner Agentenleben

Dann gab es Berliner, die gewisse Cafe- und Bierrestaurants in der Nähe des Kurfürstendamms frequentierten, und, sobald sie das Lokal betraten, einen Aktendeckel vor sich auf den Tisch legten.

Diese Männer waren Spione oder Agenten, und sie kauften oder verkauften Nachrichten. Ein Witzbold schlug einmal vor, daß sie jeweils die Flagge des Landes, für das sie arbeiteten, in ihrem Knopfloch tragen sollten. Das würde, meinte er, der Konfusion ein wenig gegensteuern.

Der Mann hatte unrecht. Das hätte die Konfusion noch vergrößert, denn viele Agenten hätten verschiedene Flaggen in ihrem Knopfloch tragen müssen. Wenn man in eines dieser Lokale kam und Informationen zu verkaufen hatte, wandte man sich am besten an den ersten Mann mit so einem Aktendeckel und fragte:

»Entschuldigen Sie, mein Herr, arbeiten Sie für die Briten?« Es konnte dann vorkommen, daß der Angeredete ihm erklärte, er arbeite im Augenblick für die Franzosen, aber auf jeden Fall zeigte er einem, wo die britischen Kollegen zu finden waren.

Die chinesischen Spione trafen sich .........

Die chinesischen Spione trafen sich in einem besonderen Lokal, im "Cafe Canton", und zwar trafen sich dort sowohl die Spione Tschiang-kai-Sheks als auch die Mao-tse-Tungs.

Ja, sie saßen sogar an einem Tisch, tauschten ihre Informationen aus ... Warum auch nicht? Sie waren keine Chinesen, sie waren Berliner, denen es ziemlich gleichgültig war, was in China geschah, solange sie für ihre Informationen bezahlt wurden.
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