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Teil einer Lebens-Biografie von Curt Riess

Der Journalist, Reporter, Auslandskorrespondent und Schriftsteller Curt Riess (1902-1993) hat in dieser in 1956/57 verfassten biografischen Zusammenstellung der Ereignisse in Berlin von 1945 bis 1953 eine Art von Roman-Form gewählt und sehr viele Daten, Personen und Einzelheiten aus der Film- und Kino-Welt untergebracht. Eigentlich ist es eine erweiterte Biografie aus seinem Leben. Sonst ist es ist es leider (im gedruckten Original) eine reine - nicht besonders lesefreundliche - Buchstabenwüste.

Zur Geschichte der Berliner Kinos gehört natürlich auch das Ende des 2. Weltkrieges in Berlin und die politische Entwicklung danach. Die einführende Seite beginnt hier.

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Ein letztes Gebäude, das sich die vier Mächte friedlich teilten

IN diesem Berlin, das durch Grenzen zerrissen war, in dem es zwei verschiedene Magistrate, zweierlei Presse und Geld gab, in dem die Russen und die westlichen Alliierten einander nicht einmal mehr grüßten, wo der Viermächte-Kontrollrat längst zu existieren aufgehört hatte, gab es nur noch ein Gebäude, in dessen Bewachung und Leitung sich die vier Mächte friedlich teilten, und dies war das Gefängnis, in dem die sieben Kriegsverbrecher untergebracht waren, die beim ersten Nürnberger Prozeß mit dem Leben davongekommen waren.

Jede der vier in Berlin amtierenden Militärregierungen hatte einen Gefängnisdirektor, einen Arzt, einen Gefängniswärter, fünfzehn Arbeiter und ebensoviele Angestellte zu stellen, sowie drei Monate pro Jahr je siebzig Soldaten.

Jeden Monat bewachte eine andere Nation das Gefängnis, das auch jedesmal einen anderen Direktor, Arzt usw. bekam. Daraus ergab sich für die Gefangenen, daß sie weder Zeitungen lesen, noch Radio hören durften, was sie theoretisch gedurft hätten, wenn sich ihre Wächter auf eine bestimmte Zeitung oder Radiostation hätten einigen können. Das war natürlich undenkbar.

Die sieben Gefangenen

Die sieben Gefangenen: Rudof Heß, Walter Funk, Erich Raeder, Baldur von Schirach, Alfred Speer, Konstantin von Neurath und Karl Dönitz waren seit dem Juli 1947 hier.

Wenige Wochen vorher hatte das Gefängnis noch sechshundert Insassen beherbergt. Die waren in Eile weggeschafft worden, obwohl die sieben prominenten Gefangenen auf einem Stockwerk eines Flügels leicht hätten untergebracht werden können.

Das geschah übrigens auch, schon damit Kohle gespart wurde. Die vorhandenen Zellen mußten verkleinert werden, da die Urteile Einzelhaft vorsahen. Die Alliierten ließen für die Wachmannschaften neue Räume einrichten, das alles war recht kostspielig für die Stadt Berlin, die es bezahlen mußte.

Die städtischen Beamten waren auch verärgert, weil es schwer fiel, für die sechshundert ausquartierten Gefangenen neue Unterkünfte zu beschaffen. Es stellte sich bald heraus, daß die Gefangenen die sieben teuersten Gefangenen der Welt waren.

Sie verfügten über ein Personal von rund zweihunderfünfzig Mann, von denen nie weniger als hundert gleichzeitig Dienst hatten. Soviel Bedienung hatten sie nicht einmal gehabt, als sie noch an der Macht waren.

1948 hatten die meisten Berliner diese 7 längst vergessen

Übrigens hatten die meisten Berliner längst vergessen, daß diese Gefangenen in Berlin weilten. Die Passanten, deren Weg am Gefängnis entlang führte, schienen nicht zu wissen, welch prominente Leute sich hinter den Mauern befanden.

Nur selten kamen Briefe an die Gefängnisdirektoren, die sich mit den Gefangenen befaßten; die meisten dieser Briefe enthielten die unmißverständliche Aufforderung, sie möglichst schnell aufzuhängen.

Das Gerücht, einige ältere Engländerinnen der besten Gesellschaft hätten ein Komitee gegründet, dessen Ziel es sei, die Gefangenen zu befreien, konnte niemals bestätigt werden.

Wenn die Gefangenen auch sehr viel Geld kosteten, so war doch die Behauptung der »Prawda« übertrieben, daß sie wie auf einem Erholungsurlaub lebten. Sie bekamen die Lebensmittelkarte II, technisch zählten sie als »Arbeiter«, weil sie neun Stunden lang beschäftigt waren.

Alle zehn Tage erhielten sie weiterhin fünfzig Gramm Tabak, und mehr als die Hälfte der Berliner lebte schlechter. Aber ...

Selbstveständlich waren die eingesperrten Nazis unschuldig

Wenn auch die Berliner nichts von ihren berühmten Gefangenen wußten, diese wußten über alles Bescheid, was in Berlin vorging, über die Streitigkeiten der Sieger, über die Blockade, obwohl sie keine Zeitungen bekamen und kaum Besuche.

Trotzdem oder gerade deshalb waren die meisten recht niedergeschlagen. Anfangs befürchtete man, sie würden Selbstmord begehen, aber nicht einer versuchte es.

Vielleicht hing ihre Niedergeschlagenheit auch damit zusammen, daß sie sich mit Ausnahme von Speer und Schirach völlig zu Unrecht verurteilt fühlten.
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Das »Haus der Kultur der Sowjetunion«

Neben dem düsteren Spandauer Gefängnis mit seinen sieben teueren Gefangenen war eines der mysteriösesten Gebäude in Berlin das sogenannte »Haus der Kultur der Sowjetunion«.

Es handelte sich dabei um die zerbombte und wieder aufgebaute Singakademie, ein altes Konzerthaus, in dem noch Clara Schumann und Josef Joachim musiziert hatten. Die Berliner Bevölkerung und darüber hinaus die Bevölkerung der Ostzone sollte hier mit den kulturellen Grundlagen der Sowjetunion vertraut gemacht werden.

Und dort gab es sogar einen Kino-Saal für 400 Besucher

Es gab in dem Haus eine Bildergalerie, eine Ausstellung sowjetischer Plastiken, eine Bibliothek, einen Lesesaal mit russischen Zeitungen und Zeitschriften, einen Saal, der nur mit Bildern und Plastiken von Stalin gefüllt war, einen Kinosaal, in dem russische Filme, im Original und synchronisiert, vorgeführt wurden, einen Theatersaal mit vierhundert Plätzen und den Marmorsaal, in dem Gelehrte und Künstler aus der Sowjetunion Vorträge hielten, oder wo große Bankette stattfanden.

Das alles kostete die sowjetische Militärregierung rund hunderttausend Ostmark pro Monat. Denn zweihundertfünfzig Angestellte waren nötig, um den Betrieb aufrechtzuerhalten, davon allein hundertfünfzig Reinemachefrauen.
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Und es gab einen Friseursalon und ein Badezimmer

Der sowjetische Oberst, der zusammen mit einem Hauptmann und zwei Leutnants an der Spitze des Unternehmens stand, hatte sich sogar einen Friseursalon einrichten lassen, der auch des Nachts geöffnet blieb. Die ganze Nacht über kamen sowjetische Offiziere und ließen sich ihre Haare brennen, pomadisieren und parfümieren. Sie spendierten ihr letztes Geld für solche Zwecke.

Es gab im »Haus der Kultur der UdSSR« auch ein Badezimmer. Aber zum Unterschied zum Friseursalon wurde es nie benutzt.

Das geheimnisvolle Zimmer Numer 108

Übrigens merkte das deutsche Personal bald an der Geheimnistuerei der sowjetischen Offiziere, daß das Haus noch andere Zwecke haben mußte, als den Deutschen sowjetische Kultur nahezubringen.

Wie anders wäre es sonst zu erklären gewesen, daß die Deutschen stets aufs schärfste kontrolliert wurden, wenn sie kamen oder gingen. Und gewisse Räume durften sie überhaupt nicht betreten. So zum Beispiel das Zimmer 108.

Das war für kleinere Empfänge gedacht. Die Russen nannten alle Zusammenkünfte, die sich im Hause abspielten, Empfänge. Es gab dafür den Roten Salon, den Gelben Salon, der im Rokokostil gehalten war, den Eichensaal und den bereits erwähnten Marmorsaal.

Die Empfänge in diesen Räumen waren meist offizieller Natur, sie wurden von Marschall Sokolowsky, General Dratwin oder Oberst Tulpanow für sowjetische Offiziere veranstaltet, es gab nicht besonders gut zu essen, keineswegs so, wie bei jenen Festlichkeiten, die sie bei sich zu Hause für ihre politischen Freunde veranstalteten, und es kam immer wieder vor, daß nach dem Essen silberne Bestecke fehlten.

Es kam auch vor, daß sowjetische Offiziere tage- oder wochenlang aßen und tranken und alles anschreiben ließen, und dann nicht zur Bezahlung erschienen, weil sie nach Moskau versetzt worden waren. Und wenn die betroffenen Kellner dann reklamierten, konnte es vorkommen, daß sie vom sowjetischen Wirtschaftsoffizier angeschrien und hinausgeworfen, .....

..... oder auch, zumindest in einem Fall, reich beschenkt wurden. In diesem einen Fall bekam der Kellner einen Radioapparat geschenkt, der das vielfache von dem gekostet hatte, was man ihm schuldete. Allerdings war er kaputt.
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Und da gab es einem gutaussehenden Russen - Major Moullin

In den ersten sechs Monaten der Blockade waren elf Kellner verhaftet worden, denen man Spionage für die Amerikaner vorwarf. Aber was gab es zu spionieren?

Was immer es war, es hatte mit Major Moullin zu tun, einem gutaussehenden Russen mit dunklen seelenvollen Augen, der ein akzentloses, wenn auch langsames Deutsch sprach und stets in Zivil war.

Er war Radiooffizier der Informationsabteilung gewesen und nach der Sprengung der Radiotürme von Oberst Tulpanow hinausgeworfen worden, obwohl er mit der Angelegenheit nichts zu tun gehabt hatte.

Er war nach Moskau zurückgeflogen, kam aber bald darauf wieder nach Berlin zurück, um nunmehr sein eigenes Informationsbüro zu eröffnen. Wer immer seine vorgesetzte Behörde war, sie hatte ihm weitgehende Machtvollkommenheiten eingeräumt.
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Moullins misteriöse Empfänge im Zimmer 108

Er begann im »Haus der Sowjetkultur« mit lauter Stimme zu erzählen, er halte die Politik Tulpanows für falsch, man dürfe die Deutschen nicht verärgern. Im Gegenteil, Deutschland und die Sowjetunion müssen zusammenarbeiten, denn beide Länder seien »unglücklich«.

Jedenfalls gab er nun allabendlich Empfänge und sorgte dafür, daß die Küche den höchsten Anforderungen entsprach. »Bei mir ißt man besser, als bei den Amerikanern«, erklärte er unaufhörlich.

Moullins Empfänge, die recht intim waren, fanden meist im Zimmer 108 statt, das die deutschen Kellner nie betreten durften. Die Geheimnistuerei hatte einen guten Grund, denn die Gäste kamen durchweg aus dem Westen.

Es waren westlich eingestellte Intellektuelle, es waren auch »Kapitalisten«, es waren sogar gelegentlich Politiker, mit denen man sich offiziell aufs schärfste bekämpfte.

Viele dieser Gäste kamen nur ungern. Aber Moullin beruhigte sie. Er hatte strengste Anweisung an die Ostpolizei gegeben, seine Gäste nicht nach Ausweisen zu fragen. Nicht einmal die MVD durfte das Haus betreten, um Kontrollen durchzuführen. Man war ungestört im Zimmer 108.
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Ein geheimnisvoller Eingang durch die Seitentür

Man gelangte in dieses geheimnisvolle Zimmer, indem man mit dem Auto in den Hof fuhr und dann durch eine Seitentür ins Haus kam und zwei Stockwerke auf einer Wendeltreppe emporstieg.

Der Teil des Korridors, in dem sich das Zimmer befand, war von sowjetischen Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett bewacht. Die beiden vertrauenswürdigsten Kellner brachten die Speisen, aber auch sie durften nicht ins Zimmer, sie mußten ihre Tabletts vor der Tür abstellen, und erst wenn sie gegangen waren, öffnete sich das Schiebefenster und Major Moullin holte die Speisen ins Zimmer herein.

Die meisten Gäste verließen das Haus erst zu früher Morgenstunde. Es war durchaus nicht selten, daß sie im Zimmer 108 von vier oder fünf Uhr nachmittags bis zur gleichen Stunde am nächsten Morgen weilten.

Es wurde für den westlichen Nachrichtendienst nicht schwer, festzustellen, wer im »Haus der Sowjetkultur«, im Zimmer 108, verkehrte. Was allerdings in diesem Zimmer gesagt wurde, kam nur in einigen Fällen heraus.
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Das Sowjet Regime hatte für "einige" auch einige Freihheiten

Es ging damals seltsam unheimlich und manchmal paradox in der belagerten Stadt zu. Während die Russen alles taten, um die Berliner auszuhungern, bauten sie den Schwarzhandel auf, um ihnen oder wenigstens den Wohlhabenden unter ihnen Lebensmittel, Zigaretten und Textilien zugänglich zu machen.

Sie traten selbst dabei nicht in Erscheinung, sie schoben ihre Satelliten vor, vor allem Bulgaren, Polen und, noch lange nach dem Tito-Stalin-Zerwürfnis, Jugoslawen.

Im Osten der Stadt entstanden seltsame Unternehmungen, die klangvolle Namen trugen wie »Ballotrex« oder »Texta«. Es handelte sich dabei keineswegs um getarnte Textil-, Zigaretten- und Lebensmittelgeschäfte, wo man fast alles haben konnte, allerdings gegen Wucherpreise.
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Die zwei Gesichter der Ostzonen-Polizei

Und während die sowjetische Militärregierung ihren linienteuen Polizeipräsidenten Markgraf ständig anwies, gegen den Schwarzhandel mit allen Mitteln vorzugehen, verboten sie ihm auf das entschiedenste, etwas gegen jene Firmen zu unternehmen.

Mit gutem Grund: denn die stillen Teilhaber dieser Firmen, die den Hauptgewinn einsteckten, waren hohe und höchste sowjetische Offiziere.

Texta spezialisierte sich, wie schon der Name sagt, in Textilien. Während die Bevölkerung des Ostens seit Kriegsende keine Hemden, geschweige denn Anzüge oder Mäntel kaufen konnte, bekam diese Firma die Produktion ganzer Fabriken ausgeliefert.

Die oberen Russen wußten damlas schon, wie es geht

Sie konnte bar bezahlen, denn einer der sowjetischen Offiziere hatte einen Kredit von fünfzehn Millionen Mark bei der Landeszentralbank in Potsdam, der einzigen großen Bank des Ostens, arrangiert.

Die Einkaufspreise waren überdies geringfügig, und es war durchaus üblich, die Strümpfe und Stoffe mit fünfhundert bis tausend Prozent Gewinn weiterzuverkaufen. Davon sollten die Russen siebzig bis achtzig Prozent bekommen.

Sie bekamen sie freilich nur in den seltensten Fällen, denn die Bulgaren, die den Texta-Betrieb leiteten, waren viel zu gerissen, um sich in die Karten sehen zu lassen.

Die Jugoslawen spezialisierten sich mehr auf Zigaretten. Sie ließen Millionen von Zigaretten herstellen, die genau so verpackt waren wie die so populären »Camel«, »Lucky Strike« und »Chesterfield« und die für zwei Ostmark auf den Markt geworfen wurden; das war ein Bruchteil dessen, was echte amerikanische Zigaretten damals kosteten.
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Für die Jugoslawen war von einem Tag zum Anderen Schluß

Eines Tages beschlossen dann die Russen ziemlich plötzlich, mit den Jugoslawen, mit denen sie ja politisch verfeindet waren, auch keine Schwarzmarktgeschäfte mehr zu machen.

Das ging so vor sich, daß sie ihre sämtlichen Zigarettenlager beschlagnahmten. Sie beschlagnahmten auch mehr als 100.000 echte amerikanische Zigaretten, die auf dem Wege über die UNRRA aus Jugoslawien gekommen waren. Von einem zum andern Tag waren die Jugoslawen in Berlin bettelarm.

Aber das war nicht die einzige Folge des großen Coups. Da die Russen Millionen Zigaretten auf den Markt warfen und sie um jeden Preis verkauften, stürzten die Zigarettenpreise in ganz Berlin. Ein Paket echte »Chesterfield« stürzte von acht auf fünf Mark.
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Der "Gesamtberliner Schwarzmarkt" war aufgemischt

Ein paar Tage lang waren alle Schwarzhändler in der Stadt in begreiflicher Erregung. Und nicht nur sie - denn in Berlin dominierte zwar seit der Währungsreform nicht mehr die Zigarettenwährung, aber sie war immer noch wichtig.

Es sah danach aus, als würde ein allgemeiner Preissturz die Folge des großen Zigarettendumpings sein. Der Schwarze Markt in Berlin brach zusammen. Die Preise stürzten ins Bodenlose.

Der Dollar, eben noch mit fünfundzwanzig Westmark gehandelt, sank bis auf vierzehn Mark. Jetzt rauften die Schwarzhändler sich die Haare. Sie verstanden die Welt nicht mehr. Aber schon nach ein paar Tagen begannen die Zigaretten sich wieder zu erholen.
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Der Salon »Daisy« am Kurfürstendamm

Der Salon »Daisy« befand sich in einer Seitenstraße des Kurfürstendamms, dort, wo Berlin am elegantesten war. Der Salon, nach außen hin eine Pension, besaß immer noch eine gewisse Eleganz. Frau Daisy, eine Fünfzigerin, die gut und gern ihre zweihundert Pfund wog, hatte Erfahrung in ihrem Fach.

Freunde des Hauses konnten eine Etage höher gehen. Dort hatte sich ein Spielklub etabliert. Es gab alles - Roulette, Bakkarattische -, nur Spieler gab es wenig.

Der Croupier stöhnte: »Früher haben wir ein bis anderthalb Millionen pro Nacht umgesetzt. Das war jedenfalls keine Seltenheit. Früher - ich meine vom Herbst 1945 bis zum Frühjahr 1948. Jetzt können wir froh sein, wenn ein Gast gelegentlich sein Geld verliert.«

Die Gäste waren damals im wesentlichen Ausländer gewesen, Mitglieder irgendeiner der zahllosen Handelsorganisationen, die sich in West-Berlin niedergelassen hatten, hauptsächlich Vertreter von Balkanmächten, die auf irgendeine nicht immer durchsichtige Weise mit den Russen zusammenarbeiteten.

Das Geschäft vor der Währungsreform

Das Geschäft war damals vor der Währungsreform enorm. Ein Liter Slivowicz, der in Jugoslawien mit dreißig Dinar verkauft wurde und also in Berlin zehn Mark hätte kosten dürfen, wurde mit zweihundertachtzig Mark berechnet. Mit den so entstandenen Millionengewinnen wurde alles aufgekauft, was zu haben war.

Nähnadeln, Kochsalz, Federhalter oder Buchungsmaschinen, chemische Produkte. Und dann kam die Währungsreform und die Blockade, und das große Geschäft war abgeschnitten. Auf den ersten Blick sah es aus, als würde diese Blockade auch das letzte, was es in der Trümmerstadt an geschäftlichen Möglichkeiten noch gab, ersticken.

Aber es kam anders.
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Es gab wieder alles - allerdings auf dem Schwarzen Markt

Anstatt daß die Waren sich verknappten, gab es wieder alles - allerdings auf dem Schwarzen Markt. In der Tat, während der Monate Juli, August, September und Oktober konnte man in Berlin kaufen: Kaviar und Eier, Aale und Kleidungsstoffe, Grammophone und Autoreifen, Benzin und Dollars.

Dies bewies, daß eine so große, so komplizierte Stadt wie Berlin gar nicht zu blockieren war. Da war vor allen Dingen einmal der alte, gute, »kleine« Grenzschmuggel, der gelegentlich ein bißchen gefährlich und mit Schießereien verbunden war.
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Waren aus der Westzone in die Ostzone schmuggeln

Die Schmuggler konzentrierten sich jetzt darauf, für ein paar hundert Mark Gewinn pro Nacht Waren aus der Westzone in die Ostzone zu schmuggeln. Nach, Überschreiten der Grenze wurden die Waren sofort nach Berlin verschickt - wegen der besseren Preise, die man dort erzielte.

Auch direkt aus der Ostzone kamen Waren nach Berlin, oder besser gesagt, ins blockierte westliche Berlin. Während des ganzen Sommers, ja, bis in den Winter hinein, konnte man täglich Hunderte von Bauern, mit schweren Rucksäcken beladen, in den Vorortzügen auf dem Wege nach Berlin antreffen. Diese im Osten ansässigen Bauern hatten es auf die Westmark abgesehen. Und die Berliner fuhren nach Potsdam, um Kohlen hereinzuschmuggeln.

Schon relativ früh begannen gewisse gewiegte Geschäftemacher, die Preisdifferenz zwischen den westlichen Zonen und Berlin auszunutzen. Es gab ja die Luftbrücke. Man konnte für relativ wenig Geld bis zu hundert Kilo von und nach Berlin befördern.

So kamen also auf dem Luftwege Millionen von Zigaretten nach Berlin, ganze Tonnen Schmalz, Butter, Schokolade. In Berlin wurden sie für das Doppelte, das Dreifache des Einkaufspreises verkauft.

Ganze Lastwagen voller Fischkonserven, Aalen und Krabben

Während der ersten Monate der Blockade kamen auch noch Lastwagen nach Berlin durch. Sie kamen meistenteils aus Bremen oder Hamburg und waren voll von Fischkonserven, Aalen und Krabben.

Kaum waren sie in den westlichen Sektoren Berlins gelandet - und dies geschah zwei-, dreimal die Woche -, da ging die Nachricht wie ein Lauffeuer durch die Stadt, und die blockierten Berliner eilten in ihre Läden und kauften und aßen.

Das Ganze beruhte natürlich auf einem Trick. Manche führten offiziell irgendwelche Güter für die Russen mit, etwas Schlemmkreide, unter der dann die Heringstonnen, Zucker und Mehl verborgen waren.

Ganz schlaue Fahrer rüsteten die Autos mit zwei kompletten Garnituren von Begleitpapieren aus. Den britischen Beamten an der Zonengrenze in Helmstedt wurden die Papiere gezeigt, nach denen die Ladung für den englischen Sektor Berlins bestimmt war. Hundert Meter weiter, vor dem russischen Schlagbaum, bekamen die Russen Papiere zu sehen, aus denen hervorging, daß die Ware für den östlichen Sektor bestimmt war.

Das Blockadebrechen war durchaus kein Monopol der Deutschen. Es gab gewisse sowjetische Offiziere, die irgendeinen Kommandanten an einer Zonengrenze gut kannten, gut genug jedenfalls, um ein Personenauto aus Berlin »herauszuschleusen«. Das kostete pro Person zweihundertfünfzig Westmark. Papiere wurden nicht benötigt, Fragen wurden nicht gestellt.

Mitglieder der Militärmissionen waren kräftig mit dabei

Mitglieder von tschechischen, polnischen und bis vor kurzem auch jugoslawischen Militärmissionen brachten große Quantitäten amerikanischer Ware als sogenannte Transitware nach Berlin, verkauften sie gegen Dollars, tauschten Dollars in Westmark, und dies alles unter dem Schutz der diplomatischen Immunität.

Dann gab es schließlich noch die amerikanische Variante des Luftbrückenschmuggels. Die Piloten, die Tag für Tag und Nacht für Nacht hin und her flogen - auch von ihnen waren nicht alle abgeneigt, ein kleines Geschäft zu machen, ein bißchen Kaffee, ein paar Zigaretten, oder was sie sonst gerade an der Hand hatten, nach Berlin zu bringen.

und die Geheimdienste wußten das alles

Je schwieriger der Schmuggel, desto mehr neue Tricks wurden erfunden.

Die Nachrichtenabteilungen der Westmächte in Berlin wußten sehr wohl, daß viele Autos in Berlin herumfuhren, deren Nummernschilder, gelinde gesagt, Gebilde der Phantasie waren. Sie gehörten angeblich Bulgaren, Chinesen oder Südafrikanern. Ein paar dieser Wagen wurden angehalten und ein wenig untersucht und siehe da, es stellte sich heraus, daß sie doppelte Böden und doppelte Decken besaßen, und daß in den Hohlräumen hohe Geldsummen in Dollar und Westmark verborgen waren.

Wichtig war ein Interzonenpaß

Da die absolut notwendige Voraussetzung jeder größeren Schmuggelaktion ist, daß der Mann, der sie tätigt, sich frei bewegen kann, wurde der Interzonenpaß und die Flugkarte nach dem Westen und vom Westen nach Berlin zurück eines der größten Schmuggelobjekte.

Offiziell kostete eine solche Flugkarte hin und zurück rund hundertfünfzig Westmark, der Interzonenpaß kostete natürlich gar nichts, nur daß man ihn als gewöhnlicher Sterblicher nicht erhielt.

Im Sommer und Herbst 1948 war der Schwarzmarktpreis für Interzonenpaß und Retourbillett bereits vierhundert Mark. Und er stieg beständig.

Als niemand mehr Geld hatte

Die Rechnung hatte nur ein Loch: es gab schließlich keine Kunden mehr für Schmuggelware. Denn ein Resultat der Blockade war, daß es den Berlinern immer schlechter ging, daß niemand mehr Geld hatte. Und so entstand eine neue Art von Schmuggel.

Das namenlose Heer der Armen übte sie aus. Sie schmuggelten nur für sich selbst. Niemand ahnte, wieviel Energie damals in Berlin verbraucht wurde, wieviel Erfindungsgabe und Mut notwendig waren, den Küchenofen während des Winters in Gang zu halten. Jeder kleine Vorortzug war voll von diesen Menschen, die nur deshalb nicht verhungerten und erfroren, weil sie schmuggelten.

Mein Kollege aus Paris und ich auf dem Kurfürstendamm

IN einer dieser Nächte stand ich mit einem bekannten französischen Schriftsteller auf dem Kurfürstendamm. Eine Pariser Zeitung hatte ihn nach Berlin geschickt, um darüber zu schreiben, wie die Berliner verhungerten.

Auf dem nächtlichen Kurfürstendamm war weit und breit kein Licht zu sehen. Der Franzose war von der ihn umgebenden Dunkelheit ungemein beeindruckt. »Berlin«, sagte er, »das ist gelebter Surrealismus.«

Vielleicht dachte er an den alten Kurfürstendamm, der auch des Nachts taghell erleuchtet gewesen war.

Vielleicht dachte er an das, was er in den letzten Tagen beobachtet hatte, an die Stadt mit den zwei Regierungen, den zwei Sorten Geld, den zwei Sorten Zeitungen, an die Wohnungen ohne elektrischen Strom, an die Familien, die um drei Uhr morgens zu Mittag aßen, an die Frisiersalons, die ihren Kundinnen um fünf Uhr früh Dauerwellen machten, an die Drogerien, in denen man hintenherum Kohle bekam und die Kohlenhandlungen, in denen man hintenherum Hasenbraten kaufen konnte.

Unwahrscheinlich, gespenstisch, gelebter Surrealismus.
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Die Wahrsager, Hellseher und Astrologen

Berlin war damals voll von Wahrsagern, Hellsehern Kartenlegerinnen, weisen Frauen, die die Zukunft aus Kaffeesatz und Teeblättern zu erkennen vermochten, Handleserinnen, Astrologen zweifelhaften Charakters und Wunderdoktoren, deren Wirken mehr oder weniger gesundheitsschädlich war.

Niemand vermochte genau zu sagen, wie viele es gab - die übergroße Majorität zog es vor, ihren Beruf im geheimen auszuüben, wenn nicht wegen der Polizei, so doch wegen der Steuern.

Es war kein Wunder, daß es in dieser viergeteilten Stadt der Ruinen so viele gab, die vorgaben, in die Zukunft schauen und Schmerzen heilen zu können; denn diejenigen, die ihrer bedurften, waren Legion.

Es ist nicht übertrieben zu behaupten, daß mehr als fünfzehn Prozent aller Berliner zu Wahrsagern, Hellsehern und Wunderdoktoren liefen, und daß jeder dritte Berliner in Zeitschriften blätterte, um festzustellen, was ihm in der nächsten Woche blühte.

Es gab damals allein drei große Wochenzeitungen, die sich der Astrologie gewidmet hatten und ein Dutzend kleinerer astrologischer Blätter, von denen man allerdings nie wußte, ob die nächste Nummer erscheinen werde. Außerdem gab es in fast allen illustrierten Wochenzeitungen eine »Astrologische Ecke«.
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