Sie sind hier : Startseite →  Kino-Historie→  Über die Kinos (Berlin 1945)→  BERLIN BERLIN 1945-53 - 14

Teil einer Lebens-Biografie von Curt Riess

Der Journalist, Reporter, Auslandskorrespondent und Schriftsteller Curt Riess (1902-1993) hat in dieser in 1956/57 verfassten biografischen Zusammenstellung der Ereignisse in Berlin von 1945 bis 1953 eine Art von Roman-Form gewählt und sehr viele Daten, Personen und Einzelheiten aus der Film- und Kino-Welt untergebracht. Eigentlich ist es eine erweiterte Biografie aus seinem Leben. Sonst ist es ist es leider (im gedruckten Original) eine reine - nicht besonders lesefreundliche - Buchstabenwüste.

Zur Geschichte der Berliner Kinos gehört natürlich auch das Ende des 2. Weltkrieges in Berlin und die politische Entwicklung danach. Die einführende Seite beginnt hier.

.

1. Oktober 1948 - der hundertste Tag der Luftbrücke

Bis zum 1. Oktober, dem hundertsten Tag der Luftbrücke, waren 260.000 Tonnen Versorgungsgüter nach Berlin gebracht worden.

Nun spitzte sich die Lage immer mehr zu. Zeitungskioske auf den Untergrundbahnhöfen und Stadtbahnhöfen im Westsektor sowie solche in der Nähe der Sektorengrenzen wurden polizeilich bewacht, da man damit rechnete, daß die Ostpolizisten einen Überfall auf solche Kioske machen, und die ihnen nicht genehmen Zeitungen beschlagnahmen würden.

Viele Berliner hofften, die Westmächte würden die Russen doch noch zu einer Aufhebung der Blockade zwingen; aber am 4. Oktober erklärten die drei westlichen Außenminister, sie würden mit der Sowjetunion überhaupt erst nach einer Aufhebung der Blockade verhandeln.

Vier Tage später beschlossen die Stadtverordneten, die in Westberlin tagten, daß eine Neuwahl des Stadtparlaments am 5. Dezember 1948 stattfinden solle. Dabei war der Magistrat in der gespaltenen Stadt Berlin immer noch nicht gespalten.

Frau Louise Schroeder und Dr. Friedensburg hatte Mut

Louise Schroeder, Dr. Friedensburg und andere fuhren auch nach den Ausschreitungen vom 26. August und 6. September jeden Morgen in das Stadthaus in den Ostsektor. Sie stellten sich auf den Standpunkt, daß, solange sie dort amtierten, zumindest de jure ihre Beschlüsse für ganz Berlin Gültigkeit besaßen.

Dies war außerordentlich mutig, wenn man bedenkt, daß sie jeden Tag von einer durch die Russen bestellten empörten Volksmenge gelyncht werden konnten. Aber die Russen wollten um jene Zeit keine brutale Gewalt anwenden, vielleicht aus Rücksicht auf die Stimmung der (eigenen ?) Berliner Bevölkerung.

Sie suchten nach einem Ausweg, einem Vorwand, um auch den gewählten Magistrat, die Regierung der Stadt Berlin, aus dem Osten zu vertreiben. Sie fanden diesen Vorwand am 13. Oktober.

Wieder ein Trick der Russen - der SED Mann Waldemar Schmidt

Der Held des Tages war ein gewisser Waldemar Schmidt, der unter den Nazis zehn Jahre lang im Zuchthaus gesessen hatte, ein harter Junge, den auch diese Jahre nicht gebrochen hatten. Nach Kriegsende spielte er eine große Rolle in der SED.

Er war einer der drei Stadträte, die die Kommunisten auch nach ihrer Niederlage von 1946 im Magistrat halten konnten. Schmidt leitete das Dezernat Arbeitsverwaltung, ein relativ unpolitisches Dezernat. Nun bestimmten die Russen, daß es dem Magistrat den Todesstoß versetzen sollte.

Ein Zufall kam den Russen zu Hilfe.

Am 5. Oktober wurde Schmidt von der Stadtverordnetenversammlung abgesetzt, weil er ihren Anweisungen zuwider gehandelt hatte. Damit war er automatisch von den künftigen Sitzungen des Magistrats ausgeschlossen. Am 13. Oktober war eine solche Sitzung. Dr. Friedensburg leitete sie. Er fragte sich, ob Schmidt erscheinen werde. Er, der amtierende Bürgermeister, durfte ihn jedenfalls nicht an der Sitzung teilnehmen lassen, es wäre die Bestätigung eines Rechtsbruchs gewesen.

Warf er aber Schmidt heraus, so drohte ihm Verhaftung wegen »Sabotage« der Befehle der sowjetischen Militärregierung. Denn die Ostpresse hatte keine Zweifel daran gelassen, daß die Russen hinter Schmidt standen.

Wenn aber Dr. Friedensburg sich verhaften ließ, dann war Berlin seiner gewählten Regierung beraubt, dann war der Willkür der Russen Tür und Tor geöffnet.

Ich erinnere mich noch gut jenes 13. Oktober. Um zwei Uhr nachmittags begann die Sitzung. Es war ganz still im Stadthaus. Nur ein paar von uns wußten, daß heute Geschichte gemacht werden würde. Im Korridor standen einige Stadträte, Schmidt war nicht unter ihnen.

Dr. Friedensburg erschien, man trat in das Sitzungszimmer, die Sitzung wurde eröffnet. Genau in diesem Augenblick erschien Waldemar Schmidt. Er lächelte freundlich. Er setzte sich auf einen Stuhl. Es war ganz klar, daß er nichts weiter tun wollte, als sich hinsetzen und zuhören.

Aber Dr. Friedensburg wußte, um was es ging. »Herr Schmidt«, erklärte er, »ich fordere Sie im Hinblick auf den Beschluß der Stadtverordnetenversammlung auf, die Sitzung zu verlassen. Sie sind nicht mehr Mitglied des Magistrats. Sie haben kein Recht, hier zu sein.«

Auf diesen Augenblick hatte Schmidt gewartet. Er hielt eine kurze Rede, der man deutlich anmerkte, daß sie auswendig gelernt war. »Ich bin der gewählte und von der alliierten Kommandantur bestätigte Stadtrat für Arbeitsverwaltung und kann meinen ungesetzlichen Ausschluß nicht anerkennen.« Darauf setzte er sich wieder.

Hierauf schloß Dr. Friedensburg die Sitzung, »da Herr Schmidt, der offenbar einer bestimmten Rückendeckung sicher ist, meinem Ersuchen nicht Folge leistet«.

Eine Stunde später traten die Magistratsmitglieder ohne Schmidt im britischen Sektor zusammen. Von nun an kamen sie nie mehr in den Osten Berlins.

Die inzwischen ostzonale Volkspolizei

Da ihnen immer klarer wurde, daß die Westmächte durch die Blockade nicht aus Berlin zu verdrängen waren, versuchten die Russen um diese Zeit, sie auf eine andere Weise zu schrecken. Sie hatten noch einen Trumpf in der Hand.

Dieser Trumpf war die sogenannte Volkspolizei, die in immer stärkeren Formationen in der Sowjetzone in Erscheinung trat. Die ersten Kader der Volkspolizei bestanden fast durchweg aus ehemaligen Soldaten und Unteroffizieren, die in russische Kriegsgefangenschaft geraten und in der Sowjetunion im kommunistischen Sinne umgeschult worden waren.

Nun brachte man starke Volkspolizisten-Einheiten nach Berlin. Den Westmächten sollte damit angedeutet werden, daß mit einem Einmarsch nach Westberlin zu rechnen sei. Blutige Kämpfe seien mit Sicherheit als Folge dieses Einmarsches zu erwarten; und als Folge davon wiederum sei unter Umständen mit einem Krieg zu rechnen.

Die Russen zielten auf Washington, London und Paris

Solche Andeutungen waren nicht so sehr für die Generale Clay, Robertson und König bestimmt, als vielmehr für die Außenministerien in Washington, London und Paris; vielleicht, daß man sich dort doch noch entschloß, Berlin zu räumen.

Man entschloß sich nicht, obwohl man sehr wohl wußte, daß die Westsektoren militärisch nicht zu verteidigen wären. Das war aber nicht entscheidend, nicht einmal für die alliierten Stadtkommandanten. Viel wichtiger erschien ihnen, und infolgedessen auch ihren Regierungen, daß die Westberliner nicht vorzeitig in eine Panik gerieten, zu einem Zeitpunkt, da immer mehr Volkspolizisten in Berlin stationiert wurden.

Die Ostzonen- Marionette Kurt Fischer

Der Osten tat alles, um eine solche Panik heraufzubeschwören. So erklärte Kurt Fischer, der Präsident der Zentralverwaltung des Innern in der Ostzone - eine Art Innenminister also und somit eine der prominentesten Marionetten der Russen -, es sei sein Ziel, die Zahl der ihm unterstellten Volkspolizisten auf 400.000 zu erhöhen.

Das war in der Tat ein Grund zur Besorgnis. Denn zur polizeilichen Überwachung der Ostzone mit ihren rund 17 Millionen Einwohnern hätte Fischer allerhöchstens 100.000 Mann gebraucht. Wozu also 400.000 Mann?

  • Anmerkung : Aus heutiger Sicht war das sowieso ein völlig irrealer Bluff. Die 17 Millionen ostdeutschen Werktätigen hatten (auch) fast nichts zu essen und wenn weitere 400.000 nicht werktätig sein würden, wer füttert die dann und vor allem, womit ?

.

Auch diese Finte war allzu durchsichtig

Trotzdem regten sich die Berliner nicht allzu sehr auf. Sie sagten sich mit Recht: Wenn die Russen die Absicht hegten, mit diesen 400.000 Mann einen großen Coup zu landen - etwa eine Invasion Westberlins oder gar Westdeutschlands -, dann hätte Fischer diese Ziffer niemals öffentlich bekanntgegeben, ja, auch nur geflüstert.

Gerade sie wäre als strengstes Geheimnis gehütet worden, wie eben jeder Generalstab die Stärke seiner Armee geheimhält.

Das Mysterium wurde noch mysteriöser durch mancherlei Gerüchte um einige Generale, die bis dahin in sowjetischer Kriegsgefangenschaft gewesen waren und sich schließlich zur russischen Sache bekehrt hatten. Zwar traten sie nicht eigentlich auf, es wurde vielmehr nur gemunkelt, daß sie in Berlin wären. Wenn sie es waren, dann doch wohl als Befehlshaber der 400.000 Mann Polizeiarmee.
.

Der große Bluff - absolut filmreif

Und was war davon zu halten, daß nun Oberst Tulpanow höchstpersönlich ein Dementi formulierte, das besagte, die betreffenden Herren seien nicht nach Berlin bemüht worden, während gleichzeitig hohe russische Offiziere wissen wollten, die deutschen Generale seien zwar nicht in, wohl aber in der nächsten Umgebung von Berlin?

Niemand vermochte zu sagen, ob es sich nun bei den Gerüchten über eine 400.000 Mann starke Armee und ihre mutmaßlichen deutschen Befehlshaber um Indiskretion handelte oder um einen gut inszenierten Bluff.

Die alliierten Nachrichtendienste waren einige Zeit recht nervös. Aber die Berliner, die viel mehr Grund dazu gehabt hätten, blieben ganz ruhig. Sie waren von Anfang an davon überzeugt, daß es sich nur um einen Bluff handeln konnte. Es zeigte sich bald, daß sie Recht hatten.

Und noch einen Trick ....

Die Russen versuchten immer neue Tricks, um uns in Angst zu versetzen. Da war zum Beispiel die alliierte Luftsicherheitszentrale in Berlin, wo auch während der Blockade Offiziere der vier Mächte miteinander arbeiteten.

Es konnte vorkommen - es kam in der Tat mehrmals vor -, daß der sowjetische Vertreter einem westlichen Kollegen eine kurze schriftliche Mitteilung überreichte, in der angekündigt war, daß am nächsten Tag sowjetische Luftmanöver in einem bestimmten Luftraum stattfinden würden und daß sowjetische Flugzeuge in den verschiedensten Höhen fliegen würden.

Natürlich handelte es sich immer um den Luftkorridor nach dem Westen, der den Alliierten zur Versorgung Berlins diente. Die Ankündigung der Luftmanöver sollte die alliierten Piloten unsicher machen. Die Ankündigung von Übungen der Flugabwehrgeschütze sollte ein übriges tun. Aber auch dieser Bluff verfing nicht.
.

Jetzt wurden alle Register gezogen - Panzer mußten her

Daraufhin schaltete sich Moskau ein. Marschall Sokolowsky erhielt bestimmte Befehle. Einen Tag später rollten von allen Seiten schwere russische Panzer auf Berlin zu - zum zweitenmal in sechs Monaten.

Schon am Nachmittag standen sie im Halbkreis um Westberlin. Dies konnte nicht verborgen bleiben, es sollte auch gar nicht verborgen bleiben. Doch weiter geschah nichts. Die Panzer blieben stehen, und Sokolowsky mußte dem Kommunistenführer Walter Ulbricht, der darauf drängte, die Panzer sollten doch in die Stadt hineinfahren, auseinandersetzen, daß Stalin selbst angeordnet habe, es dürfe zu keiner Schießerei kommen.
.

Nach so vielen Bluffs - ein ernsthafter Plan ?

Nach so vielen Bluffs wurde dann ein ernsthafter Plan zur Eroberung Westberlins vorbereitet. Die SED sollte zusammen mit der Volkspolizei die Westsektoren erobern und zwar in den ersten Novembertagen.

Der Plan sah wie folgt aus: Zuerst sollten »spontane« Protestkundgebungen der Bevölkerung in Westberlin gegen die Alliierten stattfinden. SED-Funktionäre aus der Zone, mit Revolvern bewaffnet, sollten sich einmischen und auf die westliche Polizei, nicht aber auf Alliierte, schießen.

Hierauf - so hoffte man - würde die wenig bewaffnete Westpolizei von den Alliierten Verstärkungen erhalten und als Folge davon würde es Verwundete, vielleicht sogar Tote geben.

Als Antwort darauf sollten Protestaktionen im Ostsektor stattfinden, bei denen die Berliner Bevölkerung »spontan« die Befreiung der Westberliner Bevölkerung von ihren »imperialistischen Unterdrückern« fordern würde.

Schließlich und endlich sollten dann am folgenden Morgen Volkspolizisten in großer Menge die deutschen Verwaltungsgebäude und wichtige strategische Punkte in den Westsektoren besetzen.
.

Wie später immer in der Ostzone - machen wir mal einen Plan

Auch diesmal würde man keinen Angriffe auf Alliierte unternehmen. Sollten diese aus den Westzonen Verstärkungen anfordern, und diese über die Autobahn Helmstedt - Berlin durchzubrechen versuchen, so würden sowjetische Truppen die Straße /vermutlich die Elbbrücken bei Magdeburg)durch Sprengung unpassierbar machen.

Nach zwei oder drei Tagen Chaos in Westberlin würde die sowjetische Regierung die Westmächte davon benachrichtigen, daß sie wieder Ruhe und Ordnung in Westberlin herstellen müsse.

Diesmal handelte es sich also nicht um einen Bluff, und infolgedessen wurde der Plan streng geheimgehalten. Aber die Vorbereitung konnte nicht vor sich gehen, ohne daß uns gewisse Dinge zur Kenntnis kamen.

So wurde zum Beispiel eine Liste der im Westen lebenden SED-Funktionäre aufgestellt, um sie »bei Unruhen vor Terrormaßnahmen der Amerikaner«, zu schützen. Im Ostberliner Polizeipräsidium wurden überdies kleinere Mengen Handfeuerwaffen bereitgestellt.
.

Die Maulwürfe in Ostberlin hatten funktioniert

Die Westberliner Presse bekam Wind und schlug Alarm. Die Russen begriffen, daß die Westmächte nun nicht mehr auf diesen »rein deutschen« Umsturz hereinfallen würden. Die »Eroberung Berlins« wurde abgeblasen.

Der unterirdische Krieg ging weiter. Gegen Westberliner Politiker und Publizisten wurden in aller Öffentlichkeit die wildesten Drohungen ausgestoßen. Die Zahl der Verschleppungen wuchs. Gleichzeitig erfuhren die Westberliner, wie gut es ihnen gehen würde, wenn die Westalliierten abzögen Sie erfuhren auch, daß die Kohlen- und Lebensmittelversorgung Westberlins nun bald endgültig zusammenbrechen werde.

Dies alles stand nicht immer in den Zeitungen, es wurde meist durch das Mittel der Mundpropaganda weitergetragen. Es verging kein Tag, ohne daß die Kommunisten versuchten, die Westberliner durch solche Einflüsterungen einzuschüchtern.

Die Suche nach weiteren Repressalien wurde fortgesetzt

Andererseits hörte man von neuen Plänen der Russen. Sie wollten Westberlin auch telefonisch und telegrafisch von der Außenwelt abschneiden. Nichts wäre leichter gewesen als dies, denn die Telefonkabel und Telegrafendrähte, die Berlin mit der Außenwelt verbanden, liefen ja durch die Ostzone.

Die Rechnung hatte nur ein Loch: die Telefonkabel mündeten in einem großen zentralen Berliner Fernsprechamt, das im amerikanischen Sektor lag.

Wenn die Russen die Kabel durchschnitten, würden die Amerikaner das Fernsprechamt stillegen, und dann konnten auch die Russen nicht mehr mit der Außenwelt telefonieren.
.

Bauen wir mal schnell ein Fernsprechamt

Also beschlossen die Russen, in ihrem Sektor ein neues Fernsprechamt zu bauen. Aber dazu fehlten ihnen bestimmte Instrumente, sogenannte Hebdreh-Wähler genannt, deren Funktion es ist, die Ziffern der Wählscheibe vom Telefon also, von dem aus angerufen wird, weiterzuleiten. Aus irgendwelchen Gründen war es den Russen unmöglich, diese Wähler zu beschaffen. (Anmerkung : Diese Firmen waren alle in Berlin total zerbomt oder leidlich intakt in den Westsektoren)

Wohl aber fanden sie heraus, daß die benötigten Instrumente in genügender Zahl im Luftschutz-Keller des Telefonamtes im amerikanischen Sektor lagen. Da in diesem Keller ebenfalls einige Möbel standen, die die Russen vor dem Einmarsch der westlichen Alliierten dort deponiert hatten, versuchten sie bei Abholung der Möbel auch gleich die Wähler mitzunehmen.

Der amerikanischen Konterspionage fiel rechtzeitig ein Dokument in die Hände, demzufolge die Russen von höchster Stelle den Befehl hatten, die Wähler mitzunehmen - »koste es, was es wolle«. Dies konnte vereitelt werden. Ebenso der Versuch der Russen, sich die benötigten Instrumente bei der Fabrik Siemens, die im britischen Sektor lag, durch Strohmänner beschaffen zu lassen.
.

Die Gegenblockade hatte begonnen

Und zwar nicht nur in Berlin, sondern auch in Westdeutschland. Dort begriff man langsam, daß in Berlin ein Kampf ausgetragen wurde, der die Zukunft ganz Deutschlands, wenn nicht Europas, entschied.

In Westdeutschland jedenfalls wurde das sogenannte »Notopfer« Berlin beschlossen, das heißt, alle Briefe mußten künftighin über das notwendige Porto hinaus mit einer Briefmarke im Werte von zwei Pfennigen beklebt werden. Der Ertrag aus diesen Marken sollte Berlin zugute kommen. Und in Westdeutschland ging es wirtschaftllich gehörig aufwärts

Die Russen wurden hellhörig und skeptisch

Nun wurde man auch im sowjetischen Hauptquartier in Karlshorst langsam skeptisch. Immer mehr hohe Offiziere pflichteten General Dratwin bei, sie wollten sich nicht länger auf die Berichte des Oberst Tulpanow über die sinkende Moral der Westberliner und den baldigen Abzug der Amerikaner verlassen.

Fachleute wurden herangezogen, um die täglichen Kommuniques über die Leistungen der Luftbrücke mit den tatsächlichen Mengen zu vergleichen, die ausgeladen wurden. Und die Russen erfuhren zu ihrem Erstaunen, daß die veröffentlichten Ziffern stimmten.

Die Alliierten schwindelten nicht, sie übertrieben nicht einmal. Noch unfaßbarer war den Herren in Karlshorst, daß man so wichtige Zahlen überhaupt veröffentlichte. Wenn die Alliierten die Leistungen übertrieben hätten, wäre ihnen das noch eher verständlich gewesen, als daß sie die reine Wahrheit veröffentlichten.

Sie holten andere Experten heran, die ihnen ausrechneten, daß selbst im ungünstigsten Fall von dreißig Prozent Bodennebel zwischen November und Februar Westberlin nicht ausgehungert werden könne.
.

Karlshorst wurde darauf blockademüde.

Natürlich waren die sowjetischen Offiziere bereit, die Schlacht um Berlin solange fortzusetzen, wie Stalin das für richtig hielt. Aber wußten sie denn mit Bestimmtheit, daß Stalin überhaupt für die Blockade war?

Und wenn er sich eines Tages, um des besseren Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten willen, von Karlshorst distanzierte? Wie würde es denen ergehen, die sich allzuweit vorgewagt hatten? Oberst Tulpanow zumindest war in einer prekären Situation.

Vielleicht war es gut, sich ein wenig von ihm zu distanzieren, dachten (vermutlich) die Offiziere in Karlshorst. Man konnte Westberlin durch die Blockade zwar wirtschaftlich schädigen - schon gab es 120.000 Arbeitslose und fast ebensoviele Kurzarbeiter -, aber in Jahren nicht aushungern.

In fast der ganzen Ostzone hörte man das Drönen der US Rosinen-Bomber

Zudem war das ununterbrochene Dröhnen der alliierten Flugzeuge in der halben Ostzone zu hören. Und wo es nicht zu hören war, wurde von der Luftbrücke gesprochen. Sie war eine niemals endende Demonstration der Macht Amerikas.

Natürlich hätte Stalin jeden Tag den Befehl schicken können, den Luftkorridor zu sperren. Aber diesen Befehl schickte Stalin nicht. Denn der Befehl hätte zwar das Ende der Luftbrücke bedeutet, aber vermutlich auch den Beginn des Krieges. Vielleicht gab deshalb Stalin den Befehl nicht.

So und so ähnlich spekulierten die Offiziere in Karlshorst. Da sie nichts anderes tun konnten, verboten sie auf jeden Fall am 3. November die Vorbereitungen für die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung, die am 8. Dezember stattfinden sollte.

Das mußten sie auch, wenn sie keine Wiederholung der Niederlage von 1946 riskieren wollten. Karlshorst wurde blockademüde. Man sprach nicht mehr von »Verkehrsschwierigkeiten«. Man war jetzt überzeugt davon, daß die Blockade nichts ändern werde. Offiziell gab man das nicht zu, aber es gab Anzeichen für diese Sinnesänderung, und da man das ganze Berlin nicht »erobern« konnte, wollte man es wenigstens »spalten«.
.

30. November 1948 - Anfang vom Ende der Blockade

Am 30. November versammelten sich auf russische Anregung in dem Opernhaus, das ehemals ein Revuetheater gewesen war, Delegierte aus allen Berliner Betrieben sowie Abgeordnete der SED und der beiden bürgerlichen Parteien, die es noch im Osten gab und die wenig mehr als den Namen mit den großen bürgerlichen Parteien in Westdeutschland gemeinsam hatten.

Der gewählte Magistrat, der seit dem 13. Oktober im Westen tagte, wurde feierlichst abgesetzt. Ein neuer Magistrat wurde ernannt und sollte über ganz Berlin Regierungsgewalt haben. Der neue Bürgermeister war Fritz Ebert, Sohn des ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik, wie Grotewohl ehemals Sozialdemokrat, der zur SED übergegangen war.

Die Ernennung dieses Magistrats war das erste Anzeichen dafür, daß die Russen sich mit Anstand aus der von ihnen verhängten Blockade zurückzuziehen gedachten. Es war die Vorbereitung zum Rückzug, wenn auch nicht auf ganzer Linie.
.

Mein Kontakt zu Karl Schwarz von ADN brachte Aufklärung

Karl Schwarz erklärte mir den sowjetischen Standpunkt wie folgt:

»Wir werden Westberlin sich selbst überlassen, es durch einen wirtschaftlichen und politischen Kleinkrieg unterminieren, bis die Westberliner selbst zu uns kommen. An dem langfristigen Ziel, ganz Berlin in die Hand zu bekommen, halten wir fest. Die Sowjetunion hat Zeit.«

Man hatte Fritz Ebert an die Spitze des Magistrats gestellt in der Hoffnung, damit die Berliner zu gewinnen, die seinen Vater geschätzt hatten.

Aber die Berliner wollten von dem Sohn nichts wissen. Sie tauften seine Regierung »Operettenmagistrat«.
Darüber ärgerte sich Karlshorst. Die sowjetischen Offiziere wollten nun überhaupt nichts mehr von Blockade und Luftbrücke wissen, ja, sie stellten nicht einmal mehr die Frage, die sie in den letzten Monaten täglich gestellt hatten, wenn man sich mit ihnen unterhielt: »Wie sieht es in Westberlin aus?«
Wenn man es ihnen trotzdem sagte, bekamen sie eisige Gesichter. »Das ist nicht so interessant«, sagten sie.
.

- Werbung Dezent -
Zur Startseite - © 2006 / 2024 - Deutsches Fernsehmuseum Filzbaden - Copyright by Dipl. Ing. Gert Redlich - DSGVO - Privatsphäre - Redaktions-Telefon - zum Flohmarkt
Bitte einfach nur lächeln: Diese Seiten sind garantiert RDE / IPW zertifiziert und für Leser von 5 bis 108 Jahren freigegeben - kostenlos natürlich.