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1945 - 1995 "Der unendliche Traum von der Traumfabrik"

In 26 Kapiteln blickt Horst Goscke auf 50 Jahre Wiesbadener Film-Euphorie zurück und skizziert Höhepunkte und Tiefpunkte der Wiesbadener Ambitionen, mal ein deutsches Hollywood zu werden. Viele bundesweit bekannte Filme und Personen werden aufgeführt und auch das zeitweise wirre politische Drumherum der Nachkriegszeit wird nicht vergessen.

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(8) - Der Vater aller Kleindarsteller

Vermittelte 1500 Wiesbadener Komparsen immer wieder: Toni Graubner

Ein Name, der eng mit dem Hollywood am Kochbrunnen verbunden war, muß nun endlich genannt werden: Toni Graubner. Er saß nicht „Unter den Eichen", nicht im Biebricher Schloß - er saß am Boseplatz, wie der "Platz der deutschen Einheit" Anfang der fünfziger Jahre noch genannt wurde. Am Boseplatz befand sich damals das Arbeitsamt. Und im Arbeitsamt sorgte Graubner für die Künstler-Vermittlung. Dazu gehörte, wie das heute Stefanie Mettmann von „Catsch Up Casting" tut, auch die Vermittlung von Komparsen und Kleindarstellern, die in den Afifa-Ateliers benötigt wurden.

Das Arbeitsamt war sehr gefragt

Schauspielschüler, Mitwirkende von Laienspielbühnen, Arbeitslose, die sich zum Medium Film berufen fühlten, Mütter mit Kindern, Rentner, aber auch Mitglieder des Staatstheaters oder des „Studios 51", eines Kellertheaters in der Rheinstraße, in dem Wolfgang Reichmann seine internationale Karriere begonnen hatte, trafen sich vor der kargen Behördentür, hinter der die vielleicht einmalige Chance bestand, plötzlich „ganz groß entdeckt zu werden". Trat man durch die Tür in das kleine Büro, erblickte man einen älteren, gemütlichen Herrn, der väterlich lächelte.

Toni Graubner war einmalig kompetent

Probeaufnahmen gehörten zum Alltag in den Wiesbadener Ateliers. Hier muß sich zeigen, ob das Baby - kaum geboren, schon Komparse - fotogen ist.

Mehr als 1.500 Wiesbadener Namen umfaßte seine Kartei. Außer über Alter und Figur gab das jeweilige Karteiblatt Auskunft über spezielle Kenntnisse und Garderobe, die der jeweilige Kleindarsteller besaß. Hatte er keinen Frack oder Smoking, war er bei festlichen Szenen nicht verwendbar. Graubner, der als Chorsänger mit Soloverpflichtung vor dem Zweiten Weltkrieg an vielen deutschen Theatern tätig war, dann zum „Nußknacker"-Ensemble des Kabarettisten Werner Finck gehörte, begann seine Tätigkeit beim Wiesbadener Arbeitsamt damit, daß er die eigene Stempelkarte dort erstmal zu den Akten legte.

Beliebt war Graubner nicht nur bei den Komparsen. Auch die Produzenten schätzten ihn sehr. Noch nachts um halb drei konnten sie ihn anrufen und ihm ihre Wünsche mitteilen. Sie durften sicher sein, daß Graubner diese Wünsche erfüllte. Hin und wieder sprang er auch selbst als Kleindarsteller ein. Einmal spielte er vor der Kamera einen Wirt, einen bayerischen, der emsig Bier in die Maßkrüge zapfte. Ein wahrer Meister aber war er im Vertrösten. Und gerade dieses Talent war in Wiesbaden besonders von Nöten.
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1951 - 6 Monate Leerstand

Oft „Unter den Eichen": Zarah-Leander-Regisseur Geza von Bolvary

1951 standen, nachdem die „Frauen des Herrn S." abgedreht waren, die Ateliers sechs Monate leer. Im August sollte es weitergehen. Rund 100 technische Arbeitskräfte hatte man beim Arbeitsamt angefordert. „Ein stattliche Zahl von Arbeitslosen", schrieb das Wiesbadener Tagblatt, „sollte in der Komparserie zu Verdienst kommen".

Doch daraus wurde nichts. Und die Zeitung klagte: „Neben der Enttäuschung für zahlreiche Menschen besteht die Gefahr, daß aus den einmal gegebenen Zusagen, die nun nicht eingehalten werden können, Schwierigkeiten erwachsen."
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Was war geschehen?

Dr. Jonen und seine Meteor-Gesellschaft drehten den nächsten Film, den Farbfilm „Heidelberger Romanze" nicht in Wiesbaden, sondern in Hamburg. Der Grund? Das Land Hessen hatte die erhoffte Ausfallbürgschaft für den Film, in dem Liselotte Pulver und O. W. Fischer Hauptrollen spielen sollten, nicht gewährt.

Aber das Land Niedersachsen, das ebenfalls von der SPD regiert wurde, war bereit, für den Stoff, der zwischen alter Burschenherrlichkeit und derzeitigem Studentenleben ansgesiedelt war, die Bürgschaft zu übernehmen.
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Oktober 1951 - es geht doch weiter

Szene aus dem hier entstandenen 0. W. Fischer-Film „Das letzte Rezept", in dem auch (unser Bild) Rene Deltgen und Heidemarie Hatheyer mitwirkten.

„Unter den Eichen" wurde befürchtet, daß die „Meteor" nun gänzlich aus Wiesbaden abwandern würde. Oberbürgermeister und Stadtverwaltung fühlten sich von der Landesregierung schmählich im Stich gelassen. Aber Dr. Jonen bleibt den Afifa-Hallen treu. Er hat bereits einen weiteren Film in Vorbereitung, eine Geschichte von einem leichtsinnigen Apotheker und einer morphium-süchtigen Tänzerin. Hauptdarsteller soll wieder 0. W. Fischer sein. Titel des Films: „Das letzte Rezept".

Ehe er im November 1951 „Unter den Eichen" ins Atelier geht, wird die Afifa im Oktober noch ihre Hallen an die deutsch-belgische Ko-Produktion „Das Bankett der Schmuggler" vermieten. Und am Jahresende wächst auf dem hiesigen Filmgelände sogar eine politische Hoffnung. Es laufen Verhandlungen mit hessischen Regierungsstellen über annehmbare Verfahrensvorschriften bei der Vergabe von Bürgschaften. Ein positiver Ausgang der Verhandlungen könnte für die Filmstadt Wiesbaden von großem Nutzen sein.

Es gibt jetzt 3.900 Lichtspielhäuser in der Bundesrepublik

1951 - Doch während man sich „Unter den Eichen" um eine zufriedenstellende Auslastung der Produktionsstätten sorgt, können sich die 3.900 Lichtspielhäuser in der Bundesrepublik vor der Flut an internationalen und nationalen Kinofilmen kaum noch retten. Etwa 700 Filme umfaßt das jährliche Verleihangebot. Aber der Markt kann allenfalls 200 oder 300 Filme aus diesem Angebot verkraften.

Hinzu kommt, daß ein deutscher Film mindestens 18 Monate lang im Inland-Geschäft bleiben muß, bis er sich für die Produzenten auszahlt. Schon wird eine Quoten-Regelung diskutiert, die den Kinofilmen aus der Bundesrepublik etwa 30 Prozent der Abspieltage in den Theatern sichern soll.

Die ernüchternde Situation gibt auch Wiesbadener Handwerkern, die anfangs mit großen Erwartungen neben ihren Berliner Kollegen in den Hallen „Unter den Eichen" tätig waren, einiges zum Denken. Die ersten ziehen sich ganz allmählich aus der Traumfabrik zurück, deren örtliche Lage nahe beim Friedhof unter pessimistischen Zeitgenossen mehr und mehr an Symbolgehalt gewinnt.

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