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1945 - 1995 "Der unendliche Traum von der Traumfabrik"

In 26 Kapiteln blickt Horst Goscke auf 50 Jahre Wiesbadener Film-Euphorie zurück und skizziert Höhepunkte und Tiefpunkte der Wiesbadener Ambitionen, mal ein deutsches Hollywood zu werden. Viele bundesweit bekannte Filme und Personen werden aufgeführt und auch das zeitweise wirre politische Drumherum der Nachkriegszeit wird nicht vergessen.

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(7) - Ein Kultfilmer ... Curd Jürgens und Sokrates

„Tiger Akbar"
Eine Ausfallbürgschaft in Höhe von einer Million Mark gewährte Bonn Harry Piel (unser Bild) für seinen Film „Tiger Akbar", der „Unter den Eichen" gedreht wurde - die höchste Ausfallbürgschaft der damaligen Zeit.

Wer weiß noch, daß Curd Jürgens ursprünglich nicht nur eine Karriere als Schauspieler angestrebt hatte? Zu den vier Filmen, die er inszenierte, gehört auch ein Lustspiel, dessen Handlung sich um eine Theateranfängerin dreht, die - was in den Nachkriegstagen schnell geschehen konnte - zwischen die Schwarzhändler gerät. Jürgens selbst hatte das Drehbuch geschrieben. „Gangsterpremiere" hieß der Arbeitstitel. „Unter den Eichen" sollte der Spaß entstehen.

Das Geschäft ist unkalkulierbar wie kein anderes . . .

Da platzt zur Weihnachtszeit 1950 plötzlich die Nachricht in die Wiesbadener Ateliers, daß die Produktions- gesellschaft in Finanzierungsschwierigkeiten stecke. Aus dem Spaß wird für manchen Afifa-Mitarbeiter über Nacht bitterer Ernst. Denn der bevorstehende Produktionsausfall zwingt zu personellen Konsequenzen. Unter den Handwerkern steht Kurzarbeit für die Ledigen bevor. Ein zweites Mal erfahrt das „deutsche Hollywood", wie es Willi Forst anfangs nannte, daß das Geschäft mit dem tönenden Zelluloid unkalkulierbar wie kein anderes ist.

Freude und Leid sind dicht nebeneinander

Freude deshalb auch, als die „Scala-Film" noch vor Jahresende erklärt, es könne mit dem Jürgens-Film nun doch weitergehen. Sie habe einen Verleih gefunden, die „Constantin". Doch schon wenig Tage später heißt es dann, man könne einen Überbrückungskredit nicht beschaffen. Da läßt die Afifa bereits fertige Dekorationen wieder abreißen. Das kann sie. Hat doch die Ariel-Filmproduktion inzwischen ebenfalls die Hallen gemietet.
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Die Ariel-Filmproduktion und Harry Piel

Hinter ihrem Namen verbirgt sich ein Darsteller, den jeder eine Kultfigur genannt hätte, wäre der Begriff damals schon geläufig gewesen: Harry Piel. „Tiger Akbar" will er drehen. Der Kultfilmer erhält die bisher höchste Ausfallbürgschaft des Bundes - eine Million "Deutsche Mark (West)". Handeln soll sein Film von einer Dompteuse, die von ihrem Lieblingstier getötet wird. Eifersucht ist der Grund, Eifersucht auf einen Dompteur, den Piel selbst verkörpert.

Es war sein letzter Film

Dompteur ist er auch als Regisseur. Seine Wutausbrüche geben bald Gesprächsstoff ab bei allen, die die Dreharbeiten miterleben. Eine Schauspielerin verläßt bald, in Tränen aufgelöst, das Atelier, Piel eilt hinterher, bittet um Verzeihung, schwört der Weinenden, daß er ohne sie die Aufnahmen nie zu Ende bringen könne. „Tiger Akbar" wird sein letzter Film sein. Dann zieht es ihn zu seinem Sohn nach Südafrika, wo er, der Held zahlloser Abenteuerfilme, aber die Hitze nicht verträgt. Er stirbt 1963 in München.

Paul Hörbiger und Sonja Ziemann

In Wiesbaden entstanden und in Deutschland beschmunzelt: die Filmsatire „Die Frauen des Herrn S." mit Sonja Ziemann und Paul Hörbiger.

Doch nicht nur Piel bleibt bei den Afifa-Handwerkern in Erinnerung. Auch Paul Hörbiger. Vor allem seine Grantigkeit. Kurz nach Piel sieht man in „Unter den Eichen" - antik verhüllt. „Ihr Auftritt, Herr Sokrates" ruft der Aufnahmeleiter. „Sagens, i hät jetzt keine Lust", raunzt der Weaner Alt-Grieche, bevor er dann doch zur Kamera schreitet. Partner sind Rudolf Platte, Oskar Sima und Hubert von Meyerink.

Die blutjunge Griechin in dem kurzen Röckchen, die auf den Namen Eurytrite hört, wird von einer Darstellerin gespielt, die gerade dabei ist, sich in der Weinbergstraße häuslich niederzulassen. Sonja Ziemann heißt sie, und frisch verheiratet ist sie außerdem. Im Augenblick jedoch ist der Ehemann der allerletzte, der mitreden darf. Das Sagen hat Paul Martin, der Regisseur.

Er dreht „Die Frauen des Herrn S.", eine fröhliche Satire auf die junge Bundesrepublik, angesiedelt im steinalten Athen. „Wir steuern hin, wir steuern her", singt Sokrates. „Steuern her!" echot der Chor dazu - wie in einer richtigen griechischen Tragödie. Lange nach der Premiere wird man sich noch an die Wiesbadener Pontus-Produktion erinnern, schmunzelnd, gutgelaunt und keineswegs entrüstet.

1951 - Entrüstung und Heuchelei auf allen Ebenen

Für Wirbel im Biebricher Schloß sorgte Hildegard Knef in dem Film „Die Sünderin".

Entrüstung ruft in diesen Januar Tagen von 1951 ein ganz anderer Film hervor. Sein Titel: „Die Sünderin".

Hildegard Knef spielt die Hauptrolle darin und macht etwas, das 30 Jahre später bei vielen Filmen manchen Bundesbürger nicht einmal mehr zum Hinsehen bewegt - sie zieht sich nackt aus und zeigt für Bruchteile !!! von Sekunden ihren unbekleideten Körper.

Die Folgen sind unbeschreiblich. Vor allem in Biebrich. War es doch die Freiwillige Filmselbstkontrolle, die das Melodram vom Maler und seinem Modell zur Aufführung freigegeben hatte.

Die Kirchenvertreter beider Konfessionen sind entsetzt über den stattfindenden Sittenverfall und reden vom größten Skandal der deutschen Filmgeschichte.

  • Anmerkung : Der eigentliche Skandal war doch : "Sie" (die Kirchenvertreter) waren die größten Heuchler dieser Zeit, hatten sie doch entweder diese Sekunden gar nicht gesehen - dann hätten sie es nicht beurteilen können - oder sie hatten alles gesehen und (eben) nicht weggesehen.

    Nehmen wir das unausgesprochene Grundthema aus "Der Name der Rose" - der Hinweis kommt noch - als Beispiel : Der ganze Film drehte sich doch - geheimnisvoll bis fast zum Schluß - um ein uraltes pornografisches Buch mit - für damalige Zeiten - pornografischen Bildern, hinter denen die Mönche (fast) alle hinterher waren - wie der Teufel hinterm Weihwasser - und die dafür alle sterben mußten.

    Ein weiteres Beispiel sind die Diskussionen über die Pariser Mohammed Karrikaturen, die einen für uns ebenso unverständlichen Aufruhr alleine vom Hörensagen bei denen ausgelöst hatten, die diese Bilder gar nicht bzw. noch nie gesehen hatten.

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Und soetwas war dann nachrangig :
Über die etwaige Wiederbewaffnung der Bundesrepublik, die kurz zuvor noch hitzige Diskussionen entfachte, spricht für Wochen kaum einer mehr. Aber über die FSK, die Wiesbadener, die offenbar „in einer Krise steckt", darüber reden nun alle.
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Skandal, Sakandal, aber die Kasse klingelt

Im Biebricher Schloß wird man zu einer neuen Verfahrensordnung finden. Während man sich darüber hinter geschlossenen Türen die Köpfe heiß redet, lächeln viele Kinobesitzer still in sich hinein. Besseres hätte ihnen gar nicht geschehen können. Die Zuschauer stürmen die Kassen. Denn die entrüsteten Protestaktionen sind in eine indirekte Werbung für den „skandalösen" Film umgeschlagen. Jeder will ihn plötzlich gesehen haben.

Der zaghafte Keim des Fernsehens kommt

Fussball WM 1954

Amerikanische Verleiher notieren dies mit insgeheimem Neid. Und denken an die Sorgen, die in New York oder Detroit zunehmend mit dem Filmgeschäft verbunden sind. Dort gehen immer weniger Menschen ins die Kinos. Grund ist ein Gerät, das man allmählich überall in den Wohnstuben erblickt - den Fernseher.

  • Anmerkung : Selbstverständlich wurde von der Film- und Kinowirtschaft schon frühzeitig alles nur Mögliche an und in die Medien "lanciert", das den aktuellen Goldesel irgendwie stören könnte. Bemerkenswert ist alleine, daß Amerika unserem Mitteleuropa damals bei vielen Trends um 4 bis 6 Jahre voraus war. Doch das Fernsehen war bis weit nach 1960 noch keine ernsthafte Konkurrenz. Die nicht aufzuhaltende echte Konkurrenz war der aufkommende Wohlstand. Und gegen den war weder in den USA noch bei uns ein Kraut gewachsen.

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