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Die Lebensbiografie von Curt Riess - geschrieben 1977

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956/57 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrespondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den interessantesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesem Buch gibt es neben den "Aufzählungen von Tatsachen" jede Menge Hintergrund- Informationen über seinen Werdegang, seine Reisen und das Entstehen der Filme, über die Schauspieler und Stars, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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(17) Lebewohl, Sport!

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1936 - Ein Herr aus Berlin möchte mich sprechen ......

Ich war noch kein Jahr in New York, als mir der Mann am Empfang des Hotels „ Algonquin" meldete, ein Herr aus Berlin möchte mich sprechen. Ich dachte natürlich, es handle sich um einen Emigranten, und war erstaunt, als ein junger, blonder, gutaussehender Herr von etwa dreißig Jahren mein Zimmer mit den Worten betrat: „Ich komme vom Ullstein-Verlag in Berlin."

„Aber den gibt es doch gar nicht mehr. Den hat man doch den Ullsteins weggenommen."
„Nun ja, der Verlag gehört jetzt ... ich weiß wirklich nicht so genau, wem er gehört. Ich bin ja auch nur Reisereporter und vor allem Bildreporter. Und ich soll im Hinblick auf die Olympischen Spiele, die ja nächstes Jahr in Berlin stattfinden, ein Buch über den amerikanischen Sport schreiben. Das heißt, Sie sollen das Buch schreiben!"
„Ich?"
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Ein Buch über den amerikanischen Sport ?

Er erklärte. Er war mit dem Auftrag, ein Buch über den amerikanischen Sport zu schreiben, nach Amerika geschickt worden. Aber er wußte wenig vom Sport und nicht das geringste vom amerikanischen Sport. Er war also zu Kurt Szafranski gegangen.

Der war vor Hitler Herausgeber sämtlicher Ullstein-Zeitschriften gewesen. Und jetzt bereitete er zusammen mit dem ehemaligen Chefredakteur der „Berliner Illustrirten" für den Inhaber und Herausgeber von „Time", Henry R. Luce, eine Zeitschrift vor, die irgendwann einmal erscheinen sollte.

Sie erschien dann auch, hieß „Life" und war ein außerordentlicher Erfolg. Szafranski hatte dem jungen Mann zugehört und dann erklärt: „Ein Buch über den amerikanischen Sport? Das kann überhaupt nur Curt Riess schreiben! Am besten, Sie wenden sich an ihn." Und er gab ihm meine Adresse.
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Ein Buch - vor allem konnte ich es sehr schnell schreiben

Nun, sicher konnte nicht nur ich so ein Buch schreiben, aber vor allem konnte ich es sehr schnell schreiben - und das war eine Bedingung. Das Buch mußte bald herauskommen, auf alle Fälle vor den Olympischen Spielen, und die begannen ja schon in ungefähr fünfzehn Monaten.

Der junge Mann sagte: „Wenn Sie mir vielleicht dabei behilflich sein könnten ... ?"
Und ich antwortete: „Nein!" Und fügte hinzu: „Das wäre viel zu mühsam und zu zeitraubend. Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag. Ich schreibe dieses Buch. Ich schätze, das wird mich vier, allerhöchstens fünf Wochen in Anspruch nehmen. Sie können es dann mit Ihrem Namen zeichnen."

Ich war nicht unbescheiden, aber ich wollte für die Arbeit fünfhundert Dollar.
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Fünfhundert Dollar - war eine lächerliche Summe

Das war eine lächerliche Summe, aber für mich war es eine Menge Geld. Er willigte sofort ein, auch in meine Bedingung, mir nicht hineinreden zu dürfen. Er war ein guter Journalist, und gute Journalisten wissen natürlich, wovon sie etwas verstehen und wovon nicht.

Die Sache hatte drei "Nachspiele" :

Erstens: Das Manuskript veranlaßte den Verlag, daß er vor der Buchausgabe einen Vorabdruck in der „Berliner Illustrirten" herausbrachte.

Ich war baff! Hatte denn niemand gemerkt, gefühlt, gerochen, geschmeckt, daß es sich um das Werk eines Nichtariers handelte? Offenbar nicht.

Ich fand, ich sollte nun doch auch zu ein bißchen mehr Geld kommen. Aber da der Verlag Ullstein inzwischen nicht mehr von geldgierigen Juden, sondern nur mehr von noch geldgierigeren Nazis geleitet wurde, kam ich damit nicht durch.

Zweitens: Die Reportage war ein solcher Erfolg, daß der „Autor" später Chefredakteur der „Berliner Illustrirten" wurde - was ihm gar nicht so lieb war. Er fühlte sich nicht besonders glücklich unter den Nazis, und schon gar nicht in einer so exponierten Stellung.

Drittens: Das spielt etwa zehn Jahre später, schon nach dem Krieg. Ich lernte in Berlin eine reizende Dame kennen und wollte sie noch ein bißchen besser kennenlernen. Im Verlauf der vorbereitenden Gespräche kam die Rede auf den „Autor" meines Buches. Er sei, das lag ein paar Jahre zurück, außerordendich interessiert an ihr gewesen. Sie habe geschwankt. Dann sandte er ihr sein Buch über den amerikanischen Sport, und das habe sie so beeindruckt, daß sie nicht umhin konnte ...

Ich überlegte, ob ich ihr nicht meine Autorenschaft verraten sollte, tat es aber dann doch nicht. Ich hatte ja schließlich fünfhundert Dollar bekommen.

Übrigens: Auch ohne daß ich Verrat übte, konnte sie dann auch bei mir nicht umhin ...
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Nach wie vor war ich populär .... als Sportreporter

Kurz nach der Geschichte mit dem Sportbuch, das übrigens „Mann gegen Mann" hieß, kam das bereits erwähnte Telegramm aus Paris, das mich in den „Paris-soir** rief, wo ich wohlbestallter amerikanischer Korrespondent der Zeitung wurde.

Aber obwohl ich nun über alles mögliche schrieb, will sagen kabelte - die Basis meiner Popularität bei den Lesern des „Paris-soir" blieb weiterhin und immer wieder der Sport. Das spürte ich, wann immer ich in Paris auftauchte. Und kein Geringerer als Jeff Dickson sagte es mir auch.
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Jeff Dickson, der bald mein Freund wurde .........

...., war ein Amerikaner, der nach dem Ersten Weltkrieg in Paris hängengeblieben war mit nichts als einem Boxring, den er im Poker gewonnen hatte.

Mit diesem Boxring bewaffnet, zog Jeff den Boxsport in Paris auf, der dort noch recht unbekannt war, und wurde schließlich Direktor des Sportpalasts. Das war wohl um die Mitte der zwanziger Jahre.

Er sah sehr gut aus, groß, schlank, dunkelhaarig, war immer amüsant und amüsiert. Er holte nicht nur die großen Boxer nach Paris, sondern auch Sonja Henie, Paavo Nurmi, auch die bekanntesten italienischen Radfahrer und kanadischen Eishockey-Mannschaften, amerikanische Leichtathleten, und anschließend an Paris auch in andere europäische Großstädte.

Er war im Gegensatz zu Direktoren bekannter Sportstätten - auch olympischer - kein Wichtigtuer, er nahm sich selbst nicht besonders ernst und schon gar nicht seinen Beruf. Ein Souper mit einer hübschen Frau bei Maxim's bedeutete ihm mehr als ein Sechstagerennen.
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Er hatte seine "Prinzipien", nicht immer ehrenvolle ....

Er verdiente viel Geld und stand auf dem Standpunkt, andere sollten auch verdienen. Nicht nur die Berufssportler, auch die Amateure - sie bekamen oft mehr als die Profis -, vor allem aber die Sportjournalisten.

Er schmierte sie. Wenn ich sage „schmierte**, so meine ich nicht gelegentlich, sondern jahrein, jahraus, Monat für Monat; wenn ich sage „sie", so meine ich alle.

Ich werde niemals meinen Schock vergessen, als ich, ihn einmal von seinem Büro abholend, eine nicht unbeträchtliche Zahl von Sportjournalisten antraf. Sie alle standen vor der Kasse an.

Und jeder erhielt ein für ihn bestimmtes Kuvert, und jeder öffnete es ungeniert, um die Scheine nachzuzählen, die sich darin befanden. Jeder - auch die Arriviertesten, auch mein guter Freund Gaston Benac, der es nun wahrhaftig nicht nötig gehabt hätte.
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Überhaupt: Die französische Presse war käuflich ....

...., nicht nur die Sportpresse. Da war zum Beispiel der Theaterteil, der mich aus begreiflichen Gründen besonders interessierte. Die bekannten Kritiker waren nicht etwa von den Zeitungen angestellt, für die sie schrieben, eher das Gegenteil.

Sie wurden nicht bezahlt - sie zahlten. Sie pachteten die Theater- respektive die Kinoseiten. Das Geld, das sie ausgeben mußten, bekamen sie durch Theater- und Kinoinserate herein.

Auch kleine Journalisten mußten zahlen, um in „ihrem" Theaterteil schreiben zu dürfen; sie hielten sich dann an den Theatern schadlos, die für gute Kritiken zahlen mußten, ja für jede Notiz.

Etwa, daß Mademoiselle X in dem Stück von Y als Partnerin von Monsieur Z auftreten würde. Es kam nicht selten vor, daß in solchem Fall Mademoiselle X und Monsieur Z beide zahlten.
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Ganze Zeitungsspalten konnte man (in Paris) "pachten"

Das ganz große Geld aber steckten die Pächter der Zeitungsspalten ein, die sich ihre Kritiken nicht nur bezahlen, sondern regelrecht abkaufen ließen.

Da die Theaterdirektoren mit Recht annehmen durften, daß sie, falls sie sich taub stellten, schlechte Kritiken erhalten würden oder vielleicht - schlimmer noch - gar keine, wurden diese Pächter reiche Leute.

Die französische Presse war korrupt, kein Zweifel, und das schlimmste war wohl, daß niemand daran etwas auszusetzen fand. Der herrschende Zynismus konnte nicht überboten werden. Und die Kollegen lachten, daß ich das überhaupt beanstandenswert fand.
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Jules Sauerwein, der Papst der europäischen Außenpolitik

Da gab es zum Beispiel einen Journalisten namens Jules Sauerwein, den man ohne Übertreibung als den Papst der europäischen Außenpolitik bezeichnen durfte. Er hatte sich in einem Maße bestechen lassen, daß er längst ein schwerreicher Mann geworden war.

Er schrieb übrigens im „Matin", einer der ganz großen Morgenzeitungen. Mitte der 1930er Jahre geschah es dann, daß während einer Budgetdebatte im rumänischen Parlament ein Minister eine lange Liste der Ausgaben vorlas.

Man erfuhr, was für öffentliche Bauten, für das Militär, für die Universitäten und Schulen ausgegeben worden war. Und ganz am Schluß auch, was Jules Sauerwein bekommen hatte.

Gewiß, es war im Vergleich zur Armee oder den Botschaften und Gesandtschaften eine recht geringfügige Summe. Aber daß ein ausländischer Journalist überhaupt in diesem Zusammenhang erwähnt wurde, ging selbst dem „Matin" über die Hutschnur.
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Jules Sauerwein, der Papst, verschwand in der Versenkung.

Um zwei Jahre später bei „Paris-soir" wieder aufzutauchen, als nomineller Chefredakteur. Er war auch ein sehr guter Leitartikler. Schließlich gab es wohl kein Außenministerium in Europa, in dem nicht der eine oder andere seiner Kumpane saß, die ihm alles Interessante zutrugen, was er dann unter der Marke „aus gut unterrichteten Kreisen" veröffentlichte.

Mich mochte er übrigens gern. Oder vielleicht sollte man sagen, daß ihn der amerikanische Sport interessierte. Das war ja die Zeit der Millionenbörsen, die Jahre, als fünfzigtausend oder siebzigtausend Zuschauer keine Seltenheit waren.

„Das viele Geld!" meinte Sauerwein fast sehnsüchtig. „Sie müssen ja ein reicher Mann sein!"
Ich versuchte erst gar nicht, ihn davon zu überzeugen, daß es drüben nicht „so" war.
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Die Schriftstellerin Colette, damals keine junge Frau mehr

Der amerikanische Sport faszinierte - freilich aus anderen Gründen - auch die Schriftstellerin Colette, damals keine junge Frau mehr, aber eine interessante.

Vielleicht war der Hauptgrund ihres Interesses ein Mann, mit dem sie entweder verheiratet oder liiert war. Es handelte sich, daran ließen seine Blumenkohlohren keinen Zweifel, um einen ehemaligen Boxer.

Man durfte ihm die gleiche Anekdote von Dempsey oder Joe Louis dreimal erzählen, er konnte gar nicht genug bekommen. Und auch Colette, die sich ja wohl nicht für so viele Details interessierte, hörte stets aufmerksam zu - und dabei sah sie immer den Mann neben sich an.

Er oder die Wirkung, die eine Geschichte auf ihn hatte, war für sie viel wichtiger als alle Kinnhaken von Dempsey oder Joe Louis.
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Einmal bekam ich am selben Tag zwei Telexe.

Das eine stammte von Gaston Benac, das andere von Jeff Dickson. Beide baten mich, einen bestimmten französischen Schwergewichtsboxer in New York zu erwarten, er käme mit dem und dem Schiff.

Es war gar nicht so leicht herauszufinden, wann und wo dieses Schiff landen würde. Es war ein winziger Dampfer mit sicher nicht mehr als drei oder vier Passagieren, dafür aber mit viel Fracht.

Die Sache war die: Dieser junge Boxer, von dem viele, darunter eben Jeff und Gaston Benac, glaubten, er könne eine große Karriere machen, befand sich in den Händen eines Managers, der überzeugt davon war, daß der Boxer diese Karriere zwar machen könne, aber nicht in Paris. Das dumme war nur, daß er mit Jeff Dickson einen Kontrakt hatte.

Also flüchteten sie bei Nacht und Nebel auf besagtem Kahn nach Amerika. Und ich war zum Erstaunen und Erschrecken der beiden Flüchdinge am Pier, als sie nun endlich vom Schiff kamen. „Paris-soir" konnte melden, daß besagter Boxer nun in den Staaten boxen werde, und Jeff hatte das Nachsehen.

Sensationell waren übrigens die Leistungen dieses Boxers - der nur in New Yorker Kleinringen arbeitete - nicht.
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Als ich in einer Zeitung in San Francisco seinen Namen las

Aber etwas anderes geschah. Der Manager wurde von einem Auto überfahren. Als ich ihn im Krankenhaus besuchte, wußte ich, daß ich einen Sterbenden vor mir hatte. Einige Tage danach erwies ich ihm zusammen mit dem Boxer die letzte Ehre.

Der junge Boxer, der gerade anfing, ein paar Worte Englisch zu sprechen, war betrübt. „Es wird schwer für mich sein - ohne ihn!" meinte er. Ich bat ihn, mit mir in Kontakt zu bleiben, denn in Frankreich wollte man ja wissen, was aus ihm würde. Aber ich hörte lange nichts von ihm.

Und es mochte wohl erst ein paar Jahre später sein, daß ich in einer Zeitung in San Francisco seinen Namen las. Er kämpfte in einem kleinen Saal in einem Vorort. Ich fuhr hinaus. Es war alles ziemlich düster. Die Hoffnung des französischen Boxsports war zu einer Art lebendem Punchingball herabgesunken.

Nach seinem k. o. besuchte ich ihn in der Garderobe. Er lamentierte, alles wäre anders gekommen, wenn man nur den Manager nicht überfahren hätte. Er deutete auf ein Gefäß in der Ecke des Raumes. „Das ist er. Ich meine, seine Asche. Ich hatte noch keine Gelegenheit ... Ich meine, wenn ich nach Paris zurückkomme, lasse ich ihn begraben."
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Aus dieser Geschichte wollte Billy Wilder einen Film machen

Ich erinnere mich, daß ich ein paar Monate später die Geschichte meinem Freund Billy Wilder erzählte, als wir zusammen ein Autorennen in Minneapolis sahen. Wilder hatte sogleich die Sschnaps-Idee, daraus einen Film zu machen.

Ich muß sagen, er ließ es sehr an Respekt für den toten Manager fehlen. Er baute da eine Handlung zusammen, daß unser Boxer gegen einen anderen kämpfen sollte, dessen Manager, kein feiner Herr, die Beinarbeit des Franzosen dadurch zunichte machte, daß er öl über den Boden des Rings ausgoß, so daß der Franzose immerfort hinfiel.

Bis er auf die Idee kam, die Urne, die natürlich in seiner Ecke stand, zu entleeren. Die Asche des toten Managers rettete ihn vor den Stürzen und brachte ihm Sieg und Ehren.

Nein, die Geschichte ist nicht gerade lustig, eher gespenstisch. Aber Billy Wilder lebte eben um diese Zeit schon lange in Hollywood, und in Hollywood nahm man nichts mehr sehr ernst. - Ob übrigens der Manager je begraben wurde?
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Die Geschichte von Max Schmeling und Joe Louis

Eigentlich müßte ich an dieser Stelle von unzähligen Boxkämpfen berichten, vor allem von Joe Louis, der ja über Jahre die amerikanische Boxszene beherrschte, und von seinem sensationellen Kampf mit dem damals für das Boxen doch schon alten Max Schmeling.

Schmeling, den ich von Berlin her gut kannte, hieß mich mit Freuden in seinem Trainings camp, ungefähr zwanzig Kilometer von New York entfernt, willkommen, obwohl das dem ihn begleitenden Berichterstatter des „Völkischen Beobachters" gar nicht paßte. Er erklärte, er habe Filme von früheren Joe-Louis-Kämpfen gesehen und wisse, wie er Joe Louis fertigmachen könne.

Ehrlich gesagt, ich glaubte nicht so recht daran. Niemand weiß besser als Boxberichterstatter, daß vor jedem Kampf jeder der Kontrahenten behauptet, er werde den anderen k. o. schlagen.
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Schmeling war ein ausgesprochen kluger Mann

Schmeling war vielleicht nicht gerade der ganz große Boxer, für den man ihn in Deutschland schon aus Gründen des Patriotismus hielt, wohl aber ein ausgesprochen kluger Mann. So kabelte ich also an den „Paris-soir", daß der Kampf offen sei und ein Sieg Schmelings durchaus im Bereich des möglichen läge.

Sofort, das heißt innerhalb einer halben Stunde - das war in New York mitten in der Nacht, in Paris schon am Morgen -, erhielt ich eine Antwort: „Sind Sie verrückt geworden! Wenn wir das drucken, blamieren wir Sie und uns!"
Zwei Wochen später schlug Schmeling Joe Louis in der zwölften Runde k. o.
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Den Kampf hat sein US-Manager Joe Jacobs gewonnen

Es gibt zwei Gründe für die Überschätzung Schmelings in Deutschland: Einer davon ist, daß Schmeling Weltmeister im Schwergewicht wurde.

Aber das wurde er keineswegs durch sein Können, sondern durch das Geschick seines amerikanischen Managers Joe Jacobs.

In dem Titelkampf erhielt Schmeling einen Tief schlag. Er hatte weiter keine verheerenden Folgen, Schmeling hätte aufstehen und weiterboxen können, er war auch im Begriff, es zu tun.

Aber Joe Jacobs sah die Chance. Er brüllte Schmeling aus seiner Ecke zu, am Boden zu bleiben und sich auszählen zu lassen. Damit hatte er den Kampf gewonnen, denn der Gegner war disqualifiziert.
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Weltmeister durch Foul. Diesen Titel wurde er in Amerika nie los.

Der zweite Grund: Deutschland hatte nie einen Boxer von Weltruf - außer eben Schmeling. Er war sicher der beste Boxer, den das Land je hervorgebracht hat.

Was ich an Schmeling schätzte, war vor allem seine Klugheit. Was die anging, war er wirklich ein Weltmeister und allen großen Boxern, vielleicht mit Ausnahme von Gene Tunney, um Klassen überlegen.

Er konnte denken, und er machte von diesem Können Gebrauch. Neun von zehn Boxern, auch den großen Boxern, verlassen sich völlig auf ihre Manager und Trainer, was das Denken angeht.

Schmeling verließ sich auf sich selbst. Und seinem Verstand hatte er es ja auch zu verdanken, daß er die Schwäche des damals für unschlagbar gehaltenen Joe Louis erkannte und ihn nun wirklich schlug. Er wurde dafür zwar nicht Weltmeister - im Gegenteil, er wurde gewissermaßen verschaukelt.

Der Weltmeister von damals, ein gewisser Jim Braddock, dachte gar nicht daran, Schmeling als Gegner anzunehmen, weil er wußte, daß der Kampf nicht genügend Interesse finden, also die Börse klein sein würde.

Er zog es vor, gegen den vorher durch Schmeling geschlagenen Joe Louis zu kämpfen, das brachte eine größere Börse und für Jim Braddock die letzte. Denn Joe Louis schlug Braddock haushoch, und der Weltmeister war damit ein für allemal erledigt.
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Als Schmeling zum zweiten Mal gegen Joe Louis antrat .....

...., war er viel zu alt, und Joe Louis viel zu gewitzigt, um ein zweites Mal Schmeling zu unterschätzen.
Schmeling war auch zu klug - und wohl auch zu anständig, um sich von Hitler und dem nationalsozialistischen Sportführer, einem gewissen von Tschammer-Osten, einer Null, als Zugpferd benützen zu lassen.

Für Hitler wäre ein deutscher Weltmeister natürlich glänzendes Propagandamaterial gewesen. Aber mit Schmeling konnte er nicht allzuviel Staat machen. Der weigerte sich ja sogar, seinen amerikanischen Manager, der Jude war, zu entlassen.

Und als Schmeling schließlich zu den Fallschirmjägern eingezogen wurde, war er alles andere als begeistert. Bei seinem ersten Absprung - auf Kreta - brach er sich ein Bein. Und war damit für den Krieg ausgeschieden.

Niemand wird mir einreden können, daß ein so gelenkiger Mann, wie ein erstklassiger Boxer es zweifellos ist, beim Fallschirmspringen ein Bein brechen muß.

Ich werde immer glauben, daß ihm dieser Beinbruch sehr gelegen kam. Er war ja - eben weil klug - international eingestellt. Und er hatte viel zuviel von der Welt gesehen, um nicht zu wissen, daß das kleine Deutschland einen Weltkrieg, früher oder später - das war vorauszusehen - auch gegen die Vereinigten Staaten, nie würde gewinnen können.
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Irgendwie war "Olympia" schon immer korrupt

Ich müßte von meinen Unterhaltungen mit Avery Brundage erzählen, den ich in seinem Büro in Chicago aufsuchte.

Brundage war damals noch nicht Chef des Internationalen Olympischen Komitees, sondern nur des Amerikanischen Olympischen Komitees. Ich beschwor ihn, die Olympischen Spiele in Berlin zu boykottieren.

„Schließlich ist es doch grotesk, daß Olympische Spiele in einem Land abgehalten werden, dessen Regierung den Rassenhaß predigt. Die Olympischen Spiele, in denen doch Rasse oder Religion keine Rolle spielen sollten."

Brundage erwiderte eisig: „Ich bin nicht Ihrer Ansicht. Aber selbst wenn ich es wäre: Kann ich unseren Athleten die Chance nehmen, olympische Lorbeeren zu ernten?"
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Ich müßte von den Triumphen der Athleten erzählen

Ich müßte von den Triumphen von Jesse Owens erzählen, des schwarzen Negersprinters, der nach drei Siegen, eben während jener Olympischen Spiele in Berlin, Profi wurde und mehr oder weniger elend versackte.

Von dem großen Tennisspieler Tilden, der Profi wurde und schließlich ins Gefängnis kam, sagen wir aus privaten Gründen, die mit dem Sport nichts zu tun hatten (er war schwul) und deretwegen man heute, wo jeder nach seiner Facon selig werden darf, wohl auch nicht mehr ins Gefängnis kommen würde.

Es verging kaum ein Tag, will sagen eine Nacht, ohne daß ich eine Tippseite voller Sportnachrichten nach Paris durchgab.
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Bis zu jenem Schicksals-Tag Anfang September 1939.

Bis zu jenem Tag Anfang September 1939. Ich war nach Philadelphia gefahren, um die Herausforderungsrunde im Davis-Cup zwischen den Vereinigten Staaten und Australien zu sehen und darüber zu berichten.

Während des wohl letzten Spiels - die Australier siegten, falls das irgend jemanden heute noch interessiert - verkündete der Lautsprecher: „Deutschland ist in Polen eingedrungen." Nein, der Lautsprecher sagte: „Hitler ist in Polen eingedrungen!"
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Also Krieg! Weltkrieg!

Aber so weit dachte ich noch nicht. Ich empfand den Krieg zunächst einmal als eine Art Turnier, zu dem nur Hitler und seine größeren und kleineren Kumpane antraten.

Ich sandte meinen Bericht aus Philadelphia über den Davis-Cup. Er endete mit den Worten: „Dies ist mein letzter Sportbericht. Es gibt jetzt Wichtigeres."

Es war in der Tat der letzte Sportbericht meines Lebens.

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