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"Das gibt's nur einmal" - die Film-Fortsetzung 1945 bis 1958

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite dieses 2. Buches finden Sie hier.

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DER FILM - DIE „Affäre Blum"

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"Die Welt ist rund!" - Ein Ausspruch von Veit Harlan

Hat es nicht erst vor kurzem Veit Harlan gesagt, als man ihn aus einem Hamburger Kino wies, in dem die „Ehe im Schatten" lief? „Bald wird meine Frau (die Schauspielerin Kristina Söderbaum) wieder vor der Kamera stehen und ich neben ihr.

Die Welt ist rund!" Und er soll recht behalten. Der Fall Haas zeigt es. Fast wäre ein Justizmord geschehen. In letzter Minute wurde noch alles aufgedeckt, der Unschuldige in Freiheit gesetzt, der Schuldige verurteilt, die Konspiranten entlarvt.

Das war 1927. Knapp sechs Jahre später (1933) ist Hitler an der Macht - da werden die Schuldigen von damals wieder in hohe Ämter berufen.

Und wieder ein paar Jahre später (1945) sind diejenigen, die die Schuldigen beschützt haben, fertig, und nun kann wieder einmal die Wahrheit über den Fall Haas gesagt werden; dieses Mal in dem Film, den Erich Engel bei der DEFA dreht.
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Der Film heißt nicht "der Fall Haas", sondern „Der Fall Blum".

Und Schröder heißt Gabler und Helling heißt Platzer und Landgerichtsdirektor Hoffmann heißt Hecht und Untersuchungsrichter Kölling heißt Konrath und Kriminalkommissar Busdorf heißt Bonte.

Man hat die Namen ändern müssen, da man sonst ein Jahr lang und länger auf die Genehmigungen der einzelnen Familien hätte warten müssen, die richtigen Namen zu benützen. Aber außer den Namen ist nichts verändert.

Das übrigens ausgezeichnete und spannende Drehbuch ist nichts anderes als die Nacherzählung dessen, was sich wirklich ereignet hat. Nur am Ende wollen R.A. Stemmle und Erich Engel etwas Neues machen: Haas und seine Frau - will sagen Blum und Frau Blum - sitzen bei Tisch, beide erleichtert, daß nun alles vorbei ist.

Da klirrt eine Scheibe; jemand hat einen Stein durchs Fenster geworfen. Eine Andeutung, daß eben nicht alles vorbei ist. Aber die Herren der DEFA finden das
doch ein wenig zu stark. Das Ende, auf das man sich schließlich einigt, sieht so aus: Frau Blum beruhigt ihren Mann. Nun sei doch alles zu Ende.

Blum: „Zu Ende? Nein, es fängt erst an!" „Aber es kann uns doch nichts passieren. Wir leben doch in Deutschland!" Die Begleitmusik, jetzt anschwellend, bringt in verzerrter Form die Melodie des Horst Wessel-Liedes. Und wir wissen: Frau Blum wird ihre Ansicht noch einmal revidieren müssen.
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Die „Affäre Blum" wird ein großartiger Film.

Erich Engel übertrifft sich selbst. Die Szenen sind mit einer Einfachheit, mit einer Selbstverständlichkeit gespielt, daß man oft glaubt, einer Wochenschau beizuwohnen. Es gibt keine neuartigen Einstellungen, es wird nicht von unten nach oben oder von oben nach unten photographiert.

Jeder Anschein eines Experiments ist vermieden. Aber dafür hat man immer das Gefühl: So war es. Dabei ist der Fall so spannend und erregend, daß es geradezu weh tut.

Denn jeder spürt: hier handelt es sich nicht um einen einzelnen „Fall", hier handelt es sich um einen typischen Fall.

Hans Christian Blech spielt den Freikorpsmann Gabler

Dieser Film ist der Durchbruch des Schauspielers Hans Christian Blech als Freikorpsmann Gabler. Blech hat alles: die Zackigkeit, die falsche Treuherzigkeit, die Verantwortungslosigkeit - und dann, als er sieht, daß alles verloren ist: die Todesangst und die Wut darüber, daß er nun für seine Verbrechen büßen soll.

Blech ist bereits einer der ersten Schauspieler Deutschlands. Er müßte sich mit diesem Film in die vorderste Reihe der Filmschauspieler gespielt haben. Aber er wird in den nächsten Jahren nur noch selten Rollen bekommen.

Warum eigentlich?
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Die Wege der Produzenten sind wundersam ...

Sein Mädchen: Gisela Trowe, in einer relativ kleinen Rolle sehr stark, sehr erschütternd. Der unglückliche Buchhalter, der gleich zu Anfang draufgeht, Arno Paulsen, der Bösewicht aus „Die Mörder sind unter uns". Schon ist er nicht mehr der Dickste unter den Dicken, aber seine falsche Biederkeit ist erschütternd echt.

Erschütternd echt auch das Trio der Konspiranten: Ernst Waldow, Paul Bildt, Herbert Hübner. Ja, so waren sie, diese Herren, die glaubten, allein entscheiden zu können, was "Recht" ist und was nicht. So waren sie in aller ihrer Borniertheit, in all ihrem Dünkel, in ihrer Eitelkeit, in ihrer Dummheit.

Das ist nicht mehr gespielt, das ist aus dem Leben genommen. Jeder, der diese drei Schauspieler gesehen hat, weiß: sowas kann niemand erfinden, so muß es gewesen sein ...
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AFFÄREN UM DIE "AFFÄRE BLUM"

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Der Fall Haas hat noch eine Fortsetzung : Schröder lebt !

Mitte 1948 wird in Bahrendorf, einem winzigen Ort, der FDGB-Funktionär Richard Schröder verhaftet - wegen Nötigung, Erpressung, Amtsanmaßung und anderer Delikte. Ungeheueres Aufsehen.

Richard Schröder ist in der ganzen Gegend als Funktionär aller möglichen politischen Funktionen bekannt und als Mitbegründer des FDGB.

Er hat seit langem das ganze Dorf tyrannisiert, er hat sich auf Kosten kleiner und kleinster ehemaliger Parteigenossen bereichert. Aber vor ein paar Wochen hat der Bürgermeister der Gemeinde, ein gewisser Lück, in der Bibliothek des Kreiskrankenhauses Bahrendorf ein Buch „Richter und Gerichtete" gefunden, in dem der Fall Haas beschrieben ist.

Er traute seinen Augen kaum, als er in dem dort abgebildeten Mörder Richard Schröder den FDGB-Schröder erkannte. Und dabei liegt Bahrendorf knapp zwanzig Kilometer von Magdeburg!
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Ganz erstaunlich - das ist Schröder - Zweifel sind unmöglich

Ein Zweifel ist gar nicht möglich, die Ähnlichkeit ist frappant, auch der Schmiss, den Richard Schröder sich selbst beigebracht hat, ist vorhanden.

Man stellt Nachforschungen an, und es ergibt sich, daß Schröder, der zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt worden war, als die Amerikaner einmarschierten, sich als politischer Häftling ausgab und durch sie „befreit" wurde.

In der kleinen Reichsstadt Wandsleben wird ihm nun erneut der Prozeß gemacht, eine Farce von einem Prozeß. Denn Schröder, der Angeklagte, ist der eigentliche Leiter des Prozesses. Er fährt der Richterin, der Amtsgerichtsrätin Schneider, die ein Jahr zuvor noch eine ungelernte Arbeiterin war, fortgesetzt über den Mund.

Er hat im Zuchthaus Gelegenheit gehabt, Jurisprudenz zu studieren.
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Er kennt oder kenne alle Paragraphen auswendig, ........

..... oder zumindest behauptet er es. Er erklärt dauernd, diese oder jene Frage sei unzulässig, darauf brauche der Zeuge nicht zu antworten, es handle sich hier um eine Beeinflussung des Gerichts und ähnliches mehr.

Schröder, der niemals besonders gut aussah, ist inzwischen ein bemerkenswert häßlicher Mensch geworden. Trotzdem scheint er enormen Erfolg bei den Frauen zu haben. Sie sind in großer Zahl zur Gerichtsverhandlung erschienen.

Schröder winkt ihnen vergnügt zu. Als ein bildhübsches sechzehnjähriges Mädchen in den Saal gerufen wird, geht sie schnurstracks auf die Anklagebank zu und überreicht Schröder ein Paket mit Wurstbroten. Die packt er auch sofort aus und beginnt zu essen.

Die Richterin fragt das junge Mädchen, ob sie mit dem Angeklagten verwandt oder verschwägert sei, worauf sie stolz antwortet: „Ich bin seine Verlobte!"
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Er bekommt (nur) vier Jahre Ostzonen-Gefängnis .......

Um diese Zeit weiß allerdings dieses Mädchen, wie alle die Mädchen im Saal, bereits, daß Richard Schröder ein verurteilter Mörder ist. Er bekommt vier Jahre Gefängnis, was ihn nicht besonders zu berühren scheint. Lachend und seinen Verehrerinnen zuwinkend verläßt er den Gerichtssaal.
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Juni 1948. Wohin gehört Berlin?

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Zum Osten oder zum Westen ?

Berlin liegt in der Ostzone. Aber die Hälfte Berlins, und zweifellos nicht die schlechteste, ist von den Westmächten besetzt.

Der Eiserne Vorhang saust herunter - mitten in der Stadt - und schneidet nicht nur Deutschland, sondern Berlin selbst in zwei Teile. Die Blockade Westberlins hat begonnen. Die Welt ist recht pessimistisch, was das Schicksal der Stadt angeht.

Wie sollen Millionen durchhalten, wenn man ihnen die Lebensmittelzufuhr abschneidet?
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Da gibt es einen amerikanischen General namens Lucius D. Clay.

Er sagt, für Westberlin müsse man eine Versorgung aus der Luft einrichten. In Westdeutschland schüttelt man die Köpfe. Nein, alles können einem diese Amerikaner denn doch nicht weismachen! Zweieinhalb Millionen aus der Luft versorgen? Wer hat je von solchem Unsinn gehört?

Panik bricht aus. Industrielle setzen sich nach Westdeutschland ab, nach Hamburg und Köln, nach München und Düsseldorf. Die Filmindustrie hat sich bereits abgesetzt - wie kann man denn in einer Stadt filmen, in der es keine Lebensmittel gibt und keine Kohlen, und vor allem viel zu wenig Elektrizität?

In einer Stadt, in der man jeden Augenblick damit rechnen muß, daß die Russen durchs Brandenburger Tor marschieren und Westberlin besetzen - „zur Sicherung von Ruhe und Ordnung!"
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Die Berliner sind die „Insulaner" ......

Nur die Berliner selbst bleiben merkwürdig ruhig und gelassen in dem ganzen Durcheinander. Später wird ein junger Mann diese Berliner, die so erstaunlich ruhig und heldenhaft waren, die „Insulaner" nennen und dichten:

  • „Der Insulaner verliert die Ruhe nicht,
  • der Insulaner liebt kein Getue nicht,
  • der Insulaner hofft unbeirrt,
  • daß seine Insel wieder 'n schönes Festland wird!"

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Dieser Mann heißt Günter Neumann. Und er dreht in diesem ganzen wilden Durcheinander seinen ersten Film, einen erstaunlichen Film, einen, der noch jahrelang die ganze Welt faszinieren wird: die „Berliner Ballade".
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Wir sind jetzt bereits im November 1948

Im November 1948 schifft sich Erich Pommer wieder nach den USA ein. Noch hat er sich nicht entschlossen, was er tun wird. Er hat Angebote aus Hollywood, aber vieles zieht ihn in die alte Heimat zurück, in der er die letzten zweieinhalb Jahre verbracht hat.

Die große Schauspielerin Maria Koppenhöfer stirbt in Stuttgart. Ihr Tod ist ohne Zweifel eine Folge der Hungerjahre. Ein schwerer Verlust für die deutsche Bühne und den deutschen Film.

In Hamburg erlebt Käutners Film „Der Apfel ist ab" seine erste Aufführung. Es wird ein entsetzlicher Durchfall.

In Berlin gibt es jetzt zwei Verwaltungen, eine östliche und eine westliche. Ernst Reuter wird vom Westen zum Oberbürgermeister von Berlin gewählt. Am Kurfürstendamm läuft Ernst Lubitschs Satire auf Sowjet-Rußland „Ninotschka", und Tausende, ja, Zehntausende von Ostberlinern und Zonenbewohnern kommen herüber, um sich einmal gründlich über ihre Peiniger zu amüsieren.

Der Wiener Rudolf Prack erhält einen Brief aus Berlin, ob er nicht wieder Lust habe zu filmen. Das erstaunt ihn, er hielt sich bereits für vergessen.

In der DEFA gärt es. Lindemann ist verschwunden; Günther Matern, Chef des DEFA-Filmverleihs, steht im Begriff sich nach dem Westen abzusetzen.
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1948 - Der Russe Ilja Trauberg hätte sich umgebracht

Und jetzt kommt die Nachricht, daß Ilja Trauberg sich umgebracht hat. Ilja Trauberg ist Russe, einer der beiden russischen Vorstandsmitglieder der DEFA und, obwohl erst Anfang vierzig, ein seit vielen Jahren bekannter Filmregisseur in der Sowjetunion.

Ein charmanter, gescheiter, witziger Mann, zu dem die Künstler sofort Kontakt und Vertrauen gewonnen haben. Er hatte wohl in gewissen Momenten etwas Diktatorisches, aber zeigte dann auch wieder viel Verständnis für die Deutschen.

Er ist es vor allem, der Erich Engel die Arbeit an der „Affäre Blum" erleichtert hat. Er kümmert sich um den Nachwuchs. Er übernimmt persönlich die Leitung des DEFA-Nachwuchsstudios. Er ist überall und nirgends. Er arbeitet bis spät in die Nacht hinein.

Er ist glücklich. Er hat sich in Berlin verliebt, er ist dem Zauber dieser Stadt verfallen. Eine gute Freundin wird später sagen: „Er trank das Fluidum dieser Stadt wie ein Verdurstender!"
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Trauberg hat vermutlich größere Schwierigkeiten.

Es verschwindet der sowjetische Theateroffizier in Berlin, Major Mosjakoff, und wird zu fünfzehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt, weil er zu viel mit „westlichen Schauspielern" verkehrt habe. Gemeint ist eine Schauspielerin, die auch mit Trauberg gut befreundet war.

Sie war gerade bei ihm, als über den Rundfunk das Urteil über Mosjakoff verkündet wurde. Trauberg schien bestürzt: „Mit mir können sie so etwas nicht machen. Mich würden sie nicht lebend bekommen ..."

Anderen gegenüber äußerte Trauberg, Mosjakoff habe gar nichts verbrochen, dies alles sei das Werk Hans Klerings. Er jedenfalls traue Klering nicht. Recht seltsam, wenn man bedenkt, daß Hans Klering immerhin einer der wichtigsten Männer bei der DEFA ist ...

Ein paar Tage später sollte die bereits erwähnte Schauspielerin, die gerade bei der DEFA filmte, verhaftet werden. Trauberg rief sie noch spät abends an und warnte sie, ins Atelier zu kommen. Dieses Gespräch wurde von einer Kollegin der Schauspielerin mitangehört, die in enger Beziehung zu Klering stand.
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Und dann wurde es undurchsichtig, das Geschehen in Berlin

Einige Tage später erschien dann Klering zu später Stunde auf einer Gesellschaft, auf der sich auch Trauberg befand. Klering sagte zu Trauberg, er müsse ihn noch in einer wichtigen Angelegenheit sprechen. Trauberg hatte nicht die geringste Lust mitzugehen, gab aber schließlich doch nach.

Am nächsten Morgen berichtete Klering, er habe sich bis tief in die Nacht hinein mit dem Russen unterhalten, es sei Trauberg zu spät geworden, nach Hause zu fahren, und er habe die Nacht in seiner Wohnung verbracht.

Als er, Klering, am Morgen aufgewacht sei, habe er Trauberg tot in einem Sessel vorgefunden. Zuerst hieß es, der Russe sei das Opfer eines Herzschlages. Dann bringt irgendwer das Gerücht in Umlauf, Trauberg sei mit einer Kugel im Kopf aufgefunden worden.
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War es wirklich Selbstmord oder ..... ?

Warum sollte Ilja Trauberg Selbstmord verübt haben? Hat Klering ihm vielleicht mitgeteilt, daß er in die Sowjetunion zurück müsse? Will man ihn dort verantwortlich machen dafür, daß es bei der DEFA drunter und drüber ging? Fürchtete er das?

Oder war es gar kein Selbstmord? Wie dem auch sei: Ilja Trauberg wird mit großen Ehren begraben. Im Berliner Rundfunk hält Hans Klering die Totenrede.

Wer sie hört, muß davon überzeugt sein, daß Trauberg der beste Freund Klerings gewesen ist. Ein Schelm, der Böses vermutet .......
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WIE GÜNTER NEUMANN BEGANN

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Auf einmal war Günther Neumann da.

Er saß blond, schmal, jungenhaft am Klavier und begleitete seine Frau, Tatjana Sais. Die sang ein Chanson, das er geschrieben hatte. Das war im Kabarett „Ulenspiegel", das inmitten der Berliner Trümmer über Nacht aus Trümmern entstanden war.

Die Neumanns waren damals keineswegs als Hauptattraktion gedacht. Sie wurden über Nacht Stars. Man spürte: hier war etwas, das es seit 1933 nicht mehr gegeben hatte: zeitnahes Kabarett. Hier wurde gesagt und gesungen, was alle bewegte. Hier wurde mit Wort und Musik verspottet, was alle bedrängte. Es war charmant und süffisant, prägnant und schlagend. Es war großartig.
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Wo kam dieser Günter Neumann her?

Aus dem Bürgertum, aus einem Teil, in welchem es am bürgerlichsten war. Als Gymnasiast verliebte er sich ins Kabarett, studierte Rudolf Nelson, Friedrich Holländer, Kurt Tucholsky, Marcellus Schiffer - wie andere Bach und Kant studieren. Er verfiel dem mondän-dekadenten Zauber der Kammerrevue, wie sie nur im Berliner Westen zu Hause war.

Als er so weit war, als es hatte losgehen sollen, kam Hitler, kam Goebbels. Der fand es bekanntlich gar nicht komisch, wenn einer komisch war. Gegen zeitnahes Kabarett hatte er eine begreifliche Abneigung.

Unter seinem Regime hätte Günter Neumann alles werden können, nur nicht Günter Neumann. Nun war er es geworden.
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Zwischen den Trümmern Berlins ......

Zwischen den Trümmern Berlins schrieb er seine ersten Nachkriegs-Chansons, über die Schwierigkeiten erzählte er:

„Der Berliner Tag ist zu kurz. Ich bringe täglich bis zu dreieinhalb Stunden an den Haltestellen zu, völlig verkehrsmittellos. Wenn ich nun noch das Warten auf a) Kellner, b) Bescheinigungen, c) Auftritte auf der Bühne und mit den Direktoren, d) unbesetzte Telephonzellen und e) Anschluß dazuaddiere, bleiben mir für tägliche Schreibtischarbeiten fünf Stunden. Deshalb kann ich es mir leider nicht leisten, mich wie ein richtiger Dichter zu gebärden, vonwegen: heute bin ich nicht in Stimmung ..."

Vielleicht war das ganz gut so. In satten Ländern findet man keine Kabaretts, jedenfalls keine guten. Die entstehen immer nur dort, wo die Menschen hungern; die besten dort, wo ein Krieg verloren worden ist!
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Der Stoff blieb für Berliner das große Problem.

Wohnungsfragen, Entnazifizierungen waren zwar aktuelle Themen, blieben es aber auch, und diese „chronische Aktualität" hatte etwas Peinliches. Über die Nazis sich hinterher lustig zu machen, verschmähte Neumann.

Viele Themen, die niemals politisch gewesen waren, wurden es über Nacht und waren dank der Besatzungsbehörden beinahe tabu. Aber Günther Neumann ließ es sich nicht anfechten, daß gewisse Zensurstellen der Besatzungsbehörden, insbesondere die humorlosen Russen, die Hände über dem Kopf zusammenschlugen. Er meinte:
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„Gutes Kabarett muß gefährlich sein!"

Die Frage nach dem Thema wurde bei Neumann zum Thema selbst. Das Kabarett-Programm des „Schwarzen Jahrmarkt" gefällt Alf Teichs, jenem mutigen Dramaturgen der TERRA, der in den letzten Jahren des Dritten Reiches so viele Propaganda-Filme verhinderte und seine schützende Hand über gefährdete Künstler hielt.

Er sieht sich den „Schwarzen Jahrmarkt" zwei- oder dreimal an und fragt dann Günter Neumann: „Warum machen wir nicht einen Film daraus?" Alf Teichs ist nämlich inzwischen Produzent geworden.

Er hat mit Heinz Rühmann zusammen die Comedia- Film-Gesellschaft gegründet. (Anmerkung : Die Firma ging bereits in 1950 wieder in Konkurs) Diese Gesellschaft ist bereit, den „Schwarzen Jahrmarkt" zu verfilmen.

Unterhaltung bis spät in die Nacht hinein. Neumann ist der Überzeugung: Man kann Kabarett nicht verfilmen. Jedenfalls kann man keinen Film aus dem Text vom „Schwarzen Jahrmarkt" machen. „Gutes Kabarett ist Vielfalt!" stellt Neumann fest. Jede Szene bringt andere Menschen auf die Bühne, andere Situationen, andere Probleme.
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Ein Film muß einen roten Faden haben - und das ist Otto, der Normalverbraucher.

Mehr: Eine Figur - mindestens eine - um die sich alles dreht. „Erfinden Sie eine solche Figur!" fordert Teichs. Neumann erfindet sie.

Es entsteht Otto Normalverbraucher. Das ist ein Mann, der genau das ist, was sein Name sagt: sozusagen lebendiggewordene Statistik; einer, der normal ißt und trinkt, sich benimmt, wie normale Menschen das tun - auch in Zeiten, die keineswegs normal genannt werden können. Denn dies ist die Idee Günter Neumanns: die Zeit ad absurdum zu führen, indem er beweist, daß gerade das, worauf alles aufgebaut ist, nicht mehr existiert: der normale Mensch.

Die letzten „tausend Jahre" haben bewiesen, wie unsinnig Verallgemeinerungen sind. Gibt es denn so etwas wie Deutsche oder Amerikaner, Engländer oder Franzosen, Russen oder Juden?

Und gibt es in Deutschland, vor allem in Berlin, noch so etwas wie normale Menschen? Günter Neumann sucht einen - und siehe da, es ist gar nicht so einfach, ihn zu finden.
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"Der Film" beginnt im Jahre 2048 !!!

Der Film (aus 1948) beginnt genau hundert Jahre, nachdem er entstanden ist: im Jahre 2048. Wir sehen ein unbeschreiblich großartiges Berlin, voll von Wolkenkratzern - sie werden übrigens schon, was nicht einmal Günter Neumann um diese Zeit ahnt, zehn Jahre später in dieser Stadt entstehen - voll von Autos, Flugzeugen, Hubschraubern ...

Und der Film zeigt dem Publikum, wie Berlin hundert Jahre früher aussah: Trümmer, Trümmer, Trümmer ... Ein Sprecher kommentiert: „Wenn wir diesen Filmstreifen aus der damaligen Zeit sehen, fragen wir uns unwillkürlich: wie lebten damals die Menschen in Berlin? Denn eigentlich völlig ganz war nichts mehr in dieser Stadt ..."

Die Kamera erfaßt einen Laden, dessen Schaufenster ganz leer ist, bis auf eine handgeschriebene Bekanntmachung: „Eine Rasierklinge auf Abschnitt IV für Normalverbraucher". Und der Sprecher sagt: „Wie sah er wohl aus, dieser Normalverbraucher?"
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Die Kamera rast durch die Berliner Straßen.

Aber wen sie auch findet - niemand kann behaupten, jener sagenhafte Normalverbraucher zu sein, auf den das ganze amtliche Leben eingestellt ist. Alle kaufen oder verkaufen auf dem Schwarzen Markt.

Neumann arbeitet nun mit „infraroten Strahlen". Der Sprecher: „Die infraroten Strahlen werden jetzt alle diejenigen, die nicht nur von ihren Karten leben, aus dem Bild zaubern, und einzig die Normalverbraucher werden übrigbleiben."

Resultat: Die Straßen, die eben noch von Menschen wimmelten, sind völlig leer. Nicht einmal Pferde und Fuhrwerke sind noch zu sehen.

Der Sprecher: „Selbst die weißen Schimmel scheinen schwarzes Heu zu fressen!"

Und dann findet Neumann, will sagen der Conferencier aus dem Jahre 2048, doch den Normalverbraucher, einen hochaufgeschossenen, entsetzlich dürren Menschen, der aussieht, als könne er jeden Augenblick vor Hunger umfallen.

Er liegt in einem halb zerbombten Zimmer, in das es hineinregnet, schläft völlig bekleidet mit Überzieher und Wollmütze und träumt von einer Konditorei, in der es Kuchen und Schlagsahne in Hülle und Fülle gibt und in der man sich, mindestens im Traum, sattessen kann ...

Aber jedesmal, bevor der Träumende ein Stück Kuchen in den Mund stecken kann, wird er durch die rauhe Wirklichkeit geweckt.
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Die Wohnung, in der Otto Normalverbraucher lebt ...

Die Wohnung, in der Otto Normalverbraucher lebt und die ihm einstmals gehörte, hat jetzt Untermieter: in einem Zimmer wohnt ein Schieber, der auch gelegentlich ins Gefängnis muß, im zweiten eine Dame, die das Heirats-Vermittlungs-Büro „Amor-Zentrale" betreibt. Von den Habseligkeiten Ottos ist nicht mehr viel übriggeblieben.

Eines der wenigen geretteten Utensilien ist ein Zigarrenabschneider, aus einem Granatsplitter gefertigt, aus dem ersten Weltkrieg. Der Vater brachte ihn als Andenken mit. Jetzt ist der Granatsplitter leider von einer Granate aus dem zweiten Weltkrieg getroffen worden.

Wir erfahren auch ein wenig über das Vorleben Ottos: wie er, als der Krieg näher kam, die guten Stücke aus seiner Wohnung verlagerte - um sie nie wiederzusehen. Nur das Hitlerbild blieb. „Die weniger wertvollen Sachen blieben in der Wohnung, schon für den Blockwart!"
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Dann wurde Otto Normalverbraucher doch eingezogen.

Er tat alles, um sich zu drücken, nahm Pervitin und Aspirin, braute sich einen Bohnenkaffee, in dem der Löffel stand, rauchte eine Import-Zigarre, die er vorher ins Wasser, aß Ölsardinen, die er zwei Tage vorher in die Sonne gelegt hatte, „damit die Galle auch etwas abbekam."

Und wurde dennoch kv (kriegsverwendungsfähig) geschrieben. Er wurde geschliffen; er kam ins Feld, geriet in Gefangenschaft. Und: „Was nun, Otto? Die große Zeit ist vorbei!" Nach Hause? Das ist gar nicht so einfach. Otto ist nach München verschlagen worden. Er würde dort bleiben. Aber die Bürokratie macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Ein Beamter will seine Aufenthaltsbewilligung sehen.

„Die wollte ich, bitte, von Ihnen haben!" „Ich stelle nur Zuzugsgenehmigungen aus." Und die bekommt Otto nur, „wenn Sie mir die Arbeitsbescheinigung vorlegen!"

Aber: „Arbeitsbescheinigungen kriegen's nur, wenn's mir die Zuzugsgenehmigung vorleg'n!"

Und die „Zuzugsgenehmigung nur gegen Arbeitsbescheinigung!" Otto wandert von einem Büro zum anderen, wird von den Beamten angeschnauzt ...

Schon ist sein Gesicht von Bartstoppeln übersät. Er hat bald einen Spitzbart, einen Vollbart, schließlich einen Bart, der so lang ist, daß er auf ihn tritt. Dann: „Jetzt habe ich es aber satt! Der Bart ist ab!"
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Otto will nach Berlin ........

....., obwohl man ihm in München und Umgebung die entsetzlichsten Dinge von Berlin erzählt. Dort werden Menschen auf offener Straße angefallen und ausgeraubt; die Berliner - wir sehen das alles im Film - laufen daher nur noch in Unterhosen und Unterkleidung herum. Kleider und Anzüge sind ihnen längst gestohlen worden. Ständige Raufereien zwischen Leuten, die Ost-, und Leuten, die West-Zeitungen lesen. Aber Otto läßt sich nicht irremachen. Er schlägt sich nach Berlin durch - über die Zonengrenze kommt er, indem er sich wie ein Maulwurf unter ihr durchgräbt, zum Entsetzen von Hasen und anderem Getier.

Er findet seine Wohnung, was gar nicht so einfach ist, denn überall gibt es Schilder wie:

„Gesperrt! Umleitung!"
„Kein Durchgang!"
„Nur für Militärfahrzeuge!"
„Brücke gesperrt!"
„Sackgasse!"
„Für den Zivil verkehr verboten!"
„Betreten auf eigene Gefahr!"
„Kein Durchgangsverkehr!"

Aber obwohl die Zeitungen alle davon schreiben, daß die faschistische und reaktionäre Zeit nun endgültig zu Ende sei, die Berliner Straßen heißen noch immer wie sie früher geheißen haben. Es gibt einen Kaiserdamm und einen Preußenpark, einen Hohenzollerndamm und einen Wilhelmplatz, eine Friedrichstraße und eine Kronprinzenallee, eine Kanonierstraße und eine Grenadierstraße und einen Gardeschützenweg!

Schließlich und endlich kommt Otto in seine Wohnung, die ihm nicht mehr gehört. Es geht ihm schlecht. Er ist unterernährt wie alle anderen auch. Der Sprecher: „Die Ernährung der Normalverbraucher vor hundert Jahren war genormt. Wie diese Leute es schafften, weiterzuleben, erscheint uns heute unfaßlich ..."
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Und jetzt gleitet es ins Irrationale ab ...

Es gibt allerlei Ausfallserscheinungen. Unterernährte Menschen verlieren ihr Gedächtnis. Otto geht zu Dr. Köppchen, Facharzt für Gemütsleiden. Der sagt: „Sie leiden an einer Mangelkrankheit, die wir unter dem Namen ... äh ..." Aber er hat den Namen vergessen.

„Sie äußert sich, wie Sie schon selbst erkannt haben, in ... äh ..." Otto hilft aus: „Vergeßlichkeit!" „Richtig!

Ich hatte gerade einen ähnlichen Fall, da kam ein gewisser ... äh ... ," Wir werden nie erfahren, wer kam. „Das einzige, was man hier tun kann, ist ... äh ..." Der Arzt, der Otto von Vergeßlichkeit heilen will, hat es vergessen. Immerhin schreibt er ein Rezept aus.

Otto will wissen, wo er das Mittel bekommen kann. Dr. Köppchen: „Oberhaupt nicht! Das hat es früher mal gegeben. Aber es gibt ein ganz gutes Ersatzmittel dafür. Das gibt's aber auch nicht mehr . ."
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Otto ist nun kein Normalverbraucher mehr ...

Otto tut das einzig Vernünftige: er beginnt alles zu verkaufen, was er noch besitzt, und dafür Eßwaren einzuhandeln. Und da er nun kein Normalverbraucher mehr ist, bekommt er wieder so etwas wie ein halbwegs normales Gewicht.

Er findet auch Arbeit, wird in einer Fabrik angestellt, die Schilder herstellt - im Anfang nur fünf bis sechs pro Tag. Aber bald wächst die Produktion enorm.

Eigentlich handelt es sich immer nur um das gleiche Schild mit dem Text: „Ware noch nicht eingetroffen!" Diese Schilder werden in allen Läden Deutschlands gebraucht; man kann gar nicht genug davon herstellen. Trotzdem schließt die Fabrik eines Tages. Die einzige Erklärung, die Otto vorfindet, ist ein Schild in der Pförtnerloge mit der Aufschrift: „Ware noch nicht eingetroffen!"

Er verdingt sich als Nachtwächter. Der Laden, den er bewachen soll, wird aber ausgeraubt, weil er einschläft und wieder von Konditoreien und wundervollem Kuchen träumt ...

Immer neue Abenteuer muß Otto bestehen. Es sind die Abenteuer, die alle Deutschen nach 1945 bestehen mußten.
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Wenn dem besoffenen Schieber die Tränen kommen

Otto Normalverbraucher lernt einen Schieber kennen, dem, wenn er besoffen ist, die Tränen kommen, denn: „Du hast Hunger, Otto, und du wirst immer Hunger haben, und darum leide ich, und ich habe Gänsebraten gegessen und werde immer Gänsebraten essen, und darum leide ich!"

Als er verhaftet wird, leidet er indessen nicht. Er weiß ja, er kommt wieder heraus. Warum wird er eigentlich verhaftet? Wegen der sieben Loren Briketts? Wegen des Kronschmucks der Königin Wilhelmine? Oder wegen der minderjährigen Zwillinge aus dem Hinterhaus? Eigentlich müßten in dieser Zeit alle verhaftet werden.

Oder da ist der Mann, der ein besonders aktuelles Geschäft hat, nämlich einen „Lorbeerbaum-Verleih". Er beliefert alle Säle, in denen politische Versammlungen stattfinden.

Und es finden ja im Jahre 1948 in Berlin eine Unmenge politischer Versammlungen statt. Und hinter dem Redner stehen immer die gleichen Lorbeerbäume. Sie hören ja nicht den Unsinn, der da verzapft wird.
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Berlin ist inzwischen ungemein "international" ....

Dieses Berlin ist ja nun nicht nur in zahllose Parteien gespalten, sondern auch ungemein international. In den Nachtlokalen, in denen man auf Karten nichts und für sehr viel Geld alles bekommt, wird nur Englisch, Französisch und Russisch gesprochen - eventuell noch Sächsisch.

In den Kinos laufen fast nur ausländische Filme. Und über eine Aufführung der „Madame Butterfly" wird sehr richtig in der „Berliner Ballade" bemerkt: „Ein deutsches Theater im russischen Sektor spielt die Oper eines italienischen Komponisten, in der ein japanisches Mädchen etwas mit einem amerikanischen Offizier hat. Da kann man nur mit Günter Neumann sagen :

„Also wissen Se -
Also wissen Se nee -
Also wissen Se nee!"

Oder man kann sich gleich begraben lassen. Auf dem Friedhof liegen ja auch lauter Normalverbraucher. Die Schilder lauten: „Franz Normalverbraucher", „Amanda Normalverbraucher", „Theodor Normalverbraucher", „Emma Normalverbraucher", „Ida Normalverbraucher".
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Freilich, nicht alle wollen sich begraben lassen.

Die meisten spüren trotz Unterernährung einen unbezähmbaren Willen zum Kampf. Es wird für und gegen alles gekämpft. Überall kleben Plakate wie :
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  • „Kampf den Kriegshetzern",
  • „Kampf den Spaltern",
  • „Kampf der Mottenbrut",
  • „Kampf den Steuern",
  • „Kampf den Ratten",
  • „Kampf den Bayern" ...

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Der Deutsche - so meint Neumann - zumindest kann das Kämpfen nun einmal nicht lassen. Und so ist die zweite Hauptfigur neben Otto Normalverbraucher ganz logisch der ewige Unteroffizier.

Der tritt in mancherlei Verkleidung auf. Einmal ist er ein Straßenbahnschaffner, der außer sich gerät, weil Otto klingelt, damit der Wagen hält und er aussteigen kann. Er brüllt ihn wie folgt an: „Glauben Sie, in Deutschland kann heute jeder machen was er will? Hier bestimme ich und sonst niemand, mit Ausnahme des Führers - des Wagenführers natürlich."

Und er versteigt sich zu folgender Behauptung: „Sie werden daran denken, was es heißt, als Fahrgast abzuklingeln. Das ist Fahrgastzersetzung!"
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Der Unteroffizier als westlicher und östlicher Reaktionär

Später tritt der Unteroffizier als westlicher und östlicher Reaktionär auf. Der östliche Reaktionär setzt auf Rußland und seine Panzer. „Der Osten steht mit seinen Armeen in zwei Tagen am Kanal. Wir rollen Euch mit Panzern auf!"

Das beeindruckt den westlichen Reaktionär nicht im geringsten. „Ihr denkt immer, der Westen schläft. Ihr werdet Euch wundern! Wenn die ersten Superfestungen an der Oder sind, dann funkt's!"

Probleme des Tages, ja, der Stunde ... Es ist nicht leicht, einen Film zu machen, der fast schmerzhaft aktuell ist. Als er beginnt, ist nicht allzuviel vom Drehbuch vorhanden.

Jeden Tag überlegen sich Günter Neumann und Regisseur R. A. Stemmle, wie die Sache wohl weitergehen könnte; was an Ereignissen von gestern oder vorgestern verwendet werden soll - und wie; was Neumann heute schreibt, wird morgen gedreht. Manchmal wird auch erst morgen geschrieben, was gestern gedreht worden ist.
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Günter Neumann wird später erklären ........

„Der Film mußte so sein, als hätte ihn der kleine Moritz geschrieben!" Und, was vielleicht noch wichtiger ist: der Film ist wirklich Berlin, jedes Wort, das gesprochen wird, ist Berlin, jeder Blick, ja, jeder Ton. Dieser Film ist Berlin in seinem Witz, in seiner Frechheit, in seiner Unsentimentalität.

Entscheidend ist die Besetzung der Hauptrolle. Wer soll den Normalverbraucher spielen? Die Produzenten denken an bekannte Komiker. Wie wäre es etwa mit Heinz Rühmann?

Günter Neumann legt sein Veto ein. Er will ein Gesicht, das niemand kennt. Er will einen Schauspieler, der noch nicht etabliert ist.
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Die Wahl fällt auf den späteren Wiesbadener Gert Fröbe.

Der ist ein langer und dürrer junger Mann - er ist 185 Zentimeter groß und wiegt doch nur 135 Pfund. Also der typische Normalverbraucher. Er hat blondes, ja geradezu goldblondes Haar - und rauhe Mengen davon. Er tritt in Kabaretts auf, meist mit einer Mütze auf dem gelockten Haar, in einem ziemlich schäbigen Anzug und rezitiert Morgenstern und Ringelnatz.

Rezitiert? Er spielt die Gedichte, er legt ungewöhnlich intensive und drollige Pantomimen ein. Manchmal hat er auch ein paar Requisiten bei sich, einen kleinen Handwagen etwa - den Thespiskarren, wie er behauptet.

Sein Gesicht scheint aus Gummi zu sein. Er verwandelt sich fortwährend. Es fällt von einer Grimasse in die andere. Er ist Anfang dreißig, in Sachsen geboren, verdiente sich sein erstes Geld als Geiger, zeichnete ein bißchen, wurde Bühnenmaler in Dresden, dort sah ihn Erich Ponto (Anmerkung : Wer ist Ponto ?) und ihm den Rat gab, Schauspieler zu werden, spielte in Frankfurt am Main, in Wien und - nach dem Zusammenbruch - an den Kammerspielen in München sowie im dortigen Kabarett Simpl.

Seit seinem ersten Auftritt im Simpl arbeitete er nur noch in Kabaretts. Dort entdeckte ihn Günter Neumann.
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Gert Fröbe wird Otto Normalverbraucher.

Er hat einen Riesenerfolg, scheint am Beginn einer großen Karriere zu stehen. Paramount will ihn nach Hollywood holen, um Till Eulenspiegel und den braven Soldaten Schwejk zu spielen. Es wird nichts daraus. Die Engländer wollen ihn nach London holen. Es wird nichts daraus. Und Fröbe kehrt wieder zum Kabarett zurück.

Aber etwas sehr Seltsames geschieht: der hagere, dürre junge Mann nimmt zu. Er nimmt zusehends zu. Schon ein halbes Jahr nach Beendigung der „Berliner Ballade" hat er ein einigermaßen normales Gesicht. Und dabei bleibt er nicht. Er nimmt immer noch zu, viel zu schnell, viel zu viel.

Zwei, drei Jahre, nachdem er durch die „Berliner Bailade" berühmt geworden ist, könnte er den Otto Normalverbraucher nicht mehr spielen; allenfalls den Schieber und Schwarzhändler, den Aribert Wäscher in dem Film so unvergeßlich mimt.
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Wer spielt sonst noch mit ?

Tatjana Sais natürlich, die bezaubernde Frau Günter Neumanns, die auch die wichtigsten Chansons singt. Den ewigen Unteroffizier aber, den Militaristen, der als Feldwebel auftritt, als Straßenbahnschaffner, als Friedhofswärter und dann als östlicher und westlicher Reaktionär, spielt O. E. Hasse. Es ist der Beginn einer Filmkarriere, von der niemand ahnen kann, wie bedeutend sie werden wird.
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Etwas mehr über O. E. Hasse

Wie fast alle Schauspieler, wollte O. E. Hasse ursprünglich nicht Schauspieler werden, sondern Rechtsanwalt. Das heißt, genaugenommen wollte er immer Schauspieler werden, genaugenommen wollten das ja auch alle anderen Schauspieler. Aber der Vater wollte nicht.

Hasse studierte also Jura, ging dann aber doch auf die Schauspielschule und war schon Mitte der dreißiger Jahre eine der Hauptkräfte der Münchner Kammerspiele. Er mußte eigentlich alles spielen: Jünglinge und Greise, Liebhaber und Bösewichte.

Manchmal bekam er auch kleine Filmrollen, aber da die Filme nicht sehr wichtig waren, wurde man in Berlin nicht auf ihn aufmerksam. Die letzten Kriegsjahre verbrachte er in Prag. Er spielte auch in einem Film „Stukas" mit, der prompt verboten wurde, als er fertig war. Goebbels hielt ihn für „zu deprimierend".
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Nach Kriegsende: Berlin.

Hasse spielte in einem Behelfstheater unter Jürgen Feh-lings Regie den Mephisto im Urfaust. Damals war es so kalt im Theater und auf der Bühne, daß die Schauspieler immer, wenn sie nicht auf der Bühne stehen mußten, sich in den Keller schlichen, wo sie sich an einem winzigen Feuer wärmen konnten. Bei der Premiere mußte zweimal der Vorhang fallen, weil Hasse versäumt hatte aufzutreten - er konnte sich von seinem warmen Platz am Ofen einfach nicht trennen.

Seine Nachkriegskarriere ist rasant. Innerhalb der nächsten Jahre spielt er in Berlin ein Dutzend große Rollen. Es besteht kein Zweifel, daß er der erste Schauspieler der ehemaligen Reichshauptstadt geworden ist.

Aber der Film interessiert sich noch immer nicht für ihn. Ja, als Günter Neumann und Stemmle auf Hasse bestehen, wird ihnen allgemein abgeraten.
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„Wer will schon Hasse sehen?"

...... fragen die Sachverständigen. Freilich, diejenigen, die ihn dann sehen, finden ihn großartig. Und trotzdem wird es noch viele, viele Jahre dauern, bis Hasse eine zweite wirkliche Chance im Film bekommt.

Die „Berliner Ballade" wird unter unendlichen Schwierigkeiten gedreht. Am schlimmsten ist die Sache mit der Währungsreform. Die ersten Szenen werden noch mit der alten Reichsmark bezahlt.

Dann kommt jener berühmte Tag, an dem jeder Deutsche vierzig D-Mark erhält - und an diesem und den folgenden Tagen erhalten die Filmleute überhaupt kein Geld.
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Dann gibt es Ostmark und Westmark.

Und während in Ostdeutschland und Ostberlin nur mit der neuen Ostmark bezahlt wird, in Westdeutschland nur mit der neuen Westmark, wird in Berlin zur Hälfte mit Ost- und zur Hälfte mit Westmark bezahlt.

Niemand kennt sich mehr aus. Niemand weiß mehr genau, was der Film kostet und ob er zu Ende gedreht werden kann. Nur Günter Neumann behält die Nerven und schreibt sofort eine Szene über die Währungsreform in seinen Film hinein.

Man sieht Otto Normalverbraucher mit seiner jungen Frau im Gespräch. Es geht darum, ob er Geld, das ihm ein Schieber während einer Razzia zusteckte, behalten darf oder nicht. Die Frau ist dafür, er ist noch nicht ganz zu dieser Unehrlichkeit entschlossen.
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Da donnert es. Otto, mit Blick gen Himmel :

„Nun, man wird doch noch fragen dürfen!" Er geht zum Fenster, um zu untersuchen, ob die Scheine echt sind. Der Wind reißt ihm einen Schein aus der Hand. Man sieht den Schein auf die Straße flattern.

Und der Sprecher läßt sich vernehmen: „Die Mark fiel. Und nicht nur diese eine Mark. Die Mark fiel im ganzen Lande. Das Geld war plötzlich nichts mehr wert. Berlin stand in den Tagen vor der sogenannten Währungsreform. Plötzlich war jeder Mensch im Lande gleich arm oder gleich reich. Endlich hatte es wieder Sinn zu sparen!"
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Was wird letzten Endes die „Berliner Ballade"?

Ein Trümmerfilm und ein Heimkehrerfilm. Aber es handelt sich um eine besondere Art von Trümmerfilm, um eine besondere Art von Heimkehrerfilm. Die Wunden sind schon ein wenig vernarbt.

Man kann schon wieder lächeln über das Unsägliche, das man hat durchmachen müssen, ja, manchmal muß man geradezu darüber lachen ...

Waren wir das wirklich, die so hungernden Menschen, die alles verkauften, um nicht verhungern zu müssen, die nichts so sehr fürchteten wie den Mann vom Elektrizitätswerk, der feststellte, daß zuviel Strom verbraucht worden war?
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