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Die Welt des Films - Herbst 1927 - aus Sicht eines Engländers:

In diesem Buch aus London wird die internationale Entwicklung des Kino-Films bis zu den Anfängen des Ton-Films - diesmal nicht (nur) aus deutscher Sicht - vorgetragen. In einem weiteren Buch vom April 1927 von Denes von Mihaly (aus Berlin) wird eine ganz andere Sicht auf den Ton-Film verbreitet, die aber so nicht mehr stimmt. Nach dem März 1933 wurde dann die Geschichte des Ton-Films ebenfalls heftigst "verbogen", also nationalsozialistisch eingedeutscht. Darum sind die Ausführungen dieses Engländers Fawcett sehr hlfreich. Zwei deutsche Übersetzer hatten aber einiges "hinzugefügt". Die Einleitung beginnt hier.

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Kapitel VI - Im Atelier

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Dei größeren Atelierss beschäftigen bis zu 2000 Menschen

In Kalifornien bilden alle größeren Ateliers vollkommen in sich abgeschlossene Gemeinwesen. Die Paramount und die Metro beschäftigen beispielsweise jede ständig 1.500 bis 2.000 Menschen und führen innerhalb der Grenzen ihres Besitzes alle jene tausendfältigen Arbeiten durch, die das Erzeugen von Lichtbildern mit sich bringt.

Das Wort Atelier (Studio) bezeichnet also in Amerika eine Ansammlung von Bauten, die der Filmerzeugung dienen, und nicht wie in Europa ein lufthallenähnliches Gebäude, in dem das Drehen der Filme vorgenommen wird und das man in Hollywood „Bühne" (stage) nennt.

Jedes größere Atelier enthält dort Werkstätten für alle erforderlichen Professionisten. Zimmerleute, Tischler, Maler, Maurer, Spengler, Anstreicher, Modelleure, Gärtner, Bühnenmaler, Architekten sind unausgesetzt an der Arbeit.

Licht- und Kraftanlagen stehen neben den Laboratorien zum Entwickeln, zum Kopieren und zum Projizieren der Filme; daneben sieht man Schneider- und Kostüm Werkstätten, Garderoben, einen ganzen Automobilpark mit den dazugehörigen Reparaturwerkstätten zur Beförderung der Darsteller „on location" (d. i. für Freilichtaufnahmen außerhalb des Ateliers) - und natürlich müssen alle diese Menschen mittags und abends verköstigt werden.

Die Metro hatte 1927 u. a. folgende Leute fix angestellt: 5 Produktionsleiter, 15 Direktoren, 55 Schauspieler, 35 Regisseure und Dramaturgen (writer), worunter man eine Schar von Konstrukteuren, Szenenkünstlern, Manuskriptverfassern, Erfindern von Situationen, Inspizienten und noch eine Anzahl von Leuten bezeichnet, die alle möglichen filmischen Ideen anregen.
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Blicken wir mal in eine "Kantine" .....

Den besten Einblick in diese bunte Welt gewinnt man, wenn man zu Mittag einen Blick in die „Cafetaria" wirft, in der man den allmächtigen Vizepräsidenten der Gesellschaft neben dem Tippfräulein oder einem Niggerportier friedlich sein Lunch verzehren sieht.

Daneben erblickt man Schauspieler in vollem Kostüm, im Gesicht die Gelbschminke, Stars, Episodendarsteller, Komparsen, Arbeiter im Overall, Regisseure in Hemdärmeln und Kappe, die durch ihre Hornbrille ängstlich den Star beobachten, ob er nach Tisch in guter Laune sein wird; zerlumpte Gestalten, Schneider, Soldaten, Matrosen, Beamte, Mechaniker und Techniker, denen alle Wunder der modernen Kinematographie vertraut sind - Hunderte, ja Tausende von Menschen -und alle schwatzen ununterbrochen über den Film.
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Die acht Hauptateliers in Los Angeles

Gegenwärtig (1927) befinden sich acht Hauptateliers in Los Angeles, wovon ja Hollywood tatsächlich nur einen Vorort zwischen der Stadt und der Küste darstellt. Sie stimmen ungefähr mit den bereits erwähnten großen Filmgesellschaften überein:

  1. Paramount Famous-Lasky: 10 Hektar an der Melrose Avenue, Hollywood, mit elf gedeckten Bühnen;
  2. Metro-Goldwyn-Mayer: 17 Hektar in Culver City;
  3. First National: 30 Hektar in Burbank;
  4. United Artists: Großangelegtes Atelier am Santa Monica Boulevard;
  5. Fox: Ein Atelier in Hollywood und ein Grundbesitz von 100 Hektar in Beverly Hills;
  6. Universal: Atelier mit 240 Hektar in Hollywood (Universal City);
  7. Warner: Atelier am Sunset Boulevard;
  8. Cecil de Mille: Das Thomas-Ince-Atelier gemeinschaftlich mit Samuel Goldwyn;
  9. Film Booking Office: (Verkaufszentrale) sechs Hektar unweit der Paramount;
  10. Ferner das Associated Atelier; das Metropolitan, in welchem Harold Lloyd arbeitet; der Chaplin-Komplex an der La Brea Avenue; Marshall Neilans; Christie Brothers; MacSenett und viele andere kleinere.


In den genannten Ateliers werden nahezu alle der 800 Großfilme (je 2.000 Meter und mehr) erzeugt, die Amerika jährlich auf den Markt wirft; einige werden in und bei New York und nur ganz wenige in Europa hergestellt - Rex Ingram drehte bis vor kurzem für Metro in Nizza.

Außer den Großfilmen wird noch eine Menge kurzer Filme produziert - Tagesereignisse, Lustspiele, Lehrfilme, Reklamebilder -, deren Länge zwischen 300 und 800 Meter variiert. Paramount erzeugt beispielsweise 120 kurze Filme jährlich, deren Vorführungsdauer nur etwa 12 Minuten beträgt.
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"Produziert" wird das ganze Jahr über

Die Produktion wird das ganze Jahr hindurch fortgesetzt, denn Kalifornien hat im Jahre neun bis zehn Monate schönes Wetter. Werden Freilichtaufnahmen benötigt, so können sie fast das ganze Jahr hindurch in der trockenen Atmosphäre gedreht werden, wobei es sich nicht so sehr um Sonnenschein handelt, der durch Lampen ersetzt oder verstärkt werden kann, als um gutes Wetter.

Dadurch ist man in der Lage, die Zeiteinteilung stets lange im vorhinein festzulegen, so daß beim Hauptfaktor - Zeit - viel erspart wird. Man kann z. B. mit voller Sicherheit voraussagen, daß am 3. Mai oder am 16. Juli schönes trockenes Wetter herrschen wird und das Drehprogramm kann schon im März festgesetzt werden.
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Die ideale Lage mit dem prachtvollen Griffithpark

In architektonischer Beziehung bieten die Ateliers kein besonderes Interesse mit Ausnahme des fast ganz neu hergestellten der Paramount und des schönen First National-Komplexes in der gebirgigen Gegend des Cahuenga-Passes.

In idealer Lage mit dem prachtvollen Griffithpark als Hintergrund wurde das letztere um den ansehnlichen Betrag von 2 1/2 Millionen Dollar innerhalb sieben Monaten in pittoreskem spanischen Missionsstil errichtet. Mit den tunnelartigen Bühnenhäusern selbst ist ja künstlerisch nicht viel anzufangen, aber es geschieht doch so manches, um das Äußere der Kanzleien und Garderoben gefällig zu gestalten.

So präsentieren sich die in zwei Stockwerken untergebrachten Garderoben in Burbank mit ihren rund um die Fassade laufenden Balkonen in überaus geschmackvoller Weise; die freien Flächen sind mit Rasen und Blumenbeeten belegt, die mit großem Geldaufwand künstlich bewässert werden müssen.

Manche der älteren Bühnenhäuser sind gebrechliche alte Holzbauten ; sie sehen kaum besser aus als riesige Militärbaracken und es ist ein Wunder, daß sie noch nicht abgebrannt sind. Feuersbrünste sind übrigens nicht selten; auch Chaplins Atelier fing vor kurzem Feuer.

Neugebaute Bühnenhäuser werden heute meist mit Zement fundiert, das Dach ist wie bei Aeroplanhallen gewölbt, die Wände bestehen aus Eisenkonstruktion mit Ziegelfüllung. Fenster sind nicht vorhanden, die Wände in gewissen Zwischenräumen durch Schiebetüren unterbrochen. Der Sonnenschein hat sich dort überlebt und ist vollkommen von der Lampe verdrängt worden - die Glaswände im Metro-Atelier wirken geradezu veraltet. In Deutschland weisen übrigens einige der Ufa-Bühnen noch Glaswände auf, aber die Scheiben sind dort dunkelblau übertüncht.
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Der Betrieb eines Filmateliers kostet viel Geld

Die Kosten für die Führung - den Betrieb - eines Filmateliers steigern sich von Jahr zu Jahr. Die laufenden Kosten sind märchenhaft, Stars und Regisseure verlangen immer höhere Gagen und erhalten sogar mehr ausbezahlt, als in ihrem Kontrakt bedingt ist.

Die besten Filmbücher und die besten Kräfte wandern natürlich immer zu jener Gesellschaft, die am meisten und am promptesten zahlt, und der selbständige Produzent hat einen harten Kampf zu bestehen. Gelingt es ihm, ein Genie zu entdecken, so stürzen sich die großen Gesellschaften sofort darauf und machen ihm seinen kostbaren Fund mit höheren Geldangeboten abspenstig.

Schließlich wird auch der tüchtige Produzent in den Strudel gerissen - er ist einfach nicht imstande, das Tempo der führenden Gesellschaften durchzustehen.
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1927 ein Jahresbudget von 32 Millionen Dollar

So war der Hauptmanager der Paramount in Hollywood nach Lasky, ein Herr Schulberg, seinerzeit selbständiger Produzent, der
den Kampf aufgegeben hat; dasselbe wird von Harry Raff erzählt, der heute eine bedeutende Stellung bei der Metro bekleidet. Alle würden sie gerne (wieder) selbständig sein, aber sie können sich diesen Luxus nicht leisten.

Die Paramount bringt jährlich etwa 70 bis 80 Großfilme heraus und hatte 1927 ein Jahresbudget von 32 Millionen Dollar für die Produktion allein vorgesehen. Dabei muß in Rechnung gestellt werden, daß die großen Gesellschaften, die auf einer vortrefflich ausgerüsteten inneren Linie operieren, viel besser imstande sind, die nötige Massenproduktion mit geringeren Kosten zu leisten, als selbst der beste selbständige Produzent.

Die großen Firmen saugen die kleinen Leute einfach auf, und befinden sich Menschen mit Ideen darunter, so bieten sie ihnen an Geld und Behelfen soviel wie ihr Herz begehrt, so daß sie nach Herzenslust arbeiten können und sich wenigstens nicht mehr einzuschränken brauchen.

Natürlich gibt es in Hollywood noch immer eine Menge kleinerer Ateliers, die von der wohlhabenden Konkurrenz in hochmütiger Weise als „Arme Leute" bezeichnet werden und denen es irgendwie gelingt, sich doch fortzubringen; dann gibt es noch unter den jungen Leuten Optimisten, die ihr Glück versuchen wollen. Aber der Erfolg ist eben schrecklich schwer zu erringen.

Einer der besten Filme, die von den „Armen Leuten" gedreht worden sind, war „The Salvation Hunter", eine realistische Erzählung von drei im Leben Gestrandeten. Der Film brachte Geld ein und bildete den Grundstein zum Erfolg der drei Hauptbeteiligten, von denen Georgia Hall sofort von Chaplin für „Goldrausch" gekapert wurde .......

Die „Armen Leute" mögen manchmal Erfolg haben, aber der Weg ist lang und steil. Im allgemeinen kann man sagen, daß nahezu alle Großfilme aus den führenden Ateliers stammen, weil diese allein imstande sind, für die ungeheuren Kosten aufzukommen.
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Hollywood saugt wie ein Magnet die tüchtigsten Leute an

In einem früheren Kapitel wurde schon erwähnt, mit welcher fürstlichen Freigebigkeit die großen Gesellschaften Geld verschwenden.

Die Durchschnittskosten für einen Großfilm werden in Amerika mit 150.000 Dollar angenommen, was in Anbetracht der billigen Lebensbedingungen in England 85.000 Dollar, in Deutschland 75.000 Dollar entspricht.

Kein Wunder, daß Hollywood einen Magnet darstellt, der aus aller Herren Länder die tüchtigsten Leute anzieht! Man kann sich leicht sein Personal aussuchen, wenn man einem Aufnahmeoperateur 3-4.000 Mark pro Woche zahlt.

Dramaturgen, die keine andere Aufgabe haben, als in ein Drehbuch ein paar Einfälle hineinzubringen, worüber die Leute lachen oder weinen sollen, erhalten 3000 Mark und mehr die Woche.

Ein gutes Durchschnitts-Filmbuch kostet 20.000 Mark, aber Zugstücke erzielen Phantasiepreise. Die Stars erhalten 8.000 bis 16.000 Mark die Woche, Tom Mix verdient noch mehr. Jannings hat einen dreijährigen Kontrakt mit der Paramount auf 8 bis 10.000 Dollar pro Woche! Die Gehälter der Regisseure schwanken von 120.000 bis 280.000 Mark pro Film.

Mechaniker und Bühnenarbeiter erhalten bis zu 400 Mark die Woche. Ein unabsehbarer Automobilpark ist stets vor dem Studio versammelt und die meisten Wagen gehören Arbeitern und Atelierangestellten. Freilich sind die Lebensbedingungen auch unverhältnismäßig höher als etwa in Europa, und wer nicht zu den Prominenten gehört, kann kaum etwas zurücklegen.
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Der Film zieht die Menschen an wie das Licht die Nachtfalter

Es wäre Wahnsinn, eine Lebensstellung, und sei sie auch noch so bescheiden, aufzugeben, um zum Film zu gehen, und wer sich nicht ganz besonders dazu eignet, sollte sich hüten, eine Filmkarriere einzuschlagen.

Dennoch geschieht dies täglich und in immer wachsendem Maße, denn der Film zieht die Menschen an wie das Licht die Nachtfalter. Heute gibt es sogar schon Filmschulen, in denen man armen Leuten die letzten Groschen aus der Tasche zieht und ihnen Versprechungen macht, die sich niemals erfüllen sollen.

Jeder, der über halbwegs gerade Glieder verfügt und einmal auf einer Liebhaberbühne in der Provinz aufgetreten ist, fühlt in sich den Beruf zum Filmstar. In Los Angeles befinden sich immer etwa 20000 Menschen mehr als gebraucht werden und jeder von ihnen hofft auf eine Verwendung im Filmatelier; eine wahre Völkerwanderung von
drollig geputzten Menschen ergießt sich durch die Straßen; alle leben sie noch im Wahne, plötzlich entdeckt zu werden. Dem oder jenem gelingt es, gelegentlich eine Verwendung zu erhalten, doch ist der Verdienst meist kläglich.

Glückt es aber wirklich jemandem, bei einer Filmbühne ständig Verwendung zu finden, dann hat er dort auch nichts zu lachen. In den geschlossenen Ateliers herrscht im Sommer, wenn alle Lampen brennen, eine wahrhaft unerträgliche Hitze, und Freilichtaufnahmen bedeuten auch für einen trainierten Körper keine leichte Aufgabe.

Diese Aufnahmen werden zumeist in weiter Entfernung vom Atelier vorgenommen, im Gebirge, wo Lawinen, Schnee und Gebirgswässer die Verkehrsmittel aufhalten; oft werden für das Drehen solcher Bilder mit Absicht die unwirtlichsten Gegenden ausgesucht.
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Ein Blick auf die festangestellten Schauspieler

Hierzu kommt, daß die festangestellten Schauspieler fast immer gezwungen sind, Rollen zu spielen, die ihnen nicht zusagen, denn mit Ausnahme der führenden Stars wird niemand nach seinen Wünschen gefragt; die Rollen werden verteilt und jeder hütet sich, sie zurückzuweisen. Die Arbeit im Filmatelier ist überaus anstrengend und Regisseure wie Darsteller müssen alle Kraft aufbieten, um Schritt halten zu können.

Auch die Stars leisten die härteste Arbeit und sind unvergleichlich mehr angehängt als beim Theater. Um 8 oder spätestens 9 Uhr früh muß alles zur Stelle sein und beim Einbruch der Dunkelheit sinkt jedermann todmüde ins Bett. Die Regisseure rühren sich von morgens 8 Uhr bis abends 10 Uhr überhaupt kaum aus dem Bühnenhaus.

Überdies steht auch das Privatleben der Filmleute fortgesetzt unter Scheinwerferbeleuchtung und die geringfügigsten Vorkommnisse oder kleine Skandale werden, ins Gigantische verzerrt und maßlos übertrieben, auf die ganze Filmgemeinde ausgedehnt.

In Los Angeles ist der Prozentsatz an Scheidungen gewiß nicht höher als anderswo, die Filmleute heiraten nicht öfter als andere Menschen aus denselben Kreisen. Dennoch gibt es, wo immer sich Schauspieler aufhalten, sofort Skandalgeschichten, Tratsch und Übertreibungen.

Gottlob ist das Filmvolk in Amerika wie alle Amerikaner viel zu sehr damit beschäftigt, Geld zu verdienen; häusliche Sorgen werden nicht ernst genommen und nur das hemmungslose Reinlichkeitsbedürfnis der Presse bringt es zuwege, immer von neuem die schmutzige Wäsche zu waschen.
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Die Kamera ist ein viel zu strenger Lehrmeister

Nein, die Kamera ist ein viel zu strenger Lehrmeister, um bei ihren Hörigen etwas wie Selbstzufriedenheit aufkommen zu lassen. Dem Theaterschauspieler mag es eine Zeitlang gelingen, die Verheerungen eines ausschweifenden Lebens unter der Fettschminke zu verbergen, aber die mitleidlose Kamera prüft jeden auf Herz und Nieren, und wer nicht alle seine Kräfte für die Arbeit aufspart, ist verloren.

Die meisten Filmdarsteller gehen täglich um 10 Uhr schlafen, wenn sie am anderen Morgen um 8 Uhr zur Arbeit antreten müssen. Einige Eindrücke, die im Umgang mit bekannten Stars gewonnen wurden, mögen den Sinn des eben Gesagten beleuchten und beweisen, daß das Leben beim Film keineswegs einen ewigen Feiertag bedeutet.

Lilian Gish spielte einmal in einem Metro-Film, der nördlich von Hollywood am Cahuengapaß gedreht wurde, die Hauptrolle; die dortige Gebirgsszenerie sollte das schottische Hochland vorstellen. Die Hitze in diesem engen Tale, wo Hunderte von Füßen und Rädern den Staub aufwirbelten, war einfach unerträglich. Der gesamte Filmstab der Metro war mit ganzen Bataillonen von Statisten in schottischen Uniformen ausgerückt.

Lilian Gish trug ein Kostüm aus schwerem schottischen Wollstoff, dazu einen riesigen Plaid und hatte mit einigen anderen auf dem staubigen Grasboden einen schottischen Tanz vorzuführen. Die musikalische Begleitung besorgte ein Mädchen, das in die Hände klatschte und einfach dazu sang; „Eins, zwei, drei, vier - eins, zwei, drei, vier . . ."

Dies wurde eine halbe Stunde lang fortgesetzt - ab und zu wurde eine Gruppierung, die besonders effektvoll schien, gedreht. Um die Tanzenden war ein ganzer Wall von kräftigen Atelierlampen aufgestellt, die mit voller Stärke brannten; den Strom lieferte eine Dynamomaschine, die im Hintergrund auf einem Lori ratterte. Von einem etwas größeren Halbkreis wurden außerdem noch die Sonnenstrahlen von Reflektoren aus poliertem Metall und Spiegeln auf die Tanzenden geworfen.

In dieser Höllenatmosphäre mußten die Darsteller spielen und es bleibt unbegreiflich, wie sie einen dramatischen Ausdruck in ihr Spiel zu legen vermochten, denn es war alles geschehen, um ihre Aufmerksamkeit abzulenken.
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Eine Augenzeugen- Darstellung aus dem neuen Paramount-Atelier

Ein Augenzeuge gibt folgende Darstellung der Aufnahme von „Hotel Stadt Lemberg" im neuen Paramount-Atelier. Pola Negri spielt das österreichische Hotelstubenmädchen und weist die Annäherung des russischen Kommandanten (George Siegmann) zurück. Der Schwede Mauritz Stiller führt unter der Oberaufsicht Erich Pommers die Regie.

Ein kleiner Raum, etwa 3 Meter im Geviert, stellt das Hotelzimmer dar, in dem die beiden Hauptpersonen sich bekämpfen. Das ganze übrige Atelier ist mit Ausstattungsgegenständen für andere Szenen vollgestopft; Statisten in russischer Uniform sitzen dutzendweise auf Bühnenstühlen und Requisitengegenständen umher.

Die frisch gestrichenen Wände, die nur soweit als nötig emporreichen, schimmern im gemischten Licht von Scheinwerfern und den zahllosen Lampen, die am Boden liegen, von der Decke herab strahlen oder von der Seite leuchten.

Die aus den Jupiter- und Quecksilberdampflampen strömende Hitze raubt den Atem, das unentwirrbare Durcheinander von fahrbaren Lampenständern, elektrischen Kabeln, Requisiten und menschlichen Wesen scheint jedes Molekül atembarer Luft zu verschlingen. Ein Dutzend Handwerker, Zimmerleute und Mechaniker, befindet sich gleichfalls in der Nähe; manche hämmern und sägen, andere warten Aufträge ab - niemand hat eine Ahnung von dem, was auf der Bühne vorgeht, jeder kennt nur seine eigene Aufgabe, alles verläßt sich auf den Regisseur, der allein zu sagen weiß, was dieser Narrenturm zu bedeuten hat.

Und in dieser Umgebung verlangt man von den Darstellern, alles aus sich herauszuholen, was sie an Gefühl zu geben haben.
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Und dann ein kleiner Unfall .....

Da - ein besonders kräftiger Stoß von Siegmann, die Negri gleitet über den Fußboden und schlägt auf einen kleinen Ofen, was verschiedene Kratzer und Hautabschürfungen zur Folge hat. Erste Hilfe wird herbeigerufen und die Negri sitzt nun in einem galizischen Hotelsessel, während ihr die Atelierschwester Unterarm und Schienbein desinfiziert.

Niemand nimmt diesen Zwischenfall besonders tragisch, die Arbeiter hämmern ruhig weiter, die Elektriker tauschen die Kohlenstifte der Lampen aus, die Kameraleute messen mit einem Zollband Distanzen, prüfen die Bildwinkel und kontrollieren die Nummern der Aufnahmen, die ein Gehilfe mit Kreide auf einer schwarzen Tafel verzeichnet hat. Gottlob ist trotz des Unfalles oder vielleicht ebendeshalb die Aufnahme gelungen.

Während dieser Begebenheiten hat das Atelierorchester - ein Klavier, ein paar Geigen und ein Cello - ununterbrochen eine liebliche Weise erklingen lassen, die der Filmdiva Tränen oder Heiterkeit entlocken soll.

Es bleibt zweifelhaft, ob diese Musik die gewünschten Wallungen hervorzubringen vermag, aber sie bietet wenigstens ein gutes Mittel, die Darsteller von ihrer schauderhaften Umgebung abzulenken.
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Die Hitze und das Licht ist fast unerträglich

Ahnliche Szenen spielen sich täglich in allen Ateliers ab; kleine Schmerzen, wie Seitenstechen, Zahnweh, vielleicht auch eine leichte Lungenentzündung, dürfen unter keinen Umständen die ganze Maschinerie einer kostspieligen Filmaufnahme gefährden.

Augenerkrankungen sind an der Tagesordnung. Stechender Kopfschmerz, heftige Augenschmerzen, gerötete Augenlider und Brennen der Augen sind die ersten Anzeichen von „Conjunctivitis", die, vom grellen Licht der Jupiterlampen und Scheinwerfer hervorgerufen, durch Unachtsamkeit zu den schwersten Komplikationen führen kann.

  • Anmerkung : Die Kohlebogenlampen sind in Europa inzwischen (nach 1960) streng reglementiert, weil der Lichtbogen, das leuchtende Plasma, ultraviolette Strahlen in erheblicher Dosis ausstrahlt.


Namentlich Frauen werden leicht davon befallen und man sieht daher die Darsteller oft mit blauen Brillen, die sie erst knapp vor der Aufnahme ablegen. Zumeist bieten nicht einmal die Garderoben genügend Komfort, um sich darin ein wenig auszuschnaufen. Es ist eine harte Arbeit, zu der ein stählerner Körper gehört, es gibt keine Ruhe und keine Rast: eine höchst ungemütliche Atmosphäre.
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Dann das entsetzliche Warten!

Trotz endloser umsichtigster Vorbereitung kann kein Regisseur seine Arbeit auf die Minute, ja nicht einmal auf die Stunde genau vorherberechnen. Die Darsteller werden für eine bestimmte Stunde bestellt, dann treten plötzlich unvorhergesehene Hindernisse auf und die Schauspieler sitzen im Kostüm und geschminkt halbe Tage lang unbeschäftigt umher.

Es kommt vor, daß Statisten für den Morgen bestellt sind und am Abend bezahlt und entlassen werden müssen, ohne das Geringste geleistet zu haben. Für den Schauspieler gibt es keine lähmendere Geduldsprobe, als stundenlang warten zu müssen, stets gewärtig, plötzlich gerufen zu werden, um seine Wallungen zu exhibieren.

Man gewöhnt sich daran wie beim Theater, aber im Filmatelier ist die Nervenprobe noch gewaltiger; denn das Milieu wirkt weniger intim, die Gebäude mit ihren riesenhaften Dimensionen üben eine lähmende Wirkung aus, Staub und Schmutz machen sich überall breit und es gibt kein Entrinnen. Das Leben des Atelierstatisten ist die reinste Hölle.

  • Anmerkung : In den Jahren ab 2016 war unser Museums-Tema bei mehreren großen Drehs dabei und kann das ganze sehr gut nachvollziehen, also locker 80 Jahre später war es immer noch so, das mit dem unerträglich langem Warten. Mitmachen beim Filmdreh am Set bedeutet 80% der Zeit !warten".

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Und noch eines!

Es gibt keinen Applaus und hätte jemand noch so vortrefflich gespielt. Manche vom Theater stammende Filmgrößen kehren wieder dahin zurück, weil sie den Beifall nicht missen können; andere spielen eine Zeitlang auf einer New Yorker Bühne, um wenigstens hie und da Applaus zu hören.

So oft man ein Filmatelier betritt, sei dies in Hollywood, in Berlin oder in London, gewinnt man immer den Eindruck äußerster Kopflosigkeit. Dies scheint unvermeidlich zu sein, den Erfolg jedoch kaum zu beeinflussen.

Dem Laien ist es unerklärlich und er fragt vergeblich: „Warum bringt man das alles nicht in ein System ?" Aber man hat das schon wiederholt versucht und als undurchführbar erkannt. Besonders in Los Angeles ist man oft darangegangen, Atelierdisziplin erreichen zu wollen; jede Aufnahme sollte numeriert und der Reihe nach gedreht werden, die Statisten und Requisiten sollten mit militärischer Exaktheit bewegt und wieder aufgehalten werden - umfangreiche Pläne wurden ausgearbeitet, erwiesen sich aber in der Praxis ganz ohne jeden Wert.

Die Regisseure beklagten sich, daß ihre Ideen zugestutzt würden, die Darsteller waren der Ansicht, daß sie seitens der Regisseure schon genügend Drill zu spüren bekämen und die militärische Abrichtung amerikanischer Arbeiter und Mechaniker erwies sich als unlösbare Aufgabe. Übrigens stellten sich immer wieder unvorhergesehene Zwischenfälle ein, die alle Pläne und Bemühungen über den Haufen warfen.
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Ünfälle bei Schauspielern sind Kollateralschäden

Bei Abenteurerfilmen und solchen Aufnahmen, die halsbrecherische Kunststücke erfordern, kann der Hauptdarsteller von Glück sagen, wenn er mit einem blauen Auge davon kommt. Manche Stars setzen ihren Stolz und ihre Filmehre darein, alle lebensgefährlichen Szenen selbst auszuführen, so Harry Piel, Luciano Albertini, Marga Lindt u. a.

Meistens wird aber das von der Filmgesellschaft teuer versicherte Leben des Stars tunlichst geschont und sobald die Sache gefährlich wird, springt ein anderer mit abgewendetem Gesicht und ganz gleich gekleidet für ihn ein. Eine der tüchtigsten Vertreterinnen dieses Faches in Hollywood ist Janet Ford, die Gattin des verwegenen Cowboys Tom Carter. Sie war Krankenpflegerin, hatte während des Krieges Gelegenheit, sich im Reiten auszubilden und betrieb in ihrer freien Zeit besonders auch den Schwimmsport und das Tauchen. Einmal wäre es ihr beinahe an den Kragen gegangen.

Sie hatte unter Wasser darzustellen, wie sich die verunglückte Heroine unter einem Automobil herausarbeitet. Der Aufnahmeapparat befand sich in einer Taucherglocke. Plötzlich aber wird aus dem Spiel bitterer Ernst, denn ihr langes aufgelöstes Haar hat sich in die Radspeichen verwickelt und trotz aller Bemühungen gelingt es ihr nicht, sich zu befreien. Die Kameraleute sind von ihrem Spiel entzückt und kurbeln eifrig weiter - sie droht zu ertrinken und kann sich schließlich nur retten, indem sie ein Stück Kopfhaut und ein Büschel Haare zurückläßt.

Es wäre übrigens ein interessanter Versuch, eine Verlustliste des Filmes zusammenzustellen. Neben Hunderten von „unbekannten Soldaten" würde mancher Name, der Millionen von Kinobesuchern lieb war, darin erscheinen. Bekanntlich wurde auch der beliebte Rudolf Valentino ein Opfer seines Berufes.
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