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Die Welt des Films - Herbst 1927 - aus Sicht eines Engländers:

In diesem Buch aus London wird die internationale Entwicklung des Kino-Films bis zu den Anfängen des Ton-Films - diesmal nicht (nur) aus deutscher Sicht - vorgetragen. In einem weiteren Buch vom April 1927 von Denes von Mihaly (aus Berlin) wird eine ganz andere Sicht auf den Ton-Film verbreitet, die aber so nicht mehr stimmt. Nach dem März 1933 wurde dann die Geschichte des Ton-Films ebenfalls heftigst "verbogen", also nationalsozialistisch eingedeutscht. Darum sind die Ausführungen dieses Engländers Fawcett sehr hlfreich. Zwei deutsche Übersetzer hatten aber einiges "hinzugefügt". Die Einleitung beginnt hier.

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Hollywood Filme sind leicht verkäuflich

Die in Hollywood aufgenommenen Filme zeichnen sich nahezu alle durch eine überaus wichtige Eigenschaft aus; sie sind leicht verkäuflich.

In Berlin, London und auch in Amerika hat es immer Leute gegeben - und es waren nicht immer die dümmsten -, die irrsinnige Summen darauf verschwendet haben, künstlerisch hochstehende Laufbilder zu produzieren, welche dann gar niemand zu sehen wünschte.

In den Kindheitstagen des Filmes (so um 1910) ließ sich das Filmvolk - Geldgeber und Darsteller - von einzelnen Kapitänen führen; aber nachdem diese mehrere Jahre hindurch mit den Geldmitteln der Gesellschaften ihr Unwesen getrieben hatten, wurde dieses System aufgegeben und man schritt überall daran, die Filme mit Hilfe einer Art Regiekollegium (committee-made pictures) herzustellen.

Heute (1927) werden auf der ganzen Welt Filme von Regiekollegien und nicht mehr von Einzelpersonen hergestellt. Es wäre auch eine starke Zumutung an die Kapitalisten, Beträge, wie sie in Hollywood von einer Gesellschaft für die Jahresproduktion verausgabt werden - etwa 30 Millionen Mark -, einem einzelnen zur Verfügung zu stellen. Da ein solches Genie wohl kaum aufzutreiben ist, bleibt als einzige Lösung des Problems das Regiekollegium, dessen Grundzüge heutzutage auch in Europa zur Anwendung gebracht werden.

Die Hauptaufgabe des Kollegiums ist es, die Verschwendung von Zeit und Geld zu verhindern, die Tätigkeit der einzelnen Abteilungen in Einklang zu bringen und die Gewähr zu bieten, daß die
erzeugte Ware auch Absatz findet. Jedermann im Atelier, auch der berühmteste Dichter, Regisseur oder Ausstattungschef, hat sich den Weisungen des Kollegiums zu fügen.
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Die Ausnahme-Künstler, wie Chaplin, Fairbanks, Lloyd

Natürlich gibt es noch immer ein paar Künstler, wie Chaplin, Fairbanks, Lloyd, die mehr oder weniger von den großen Trusts unabhängig geblieben sind; hauptsächlich aus dem sehr einleuchtenden Grunde, weil ihre Filme auch ohne die Mitwirkung eines Regiekollegiums verkäuflich sind.

Aber diese Künstler sind sich voll bewußt, daß ihre Produkte unbedingt den Beifall der Verleihfirmen finden müssen, weil sie ohne diese das Kino gar nicht erreichen. Auch sie können also nicht immer das tun, was ihnen beliebt.

Sie vertreiben ihre Ware bekanntlich auf dem Wege über die großen Verkaufstrusts, die sich sofort ablehnend verhalten würden, wenn der Film dem Publikumsgeschmack nicht mehr entspräche. Sie wissen ganz genau, daß ihr Hauptziel bleiben muß, beim Publikum Beifall zu finden und ihr Renommee gilt ihnen so viel, daß sie ihre ganzen Energien auf das Zustandekommen eines Filmes aufbieten.

Chaplin und Fairbanks drehen nie mehr als einen Film im Jahr; Lloyd arbeitet etwas rascher. Sollte es ihnen einmal einfallen, sich vom Publikumsgeschmack zu entfernen, sie würden gar bald wieder dahin zurückgetrieben werden.
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Diese wenigen Glückskinder sind Ausnahmen

Aber diese wenigen Glückskinder sind Ausnahmen - alle übrigen müssen ihre Dienste verkaufen und sich den Wünschen der Regiekollegien unterwerfen, die kein anderes Ziel kennen, als den Verkaufs zentralen marktgängige Bilder zu liefern.

So wenig dieser Vorgang künstlerischen Idealen entsprechen mag, er erreicht das fortgesetzte Aufwerfen neuer Ideen, denn es werden dadurch zahllose Menschen veranlaßt, ihr Glück beim Film zu versuchen.

In Hollywood mag einer heute Mist abladen und kurze Zeit darauf mit hohem Gehalt Filme drehen; als Befähigungsnachweis genügt es, eine gewinnbringende Idee gezeigt zu haben - Doktordiplome sind ganz überflüssig, ebenso Protektion, wennschon die letztere von Nutzen sein kann.

Ein englischer Schriftsteller ohne Beschäftigung borgte sich vor einigen Jahren das Geld für die Überfahrt und verdient heute als Produktionsleiter einer großen Gesellschaft 300.000 Mark im Jahr; ein Mädchen, das in einem New Yorker Zirkus Pferde zugeritten hat, erhält heute als Szenenregisseurin eine Gage von 60.000 Mark.

Aber der Anfänger muß sich der Disziplin unterwerfen und sich etwas sagen lassen. Die Individualität kann sich ab und zu durchsetzen; in der Regel wird jedoch der materielle Erfolg auf dem Wege über das Regiekollegium sicherer erreicht.
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Der Produktionsdirektor und seine Unterdirektoren

Die meisten Ateliers stehen unter der Führung eines Produktionsdirektors, dem Vorsitzenden des Kollegiums, und zwei bis drei Unterdirektoren. Diese Leute bilden den Kern der Exekutive, welche 15 Mitglieder - die Vorstände der verschiedenen Departements, wie Beleuchtung, Photographie, Bühnenausstattung usw. - angehören.

Sie sind für die Vorarbeiten der Atelieraufnahmen verantwortlich. Die zu leistende Detailarbeit ist ungeheuer und die Mitglieder des Kollegiums müssen enzyklopädische Kenntnisse sowie trainierte Köpfe aufweisen, um die Pläne für 8 oder 10 Filme gleichzeitig bearbeiten zu können. Man behauptet, daß es auf der ganzen Welt nur etwa 12 wirklich erfolgreiche Produktionsleiter gibt.
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Den Erfolg des Films vorarbeiten

Von der Zweckmäßigkeit der Vorarbeiten hängt der Erfolg des Filmes ab. Der Regisseur, der die Bewegungen der Schauspieler auf der Bühne selbst zu leiten hat, kann dadurch doppelt so schnell arbeiten ; denn er braucht nicht zu befürchten, in einem entscheidenden Augenblick aufgehalten zu werden, oder daß sein temparamentvoller Star nervös wird.

Eine Armee von Fachleuten steht dem Oberregisseur zur Verfügung, um ihm einen Teil seiner Verantwortung tragen zu helfen; denn es gibt keine größere Verschwendung an Zeit und Geld, als mit dem Drehen eines großen Filmes zu beginnen, um, wenn alles zur Aufnahme bereit ist, zu entdecken, daß ein wichtiges Requisit fehlt und nicht vor mehreren Wochen herbeigeschafft werden kann.

In Hollywood hat sich aus diesen Vorbereitungsmaßnahmen eine ganze Wissenschaft entwickelt und die Sachkenntnis, mit der das System zur Anwendung gelangt, ist vielleicht eines der wohltuendsten Momente des ganzen Filmwesens.

Keiner von den Leuten, deren Namen vor dem Abrollen eines Filmes zur größten Langeweile der Zuseher auf der Leinwand erscheinen: der künstlerische Regisseur, der Verfasser der Titel, der Bühnenmeister, der Photograph usw. - ist überflüssig.

Ein jeder muß das Stück studiert und seinen Beitrag zum Gelingen geliefert haben, bevor die Aufnahme beginnt. Jeder hat seine Zeit zugemessen und erhält Geld für die notwendigen Vorauslagen; jedes Detail, das nur irgendwie vorausgesehen werden kann, wird berücksichtigt, jeder Trick, jede Bewegung, alles ist im vorhinein aufs genaueste bestimmt. Bei Freilichtaufnahmen wird das Terrain besichtigt und abgesteckt.
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Und so geht es real los

Nun wird der Regisseur bestimmt, man entwirft ihm den Arbeitsplan und prüft seine Ansicht über die Behandlung des Stoffes. Die Stars und Hauptdarsteller werden ausgewählt und befragt. Im Zentralverein der Statisten (Extras), von dem an anderer Stelle die Rede ist, engagiert man die besonderen Typen und die Komparsen für ein bestimmtes Datum.

Inzwischen ist ein Heer von "Beamten" mit historischen, wissenschaftlichen und technischen Studien an der Arbeit. Die eigene Kostümabteilung des Ateliers erhält ihre Aufträge und die Nähmaschinen der Garderobemeisterin beginnen zu schnurren. In den Werkstätten wird an den Bühnenerfordernissen, Holzbauten, Eisenkonstruktionen und am Mobiliar gearbeitet, auf den Bühnen werden Zimmer und Häuser eingebaut und im freien Gelände entstehen die für den Film benötigten lebensgroßen, freistehenden Bauten.

Unterdessen ist auch das Reklamebureau nicht müßig geblieben; in einzelnen Zeitungen werden bereits unbestimmte Gerüchte lanciert, daß ein großer Exklusivfilm in Vorbereitung steht und sofort bemühen sich auch die anderen Blätter, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

Unglaubliche Bluffs werden oft angewendet, um das öffentliche Interesse, besonders aber jenes der Kinobesitzer, für den neuzuschaffenden Film zu erwecken.
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Dann beginnt die Aufnahme

Erst wenn alles auf das Gründlichste vorbereitet ist, kann man an die Aufnahme schreiten. Einen Beweis für den finanziellen Vorteil dieser Arbeit bietet „Ben Hur". Alle die riesigen Massenszenen für diesen Monsterfilm wurden an einem einzigen Tage gedreht; an sämtlichen übrigen Aufnahmetagen waren nie mehr als 150 Darsteller beschäftigt.

Während die Aufnahmen fortschreiten, werden die bereits gedrehten Filmstreifen in stundenlangen Konferenzen des Kollegiums im Projektionszimmer geprüft. Sobald etwas nicht vollkommen entspricht, wird es vernichtet und die Aufnahme wird noch einmal gedreht; die „Titel" werden geändert, die Zusammenhänge variiert, der Regisseur macht seine Einwendungen, aber das Kollegium läßt sich nicht von ästhetischen Erwägungen beeinflussen - nur was Aussicht hat, auf das Publikum zu wirken, bleibt bestehen: das Publikum muß seine Sensation erhalten; es muß sich vor Lachen biegen oder das Herz muß ihm vor Weinen brechen.

Die Aufnahmen mit dem ständigen Personal in den Studios in Kalifornien hat sich für amerikanische Gesellschaften trotz allen scheinbaren Kosten stets wohlfeiler erwiesen, als das Drehen eines Filmes auf dem historischen Schauplatz.
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Der anfängliche Flop mit "Ben Hur" in Italien

Auch hierfür bietet „Ben Hur" ein sehr gutes Beispiel. Dieser Film war von mehreren führenden Leuten der Branche - Erlanger, Schuberts, Loew - finanziert worden und man beschloß, ihn in Italien zu drehen; eine ganze Expedition wurde dorthin entsendet.

Nach mehrmonatiger Arbeit hatte man über 8 Millionen Mark verausgabt, allein die Bilder erwiesen sich als schwerfällig und für das amerikanische Publikum gänzlich ungeeignet. Die in Rom hergestellten Kulissen wurden daraufhin demontiert, die italienischen Darsteller entlassen und man begann in Kalifornien das ganze Werk wieder von vorne. Man baute das Hippodrom, man kurbelte fast sämtliche Bilder, darunter das große Wagenrennen, noch einmal mit Dutzenden von Kameras und errichtete mehrere solide Neubauten, die zum Teil noch stehen.

Dies bedeutete eine weitere Ausgabe von 8 Millionen Mark und setzte Fred Niblo, den Oberregisseur, in die Reihe der größten Regiekünstler. Der Fall liegt so: hätte man die zweiten 8 Millionen Mark nicht bewilligt, so wäre die erste Ausgabe vermutlich verloren gewesen; da aber die Geldgeber das Herz hatten, sich zu dem neuerlichen ungeheuren Risiko zu entschließen, gewannen sie nicht allein ihr Geld zurück, sondern machten noch ein ganz gutes Geschäft dabei.
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Ist der Film abgedreht und geschnitten

Ist der neue Film endlich so weit gediehen, daß er das Produktionskomitee befriedigt, dann wird eine „Vorschau" (Preview) angeordnet.

Ein "obskures" Vorstadtkino in Los Angeles wird ausgesucht, und ohne jede Voranzeige wird der Film in das Programm eingeschoben, während im Zuschauerraum die Mitglieder des Kollegiums auf die Bemerkungen des Publikums acht haben und sich ein Urteil darüber bilden, wie der Film gefällt.

Die Zuschauer ahnen oft nicht einmal, daß sie an einem Todesurteil teilgenommen haben. Was jeder einzelne im Filmatelier darüber denkt, ist ganz gegenstandslos, viel wichtiger ist das Urteil des Vorstadtpublikums in Los Angeles, denn dieses fühlt sich infolge seiner ständigen Berührung mit Filmleuten als sachverständig und ist schwer zu befriedigen.

Oft genügt auch eine einzige Vorschau nicht und nach einer gewissen Umarbeitung wird eine zweite angesetzt. Es kommt sogar vor, daß ein Film nach mißlungener Vorschau ganz beiseite gelegt und erst wenn es gelungen ist, einen neuen Schlager hineinzubringen, wieder hervorgeholt wird.
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Ein Film - ein einzelnes Kunstwerk oder eine Kompaniearbeit

Das Prinzip des Regiekollegiums widerspricht dem von vielen Seiten aufgestellten Grundsatz, daß ein Kunstwerk stets die Schöpfung eines Einzelnen sein müsse und nicht eine Kompaniearbeit von einem Dutzend Personen darstellen dürfe.

Allein auch die Oper ist das Werk vieler Menschen: der Komponist, der Librettist, der Ausstattungschef, der Dirigent, der Sänger, alle haben ihren Anteil an dem Gelingen; und beim Schauspiel ist es nicht viel anders.

Fehler sind natürlich nicht ausgeschlossen, zumal in der mit nervöser Spannung geladenen Atmosphäre von Hollywood, da dort doch jedermann stets in der Furcht vor dem Mißerfolge lebt. Dort hat sich wenigstens schon die Überzeugung durchgerungen, daß es falsch und absurd ist, Filme zu erzeugen, die keinen materiellen Erfolg versprechen.

Dieser Vorgang entspricht der amerikanischen Psyche und wird kaum jemals eine Änderung erfahren. Die amerikanische Produktion richtet sich sklavisch nach dem Publikumsgeschmack und hütet sich vor Experimenten.

Vorderhand will auch die Menge der Leute gar nichts anderes als ihre Schaulust befriedigen - die Leute, die ins Kino gehen, haben mehr Geld als Urteilsvermögen. Ab und zu werden einige Bilder herausgebracht, welche die künstlerische Einbildungskraft anregen und in denen etwas mehr zu sehen wäre, als das, was das Auge blendet.

Wenn nur das Publikum darauf eingehen wollte, die Filmgesellschaften würden dies sofort aufgreifen und ihre Produktion dementsprechend einstellen. Der Fortschritt wäre bald zu bemerken, aber wie die Dinge jetzt stehen, sind die Kosten viel zu groß, um unfruchtbare Experimente zuzulassen.
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